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Full text of "Geschichte der Kriegswissenschaften vornehmlich in Deutschland"

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Geſchichte 


der 


Wiſſenſchaften in Deutfchland. 
Neuere Beit. 


Einundzwanzigiter Band. 
Geſchichte der Ariegsmilfenfchaffen 


vornehmlich in Deutfchland. 


Auf Beranlajjung 
Sr. Aajeſtät des Königs von Bayern 


herausgegeben 
durch die Sifforifhe Kommiſſion bei der Kgl. Akademie der Wiſſenſchaften. 


München und Leipgig. 
Drud und Verlag von R. Oldenbourg. 
1889. 


Geſchichte 


der 


Kriegswiſſenſchaften 
vornehmlich in Deutſchland. 


Von 
Mar Jähns. 


Erſte Abteilung. 
Altertum, Mittelalter, XV. und XVI. Jahrhundert. 


Auf Veranlaſſung 
Sr. Majeſtät des Königs von Bayern 
herausgegeben 
durd die Siſtoriſche Kommiſſion Bei der Kgl. Akademie der Biffenfhaften. 





München und Leipzig. 
Drud und Verlag von R. Oldenbourg. 
1889. 


EESE 


Kinleitendes Dorwort. 


Im Herbjt 1880 trat ich an die mir von der Hiltorijchen Kom— 
miffton übertragene ehrenvolle Aufgabe, eine „Geſchichte der 
Kriegswiſſenſchaft“ zu jchreiben, mit großer Freude heran und 
erwog diejelbe mit befreundeten Sennern. In erjter Reihe jtand die 
Frage, was denn eigentlich unter „Kriegswiſſenſchaft“ zu ver 
jtehen jei. Als ich einmal die Ehre Hatte, mit Seiner Exzellenz dem 
Herrn GeneralsFeldmarichall Grafen von Moltfe über die von 
mir begonnene Arbeit ein eingehendes Geſpräch zu führen, bemerkte 
der jcharfunterjcheidende Feldherr: „Der Titel ‚Geſchichte der Kriegs- 
wiſſenſchaft‘ ift wohl nicht ganz zutreffend; es müßte heißen ‚Ge 
Ihichte der Kriegswijfenjchaften‘. Ich fenne wohl Eine Kriegs— 
funft, aber nur eine Mehrheit von Kriegswiſſenſchaften.“ — 
Dieſem Fingerzeige bin ich gefolgt, auch bei der Feſtſtellung des 
Titel meiner Arbeit. — In der Tat: die Kriegsfunjt erhebt ich 
zur Einheit in der Perjönlichkeit des handelnden Kriegskünftlers; die 
Kriegswiſſenſchaften dagegen, welche die Kriegsmittel jchildern 
und aus den Kriegshandlungen Theorien abzuleiten verjuchen, er— 
reichen jene Einheit niemals, weil die Gegenftände, mit denen fie jich 
beichäftigen, endlich und veränderlich find. Denn es gibt feine „exakte“ 
Kriegswiffenichaft, feine, welche wie Logik und Mathematik, zwar die 
Form, doch nie das Wejen wechjelte; vielmehr find fie ſämtlich Er- 
fahrungswiſſenſchaften, welche am Stoffe bangen, und deren 
Kategorien nicht an umd für fich beſtehen. Wohl mag der Denfer 
die Überlieferungen fammeln und fichten, mag fie methodijc ordnen, 
mag die Elementarbegriffe zu höheren Einheiten zujammenfafjen und 
durch ſyſtematiſche Vergleichung langer Reiben von Tatſachen zu 


105250 


VI Einleitendes Vorwort. 


Marimen gelangen — bündige Schlüffe vermag er niemals zu ziehen, 
unanfechtbare Ergebniffe nie zu gewinnen. Nicht um Feſtſtellung 
von abjoluten Wahrheiten handelt es fich für die Kriegswiſſen— 
Ichaften, jondern um Lehren von der Beichaffenheit und der Ver— 
wendung der Kriegsmittel. 

Alle Kriegswifjenichaften gehen von der Braris aus, und ihr 
Zweck it, wieder für neue Praxis vorzubereiten. Dieje Praris it 
num Kriegshandwerf oder Kriegsfunjt. — Einer der berühm— 
tejten Kriegsichriftfteller des 18. Ihots., der Chevalier de Folard, 
jtellt freilich) den Sat auf: »La guerre est un metier pour les 
ignorants et une science pour les habiles gense — aber dieſe 
hundertmal wiederholte Sentenz tft falſch; fie beruht auf einer Ber: 
fennung des Wejens der Wifjenjchaft, auf einer Vermiſchung der 
Begriffe „Kunſt“ und „Wiſſenſchaft“, wie fie bejonders den Franzoſen 
geläufig war und iſt. Michtig verjtanden it für Folards gens 
habiles die Kriegführung durchaus nicht Wiſſenſchaft, jondern Kumit. 
Noch weniger zutreffend iſt die Unterjcheidung des Erzherzogs Karl, 
welcher die Strategie als „Kriegeswiſſenſchaft“, die Taktif als „Krieges— 
kunſt“ bezeichnet, oder die jonderbare Auseinanderjegung St. Cyrs, 
der bemerft: »La guerre me parait pouvoir se diviser en trois 
parties distinetes: le metier, la science et l’art. On commence 
à apprendre la premiere partie dans les places d’armes et les 
mandges; l'instruction pour la seconde s’acquiert par les ecoles 
speciales; elle a pour principal objet l’attaque et la defense 
des places (!); la troisieme, l’art de la guerre, est la partie la 
plus elevee, mais elle a peu de principes et de rögles, et trös 
peu d’hommes connaitront l’art.«e — Alles das erjcheint mir jchief 
und falih. Denn die Aufgabe der Wiſſenſchaft ijt es, zu 
erfennen und zu lehren, die der Kunſt, zu jchaffen und 
zu letiten. „Kunſt“ jtammt von „können“, und etwas anderes als 
Verſtehen und Wiſſen jind Eingreifen und Wirfen. 

Wenn man fich diefen Unterjchied recht deutlich machen will, jo 
gedenfe man beijpielsweije der ärztlihen Kunjt. Niemand wird 
leugnen, daß zu deren tüchtiger Ausübung eine Fülle von Willen 
gehört. Dennoch iſt dies nur die eine WVorausjegung. Gar nicht 
jelten gibt e3 Lehrer der Phyliologie, der Arzeneifunde, der Anatomie, 
welche mit Necht als Leuchten der Wiljenichaft gelten umd welche 


Einleitendes Vorwort. VII 


do als praktische Ärzte völlig ungenügend find; denn fie find Ge 
lehrte, feine Künftler. Der ausübende Arzt muß aber Künſtler jein; 
er muß jene Diagnofe, jene untrügliche Empfindung für den befonderen 
Emzelfall bejigen, welche das Studium allein nicht zu geben vermag, 
und er muß eine entjchloffene, jicher eingreifende Tätigkeit entfalten, 
deren Energie nicht dem Intelleft, jondern dem Charakter entjpringt. 
Und wie der Arzt, jo auch die Meijter der ſchönen Künſte! 
Nur derjenige Bildner, der Material und Werkzeug genau fennt und 
würdigt, der mit Sicherheit weiß, wie weit die Leijtungsfähigfeit des— 
jelben geht, wird etwas zu jchaffen vermögen. Ein Künjtler ift er 
darum noch feineswegd, auch dann noch nicht, wenn er die Hand» 
habung jener Werkzeuge verjteht: Ddieje ‘Fertigkeit macht ihn immer 
erit zum Handwerfer. Um Künftler zu jein, dazu gehört noch das, 
was Schiller „Intuition“ nennt, d. h. ein entjchiedenes, oft plößliches 
Erleuchtetjein von der Idee, ein ebenjo energiſches Erfaffen derjelben, 
en Gegenmwärtighaben aller Mittel, deren man zur Ausführung der 
Idee bedarf, und ein entichlojfenes, rechtzeitiges Anwenden Ddiejer 
Mittel. Was auf jolche Weiſe entiteht, das wird ein „Kunſtwerk“, 
d. h. ein Werk, welches vollem Können entiprungen it. Ganz ähn— 
li it das Walten des Kriegskünſtlers; auch für ihn reicht der 
Beſitz der KHriegswiljenjchaften nicht aus; er muß fie allerdings er— 
worben haben; doch zur Zeitung bedarf er noch jenes fünjtlerijchen 
Ingeniums, das die Schäße des Wifjens ausprägt zu Taten. 

Zwar einer der berühmtejten militärischen Theoretifer, General 
von Clauſewitz, bezeichnet den Krieg lediglich als einen Aft des 
menichlichen Berfehrs, als einen Konflikt großer Intereſſen, der nur 
darin von anderen Konflikten unterjchieden jei, daß er fich blutig 
löſe. Clauſewitz vergleicht daher den Krieg vorzugsweije mit dem 
Handel und verweilt ihn aus dem Gebiete der Künſte und Wifjen- 
ihaften in das des gejellichaftlichen Lebens. — Aber gehören nicht 
auch zur Führung eines großen Handelsgejchäftes erworbenes Wiſſen 
und angeborene Begabung: jene weitjchauende Kenntnis‘ des Welt: 
marktes, jener Scharfblid für die Chancen des Tages, jener kühne 
Wagemut, die nicht jelten auch dem Kaufmanne das Gepräge der 
Gentalität verleihen?! — Gewiß: in jedem tüchtigen Wirfen und 
Schaffen lebt ein künſtleriſcher Impuls; ja durch ihn wird ſolch 
Schaffen erjt möglich). 


VII Einleitende8 Vorwort. 


Napoleon. jagt einmal jehr ſchwungvoll und geiftreih: »Achille 
etait fils d'une deesse et d’un mortel; c'est image 
du g6enie de la guerre! La partie divine c’est tout ce qui 
derive des considerations morales, du caractöre, du talent, de 
linteröt de votre adversaire, de l’opinion et de l’esprit du 
soldat!«e Die Beherrichung diejer partie divine ijt das eigentlich 
entjcheidende Sennzeichen des großen Kriegskünſtlers, und eben fie 
entzieht jich faſt völlig jeder wiljenjchaftlichen Faſſung, erjcheint als 
freie Gabe der Natur. Wohl erhebt auch die materielle Seite der 
Kriegführung: Zubereitung, Anjammlung, Verwendung der Streit- 
fräfte (Dinge, welche jich bis zu einem gewiſſen Grade lernen lajjen), 
hohe Anforderungen an den Kriegsfünjtler; aber jene partie divine 
überwiegt, und daher fommt es, daß, wie auf allen andern Gebieten 
der Kunſt, jo auch auf dem der Kriegskunſt, zuweilen Männer auf: 
treten, die bei geringer wiljenjchaftlicher VBorbildung doch das Höchite 
letiten. Sie haben gleichjam jpielend gelernt, faſt ohne es jelbit 
wahrzunehmen. Unvermerft füllte jich ihre eindrudsfähige Seele mit 
Keimen, die in entjcheidender Stunde plöglich Früchte bringen, während 
niemand den Baum wachjen, die Früchte reifen jah. Indes, meiſt 
haben geniale Männer diejer Art jelbjt empfunden und ausgejprochen, 
daß ihr Können noch größer jein würde, wenn e8 auf der Grundlage 
regelrecht erworbenen jicheren Wiſſens beruhte, und oft haben fie, 
jogar nach) großen Erfolgen, die Lücken ihrer Vorbildung auszufüllen 
gejucht. — „Das natürliche Talent“, jagt General v. Aſter, „über: 
wiegt in der Kriegskunſt oft genug das ausgebreitetite Wiſſen, wird 
aber durch geregeltes gejtärft und bei zufälligen Widerwärtigfeiten 
durch diejes gerechtfertigt.*” Geniale Naturen find überdies Ausnahmen 
und jehr viel jeltener, als die hoffnungsvolle Jugend annimmt; den 
gewöhnlichen Sterblichen ift unzweifelhaft zu raten, fich an Napoleons 
Wort zu halten, der jeinen Generalen zurief: »La connaissance 
des hautes parties de la guerre ne s’acquiert que par l’experience 
et par l’ötude... c'est le seul moyen de devenir grand capitaine.« 
Große Feldherren werden freilich auch von den fleißigſt Studierenden 
nur wenige werden; denn großes Talent und großes Glüd find 
jeltene Mitgaben. Aber wie leer wäre der Himmel, wenn nur die 
Sterne eriter Größe an ihm Tleuchteten! Das tägliche Leben bedarf 
der vieljprojfigen Leiter von den Erzeugnifjen des Handwerks und 


Einleitendes Vorwort. IX 


des Kunstgewerbe bis hinauf zu den Schöpfungen der höchſten Kunft, 
und weder bei der Ausbildung der Mannjchaft noch bei der Aus— 
breitung friegswifjenjchaftlicher Bildung in den Führerfreifen des 
Heeres handelt e8 jich darum, jedermann zum Kriegskünſtler zu machen. 
Die ungeheuere Mafje diejer Unterrichteten wird vielmehr der Kriegs— 
kunſt nur als Material und Werkzeug dienen. — Daß aber jenes 
Material jo edel ijt, das gibt der Kriegskunjt eine jo erhabene Stel 
lung, wie fie neben ihr nur noch die Statsfunjt einnimmt. „Heeres— 
leitung und Statsleitung“, ruft Profop von Cäſarea aus, „das find 
die höchſten irdischen Dinge!“ Es find aber auch die jchiwierigjten 
aller Künſte, weil der Stoff, mit dem fie zu arbeiten haben, nämlich 
Bölfer und Heere, der Eojtbarjte und jprödejte, weil die Art ihres 
Schaffens, wegen der entgegenwirfenden feindlichen Kräfte, niemals 
frei umd weil ihr Ziel das denkbar höchſte it: Statswohlfahrt 
und Sieg! 

Welches Verhältnis hat nun die Kriegswiſſenſchaft 
zur Kriegskunſt? — Folard irrt, wenn er behauptet: die Krieg— 
führung jet eine science plus speculative qu’experimentale. Die 
Kriegführung ijt ja überhaupt feine science; aber aud) die Kriegs— 
wijjenjchaften find nichts weniger al3 jpefulativ, jondern recht 
eigentlich experimental. Gewiß hat General v. Hartmann Recht mit 
jeinem Ausſpruch: „Die Theorie des Krieges iſt eine durchaus ab» 
leitende; jie fann nicht a priori fonftruieren; fie hat die Erjchei- 
nungen vor fich und entnimmt ihre Grundjäße den bedingenden und 
maßgebenden Potenzen, welche diejelben werden, jich geitalten und 
abjchließen liegen.” — „Die Theorie joll“, wie Claujewiß jagt, „dem 
Handelnden zu jener Einficht verhelfen, die, in jein ganzes Denfen 
verichmolzen, jeinen Gang leichter und ficherer macht.“ — Dieje 
beiden Bemerkungen vereint entiprechen genau dem oben aufgeitellten 
Sage: „Die Kriegsmwiljenjchaften gehen von der Praxis aus und ihr 
Zwed ijt, wieder für neue Praxis vorzubereiten.” — Dieje Praris 
jegt num Stoffe und Werfzeuge voraus, in denen und mit denen fie 
arbeitet, und fie betätigt fich in einer bejtimmten Art zu arbeiten, zu 
ichaffen. Doc, auch jchon die Wahl des Stoffes, die Herrichtung 
der Werkzeuge ijt ein Teil der künſtleriſchen Tätigkeit. — Material 
und Organe der Kriegskunſt, lebendige wie tote, Menjchen und 
Roſſe, Rüftungen und Waffen, Feitungen, Schiffe u. j. w., werden 


X Einleitendes Vorwort. 


unter dem Namen der „Kriegsmittel“ zujammengefaßt; ihre Betrady- 
tung und Fortbildung iſt Gegenjtand einer Reihe von Kriegswiſſen— 
ichaften, nämlich der Kunde von der Heeresaufbringung, 
Heeresgliederung und Heereszucht, der Waffenlehre und 
der Befeftigungsfunde. — Die Würdigung der Art zu jchaffen, 
d. h. den Krieg zu führen, ergibt dann eine Theorie der Verwendung 
jenes Materials: die Wijjenjchaften von der Truppenfüh- 
rung (Taktik) und die von der Heerführung (Strategie). 

E3 handelt ſich nun darum, welche Aufgaben einer Geſchichte 
der Kriegsmifjenichaften zufallen und aus welchen Uuellen fie zu 
ichöpfen habe. Am deutlichjten dürfte dieje Frage ſich beantworten 
laffen, wenn man zunächjt die Frage nad) Aufgabe und Quellen einer 
Gejchichte der Kriegskunſt erhebt und nach deren Erledigung Die 
Grenze zwijchen beiden fejtjtellt; denn die Kriegskunſt it das Ur— 
jprüngliche, die Kriegswiſſenſchaft das Abgeleitete. 

Eine Gejchichte der Kriegskunſt muß aus drei wejentlichen 
Teilen beitehen: aus emer Gejchichte der Kriegsmittel, aus einer Ge 
Ichichte der Aufgaben und Erfolge der Kriegskünſtler und endlich) 
aus einer Gejchichte ihrer Art zu jchaffen. 

Die Gejchichte der Striegsmittel, gewöhnlich „Gejchichte des Ktriegs- 
weſens“ genannt, findet ihre Quellen teils in gefjchichtlichen Über- 
lieferungen, teils in Denfmalen und Überrejten der Vergangenheit. 
Eriteres gilt namentlich) für die Gejichichte des Heerweſens, welche 
in der innigiten Weiſe mit der Berfafjungsgeichichte der Staten ver- 
"bunden it, leßteres vorzugsweile in Bezug auf Waffen und Bauten. 
Die Darjtellung der Aufgaben und Erfolge der Kriegskünitler, d. h. 
der Feldherren, it als „Kriegsgeichichte* aus der allgemeinen Gejchichte 
berauszuheben. Die Art des Schaffens auseinanderzujegen, ijt endlich 
Sache einer „Gejchichte der Kriegführung“, welcher die Betrachtung 
der Feldherrnkunſt im engeren Sinne zufällt. 

Dem gegenüber hat nun eine Gejchichte der Kriegsmwijjen- 
ſchaften die Aufgabe, nachzuweiſen, welche Kenntnijje 
von den Kriegsmitteln und welche Auffaſſung von deren 
Beihaffung und Berwendung jeweilig wijjenjchaftlich 
niedergelegt worden und im Xaufe der Geſchichte map- 
gebend gemwejen jind. Die Gejchichte der Kriegswiſſenſchaft hat 
aljo nicht die Fülle der Erjcheinungen an und für ſich zum Gegen- 


Einleitendes Vorwort. XI 


ſtande, jondern deren Betrachtung und theoretiiche Würdigung: ihr 
Spiegelbild in der Literatur. Die Quellen, welche für die „Ge 
ihichte der Kriegskunſt“ fließen, find für die „Geſchichte der Kriegs— 
wiſſenſchaften“ jtreng genommen gar nicht vorhanden. Zwiſchen dem, 
was geichehen, und dem twas gleichzeitig wiljenjchaftlich formuliert 
worden ijt, bejteht nicht jelten ein tiefgreifender Unterjchied. Die 
Wiſſenſchaft eilt zumeilen der Praris voran, wenn fie auf Über 
lteferungen fortbaut, welche bejjer jind als die im täglichen Leben 
berrichende Routine; noch öfter hinkt jie der PBraris nach, wenn die 
handelnden Perjonen jo groß oder die Umjtände jo zwingend find, 
dat die Taten der Kriegsmänner nicht in das enge Bett der gültigen 
Theorien pafjen. Es fommt vor, daß ein Feldherr veraltende Theo- 
rien lehrt, indes er jelbjt aus Naturanlage und Notwendigkeit im 
Sinne einer anderen, neuen Anjchauung handelt. Trogdem aber bleibt 
das, was er in jeinen didaktischen Schriften lehrt, die Wifjenjchaft 
jeiner Zeit; das, was er tut, bejtimmt die wiljenschaftliche Auffafjung 
einer kommenden Zeit. — Die Kriegswijjenjchaften aus dem Eonjtruieren 
zu wollen, was die Striegsfünjtler getan, indem man etiva nachzu- 
weijen unternähme, was ihnen der Genius ins Ohr geraunt, um dies 
dann als ihre wahre wifjenjchaftliche Überzeugung zu verfündigen, 
dad wäre ein nicht nur ausjichtSlojer, jondern auch unberechtigter 
Verſuch. Denn dabei handelte es ji um Mutmaßung, nicht um Wifjen; 
das Ergebnis wäre aljo eine Aneinanderreihung von Vermutungen 
oder Phantaſien, feine Gejchichte der Wiſſenſchaft. 

Indem ich nun die Örenzen zu ziehen juchte, innerhalb deren 
meine Gejchichte der Kriegswijjenfchaften jich zu bewegen 
baben werde, gelangte ich bald zu der Überzeugung, daß alles das 
bei Seite zu laſſen ſei, was nicht ganz unmittelbar unter den oben 
erläuterten Begriff wirklicher Kriegswiſſenſchaften gehört, auch wenn es 
der Sprachgebraud) als „militäriſch“ zu bezeichnen pflegt. Militäriſches 
Aufnehmen, Milttärgeographie, ja auch Kriegsgejchichte, injofern dieſe 
nicht etwa applifatorijch vorgetragen wird und jomit als Unterricht 
in der Feldherrnkunſt oder der Taftif erjcheint, waren auszuſcheiden 
md den anderen sachkreijen: der Geodäſie und Topographie, der 
Geographie, der Gejchichte u. j. w. zu überlafjen; als Kriegswiſſen— 
haften dagegen waren einzureihen: die Kunde von der Heeres: 
aufbringung und Heeresverfafjung, die Waffenlehre, die Kunde von 


XII Einleitendes Vorwort. 


der Heeresverwaltung und dem Kriegsrechte, die Taktik, Fortififation 
und Strategie. Unter allen Umjtänden war die Gefahr zu vermeiden, 
jtatt einer Gejchichte der Kriegswiſſenſchaften etwa eine Gejchichte der 
Kriegskunſt oder gar des Kriegsweſens zu jchreiben. Das hätte ins 
Unabjehbare geführt und wäre ungefähr dasjelbe geweſen, als wenn 
Bluntſchli ftatt jeiner „Geichichte der Statswifjenichaft“ eine Ge 
jchichte der praftiichen Bolitif, d. h. eine Weltgejchichte, gejchrieben 
hätte. — So eng ich aber auch mein Thema zu begrenzen verjucht: das 
umſpannte Gebiet erwies ſich doch als jehr weit umfafjend; denn bald 
jtellte jich heraus, daß ich unbedingt auf das Altertum zurüdzus 
greifen habe, deſſen Fachjchriftiteller bis zu den Tagen Friedrichs d. Gr. 
jede wiljenjchaftliche Behandlung unſeres Gebietes jo mächtig und 
einflußreich bejtimmt haben, wie das vielleicht in wenigen anderen 
Gedankenkreiſen der Fall gewejen it. Das Verjtändnis gerade 
der höheren Teile der neueren Kriegswiljenjchaft bedingt ein be 
jtändiges Zurückweiſen auf die antifen Werfe, und daher mußten 
diefe ihrem Hauptinhalte nach gekennzeichnet und verjtändlich gemacht 
werden. Es durfte dann die Brüde zur Neuzeit, das Mittelalter, 
nicht fehlen, in welchem das wijjenjchaftliche Leben noch nicht volksmäßig 
gejondert, vielmehr allgemein europäiich war. Eine jolche Mitgabe, 
welche dem inneren Zujammenhange und der VBolljtändigfeit des Werkes 
zu Gute fam, vergrößerte überdies den Umfang desjelben nur wenig, 
weil die Zahl der literariichen Denkmale jener mittleren Zeiten, ſo— 
weit jie hier in ‚srage fommen, nicht groß it. 

Doch nicht nur in diefem Sinne mußte über die Schranfen deutjchen 
Geiſteslebens hinausgegriffen werden. Kriegskunſt und Kriegswiſſen— 
ſchaft find die Kinder gewaltigjten gegemjeitigen Durchdringens der 
Nationen. Sie find international im höchjten Maße, und wenn man 
auch den Anteil der Deutjchen an ihrer Entwidelung bejonders her— 
vorheben kann, jo vermag man doch nur umeigentlich von einer auss 
ſchließlich, deutſchen“ Kriegswiſſenſchaft zu reden. — Jene Wechſelwirkung 
von Volk zu Volk fpricht ich jeit dem 16. Ihdt., d. h. jeit dem Die 
Nationalliteraturen ſich auch auf wiſſenſchaftlichen Gebieten deutlich 
von einander abheben, ſehr lebendig durch die Überſetzungen aus. 
Geringe Ausnahmen abgerechnet, liegen in der Tat in den Verdeut— 
ſchungen alle diejenigen fremden Werke vor, welche die deutſchen Zeit— 
genoſſen für die bedeutendſten hielten. Es genügte daher vom 16. Ihdt. 


Einleitendes Vorwort. XIII 


an, im Allgemeinen nur jolche Arbeiten anderer Völker zu berückjich- 
tigen, welche durch Übertragung in unfere Mutterjprache der deutſchen 
Literatur angegliedert worden jind. 

Es frug jih nun, bis zu welchem Zeitpunfte die fort: 
ichreitende Arbeit Heranzuführen ſei, und da entichloß ich mich 
(nicht ohne Zaudern und Schwanfen), vor dem Eintritte der napoleoni- 
ichen Ara abzubrechen. Denn mit der revolutionären Epoche beginnt 
diejenige Friegsweltgejchichtliche Periode und diejenige große Geijtes- 
bewegung, in deren Mitte wir ſelbſt noch heute jtehen. Das ent- 
icheidende Moment it da das Auffommen der nationalen Mafjenheere, 
deren Einfluß auf die gejamte Kriegführung und demgemäß auf die 
Kriegswifjenjchaften jo groß tit, daß er von den Folgen der Einführung 
auch der mächtigjten technischen Hilfsmittel, wie die Eijenbahnen, die 
Hinterlader, die Telegraphie, bei weitem nicht erreicht wird. 

Die natürliche Borbedingung einer Gejchichte der Kriegs— 
wiſſenſchaften wäre eine Geſchichte der Militärliteratur, u. zw. 
eine jolche im weitejten Sinne des Wortes, nämlid) unter Inbe— 
griff der ungedrudten Arbeiten rein wifjenjchaftlicher Natur, 
jowie der gleichfall8 meiſt nur handjchriftlich vorhandenen Denkichriften 
amtlichen Urjprunges, endlich aber auch unter Inbegriff der 
öffentlichen Erlajje und Dienjtvorjchriften; denn zumal 
in literariſchen Denfmalen diejer Art offenbaren Wiſſen und Wollen 
einer Zeit jich mit der höchſten Zuverläffigfeit. Für das Mittelalter 
und das 15. Ihdt. ift die Heranziehung der Handjchriften jelbjtver- 
ſtändlich unerläßliche Vorbedingung jedes Verftändniffes, und für das 
16. Ihdt. jind fie noch überaus wichtig; denn jelten nur geben die 
damals gedructen Bücher den wirklichen Stand der Wiljenjchaften. 
Wer den Druden allein folgen wollte, der würde gar leicht, namentlich 
auf dem Gebiete der Artillerie, um ein Jahrhundert irren; denn der ge 
heimnijjende Zunftgeiit brachte e8 fertig, daß ein um 1420 gejchriebenes 
Buch erit um 1520, eine um 1530 entjtandene, handjchriftlich weit 
verbreitete Arbeit erit um 1620 gedrucdt wurde. Indes, auch für das 17., 
ja für das 18. Shot. find gewiſſe, nie gedructe Denkjchriften von 
unvergleichlicher Bedeutung, jobald man die Stellung mancher gerade 
bejonders hervorragender Berjönlichkeiten zur Kriegswifjenjchaft richtig 
würdigen will. — Alle dieje Dinge hätte eine wahre Gejchichte der 
Meilttärliteratur zu berüdjichtigen; aber eine jolche gibt es überhaupt 


XIV Einleitende3 Vorwort. 


nicht, wenngleich zwei deutiche Werfe einen darauf hin deutenden Titel 
rühren. 

Die „Allgemeine Literatur der Kriegswiſſenſchaften“ von dem 
preußijchen Lieutenant 9. %. Rumpf (Berlin 1824) iſt „ein ſyſtematiſch-chrono— 
logifches Verzeichnis aller jeit Erfindung der Buchdruderfunft in den vornehmijten 
europäiihen Sprachen erjdhienenen Bücher über ſämtliche Kriegswiſſenſchaften;“ 
aber dieje tüchtige und gewiſſenhafte Arbeit bietet eben nur die Angabe bloßer 
Titel gedrudter Bücher. 

In höherem Maße entſpricht den Hiftoriihen Anforderungen die von dem 
preußijchen Generalmajor Dr. 3. ©. von Hoyer, Mitglied der fal. ſchwediſchen 
Akademie der Kriegswifienichaften, bearbeitete „Kiteraturder Kriegswiſſen— 
haften und Kriegsgeſchichte“ (Berlin 1832). Dieje Schrift, welche den 
2. Band der „Handbibliothef für Offiziere“ bildet, ijt die bei weitem bedeutendjte 
aller einjchläglichen Arbeiten. Aber indem Hoyer e8 unternahm, in einem Duodez- 
bändchen von 647 Seiten die gejamte Militärliteratur von den ältejten Zeiten 
bis 3. 3. 1824 darzujtellen u. zw. einjchliehlich der Kriegsgeſchichte, ja der kriegs— 
geſchichtlich intereſſanten Pläne, konnte er begreiflicherweije nicht8 anderes bieten 
als eine mehr oder minder gut gruppirte Anführung der Werke. Von Hand- 
ichriften ift gar feine Nede, und bei aller Achtung vor den außergewöhnlich 
reihen Kenntnifien des Verfaſſers, darf doch nicht verfchwiegen werden, daß, 
namentlicd) joweit Altertum und Mittelalter in Frage fommen, eine große Zabı 
3. T. bedenklicher Jrrtümer mit unterlaufen find. 

Was jonjt vorhanden ift, jind entweder Werkverzeichniſſe wie der gediegene 
Artifel »Auteur militairee in des General Bardin Dictionnaire de l’armee 
de Terre« (Paris 1851), die Bibliografiamilitare-italiana antica e mo- 
derna von Mariano d’ Ayala (Turin 1854) und die Bibliografia militar 
de Espaüa von Don oje Almirante (Madrid 1876), oder es jind geijtreiche, 
cavalierement zufammengewürfelte Aphorismen wie die des Prinzen von Kiane 
in dem Catalogue raisonne& jeiner Militärbibliothef (Leopoldsberg bei 
Wien, 1805), oder endlich Sonderunterfuchungen wie die lehrreiche Arbeit des 
Carlo Promis Della Vita e delle Opere degli ItalianiScrittori 
di artiglieria, architettura e meccanica militare da Egidio Colonna a Fran- 
cesco de Marchi. (Zurin 1842.)') 


So nützlich dieje Hilfsmittel num auch jein mögen, jo gewähren fie 
doch nur ein jehr ungenügendes Bild der Militärliteratur, weil fie (unter 
bedingungswetier Ausnahme des Hoyer’schen Buches) den geijtigen 
Zuſammenhang der Einzelleiitungen nicht darjtellen und weil fie 
(abgejehen von Bromis’ Schrift) ſämtlich die Handjchriftlichen Denktmale 





’) Val. übrigend ben Abichnitt „Literaturfunde” im I. Kapitel bes VIII. Buches, ſowie 
Gebelin: Quid rei militaris doctrina renascentibus litteris Antiquitati debuerit (Borbeaur 
1881); De la Barre Duparcgq: Des sources bibliographiques militaires (Baris 1856) und 
Petzoldt; Überſicht der gefamten militärifhen Bibliographie. (Dresden 1857.) 


Einleitendes Vorwort. XV 


völlig unberüdjichtigt laffen. — Die Aufgabe, eine Gejchichte 
der Kriegswiſſenſchaften zu jchreiben, mußte daher in 
der Weije gelöſt werden, daß zugleich eine Gejchichte der 
Militärliteratur gejchaffen wurde. Dadurch wurdefie allerdings 
ganz wejentlich erjchwert; denn e3 war num notwendig, vor und während 
der Arbeit alle wichtigeren mitteleuropätjchen Bibliotheken zu bereijen. 

As Anhalt für die Lejer, mehr aber noch für nachfolgende 
Foricher, will ich hier ein Verzeichnis der von mir bejuchten, 
bezgl. benugten Sammlungen geben, wobei ich bemerfe, daß die 
augerberlinijchen wejentlic”) nur in Bezug auf ihren Handjchriften- 
beitand herangezogen wurden und daß einige Bibliotheken, wie 3. B. 
die in Breslau und Hamburg, nur deshalb nicht durchforſcht wurden, 
wel ort3fundige Kenner mir von vornherein verjicherten, daß dort 
für meine Zwecke nichts zu finden jei. 





l. Nahen. Stadtbibliothek. ı 24. Dresden. Sal. öffentl. Bibliothek. 

2. Altenburg. Herzogl. Bibliothet. 25. Bibl. der 12. Art.»Brigade. 

3. Amfterdam. Reichömujeum. 26. Erlangen. Univerſitätsbibliothet. 

1  Univerfität3bibliothet. 27. Florenʒ. Biblioteca Riccardiana. 

5. Bamberg. Kgl. öffentl. Bibliothet. 28. „»  Laurenziana. 

6. Bafel. Univerfitätsbibliothet. 29. Frankfurt a. M. Stadtbibliothef. 

7. Berlin. Königliche Bibliothek. 30. Gent. Staotbibliothet. 

8. Archiv und Bibliothek des Gr. | 31. Göttingen. Univerfitätsbibliothet. 
Generalſtabs. 32. Gotha. Herzogl. Bibliothet. 

9. Archiv und Bibliothek des Kriegs- 33. Graz. Univerſitätsbibliothek. 
minifteriums, 34. 's Gravenhage. Sal. Bibliothet. 

10. Bibliothek der Kriegd- Akademie. | 35. Dranijches Hausarchiv. 

1l. — des Zeughauſes. 36 Hannover. Ardivbibliothet. 

12. A der Univerfität. 37. Heidelberg. Univerjitätsbibliothet. 

13. a des Verfaſſers. 38. Innsbrud. Ferdinandeum. 

14. Bern. Stadtbibliothef. 39. Karlseuhe. Großherzogl. Bibl. 

15. Braunfchweig. Stadtbibliothek. 40. Keiden. Univerjitätsbibliothef. 

16. Bremen. Stadtbibliothek. 41. £eipzig. Univerjitätsbibliothet. 

17. Brüffe. Bibliotheque royale. 42. Stadtbibliothef. 


18. Eafjel. Landesbibliothek. 43. £inz. Landesmujeum. 

19. Charlottenburg. Bibliothek der Ar- | 44. Mailand. Biblioteca Ambrosiana. 
tillerie- und Ingenieur- Schule. | 45. Mainz. Stadtbibliothek. 

20. Löln. Archiv und Bibliothet der | 46. Marburg. Yandesardiv mit Bibl. 
Stadt. 47. München. Hof- und Statsbibl. 

21. Danzig. Stadtbibliothek. 48. Yleapel. Museo Nazionale. 

22. Darmftadt. Großherzgl. Bibliothek. | 49. Nürnberg. Germanijches Muſeum. 

2%. Defiau. Bebördenbibliothet. 50. Paris. Bibliotheque nationale. 


XVI Einleitendes Vorwort. 


51. Paris. Bibliothègue du Dépôt de | 63. Denedig. Biblioteca di San Marco. 


la guerre. 64. Weimar. Großherzogl. Bibliothek. 
52. Prag. Collegium Clementinum. | 65. Werningerode, Gräfl. Bibliothet, 
53. Rom. Biblioteca Vaticana. 66. Wien. K. t. Hofbibliothet. 


54. Biblioteca Vittorio Emanuele. | 67. &. f. Fideicommißbibliothet. 
55. Biblioteca di Corpo di Stato | 68. Ambraſer Sammlung. 


Maggiore. 69. Biblioth. Liechtenftein » Hauslab. 
56. Salzburg. Benediktinerftift St. Peter. | 70. — des Kriegsminiſteriums. 
57. Siena. Biblioteca comunale. 71.  Univerfitätsbibliothet. 
58. Stuttgart. Kol. Bibliothek. 712. Stadtbibliothek. 
59. Trier. Stadtbibliothek. 13. Wiesbaden. Landesbibliothet. 
60. Turin. Biblioteca reale. 74. Maſſauiſches Archiv. 
61. Biblioteca di Duca di Genova. | 75. Wolfenbüttel. Herzogl. Bibliothet. 
62. Ulm. Stadtardiv. 76. Sürih. Stadtbibliothet. 


Auf Grund des in diefen Sammlungen gewonnenen Matertales 
galt es num, ein Bild der wiljenschaftlichen Entwidelung in der Weile 
zu geben, daß die jyjtematische Anordnung der einzelnen Werfe, ihre 
Inhaltsangabe und Beſprechung, eingeführt und beſchloſſen durch 
orientierende, bezgl. zujammenfafjende Betrachtungen, das wijjen- 
Ihaftlihe Leben jedes Zeitraums klar erfennen lieh. 
Dabei durfte das bibliographiiche Gerüft, mit deſſen Hilfe diefe Er- 
gebniffe gewonnen worden und dejjen Herjtellung einen großen, nicht 
leicht zu wiederholenden Aufwand an Zeit und Kojten verurjacht 
hatte, nicht völlig abgebrochen werden, mußte vielmehr in dem Maße 
bejtehen bleiben, daß eigene wie fremde Nachprüfung bequem möglid) 
und die Auffindung jeder Handjchrift, ja auch jedes wichtigen Drud- 
werks gejichert blieb. 

Eine völlig gleichartige Behandlung des gewaltigen Stoffes er: 
wies ſich übrigens als wnausführbar. Aus den natürlichen Bedin- 
gungen des Gegenstandes ergab ſich während der Arbeit allmählich 
folgende Gliederung: 

Das gejamte Werk jet jich aus acht Büchern zufammen, welche 
bejtimmten Zeitaltern entjprechen, die mit der wachjenden Literatur 
begreiflicherweije Eleiner werden. Sp umfaßt das erjte Buch, das 
Altertum (von Homer bis DVegetius): etwa zwölf, dag zweite Buch, 
das Mittelalter, noch neun Jahrhunderte. Dem XV. und XVI. Shot. 
ijt je ein Buch gewidmet, während jedes der beiden folgenden Jahr— 
hunderte auf zwei Bücher verteilt ift. — Dabei jtellte jich für das 
Altertum die einfache zeitliche Folge der Schriften als natürlichite 


Einleitendes Vorwort. XVII 


Art der Anordnung heraus, und demgemäß zerfällt es in zwei Ka— 
pitel, von denen das erſte die Zeiten der Republik in Hellas und 
Rom, das andere die Zeiten des römischen Imperiums umfaßt. Für 
das Mittelalter jchten dagegen eine Scheidung in Orient und Dccident 
geboten, und jo gliedert es jich in die beiden Kapitel: Byzantiner 
und Abendländer. Bei der Behandlung des 15. Ihdts. genügte 
me Gruppierung in allgemeine und in fachwifjenjchaftliche Werke, 
während das 16. und 17. Ihdt. bereitS eine Sonderung im je vier 
Napitel wünjchenswert erjcheinen ließen: 

I Allgemeine friegswifjenichaftliche Werke. Einſchl. der höheren Tattif.) 

II. Baffenfunde. (Einjchl. des Waffengebrauche® und der Dippologie.) 

III. Heer: und Truppen-Kunde. Einſchl. der Elementartaftif.) 

IV. Wiſſenſchaft von der Befejtigung und dem Belagerungstfriege. 

Bei Darjtellung der erſten Hälfte des 18. Ihdts. mußte dann 
die Heeresfunde jchon völlig aus der Verbindung mit der Truppen- 
kunde gelöft werden, und für die zweite Hälfte desjelben Jahrhunderts 
rgab jich die Notwendigkeit, auch noch das erjte Kapitel in zwei zu 
jerlegen, von denen dem einen die allgemeinen Werfe zur wifjen- 
ihaftlichen und gejchichtlichen Orientierung, dem andern aber die 
Werke mehr individuellen Charakters zugewiejen wurden, in welchen 
jugleih Strategie und große Taktik näher beleuchtet werden. 

Der Handlichfett wegen müſſen diefe acht Bücher in drei 
Yauptabteilungen gebunden werden, u. zw. foll der erite 
Band die Bücher 1 bis 4, der zweite die Bücher 5 bis 7 und der 
dritte Das 8. Buch nebſt zwei Negiftern enthalten, deren Herjtel- 
lung Herr Dr. Georg Liebe gütigjt übernommen hat. Das eine 
diejer Regifter, das literariiche, wird die Namen der Autoren und die 
Stichwörter der anonymen Werfe bieten; das andere, das fachliche, 
enthält Die wichtigiten der jonjt erwähnten Namen und Gegenjtände. 

Überblidt man das gejamte Werk, jo erjcheint e8 als ein 
Denfmal ruhmvoller Geijtestätigfeit der Deutjchen. 
In manchem Zeitraum gehen die deutjchen Kriegswiſſenſchaften den 
entiprechenden Xeiltungen der Nachbarvölfer überhaupt voran; in 
anderen zeichnen ſie ſich durch bejonders Hohe Kultur gewiljer Zweige 
glänzend aus; immer bleiben die deutjchen Kriegstheoretifer, wenn 
nicht die erjten, jo doc, hervorragende Führer auf dem Gebiete ihrer 
Wiſſenſchaften. 

Jähns, Geſchichte der Keriegswiſſenſchaften. b 


XVII Einleitende3 Borwort. 


Soweit es ſich um allgemein gehaltene, das ganze Kriegsweſen 
betreffende Werke handelt, haben allerdings im Mittelalter die 
Italiener und Franzoſen den Bortritt; ihre Kultur ift eben älter. 
Erit zu Ende des 14. Ihdts. regt ich ein fchüchterner Verſuch 
deuticher Theorie: Sohanns des Seffners „Sunder ler der 
jtreitt.“ Im dem bejonderen Fache jedoch, in welchem die Deutjchen 
al3 Erfinder und Denker eigentlich zu allen Zeiten die Führerjchaft 
behauptet haben: in der Feuerwerferei und VBüchjenmeifterei, nehmen 
fie auch gleich zu Anfang die Spige. — An der Schwelle des 
15. Ihdts. jteht dann jenes großartige encyklopädiſche Kriegsbuch 
Konrad Kyejers, welches die Reihe der kriegswiſſenſchaftlichen 
Bilderhandjchriften eröffnet, die der milttärtichen Literatur des aus- 
gehenden Mittelalters einen fo eigentümlichen Charakter verleihen. 
Dem Vorbilde der Böhmen, die zugleich mit ihren Wagenburgen auch 
taftiiche Dienjtvorjchriften jchufen, wird Deutjcherjeit3 ſchnell nach- 
geahmt; organijatorijche Neglements jchliegen fich an, und unter den 
Lehrjchriften des Jahrhunderts überragen Philipps von Seldened 
„Verzaichnus der ordenung“ und Herzog Philipps von Cleve 
»Description« an jelbjtändiger Eigenart und unmittelbarer Braud)- 
barfeit alles, was von Söhnen fremder Völker Ähnliches gejchaffen 
wurde. Die deutjche Artillerietiteratur des 15. Ihdts. ijt geradezu 
einzig: das „alte Feuerwerfsbuch“ verbreitete Jich in einer Fülle 
mehr oder minder übereinftimmender Abfchriften und Überjegungen ; 
Frankreich umd Italien ftehen völlig zurüd; und auch die Anfänge 
der neuen Befeſtigungskunſt find nicht in Italien, jondern in Deutjch- 
land zu ſuchen; ihr erjtes literariiches Denkmal tft Hans Schermers 
Aufjfag über den Baſteibau. 

Zu Beginn des 16. Jahrhunderts freilich erhebt fich ein Geiſt 
wie der des Machiavelli hoch über alle jeine Zeitgenoffen; nur in 
einzelnen Punkten erreichen, übertreffen ihn Deutjche, jo namentlich 
in taftischer Hinficht der „Trewe Rat“ und Markgraf Albrecht 
von Brandenburg-Preußen, deſſen Werf leider nie veröffentlicht 
worden ilt. In Deutjchland beginnt dann das treu-jorgfältige Be— 
arbeiten von Sriegsordnungen. Michael Ott von Aechterdingen 
eröffnet den Reigen, und bald genug ergibt jich ein das ganze Zeit— 
alter beherrſchendes , Amterbuch“, das in des Lazarusvon Schwendi 
„Kriegsdiscurs“ feine legte Ausgejtaltung findet, während es 


Einleitendes Vorwort. XIX 


gleichzeitig zur Grundlage encyhklopädiſcher Arbeiten wird, wie deren 
in des Grafen Reinhart von Solms „Kriegsregierung“ und 
m des Lienhard Frönsperger „Kriegsbuch“ gedrudt vorliegen. — 
War das alte Feuerwerksbuch der artillerijtiiche Kanon des 15. Ihdts. 
geweien, jo entwicelt jich zu einem jolchen in der Reformationgzeit 
des Franz Helm „Bud von den probirten Künjten“, welches 
in artilleriftijcher Beziehung gleich große Geltung erlangt wie in ad- 
miniftrativer das Ämterbuch. Büchjen- und Feuerwerfs-Meifter wie 
Veit Wulff von Senfftenberg und Samuel Zümermann 
fegen in ihren ungedrudten Schriften ein über das allgemeine Können 
weithinausgehendes Willen nieder, Durch welches die deutjchen Artil- 
ferijten jich als Erfinder der wichtigjten Gejchoßeinrichtungen (Bomben, 
Shrapnell3 u. ſ. w.) erweiſen. Schon aber jtehen jie nicht mehr ganz 
ohne Wettbewerb da: die erjten Anfänge der Balliſtik knüpfen fich 
an den Namen eines Italieners: Tartaglia; das bejtdurchgearbeitete 
artillerijtiihe Handbuch verdankt man dem Spanier Collado. — 
Lebhafter noch iſt diefer Wettbewerb auf dem jo fleißig beaderten 
Boden der Fortififation. Hier ringen Deutiche und Italiener um 
die Balme. Albrecht Dürers eigenartiger „VBnderricht zu Be- 
vejtigung“ iſt das ältejte jelbjtändige Druckwerk diefer Wiſſenſchaft; 
aber in Francesco de Marchi erjcheint ein Mann von ausge- 
zeichneter Erfindergabe, unter dejjen Einfluß alle fortififatorischen 
Beitrebungen des Jahrhunderts den italienischen Stempel erhalten, 
trogdem jowohl die höchſte Vollendung derjelben wie ihre Überleitung 
zu neuen Formen doc) wieder zwei Deutjchen zuzujchreiben bleibt: dem 
Daniel Spedle und dem Simon GStevin. 

Um die Wende des 16. und 17. Jahrhunderts wogte jener 
gewaltige Kampf, in welchem jpanijche Disziplin und Intelligenz 
mit niederdeutjcher Tüchtigfeit und Einficht rangen. Damals wurde 
der Grund zu einer neuen Taktik gelegt, welche jpäter Guſtav Adolf 
glorreich ausgebaut hat. Ihre Schöpfer waren die naſſauiſchen 
Grafen Ludwig und Moriz, Prinz von Oranien, umd die einzige 
unmittelbare und zuverläjfige Quelle für die Kunde von jener Neform 
fließt in den ungedrudten Denktwürdigfeiten des Grafen Johann von 
Nafjau. Eben diejer war der Stifter der eriten allgemeinen Kriegs- 
ihule Europas und im Verein mit Moriz dem Gelehrten von 
Heſſen ein begeilterter Vorfämpfer des volfstümlichen Heerwejens, 

b* 


—X Einleitendes Vorwort. 


der allgemeinen Wehrpflicht. Aber die großen Gedanken dieſer Fürſten 
fanden keinen Boden in dem zerklüfteten, unterwühlten Vaterlande. 
Das verderbliche Söldnerweſen und zumeiſt auch die veralteten taf- 
tischen Formen blieben hHerrjchend. Der dreikigjährige Krieg brach 
herein, und das Deutjchtum ſank jo tief iwie niemals zuvor. Dies 
fommt natürlich auch in der Gejchichte der Kriegswiſſenſchaften deut- 
(ich zum Ausdrud. Zum erjtenmale geht die Hegemonie an Frankreich 
über. Nur auf artilleriftiichem Gebiete vermögen die Deutjchen einiger- 
maßen ihre Stellung zu behaupten; die Werfe Furtten bachs und 
Mieths legen davon Zeugnis ab; jonjt überall geben Weljche und 
Franzojen den Ton an. Das Schlimmjte war, daß die Deutjchen ihre 
eigene Vergangenheit vergejjen hatten. Wie die Dichter der zweiten 
Hälfte des 17. Ihdts. den franzöfiichen Vorjängern nachlallen und 
feine Ahnung mehr davon haben, daß dereinit Walther von Der 
Bogelweide und Wolfram von Ejchenbach herrlich gejungen, jo knüpfen 
die deutſchen Milttärliteratoren nicht an Reinhart von Solms, an 
Albrecht von Brandenburg, an Daniel Spedle an, jondern an Bajta, 
Montgommery und Nohan. Immerhin gab es noch tüchtige 
Köpfe, wie den waderen, unermüdlichen Neumair von Ramßla, 
den großen Joh. Gottfr. von Leibnig, und ein Glüd war es, 
daß die bedeutendjte Erjcheinung der Spätzeit des Jahrhunderts, 
Fürſt Raimund von Montecuccoli, zwar italienisch jchrieb, doch 
wejentlich deutich empfand. In der Truppenfunde macht ſich die uner— 
hörte Pedanterie der Perrüdenzeit breit, die freilich als echt deutjch zu 
bezeichnen it und einen gediegenen Vertreter in Joh. Sebajtian 
Gruber findet. Das Bejte gelingt noch, wo der Humor ins Spiel 
gebraht wird, wie in Wendelin Schildfnehts tüchtiger 
»Harmonia« dem dogmatiſchen Gegenſtück zu den jimpliciantjchen 
Nomanen. Am gewaltigiten aber tritt der fremde Einfluß auf fortififato- 
riſchem Gebiete hervor. Die Gegenbewegung Rimplers iſt zu parador, 
um durchzudringen; Menno von Coehorn ift faum noch als em 
Deutjcher anzujprechen, und in impoſanter Majejtät lagert ich Die 
Autorität Vaubans über ganz Europa. Und doch durfte eine jolche 
unbedingte Geltung eigentlih nur dem genialen Methodifer Des 
Belagerungsfrieges zuerkannt werden; denn in Bezug auf den Feſtungs— 
bau erreicht Bauban faum die Höhe, die drei Menjchenalter vor ihm 
der Deutjche Spedle eingenommen hatte. 


Einleitendes Vorwort. XXI 


Welche Macht eine große Perjönlichkeit ausübt, läßt jich an Vau— 
ban deutlich erkennen. Infolge jeiner Wirkjamfeit wurde die Boltor- 
fetif nicht nur der vornehmjte Gegenjtand des militärischen Studiums, 
jondern jie erjchten gar vielen als die Kriegswiſſenſchaft jchlichthin, 
wenigſtens als der einzige ihrer Gegenjtände, über den man irgend 
etwas Sicheres zu wiſſen vermöge. Daher jtehen Feſtungsbau und 
Delagerungskrieg während der erjten Hälfte des 18. Ihdts. im Bor: 
dergrunde aller militärischen Doktrin. Endlich aber trug die Wucht 
des Namens Bauban außerordentlich viel dazu bei, den jchon jo großen 
Einfluß Frankreichs überhaupt zu jtärfen. Alle franzöſiſchen Schrift- 
jteller, auch diejenigen, welche fich nur nebenjächlich mit der Fortifi— 
fatton bejchäftigten, genojjen eines unvergleichlichen Anſehens, das 
durch die damalige Vorherrſchaft der franzöfiichen Sprache in den 
gebildeten Sreifen Europas noch geiteigert wurde. Feuquiéères 
Memoiren, Folard's Polyb, die Növeries des Marjichalls von 
Sachſen, Buyjegurs Schriften find die maßgebenden Werfe. Das 
ändert ſich erjt, num aber freilich auch durchgretfend, mit den Erfolgen 
König Friedrichs des Großen. Bon dem Augenblide an, da 
ih jen Ruhm entjchteden hatte, bilden er und jein Heer den Mittel- 
punft aller friegswiljenjchaftlichen Interejjen und Beitrebungen. Seine 
einichneidende Wirkung griff, da ihr Schwerpunft auf der taktischen 
Seite lag, ſchon um deswillen noch tiefer und weiter als diejenige 
Baubans; denn Marſch, Stellungsnahme und Feldjchlacht bleiben troß 
aller Berbildung, doch naturgemäß immer das erite, wichtigite Anliegen 
der Krieger. Friedrichs wifjenjchaftliche Arbeiten wurden der Maſſe 
jeiner Zeitgenofjen nur teilweije befannt; jeine Taten indes redeten 
eme jo deutliche Sprache, daß ſich aus ihnen alsbald eine neue Kriegs- 
theorie entwicfelte, die übrigens dem Wejen des fridericianischen Geiſtes 
zuweilen näher kam, als wenn man fie aus jeinen Schriften abgeleitet 
hätte. Denn während der angeborene „Wille“ des großen Königs 
ausgeſprochen offenſiv war und im diefer Eigenjchaft durch die Not- 
wendigfeit der » Vivacite« bei dem fleinen, einer Welt entgegentretenden 
Preußenvolfe ftarf unterjtügt wurde, jo war dagegen der militärifche 
„Intellekt“ Friedrichs durchaus methodisch gejchult u. zw. im Sinne 
der jeit dem Ausgange des dreißigjährigen Krieges herrichenden An- 
ſchauung, welche die Striegführung als ein Schachipiel auffaßte, bei 
dem der Gegner nicht ſowohl durch die Gewalt der Waffen, als durch 


XXL Einleitendes Vorwort. 


geichickte Züge, durch die Kunjt des Mandvrierens, matt gejegt werden 
jollte. Zu Beginn der Laufbahn Friedrihs waltete der Wille vor; 
allmählich aber, zumal jeit eigene furchtbare Erfahrungen dem 
Könige eine immer deutlichere Erkenntnis all der jo jchweren Be- 
dingungen der damaligen Kriegführung vermittelt hatten, nimmt die 
Macht des gejchulten Intellektes, die Macht der überlieferten Doktrin 
über den angriffsfrohen Willen zu, bis diefer zur Zeit des bayerijchen 
Erbfolgefrieges endlich völlig überwunden fcheint. Diejer Widerjtreit 
mußte notwendigerweife in den Schriften des Königs noch früher 
zum Vorteil der methodiichen Kriegführung entjchieden werden, als in 
jeinen Taten. Eben dieſer Widerjtreit beherrjcht aber auch die ge- 
jamte Literatur jeiner Zeitgenofjen, wie jeiner nächjten Nachkommen 
ſchaft. Er erfüllt die Gejchichte des fiebenjährigen Krieges von Lloyd 
und Tempelhof; er Elingt aus den aufregenden Werfen Behrenhorjt’s 
und Bülow's heraus; ja man muß zugejtehen, das der ungelöjte 
Widerjpruch jener beiden Elemente einen wejentlichen Teil der Schuld 
trägt an dem Scheitern der Kriegsunternehmung Preußens i. 3. 1806. 

In Friedrichs Taten fand das deutjche Volk jich jelber wieder, 
jogar der Teil desjelben, welcher unter den Fahnen der Feinde 
Preußens focht. Mochte der König immerhin franzöfiich jchreiben; 
der deutjche Krieger hörte auf, beitändig nach dem blendenden Frankreich 
hin zu Starren; die Feſſeln der Hypnoje, in denen er gelegen, löjten 
jich, jeit er mit Stolz auf König Friedrich jah. Eine außerordent- 
liche Regſamkeit bemächtigt fich der denfenden Offiziere. Männer wie 
v.d.Gröben, Scharnhorst, Maſſenbach und Hoyer löjen un- 
jerer Zeitjchriftenliteratur die Zunge, während es in Frankreich nicht 
gelingt, auch nur die bejcheidenjte militärische Monatsjchrift zu be 
gründen. Spyftematif und Literatur der Kriegswiſſenſchaften finden 
eifrige, wenn auch noch ungenügende Behandlung. Encyflopädijche 
Arbeiten treten in ziemlich großer Zahl ans Licht. Stellung, Rechte und 
Pflichten des Wehrjtandes werden, keineswegs ohne Beimiſchung jenti- 
mentaler PBhilanthropie, vielfach) erwogen; zugleich) aber wird der 
große Gedanke der allgemeinen Wehrpflicht, den dereinit Johann von 
Naſſau und Moriz von Heſſen verkündet und den König Friedrich 
Wilhelms I. Kantonreglement halb widerwillig abermals angeregt, 
aufs neue zur Öffentlichen Beiprechung gebracht und von Juftus 
Möſer hiſtoriſch vertieft, vom Grafen Wilhelm zu Shaumburg- 


Eınleitendes Vorwort. XXIII 


Lippe ſeinen Grundzügen nach ins Leben gerufen. Die militäriſche 
Erziehung wird Gegenſtand des Nachdenkens, des Verſuchs; wichtige 
pädagogiſche Schöpfungen ſind das Ergebnis. Die Waffenlehre er— 
hält von Seiten der Mathematik und der Chemie neue Impulſe, denen 
gegenüber die dominierende Stellung der deutichen Artillerie-Wifjen- 
haft nicht mehr in der alten Weije aufrecht erhalten werden fann. 
Daneben behauptet jich merfwürdigerweile die Elementartaftif, wenig- 
ſtens die der Infanterie, wejentlich auf demjelben Standpunfte, den 
ihr der alte Dejjauer angewiejen; erjt im legten Jahrzehnt regen ſich 
energijchere Reformgedanken, indes gleichzeitig der Begriff der „Stra- 
tegie“ mehr und mehr geläutert wird und eine neue Kriegswiſſenſchaft 
anzufündigen jcheint. Auf dem Gebiete der Yortififation weit der 
jelbjtändige Geiſt Friedrich! d. Gr. frühzeitig, u. zw. weniger durch 
Lehre und Theorie, ald durch die von ihm beliebte Baupraris, in 
jene Richtung, die man jpäter vorzugsweije mit Montalamberts Namen 
verband, bis ihr der berechtigte Ehrentitel der Neupreußiſchen Schule 
wurde. — Ein reiches, vieljeitiges Leben! Ein Gähren und Drängen, 
welches auf fommende Stürme wie auf kommende Früchte deutet, Die 
denn auc wirklich in den napoleoniſchen Kämpfen reifen jollten. 

Sch Hoffe, daß meine Arbeit dazu beitragen werde, die etwas 
abjeit3 gelegene Stellung zu verbefjern, welche bisher der Militär- 
literatur unter den Erzeugniffen des deutjchen Geiſtes eingeräumt zu 
werden pflegt. Die Kriegswiſſenſchaften haben einen jo unmittelbaren 
Anteil an dem, was für ein Volk doch nun einmal das Allerwichtigite 
iit, an jetner Selbjtbehauptung, daß fie e8 wohl verdienen, nicht nur 
amtlich, jondern unter allgemeiner Teilnahme gepflegt zu werden, zu= 
mal, wenn fie auf eine jo bedeutende und mannigfaltige Vergangenheit 
zurüdbliden können, wie fie die Geschichte der deutjchen 
Kriegswijjenjchaften entrollt. 


Berlin, 24. September 1889. 
Max Jähns, 


Kol. Preußifcher Oberft-Lieut. a. D. 
Ehrenboltor der Univerſität Heidelberg. 


Erläuterung. 


— 


Rück- und Vorbeziehungen auf vorhergegangene oder nachfolgende 
Tertitellen find durch Einjchaltung in edige Klammern erfennnbar 
gemacht. Die Riückbeziehungen benennen dabei gewöhnlich eine be 
Itimmte Seite, die Vorbeziehungen dagegen die Nummer eines Para— 
graphen. Und zwar bedeutet die Anführung eines Paragraphen ohne 
weitere Bezeichnung 8 x] jtetS den betreffenden Paragraphen desjelben 
Buches, in welchem das Gitat erfolgt. Ferner bedeutet: 

[A.S x] den x$ des I. Buches (Altertum), 

[M.$x] den x$ des II. Buches (Mittelalter). 

'XV.$x] den x$ des IH. Buches (XV. Ihdt.). 

'XVI$Sx] den x$ des IV. Buches (XVI. Ihdt.). 

IXVIla. $ x] den x$ des V. Buches (Erjte Hälfte des XVII. Ihdts.). 

(XVIIb.$ x] den x $ des VI. Buches (Zweite Hälfte de8 XVII. Ihdts.). 

XVIIIa. $x] den x$ des VII. Buches (XVII. Ihdt. vor Friedrid) d. Gr.). 

XVIIIb. $x] den x$ des VIIL Buches [X VIII. Ihdt. feit Friedrich d. Gr.). 

Die Seitenzahlen laufen durch alle drei Bände des ganzen 
Werkes, wodurd die Bezeichnung der Bände bei Eitaten wie im 
Negiiter überflüffig und das Auffinden des Gejuchten erleichtert wird. 


1 


Inhaltsüberſicht. 
(Die Ziffern hinter den Titeln deuten auf die Geiten.) 


Einleitendes® Vorwort I-XXII 
Inhaltsüberfiht XXV—XLVL 





8 |v. Chr. Erſtes Bud. 
Das Altertum. 
1 | Bedeutung der antiken Kriegswiſſenſchaft. 3. 
Nachrichten der Alten über die antife Militär-Literatur. 4. 


t 


3 Handſchriftl. Sammlungen antiker kriegswiſſenſchaftl. Werke. 5. 
Strategiſch-taktiſche Schriften. 5. 

Poliorketiſche Schriften. 7. 

4 | Gedrudte Sammlungen antifer kriegswiſſenſchaftl. Werte. 8. 





I. Kapitel, 
Die Beit der Republik in Sellas und Nom. 


1. Sruppe: 
Von Homer bis zu Alerander. 

Homer als „erjter Zehrer der Kriegskunſt“. 13. 
Die Hopliten-Phalanx. 15. 

Hoplomadıen und Philoſophen. 16. 
Eutbydemos und Dionyfodoroß. 17. 
Sokrates (Memorabilien). 17. 

7 400 | Kenophon: Anabaſis. 19. 

| Stat der Lafedaimonier. 21. 

Hellenifa. Kyrupaidie. 22. 

Reitkunft und Neiterbefehlshaber. 25. 

8 | 360 Aineias: Handbud der Strategenfunjt. 26. 

Bon der Städteverteidigung. 27. 
9 Die griech. Taktit von Xenophon bis Alexander. 29. 


538 





8 v. Chr 
10 
11 260 
12 | 240 
13 | 230 
14 | 200 
15 
16 
17 
—8 160 
—189 150 
20 
21 
70 
66 
22 50 
23 9 
n. Chr. 
24 12 
25 
26 80 
27 


Inhaltsüberſicht. — Altertum. 


2. Gruppe. 
Das Zeitalter der Alerandriner. 


Die Poliorketik der Griechen. 36. 
Heron: Lehre vom Geſchützbau. 37. 

Bon der Handballijte und vom Hebezeug. 38. 
Philon: Werk über Poliortetit. 38. 

Lehre vom Gejhügbau. 39. 

Befejtigungstunft und Städtefrieg. 39. 
Biton: Bon Kriegsmaſchinen und Geſchützen. 42. 
Athenaios: Bon Belagerungsmafdinen. 43. 

Die griechiſche Artillerie. 43. 
Die Taktik der Diadohen und der Peripatetifer. 46. 

Klearchos, Eupolemos. 47. 

Sphikrates, Pyrrhos, Euangelos. 48. 
Phormion. 49. 

Die römiſche Manipular-Legion. 49. 
Gato: De re militari. 52. 
Polybios: Univerjalgejhichte und deren militär. Erkurfe. 55. 

Vergleich zwiſchen Phalanr und Legion. 58. 

Die Polybios-Literatur. 62. 

Die Eohorten-Legion und ihre phalangitifchen Tendenzen. 65. 
Die Griehen als militär. Lehrer der Römer. 67. 
Poſeidonios-Asklepiodotos: Taftifon. 67. 

Cicero: De imperio Cn. Pompei. 68. 


I. Kapitel. 


Das Halbe Iafrtaufend des römifchen Imperiums. 


1. Gruppe. 
Das Zeitalter des Prinzipats. 


Cäſars Kommentarien. 69. Inhaltsüberfiht. 70. Würdigung. 72. 


Cäſars Kriegführung. 76. 
Livius’ Geſchichtswerk und feine Schlachtſchilderungen. 80. 


Vitruvius: Architectura. 82. 
Bon den Kriegsmaſchinen. 83. 

Augusti constitutiones. 84. 

Cincius: De re militari. 85. 

Geljiuß: De artibus. 86. 

©. Jul. Frontinus: Stratagemata. 85. 
Strategiton. 88. 

Die römiſche Taktif des 1. Jahrhunderts. 89. 
Der Altltonjul Fronto. W. 


KESESES 


Inhaltsüberfiht. — Altertum. XXVII 


Oneſandros: Feldherrnkunſt. 90. 
Oneſandros-Literatur. 92. 

Ailianos: Theorie der Taltif. 94. 
Aelian-Literatur. 97. 

Arrianos: Anabafis Aleranders. 98. 
Schlachtordnung gegen die Albaner. 98. 
Lehrbuch der Taktik. 99. 

Zraftat über die Reiterei. 100. 

Militär-Lerifa. 100. 

(Hadriand Tattif. 101.) 

Apollodoros dv. Damaskus: Poliorketifa. 101—102. 

Polyainos: Stratagemata. 102—103. 


2. Gruppe. 
Das Beitalter der Militärdefpotie. 


©. Julius Africanus: Keftoi. 103—106. 
Kriegsrechtliche Literatur. 106. 
Tarruntenus Paternus: Libri militarium. 107. 
Menander Arrius: De iure militare. 107. 
Aemilius Macer: De re militari. 107. 
Julius Paulus: Über Kriegsftrafen. 108. 
Gromatil. Hyginus: Liber de munitionibus castrorum. 108. 
Ammianus Marcellinus: Rerum gestarum libri. 109. 
Flavius Begetius Renatuß: Epitoma rei militaris. 109. 
Inhaltsüberſicht. 111 (Regulae bellorum generales. 115.) 
Begez-Literatur. 119. (Bjeudo-Modejtus. 122.) Würdigung. 124. 
Publius Vegetius Renatus: Artis veterinarae libri. 126. 
Notitia dignitatum. 126 und De rebus bellicis. 127. 


Iufammenfaffung. 


Aufftellung und Ausrüftung der Heere. 128—129. 

Tattit. 129—134. 

Boliortetit. 134. 

Strategie. 134—135. 

Militärifhe Encyflopädien. 135—136. 

Beteiligung der Griechen und Römer an der antiken Kriegswiſſen— 
ſchaft. 136. 


Zweites Bud. 
Das Wlittelalter, 
Dom 6. his 14. Ihdt. 
Einleitung. 140—141. 


— a rn u nn 











XXVIII 
8 |* Ehr. 

| 

2 | 500 
3| 6555 
4 | 560 
5 | 595 

| 
6 | (820) 
7 

8 | 900 
9 950 
10 | 90 

950 | 

11 965 | 
12 | 1080 
13 | 1120 
14 | 1225 
1290 
1320 





Inhaltsüberfiht. — Mittelalter. 


I. Kapitel. 
Die Byzantiner. 
1. Sruppe. 


- Die Militärfgriftlieller vom 6. bis 9. Jahrhundert. 


Orbikios: Verteidigung des Fußvolks gegen Reiterei. 141—142 
Taktiton. 142. Wörterbudy der Phalanr. 143. 
Profopios von Cäſarea: Berichte über die Kriege Juſtinians. 
143— 146. 
Anonymus Byzantinus: Statswiſſenſchaft der Tat. 146—151. 
Schrift über den Seefrieg 150. Traktat vom Bogenſchießen. 151. 
Kaifer Maurikios: Strategifon. 152—156. 
Fragment über Kriegsweſen. 156. 
Marchus Graecus: Liber ignium ad comburendos hostes. 
156—158. 


2. Gruppe. 
Die Militärfchriftleller vom 10. bis 12. Jahrhundert. 


Einleitung. 159. 
Kaiſer Leo VL: Summarifhe Wuseinanderfegung der Kriegs: 
funft. 160. 
Inhaltsangabe. 160. Literatur 169. 
Problemata militaria. 170. 
Kaifer Konſtantin VIL, Porphyrogennetos: Taktikon. 171—172. 
Strategifon. 172. De thematibus. 17@. 
De administrando imperio. 173. De caerimoniis. 174. 
Die Encyflopädie. 174—175. 
Heron: Poliorketifa. 175. 
Bafileios Peteinos Patrifios und die Naumadifa. 176. 
Kaifer Nikephoras Phokas: Reglement über den Grenzfrieg. 
176—177. 
Militär-Lexikon (Suidas). 177. 
Piellos: Militärifhe Abhandlung. 178. 
Unna Komnena! Aleriad 179, 


Anhang. 
Die arabiſche Fenerwerkerei. 


Abhandlung über Kriegsliſten. 180. 

Nedin-Eddin-Hakan-Alrammah: Traltat vom Reiterkampf 
und von Kriegsmaſchinen. 180. 

Schems-Eddin- Mohammad: Abhandlung von Feuermwaffen. 
180—181. 








& ın.Ebr. | 
15 
16 | 590 
17 | 1240 
18 | 
19 | 1280 
"1 1300 
21 | 1130 
1280 
1340 
1360 
1321 
1335 
2 | 1370 
1375 
3 | 13% 
4 | 1395 
| 
| 802 
980 
(1050) 
%6 | 1158 
1393 
| 
23 | 1260 
29 | 1150 
A 1150 
31 | 1245 


Inhaltsüberfiht. — Mittelalter. XXIX 


II. Kapitel. 


Die Abendländer. 
Einleitung 183. 


1. Gruppe. 
Antike Reminiscenzen und Lehrfdriften. 


Sankt Jjidor von Sevilla: Originum libri. 184. 
Vincent de Beaupaid: Speculum majus. 185. 
Bedeutung des Vegez für daß 13. Jahrhundert. 186—187. 
Hegidius Columnma Romanus: De regimine principum. 187. 
Inhaltsangabe. 189. Würdigung. 193. Literatur. 194. 
(Pierre du Bois): Summaria doctrina 194—1%. 
©. Bernhardv. Clairvaur: Exhortatio ad milites Templi. 195. 
Henricus de Segufia, Hojtienjis: Summa aurea. 196. 
Bartoloda&Saffjoferrato: Lectura ad Digestum novum, 196. 
Giovanno de Lignano: De bello- 196. 
Marino Sanuto, Torjello: Liber secretorum fidelium crucis. 
197—198. 
Guido da Bigevano: Thesaurus. 198. 
Bartolomeo Caruſi: Tractatus de re bellica. 198. 
Baldi degli Ubaldi: Commentarii. 199. 
Honor Bonnor: Arbre des batailles. 199. 
Inhaltsangabe. 200. Literatur. 202, 
De re bellica. (Berner Fragment.) 202. 
Johann der Seffner: Ein junder ler der ftreitt. 202—204. 
Pulcher tractatus de materia belli. (Graz.) 204—205. 


2. Gruppe. 
Heeres- und Dienflordnungen. 


Kaijer Karls d. Gr. Kapitularien. 205—206. 
Kaifer Ottos II. Matrifel des Reichsheers. 206. 
Constitutio de expeditione Romana. 206—207. 
Kaifer Friedrichs I. Heeresgejeg von Brescia. 207 — 208. 
Der Sempacher Brief 208 und die eidgenöffischen Reiferödel. 209. 
Deutſche Soldbücher (Karl IV., Lübed, dtſch. Orden, Köln). 209. 
Franzöſiſche, engliide und italienifche Soldverträge und Heer— 
ordnungen. 210. 
Alfonfo el Sabio: Leyes de las siete Partidas. 211—212. 
Regel der Tempelherren. 212—216. 
n „Johanniter. 216—217. 
”„ » Deutichen Herren. 217—218. 


39 


on — 


Inhaltsüberſicht. — Mittelalter. 


3. Gruppe. 


Werke über einzelne Bweige mittelalterlihen Ariegswefens. 
a) Das Ritterwejen. 
Turnierbücher. 219. Gafton de Foir: Livre de chevalerie. 220. 


Hippolog. Xiteratur. 220. Jord. Rufus: Hippiatria. 221. 
Lor. Ruffo: Liber marescalciae. 221. 


b) Feuerwerferei und Büchfenmeijterei. 
Albertug Magnus: De mirabilibus mundi. 221—222. 
Roger Bacon: De secretis und Opus majus. 222. 
Entwidelung der Feuerwaffen 222—228. 
PBetrarca: De remediis utriusque fortunae. 228. 
Älteſtes abendländifches Pulverrezept. 228—229. 
Der Münchener Codex germ. Nr. 600. 229—236. 
RedufiodaQuero: Geſchützbeſchreibung im Chr. Travisano. 236. 


Salpeterläuterung 236. 


c) Bejeftigungswejen. 
Bennov. Osnabrück. 237. 
Johannes v. Garlanda. 237. 
Billard de Honnecourt. 238. 
Alfonfo el Sabio. 238. 
Schlußbemerkung. 239—240. 


Drittes Bud. 


Das funfjehnte Jahrhundert, 


I. Kapitel. 


Allgemeine Kriegswiffenfchaftliche Werke. 


1. Gruppe. 


Die Bearbeitung der antiken Überlieferung. 


Einleitung. 243. 


Ludwig Hohenwangs Deuticher Vegez. 244—247, 
Ausgaben von Frontin, Vitruv, Älian. 247. 

Ausgaben der Veteres de re militari scriptores. 247, 
Cäfar (Ausgaben und Überfegungen). 248. 


2. Gruppe. 


Kriegswiſſenſchaftliche Bilderhandfdriften. 
Konrad Kyeſer: Bellifortis. (Göttingen) 249—256. (Wien, 
Heidelberg u. j. mw.) 256— 258. 


Ullerley Kriegsrüftung. 


(Ambrajer Sammlung.) 258. 


Inhaltsüberſicht. — XV. Jahrhundert. XXXI 


5 | n. Ebr. | Weinsberger Bruchſtück. 259. 
(1425) | Münchener cod. lat. 197. 259. 
Nürnberger cod. 25801. 259. 

6 | 1443 | Auguftin Dahhberg: Buchſenbuch. (Köln) 259-261. 

7 1453 | Bud von den Iconismis bellicis. (Wien und Berlin.) 261—262. 

Albr. v. Lannenbergs Kunſt (ebd.) 268. 

8 Kriegd- vnd Pirenwerd. (Ambraſer Samml.) 263. 

g | Hann? Hentz: Rüſt- und Büchſenmeiſterbuch. (Weimar.) 263—264. 

Dresdener Jlonographie. 264. 

10 | (1460) Atlas des Balturio und des deutichen Begez. 264—268. 

11 (1485) | Mittelalterliche Hausbuch. (Waldburg-Wolfegg:-Waldfee.) 269—270. 

12 | 1496 Philips Mönch: Bud der ftryt vnd Büchfen. (Heidelberg.) 271. 

Ruſt- ond feuerwerd-buyd. (Frankfurt.) 271—272. 

13 ; 1500 Ludw. v. Eybe: Kriegsbuch. (Erlangen.) 272—274. 

14 Ingenier- kunſt- vnd wunderbud) (jog. Bud, Standerbegs in Weimar). 
274—275. 

15 1417 bis Hanna Haafjenmwein und Konr. Haaſen vd. Dornburg: Kunſt— 

1560 bud. (Hermannitadt.) 275. 

16 Machines de guerre. (Paris.) 275— 276. 

17 ' (1420) | de $ontana: Bellicorum instrumentorum liber. (Miünden.) 
276— 277, 

18 Ordegni mecaniei. (Florenz.) 277—278. 

19 | (1440) | Jac. Mariano, gen. Taccola: De machinis libri X. (Münden. 
Benedig.) 278—279. 

% (1450) | Baul. Santinud: De re militari et machinis bellicis. (Pari$.) 

| 279—282. 
21 | (1470) | Franc. di Giorgio Martini: Machinarum liber. (Siena, 





Zurin, Florenz.) 282—284. 
» Parifer Cod. Fonds du roi no 6993. 284—285. 
33 | 1500 | Bonaccorjo GHiberti: Schule der Architectur. (Florenz.)285—286. 
% | (1500) | Lionardo da Binci: Codice atlantico u. ſ. w. (Mailand.)286— 290. 


35 Zufammenfaflung. 290—91. 
| 3. Gruppe. 
| | Dienfkordnungen. 
26 Entwidelungsgang der Taktit in der Übergangszeit. 291—8301. 


1413 | Hayet von Hodetin: Kriegsinſtruktion. 301—302. 





N 
1420 Johannes Zizka: Kriegsordnung. 302—303. 
28 | Deutſche Wagenburgordnungen. 303—309. 








1426/31 Ordnungen des Nürnberger Reichdtages. 304—805. 
1433/47 Ordnungen einzelner Städte. 305. 
1462/79 Ordnungen Albrechts Adill. 305—306. 
(1480) Philipps v. Seldened: Berzaichnis der ordinung. 306—309. 


1500 Ludw. dv. Eybe: Bud) von Wagenburgen. 309. 





XXXH 


S 


31 


33 


24 n. Ehr. 
1490 


Inhaltsüberjiht. — XV. Jahrhundert. 


WenzelWItelv. Cenomw: Zuge, Schlacht u. Yagerordn. 310— 311. 


(1480), Die Ordenung vnd der eyde der eydegenojien. 311. 
(1480)| Der gemaynen eyd, jo die Herren oder ſtett loſſen ſchweren. 312, 
1478 Albrecht Achilles: Bejtellung des Heeres. 312—314. 


1445 
1471 


1498 


1492 


1428 
(1440) 
(1480) 


(1474) 
1498 


(1410) 


(1425) 
(1480) 
(1430) 


1454 
(1460) 


Franzöſiſche und burgundiſche Ordonnanzen. 314—317. 
Charles’ VII. Edikt üb. d. Ordonnanz-Kompagnien. 314—315. 
Karls des Kühnen Ordonnanz vd. Abbeville. 315. 

pi „St. Marimin. 315—316. 
Olivier * la Maͤrche: Estat de la maison de Bourgogne. 
316— 8317. 
Marimilians I Inſtruktion über Aufſtellung von Hundert 
Kyriffern. 317—8319. 
Hector III. Manfredi Heerordnung von Faenza. 319—820. 


4. Gruppe. 
Lehrfdriften. 


Ludwig der Bärtige: Injtruftion an feinen Sohn. 320—321. 
Anonymes Kriegsbuch. (Wien und Charlottenburg.) 321—323. 
Philipp v. Seldened: Verzaichnid der ordinung. 323—333. 
Ordenung der fusknecht. 325—328. 
Teldbejtellung der Reiterei. 328—331. 
Anweifung zur Taktik größerer Abteilungen. 331—333. 
Lere, jo Kayſer Mar in feiner erjten Jugent zugejtellt ift. 333—339. 
Herzog Philipp von Eleve: Description de la maniere de 
fonduire le faict de la guerre. 339— 347. 
Ehrijtine de Pijan: Livre des faicts d’armes et de cheualerie. 
347—851. 
de Boucicaut, le philosophe d’armes. 351. 
La maniere selon l'usance du temps pnt. de arrangier ost. 
(Baris.) 351—353. 
(Xoui® XL): Le Rozier de guerre. 353 —355. 
de la Sale: La salade, (Brüjjel.) 356. 
de Charny: Livre de chevalerie. (Brüjjel.) 356. 
Lionardo Bruni, Aretinus: De re militari u. j. wm. 356—357. 
Lampo Birago: Strategicon adversos Turcos. 357—358. 
Roberto Valturio: De re militari libri XIL 358—362. 


1477 | Orfo degli Orſini: Trattato del governo e exereitio della 


(1470) 
1493 


(1500) 





militia. 362—364. 
Francesco Patrizio, Sanneje: De institutione rei publicae etc. 
364. 
Antonio Cornazzano: Opera bellissima del arte militar. 
364— 365. 
Untonio Cornazzano: Della integrita de la militare arte. 365. 


5 


[+ 
-ı 


Inhaltsüberjiht. — XV. Jahrhundert. XXXIII 


Eu Er. | ILI. Kapitel. 

| f & Fachwiſſenſchaftliche Werke. 
| 1. Gruppe. 

| | Hofekunf. 


| Die Entwidelung der Fechtkunſt. 366—367, 
'(1430) | Johann Liehtenamwer: Die ritterlich kunſt dei langen jchwerts. 
368—371. 
Meijter Raul Kal. 368—369. 
Andres, gen. der Liegniger: Das kurez jwert. 371. 
Martin Hundtfelg: Kunjt mit jwert, degen und glefen. 371. 
Ott, Jud: Die Ringen. 371. 
| | Peters von Dandg: Gloſſe zu Liechtenawer. 371. 
(1440) | Hans Hartlieb: Onomatomantia. 371—372, 
(1450) Hans Thalhofer: Fehtbudh. 372—373. 
| | Peter Falkner: Künſte zu ritterliher Wehr. 373. 
| | Anonyme deutihe Fechtbücher. 373— 314. 
(1450) | König Rene von Anjou: Forme coment ung tournois doist 
estre entreprins. 374. 
| | Berichte über Taten einzelner deutjcher QTurnierer. 375. 
' 1514 Kaiſer Marimilianl.: Der Weiß-Kunig 375—376 und der Frey— 
| | dal. 376—319. 
(471) Baris del Pozzo: Libellus de re militari, ubi est tota ma- 
teria Duelli. 379. 
: 1485 | Heilbronner Turnierordnung. 380. 
Die bippologijhe Literatur. Meiſter Albredt: Pferde 
ergeneye. 380381. 
u) Die Heroldsmwijjenichaft. Bart. de Sarofjerato: Liber de 











| insigniis. 381. 

| 2. Gruppe. 

Senerwerkerei und Büchſenmeiſterei. 

(1400) | „Streyd-Bud) von Pixen, Kriegsrüftung und Fewrwerckhh.“ (Ambraj. 
Samml.) 382—337. 

(1410) Buchſen-Werkch. (ebd. und Berlin). 387—389. 





(1410) Feuerwerkskünſte und Büchjenmeijterei. (Niürnberg.) 390—392. 
(1410) | (Abr. v. Memmingen?): Das alte Feuerwertsbuch. 393—408. 
(1440) Le livre du secret de l’artillerie 408—409. 
1 1471 | Martin Mercz: Kunft aus den püxeſen zu jchießen. (Wien, Mün— 
| chen.) 409—411. 

' Den Bilderhandiriften verwandte Artilleriewerfe und Inventare. 
| 411—414. 
(1450) Hans Formſchneider: Geſchützdarſtellungen. Münden.) 411. 
1479 ArtillerieesZeug. (Wien.) 411— 412. 
‚1489 | Ur. Beßnitzer (Heidelberg) 412—413. 


Jähns, Geſchichte der Ktriegẽe wiſſenſchaften. c 


XXXIV 


$ 


63 


n. Er. 
1462 
1463 


Inhaltsüberſicht. — XV, Jahrhundert. 


Mujeriebud. Braunſchw.) — 1461. Mündener Inventar. 413 
Konr. Sürtler: Inventar von Nürnberg. 414. 
Hans Gojjenbrott: Inventar von Augsburg. 414. 


Rezeptbücher. (Salzburg, Gotha.) 414. 


Die Entwidelung der Dandfeuerwaflen und deren Gebraud. 
414—417. 
Wiener Koder Nr. 2952. 416. 
Kaifer Marimilian I: Aus dem Weihkunig. 417— 418. Aus 
dem Gedenkbüchlein. 418—-419. 
Barth. Freysleben: Zeugbausbücder (Wien und Münden.) 
419—122. 


‘ Maclıinae bellicae Maximiliani Imp. et Sigismundi Achidue. 


70 1142545 | 


71 | (1450) 
72 
73 | (1480) 
74 | (1460) 
| 1464 
75 | (1480) 
76 | (1470) 
77T | (1498) 


(Wien.) 422—423. 

Mihl Ott u. Hans Kugher: Inventari (Innsbrud.) 423 —424. 
Bolyd. Bergilio: De inventoribus rerum libri. VIII. 424 
3. Sruppe. 

Befefigungskunde. 

Armierungs-Inſtruktionen. 424 —425. 


‘ Fortififator. Angaben des namenlojen deutichen Kriegsbuches 


425—42%, 
Die Anfänge der neueren Bejejtigung. 429— 431. 
Hans Schermer: Über den Bajteibau. 431—434. 
Leonbattifta Alberti: De re aedificatoria. 434. 


Ant. Filarete: Trattato di architettura. 434. 
Verſchiedene italien. Architeften. 435. 


Lionardos da Binci Andeutungen. 435—436. 


ı Franc. di Giorgio Martini: Trattato di architettura. 


| 


435 —439. 
Entwidelung der Bajtione und Tenaillen. 438—439. 
Herzog Philipp von Kleve: Bemerkungen über das Nem- 
parieren. 439 — 440. 
Herzog Philipp von Kleve: PDaritellung des Belagerungs 
trieges. 40 -443. 


Viertes Buch. 
Das ſechzehnte Jahrhundert. 
I. Kapitel. 
Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werke. 
1. Gruppe. j 
Die Bearbeitung der antiken Uberliefernng. 


Veteres Je re militari scriptores. 447. 
Autoren der vorkaiferlichen Zeit. 447 - 450. 





=] 
— — 








1515 


1521 


1521 
(1522) 
(1524) 

1525 


1526 
1572 


1530 
1524 


1526 


1534 
1536 
(1540) 


| 


| 
| 
| 
| 





Inhaltsüberfiht. — XVI. Jahrhundert. XXXV 


Die Bearbeitung der Kommentarien Cäſars. 448. 
Ringmanns Phileſius Verdeutihung. 448 —449. 
Fra Lelio Brancaccio: Della vera disciplina et arte 

militari. 449. 
de la Ramée: De Caesaris militia. 450. 
Kriegsjchriftfteller der Kaijerzeit. 450—452. 
Berdeutihungen des Livius. 450. Vitruvs, Frontind, One: 
zanders und Aelians. 451. 
Lateinifche Übertragungen Polyains. 451-452. 
Der deutſche Begez des 16. Ihdts. 452—453. 
Übertragungen der Inſtitute Leos VI. 454. 


2. Gruppe. 
Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht von Pavia 1525. 


Einleitung 454. 
Nit. Marjhald: Institutionum rei publicae libri IX. 
454— 455. 
Nic. Makiavelli: I sette libri dell’arte della guerra. 
455 —472. J— 
Handſchriften, Ausgaben, Bearbeitungen, Überſetzungen. 
469—471. 

Einfluß und Beurteilungen des Wertes. 471—472. 
Giambatt. della Balle di Benafro: Vallo. 472—474. 
Trewer Rath eines Alten. (Gotha.) 474 - 477. 

Hans Buftetter: Ernſtlicher Bericht. 478—479. 
Jacobi comitis Purliliarum: De re militari libri II. 
479 —481 
Mid. Ott v Aehterdingen und Jak. Preuß: Kriegsord— 
nung. 451—4%. 
Leonh. Turneijjer: Kriegslehr, Regiment und Staat. 
491—492. 
Die Heidelberger Neubearbeitung. 492—495. 
Das Mainzer Kriegsbud. 495. 
3. Gruppe. 
Die allgemeine Literatur bis zum Anfgeben der Belagerung von 
Mek 1559. 
Einleitung 49. 
Mart. Luther: Ob Kriegßleute auch ym jeligen jtande fein 
fünden. 495—4%. 
Egenolph8 „Kriegshändel“. 496—497. 
Des Wiener Proviſioners Newe Kriegsordnung. 447. 
Guill du Bellay-Langey: Instructions sur le faict de 
la gnerre. 498 —501 


c* 


23 





24 


28 


1550 


1552 


(1540) 
1542 


1576 


(1552) 


1565 
1575 


Inhaltsüberſicht. — XVI. Jahrhundert. 


Das Ämterbuch. 502—-507. 
Heinrich Treuſch v. Butler und Konr. v. Bemel— 
berg: Kriegsordnung und Memorial. 502—504. 
Reinhart Grf zu Solms und Konr. v. Beimelborg: 
Kriegsordenong. 505566. 
Ganz vertrauliche anzeigung vnd geheimbter Bericht. 506 
bis 507. 
Nic. Tartaglia: Quesiti et inventioni diversi. 507. 
Walt. Reiff: Geometr. Büchjenmeijterei. 5U7—509. 
(Kriegs) Khartenjpiel. 509. 
Reinhart, Graf zu Solms: Kriegs-Regierung. 509—516. 
| — a" , Die alte Romiſche Kriegsord— 
nung. 516. 
Markgraf Albredt v. Brandenburg, Herzog dvd. Preußen: 
Kriegsordnung. 516—524. 
Heraklides Jac. Bajilicus: Artis militaris libri IV. 
523. 
Schriften bezgl. des Türfenfrieges. 525—528. 
Aventin, Grueber, Hohenrain und Luther. 525. 
Rathſchlagk und Chriſtliches Bedenken. 526—528. 
Bern. Türd: Getrewe erjnnerung. 


4. Öruppe. 
Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht vor Hienport 1600. 
Einleitung. 528—529. 
Hans Gengih: Kriegsordnunge. 529. 
Achill Scipio Nolano: Inſtruetion vnd Ordnung der Kriegs— 
rüftung. 529—531. 
Achill Scipio Nolano, gen. Schellenſchmidt: Türdenfteuer. 
ı 532 —533. 
Forma vnd ordnung eines Kriegsbueches. 534. 
PBiftorius und Pedel 534—535. 
Fewertunft und Ktriegsbud. 535. Wiener Nriegsbud. 535. 
Lazarus Shwendi, Frhr. von Hohenlandsberg. 535—642. 
Der Betrug in der Mujterung. (Wien.) 536. 
Basgumwillus (Pasquill), Geſpräch zwiſchen Pettrus und 
Paullus. (Wien.) 536. 
Bedenden was wider den Türden zu unternehmen. 537. 
Kriegsdiscurs von Bejtellung des gantzen Kriegsweſens. 
337- 540. 
Schöne Lehr an das teutſche Kriegsvolck. 541. 
Quonıodo Turecis sit resistendum consilium. 541—542., 
Veit Wulff von Senjftenberg: Criegsbuch von Strata- 
gematibus. (Dresden.) 542 -543. 








Inhaltsüberſicht — XVI. Jahrhundert. XXXVI 


5 I n.Chr. . 
: 1568 | Veit Wulff von Senfftenberg: »Stratagemata« und 
„Bandbiechlein“. (Dresden.) 543—545. 














| Veit Wulff von Senfftenberg: Stratagemata. (Berlir.) 
545—546. 
31 : (1580) Landgraf Wilhelm IV. von Helen: Kriegshandell und Cautela. 
| 546—548. 
32. Lienhard Frönsperger. 548—558. 
' 1555 Fünff Bücher von Kriegsregiment und Ordnung. 549. 
1563 Befapung. 550. 
1566 Kriegßbuch. I. Teil. 550—551. 
' 1573 — II. „ 552-63. 
1573 = II. „ 553-554. 
33 | ' Neubearbeitungen des Ämterbuches. 558. 
1584 Herrlich newe Beldt: und Kriegsordnung. (Gotha.) 559. 
1587 | Philippi: Kurke Kriegshandlung. (Heidelberg.) 559. 
1590 | Ad. Junghans v. d. Olß nitz: Kriegsordnung zu Waſſer 
vnd Landt. 559 -560. 
34 Gelehrten-Arbeiten 560--561. 
1590 Georg Obrecht: De principiis belli. 560. De militari 
| disciplina. 560. 

1595 | Graf Heinr. v. Ranzau: Commentarius bellicus. 560. 
| 1595 —6 | Juftus Lipſius: De militia Romana und Poliorketikon. 
| | 561. | 

5 Geiſtliche Mahnſchriften. 561. 
1592 —93 | Buccerus: „Ehrijtl. Bericht“ und Bohemus: „Kriegs- 
| mann.“ 561. 
1593 | Andr. Musculus: Kriegsbüchlein. 562. 


1596—97 Pet. Canifius: „Kriegsleutjpiegel” und Mid. Babit: 
| | »Speculum belli.« 562. 
%6 1585 Francois de [a Noue: Discours politiques et militaires. 
| 562-565. 

| Die Werfe von de Bourdelle, de Picaine und de 
| Gontaut-Biron. 565. 

| Die Memoirenliteratur: Montluc. 565—566, de Vieille- 
' ville, de Brantöme und Duc de Sully. 566. 

| Die Spanier und der Einfluß Albas auf ihre Militärliteratur, 
ı  566—567, 

1524— 72 Ruvios, Montez. 566. — Lasmanos, de Londoño, 
de Valdéz. 567. 

158292 de Funes, de Escalante, de Eguiluz, Lechuga. 568. 
1595 | Bern. de Mendoca: Theörica y Prätica de guerra. 568—70. 
3 1597 Graf Johann von Nafjau: Obfervationed in den Nieder: 
| fanden. 570—573. 


37, 








XXXVIII Inhaltsüberſicht. — XVI. Jahrhundert. 


n. Chr. 
(159) | Graf Johann von Nafjau: Discurs wie die Unterthanen 
zur Defenfion zu gebrauchen. 574—578. 
39 Die Italiener feit Madjiavelli. 578—583. 
(1540) &arimberto: Il capitano. — Dell’ ottimo Gouerne. 
(Rom.) — Arte militare. (Berlin.) 578, 
155972 Degli Ortenzi, Rocca, $erretti. — Discorso della 
Militia. (Mailand.) 579. 
1572 —81 Gef. Brancaccio: Discorso sulla guerra. (Giena.) 
Adriano, Carafa. 579. 
| 158297 Fr. Mar. della Rovera, Fra Lelio Brancaccio, 
Tradhetta. 579. 
1599 Graf Mario Savorgnano: Arte militare terrestre e 
maritima. 580—583. 
Schlußbetradtung. 583—588. 
II. Kapitel. 
WaffenRunde. 
1. Gruppe. 
Die Zeit Kaifer Karls V. 
40 | 1524 Sefelihreiber: Bon Gloden: und Stüdgießen, Feuerwerck 
und Büchſenmeiſterey. (Müncdhen.) 589. 
1528 ME: Dresdener Bilderhandjchrift. 58I— 5%. 
Etlihe Stüd von Fewerwerckh. (Wien.) 590. 
1529 Drud des alten Feuerwertsbudhes. 590—591. 
41 | 1540 Banuccio Biringuccio: Pirotecnia. 591—596. 
42 | 1537 Nic. Tartaglia: La nova scientia. 596—597. 
1546 “ Quesiti et inventioni. 597—608. 
1547 W. Rivius: Berdeutichung. 603—604. Cardanus. 604. 
43 | 1533 Bet. Bienewitz: Inſtrument-Buech. 609. 
oh. Dilger: Püchſenmaiſterey-Puechl. (Wien.) 606. 
1540 Georg Hartmanns Erfindung des Kaliberjtabed. 605—606. 
Ladeihaufel. 606. — Quadrant. 606—607. 
Buch von der Arttlarey. (Dresden.) 607— 608. 
43 Meiiter Franz Helm. 608. 
(1510) Hdichit. des Berliner Zeughaufes. 608— 609 
(1515) Weimarer Kunſtbuch. 609—610. 
(1527) Gothaer Handidrift. 610— 611. 
1535 Das Buch) von den probierten Künjten. (Heidelb.) 611—612. 
1536 Das Buch von der Zeughauseinrihtung. 612—613. 
Fortentwidelung bezgl. Abfchriften von Helms Werfen. 


613—615. 


Er] 


4 


48 


44 


50 


52 


7) 


n. Ehr. 


1551 
1561 


(1570) 


(1570) 


(1570) 
1566. 73 


1573 


1574 
(1575) 


1586 


Inhaltsüberſicht. — XVI. Jahrhundert. XXXIX 


1613 Tegernſeers Feuerbuch. (Donaueſchingen, Berlin.) 
615. 

Trud und Überfegungen des Buchs von den probierten 
Künſten. 616—617. 

Gajp. Brunner: Bearbeitung von Helms Zeughausbuch. 
617 —618. 


Grf. Reinhart v. Solms: Artilleriſt. Kapitel der Kriegs— 


regierung. 618—619. 


' Beichreibung des Kaiſers Caroli quinti Gejhüg. 620--621. 


Gregor Löffler: Ratbichläge und Bedenden. 621. 
2. Gruppe. 

Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 

Lienh. Frönsperger: Bon Seihüs und Feuerwerd. 621—622. 
Bon furzweilligen Luſt-Fewrwercken. 622. 
Hanns Stard: Gründlicher Bericht von Fewrwerck. 622— 623. 
Hanns Camentur: Khünftlih Fewrwerckh. 623. 
Joh. Chmidlap v. Shorndorff: Khünſtl. v. rechtichaffene 
Fewerwerck. 623—624. 

Sebajt. Münſter: Rudimenta Mathematica. 624. 


Dan. Santbed): De absoluto artificio ejaculandi sphaeras 
formentarias. 625— 626. 


Aug. Vogel: Summar. Bejchreibunge der Geometr. Arteglieria 


(Stuttgart und Wien.) 626—630. 

Beit Wulff v. Senfftenberg: Kunſtbuch von Kriegsjaden. 
(Deiiau.) 631--633 

Veit Wulff v. Senfftenberg: Nriegs- und Feuerwerkskunſt. 
(Berlin und Bari.) 633—637. 

Liend. Frönsperger: Der großen Studbuchjen Hilf und Ver— 
itand. (Wien und Dresden.) 6B7T—6B38. 

Lienh. Frönsperger: Mrtilleriit. Kapitel des Kriegsbuches. 
638 640. 

Zam. Jümermann: Dialogus aines Büchjenmaijterdmit ainem 
Fewerwercker. 640-642. 

Sam. Jümermann: Bezaar, gen. Pyromadia. 642 — 643. 

Ain bewertten Büchfenmaiiterey Khünſten. (Salzburg.) 644. 

Büchſenmeiſterey Bud. (Wien.) 644. - 

Anweiſung zur Feuerwerkerkunſt und Büchjenmeijterei. (Berlin.) 
644. 

Sri. v. Görz und Herzog Deinr Julius v. Braun 
ihweig: Ntarnwerg mit dem gejchüge. 644 — 645. 

Andr. Bepiiinger: Khunſtbuch. (München.) 645. 

Shuriiv. Shönmwerd: Feüerkunſt ond Kriegsbuch. (Berlin.) 
645 





59 


60 


61 


62 


n.&hr. | 
1582 


Inhaltsüberfiht. — XVI. Jahrhundert. 


Walth. Lüpelmann: Artillerie u. Feuerwerksbuch. (München.) 


645. 
Ein onterricht, wie man Fewer zurichten mu}. (Wien.) 645—646. 


‚ Min furger Bnderricht, was ſich ein Büchfenmaifter halten fol. 


Berlin.) 646. 


| Kunſtbuch von Artollerey. 646. 


1589 
1594 
1591 


(1600) 


1578 
1591 
1591 
1593 


1592 
(1553) 
1593 
159 
1597 


Vern. Heydemann: Büchjenmeijterey. (Marburg.) 646. 

Fror. Meyer: Büchfenmeijterey. Münden.) 646. 

NArtilleriefunft dur vnd für einen Ausüber derjelben. (Mün- 
chen ) 647— 648. 

Seb. Hälle: Schön v. Fhünjtl. Buch von der Pirenmaijterey. 
(Wien und Berlin.) 648—649. 

Chriſtoph Mann: Büchſenmeiſterey v Fewerwerckerey. 649. 

Kajp. Bürger: Unterricht wie man grob Geſchütz laden joll. 550. 


Frz. Joach. Brecht el: Büchfenmeifterei. 650 —652. 
Der Bußen Meeſterye. 652. 


Archaiſtiſche Schriften. 
.Die RNunſt der löbl. freyen Büchſenmeiſterey. (Darmſtadt.) 652. 
Berliner Sammelcoder. 652. 
oh. Fauſt Röhre: Kunſtbuch. (Sotha.) 652, 
Ein fürtrefflih Runftbuch. (Wien.) 652—653. 
Egenolffs gedrudte Büchjenmeijterey. 663. 


Franzöſiſche Literatur. 
154090 ı 


1598 


156070 
1570—38 


1586— 92 


de Naconis; V’Ejtrees; La Treille; de Vigenere. 654. 


Joſ. Boillot: Modeles artifices de feu et instruments de 


guerre. 654 - 656. 

Italieniſche Literatur. 

Gataneo; Nuscelli. 656. Marchi. 657. 

Marzari; Nomano; Gentilini u. Schiavina; Cor— 
naro: Bapobianco. 657, 

Spanijche Yiteratur. 

Alaba y Biamont; Eollado. 658. 


3. Gruppe. 


Die handwaffen. 


- 


Handfeuerwaffen. 658. 


Hafen (Luntenjhloßgewehr.) Luntenſchnappſchloß. 659. 
Ganzer Haken. (Muskete.) 659. 

Radſchloß. 660. — Steinfchnappihloß. 661. 

Berühmte Büchſenmachereien. 661—662. 

Stecher. Gezogene Feuerwaffen. 662—663. 
Nevolverbüchfjen. Streurohre. Gemwehrpatronen 663 —664. 


67 





1518 


1519 
1530 


| 





1541— 96 | 


1523 
1560 


(1550) 


1558 
1539 


1570 
1579 
1591 


1530 


1539 
1550 


1570 
1560 
1562 
1564 


1570 


Te — — ——— — ——— — — — —— — — 





Inhaltsüberſicht. — XVI. Jahrhundert. XLI 


Schügenaugrüjtung. 664. 
Ant. Cornaro: Dialogo. 664. — 
Blante Waffen. 665. 
Deutſche Zeughäufer und Rüfttammern. 665—666. 


4. Gruppe. 
Waffengebrauch und Reitkunf. 
a) Ritterlihe und bürgerlihe Waffenübungen. 


Würſung: Bon warn... das ritterfpiel des turniers erdacht ... 
vnd geubet. 667. 

v. Eyb: Buech mit anzaig des turnierd. 667. 

Rürner: Anfang, vrſprung dv. herkommen des Turniers. 667 —668. 

Hand Sachs: Thurnierfprud. — Turnier: und Cartelbud. — 
Insignia inclitae domus Hassiacae. 668. 

Huter's Fehtbud. 668. 

Maifter Lihtenauers Kunftbuh mit Lions, Hundt3- 
felder& und Huters fünften. 668. 

Dürer und Lecküchner: Der Altenn Fechter anfengliche Hunt. 
669. 

Die Ritterliche mannliche Kunſt vnd Handarbeit Fechtens. 669. 

Fab. v.Auerswald und Lucas Cranach: Ringerkunſt. 669. 

Hector Mair: Fecht- u. Ringbuch und Liber artis athleticae. 669. 

Soad. Mayer: Beichreibung der Kunſt des Fechtens. 670. 

Sutor: Künftlih Fehtbud. 670. 

®ündterodt: De veris principiis artis dimicatoriae. 670. 

Neues kunſtreiches Fechtbuch. 670. 


b) Die Schießkunſt. 
Flugbahn, Schußarten und Schußtafeln. 670—671. 
Schiekübungen mit Handfernwaffen 156a und mit Gefchüßen. 
671—673. 
c) Pferdefenntnis und Reitkunſt. 
Ruel: Veterinariae medicinae libri IV. Deutſch v. Zechen- 


dorfer. 674. 
Gamerariu®: De tractandis equis. 674 


| ®rijone: Ordini di cavalcare. 674. 


Hochſtetters Verdeutihung. 674. 
Fayſers Hippokromike. 675. 
Deutihe „Bißbücher“. 675. 
Kreupberger: Eontrafactur der Zeumung vnd Gebiß. 675. 
Macantius und Sambucus: Capistrorum et freno- 
rum figurae. 675. 
Berliner Bißbuch. 676. 


XL Inhaltsüberjiht. — XVI. Jahrhundert. 


& n. Ehr. | 
11 1576 Fayſer: Hippatria. 670. 
1578 Fugger: Bon der Gejtüterey. 676—677. 
1578 Hoerwarth v. Hohenburg: Von der... Kunſt der NReiterey. 
677—678. 
L. V. ©.: Ritterliche Reutterfunft. 678. 
Serem. Schemel: Bom Rokthumblen. 678. 
| Löhneyſen: Vom Zeumen. 679. 
Della caualleria. 679. 
Seutter: Ein jhönes und nupliches Bißbuch. 680. 
ippologifche Riteratur der Staliener. 680. 
| iasdi. erraro. Garacciolo Genofonte. 
| Toralto. GHisliero. Siliceo. 680. 
wo ippologijche Literatur der Spanier. 680. 
| Mancanad. Aguilar. Beralta. Dapila. 680. 
Hippologifche Literatur der Franzoſen. 681. 
be la Broue 681. 
3innez: Libro que trata & la Brida y Gieneta. 681. 
Bewährtes und künſtliches Roßartzeneibuch. 681. 
713 1598 Ruini: Dell’ infirmita_del cavallo. Deutjh von Uffenbach. 
681. 
Ültere deutjche Roßarzeneibücher. 681. 
III. Kapitel. 


Truppenkunde. 


1. Sruppe. 
| Heeresanfbringung. 
14 | Anläufe zur Wiederbelebung des Voltötriegertums und zur Er- 
richtung ſtehender Heere. 682. 
ı 1518 Das Annöbruder Libell. 682. 
ı 1514 Marimilians I. Garde. 685. 

Das Söldnerwejen auf Zeit. 686—689. 

Johann der Beherzte und die Große Garde. 686. 


Landesausſchußweſen. 689—693. 
Der Gedanke des ftehenden Heeres. 693 —69. 


Aventinus: Das alt Romiſch Kriegsregiment. 693 — 69. 


Die Aufbringung der Führerſchaft. 695— 698. 
rodifioner 696. Zeug: und Büchſenmeiſter 697 —698. 








RE 6 


ẽ 





be 





2. Gruppe. 
Das Fußvolk. 


Einleitung. 698—699. 
1521 Madiavelli: I sette lihri. 700— 702. 


ur 


Inhaltsüberficht. — XVI. Jahrhundert. XLII 


Ener | 
1521 | della Valle: Vallo. 702-708. 


1522 Der „Trewe Rath“. 705. 
1536 Des Bropifioners „Newe Kriegsordnung“. (Beyrlin.) 705— 707, 


a 
2 | 1546 Tartaglia-Reiff: Das taktifche Buch der Quesiti. 700— 712. 
| da Morra, 712, 
us 1552 Herzog Albrecht von Brandenburg-Preußen: Kriegs— 
ordnung. 712—715. 
1553 Nolano, gen. Schellenfhmidt: Zug: und Scladtord- 
nung der Knecht. 716. 
4 Taltiſche Reche nknechte. T1i6—718. 
1557 Loch ner: Büchlein der gerechneten Schlahtordn. 716— 717. 
| 1569 Lohr: Kriegs-Feldbüchlein. 717. 
| 1667 Cigogna: Trattato militare. 718. 
1584 Sa : 1 i 1 
% |1566—73 | Frönsperger: Tattifhe Kapitel des Krieghbuchs 719-721 
* | 1568 | Sandıo de Lond ono: Discurso. 722— 724. 
1568 rancedco Ferretti: Osservanza und Dialoghi 724— 7125. 
| 1570 | Dom. Mora: Il soldato, 726. 
ı 1540 Sean Chantereau: Miroir des armes. 726—727. 
Titelloje franzöſiſche Handichrift. (Paris.) 727—728. 
| 1585 be [a Noue: Discours. 728—729, 
ı 1571 Frauc. de Valde s: Espeio. 729— 730. 
| Martin de Eguiluz: Milieia, 730— 731. 
| 1588 | Adrian Duyf: Inftructie van de Crijchs-oorts⸗ſtellinghe. 731. 
| 1592 Chriſtobal Lechuga. Discurso del Maestro de campo General. 
731—733. 


4 1593 Ceſ. de Evoli: Del ordinanze e battaglie. 733. 


“I 1597 Graf Johann v. Naſſau: Annotationes. 734—735. 
sı' 1598 Robert Barret: The theorike and Practike of moderne 
3. Gruppe. 
| Die Beiterei, 
@| 1221 | Mahiavelli: I sette libri. 737—738. 
8 1527 Zeichnungen Dürers u. U. 738—739. 
| 1532 Wie eines Churfürften oder Herrn Reiter bejtellt werden. 739—742. 
| 1550 Graf Solms: Kriegsregierung. 742. 
11552 | Herzog Albredt von Preußen: Kriegsbuch. 743. 
| 1553 | Nolano: Kriegsbuch 743. 
| 1566 Frönsperger: Kriegsbuch. 744. 
%) 1585 de [a Noue: Discours. T44— 745, 
%s| 1597 Graf Johann v. Naſſau: Annotationen. 746. 


1598 Rudolfs II. Reiterbejtallungsbrief. 746— 747. 


XLIV 


98 


99 


100 


101 











1511 

1540 | 
1553—56 | 

1521 


1545 


Inhaltsüberſicht — XVI. Jahrhundert. 


4. Gruppe. 
Artillerie, 
AUrtillerieausrüitung deuticher Deere. 


Leonh. Eder: Was an ein Hein ‚Feldzug an Geſchütz gehört. 
TAT— TAN, 


Mainzer Anjchlag. 748. 

Stuttgarter Anjchlag. 749. 

Anſchläge der Fürjtenvereine v. Heidelberg u. Landsberg. 749. 
Macdiavelli: I sette libri. 749—750. 
Bußsca: Instruttione de Bombardieri. 750. 


1550 Graf Solms: Ktriegsregierung. 750—751. 


1551 


1552 
1597 





1532 | 


1552 | 
1523 | 





| ftaifer Karl V.: Instruction sur la conduite des maistres. 


751, 


Herzog Albrecht von Preußen: Kriegsbuch 751. 
Graf Johann von Najjau: Annotationen. 752. 


5. Gruppe. 
Wagenbnraen. 
Reichsabſchied von Speier. 753. 


Graf Reinhart v. Solms. 753 


Nolano, gen. Schellenfchmidt. 753. 
Herzog Albreht von Preußen. 753—755. 
Frönsperger: Kriegsbuch. 755— 756. 


Sch wendi: Kriegsdiscurs. 756—757. — Scifibrüden. 757. 


6. Gruppe. 
Verwaltung und Kecht. 


Vergleich der Verhältnijje bei den Romanen und den Deutſchen. 
757— 758. 


Die gejeplihen Beftimmungen über das deutide 


Heerwejen. 

Vom Reichstriegsrechte. 759— 764. 

Vorſchriften über die drei Waffen. 759—763. 
Marimiliand I. Articulbrief_759. 
Karl V. Articul der Biüchjenmeifter. 759—760. 
Marimilians II. Reuterbejtallung. 760—762. 
Desjelben Artikel auf die Teutichen Knechte. 763. 

r Sonderlihe Buntte. 763 —764. 

Strafgejege allgemeiner Natur. 764. 
Karls V. Halögerichtsordnung. 764. 

Statörechtlihe Bejtimmungen. 764. 
Reichderefutiong-Ordnung. 764. 
Reichstagsabſchiede. 764. 


Inhaltsüberjiht. — XVI. Jahrhundert. XLV 


Sm Bon Kreisfriegsrechte. 764— 765. 
| Bon der Reichsſtände Kriegsrecht. 765— 766. 
| Bon Kriegsrecht der Deutjchen im ausländ. Dienjt. 766 — 767. 
103 | 1551 | Kriegsordnung. Tirol.) 767— 768. 
iv . Bippadh: Sammelcoder. 768. 
ı 1558-66 | Der Nöm. Kayſ. Maj. Gerichtsordnung. 768. 
| Kriegsrecht der deutjchen Landsknechte. 768. 
| | Artikel Röm. Kayſerl. Maj. 768. 











1 . 768— 171. 
104 , 1577 Stanislaus Hohenſpach: Feldichreiberei. 771—772. 
105 1594 | Budrini: Kriegsregiment. 772. 


| 1600 | Wiener Handſchrift no. 10787. 7172—778. 

106 | 15% | Bappus v. Tra berg: Holland Kriegsrecht u. Artidelöbrief. 273. 
i 
| 


IV. Kapitel. 
| 





Niffenfchaft von der Befelligung und dem 
Belagerungskriege. 


1. Gruppe. 
Übergangszeit. 


* 





| Die „Baſtionierungen“ (Erd- und Holzbauten). 774—776. 
| 1521 | bella Balle: Vallo 716-778, 

1521 Makhiavelli: I sette libri. und Berichte. 779— 781, 
‘\ (1520) | Mujter ainer pajtey. 781— 782. 
(1525) | Joannis Thomas: Discurs von Beihügung und Eroberung 

| der Veſten. 7852— 783. 

110 1527 Albredt Dürer: Etlide vnderriht zu befejtigung. 7T83—741. 
111 | (1530) | San Mideli: Archittetara militaris. 792—798. 


— 2 


ortifikationsmanier. 793—794. 


12, 1555 Graf Reinhart von Solms: Kurtzer Auszug, einen Baw 
| aufzujtellen. 794— 797. 









113 1546 | Tartaglia: KFortifitatorijcher Teil der Quesiti et inventioni. 
TIT— VO. 

114 1547 Reiff: Von der Grundlegung vnd Berejtigung der Stett u. j. w. 
300—802. 


115 1547 Belucci und Melloni: Particellie fragmenti. 802—808. 
1548 Alghiſi da Earpi: Delle fortificationi. 803. 
| Yeonardi: Trattato delle fortificationi. 808. 


2. Gruppe. 
| Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 
I 


' Francesco de' Marchi: Dell’ archittetura militare. 803—813. 
Hans van Scille: Form vnd weis zu bawen. 813—814. 





116 . 1550 


XLVI Inhaltsüberfiht. — XVI. Jahrhundert. 


8 n. Chr. | 

117 1557 | Frönsperger: Bon Erbawung der wehrlihen Beuejtungen. 
| 814 —818, 
ı Zractat „Bon Belagerungen.“ (Dresden.) 818. 

118 ı Die Staliener der 2. Hälfte des Ihrdis 318—821. 


i, 2anteri, Puccini, Maggi und Cajtriotto, 
Gataneo, Theti. 81I—8W. 
Mora,Locatelli, de Paſino, Galvani, Eupicini. 8%. 
| Accontio, Ramelli. 80-821. 
—73 Frönsperger: Fortifitatoriſche Kapitel des „Kriegbbuchs“. 821 
— 
| Henr. Ridemann und Eliad von Broctorf: Institutiones 
| architecturae militaris. 822. 
! 


ı Daniel Spedle: Architectura. Bon Vejtungen. 822—831. 
Spedles Bedeutung in der Gefchichte der Befeftigung. 830. 

1585  dbelaNoue: ortifit. Paradoron aus dem Discours. 831— 32. 

| de Vigenere: Fortififatorifche Bemerkungen. 832. 

Jean Errard: La Fortification reduicte en art. 832—#35. 

1597 | Glaude Flamand: Le guide des fortifications. 835—837. 

159 Jacques Perret: Des Fortifications. 837. 


1598 | de Rojaß: Theorica y prätica de fortification. 837. 


EBEE RE BE 
: 


| 1599 | de Medina-Barba: Examen de fortification. 837. 
127 1594 | Simon Stevin: Sterdten Bouwing. 838—840. 
1617 r 2 Gajtrametatio. 840 —841. 
1617 R — Sterdte Bou door Spilſluyſen. 8541 -842. 
128 1597 Graf Johann v. Naffau: Obſervationes über den Feſtungs— 
frieg. 842 — 344. 
| Architectura militaris Belgica. 844. 
129 | 1592 ini: Della fortificatione —847. 
130 | 1594/8 | Patrici, Scala, Capo Bianco. 848. 


Topographiſche Überfihten der Italiener. 
| enoi, Balloni, Bertelliv, 848. 


131 1585 | Gabriello Busca: Della espugnatione e difesa. 848—84. 
1601 l.’archittettura militare. 850 —851. 





3. Öruppe. 
Bufammenfafende Betraditungen. 
| Die Entwidelung der modernen Forti fation. 851—855. 


132 

133 Die einzelnen Bauteile. 855—851. 
134 Alt: und neusitalieniishe Schule. 859—860. 
135 


| | Der Belagerungstrieg. 860865. 








Erſtes Buch. 


Das Altertum. 


Jähns, Geſchichte der Kriegswiſſenſchaften. 





STESE LIBRI 
— RE GE THE AN 
\ UNIVERSITY ) 
N 


da 






OF 
RGALIFORN\DS 





Erftes Buch. 
Altertum. 


Finleitung. 


8 1. 

Die friegswiljenjchaftlichen Werke der Griechen und Römer haben 
für ung doppeltes Intereffe. Erjtens bangen fie innig mit der Ge 
jamtheit jener altflaffiichen Kultur zujammen, auf welcher unjere 
humane Bildung wejentlic) beruht; zweitens aber haben die militä- 
riſchen Schriften der Alten von den Tagen der Nenaifjance bis zur 
Mitte des 18. Jahrhunderts geradezu als unmittelbare Quelle friegs- 
fünftlerischen Wiſſens, als vornehmiter Schaf ftrategijcher und taktiſcher 
Beisheit gegolten und jind in diefem Sinne als die gegebenen Ausgangs- 
punkte faſt jeder Eriegswiljenjchaftlichen Unterjuchung betrachtet und 
immer wieder aufs neue fommentiert und durcchforjcht worden. Daher 
gejtaltet jich eine Darjtellung der antifen Kriegswiſſen— 
haft, welche auch deren literarifche Folgewirfungen andeutet, ganz 
naturgemäß zugleich zu einer Einleitung in die Gejchichte der mo— 
dernen Kriegswiſſenſchaft; denn fie weit nicht nur die Wurzeln 
nad, aus welchen dieje entjprang, jondern vergegemmärtigt uns auch 
die Veräſtelungen, in deren taujendfach verzweigten Gefähen der von 
jenen Wurzeln aufgejogene Nahrungsitoff bis in die äußerſten Spiten 
der jet lebendigen Krone emporgejtiegen ift, und gewährt eben dadurch 
die Möglichkeit, den Baum der Wiffenjchaft als einheitlichen Organismus 
zu erkennen und aufzufaffen. Freilich nährt jich diefer Baum, ſowenig 
wie die wirkliche Pflanze, nur von der Wurzel her: auch die jährlich 
neuen Blätter find ihm unentbehrlich zum Atmen, und das eigentliche 

1* 


4 Altertum. 


Leben des Baumes wohnt nicht in feinem Kernholze, jondern in dem 
jüngiten Wachstume unmittelbar unter der Rinde. Das Prototyp 
jeines Wejens ruht jedoch in verborgener Tiefe, und erjt die Unter- 
ſuchung der hiſtoriſchen Wurzel eines geiftigen Organismus, einer 
Wiffenjchaft, belehrt darüber, weshalb denn jolc ein Baum gerade jo 
gewachſen jet, wie er vor ung jteht und nicht anders. 


8 2. 

Einen annähernden Begriff von dem Umfange der antiken Militär— 
literatur gewinnt man aus den Schriftjtellerverzeichniffen, welche einige 
der alten Autoren überliefert haben. In diejer Hinficht jind bejonders 
Aelian, Begez, das Corpus juris und Laurentius Lydos zu erwähnen. 


Ailianos jagt: „Unter allen, von denen wir wifjen, hat anjcheinend zuerjt 
Homer die Theorie der Taktik gelannt, und er bewundert daher die in ihr Er: 
fahrenen, wie 3. B. den Meneftheus, „der, wie feiner, geihidt von allen Menſchen 
auf Erden, Roße zu ordnen zum Streit und Haufen beſchildeter Männer.“ Über 
die homeriſche Taktik haben wir an Scriftjtellern den Stratofled, den Hermeias 
und in unjerer Zeit den Alttonful Fronto. Nah mander Rihtung hat Aineias 
die Wiſſenſchaft ausgebildet und ziwedmähige Werke über daß ganze Kriegsweſen 
verfaßt, welche der Thefialer Kineas in einen Auszug bradte Ferner jchrieb 
Pyrrhos von Epeiros eine Taktik und Alerandros, des Pyrrhos Sohn, ſowie Klearchos 
(nicht der, welcher die zehntaujend Griechen führte, jondern ein anderer. Dann 
gibt e8 hierüber aud Schriften von Pauſanias, Euangelos, Polybios, der 
mit Scipio verkehrte, Eupolemos und Iphikrates (nicht dem attijchen Feldherrn, 
jondern einem anderen). Auch der Stoifer Bojeidonios hat eine Tafıif Hinter- 
laſſen und noch andere mehr, teild Lehrbücher wie Bryon, teils Spezialichriften. Ich 
babe fie zwar alle gelejen, halte es aber für unnüg, fie ſämtlich aufzuzählen“ !). 

Führt ung Nilianos, der im 1. Jahrhundert nach Ehrijtus jchrieb, faſt aus— 
ſchließlich griechiſche Kriegsichriftiteller auf, jo nennt Degetius, welcher 300 Jahre 
jpäter jchrieb, nur römische Autoren. „Ich jah mid) genötigt”, jo jagt er, „die 
Scriftfteller der Römer nachzuſchlagen, und in diefem meinem Werte alles das 
jorgfältig zu jammeln, was Cato, der ehemalige Eenjor, was Cornelius Celjus, 
wad Frontinus über dieje Gegenftände gejchrieben, und bejonder® aud) das, 
was Baternus, ein jehr gründlicher Kenner des Kriegsrechts, in jeinen Schriften 
niedergelegt. Auch die Verordnungen der Kaiſer Auguſtus, Trajanud und Ha- 
drianus habe ich benutzt“ ®). 

Wieder um 200 Jahre jpäter wurde der Codex Justinianeus abgefat, 
und in denjenigen Büchern der Pandekten, welche militärjurijtiihe Dinge berühren, 
werden als einjchlägige Autoren erwähnt: Macer wegen feiner zwei Bücher vom 





ı) Hilianos Theorie der Taktik I, 1. 
2) Begetius Anleitung zur Kriegdwifjenichaft I, 8. 


Einleitung. 7 


Obgleich der Laurentianus und der Ambrofianus offenbar beide 
in der Zeit Konſtantins VII. zujammengebracht worden find, jo tft 
doch die Tertüberlieferung des erjteren verhältnismäßig reiner. K. K. 
Müller vermutet, daß man in dieſem Florentiner Coder ein offizielles, 
möglicherweije der faijerlichen Bibliothek angehöriges Eremplar vor 
ſich habe, während die Mailänder Handichrift, die wejentliche Um- 
änderungen im byzantinischen Sinne zeigt, vielleicht für den praftifchen 
Gebrauch in der Armee bejtimmt gewejen jei. 

2. Gruppe: Poliorketifche Schriften!). 

Parisianus, graec. suppl. 607. Dieje Pergamenthandichrift, 
welche jpätejtens dem 10. Jahrhundert entjtammt, in einigen Teilen 
jogar noch höher hinauf zu führen jcheint, wurde im Jahre 1843 
von Minoides Minas in einem Athosflojter erworben. 

Sie enthält: ded Athenäod Buch von den Belagerungsmaſchinen [A.$8 14), 
Biton® Schrift von Einrihtung der Kriegsmaſchinen [A. 8 13], Herons Lehre 
vom Geihügbau [A. $ 11], die Poliorketita des Apollodoros [A. 831] fowie Be 
richte über Belagerungen, welde hiftoriichen Werten aus dem Jahrhundert bes 
Zhufidides biß in byzantinifche Zeit entnommen find. 

Vindobonensis, philos. gr. 120, eine Bapierhandfchrift des 
16. Jahrhunderts zu Wien. 


Sie bringt Bruchſtücke der eben angeführten Autoren, ferner Herons Pneu⸗ 
matifa (A. $11) und Leos Taktik; es fehlen aber die gejhichtlichen Excerpte. 


Kasokırn reyvokoyia in der Bibliothek zu Bologna. 

Corpus der militärtehnijchen Schriftfteller des Altertums, welches der Kallis 
graph Balerianus Albinus gefchrieben hat und welches eine methodiſche Analyfe der 
Abhandlungen des Athenaios, Herons, Philons von Byzanz und Apollodors enthält. 

Eodices verwandten Inhalts finden fi in der Bücherei des prote- 
jtantifhen Seminars zu Straßburg (argentorat. ©. IH. 6), in der Nationals 
bibliothef zu Neapel (III., ©. 25), in der bodleyaniiden Sammlung zu Oxford, 
in der Univerfität#bibliothet zu Leiden (cod. graec. fol. 8) u. ſ. w. Der Leidener 
Goder enthält Athenaios, Biton, Heron, Apollodor, den Anonymus de muni- 
mentorum constructione, den Julius Africanus und den nicht zu den Polior- 
tetifern gehörigen Nifephoros. 

3. In etwas jpäterer Zeit als die beiden gejchilderten Sammlungen, 
jedenfalls erjt gegen Ende des 10. Jahrhunderts, iſt eine dritte 
Sammlung entjtanden, welche eine Auswahl aus den Werfen jener 


1) Bol. Weider: Pollorcötique des Grecs. (Paris 1867 p. XV ff. XXX ff.) Ferner: 
Journal des Savants 1868 ©. 152 ff.; Göttinger gelehrte Anzeigen 1869. ©. 3, 7 ff.; Jahrbücher für 
2yilologie. 97. Bd. ©. 834 fi. und 101. ®b. ©. 193 ff. 


8 Altertum. 


älteren Zujammenftellungen umfaßt. Wahrjcheinlich um den Gebrauch 
zu erleichtern, wurden diejenigen Schriften jtrategijch-taftiichen Inhalts 
(Bıßklia orgarnyıra), welche bejonders wichtig jchienen, mit gleich 
gewürdigten poliorfetiichen Schriften (Aıßki= ungavrıza) zu einem 
großen Kanon vereinigt. Ein derartiges Werf mußte jich jehr 
empfehlen, weil es bequem war, und obgleich es nach vielen Rich 
tungen hin geringwertiger ijt als die älteren Sammlungen, jo wurde 
e3 doch am meiſten abgejchrieben. Die wichtigiten Kopien von jelb- 
Itändiger Bedeutung ſind, (abgejcehen von dem jchon erwähnten, 
gewiffermaßen den Übergang von den rein poliorfetifchen Samm- 
lungen bildenden Leidener Coder 3) vier Pergamenthandichriften aus 
dem 10. bis 12. Jahrhundert, nämlich: 

Cod. gr. 1164 im Batifan; Cod. II, 97 in der Bibliothek Barberini zu 
Rom und der uriprünglih ein Ganzes mit ihm bildende Paris. gr. 2442; Es- 
corial Y—III, 2 und der mit ihm zujammengehörige Neapolit. (Bibl. Nat. III 
C. 26) 2). Der Inhalt ift folgender: Yelian, Anonymus repi uerowv, Dnejander, 
Mauricius, Athenäos, Bito, Hero, Apollodor, de Anonymus £ismokss, die 
Bücher IV und V von Philons Wert [A. $ 12), Julius Africanus, de Anony- 
mus sagexBoklai, Kaifer Leos Taktit und des Nilephoros Phokas Schrift über 
den Grenzkrieg [M. $ 12]*). Verwandten Inhalts ift die Bafeler Papierhand- 
ſchrift (A. N. II, 14). Sie enthält: Julius Wfricanus, Apollodor, Athenäos, 
Biton, Heron, Leo und Nilephoros, 


Außer den Sammlungen gibt es natürlich auch noch eine ziemlid) 
bedeutende Zahl von Handfchriften, welche einzelne, antife Werfe 
militäriſchen Inhaltes enthalten, deren Überlieferung zum Teil von 
derjenigen der Sammlungen abweicht oder die in den leßteren über- 
haupt nicht vorhanden find, wie das vor allen Dingen von ſämt— 
lichen lateiniſchen Autoren gilt; denn Ddiefe wurden jeitens Der 
byzantinischen Kodifitatoren einfac ignoriert. 


84. 
Nahezu das entgegengeſetzte Verhalten, nämlich die faſt aus— 
ſchließliche Aufnahme lateinischer Schriftſteller, zeigen die gedruckten 


I!) Uber die Zufammengehörigkeit des Barifianus und bes God. Barberini vgl. Haaje: De 
milit. scriptor. graec. et lat. omnium edit. ©. 82, und Müller: Ein griedh. Fragment über 
Kriegämweien a. a. O. ©.4. — Über die Zuſammengehdrigkeit des Escorialmanuffripts mit dem neapo- 
litanifchen Codex vgl. 8. FH. Müller: Grieh. Schrift über Seefrieg ©. 31, 32. — Der vatifan. 
Eober 1164 (membr. saec. XI.) ift arg beichäbdigt. 

2) Da Kaiſer Ritephorus Phokas 963—968 regierte, jo beweift eben bie Aufnahme feiner Schrift 
repi nagadgouis indie Sammlungen der 8. Gruppe, dab diefe erſt gegen Ende des 10. Jahrhunderts 
entftanden fein kann. 





Einleitung. ——VV ——— 
Sammlungen der militäriſchen Werke des Altertums, welche vr. 
den Gelehrten der Renaiffancezeit unternommen wurden, vornehmlic) die 
der Veteres de re militari scriptores, scilicet Vegetii, Aeliani, 
Frontini et Modesti opera, welche zuerjt in Rom 1487, neun Jahre 
jpäter zu Bologna, dann revidiert und gereinigt 1528 zu Köln, endlich 
in der mujtergültigen Ausgabe des Budäus 1532 (1535, 1553) zu 
Paris veröffentlicht wurde). Dieſe Sammlung galt geradezu als ein 
fanonijches Corpus der Kriegskunſt. Im der Vorrede des deutjchen 
Begetius von 1534 [X VI.84], heißt e8 3. B.: „Dann wie vier Wagenreder 
zuglegch nottürfftig vber ein feldt lauffen, Alſo bejchreyben vns Jul. 
Frontinus, Helianus, Modejtus vnd Vegetius ganz brauchlich) vnd 
loblich auch einhellig die Eunjt vnd übung der Ritterichafft... Dadurd) 
wirdt das Römiſch Reich geiterdt, die feldt erbawet vnd das land 
beichyrmet.“ — Sp wertvoll num auch jene Sammlung war, jo 
umfaßte jie doch nur einen geringen Teil der antiken Kriegsichriftiteller. 
Der Wunſch nad) einer volljtändigen klaſſiſchen Militärbibliothek wurde 
aber damals in weiten Kreiſen lebhaft empfunden und auch von dem großen 
Bhilologen-Triumvirat des 16. Jahrhunderts, von Scaliger, Lipſius 
und Cajaubonus wiederholt ausgejprochen; er fand indes feine Er: 
füllung; man begnügte jich vielmehr, die vorhandene Sammlung der 
Veteres de re militari scriptores philologiſch zu rezenjieren und zu 
fommentieren, und jo entitanden die neuen Ausgaben von Modius 
(Köln 1580), Stewechius (Amſterdam 1585, Leyden 1592) umd 
Scrivertus (Antwerpen 1607, Leyden 1633 und, vermehrt und ver: 
beifert, Wejel 1670) 2). — Eine Übersicht der militärijchen 
Schriften des Altertums gab 1637 Gabr. Naude in jeinem 
Syntagma de Studio militari (Nom), dem erjten Verſuche eines 
Milttärliteraturnachweijes, welcher auch die Antiqui deperditi, die 
manuscripti in bibliothecis latentes, Graeci, Arabes, Latini, 
Vulgares jowie ein Verzeichnis der Ausgaben enthält. 
Erjt gegen Ende des 17. Jahrhunderts gejellte jich dem alten 
gedrucdten Sammelwerfe der Veteres scriptores ein neues, nämlich 


1) Eine Ausgabe ber Scriptores (Rom 1499) ift um bie Feldherrnkunſt Onejanders vermehrt, 
die jedoch in der Bolognejer Ausgabe unb in den folgenden Neubruden wieder ausgeichieden wurde. 

?) Lestere Ausgabe umfaht (außer Vegez, Frontin, Aelian und Modeftus) auch noch den mili- 
äriichen Zeil Polybs, den Aeneas Tacticus und da® Incerti auctoris de re militari opusculum, 
weldhes früher dem M. Tullius Cicero zugeichrieben wurde, aber ganz unbedeutend und Ciceros un: 
meifelhaft unmwürbig ift, wie da3 fchon Ungelus Decembris in jeiner Vita di Cicerone (Parma s. a.) 
gen Ende bes 15. Jahrhunderts nachgewiejen hat. 





10 Altertum. 


die auf Befehl Louis’ XIV. von Thevenot griechiſch und lateiniſch 
herausgegebenen Veterum mathematicorum Athenaei, Apol- 
lodori, Philonis, Heronis et aliorum opera. (Paris 1693.) !) — 
Hatte die ältere Sammlung der Veteres scriptores nur jtrategijch- 
taftijche Schriften umfaßt, jo nahm diejenige Thevenots faſt aus- 
ichließlich Poliorketifer auf, jo daß diefe beiden Sammlungen der 
ideellen Anlage, wenn auch feineswegs dem materiellen Inhalte nach, 
den erjten beiden Gruppen der vorher gejchilderten handjchriftlichen 
Kollektionen entjprechen. 

Im 18. Jahrhundert faßte der brandenburgishe Rat Baum: 
gärtner den Gedanken, die griechtichen Kriegsjchriftiteller in deutjcher 
Sprache herauszugeben und zwar „als Schulbuch für den deutſchen 
Krieger“. Aber troß des pompöjen „An Deutjchlands Mächte“ 
gerichteten Vorwortes und troß des Titels „VBolljtändige Samm- 
lung aller Kriegsjchriftiteller der Griechen jowohl jtrate 
giſchen als taftiichen Inhalts“ it doch nur ein Band dieſes Unter: 
nehmens erjchienen (Frankenthal und Mannheim 1779), und bei der 
Mittelmäßigfeit ſowohl der Überjegung als der Anmerkungen ift das 
faum zu bedauern. Diejer eine Band enthält Onejander und Neltan?). 

Erfolgreicher war ein derartiges populäres, jedoch noch viel 
umfaffender angelegtes Unternehmen in Frankreich, nämlich) die jeit 
1835 von Lisfenne und Sauvan in Paris herausgegebene 
Bibliotheque historique et militaire, dedie a l’armee 
et la garde nationale de France. Sie enthält n 8 Bänden Die 
wichtigiten Werfe der Friegsgejchichtlichen und militärdidaftischen 
Literatur bis auf die Bulletins Napoleons I. Die 3 erjten Bände 
ind der antifen Kriegswiſſenſchaft gewidmet. 

Vol. I bringt einen Essai sur la tactique des Grecs und in guten fran— 
zöſiſchen Überjegungen des Thukydides Geſchichte des peloponneſiſchen Krieges, 
Xenophons Anabaſis und Kyrupädie ſowie Arrians Alexanderzug. — Vol. I 
enthält einen Essai sur les milices Romaines und eine Übertragung von des 


») Unter ben „aliorum operis‘ befindet fi ber in biefer Gejellihaft befrembende Julius 
Africanus, defien xeoro übrigens (das einzige Werk der Sammlung ift, welches ohne Iatein. Über: 
jeßung aufgenommen wurde. 

) Bu erwähnen ift von einjchläglichen Schriften deutſchen Urjprungs auch Wöldikes Index 
bibliothecae militaris scriptorum veterum graeco-latinorum (Typis regiae equestris acade- 
miae Soranae [1742]), welcher alle von den Alten erwähnten Militärjchriftfteller alphabetiſch aufführt 
unb überall auf die betreffenden Stellen in Naudaei Bibliographia militaris und in Fabricii 
Bibliotheca Latina und besjelben Bibliotheca Graeca verweilt. 


Einleitung. - 11 


Lolybios allgemeiner Geſchichte, Vol. III Überfegungen der Kommentare Cä— 
ſars, der Inftitutionen de8 Vegetius, der Feldhermtunft des Onefjander, 
der Inftitutionen Kaijer Leos, der Stratagemata Frontins und der Kriegs— 
fiften Bolyains nebjt einem Anhange ſolcher Kriegsliften, welche ſich in den 
Berlen moderner Autoren verzeichnet finden. 

Die ım 16. und 17. Jahrhundert hergeftellten Driginalaus- 
gaben der griechijchen und römischen Kriegsichriftiteller erjchienen den 
geiteigerten Anſprüchen der modernen Philologie nicht mehr genügend. 
Beruhten doch jowohl die Veteres scriptores wie Thevenots Sammlung, 
gleich all den andern Editiones principes der Renaifjancezeit, eigentlich 
immer nur auf eimem einzigen Manujfripte von oft ziemlich junger 
Herkunft, deſſen Angaben jelten kritiſch unterfucht worden waren. 

Da faßte der ausgezeichnete Philologe Haaje, der bei Bearbeitung 
jemes im Jahre 1833 erjchienenen» Buches über den „Stat der Lake— 
dämonier“ Veranlaſſung gefunden Hatte, jich eingehend mit dem 
Studium der antiken Taktik zu bejchäftigen, den Entjchluß, ein voll- 
jtändiges, kritiſch bearbeitete® Corpus de re militari veterum 
scriptorum herauszugeben. Er machte dazu, namentlich in den 
Bihliothefen von Paris, Straßburg und Heidelberg, umfafjende Bor: 
ftudien, als deren Früchte zwei für die Überficht und Quellenkunde 
der antifen Meilttärliteratur unvergleichlic) wichtige Abhandlungen 
erjchienen: die eine: „Über die griechifchen und römijchen Kriegs— 
ſchriftſteller“ in Jahns Neuem Jahrbuche (XIV. ©. 5 ff.), die andere: 
»De militarium scriptorum Graecorum et Latinorum omnium 
editione instituenda« jelbjtändig. (Berlin 1847.) — Haaſe hatte 
die Abjicht, jich für die Herausgabe mit einem Offizier zu verbinden ; 
leider aber iſt e8 nicht dazu gekommen; der Gelehrte ftarb i. J. 1867, ohne 
das geplante Unternehmen öffentlich in Angriff genommen zu haben?). 

Noch bei Haajes Lebzeiten ergriffen, zwei andere Männer den 
von ihm gehegten Gedanken: der Bhilologe Köchly verband fich mit 
dem Offizier W. Rüſtow zur Herausgabe der „Griechiſchen 
Kriegsjchriftiteller“, von denen 2 Teile in 3 Bänden erjchienen. 
(Xeipzig 1853—55.) 





1) Haafes wiſſenſchaftlicher Nachlaß ift 3. T. in die Hände eines mwaflentundigen jüngeren 
Gelehrten, bes Dr. 8. #8. Müller, zur Seit Kuftos an ber Kgl. Univerfitätsbibliothet zu Würzburg, 
übergegangen, der jich, feinen jüngften Verbffentlichungen zufolge, eingehend mit der griechiichen Militär- 
literatur beſchaftigt. Möchte e8 dieſer rüftigen Kraft gefallen, Haaſes großen Plan wieder aufzunehmen, 
und möchte es ihr beſchieden fein, denfelben zu Enbe zu führen! 


12 Altertum. 


Band 1 enthält poliorketifche und artilleriftiiche Werke (Bußdia unyanıza), 
nämlich de8 Aineias Bud von der Verteidigung der Städte, Herons umd 
Philons Schriften vom Geſchützbau, nebjt einem Anhange, welcher den artilles 
riftiichen Teil des Vitruvius (X, 13—15) und die Quellen für daß Geſchützweſen 
der zweiten antiten Artillerieperiode bringt. — Band 2 bringt nad) einer meifter- 
baften Einleitung über die Taftit der Ulten, die bier zum erjtenmale voll» 
ftändig gegebene Tattit des Asklepiodotos jowie die Theorie der Taktik von 
Ailian und zwei Stüde taktiichen Inhalt® aus KZenophon und Polybios. 
— Band3 ediert die bis dahin überhaupt ungedrudte Schrift eined anonymen 
Byzantiners über die praftiihe Statskunſt, d. h. über das Kriegsweſen, nebit 
dreifahem Anhange und den erflärenden Anmerkungen zu den drei Taktikern. — 
Der zweite Teil des Werkes (2. und 3. Band) entipriht aljo den Außkia aroa- 
znyıra der alten Manujfriptiammlungen. 

Mit Ausnahme einiger anhangsweiſe binzugefügter Opuscula, 
welche nur im der Driginaljprache mitgeteilt jind, gibt die Ausgabe 
alle Werke griechiich und deutſch und begleitet fie mit reichen 
Anmerkungen philologiſcher wie jachlicher Natur. Übrigens iſt 
der Nahmen auch dieſes Köchly-Nüftow’schen Unternehmens, ob— 
gleich von vornherein enger abgeitedt als der des Haaſe'ſchen 
Planes, nicht völlig ausgefüllt worden. Planmäßig follten nämlich) 
noch die Fragmente der griechischen Kriegsbaumeiſter (Athenatos, 
Philon, Apollodoros) jamt den einjchläglichen Kapiteln Vitruvs auf- 
genommen werden. 

„Da jedoch” (jo jagt das Vorwort ded 3. Bandes) „jelbjt die von uns im 
erjten Teile attentundig niedergelegte Reftauration der alten Artillerie nicht im 
ftande gewejen ijt, die gegenwärtig ziemlich einfeitig in Wortforidung, Wort: 
erflärung und Wortkritik verjenkte Philologie zu entjprechender Teilnahme zu 
erweden, jo bleibe die Vervolljtändigung diefer Sammlung der Zeit vorbehalten, 
wo wieder einmal ein gejunder, lebenskräftiger Realismus durd die Adern der 
Altertumswiſſenſchaft jtrömt.* — Inzwiſchen find die ‚beiden tüchtigen Forſcher 
auf immer dahingejhieden, und ihr Werk ift unvollendet geblieben, 

Das letzte Sammelwerf endlich, welches man gewiljermaßen als 
eine Erneuerung der Thevenot’schen Kollektion betrachten kann, it Die 
auf Veranlaffung Napoleons II. von Wejcher herausgegebene 
Poliorcetique des Grecs. Traites theoriques et Recits historiques. 
Paris 1867.) 

Diefe ſchöne Ausgabe enthält einesteild die theoretiihen Schriften bes 
Athenäos, Bitons, Herons und Apollodors über Kriegsmaſchinen und Poliorketik 
anderjeit8 Berichte über Belagerungen, welche antiken Hijtorifern entnommen 
find. Philon von Byzanz ift leider nicht aufgenommen, weil er in dem der Aus— 
gabe zu Grunde gelegten Parifer Athosmanuſkripte fehlt. 


I. Die Zeit der Republik in Hellas und in Rom. 13 


Becher gibt nur den Originaltert, bildet aber aud) alle erläuternden Figuren 
der Codiced mit minutiöjer Sorgfalt nad). Der in lateinifher Sprache geichriebene 
paläographiiche und kritiſche Kommentar bejchäftigt fih nur mit Feſtſtellung der 
Lesart, nicht mit der Saderflärung, bietet aber für den Vergleich der antiken 
Autoren des medanifch-poliorketifchen Gebietes den trefflichiten Anhalt. 


1, Bapifel. 
Die Beit der Republik in Hellas und in Nom. 


l. Gruppe. 
Von Homer bis zu Alerander. 


8 5. 

Unter den abendländtjchen Kulturvölfern find die Griechen das 
erite, bei welchem jich eine Wifjenjchaft vom Kriege entwidelt: Pallas 
Athene, die Vorkämpferin mit Speer und Schild, galt ihnen ja zugleich 
als Göttin höchſter menschlicher Erkenntnis. Während der Berjer- 
friege drängte fic) den Hellenen die Betrachtung auf, daß nicht ſowohl 
aus der Mafje als aus Zucht und Eumjtgerechter Führung die Kraft 
der Heere entipringe, und dieſe Wahrnehmung brachte das Griechenvolf 
bet jeinem Hange zur Abjtraftion bald auf die Elemente der Heeres- 
bildung und Taktik, welche dann in der Folge jyitematijch verbunden 
und zu einer Theorie der Kriegskunſt ausgejtaltet wurden. — Nun 
haben werdende Wiljenjchaften jich jederzeit gern mit dem Glanze 
bereitS berühmter Namen geichmüct, und jo priefen denn auch die 
Strategen Griechenlands als erjten Lehrer der Kriegskunſt den alten 
Vater Homeros, dejjen „Ilias“ den Sänger ja unzweifelhaft als 
einen Mann erfennen läßt, der Kriege nicht nur erlebt, jondern mit 
durchgefämpft hatte und m ganz umgewöhnlichem Maße die Fähigkeit 
beſaß, Waffentaten anjchaulich und klar darzuftellen. — Aus der 
Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr. find uns drei merkwürdige Beweije 
für die damalige Geltung des Homer als Lehrer der Kriegskunſt 
aufbewahrt. Arijtophanes weiſt in feinen „Fröſchen“ auf den 
Rusen edler Dichter mit folgenden Worten hin: 


14 Altertum. I. Die Zeit der Republifen. 


Denn Orpheus gab uns Heilige Weih’n und lehrte den Mord uns verabiheu'n : 
Mujaios brachte der Heilkunſt Trojt und Orakel; Hefiodos lehrte, 

Wie die Felder bebau’n, wie ernten und ſä'n, und der göttlihe Sänger Homero8 — 
Was ehrt man ihn Hoch, was ijt jein Ruhm, wenn nicht, daß er Großes gelehrt hat: 
Schlahtordnung, Gejeht, Mut, Bappnung des Heer3? 

Der Rhapjode Jon behauptet in Platons gleichnamigen; Dialoge: 
wer ein guter Rezitator jet, der jet auch ein guter Feldherr, umd 
erwidert auf die Frage des Sofrates „biſt auch du als Feldherr, 
o Son, der bejte unter den Hellenen?“ ganz naiv: „Gewiß, und zivar 
nachdem ich es aus den Dichtungen des Homeros gelernt habe!“ 
— Genau jo rühmt jich in Kenophong „Sympofion“ ein gewiſſer 
Niferatos, die Befähigung zum Feldheren und zum Lehrer der Kriegs 
funjt zu haben, wetl er den ganzen Homer auswendig wiſſe. — Zu 
Aleranders des Großen Tagen fand die Taktik des Homer bejondere 
Bearbeiter. — Ailianos behandelt (100 n. Ehr.) in jeiner „Theorie 
der Taktik“ den Homer als Schöpfer diejer Wiſſenſchaft, und nicht 
minder beginnt Bolyatnos (163 n. Ehr.) jein Stratagematifon mit 
jenem frühejten Herolde der griechiichen Kriegskunſt.!) 

Auch die Neueren haben jowohl die hohe militäriiche Begabung 
Homers anerkannt, als aus jeinen Dichtungen das Wejen der ältejten 
griechischen Kriegskunſt zu erkennen verjucht, jo namentlich Buyjegur in 
jeinem Art de la guerre (Paris 1749, p. 6 ff.), und wenn Paul: 
Louis Courier in einem Briefe an Villoiſon (1805) äußerte: 
«Home£re fit la guerre, gardez-vous d’en douterl C’etait la 
guerre sauvage. Il fut aide-de-camps, je crois, d’Agamemnon, 
ou bien son seeretaire» ... . jo findet er fich durchaus in Überein- 
jtimmung mit Napoleon I., der geradezu ausſprach: «Quand on lit 
'Iliade, on sent a chaque instant qu’Homire a fait la guerre et 
n'a pas comme le disent les commentateurs passe sa vie dans 
les ecoles de Chio... Le journal d’Agamemnon ne serait pas 
plus exact pour les distances et le temps et pour la vraisemblance 
des operations militaires, que ne l’est son poöme»?). — Bis 
auf unjere Tage herab find namentlich deutiche Gelehrte bejchäftigt 
gewejen, die „Realien“ der homerischen Dichtungen auszujcheiden und 
rejtzuitellen, auch in Hinficht auf das Kriegsweſen. 





1) Uber die von Aelian erwähnten Bearbeiter der homeriſchen Taktik oben vol. 3 1. 
” Bol. Sainte-Beuve: Le premier livre de l’Eneide (Revue contemporaine XXVIII. 
1856, p. 338.) . 


1. Bon Homer bis Alexander. 15 


Ich nenne hier: Heyne: Homerausgabe (Leipzig 1802, Exkurſe IV, 654—668, 
v, 393—402), Köple: Das Kriegsweſen der Griechen im heroiſchen Zeitalter 
(Berlin 1807), Hopf: Das Kriegsweſen im heroiihen Beitalter nah Homer 
(Brogr. des Gymnaf. zu Hamm 1847 und 1858), Friedrich: Realien in der 
Ddyjiee und der Ilias (Erlangen 1856), Buchholz: die homerijchen Realien II 
(Leipzig 1881) und endlich die höchſt einfichtige Unterfuhung von Albradt: 
Kampf und Kampfihilderung bei Homer (Blg. zum Jahresber. der Landesſchule 
Pforta 1886). 

Heutzutage wird wohl niemand mehr den Dichter als einen 
Vertreter der Kriegswijjenjchaft gelten laſſen. Wie ‘vollendet 
far und klaſſiſch auch feine Darjtellung von Heerwejen und Bewaff- 
nung, Kriegsrat und Truppenaufſtellung, Befejtigung und Flotten- 
wejen immerhin jein mag, jo trägt er dieje Dinge doch keineswegs 
methodijich vor. In Bezug auf die Kampfweiſe jchildert Homer in 
den wagenfämpfenden Helden eine zu jeiner Zeit bereit verſchwundene 
Raffengattung; aber die von ihm ausgemalte Fußvolkstaktik ift 
diejenige jeiner eigenen Zeit. 

Seit Einwanderung der Dorer in den Peloponnes war die Fechtart 
diejes zu Fuß kämpfenden Siegervolfes Borbild aller Griechen ge 
worden und bald zu fait ausschließlicher Geltung gelangt. Grundform 
der doriſchen Taftif aber ift die von Homer mehrfach (namentlich 
Ilias XVI, 212—218) anjchaulich gejchilderte Hopliten-Bhalanr, 
d. 5. die Zujammenjtellung jchwergerüjteter Spießträger in Dicht: 
gedrängte Gewalthaufen. „Phalanx“ heißt wörtlich „Walze“!), und 
damit it das Weſen einer jchweren Striegermaffe, welche, langjam 
und wuchtig vorwärtsdringend, alles Entgegenitehende vor jich nieder: 
wirft, trefflich bezeichnet. Um ihre Aufgabe löſen zu fünnen, bedurfte 
die Bhalanr bis zum Augenblide des Zujammenjtoßes vollftommenjter 
Ordnung und Gejchlofjenheit, deren Vorausſetzungen gute Mannes 
zucht und ruhige Haltung waren. Dieje Eigenjchaften preift denn auch 
Homer bereit3 als unterjcheidende Merkmale hellenischer Kampfweije 
von der der Barbaren. (SI. III, 1—9, IV, 427—431.) 

Die phalangitische Hoplitentaktit hat Griechenland unter dem 
Bortritt Spartag bis über die Zeit der Berjerfriege hinaus mehr 
oder minder jtreng innegehalten, und auch noch in den Tagen des 
Berifles richtete jich die Aufmerkſamkeit lediglich auf Entwidelung 





1) Bei Herobot (III, 97) um 450 v. Chr. hat yalayz die Bedeutung „rundes Stammholz“ bei 
Selonius von Rhobus (II, 843) um 250 v. Chr. ausgeiprocdhen bie von „Walze“. 


16 Ultertum. I. Die Zeit der Republifen. 


und Durhbildung der Evolutionen innerhalb der Phalanz, aljo auf 
elementartaktische Werbefferungen. An eine grundfägliche Anderung 
der altüberlieferten chriwürdigen Schlachtordnung dachte fein Menjch. 


86. 

Die Verjchtedenheit der griechtiichen Statsverfajjungen hatte 
natürlich auch mannigfache Abweichungen der Heer: und Wehrordnungen 
zur Folge; eines aber war doch alleır Hellenen gemeinjam: jeder 
Mann, der als Bürger Geltung erlangen wollte, mußte aud) Geltuna 
haben als Krieger. Innig durchdrang ſich in der Jugenderziehung 
die Ausbildung im kriegeriſcher Tüchtigfeit mit der in Wifjenjchaft 
und Kunst, und dieſe Verbindung, von der jedes einzelne Gymnaſium 
Zeugnis ablegte, erhob jich in den nationalen Feitjpielen zu Olympia, 
zu Pytho, am Iſthmos zu einem über alle Stammesverjchiedenheit 
hinausgehenden Ausdruck des gejamtgriechiichen Wejens. 

Eme Weiterführung der gymnaſtiſchen Borbildung geſchah in 
Hellas frühzeitig jchon durch die jogen. Hoplomadhie.’) Die örrko- 
uayoı waren Fechtmeiſter, welche Schauvoritellungen in virtuojer 
Handhabung der gewöhnlichen Waffen gaben, auch wohl Verbejjerungen 
an diejen vornahmen und Schülern ihre Fertigkeiten überlieferten. Den 
Hauptichauplaß ihrer Wirkſamkeit fanden jie in dem eigentlichen Söldner- 
bezugsgebiete Griechenlands, in Arkadien, und aus diejer Landichaft 
gingen auch wohl die meisten Hoplomachen hervor. Während nım die einen 
ihre Künſte aufs äußerſte zu jteigern juchten und fich durch un— 
praftiiche Übertreibungen nicht jelten gerechtem Spotte ausjeßten, 2) 
ichlofjen andere an den Unterricht in der Waffenführung auch den 
in der Exerzierfunit, in der Aufitellung und den Evolutionen der 
Phalanx an, und juchten auf diefem Gebiete feite Grundjäge zu finden 
und zur Geltung zu bringen. Bald werden die Bezeichnungen Hoplo— 
machos und Taktikos als gleichbedeutend gebraucht,?) und nicht 
lange, jo wird die Taktik (razrıza), die Heerordnungskunft, als 
eine eigenartige Disziplm begriffen.*) — Sobald dies aber gejchah 


ı) oıdor = Waffe; örkouayda = Kunft der Waffenführung. 

9) Vgl. die Anefdote von dem Wechtmeifter Stefileos bei Platon (Lade. 183 D— 184 A). 

») Ebd. 182 B; Xenoph. Anab. II. 1,7. 

% Tarısıy = ordnen, aufftellen; rayua = das Georbnete, die Heerſchar; rayos — ber Be 
fehlähaber;; , raxrız) =die Kunft, eine Heerihar zu ordnen. 


1. Bon Homer bis Alerander. 17 


bemächtigten jich ihrer auch die Sophiften. — Die älteften Namen 
tafttjcher Lehrer, welche uns erhalten blieben, find die eines Brüder: 
pares: Euthydemos und Dionyfodoros!), von denen leßterer bereits 
als Lehrer der Strategif (orgarıyeiv) bezeichnet wird?). 

Nach Sparta, dem Heimatjige der hellenischen Elementartaftif 
zu fommen, hüteten fich die militäriichen Wanderlehrer; dort hätten 
fie fein Glück gemacht?); deito beffer gelang es ihnen m Athen, und 
als 3. B. Dionyjodoros im Jahre 423 v. Chr. dorthin fam*), empfahl 
jogar Sofrates einem jeiner Zuhörer, von dem er wußte, daß er fich 
um die Feldherrnwürde bewarb, den Unterricht des Taftifers nicht 
zu derfäumen?). 

Er ridtete folgende Worte an ihn: „ES ift denn doc eine Schande, junger 
Mann, wenn einer Feldherr werden will und, fall® fid) Gelegenheit darbietet, 
fi) dazu zu bilden, gar feinen Gebraud) davon macht. Darauf würde noch weit 
eher Strafe gehören, als wenn jemand Beitellungen auf Statuen annähme, ohne 
die Bildhauerkunft gelernt zu haben. Dem Feldherrn ift im Kriege des ganzen 
States Scidjal anvertraut ... Sollte da nicht derjenige mit Recht beftrait 
werden, der zu bequem iſt, die Kunjt eines Feldherrn zu erlernen und ſich doc 
alle Mühe gibt, zu diefem Amt erwählt zu werden ?“ 

Die Sophiften hielten ſich offenbar zunächjt ganz an das Mechanifche 
der Taktik, wie es der Neigung der Griechen zu anjchaulicher Demon 
itration und dialeftiicher Disputation bequem entgegenfam. In höherem 
Sinne faßten den Gegenstand erjt jolche Weije, die, gleich Sokrates, 
jelbft tüchtige Krieger waren. Sie erfannten, daß die Taktik nur 
einen Teil der Feldherrnkunſt ausmache, und bejtrebten ich, den 
Umfang derjenigen Kenntniſſe feitzuftellen, welche in ihrer Gejamtheit 
die Kriegsmwiffenjchaft bildeten. Für jene Haltung der Sophijten wie 
für die höhere Auffafjung des Sofrates gibt die Fortjegung der 
Erzählung von Sokrates und dem Schüler des Dionyjodoros ein 
anichauliches Beifpiel. 


1) Bol. Weller: Kleine Schriften II, ©. 443; Winlelmann: Zu Platos Euthydem. 
©. XVIII—XXX; Eron: Zu Platos Laches. Einleitung 835; Schanz: Beiträge zur borjolrat. 
Bhilojophie I, ©. 59; Boni: Platon. Studien ©. 127 und Hug: Aeneas von Stymphalos ©. 17. 

) Iroatıd = Kriegäheer ; orgarnydg = Heerführer ; orgarnyda Feldherrnamt und Feld— 
berrnwiſſenſchaft (nad) dem Sprudie : Gibt Gott dad Amt, fo gibt er auch Verftand !) 

) Blaton Laches 188 BB. 

4) Diefen Zeitpunkt berechnet Nitjche: Abfaſſung von Zenophons Hellenila ©. 31. 

5) Zenophons Anourynuovevuare;, Erinnerungen an Eoltates III, 1. — Dieje „Memora- 
bifien” find ein Gewebe fotratifdj.genophontijcher Weisheit, deren 3. Buch vorzugsweife Auslaffungen 
aber Feldherrnkunſt und Staatäfunft enthält. 

Jahms, Geſchichte der Kriegswiſſenſchaften. 2 


18 Altertum. I Die Zeit der Republifen. 


Die Borftellungen bes Sokrates hatten ihren Zweck nicht verfehlt; der Jüng- 
ling hatte Unterricht genommen. Als er fi nad) Beendigung desjelben wieder 
einfand, jagte Sokrates fcherzend ): „Ihr wißt Freunde, daß Homer jeinen Aga- 
memnon ehrwürdig nennt; fommt euch nun nicht aud) diefer, jeitdem er die Feld— 
herrnkunſt erlernt hat, ehrwürbdiger vor? Wer die Bither zu fpielen gelernt Bat, 
ijt, auch wenn er nicht gerade fpielt, doc ein Bitherfpieler, und wer die Heilkunde 
erlernt hat, ift, auch wenn er fie nicht eben ausübt, immer ein Arzt: jo bleibt nun 
diejer zeit feines Lebens ein Feldherr, auch wenn ihn feine Seele dazu wählt. 
Wem dagegen die Kenntnifje fehlen, der ift fein Feldherr und fein Arzt, möchte 
ihn gleich die ganze Welt dazu erwählen.“ — „Aber“, fo fuhr Sokrates, ih an 
den Jüngling wendend, fort, „es könnte ja wohl einer von und Unterführer bei 
dir werden; damit wir und nun auch befler auf das Kriegsweſen verjtehen, fo 
fage ung do: wovon ging dein Zehrmeifter bei feinem Unterrichte in der Feld— 
herrnkunſt aus?“ „Eben davon“, antwortete jener, „womit er aud) den Beſchluß 
madte; er lehrte mich Taktik und fonft nichts!“ — „Da gehören ja aber“, 
entgegnete Sofrates, „noch taujend andere Dinge zur Feldherrntunft: die Sorge 
für Kriegs» und Lebensmittel und die Ausbildung vieler perſönlicher Fähigkeiten. 
Denn ein Feldherr muß erfinderiih an neuen Plänen fein, frudtbar an jchnellen 
Lichtblicken; thätig, forgjam und ausdauernd in Strapazen, muß er Güte mit 
Strenge, Offenheit mit Verſtellung, Vorſicht mit Verwegenheit, Yreigebigfeit mit 
Sparjamkeit verbinden, jcharfblidend des Feindes Blößen erfennen, voll Auf— 
merfjamfeit die eigenen deden.... Freilich ijt e8 gut, wenn er aud Taktik 
verjteht. Ein geordnete Heer ift unendlich viel mehr wert als ein ungeordnetes . 
denn jowenig ein durcheinander geworfener Haufe von Steinen, Hol; und 
Biegeln ein Haus bildet, in dem man wohnen kann, ebenfowenig vermag man 
ein ungeordneteö Heer zu verwenden... Aber lehrte der Meifter did nur bie 
Kunft, ein Heer in Schladhtordnung zu ftellen, nicht auch, wie und wo jeder ein- 
zelne Zeil des Heeres zu gebrauden ſei?“ — „Das leptere lehrte er eigentlich 
nicht.“ — „Und doch gibt e8 eine Menge von Fällen, in denen die übliche 
Schladtordnung im Gefecht wie auf dem Marſche den Umftänden nad) geändert 
werden muß.“ — „Wahrhaftig, davon brachte er mir feinen Begriff bei!” — „So 
bitte ich did, gehe wieder hin und frage ihn. Denn wenn er es weiß und nicht 
aller Scham bar iſt, muß er erröten, für das Geld, das er befommen, dich mit 
einem jo mangelhaften Unterrichte abgejpeift zu haben.“ 

Immer wieder kommt Sokrates auf die VBieljeitigfeit der 
von einem Feldherrn zu erfüllenden Pflichten zurüd. 
Er erinnert daran, daß Homer den Heerführer der Griechen einen 
Hirten der Völfer nenne, womit auf die Pflicht guter Ernährung 
und richtiger Führung des Heeres Hingedeutet jei?); bis in Die 





ı) Des Stonfliftes, in welchen die Kriegskunſt mit der Moral tritt, namentlich durch die An- 
wenbung ber Lift unb der Grauiamfeit, ift fi die Sokratik vollfommen bewußt und geht ihr burdh- 
aus nicht aus dem Wege. (Bol. Zenophon, Syropäbie I, 6, 27.) 

” Memorabilien III, 2. 


1. Bon Homer bis Alerander. 19 


Einzelheiten hinein jet er einem zum Neiterführer erwählten Manne 
die Aufgabe diefer Stellung auseinander !); bis zur Übertreibung 
preiit er dem Nikomachides den Wert der Haushaltungskunjt für die 
Ausübung des Feldherrnamtes ?), und mit Begeijterung weilt er den 
Sohn des großen Berifles auf die Macht moralifcher Impulje bet der 
Führung des Heeres hin und erläutert ihm mit überrajchender Einſicht 
den Einfluß des Geländes auf die Kampfformen und den damals noch 
wenig anerkannten Wert eines tüchtigen leichten Fußvolks ®). 


87. 

Der würdige Schüler des Sofrates, dem dieſer jelbjt einſt im 
der Schlacht das Leben gerettet, ijt zugleich der der Zeit, dem Werte 
und der Wichtigkeit nach erjte Kriegsjchriftiteller und der erjte taftijche 
Reformator der Griechen: Xenophon, de3 Gryllos Sohn, der um 
444 v. Chr. zu Athen geboren wurde. 

Der Umgang mit Sokrates und die Teilnahme am peloponnefifchen Kriege 
reiften ihn. Nicht aus Soldgier, jondern in ritterlihem Tatendrange und voll 
aufrichtiger Bewunderung für den jüngeren Kyros nahm er die Dienjte dieſes 
Berferfürjten, und al’ die friegeriiche Energie und befonnene Kühnheit, welche das 
damalige Griehentum noch bejeelten, oifenbarte Zenophon, al® er nad) der unglüd« 
liden Schladt von Kunaxa (401) und nad) der Hinterliftigen Ermordung der 
Feldherrn des helleniihen Hilfsheeres die Führung der zehntaujend Griechen auf 
ihrem glorreihen Rüdzuge übernahm. Bon den Athenern, vermutlich wegen feiner 
Neigung für Sparta, verbannt, ſchloß Zenophon fi) zunächſt an Wgefilaos, ben 
bochbegabten König der Spartiaten, welcher damals (396) in Kleinafien Lorbeer 
pflüdte und als erjter der Griechen den Gedanken fahte, das morſche Perjerreidh 
zu ftürzen. Nach dem der Schladt von Koroneia folgenden Friedensſchluſſe gaben 
die Spartaner dem Zenophon bei Olympia Aſyl und Befig, doch feinen Wirkungs— 
frei, und dieſem Umjtande, der ihn anfangs jehr unglüdlid) machte, verdanken 
wir jeine Schriften: die edlen Früchte einer faſt fiebzehnjährigen ländlichen Mußet). 

Die ältejten der Werke Xenophons find vermutlich die jchon 
erwähnten „Erinnerungen an Sokrates“; dann aber jchilderte er im 
der Anabaſis (Kigov aveßaoıs) die Großthat jeines Lebens, den 


ı) Memorabilien III, 3. *) Ebd. 4. °) (Ebd. 5. 

*) Gejamtausgaben der Werte Zenophons: Die Editio prima completa (Hal. Suev. 1540) 
erfreut fich einer Borrede von Phil. Melanchthon. Ausg. von Dindorf (Baris 1839), Borne» 
mann (Gotha 182854) und von Schenkl (Berlin 1866). Griechiſch und deutich (Leipzig, Engelmann , 
1856, 1881). — Deutich in der Oſiander⸗Forbigerſchen Sammlung (Stuttgart 1354—72). 

Über Zenophons Reben: Krüger: De Xenophontis vita quaestiones eriticae (Halle 
1322), Ranle: De vita et scriptis Xenophontis (Berlin 1851) und Rüftomw: Militäriiche Bio» 
grapbien I (Hürich 1858). 





2* 


20 Altertum. I. Die Zeit der Republifen. 


Rückzug durch JFAſieny. Dies jchöne Werk, welches Kühner (ſ. u.) 
„ein ewige Zeugnis von der Obmadt der Ziviltjatton über Die 
Barbarei“ nennt, it voll bejcheidener Zurüdhaltung. Nirgends jtellt 
ji) der Autor, wie etwa Cäſar in den SKommentarien oder gar 
Napoleon in jeinen Bulletins, als den eigentlichen Urheber der 
Erfolge dar, jondern Ddieje werden der Volksart, der nationalen 
Bildung zugeichrieben. 

Und dennoch ift Kenophon offenbar mehr als einmal der Retter 
jeiner Gefährten geworden, und ummvillfürlich leuchtet ja auch überall 
jeine herrliche Natur durch: ſein jcharfes und ficheres Urteil, jeine 
Geijtesgegenwart, jeine Umgangskunft, jeine Überredungsgabe, jene 
Selbjtverläugnung und jein großes militärtsches Talent. — In 
Ihlichten, unmittelbar dem Kriegstagebuche entnommenen Worten 
werden die gegen das übermächtige PBerjerheer angemwendeten Kampf- 
formen auseinandergejeßt, und eben in Bezug auf dieſe verdient Die 
hohe Unbefangenheit hervergehoben zu werden, mit welcher Kenophon, 
diejer eifrigite Anhänger dorischer Fechtweije, die hergebrachte Form 
derjelben, die gejchloffene Phalanx, ruhig aufgibt, jobald er erkennt, 
daß in dem gegebenen Falle andere Formen bejjere Dienjte leiten 
fünnten. Er jelbjt jpricht fich darüber bet Gelegenheit des Angriffes 
auf einen von den Kolchiern bejegten Gebirgszug mit bewunderungs- 
wirdiger Natvetät und Klarheit aus. (Anab. IV; 8, 9—10.) 

„Eine geichlofiene Phalanx“, jo jagt er, „muß fi) Hier doch bald von jelbft 
breden; an einigen Orten wird der Berg gangbar fein, an anderen nidt. Ber 
Krieger, angewiejen, in ununterbrodener Ordnung zu fechten, wird den Mut 
verlieren, jobald er bemerkt, daß Zwiſchenräume in der Phalanr entjtehen. 
Rüden wir eng zujammengepreßt in tiefer Mafje an, jo werden die Yeinde ung 
überflügeln; breiten wir ung zu dünner Linie aus, jo darf e8 niemand wundern, 
wenn dieje bei der Menge der Barbaren und ihrer auf und niederftürzenden 


Pfeile irgendwo zerrifien wird. Dringt aber der Feind auch nur auf Einem 
Punkte dur, jo ift das ganze Heer gejhlagen. — Meine Meinung ift daher: 


ı), Yusgaben von Krüger (1826, Berlin 1871), Kühner (Gotha 1852), Hertlein 
(Leipzig 1857), und Bollbredt (7. Aufl. Leipzig 1881. Mit milit. Einleitung, Anmerkungen 
und Karten). — Franzdöjifch von Eomte de la Luzerne (1770), abgebrudt in Liskennes und 
Sauvans Bibliotheque militaire (Paris 1835). Deutſch von Grillo (Frankfurt 1781, 1816), 
Halblart (Jena 1804), Bothe (Leipzig 1810), Tafel (Stuttgart 1871), Oberbreyer (Leipzig 
1878.) — Bal. Koch: Der Zug der Zehntauſend (Leipzig 1850), Hersberg: Der Feldzug ber zehn: 
taufend Griechen (Halle 1870), Streder unb Kiepert: Bur geographijchen Erllärung bes Rüdzuges 
durch das armenijche Hochland (Berlin 1870). Kiepert: Nachträgliches zu Zenophons Rückzug. 
(Beitihr. d. Gef. f. Erbfunde XVII, ©. 388 f.) 


1. Bon Homer bis Wlerander. 31 


jwar auf einer Linie, aber in mehreren einzelnen Haufen anzugreifen und zwifchen 
diejen foviel Raum zu lafjen, daß unfere Truppen den Feind rechts wie links 
überflügeln. Jeder Haufe nimmt die tüchtigften Leute an die Spige und mar: 
ihiert da, wo der Weg gangbar ij. Schwerlid wird der Feind zwilchen die 
Kolonnen vordringen; denn er jepte fih damit Flankenangriffen aus; ſchwer 
dürfte e8 ihm aber auch werden, eine unferer Kolonnen zu werfen; denn der bes 
drobten und erjchütterten fämen die Nahbarn zu Hilfe.” — Kenophond Rat wurde 
befolgt. Man formierte die 8000 Schwergewafineten in 30 felbjtändige Kochen, 
welhe im Gegenjaße zu der in ihrer Gejamtheit viel flahheren Stellung der 
zuſammenhangenden Phalanx als „aufredite Scharen” (Aöyoı öpdroı) bezeichnet 
„wurden. Mit diefen Kompagnielolonnen ging man vor, nahm die Schützen und 
Leihtbewafineten teild auf die Flügel, teild vor die Mitte und gewann jo die Höhe, 

Dies Verhalten ift von ebenjo großer wifjenjchaftlicher Wichtigkeit, 
wie e8 vom praftiichen Erfolge begleitet var. Es bedeutet den be 
wußten Fortſchritt von dem ftarren Nebeneinander zum beweglichen 
Miteinander, zum Jneinandergreifen. Dieje Eleinen, gemeinjam vor: 
gehenden und jich unterjtügenden Kolonnen — was jind fie anders, 
al3 die Manipel der römtichen Legion, deren taktiſcher VBorzüglichkeit 
die Phalanx der Griechen jpäter im weltgejchichtlichem Ringen erlag !)! 
Und in einem anderen Augenblide, bei dem Kampfe gegen Pharna- 
ba308, ijt es ein weiteres Element der künftigen römiſchen Überlegenheit, 
durch welches der kluge Athener jiegt: das Element der Nejerve, 
welches die Phalangentaktik eigentlich grundjäglich verichmäht (Anab. VI, 
5, 4-33). — In alledem war Xenophon freilich jeiner Zeit jo weit 
voraus, daß er faum Nachfolger fand; aber fein Verdienſt, dieſe Fort— 
ihritte wenigſtens für den Augenblick durchgejegt und fie dann literarijch 
firiert zu haben, muß um jo höher angejchlagen werden, als er jonft 
in Stat3- und Kriegsweſen überall den altertümlichen Formen des 
Dorismus Huldigt. 

Aufrichtiger Bewunderung des Dorertums entiprang Xenophons 
Buh vom State der Lafedaimonier (Aanedaruoriov zrolt- 
reia) ?), allerdings nur eine Skizze, die jedoch recht anjchaulich ijt, und 
deren 11., 12. und 13. Kapitel, welche die Grundzüge der doriſchen 


1) Huch in der Kprupaibie (vgl. unten) fommen (III, 2, 6) bie öoYıoı Adyoı vor. 

7) Ausg. von Haaſe: De repnbl. Lacedaemoniorum Berol. 1833, mit Erläuterungen 
über lafebämonifche Taltil. — Das 11. bis 13 Kapitel deurfch von Ehriftian: Zur Iafebäm. Taktik; 
griechiſch und deutſch von Köchly und Rüftorm in den Griech. Kriensichriftftellern II, 1. Abtlg. ©. 109 
bis 118. — Die Autorichaft Zenophons Hinfichtlich dieſes Wertes ift beftritten worden, doch hat neuer» 
dings Naumann jeine Echtheit mit überzeugenden Gründen, bejonder# ſolchen fprachlicher Natur, geftüßt, 
(De Xen. libro qui Aax. ol. inscr. Berol. 1876.) 


22 Altertum. Js Die Zeit der Republiten. 


Taktik darlegen, bei weitem das Beſte find, was uns über die ältere 
Hoplitentaftif erhalten ift. 

Bon Bedeutung find auch der Abjchnitt über das Lagerweſen, fowie der 
über die Befugnifje des Königs und feines Stabes; überall aber tritt des Ber- 
faſſers freudige Anteilnahme an den Einrichtungen des merkwürdigen Militär- 
ftates hervor. 

Iene Voreingenommenheit beeinflußt auch Zenophons Geſchichts— 
auffaffung und daher tragen feine "EAAnvırna den Stempel der 
Barteilichfeit!). Sie verhalten fich zu dem Werfe des Thufydides, 
welches fie fortjegen, ungefähr wie die Dramen des Euripides zu, 
denen des Sophofles ?). 

Die beiden erjten Bücher führen die Gejchichte de peloponnefishen Krieges 
zu Ende; die fünf folgenden jhildern die Ereignifie bis zur Schlaht von Man— 
tineia und bejtreben fi), an dem Beijpiele des Ageſilaos das Wefen der echten 
Feldherrnkunſt zu erläutern, jowie Sparta mit feiner militärsoligardifhen Ver- 
fafjung vor allen anderen griehijchen Staaten und Regierungsformen hervorzu— 
heben. liber Epameinondas und Pelopidas beobadten die Hellenifa ein fehr be= 
redtes Schweigen; ganz zu Ende erjt lafien fie dem Feldherrntalente des erjteren 
Gerechtigkeit widerfahren. Höchſt befremdlich aber ift die Spärlichkeit und Dürftig- 
feit der Nachrichten über die doch jo bedeutjamen organiſatoriſchen und jtrategifch- 
taktifhen Reformen des Sphikrates und der großen Thebaner. Man könnte darin 
eine Bejtätigung der Meinung ©. Schneider und des Neugriehen Kyprianos 
finden, daß die Hellenika, jowie fie vorliegen, nur ein Auszug aus dem Originale 
Xenophons jeien. 

Der Feldzug nach Perſien hat endlich dem Kenophon die An— 
regung zu jeinem berühmtejten Werk gegeben, zur Kyrupaidie 
(Kioov sraudeia), einem Qendenzromane, in welchem er das Ideal 
eines nach jofratijchen und lakoniſchen Begriffen gebildeten Herrichers 
aufitellen und an der Gejchichte diejes von Feind wie Freund gefeierten 
Helden feine Theorien über Statswejen und Kriegskunſt darlegen wollte®). 
In mancher Hinficht it dies Buch dem Tel&emaque des TFenelon 
geiltesverwandt, namentlich injoferne es im Gewande des Romans ein 
wiljenjchaftlich durchdachtes Erziehungsiyitem für einen Prinzen aufzu- 
itellen verjucht, wobei Kenophon allerdings den Hauptnachdruf auf 


ı) Ausg. von Krüger (Berlin 1871). Deutfh von Tafel (Etuttgart 1871). 

2) Thuky dides kann nicht unter bie ‚Kriegsichriftfieller gerechnet werben; inbeffen bringt 
fein unfterbliches Werk (Ausg. v. Claßen, Berlin 1877 ; deutich von Wahrmund, Stuttgart 1867) über 
ben peloponnefifhen Krieg eine Hülle höchſt wichtiger militärischer Nachrichten, die freilich alzuwenig 
ins Einzelne gehen. — gl. Sch wartz: Ad Atheniensium rem militarem studia Thucydidea. fiel. 

») Ausg. von Breitenbach (Leipzig 1869). — Franzöfiih von Gail in Liskennes und 
Sauvans Bibl. milit. I (Paris 1835). Deutſch von Dörner (Stuttgart 1865) fund von Walz 
(ebd. 1871), 





1. Bon Homer bis Alerander. 93 


die militäriiche Erziehung legt, jo daß man die Kyrupädie als 
das ältefte Dokument methodijcher Kriegspädagogif bezeichnen darf. 
As echten Schüler des Sofrates zeigt ſich Zenophon, wenn er auf 
die Mannigfaltigfeit der Kriegswiſſenſchaften hinweiſt und darlegt, wie 
ihre Teile inemander greifen. 

„Ich erinnere mich“, jagt 3. B. Kyros zum Kambyſes „dab ich dich bat, 
meinen Lehrer in der Kriegskunſt zu belohnen. Du fragteft mid) darauf, ob 
jener Lehrer mir auch Unterridt in der Heereöverwaltung gegeben habe; denn 
die Truppen hätten Bedürfnifie, für welche man jorgen müſſe, wie ein Hausvater 
für die Glieder feiner Familie. Ich geftand, daß mein Lehrer mit fein Wort 
davon gefagt hätte... Du fragtejt ferner, ob mein Lehrer die Mittel erwähnt 
habe, Kraft und Gejundheit der Krieger zu erhalten, fie zum Dienfte gejchidt zu 
machen, ihnen guten Willen und Gehorfam einzuflößen. Ich wiederholte dir, daß 
er mir nur die verjchiedenen Schladhtordnungen auseinandergejept Habe, und du 
lachteſt! — Wozu nüßt es, fagteft du, ein Heer in Schladtordnung jtellen zu 
fönnen, wenn ed Mangel leidet, wenn Krankheit e8 heimfucht, wenn die Truppen 
ohne Übung find, wenn fie die Formen des Marfches bei Tage oder bei Nadit, 
auf freier Ebene oder in Engwegen und Gebirgen nicht kennen, wenn jie nicht 
wifien, wie man ein Lager bezieht und bewadt, wie man ji ſchützt, falls man 
an einer feindlihen Stadt vorbeimarjcdiert, wie man fi gegen Reiterei und 
Bogner fichert oder wie man aus der Marſchformation in die Schlahtordnung 
übergeht... Du lehrteſt mich, daß die Anordnung zum Gefeht nur ein jehr 
geringer Teil der Wiſſenſchaft des Feldherrn jei.“ (I, 6, 12 ff.) 

In diejen Darlegungen find die erjten Anfänge der ver- 
Ihiedenen Kategorieen der Militärwijjenjchaften gegeben. 
— Eingehend, ja mit häufigen Wiederholungen entwidelt Kenophon 
in der Kyrupädie jene Anfichten über Bewaffnung, Taktik und 
Belagerungstrieg (Beiipiele: Sardes und Babylon), über das Ber: 
halten [der Feldherrn, das Betragen der Mannjchaften, die Kriegs: 
wirtichaft u. j. w. 

Interefiant ift e8, daß KZenophon die Befeftigung der Marſchlager, 
aljo einen antifen Braud, der uns, infolge der römischen Traditionen, geradezu 
Hafjiich ericheint, furzweg für eine Sitte der Barbaren erflärt. Dieje, deren 
Heere vorzüglich aus Reiterei beftanden, hätten jtet3 viel Zeit gebraudt, um ges 
fechtöbereit zu werden, namentlich auch deshalb, weil fie ihren Pferden (mie das 
ja noch jegt die Drientalen tun) die Füße gefeflelt hätten. Dies habe jie zur 
Zagerbefeftigung gezwungen; außerdem aber ſeien fie der Meinung geweſen, 
dab fie, verjchanzt, die freie Beftimmung darüber behielten, ob fie einen Kampf 
annehmen wollten oder nicht (Syrup. III, 3, 26). Xenophon hätte auch nod) der 
Mangelhaftigteit de Wachtdienſtes der Barbaren gedenken können, der, im 
Gegenjage dazu, bei den Griechen, zumal bei den Spartanern, auf das Vorzüglichſte 
ausgebildet und aufs ftrengjte gehandhabt war. (Stat der Lakedaimonier. XII.) 


24 Altertum. I. Die Beit der Republiken. 


Deutlich jpricht ich in der Kyrupädie des Verfaſſers Vorliebe 
für die alte doriſche Fechtart durch begeijterte Berherrlichung des 
Nahkampfes aus. Die blanke Waffe iſt dem Kenophon die Waffe 
der Edlen; Schleuder und Bogen jind ihm Sflavenwaffen; jeine 
idealen Perjer entbehren jogar des Spießes umd fechten mur mit 
Säbel und Streitart. Aber Zenophon weiß wohl: bloße Drejjur jei 
nicht im jtande, Fühnes Draufgehn und hartnädiges Handgemenge 
zu erzielen. Wo der Kampf Mann gegen Mann gedeihen joll, da 
bedarf e8 der Bürgertugend, der männlichen Erziehung. Auf jie 
legt er daher in der Kyrupädie bejonderen Nachdruck. Die Welt, 
welche ihn ſelbſt, zumal im jenen alten Tagen, umgab, war freilich 
eine ganz anders geartete, als die jeiner idealen Perſer; gerade 
damals trat der alte Hoplitenfampf in den Hintergrund; Söldner 
nahmen die Stelle der Bürger ein; jtatt des feierlich jtolzen Chor: 
ichrittes der Phalanx, welcher der Würde eines gejchlechterweije 
geordneten, ruhig dahinwandelnden Volkes entjprochen hatte, wird 
der Laufichritt üblich; Elitetruppen jondern ſich aus und geben Die 
Entſcheidung; nur noch als Rüchalt dient ihnen die Phalanı; Die 
Schützen gelangen zu großer Macht im Gefecht; die leichtbewaffneten 
Beltaften find einem Söldnerhauptmann wie Iphikrates, dem geſchickten 
DOrgantjator, ſchon von höherem Werte, als jeine Phalangiſten. — 
Xenophon als alter Praktiker erfannte das jehr wohl, und da Die 
Kyrupädie doch wejentlich lehrhaft jein jollte, jo trug er auch jenen 
Berhältniffen Rechnung und jtellte neben die mit den adligen Kurz: 
wehren gerüjteten Perſer Truppenkörper anderer Art, namentlich 
Leichtbewaffnete, Schügen und Reiter. Einmal (in der idealen Schlacht 
gegen Kroijos) läßt er jogar den Angriff der Hopliten in einer Wetje 
vorbereiten, welche unmittelbar an die Art erinnert, wie die römtjchen 
Legtonare den Einbruch mit dem Schwerte durch den Wurf Des 
Pilums vorbereiten. KKyrup. VI, 3, 34.) 

Kyrupädie und Anabajis lehren aber nicht nur, wie einfichtsvoll 
Xenophon auf Steigerung der Beweglichkeit der Heere hinarbeitete, 
jondern noch mehr, daß er den wahren Fortſchritt in organijcher 
Berbindung der Waffen erkannte. In dieſer Hinjicht erjcheinen 
die Schlachten, welche er jeinen Kyros jchlagen läßt, geradezu als 
Vorahnungen der Aleranderjchlachten. Dem entjpricht es, daß der 
große Athener, ganz im Gegenſatze zu jeinen Zeitgenojjen, bereits 


1. Bon Homer bis Alerander. 25 


vollanf die Bedeutung derjenigen Waffe zu würdigen wußte, mit welcher 
Alerander jpäter am wirkungsvolliten auftrat, die Bedeutung der 
Reiterei. Er hat ihr zwei bejondere Schriften gewidmet !). 
Kenophons Buch „Über die Reitkunft“ (ei ireruınng) ?) gibt 
in 12 Abjchnitten Anleitung zu Einkauf, Behandlung und Abrichtung 
der Pierde. 
Es beipricht Rafje und Temperament und würdigt anhangsweije die Bewaff- 


nung von Rob und Reiter. Eine Schrift Simons von Athen [$ 2] war Haupt- 
auelle für dad Bud ®). 

Das Werk über den Reiterbefehlshaber (Irrrapyızös) zerfällt 
ın 8 Stapitel®). 

1. Rekrutierung, Remontierung und Ausbildung der Reiterei; 2.—4. Eins 
teilung und Ordnung; 5. Vorfihtsmaßregeln und Kriegsliſten; 6. Mittel, ſich 
Achtung und Gehorjam zu verichaffen; 7. die Kunft, eine Landesverteidigung le— 
diglich mit Reiterei durchzuführen; 8. Daritellung der eigentlichen Gefechtätattif. 

Das Bud zeigt gute Kenntnis vom Weſen der Reiterwaffe. Großen Wert 
(egt e8 auf Terrainritte; vortrefflid find die Anweilungen für Sicherheits: und 
Aufklärungsdienſt; mande Einzelheit läht in dem Berfafier, der ja ein vorzüg- 
fiher Jäger war, aud) einen höchſt erfahrenen Reiterömann erkennen. — Xenophon 
ihrieb diejen „Hipparchikos“ in hohem Alfter, al3 die den Spartanern verbündeten 
Athener gegen Theben fämpften. E3 find Reformvorſchläge für die attijche Neiterei, 
in welche eben damals feine beiden Söhne eintraten, und jo erjcheint das Werk wie 
ein Pfand der Verſöhnung mit der Baterftadt, die in der That zu jener Zeit das 
Berbannungsdurteil gegen Xenophon zurüdzog. 

Bielleiht war dad Buch als Inſtruktion für feine Söhne Divdoros und Gryllos 
geihrieben, welche wegen ihrer vom Vater überkommenen Neigung zur Reit: 
funjt „die Dioskuren“ genannt wurden und welde nadı Aufhebung der Ber: 
bannung in der attifchen Reiterei gegen Theben fämpften. Dabei fiel Gryllos 
in dem Reitergefechte vor der Schlaht von Mantineia (362 v. Ehr.). 


Schon im Altertum jtand Kenophon als Striegsichriftiteller in 
höchjter Achtung. Die Kyrupädie war das Lieblingsbuch des Scipio 
Aricanıs und begleitete ihn auf allen Feldzügen. Dasjelbe wird 
von dem Burgunderherzog Karl dem Kühnen berichtet; wahrjcheinlich 
ft die im der Berner Bibliothek befindliche franzöſiſche Überjegung der 


1) Ausg. beider Stüde von Dindorf in Xenophontis scripta minora (Leipzig 1867) und 
von Eourrier mit franzöfifcher Uberjegung (Bari 1813). — Deutih, Frankfurt und Leipzig 1749. 

9, Mit Anmerkungen und deutſch v. Jacobs (Gotha 1826). 

) Simon war Berfafier eines Buchs über die Kennzeichen der Pferde (Inmooxonıxor Pıßllor 
Iavuasıor). Er ift wahricheinlich derfelbe Hippologe, deſſen Suidas nebentt. 

) Deutſch in v. Bourjcheids Hurs der Taktik und Logiſtik (Wien 1782) und von Ebriftian und 
Dorner, (Stuttgart 1869.) Bol. auch Maizeroy: Tableau général de la cavalerie grecque 
Maris 1780). 


26 Altertum. I. Die Zeit der Republilen. 


Kyrupädie von Vasque de Lucene 1477 vor Nancy in die Hände 
der Schweizer gefallen. 


8 8. 

Hatte Xenophon das im jofratiichen Kreiſe aufgejtellte Ideal 
eines Strategen in der Geftalt jeines Kyros romanhaft durchgeführt 
und inFeiner Monographie die Pflichten des Hipparchen theoretijch 
erläutert, jo trat nun ein Mann auf, welcher e8 unternahm, Die 
Andeutungen der Memorabilien und der Kyrupädie über das Wejen 
und den Wirkungsbereich eines Feldherrn jyitematijch auszuführen und 
ein Handbuch der Strategenkunſt zu ſchreiben). Diefer Mann 
war Aineias, der gewöhnlich den Beinamen „Taktikos“ führt und 
aller Wahrjcheinlichkeit nach identisch tjt mit jenem in den Hellenicis 
(VII, 3) erwähnten Aineias von Stymphalos, welcher im Jahre 
367 v. Chr. als Stratege des arfadiichen Bundes den Tyrannen 
Euphron aus Sikyon verjagte ?). — Sein Werk führte den Gejamttitel 
orgarnyıra Bıßkia und zerfiel in mehrere jelbjtändige Bücher. 

Daß 1. (Bud der Armierung) umfahte die Lehre von ber Beſchaffung ber 
Waffen und des Proviantes und von den dem Feinde entgegenzujtellenden An— 
näherungsbindernifien. Daß 2. Bud beihäftigte fi) mit der Beſchaffung der 
Geldmittel, auf deren hohe Wichtigkeit für den Krieg ja jhon Thufydides in 
jeinem Proömium bingedeutet hatte. Im 3. Buche, der „Schrift über das Lager- 
wejen“, war die Yehre von den Wadtpoften und Patrouillen bejonders ausführlich 
abgehandelt. Ein 4. Buch ſcheint weſentlich polizeilicher Natur gewejen zu jein 
und verräteriihe Anſchläge einzelner Bürger und Berhaltungsmaßregeln gegen 
folde bejprodyen zu haben. Das 5. Bud war wohl der militäriihen Beredſam— 
feit gewidmet, d. 5. es Iehrte die Kunft, den Truppen Aufmunterungd und 
Strafreden zu halten, eine Kunjt, in welcher eben damals Iphikrates als Meiſter 
galt. Das 6. Buch dürfte jene raxrızm Adßhos gewejen fein, nach der Aineias bei 
den Alten vorzugsweije benannt wurde und die aud dem Aelian nod vorlag, 
un® aber verloren if. Das 7. Bud jchildert die Zandesverteidigung und ins— 
bejondere die Verteidigung einer belagerten Stadt; das 8. bildete vermutlic das 
Gegenjtüd dazu, indem es den Angriffskrieg und die Belagerungsfunft lehrte, 
und wahrſcheinlich war das Werk damit noch nicht zu Ende, wenn wir aud nicht 
im jtande find, den weiteren Inhalt zu refonjtruieren ?). 


I) Solche Handbücher waren damals jehr modern. Man findet derartige riyvası für bie ver- 
ichiedenften Disziplinen erwähnt, fo für Beredſamkeit, Urzeneitunft, Mufit u. f. mw. 

2) Bol. den Nachweis bei Hug: Aeneas von Stumphalos, ein arladiſcher Echrififteller aus 
Mafliicher Zeit. Gratulationsjchrift der Univerfität Zürich an die Univerfität Tübingen. Zürich 1877. 

») Der Inhalt der meiften diefer Bücher ift nur aus Gitaten des Aineias felbft oder anderer 
Schriftfteller befannt und daher unvolllommen verbürgt. Aus dem Buche von ber Urmierung bat 


1. Bon Homer bis Alexander. 27 


Die einzelnen Bücher werden, der ©itte der Zeit gemäß, auf 
verichiedene Rollen gejchrieben geweſen jein, und daraus erklärt 
es ji, daß nur emes derjelben erhalten blieb, nämlich das über 
die Städteverteidigung (regi rov wg yon rrokogaovusvong 
avzeyeim)!). 

Aineias denkt fi hier in die Lage eines Befehlshabers, der, an die Spike 
der Bürgermiliz eines feinen Stadtftates geftellt, höchſtens von einigen Söldner» 
lochen unterftügt, Stadt und Land gegen die Angriffe einer ähnlichen, nicht allzu— 
jehr überlegenen Macht zu jhügen und vor Umtrieben und Verſchwörungen im 
Innern zu wahren hat. Dem entiprechend handelt dad Buch von der Gliederung 
der Mannſchaft, den freien Plägen der Stadt und deren Abfperrung, von Gig: 
nalen, Thorwaden und Tagwachen; es lehrt, wie man die Bauern in die Stadt 
zu ziehen und das Land unzugänglich zu machen habe; es gibt Vorſchriften für 
die Sicherung der Stadt, für das Verhalten bei Umtrieben im Innern und für 
dad gegen die Bundesgenofien. Dann kommen Anweijungen über bie Unterhaltung 
der Söldner, Lehren, wie man zur Abwehr audzurüden habe, Warnungen vor 
dem Unfuge, der jo oft mit den Schließbolzen und Sperrbalfen der Thore ge— 
trieben werde, Unterweijungen über Parole und Loſung, fowie über die Gtreif- 
wachen. Mitten hinein fällt eine Abhandlung über den panifhen Schreden, und 
dann folgen Kapitel über Bewahung der Thore, heimliche Einführung von 
Baflen, über Geheimjdhriften, über Verteidigungsmaſchinen, Brand» und Löſch— 
mittel, Abwehr der Leitererfteigung, Erkennung und Bekämpfung der Minengräber 


und des Sturmangriffes, über Kunſtgriffe und Bejegung einer Stadt mit geringer 
Mannſchaft. 


Die Inhaltsangabe zeigt, daß der Gegenſtand nichts weniger 
als methodiſch gut geordnet iſt. Der Geſichtskreis iſt, ſozuſagen, 
„ſpießbürgerlich““ Folard und nad ihm Köchly-Rüſtow haben den 
Aineias in der That boshaft genug verhöhnt. Aber man muß be 


und Rolybios (X, 48—47) ein Bruchftüd erhalten‘, welches von der durch Aineias jelbft verbefjerten 
Kriegätelegraphie durch Feuerzeihen handelt‘, ein technifches Gebiet, auf dem ſich aud) Polybios als 
Erfinder beibätint hat. — Bgl. unten & 19. 

') Auegabe von Caſaubonus am Ende feines „Rolnbios“, Paris 1619, jowie als Anhang ber 
Folybios-Ausgaben von Gronopius (Amſterdam 1670) und von Ernefti (Leipzig 1763). Eonber: 
ausgabe mit Kommentar und latein. Überfegung von Orelli, (Leipzig 1818). — Franzöſiſch vom 
Tomte Beaufobre: Commentaires sur la Defense des places d’Aeneas le Tacticien. 
(Amfterdbam 1757). Griechiſch und deutih in Köchlys und Rüſtows „Griech. Kriegsichriftfteller* I 
(Reipzig 1853) mit eingehenden Erläuterungen. — Bol. ferner die Bemerlungen Haaſes in feiner 
CbhandInng über die griehifhen und römiichen Kriegsſchriftſteller (Jahns Ihrb. 1835 XIV, 1), 
Neyer: Observationes in Aeneam Tacticum (Halliſcher Lectiontcatalog, Eommer 1835), Hug: 
Prolegomena critica ad Aeneae poliorcetici editionem (#ürder Univerf..-Brogr. dv. 1874) und 
bebielben ſchon oben citierte Büriher Gratulationsichrift, Schmidt: Miscell. philol. (Jenaer 
Eommerprogr. 1876), Bange: De Aenesae commentario poliorcetico. (Berlin 1879), unb 
WM. Bauer: Die Unfänge ter Striegswiflenihaft. (Beitihr. f. allg. Geihichte, Eultur- ac. Ge 
qichte 1886 I). 


28 Ultertum. I Die Zeit der Republiken. 


denken, daß der Autor auch die erjten Elemente des Wiljens zu 
geben hatte, wobei denn natürlich manches ung Selbitverjtändliche 
und Triviale mit unterlaufen mußte, und daß uns überdies zufällig 
gerade dasjenige Buch erhalten ijt, welches den am wenigiten ent 
wicelten Teil der damaligen Kriegskunſt, den Feſtungskrieg, betrifft. 
In Bezug auf dieſen fteht Aineias noch auf ganz demjelben niedrigen 
Standpunkte wie ihn Thukydides in feinen Schilderungen der Kämpfe 
um Plataiai und Syrakus darlegt. Eine Stelle, wo, allerdings ober- 
flächlich geriug, der „großen Mafchinen“ Erwähnung geſchieht, hat 
Hug als Interpolation nachgewiejen. Erſt die makedoniſche Zeit 
brachte einen namhaften Fortichritt in poliorfetijcher Hinficht und 
ſchuf jene Gejchüge, jene Wandeltürme, jene Mauerbohrer und jene 
Dammbauten, mit denen fich die Belagerungsfunft im Grunde ge 
nommen zwei Sahrtaufende lang beholfen hat. Und doch tritt auch 
in dieſen von den großen alerandriniichen Belagerungsfünjtlern ans 
gewendeten Kriegswerkzeugen jene eigentümliche Inferiorität in den 
majchinellen Prinzipien hervor, welche uns gegenüber erhaltenem 
Gerät und Handwerkzeuge der Alten oft fo ſeltſam anmutet, weil 
jie lehrt, daß Völker zu derjelben Zeit, da fie in den jchönen Künsten 
faum jemals wieder Erreichtes ſchufen, jich mit jo unglaublich primitiven 
mechanischen Vorrichtungen begnügten. Freilich wurden dieſe be 
ſchränkten Mittel in raffinierter Weije verwertet und jtauneng- 
werte Erfolge mit ihnen errungen!?). 


Die Verſchlußvorrichtungen der Tore, welche Aineiad empfiehlt, find Findlich 
elementar; dejto finnreicher und fjchlauer find jeine verjchiedenen Syfteme von 
Geheimſchriften, und von eigentümlihem, kulturhiftoriihem Interefje erſcheinen 
feine Vorjchläge über den Belagerungszuſtand, d. 5. über die Veränderung des 
Rechtszuſtandes in einer vom Feinde bedrohten Stadt. Es handelt fi da um eine 
Beihräntung des Vereinsrechtes, um bejchräntende Bolizeivorjchriften über Die 
Bewegung der Einwohner im Innern der Stadt, um die Fremdenkontrolle und 
die Überwachung des Verkehrs nad) außen). Merkwürdig find aud) die Angaben 
über die Verproviantierung; es ift dabei nur bon Getreide, DI und Wein die 
Rede, nicht von Fleifh. Auffallend ift die große Anzahl von Ratſchlägen, welche 








1) Die Memorabilien wie die Hyrupaidie des Xenophon verlangen, dab ber Stratege auch 
unyavırdz fei, und Aineias wie Bolnbios thun ſich denn auch nicht wenig auf ihre B:rbefferungen 
ber Friegätelegrapbie zu gute. 

2) Der 6tat de siöge, der in der Rechtögeichichte zum erftenmale in ben Gejeßen der Assemblee 
nationale constituante vom 8. Juli 1791 aufgeführt wird, ift aljo feineswegs eın moderner Begriff. 
Bol. Hug a. a. D. — Auch das Briefgeheimnis hebt Aineias für die Beit des Belagerungszuſtandes 
auf und errichtet ein „ſchwarzes Habinet” (Ar/axornoı). Nicht minder ift das Paßweſen genau reguliert, 


1. Bon Homer bis Alerander. 29 


ih auf die Verhinderung verräterifher Umtriebe beziehen. Hier erzeugt das 
außerſte Mißtrauen ein Aufgebot überſchlauer Lift, das kaum jeinesgleichen 
finden dürfte — Um dem bei den Griechen fo häufig auftretenden panijchen 
Schreden vorzubeugen, fol der Kommandant die Leute fingen lafjen'). 


Es iſt wahrjcheinlich, dat Aineias manche feiner Vorjchriften den 
organtjatortichen Maßregeln des berühmtejten Soldaten jener Zeit, des 
Sphifrates, entnommen hat. Einmal, bei der Xehre von dem auvInue, 
der Parole, beruft er jich geradezu auf ihn, und da man weiß, daß 
Sphifrates auch durch Vervollkommnung der Signale und des Wacht- 
dienjtes Erfolge errang !) und Aineias eben diefem Kapitel bejondere 
Sorgfalt zumendet, jo tritt wohl darin der Einfluß jenes Mannes 
ebenfalls hervor. — Der Herkunft der „Strategenkunſt“ aus der 
Philoſophenſchule entjpricht es, daß ihr Verfafjer jeinen Gegen- 
ſtand nach allen Richtungen hin zu erjchöpfen fucht, alle erdenklichen 
Möglichkeiten erwägt und für jede Vorſchriften und Vorſchläge bei- 
zubringen bejtrebt iſt. Auch der encyklopädtiche Charakter des Werkes 
deutet wol auf jenen Einfluß jyjtematifierender Sophiftenfreife hin. 

Ziemlich reich iſt Aineias an hiſtoriſchen Beiſpielen; feines der- 
jelben reicht aber über das Jahr 360 hinunter; an mehreren Stellen 
ft er dem Herodot, an einer dem Thukydides gefolgt — deutliche 
Zeichen des ehrmwürdigen Alters diefer Schrift, von der man nicht 
mit Unrecht gejagt hat, daß fie wunderbar jet nach Entjtehung, 
Inhalt und Erhaltung ?). 

Da Kenophon den Alten doch in eriter Neihe als Gejchichts- 
jchreiber und Philojoph galt, jo betrachteten fie den Aineias gewöhnlich 
al3 den ältejten berufsmäßigen Fachjchriftiteller auf dem Gebiete der 
Milttärkiteratur. Daher führt ihn auch Aelian an der Spitze der 
ergentlichen „Taktiker“ auf und berichtet zugleich, daß jeine Werke von 
Kineas, dem Freunde des berühmten Königs Pyrrhos von Epeiros, 
auszüglich bearbeitet worden jeien ?). 


89. | 
Es ijt eine ſeltſame Erjcheinung, daß gerade zu der Zeit, da die 
altgriehijche Taktik zu ihrer höchiten Blüte gelangt und zu einem 
der mächtigften und edeliten Werkzeuge wird, deren fich die Welt- 
1) Xenopbon Hellen. VI, 2; $rontin III, 12, 


9) Sauppe in den Göttinger gelehrten Anzeigen. 1871. ©. 729. 
) Yiliano® I], 1. 


30 Altertum. I Die Zeit der Republifen. 


geſchichte jemals bedient hat, die helleniſche Milttärliteratur wenigitens 
für uns, in völlige Schweigen verjinft. Von zeitgenöffiichen Schrift 
jtellern gibt nur Kenophon in der SHellenifa einige karge einjilbige 
Mitteilungen über den großartigen Aufſchwung der Taktik durch 
Epameinondas; jonjt ijt man durchaus auf diejenigen Angaben be— 
ſchränkt, welche zwei bis drei Jahrhunderte |päter von Schriftitellern 
wie Plutarch, Diodor, Polyän, Aelian und Arrian, aus Quellen 
abgeleitet wurden, die auch ihnen offenbar nur jpärlich flogen, ung 
aber völlig verloren gegangen jind. Und ganz dasjelbe gilt für Die 
Taktik Aleranders des Großen; ja für jie fehlt es jogar (wenn man 
von einigen Andeutungen des attiichen Redners Demojthenes abjieht) 
durchaus an jedem gleichzeitigen Berichte. — Dennoch muß an diejer 
Stelle, wejentlih mit Hilfe der Erzählungen jener jpäteren Schrift- 
jteller, auf die im einzelnen weiter unten eingegangen werden wird, 
ein allgemeine Überjicht der griechijchen Taktik feit! Kenophon 
eingejchaltet werden; denn jonjt würden viele der jpäteren friegswiijen- 
Ichaftlichen Erjcheinungen unverjtändlich bleiben !). 

Als Hauptergebniffe der taftiichen Epoche, welche ſich an den 
Namen des Kenophon knüpft, jtellen ſich dar: 1. die Befreiung der 
Hoplitenjtellung von der jtarren Form der ununterbrochenen Phalanx, 
und 2. die mannigfaltige und bewußte Verwendung des leichten Fuß— 
volfs. Unter den erjten Gejichtspunft fällt der Gebrauch der Kolonnen 
und die Anordnung von Rejervejtellungen. — Von diejen Rejultaten 
jind für die Folgezeit nicht alle einzelnen Elemente fruchtbar geworden. 
Die Form der Kolonne allerdings, oder wie die Griechen es nannten, 
der „aufrechten Scharung“ (ogF1og Aöxog) gelangt durch Epameinondas 
zu großartiger Geltung, nicht aber in dem Sinne, wie jie von 
Kenophon gejchaffen worden war, nämlich nicht al3 das Auflöjen 
der Phalanx in eine Reihe jelbjtändiger Schlachtkörper, die fich, den 
römiſchen Manipeln gleich, untereinander ftügen und tragen, jondern 
in dem ganz anderen Sinne einer örtlichen Verjtärfung der Phalanr. 
Völlig ignoriert wird von der nächſten Folgezeit Kenophons Gedanke 
abjichtsvoller Rejerveanordnung; erjt Alexander der Große nimmt 
ihn, und zwar im Sinne eines wirklichen Treffenjyftems, wieder auf. — 


1) Bol. für das Folgende: Rüftomw und Köchly: Geſchichte des griechifchen Kriegsweſens von 
den älteften Beiten bis auf Byrrhos (Harau 1852). — Jähns: Handbuch einer Geſchichte des Friegs- 
weſens von ber Urzeit bis zur Renaiffance. Techniſcher Teil (Leipzig 1880). 


1. Bon Homer bis Alexander. 31 


Bon Anfang an aber und mit großem Erfolge wird die gejteigerte 
Verwendung des leichten Fußvolkes von allen Seiten betrieben, 
und endlich erreicht Alexander durch die Verbindung jolcher Leicht- 
gerüfteten mit einer vorzüglichen Kavallerie den Höhepunkt aller 
taftiichen Leiftungen der Griechen. 

Die Berbejjerung und Erleichterung der Fußvolksausrüſtung und 
die Damit zujammenhangende Steigerung der Beweglichkeit der 
helleniichen Infanterie war vorzugsweiſe dem attijchen Söldner: 
hauptmann Iphikrates zu verdanfen!). Seit den von ihm durch 
gejegten Neformen bejtehen die, griechiichen Heere: erſtlich aus den 
einigermaßen erleichterten Hopliten oder Phalangiten als eigentlicher 
Linieninfanterie, deren Hauptwaffe noch immer der Langjpieß und 
deren Formation jtet3 die geſchloſſene Phalanx tt; zweitens aus den 
Beltaiten, d. 5. einer jowohl für den Kampf in Linie wie für zer- 
itreutes Gefecht geeigneten Mittelinfanterie, und endlich aus dem 
nur für :das zerjtreute Gefecht bejtimmten leichten Fußvolke der 
Gymneten, d. h. jchildlojen Schleuderern, Bognern oder Speerjchügen. 
Die Reiterei war der Zahl wie der Bedeutung nach) noch ziemlich 
untergeordnet. 

Troß der Vermehrung der leichteren Infanterie und troß mancher 
gelungenen Einzelunternehmung mit diejer Waffe bei Streifzügen und 
um Kleinen Kriege, gewinnt fie jedoch zunächjt noch feinen Einfluß auf das 
Syſtem der Schlachtentaftif. Wohl leiten Reiter und Leichtbeivaffnete 
die Schlacht ein; aber ihr Gefecht iſt für die Entjcheidung von feiner, 
nicht einmal von vorbereitender Bedeutung; die Entjcheidung liegt 
allein bei der Phalanx, welche ſich während des Vorgefechtes, dem 
Rhythmus der Flöten oder der Lyren folgend und das Schlachtlied 
fingend, in Marſch jegt. Beide Teile ziehen jich während des Vorrückens 
nad) rechts, jo daß hier wie dort der rechte Flügel den gegenüber: 
jtehenden Linken überflügelt. Dieje Bewegung, welche die hellenijche 
Schlahtordnung in gewilfen Sinne von Anfang an als eine „jchiefe“ 
ericheinen läßt, hat ihren urfprünglichen Grund in der Bewaffnung. 
Der Hervenzeit galt nämlich die geſchützte Schildjeite für die jtärfere, 





!) Über die Reformen des Iphikrates berichten Diodor, Cornelius Nepos und Polyän. Leg 

tezer ſchreibt ihm (III, 9, 22) das treffende Schlagwort zu: die Phalanx jei des Heeres Panzer, die Beicht’ 

die Hände, die Reiter bie Füße, der Feldherr das Haupt. — Kaiſer Deo wiederholt bies 

Bort in feiner Taktik (XX, 193). Man hört der Marime an, daß fie vor Aleranders d. Gr. Tagen 
entſtand. In deſſen Heere diente gerade die Reiterei zum träftigiten Anpaden. 


32 Altertum. I. Die Zeit der Republifen. 


und darum richtete man urjprünglich den Angriff womöglich auf den 
ihildlojen rechten Flügel einer Truppe, als auf deren jchwache 
Seite. Indem man nun dieſen gewohnheitsmäßig angegriffenen 
Flügel, um ihn möglichjt ſtark zu machen, mit der vorzüglichiten 
Mannjchaft ausstattete, wurde er zum Chrenplage. Man wußte ein 
für allemal, daß, wie man jelbjt die auserlejenen Kräfte rechts habe, 
jo jtänden dieſer Elite die minder guten Truppen des Feindes gegen- 
über. Damit war aber die ganze Sachlage verändert. Der Imfe 
Flügel war nunmehr, obgleich) die Schildjeite, doch der jchwächere. 
Infolgedejjen ging man von dem bisherigen Verfahren, des Feindes 
rechten Flügel anzugreifen, ab und jtrebte danach, jeine Linke zu 
überflügeln. Cine folche Überflügelung bedingte den Halbrechts- 
vormarjch, welcher zugleich den Vorteil bot, die eigene rechte, un— 
bejchildete Seite vom Feinde abzuwenden. Nun bleibt bei jedem 
Halbrechtsvormarjch erfahrungsmäßig der linfe Flügel weiter zurück, 
als er bei rein diagonaler Durchführung der Bewegung eigentlic) 
jollte; hieraus aber erwuchs für die hellenische Schlachtentaftif ein 
Gewinn; denn je mehr dies geichah, um jo mehr ward der Angriff 
nach dem endlich erfolgenden Kommando „Geradeaus!“ em eigentlicher 
Flankenangriff. — War man ſich auf etwa 200 Schritt genaht, jo 
erjchallte das Kriegsgejchrei; die Speere wurden gefällt, und unter 
Trompetengejchmetter jtürmte man gegeneinander. Selten oder nie 
fam es übrigens auf der ganzen Linie zum Kampfe; gewöhnlich warf 
ji) jofort ein Flügel in die Flucht, ohne daß damit für den örtlichen 
Sieger an und für fich viel gewonnen gewejen wäre. Denn faſt immer 
lag die Entjcheidung da, wo der Diesjeitige linke, zurüdgehaltene 
Flügel jtandhielt; wer hier die Oberhand gewann, der vermochte 
es in den meijten Fällen, das Gefecht auf der ganzen Linie zu jeinen 
Gunſten durchzuführen oder zu wenden. 

Der Kampf der Weiter und Leichtbewaffneten fonnte indeifen 
andauern; dieſe Waffen führten ein Gefecht für fich; die Hopliten- 
phalanx agierte, als wären jene gar nicht vorhanden. Darum auch 
deckte fie jich jelbjt durch die Nechtsbewegung ihre rechte Flanke und 
rechnete nicht darauf, daß dies etwa das leichte Fußvolf tue. Sm 
dieſer Diagonalbewegung aber liegt der Keim der weiteren eigen- 
tümlichen Entwidelung der griechiichen Schlachtentaktif, und dieſe 
Entwidelung war das Werk des Epameinondas. 


1. Bon Homer bis Alerander. 33 


Epameinondas tat im Jahre 371 v. Ehr. bei Leuftra den 
bedeutjamen Schritt, jein Heer grundjäglich in einen Offenjiv- und 
emen Defenjiv-Flügel zu teilen, von denen der letztere ſich nur 
beobachtend verhalten und dem Offenjivflügel die Flanke deden jollte, 
während diejer, quantitativ und qualitativ jtärfer als jener, den Feind 
mit möglichjt gejteigerter Stoßfraft an dejjen jtärkiter Stelle anpaden 
jollte. Die jtärkite Stelle war bisher immer der rechte Flügel; aus 
diejem Grunde mußte der Offenfivflügel des Epameinondas jein eigener 
linker ſein, und um dieſem die nötige Stoßfraft zu verleihen, gab 
er ihm die von Kenophon erfundene Kolonnenforn des Orthios-lochos. 
Nur den rechten Flügel jener Schlachtordnung aljo formierte Epa- 
meinondas noch in der Form der alten Bhalanr; den linken faßte er 
zu einer Epagoge (d. h. zu emer Sektionskolonne) von 50 Mann 
Rottentiefe zujammen, deren rechte Flanke der Defenfivflügel, deren 
linke Flanke die Reiterei deckte. — Dieje taktische Formation ijt nun 
die berühmte vielgenannte „ſchiefe Schlachtordnung“, deren 
Merkmal weſentlich in der Unterſcheidung von Offenſiv- und Defenſiv— 
Flügel liegt und demnächſt in der Anordnung des Angriffsflügels in 
„aufrechter“ d. h. tiefer Form, unter Beibehaltung der flachen Form 
für den Defenfivflügel. Diejer legtere wird in der Schlacht, wie 
man es heute nennen würde, „verjagt“; während der eritere, auf den 
Durchbruch berechnet, unter allen Umjtänden vorwärts dringen und 
jemen Stoß auf den äußerjten rechten Flügel des Feindes richten 
jol. Schon vor Epameinondas waren ja fajt alle Hellenenjchlachten 
Flügelſchlachten gewejen; aber jie hatten doch jämtlich eine urjprüng- 
ih frontale Anlage und entwidelten jich zur Flügelſchlacht erſt 
durch Die Art des Vorgehens. Epameinondas dagegen faßt von vorn- 
herein lediglich die Wirkung auf einen Flügel ms Auge; bier, und 
nur bier jet er den Hebel an, um die feindliche Stellung aus den 
Angeln zu heben, und während man vor ihm, in halb injtinktivem 
Rechtsziehen, denjenigen Flügel angegriffen hatte, der für den jchwächeren 
galt, jo entjchted jich Epameinondas für den Angriff auf den jtärferen 
Flügel des Gegners, und um noch ftärfer zu jein, als diejer, ver: 
jammelt er auf jeinem Offenfivflügel (dev nun der linke ijt) ſeine 
beiten Truppen und zwar in der lolonnenformation. „Epameinondas*, 
jo jagt Xenophon, „rüdte an wie eine Trireme mit drohendem Stoß: 
porn; denn mit dem Stern jeines Heeres bejchloß er zu treffen, 

Jahnus, Geſchichte der Kriegswiſſenſchaften. 3 


34 Altertum. I. Die Zeit der Republifen. 


während er den jchwächeren Teil zurücdhielt, überzeugt, daß wenn 
er nur an einer Stelle die feindliche Front durchbrochen habe, die 
Flucht bald allgemem jein würde“ ?). — Die Phalanx, urſprünglich 
mehr auf das Abſtoßen als auf das Zuſtoßen berechnet, wird durch 
Epameinondas auf die Höhe der Offenjivfraft gehoben. Einen Schritt 
aber läßt auch er noch übrig: die Verbindung der Waffen it auch 
ber ihm noch nicht organiſch. Noch jteht Neiteret wejentlich gegen 
Neiterei, leichtes Fußvolk gegen leichtes Fußvolf, und das Schwer: 
gewicht der Schlacht liegt, auch hinfichtlich der Offenjive, noch durchaus 
bei den PBhalangiten. Das taftiiche Syitem des Epameinondas it 
möglich ohne Kavallerie und ohne leichte Truppen. Die verjchieden- 
artige Bedeutung der beiden Flügel jpricht ſich nur in der anders- 
gearteten Gruppierung des jchweren Fußvolkes aus, feineswegs etwa 
in einer waffenweiſe verichiedenen Zujammenjegung. — Der Schritt, 
welcher noch zu thun blieb, war der, die Flügel nicht nur verjchieden 
zu formieren, jondern fie verjchieden zu organijieren, d. b. jie 
der Dauptjache nach aus verjchtedenen Waffengattungen zujammen- 
zuſetzen. Diejen Schritt thaten die Mafedonier. 

Die eigenartigen jozialpolitijchen Zujtände des makedoniſchen 
Königreiches geitatteten es, die Ritterſchaft des Landes zu eimer 
ſchweren Neiteret von außerordentlicher Tüchtigfert heranzuziehen, und 
in den Stronbauern, die zu einer leicht aber vorzüglich gerüjteten Elite 
truppe formiert wurden, jowie in gewiljen Bergitämmen bot jich em 
Fußvolk dar, das, beweglich und energisch, an Tatkraft und Tapferkeit 
mit jener Ritterſchaft wetteiferte und ihr auch wirflic) unmittelbar 
zugejellt wurde. Dieje Elemente repräjentieren nun im mafedontjchen 
Heere die Offenjive, die auch hier von einem Flügel ausgeht. Am 
Sranifos, bei Iſſos, bei Gaugamela: überall jtehen dieſe „Truppen 
der Aktion“ auf den Flügeln, und auf dem Angriffsflügel insbeſondere 
ficht der bejte Kern, die Hypaspijten (Lerbivache zu Fuß) und die mafe 
doniſche Ritterichaft. Die geſamte Maſſe der Hopliten tritt dagegen jehr 
zurüd. Ihre Phalanr bildet das kompakte Mitteljtüd der Schlacht- 
ordnung; ſie ſichert Flanke und Rüden des Angriffsflügels; ſie droht 
zuzujchlagen; fie kann es aud) gelegentlich thun; aber die Gejamt- 
intention der Aleranderichlachten tft darauf in feiner Weiſe gerichtet. 


1) Hellen. VI. — Der ®ergleich bezieht fich fpeziell auf die Schladt von Mantineia, Tenn- 
zeichnet aber das gejamte taktijche Syſtem des Epameinondas. 





1. Bon Homer bis Alerander. 35 


Es ericheint faft erjtaunlih, wie fharf Kenophon dieje Taktik vorauss 
gejehen und in der Kyrupaidie [$ 7] vorausgejagt hat. Auc hier bringt Kyros 
mit wenigen Elitetruppen die Entjcheidung. Sein Zentrum wird von der 100 Mann 
tiefen Phalanx der Ägypter geworfen; aber wie jpäter Alexander, dringt der 
ideale Kyros mit feinen jchweren Reitergeihwadern unaufhaltiam vor, un= 
befümmert um eine Überjlügelung, gegen welche er jeine Anftalten in ähnlicher 
Art getroffen hat, wie Alerander bei Gaugamela '). 


. Dieje Taktik ift die bewuhte Fortentwidelung des Syitems des 
Epameinondas. Alerander geht über dasjelbe hinaus, indem er 
jeinen Offenfivflügel nicht nur, wie der große Thebaner that, formal 
und quantitativ bevorzugt, jondern ihn qualitativ und organisch durd) 
die waffenweiſe Zujammenjegung vom übrigen Deere unterjcheidet. 
Daß der makedoniſche Angriffsflügel im Gegenjage zum boiotijchen 
der rechte iſt, fällt jachlic) gar nicht ins Gewicht. Epameinondas 
griff mit dem linken an, weil er den Feind bei dejjen Stärfe paden 
wollte, und dieje, da er ja rein griechtiche Gegner hatte, jtet3 deren 
rechter Flügel war; Wlerander befämpfte einen Feind, dem gegenüber 
dieje Rückſicht fortfiel und jo Eonnte er zu der althergebrachten Sitte, 
den rechten Flügel als Ehrenplag der Schlachtordnung auszustatten, 
und mit ihm anzugreifen, zurückehren. 

Die Kampfweiſe Aleranders tt das Gefecht der organiſch 
verbundenen Waffen, und in einem jolchen fommt naturgemäß; 
der Meiterei die Offenfive in erjter Neihe zu. Er unterjtüßt aber 
jeine Kavallerie in der wirfungsvolliten Weiſe durch leichte Infanterie 
und zwar durch eine jolche, welche in den Hypaspijten einen fejten 
Kern bejigt, der nach Herkunft wie Ausbildung Elite it und ſeiner 
Bewaffnung nach gejtattet, zerjtreut wie gejchlojlen zu Fechten. — 
Die eigentlich leichte Infanterie des rechten Flügels leitet den Kampf 
ein. Sobald ſich dann die geringjte Unficherheit beim Feinde oder 
jonjt irgend eine günjtige Chance zeigt, ergreift Alexander den Moment, 
um an der Spiße der Ritterſchaft, welche jtaffelwetje attackiert, in den 
Feind einzubrechen. Der legten Staffel der Ritter folgen die Hypas— 
piiten und Ddeden jo zugleich die linke Flanke jenes Hauptangriffs, 
während dejjen rechte Flanke durch die vorgejchobenen leichten Truppen 
gejichert wird. Sobald als möglich greifen die Hypaspiſten in den 
Kampf der Ritter ein. Inzwiſchen rücdt das jchwere Fußvolk, mit 
ungewöhnlich langen Spießen (den jogen. Sarijen) bewaffnet, phalan- 


1) @yrupaibie VI, 8 und 4; VII, 1. 
g* 


36 Altertum. I. Die Zeit der Republilen. 


gittjch geordnet, in breiten Staffeln nad, jo daß nun die ganze 
Schlachtordnung jchräg gegen die feindliche Front jteht: mit dem 
rechten, fämpfenden Flügel fie jchon durchjchneidend, mit dem Linken, 
dedenden Flügel noch weit entfernt. Der Halbrechtspormarjch der 
Phalangiten wird in der linken Flanke wieder durd) Reiterei gededt. — 
Dies iſt das taftiiche Syitem Aleranders in den rangierten Schlachten 
der vier erjten afiatijchen Feldzüge, und in diefem Syſtem kulminiert 
die gejamte griechiiche Taktif überhaupt. 


2. Gruppe. 
Das Beitalter der Alerandriner. 
8 10. 

Wer das taftiiche Verfahren Aleranders unbefangen erwägt, der 
erfennt leicht, wie ganz irrtümlich die Meinung derer iſt, welche 
das ausjchlaggebende Element des mafedonijchen Heeres in der 
Hoplitenphalanr erbliden. Mit diejer allein, ohne jenen eigentümlich 
organijierten Offenfivflügel hat Alexander niemals gejchlagen, wohl 
aber verzichtete er unter Umjtänden, 3. B. am Hydaspes, auf Die 
Mitwirkung der Phalanx. Dennoch verjtandeu ſchon manche jeiner 
Beitgenofjen die Sache falſch. Sie jahen, daß die Phalanx die 
Maſſe des mafedonijchen Heeres ausmache, und wie es jo oft gejchieht, 
verwechjelten fie die Maſſe mit dem Kerne. Diejer Umjtand trägt die 
Schuld, dat nach Aleranders Tode nicht nur fein Weich, jondern 
bald genug auch) jeine Taktik in Verfall geriet. 

Nach einer anderen Richtung war jedoch die Folgewirfung der 
großen mafedonischen Kriege tiefer und nachhaltiger. In der vor— 
alerandrintijchen Zeit hatte der Belagerungsfrieg bet den Griechen 
eine verhältnismäßig unbedeutende Rolle gejpielt. Die militärijchen 
Kräfte der Bürgeraufgebote reichten für poltorfetijche Unternehmungen 
jelten aus, und die Belagerungsfunjt der älteren Zeit war auch zu 
unentwidelt, um günjtige Erfolge zu verjprechen. Ihren erjten Auf 
Ihwung nahm die Herjtellung der Belagerungsmafchinen, und zwar 
wie es jcheint unter puniſchem Einfluffe, bei den Griechen Siziliens. 
Dann aber treten die Meafedonier in den Vordergrund. Schon 
König Philippos’ Belagerungen von Korinthos ‚und Byzantion zeigten 
der Boliorfetif einen ganz neuen Weg, indem jie, jtatt auf die bisher 
fajt allein herrjchende Blofade, den Nachdruf auf den fürmlichen 


2. Das Zeitalter der Alerandriner. 37 


Angriff legten. In Ddiefem Sinne wirkte Alerander weiter. Alle 
Kräfte vereinigte er auf eine bejtimmte Angriffsfront, entjaltete eine 
ungeahnte Fülle mechanijcher Streitmittel und erzwang mit diejen 
den Durchbruch. So griff der König Halifarnafjos von Norden, 
Tyros von Djten an. Vor diefer Stadt wird zuerjt der Anwendung 
der Betroboloi, der jteinjchleudernden Wurfgejchüge, gedacht, während 
man die für den direkten Schuß bejtimmten Euthytona jchon früher 
erwähnt findet. Aleranders vorzüglichite Ingenteure waren Diades, 
Chaireas und Dienechos, von denen der erite als Erfinder der 
zujammenlegbaren Belagerungstürme (Helepolen) und der Sturm- 
brüden gilt. Außer jenen dreien werden als ausgezeichnete Bolior- 
fetifer noch Bojetdonios und der Mineur Krates gerühmt. Die 
Züge Wleranders in die alten Stammlande technijcher Kultur, 
Phönikien und Ägypten, fürderten das Wachstum der Kenntniffe in 
der Mechanik, und dem entjpricht es, wenn ſich jet eine bejondere 
Wiſſenſchaft der Poliorketik entwidelt, wenn neben die Bußkia 
orgeenyıra jebt die Außhia unyavıra treten und jich von nun an 
als jelbjtändiger Zweig der Kriegswiljenichaft behaupten. Dabei fpielt 
merfiwürdigerweije der Bau der Kriegsmaſchinen und insbejondere der 
der Gejchüge, alſo die Artillerie, eine größere Rolle als der eigentliche 
Feſtungsbau, die Fortififation, und als die methodiiche Behandlung des 
Belagerungsfrieges, die Boliorfetif im engeren Sinne. — Die Schriftiteller, 
welche hier in zsrage fommen, jind Heron, Biton, Bhilon und Athenaios. 


sl. 

Heron, Sohn oder Schüler des Ktejibtos, eines ausgezeichneten 
Artilleriften, hinterließ eine Lehre vom Geſchützbau (Beiorouiket), 
welche ungefähr um 250 v. Chr. gejchrieben iſt. Das Buch jchildert: 
wie man vom Handbogen zunächit zur Armbrujt (Gajtraphete, Bauch- 
ipanner) gelangte, dann aber erfannte, daß die Biegungselajtizität 
der Bogenarme übertroffen werde von der Torjionselajtizität ge- 
drehter Stränge. 

I) Sat. von Barocius: Heronis mechanici liber de machinis bellicis (Benebig 1572). 
Grieh. und latein. von Balbi: Heronis Ctesibis telefactiva. Wit Noten (Augsburg 1616), von 
Ihevenot in Veteres mathematici (Paris 1693). Griech. und beutich von Köchly und Rüftom 
in den Griech. Kriegsichriftftellern I, ©. 200 ff. Krit. Bearbeitung des DOriginaltertes in Weſchers 
Poliorestique des Grecs (Baris 1867). — Die Wiener Handichrift der Belonorixa bezeichnet dieſe 


als Auszug aus Archimedes doch ift das wohl nur Berimutung. — Bgl. Martin: Heron d’Alexandrie 
(Baris 1864). 


38 Ultertum. I Die Zeit der Republiten. 


Es erörtert, wie man ſolche Stränge in Spanntaften (Kammern) von ver 
ſchiedenen Durchmeſſern (Kalibern) aljo in größerer oder geringerer Stärke anbrachte 
und wie man fie mit der zum Fortſchleudern des Gejchojjes bejtimmten Sehne 
in Verbindung jepte. Dann bejdreibt Heron die beiden Hauptarten der Torſions— 
geihüge oder Schleuderwerke (zaraneiraı, latein. tormenta), nämlich ſolche mit 
gerader Spannung (Euthytona), Horizontalgefhüge, melde nad ihrem Pfeil- 
geſchoſſe auch oSvBeleis genannt wurden, und Geſchütze mit Winkelſpannung zum 
Werfen (Balintona), die man nad ihren Steingejhofien meijt als erooßoioı 
bezeichnete. — Herons Beſchreibungen jollen lediglich einem größeren Lejerkreije, 
der die Geihüße nur vom Anjehen kannte, allgemeine Begriffe von deren Wejen 
geben; Techniker wollen fie nicht belehren, und daher find Einzelheiten, leider fogar 
die Angabe der Maße, verſchmäht. Dies ift jehr zu bedauern; denn andere hinter- 
laſſene Werke kennzeichnen den Heron als einen höchſt genialen Mechaniker. Er 
erjcheint wie ein Vorläufer jener vieljeitigen Naturen des 15. Jahrhunderts, deren 
techniſche Werte ebenfalls eine jehr mertwürdige Miihung militäriiher Konftrut- 
tionen mit mannigfaltigen phyſikaliſchen Experimenten und Borrichtungen darbieten‘). 

Weltberühmt find die in Herons nwevuarıxa erläuterten Erfindungen: der 
jog. „Heronsball“, d. h. die Spritzflaſche (Refraicheur), deren Prinzip aud im 
Windkeſſel der Feuerjprigen zur Anwendung gelangt, und die „Aeolipile“, d. 5. 
die Ältefte Borrihtung zur Verwertung des Waſſerdampfes als bewegende Kraft, 
welche dem Heron einen Ehrenplaß in der Gejhichte der Dampfmajdinen fichert. 
Montucla jagt in Bezug hierauf: »On y remarque que quoique de son temps 
l’elasticit& de l’air füt inconnue, elle est presque toujours heureusement 
appliquee & produire son effet«. (Hist. des math&matiques. 1800, I, p. 267.) 

Außer den Beiorrorxa hat Heron an artilleriftiichen Schriften noch 
eine jehr dunkle Bejchreibung der Handballijte (geugoßakkıore) 
und eine nur in arabijcher Überjegung erhaltene Abhandlung über 
Hebezeug hinterlafjen ?). 

8 12. 

Ergänzt werden Herons Arbeiten durch die des Philon, der 
gewöhnlich den Beinamen „von Byzanz“ führt und nad) den einen 
unter Demetrios Phaleros (300 v. Ehr.), nad) anderen unter Btole- 
mäos Physkos (140 v. Chr.) lebte, vermutlich aber ein jüngerer 
Beitgenofje Herons war. Er hat zu Alerandrien und Rhodos jtudiert 
und ein Werf über Poliorketik gejchrieben, welches jowohl reine 
Mathematif als Hochbau, Hafenbau, Feitungsbau und Belagerungs- 


ı) ®al Hultidh: Heronis... . reliquiae. Berol. 1864. 

2) Baldi und Thevenot haben das Buch über die Handballifte publiziert, nicht jo Köchiy- 
Rüſtow, weil fie e8 für unverftändblich erflärten. Seitdem haben es drei Franzoſen zu erläutern ver⸗ 
mt: — PBron: La chirobaliste de Heron, Paris 1862; Bincent: L. ch. d. H., Paris 1866 
und Weſcher in feiner Poliorcätique des Grecs, Paris 1867, p. 121—134. — Baldi bat am 
Schluß der Belorosxa auch noch zwei artilleriftiiche Fragmente Herons in latein. Sprache ediert, 


2. Das Zeitalter der Alerandriner. 39 


frieg abhandelte, von dem aber nur das 4. und 5. Buch, welche 
Artillerie und eigentliche Poliorketik bejprechen, erhalten jind !). 

Das 4. Buch ‚„‚regi Bekororam“ trägt die Lehre vom Ge: 
ſchützbau vor). 

Nachdem Berj. kurz die Berhältnifie der gewöhnlichen Geſchütze und gewiſſe 
Konjtruktionshilfen fachgemäß erläutert, befchreibt er einen von ihm jelbjt er- 
fundenen „Keilipanner“ und unterwirft dabei die Art"und Weife, wie man bisher 
die Spannnerven einzog und anjpannte, einer Beurteilung, welche lehrt, daß beim 
Bebrauche der antiken Geihüge doc oft große Schwierigkeiten hervortraten und 
dat ihre Einrihtungen keineswegs jv einfad) und jolide waren, wie das namentlich 
Folard behauptet hat, der ihnen ja deshalb fogar den Vorrang vor den Pulver: 
geihügen geben wollte), Im weiteren Fortgang jeiner Arbeit fchlägt dann 
Bhilon vor, das bisher übliche Material der Krafterzeuger der Geſchütze, alfo die 
aus Frauenhaar oder Darm gedrehten Stränge, durd) einen beſſeren Stoff, nämlid) 
durch Metallfedern, zu erjegen, und Mmüpft daran die Erläuterung eines von ihm 
erfundenen „Erzipanners“. E83 Handelt ſich dabei allerdings bloß um Kupfer; 
denn den Stahl kennt der Autor nur in den kimbriſchen und ſpaniſchen Schwertern 
und braucht daher viel Worte, um jeinem Leſer Har zu maden, dab Metall aud) 
Hederfraft habe. Ferner jchildert Philon den jog. „Bieljhieher“, ein Repetier— 
geihüg, welches Demetriod von Wlerandreia den Rhodiern konjtruiert hatte, und 
ihliegt jeine Auseinanderjegung endlich mit der merfwürdigen Beichreibung eines 
„Zuftfpannerd“. Aus diejer erhellt, da jchon die Griechen, wenn auch nur 
ausnahmsweiſe, ſich für artilleriftiihe Zwede der Elajtizität des Gaſes bedienten, 
freilich mit dem jehr bedeutfamen Unterjchiede, daß wir die Gaje direkt, die Alten 
jedod nur mittelbar auf dad Geſchoß wirken ließen, indem fie die Bogenarme 
eines Palintonon durd die Elajtizität fomprimierter Quft bewegten, welche in 
eberne Trommeln eingeichlojjien war, die an Stelle der Spannnerven in den 
Kammern jtanden*). Als Erfinder diejes Luftijpanners, von dem es faum möglich 
ft, eine genügende Borftellung zu gewinnen, wird Kteſibios genannt. 


Das 5. Bud) von Bhilons Werk handelt von der eigentlichen 
Poliorfetif, aljo von Erbauung, Armierung und VBerproviantierung 
der feiten Pläge, von Verteidigung umd Angriff. Das Buch it 
durchaus logiſch angeordnet, aber jein Text äußerſt verdorbend). Ein 


1) Audg. bei Thevenot Math. vet. Paris 1693. 

Ausg. von Orelli. Leipzig 1816. Griech. u. deutſch v. Köchly und Rüftom: Gried). 
Kriegsichriftiteller I, ©. 240 fi. — Bal. Meifter: De catapulta polybola commentatio quam locus 
Philonis mechanici in libro IV De telorum constructione extans illustrat. ®öttingen 1768 

) 5olarb: Histoire de Polybe avec commentaires. Paris 1724. 

*%) Bol. oben die Bemerfung Montuclas über die Benutzung ber Elaftigität der Luft Durch Heron. 
— Franzöfiiche Autoren vergleihen Philons degorovo; mit der Winbbüchfe ; indefien bei diefer wirkt 
die fomprimierte Luft ebenfo direft auf das Projektil wie die Pulvergaſe im fFeuergewehre; die Ähn. 
lichteit ift alfo fehr gering. 

», Köchin und Rüftom vergleichen bad Bud mit einem jchlecht nachgeichriebenen und burd) 
loätere Einihübe entftellten Kollegienheite. — Franadfiich von de Rochas d’Alglu : Poliorestique 


40 Altertum. I. Die Zeit der Republiten. 


großer Teil der bier niedergelegten Vorjchriften hatte gewiß jchon 
zu Beginn des 3. Ihdts. ganz allgemeine Geltung, da die Bervoll- 
kommnung der Geichüge und der Brechwerkzeuge dazu zwang, auch 
die Dedungsmittel zu verjtärfen und zu verbefjern; vieles aber it 
jo eigenartig und war der Zeit des Autors jo weit voraus, daß es 
auch im 2. Ihdt. wohl nur jelten oder nie angewendet worden und aus 
diefem Grunde auch der Wifjenjchaft wieder verloren gegangen tt. 
Bejonders intereffant jind im dieſer Hinficht Philons Außerungen 
über die Flankierung, über Gewölbebau und Erdbau ſowie 
über Gräben und Außenwerfe. 

„Die Türme,“ jo jagt Philon u. a., „müjjen auf geeigneten Punkten an= 
gelegt werden. Ihre Form wecjelt von einem einfach über den DMauergürtel 
vorjpringenden Winkel bis zum Sechseck und zum Kreiſe. Sie müjjen ſich unter: 
einander verteidigen und den Angreifer von der Seite her betreiben. Türme, 
weiche nur in einem fpigen Vorjprunge bejtehen, haben den Vorteil, dem Widder 
bejonder& gut zu widerjtehen .. Badjteintürme mit vieredigem Grundriß müfjen 
deshalb ebenfalld übered in die Mauer gejtellt werden und mit diejer dann durd) 
halbkreisförmige Anſchlußmauern verbunden werden... Bier kann man jchmale 
Poternen anlegen, die dem Blid des Feindes entzogen find und dur die Ber: 
wundete, Boten oder vergl. in den Platz gelangen können. (Die Einrichtung er- 
innert einigermaßen an die jpäteren Orillons.) — Hinter dem Walle ijt eine 
Straße von 60 Ellen Breite frei zu lafjen. Die Mauer ijt mindejtend 10 Ellen 
(4,60 m) did zu machen, um auch den ſtärkſten Wurfmaſchinen (Lithobolen) wider: 
jtehen zu können, und ihre Höhe betrage mindejtens 20 Ellen, damit jie der 
geitererfteigung nicht ausgelegt jei. An geeigneten Orten ijt die Mauer zu krene— 
lieren. Nicht immer erhalten die Mauern eine Erdanjhüttung; man begnügt ſich 
oftmal3 damit, nad) der Stadtieite zu Kragjteine jtehen zu lajien, auf die man im 
Augenblide der Armierung Holzbauten als Rondengänge u. dergl. aufjegen kann. 
(Genau dasjelbe war jpäter im Mittelalter üblich.) Dieje Holzbauten verbrennt 
man natürlich, jobald man erfennt, daß man nicht mehr im jtande jei, die 
Mauer zu halten, damit ich der Feind nicht etwa dort nad) der Leitererjteigung 
(ogiere. — Man baut auch Mauern nad) rhodiſcher Weije (mit Hilfe einer Art 
von Dechargengewölben) an die ſich ein Erdwall von 7 Ellen Dide lehnt. Die 
Mauer jelbjt braudyt dann nur 3 Ellen ſtark zu jein; fürdtet man, daß jie 
zwiichen den Strebepfeilern (den Gemwölbeauflagern) zerjtört werde, jo muß man 
fie von innen ber verjtärten. — Die Türme follen eine Mauerjtärte von mins 
deſtens 10 Ellen haben und durh Scharten verteidigt werden, die, in der Mitte 
der Mauerdide am engjten, fi) nad) außen und nad) innen erweitern, innen 





des Grecs (Paris 1872). Einige befonders wichtige Stellen auch bei Pr&vost,: Etudes historiques 
de la fortification (Paris 1869). — Eine gute Darftellung der alexandriniſchen Befeitigungstunit 
nad Philon und Diodor findet fih in Rüftows und Köchlys „Geſchichte des Grichifhen Kriegsweſens 
(Yarau 1852) ©. 406—395. 


2. Das Zeitalter der Alerandriner, 41 


aber am breitejten find. Die Schartenjohle muß ſtark nad) außen geneigt jein. 
Die Scharten öffnen fih nah den Punkten, wo der Belagerer jeine Maſchinen 
zu errichten im jtande ift, und nicht minder au nad) den Nadbartürmen, um 
den Zugang zu diejen zu bejtreihen. Einige diejer Scharten werden daher jchräg 
liegen müjjen, und es wird zwedmäßig fein, ihren Umfreiß wie ihre Wangen mit 
Eifenplatten zu bejchlagen. (Hocdmodern!) Diejenigen Türme, welche bejtimmt 
iind, auf ihrer Plattform Maſchinen zu tragen, find bod zu bauen; für die 
anderen genügt ed, wenn ihr Profil die Leitererfteigung ausichließt. 

Es empfiehlt ji, die vorhandenen Mittel eher auf eine Steigerung der 
Dide als der Höhe der Mauern zu verwenden. Die äußeren Steinlagen jollen 
aus jehr hartem Material und in der Art konſtruiert jein, daß jeder einzelne 
Blod ji zujpigt und um etwa eine Palme (0,08 m) vor die Fläche vorjpringt, 
jo daß zwijchen dieſen Hödern ſchmale Bertiefungen liegen!). 

Dad Trace ded Mauerumzuged bat jich jorgiältig dem Gelände anzu— 
ihmiegen ... 

Als Ausgänge empfehlen ſich zahlreiche jchrägführende Poternen, die jo 
liegen müſſen, daß Leute, die außen von einer Poterne zur anderen ziehen, immer 
in der Zage bleiben, dem Feinde die Schildjeite zuzumenden. 

Überall, wo eine Vormauer fehlt, find VertifalsPalijjaden zu 
pilanzen, die man durch jtarfe Stride untereinander dergeftalt verbindet, daß 
eine einzelne herausgerifjen werden kann. 

Einige Meijter erbauen Mauergürtel von 100 Ellen Länge (von Turm 
ju Zurm), 12 Ellen Dide und 6 Orgyen (11 m) Höhe, und zwar errichten fie 
jwei Barallelmauern hintereinander, deren zweite intakt ijt, wenn auch die 
etſte ſchon in Breche liegt. Den Zwiſchenraum erfüllen Strebepfeiler, welche Ge— 
wölbe tragen, auf denen die hölzernen Wachthäuſer errichtet werden. Dieje 
Rauer wird von fünfedigen Türmen unterbrochen, welche mit der jcharfen Ede 
nad außen jtehen. Es ift zwedmäßig, die Grundflähen der Zinnenmauer über 
ven Rand der Hauptmauer vorjpringen zu lajjen, um von hier aus den Mauerfuß 
enktecht bejtreihen zu können. (Madicoulis.) 

Bor vieredige Türme joll man Vorwerke in Gejtalt gleichſeitiger Dreiede 
legen. (Kontregarden, Enveloppen.) Sie jhügen die Haupttürme vor den feind- 
lichen Angriffsmaſchinen; aber fie dürfen nicht mit der Hauptmauer in Zufammen- 
gang ftehen, jonjt dienen fie dem Feinde ald Angriffsdamm“. 

Mehrmals fommt Philon auf die Notwendigkeit eines Werkes zurüd, das 
et aporeigıoua (antemurale) nennt. Vielleicht gli) e8 der Anlage, welche bei 
einigen lateiniſchen Yutoren als fossae-brachiae (Grabenſchere) bezeichnet wird. 
Schwerlih aber war es eine fausse-braie im jpäteren Sinne; denn jo nüßlic 
eine ſolche auch gegenüber den Untergrabungsverjuchen und den Widderangriffen 
x Gegners jein mochte, jo mußte fie doch anderſeits die Mauerhöhe in jehr 








I) Diefe Anordnung gewährt den Vorteil, dab tie großen Steingejchoffe zuerſt an die Höder 
anihlagen, hier feitwärtd ober oberwärts abgeleitet werden und nur mit gebrochener Kraft gegen bie 
bauptfläche der Mauer wirlen, — Der größte Architelt des 15. Ihdts., Giorgio Martini, hat ganz 
Ümliche Bofjagen gegen die Geſchoſſe der Feuerartillerie vorgejchlagen [XV. & 76). 


42 Altertum. I. Die Zeit der Republifen. 


unerwünjdhtem Maße beeinträchtigen. Vermutlich war es ein gededter * am 
Mauerfuß, der zu deſſen Bewachung diente. 

Merkwürdig erſcheint es, daß Philon ausdrücklich empfiehlt, ſich nicht — 
ſchließlich des Steinbaues zu bedienen, ſondern ſich mehr auf Erdbau zu legen. 
Darin offenbart fih ein jehr einjichtSvolles Hinausgehen über die bidher aus: 
ſchließlich übliche helleniſche Bauweiſe. — Philon umgibt die ganze Umfaſſungs— 
mauer der Stadt mit einem Syfteme von Gräben und Erdmwällen und verengt 
zugleih den Raum zwiſchen diejen Außenwerken durch Hedenanlagen u. dergl. 
derart, daß der Feind nicht Plap behält, dort fein ſchweres Wurfgeihüß aufzu— 
jtellen. Da ſich jedoch jein ganzes Graben= und Walliyitem noch fein Stadion 
weit vor die Stadt erjtredt, jo läßt ſich jchliehen, daß felbft die fchweriten Ge— 
ichüße erft bei einer jolden Annäherung das Innere der Stadt wirkſam zu be— 
werfen vermodten. 

Bon alledem haben, wie jhon erwähnt, Philons Zeitgenoſſen, 
ja auch) jeine Nachfolger nur wenig beachtet. Niemand glaubte ihm, 
daß die Stärke der Mauern wichtiger jei als ihre Höhe. Die Anlage 
von Scharten in den Türmen oder im Untergejchojje des Mauer: 
gürtels erjchten allzu gefährlich gegenüber der Möglichkett eines 
Überfalles oder der Erfchütterung durch den Widder‘), Man war 
weit entfernt, dem Graben die Wichtigfeit beizumefjen, wie Philon 
tat; gar viele Feitungen entbehrten überhaupt eines Grabens, und 
wo ein jolcher beitand, war die Kontresfarpe nicht revetiert, da der 
Graben meiſt als cine Art großen Waffenplages für Ausfälle be 
trachtet wurde. Der Gedanke der Flankierung, wie ihn Philon aus- 
gejprochen, blieb fait umverjtanden; jogar die Machicoulis werden 
in dem Sinne, wie er jie längs der ganzen Esfarpe anwenden will, 
von feinem antiken Autor wieder erwähnt). — Man jieht, Philon 
war jeiner Zeit zu weit voraus! 


8 18. 

Der dritte der poliorfetiichen Schriftiteller Altgriechenlands tt 
Biton, deſſen Heiychius, Ailtanos und Heron der Jüngere erwähnen. 
Er jchrieb ein Werk über die Einrichtung der Kriegsmajchienen 
und der Gejchüge, (zaraozevai zrolsurov Opyarım nal KaTa- 
‚cehrırcw.)?) welches einem Könige Attalos gewidmet ift. Unter diefem 


1) Archimedes lieh jedoch am Fuße der Mauern von Syrakus Scharten anbringen. Pompeii 
hatte in einigen der gewölbten Türme feiner Stabtmauer Scharten. 

2) Begetius IV, ı fpricht von Gießlochern (Bechnafen) nur über den Thoren. 

s) Ausg. in den Mathemat. vet. opera, wo Pillon bemerkt, daß Biton aud als Bion 
citiert werde. Sritiiche Bearbeitung in Weſchers Poliorcdtique des Grecs (p. 41—68). 


2 Das Beitalter der Alerandriner. 43 


veritehen Fabrietus, Hamberger und Sare den Attalos I. von Bergamos, 
den glorreichen Befieger der Kelten. (239 v. Chr.) Biton war alfo wohl 
Zeitgenoſſe Herons und Philons. Sen Werk zerfällt in 5 Abjchnitte. 

Der 1. Teil beipricht die Betrobole, welche Eharon von Magnefia kon— 
itruierte, der 2. Zeil eine von Iſidoros aus Abydos zu Thejialonich hergeitellte 
Belagerungdmajdine. Der 3. Teil ift Zaußixa betitelt und behandelt ein 
der Form eines folchen dreiedigen Saiteninftrumentes ähnliches Belagerungswerfs 
jeug. (Sturmbrüde) Das 4. Buch erläutert die von Pojeidonius aus Milet 
üt Alegander den Großen fonjtruierte Eienodıs (Angriffsturm.) Das 5. Bud 
endlih beihäftigt fich mit der Gajtraphete. 


8 14. 


Der legte der Boliorfetifer it Athenaios, welcher um 200 v. Chr. 
als Zeitgenofje des Archimedes lebte. Sein Buch über die Be: 
lagerungsmajchinen (reg Mnyarnuarem) it wie das Werf des 
Viton in ioniſchem Dialekte gejchrieben und einem Marcellus, ver- 
mutlih dem Konjul, dem Eroberer von Syrafus, gewidmet !). 

Tiefer Athenaios ift wahrſcheinlich derjelbe, von dem Proclus in jeinem 
Kommentare zum Euklid ald von einem in der Geometrie wohlbewanderten 
Nanne aus Kyzikos ſpricht)y. Als folder bewährt ſich aud der Militärjchrift- 
keller; für die Kenntnis der Kriegsmaſchinen bringt fein Bud) indes nicht eben 
viel Neues; der Hauptwert feiner Angaben für uns bejteht darin, daß fie die 


weit jpäteren, aber ausführlicheren Mitteilungen Apollodors 8 31] beftätigen und 
sier und da ergänzen. 


8 15. 


Dies jind die Werke, welche wir über die Poliorfetif der Griechen 
beſizen. Sie zeigen, daß ein eigentlicher Waffenunterjchied zwijchen 
Artillerie und Genie bei den Alten noch weniger bejtand, als etwa 
geutzutage zwiſchen Feſtungs- bezw. Belagerungsartillerie auf der 
einen, und den ngenieurtruppen auf der anderen Seite. — Daß 
die Daritellungen ausreichend klar jeien, um ein zweifellojes Bild der 
dinge zu gewinnen, läßt fich freilich feineswegs behaupten, und 
manches Element der Artillerie der Alten wird wohl für allezeit ein 
Öegenitand gelehrten Streites bleiben. 

Eine Erklärung der antifen Artillerie verfuchte zuerit Lipfius in jeinem 
Poliorceticon (Antwerpen 1605). Ihm folgte Folard in feinen Polybiosſtudien 





') Ausg. bei Thevenot a. a. D. ©. 1—11 und bei Weiher ©. 140. 
?) Diefer Arhenaios ift nicht zu verwechjeln mit Athenaios von Byzanz, den der Kaiſer Gallienus 
59-268 n. Chr.) ald Architekt verwendete. 


44 Altertum. I. Die Zeit der Republifen. 


(Sur l’attaque et la defense des anciens) 1724. Beider Ergebnifje find un= 
genügend; doch die von ihnen entworfenen Geihüßzeihnungen jpuden nod heute 
in den Lehrbüchern, obgleich weit gelungenere Rekonſtruktionen jhon vor fünf 
Menfchenaltern in den Annalen der Berliner Atademie von Silberſchlag ver- 
öffentlicht worden find (1767). Es lag dies daran, daß die Franzoſen, deren 
Militärliteratur nun einmal die herrichende war, in Folards Fußtapfen blieben. 
Auf lange hin mahgebend blieb daher Jolys de Maizeroy Traite sur l'art des 
sieges et sur les machines des anciens (Pari® 1779). Anfangs des 19. Ihdts. 
nahm Dureau de Lamalle die Forſchungen in feiner Poliorcetique des 
anciens wieder auf (Paris 1819), doc mit geringem Erfolge An dies Wert 
reihten ſih Marinis gute Illustrationes prodromae in scriptores graecos 
et latinos de belopoeia in den Dissertationi dell’ academia Romana di 
archaeologia I (Roma 1821) und Dufourd mwohldurddadhte® M&emoire sur 
l'artillerie des anciens et sur celle du moyen-äge (Genf 1840), Eine inter- 
eſſante, doc) bdilettantijche Arbeit ift de Herzog® von Genua, Yerdinando di 
Savoia, Traftat »Delle machine da guerra degli antichi«, deſſen Hand— 
ichrift fih in der königl. Privatbibliothet zu Turin befindet (ms. 298). — Bu 
befriedigenden Löſungen führten erjt die Unterjuhungen von Köchly und 
Rüſtow in ihren „Griechiſchen Kriegsfchriftitelleen I“ und in der „Geſchichte des 
griechiſchen Kriegsweſens“ (Marau 18535). Wieweit dagegen die Franzojen noch 
jegt von der Klarheit entfernt find, lehrt die Schrift von Que: L’artillerie dans 
Vantiquite et au moyen-äge (Paris 1880). 

Überjchaut man die Ergebniffe, zu welchen das Studium Der 
griechijchen Artillerie geführt hat, jo zeigt jich, daß die treibende 
Kraft entiweder die lajtizität von Bogenarmen oder diejenige 
gedrehter Spannnerven war. Erſteres ijt bet den Galtrapheten, 
den Standarmbruften, der Fall, die jedoch nur in mäßiger Größe 
hergejtellt werden fonnten, leßteres gilt von den eigentlichen Gejchügen, 


den Euthytona (Geradjpannern) und den Palintona (Winfelipannern). 

Die Spannnerven waren in den beiden äußeren Kammern eines dreiteiligen 
Holzkaſtens ſenkrecht aufgezogen, und durd) fie Hindurd führten die Spannarme 
welche den beiden äußeren Teilen, den beiden „Armen“, eine großen Bogens 
entſprachen. Bwijchen den Kammern, alio in dem Mittelfache des Kajtens, lag 
die jog. „Pfeife“, d. h. die Geſchoßbahn, welche bei den Geradſpannern wageredit, 
bei den Winkeljpannern um 45° anjteigend angeordnet war. Demgemäß ftanden 
bei jenen auch die Spannarme jenkrecht zu den Spannnerven, bei den Balin- 
tonen dagegen in einem abjteigenden Winfel von 60% Die Spannarme waren 
durch eine Bogenjehne verbunden, weldhe auf der Geſchoßbahn durch Hajpeln Hin 
und ber bewegt werden konnte. Sie lag bei den Geradipannern auf der Geſchoß— 
bahn jelbjt auf, um den auf diejer ruhenden Pfeil fortzutreiben; bei den Wintel- 
ipannern hatte fie die Gejtalt eines breiten Bandes und war um fo viel über 
die Bahn erhoben, daß fie die Mitte des Steingejchofies traf. Wurde die Bogen- 
ſehne zurüdgehaipelt, jo drehten die Spannarme die Spannnerven um ihre Adie, 


2. Das Zeitalter der Alerandriner. 45 


wodurch dann beim Abſchießen die Sehne mit gewaltiger Kraft vorwärts fuhr. 
Das Anziehen der Sehne und damit zugleich das Drehen der Spannnerven ge— 
ſchah bei den Winkelſpannern unter Zuhilfenahme einer jog. Spannleiter; es 
war ſchwierig; denn es fam darauf an, die Nerven beider Kammern ganz gleid- 
mäßig zu drehen, weil darauf die Sicherheit des Schufjes, bezüglich Wurfs beruhte. 
— Auf die Einritungen der Geſchoßbahn näher einzugehen, würde hier zu weit 
führen. Sie gejtatteten bei den Geradjpannern eine ziemlich bedeutende, bei den 
Binfelfpannern nur eine geringe Anderung der Höhenrihtung. Die Seiten- 
rihtung konnte allein durch Verſchiebung des ganzen Geſchützes ermöglicht werden; 
dies aber war jhwer; denn jeine Holzteile trugen ſtarke Beichläge, deren Gewicht 
das 25 fache des Geſchoßgewichtes betragen jollte. Überhaupt waren durch ſorg— 
fältige Verſuche die Verhältniſſe aller Teile der Geſchütze in genaueſter Weiſe feſt— 
geſtellt. Dabei diente als Grundmaß der Durchmeſſer des Cylinders, den das 
Bündel der Spannnerven darſtellte; dieſer Diameter iſt das „Kaliber“ der antiken 
Seihüge, und man gelangte dahin, daß Geſchütze gleichen Kaliberd auch wirklich 
gleihe Leijtungen aufmwiejen. — Die mittlere Schußweite der Euthytonen war 
625 Schritt. Die WBurfgeijhüge hatten im allgemeinen größere Kaliber; doch 
warfen fie jelten mehr als 1 Talent (25—30 kg) und aud dad nur auf etıva 
50 Schritt. Das Gewicht der Gejhüge war im Verhältnis zu dem der Gejchojie 
jehr viel größer als da3 unferer Kanonen und Mörjer; die Brechwirkung war 
ausgeſchloſſen. die Tragweite relativ gering, der Zujtand der Spanunerven überaus 
abhängig von der Witterung, insbejondere von dem Feuchtigkeitsgehalte der Luft, 
und jo begreift es ſich, daß die antike Artillerie niemals diejenige Bedeutung für 
die Taftif gewann wie die der modernen Welt. 


Merkwürdig erjcheint e8, wie eng in der Auffaffung der Griechen 
Poliorketik und Artillerie mit der Philojophie zujammenhingen ; 
denn auch nachdem jich die Kriegswiſſenſchaft auf eigene Füße geitellt, 
verfäumte jie doch nicht, der jophiitiichen Spekulation, aus der fie 
urfprünglich hervorgegangen, ihren Reſpekt zu bezeugen. Beſonders 
anſchaulich lehrt das die Einleitung zu Herons Lehre vom Geſchützbau. 

„Der widtigjte und notwendigfie Teil der Weltweisheit”, beginnt Heron, 
„it derjenige, welder von der Seelenrube handelt. Über dieje haben die prafti- 
hen Philojophen bei weitggt die meijten Unterſuchungen angeitellt, und ic) glaube, 
dab diefe theoretiidyen Betrachtungen aud) niemal3 ein Ende nehmen werden. 
Aber die Mechanik jteht höher als die Theorie von der Seelenruhe: denn jchon 
ein einziger und bejchräntter Teil der Mechanik, nämlich die Lehre vom Geſchütz— 
bau, gibt dem Menſchen die praktiſche Möglichkeit, in Seelenruhe zu leben. Sept 
ihn doch diejer Teil der Weltweisheit in den Stand, weder im Frieden vor feind- 
lien Angrifien zu beben, noch aud) beim Ausbruch eines Kriege .... denn 
jalld man jidy im Frieden mit dem Geſchützbau gehörig beſchäftigt, jo darf man 
dofien, daß dies dazu beitragen werde, den Frieden zu befejtigen, und dies Bes 
wußtjein mu die Seelenruhe ſtärken“. 


46 Altertum. I. Die Zeit der Republifen. 


Man jieht: gering dachten die hellenischen Artillertiten keines— 
wegs von ihrer Waffe, und nicht nur die Marime »Si vis pacem 
para bellum« war ihnen geläufig, jondern aud) der Gedanke, daß die 
Vervolllommnung der Kriegsmajchinen eines der beiten Mittel jei 
zur Einjchränfung der Kriege. 


S 16. 

Wendet man ich von der Boltorfetif zur Taktik, jo findet man, 
daß die Diadochen das Borbild Aleranders jehr bald aus den Augen 
verloren. — Das leichte Fußvolk büßt fein offenjives Weſen ein, 
indem es von der Weiterei, es verliert jeine vermittelnde Stellung, 
indem es von den Hopliten losgelöjt und jtatt dejjen den Elefanten 
zugewiejen wird, welche jeit Aleranders Inderzug im mafedonijchen 
Heere ericheinen. Man jegte nun das Zentrum ausjchlieglich aus 
Phalangiten, die Flügel aus Neiterei zujammen und benußte Die 
Elefanten gewöhnlich, um das Lintenfußvolf des Zentrums zu deden, 
wobei man die Tiere vor der Front mit Zwiſchräumen von 30 bis 
80 Schritten aufitellte und dieſe Intervalle mit leichtem Fußvolk 
füllte. Infolgedeilen janfen die Bhalangiten zu einer toten Maſſe 
herab; denn die Aufgabe, welche fie unter Alexander gelöjt hatten: 
Sicherung der Flanke des Aftionsflügels, die übernahmen jebt Die 
Elefanten mit den Leichtbewaffneten. Die Bhalangiten, welche doc 
immer noch die Hauptmafje des Heeres ausmachten, waren aljo 
eigentlich überflüffig geworden, und die Harmonie der Schlachtordnung 
war gejtört. Die Bedeutung aber, welche man den Elefanten ein- 
räumte, fennzeichnet jich als ein Nücjchritt zum Barbarentum. Die 
Herden dieſer ſchwer zu bejchaffenden, fojtbaren Tiere vermehren fich 
in den Armeen der Diadochen von Jahr zu Jahr; bald treten fie 
jogar auf den Flügeln der Schlachtordnungen auf umd letjten bier 
zuweilen gute Dienjte; aber jie verlangjamen die Bewegungen und 
richten nicht jelten jchlimme Verwirrung im eigenen Deere an. 
Unzweifelhaft ift es ein Zeichen von Entartung, wenn man die Kraft 
geichloffener Männerjcharen durch jolche Surrogate zu erjeßen ver: 
jucht, wie Elefanten find, und jo hört man denn auch von dem 
Linienfußvolfe der griechiichen Spätzeit wenig Gutes. Gewiß trug 
die Unnatur dieſer Verhältniffe viel dazu bei, daß des Pyrrhos 


2. Das Zeitalter der Alerandriner. 47 


Unternehmung in Süditalien fehlichlug. Er vermochte jeinen Verluft 
an Weiterei und Elefanten nicht entjprechend zu erjegen, und Die 
Phalangiten, deren anjcheinend eme genügende Zahl zu haben war, 
jpielten in dem taktischen Syjtem der Diadochen eine zu unbedeutende 
Rolle, um ſich auf fie allein jtügen zu können. 

Je weniger wahres Leben die Hoplitenphalanz aber noch erfüllte 
um jo mehr entwicelte ſich in ihr ein üppiger Kram von Spielereten 
und taftijchen Formeln. WBielleicht juchten die Bhalangiten jich durch 
dergleichen Reglementsſtudien jelbjt über den Mangel treibender 
innerer Kraft zu täufchen, und indem jie an die lange, ehrwürdige 
Seichichte der Phalanı anfnüpften, indem fie immer aufs neue die 
Legende wiederholten, Alexander d. Gr. habe feine Stege „mit der 
Phalanx“ erfochten, bot jich ihnen auch genügender Stoff. „Der ganze 
Schwarm der mathematischen Soldaten und militärifchen Mathematiker, 
der philojophifchen Stubentaftifer, der Bilder: und Schematamacher 
warf ſich ausschließlich und einjeitig auf die unglüdliche Phalanx und 
dieje wurde von allen Seiten bearbeitet, gegliedert und zurechtgemacht, 
dab es eine Freude war“ ’). Leider hielt man jich dabei ausschließlich 
an Einteilung und Evolutionen der Doplitenjtellung, während man 
von der Verbindung der Phalanx mit den anderen Waffen, durd) 
welche jene doc) thatjächlich erit ihre volle Bedeutung erhielt, gar 
nicht mehr jprach. 

Je mehr ſich aber nun Kraft und Geiſt der Kriegskunſt in einem 
blöden Spiele mit den Formen der Clementartaktif verflüchtigten, 
deito ausgebreiteter gelangte eine ſchulmäßige Behandlung der 
Kriegswijjenjchaft zur Geltung, welche den Anjpruch erhob, den 
Inbegriff alles Bejten überliefern zu können, was bis dahin überhaupt in 
militärifcher Beziehung geleiftet worden war. — Die Jünger des 
Ariftoteles, die Peripatetiker, zogen Strategie und Taktif vor ihr 
Forum. Der von Alian erwähnte Taktifer Klearchos, welcher aus- 
drüclich von dem gleichnamigen Söldnerführer unterjchieden wird, it 
wahrjcheinlich der berühmte Freund und Schüler des Arijtoteles ?). 
Bon zwei anderen Theoretifern, die uns Alian nennt, Eupolemos und 


1) Bol, Köhln und Rüftomw: Griechiiche Kriegsichriftfteller. II, Einleitung. 

9, Kleardjos’ „Tragmente” find gefammelt in des Muelleri: Fragmenta histor. Graecor. 
(Paris 1848, 1I, p. 302—327). Es find 15 Titel, deren einer vom panifchen Schreden hanbelt (za: 
Toü narıxzod), 


48 Altertum. I. Die Zeit der Republilen. 


Iphikrates, weiß man gar nichts !). — Unter den praftiichen Taftifern 
der mafedontjchen Schule iſt der bei weitem wichtigjte der König Pyrrhos, 
welcher, nach Plutarchs Ausſage, ſtrategiſch-taktiſche Schriften Hinter: 
laſſen hatte. WBielleicht bildeten jie einen Teil jener „Löniglichen 
Denkwürdigkeiten“, in denen Pyrrhus jeine eigenen Taten bejchrieb ?) 
und vielleicht war der von jeinem Vertrauten Kincas angefertigte 
Auszug aus den Schriften des Aineias Taktikos 8 8] eine Bor: 
arbeit zu jenem Werf des Byrrhos?). Zu den praftiichen Taktikern 
gehörte gewiß auch der von Aelian erwähnte Euangelos, in dejjen 
Schule der legte ausgezeichnete Kriegsmann der Hellenen, Bhilopoimen, 
jene milttärwiljenjchaftliche Bildung gewann). Auch von jeinen 
Schriften iſt nichts überliefert. 

Neben der unfruchtbaren mathematijchen Klügelet machte ſich 
jehr bald cine gejchwägige Behandlungsweife der jogen. Kriegs: 
Ethik breit, d. h. der Lehren vom Auftreten der Feldherrn, von 
der Behandlung der Mannjchaft u. dgl. m., die meijt in Gemein— 
plägen bejtanden. Aber dieje Dinge imponierten nichtsdejtomweniger, 
zumal jolange noch durd) Tradition im emigen ihrer Vertreter 
eine perjönliche handwerksmäßige Tüchtigfeit erhalten blieb. Mit 
Stolz wieſen die Griechen darauf hin, daß es der helleniſch 
gejchulte Timoleon gewejen jei, welcher im +. Ihdt. Syrafus ge 
rettet habe, und daß die von den Römern in die Enge getriebenen 
Karthager eimem griechiichen Söldnerhauptmann, dem Xanthippos, 
ihr ganzes Vertrauen gejchenft und dies durch den großen Sieg 
bei Tunes glänzend gerechtfertigt gefunden hätten. Allmählich 
jteigerte ich der Sophiitenhochmut derart, daß man zu behaupten 
wagte, Alexander d. Gr. habe alle jeine Feldherrnweisheit: von 
der Einteilung des Heeres in die verjchiedenen Waffen an, Glieder: 
und Rotten-Richten, Schwenfungen und Kontremärſche, Marſch— 
und Schlachtordnung, jamt und jonders in der Philoſophenſchule 





1) Daß dieſer Iphikrates nicht mit dem attifchen Göldnerfelbherrn ein und biejfelbe Berjon jei, 
bemerlt Aelian ausdrücklich. 

% Plutarch; Pyrrhos, 8. — Möglicherweiſe gilt das Lob, das ber Perieget Prolles dem 
Pyrrhos ala Stratege und Zaltiler ſpendet, mehr dieſen verlorenen Schriftwerken als feiner praktiſchen 
Feldherrnthätigteit, die denn doc auch ein ſehr voreingenommener Punier nicht wohl über bie des 
Alerander ftellen Tonnte. wie das Profles thut (Baufanias IV, 35, 4). 

) Auch Cicero bringt die Bücher des Pyrrhos und des ſtineas miteinander in Berbinbung. 
(Epist. famil. IX, 35, 1). 

9 Plutarch Philopoimen, 4. 


2. Das Zeitalter der Alerandriner. 49 


des Ariſtoteles gelernty. — Es war im Hellas auch allgemeiner 
Slaube, daß Hannibal jeine Siege wejentlich griechischer Belehrung 
zu verdanken gehabt. Man erzählte: er jei auf jemem  eriten 
Feldzuge von zwei jpartanischen Strategen begleitet gewejen. Als 
wenn der Sohn des Hamtlfar, der Schüler des Hasdrubal, jene 
Weisheit hätte aus jolcher Ferne holen müfjen! Aber jo tief Durchdrungen 
waren dieſe griechischen Theoretiker von ihrer Unfehlbarfeit, daß der 
Beripatetifer Phormion dem verbannten Hannibal am Hofe des 
Antiochos einen pedantischen Vortrag mit Stift und Zirkel hielt, 
um dem Sieger von Cannae flar zu machen, wie ev denn jeine 
großen Operationen eigentlich hätte führen jollen; wofür ev allerdings 
von dem Feldherrn die Bemerkung einerntete: er habe jchon viele 
verrückte alte Herren gejehen; feiner jei jedoch jo verdreht geweſen, 
wie Bhormion?). — Seitdem nannte man im Altertum Leute, welche 
über Dinge redeten, von denen ſie nichts veritanden „Phormtonen“ 3). — 
Diefer Sophiitenhochmut, der den NAriftoteles gewiljermahen als 
Urguell alles menjchlichen Wiſſens und Könnens betrachtete und die 
hellenische Spekulation höher jchäßte als die gemwaltigiten welt— 
geschichtlichen Thaten, zeigt, wie den Griechen in ſeltſamer Verblendung 
die Begriffe Eriegerifcher Genialität und praktischer Findigfeit vollkommen 
verloren gegangen waren. Sie gingen unter im Schematijieren des 
Überlieferten. Die jpontane Kraft, welche jelbitzeugend jchafft, war 
von ihnen gewichen und entfaltete ihre VBiktorienflügel jetzt in Rom. 


211. 

Das römische Heer bildete fich als legio, d. h. als Ausleje 
aus der gejamten waffenberechtigten Volksmaſſe, u. zw. focht das 
Fußvolk der ältejten Zeit wie das der Griechen in phalangitijcher 
Ordnung von acht Gliedern Tiefe, und dieſe Kampfweije erhielt jich 
18 zu den Samniterfriegen (326—290 v. Chr.). Während deren 
Verlauf jedoc) bildete ſich eine ganz eigenartige römische Taktik 
heraus, eben jene, welche man im Gegenjage zur PBhalangentaftif 


ı) Vgl. dad aus unbeftimmter Zeit ftammende Opuskulum „‚Tix ro Aoyov Toü paoxovros, 
or dx rar drurowv Agıororkkovs Altzavdoo; u Pacıkeis ra rootma fora al rag adheız 
idußave‘‘, weldes zuerft von Boiffonade in den »Anecdota Graeca«, Paris 1829 heraus: 
eben und dann von Köhly und Rüftom in den „Sriechiichen SKriegafchriftftellern”, II, 2. Abt. 
©. 211— 216 wieder abgebrudt worden ift. 

”, Cicero De orat. II, 18, 75, 76. 

) Lüblers Real:Leriton. 


Jahnms, Geſchichte der Kriegäwifienichaften, 4 


50 Altertum. I. Die Zeit der Republifen. 


furzweg als Legionartaftif zu bezeichnen pflegt‘), Im dem 
jchwierigen Gelände des ſamnitiſchen Gebirges nämlich Fonnte Die 
zujammenhangende Linie der Phalanx nur jehr beichränfte Anwendung 
finden; häufig trat die Notwendigkeit ein, für die Bekämpfung von 
Päſſen und Schluchten kleine Kolonnen anzuwenden. Und geradejo 
wie einſt Kenophon in den karduchiſchen Bergen ſeine Kompagnie— 
folonne, den ogFLog Aöyog, erfand, ($ 7), jo operterten die Römer 
in den jammitischen Bergen mit den bisherigen Evolutionsetnheiten ihrer 
Phalanz, den jog. Manipeln. Während aber die Aoyoı ogYLor des 
Xenophon in dem Sinne wie ihr Erfinder fie gedacht, d. h. im Sinne 
gegenjeitiger Unterjtügung und Zujammenwirfung, von den Nach 
folgern des alten Kriegsmeilters nicht begriffen und verwendet wurden, 
geſchah dies von den Römern. Nicht nur für einzelne Unternehmungen, 
jondern auch für die eigentliche Schlachtordnung wird die Linie der 
Phalanx unterbrochen. Die Manipel, 64 Mann jtarfe Ab- 
teilungen von 3 Mann Front und 8 Mann Tiefe, zu jelbjtändigen 
taktiſchen Einheiten erhoben, jtehen mit regelmäßigen Intervallen, 
welche ihrer Frontlänge entjprechen, nebeneinander und zugleidy in 
mehreren Treffen hintereinander u. 3m. jchachbrettartig, jo dat 
die Manipel der hinteren Treffen die Intervalle der vorderen 
deden. Man nannte dieje Stellung nach der Gejtalt der Würfelfünr 
»Quineunx«. — Auch auf die Bewaffnung hatten die Gebirgs- 
fümpfe mit den Samnitern bedeutungsvollen Einfluß. In ihnen 
lernte man jenen eigentümlichen Wurfſpieß fennen, der unter dem 
Namen des Pilums in der Folge die recht eigentliche Nationalwaffe 
des römischen Fußvolks wurde. Mit ihm rüjtete man zunächit das 
dritte Treffen der Manipularlegion aus, welches die ältejtgedienten 
und tlüchtigiten Krieger, die Triarier, umfaßte. Die beiden erjten 
Treffen behielten zunächjt den Spieh der Phalangiten, die Haſta. 
Von Ddiejen beiden Treffen war das vordere, das der Haltaten, aus 
der Blüte der eben erjt für den Kriegsdienſt herangereiften jungen 
Mannjchaft gebildet und zählte zu einem Drittel Leichtbewaffnete; 
das zweite Treffen nahm die älteren und bejonders gut gerüjteten 
Etreiter auf, welche zum Unterjchiede von den Hajtaten des eriten Treffens 


) Bol. Köochly und Rüftomw: Einleitung zu den „Griehiihen Striegsichriftitellern”, 
Marauardt: Römiſche Staattverwaltung II, Leipzig 1876, und Jähnmns; Geſchichte des Ktriegs 
weiens ©. 217 fi. 


2. Das Zeitalter der Alerandriner. Hl 


als Principes bezeichnet wirrden. Endlich gehörten zur Legion einige 
Scharen unregelmäßiger „Sprenfler“, die Rorarter. 

Dieje Manipularlegion erhielt dann in den Kämpfen mit Pyrrhos 
eine weitere, für die Folge maßgebende Ausgeitaltung: der tiefmafjierten 
mit 16 Fuß langen Sartjen bewaffneten griechiichen Phalanx hatten 
die flemen, wenig mehr als 60 Köpfe zählenden Manipel um jo 
weniger zu widerſtehen vermocht, als der Gegner durch treffliche 
Reiterei und Elefanten unterjtügt war. Der einzelne Manipel beſaß 
zu geringe Kraft in Angriff wie in Verteidigung. Dennoc) erjchien 
die Beibehaltung der Mantpularordnung an und für jich geboten, 
jowohl durch die taktiſchen Rüdjichten, welchen jie ihre Entjtehung 
verdankte, als auch durch den Wunjch, den Anſturm der Elefanten 
abweijen, bzgl. in die Zwijchenräume ableiten zu können, ohne die 
ganze Schlachtitellung in Mitleidenſchaft zu ziehen. Demgemäß entjchloß 
man jich, die Mantpel zu verjtärfen: man gab denen der beiden erjten 
Treffen je 120 Mann; nur das aus der altgedienten Mannjchaft 
gebildete dritte Treffen behielt die bisherige Stärke von je 60 Mann 
ım Manipel. Die jchachbrettförmige Anordnung der Legion blieb un- 
verändert; aber an Stelle der irregulären Rorarier wurden jedem 
Treffen die jüngjten und gewandtejten Yeute unter dem neuen Namen 
„Beliten“ als leichte, doch regelmäßige Truppe zugewieſen. Der 
Sarıja gegenüber hatte ſich die Hajta als unzulänglich erwieſen; 
das Pilum dagegen hatte jich bewährt. Dies wurde daher neben 
dem Schwerte zur Hauptwaffe erhoben, indem man mit ihm Die 
beiden erjten Treffen bewaffnete, dem dritten Treffen dagegen, dem der 
Iriarier, welches bisher das Pilum geführt, die Hajta zurüdgab. — 
Dieje VBerbejjerungen erwieſen jic als höchſt zweckentſprechend. Hatte 
die mörderische Wirfung des wuchtigen Pilums, das auf etwa 1O Schritt 
Entfernung gejchleudert wurde, Berwirrung und Lücken im des Feindes 
Reihen erzeugt, jo verhinderte der jofort erfolgende Schwertangriff 
den Gegner, die Lücken zu jchließen, und beutete jeine Beltürzung 
aus. Wilenwurf und Schwertitoß folgten einander wie Blig und 
Schlag. Die Entfernung von 10 Schritten iſt größer als diejenige, 
auf welche der griechische Bhalangit herangehen mußte, um mit der 
Sariſa zujtoßen zu fünnen, aber jie ijt gering genug, um der Bor: 
bereitung durch den Wurf den Einbrud, unmittelbar auf dem Fuße 
tolgen zu laffen, und hierin liegt das Geheimnis des Erfolges. — 

4* 


52 Altertum. I. Die Zeit der Republiten. 


Die Neiterei, welche, organiſatoriſch aenommen, einen Teil der 
Legion bildete, jtand auf den Flügeln, und war nad) - hellenijchem 
Borbild bewaffnet. Ihre Nolle war und blieb untergeordnet. 

Dies iſt Die Manipularlegion, mit welcher die Römer den Pyrrhos 
überwanden, die punijchen Kriege durchkämpften, dem großen Hannibal 
zähen Widerjtand leisteten und endlich in gewaltigen Schlägen Die 
Diadochenreiche am öftlichen Meittelmeere zertrünmerten, die feltiichen 
Stämme an Bo und Khone wie die iberiichen Völfer langjam zerrieben 
und unterjochten und jich zu Herren der thalafltichen Welt erhoben. 


8 18. 


Wie uns über die intereflanteite Periode der Gejchichte der 
griechiſchen Taktik faſt fein gleichzertiges Zeugnis überblieben iſt, jo 
fehlt es auch an allen zeitgenöfftichen Nachrichten über die eben 
jfizzierte Entwidelungsgeichichte der rümijchen Legion. Erjt für Die 
vollendete Erjcheinung der Manipularlegion, wie jie im puniſchen Kriege 
auftrat, bejigen wir die Schilderung eines Augenzeugen, die des 
Bolybios (150 v. Chr.) [$ 19.). Über die anderthalb Jahrhunderte der 
allmählichen Herausbildung diejer taktischen Kunſtgeſtalt jind wir auf 
die Nachrichten von Hiftorifern angewieſen, welche, wie Sallujt, Varro, 
Dionyjtos von Halikarnaſſos und Livius, ein Jahrhundert, ja noch 
jpäter nad) Polybius lebten oder gar, wie Apptanus, dem 2. Ihdt. 
unjerer eigenen Zeitrechnung angehörten. Es hat einer nimmermüden 
Kritif und höchſt geiitvoller Intuition bedurft, um die Ihatjachen 
jeitzustellen, welche im vorigen Abjchnitt angedeutet wurden. 

Die höchſten Verdienjte haben fich in diejer Hinſicht Juſtus Lipjius (1596), 
Salmajius (1657), Zange (1846), Köhly und Rüſtow (1855) und Marquardt 
(1876) erworben. Sie werden durd) die Angriffe, welche neuerdings Delbrüd 
(1836) gegen die herrſchende Auffafjung gerichtet hat, nicht vermindert. 

Der älteſte römische Milttärjchriftiteller, von dem wir überhaupt 
Kunde haben, tft Marcus Porcius Cato, censorius. 

Im Jahre 234 v. Ehr. zu Tusculum geboren, betrat Cato mit fiebzehn 
Jahren in Sizilien die militärijche Laufbahn und hatte ſchon vor Erreihung des 
Mannesalterd die Brujt voll Narben. In der Folge wirkte er zu Rom als 
gerichtliher Anwalt und gewann foviel Gunft und Gewicht beim Volke, daB 
dies ihn zum Legiondtribunen (Staböoffizier) wählte. Als jolcher foht er unter 
Fabius Marimus und Claudius Nero und trug wejentli bei zur glüdlichen 
Entſcheidung der jchidjaldvollen Schladht bei Sena, in welder Hannibal® Bruder 


2. Das Zeitalter der Alerandriner. 53 


Hasdrubal fiel. Später wurde er dem B. Cornelius Seipio ald Quäfter in 
Sizilien beigejellt. Aber Gato, der jtarre Plebejer, deſſen Name als Inbegriff 
politiider Römertugend in ihrer gediegenften aber aud) widerwärtigiten Art und 
Reife galt, konnte fih mit dem glänzenden Optimaten, dejien Weltanſchauung 
von der feinigen jo ſehr verjchieden war, nicht jtellen; er trat vielmehr bald in 
der rüdjichtSlofeiten Weile, jedoch vergeblich gegen Scipio auf. Im Jahre 195 
v. Chr. wurde Cato Konjul und übernahm als folder die Kriegführung in 
Spanien, bei welcher ihn Gewalt und Liſt zu jehr namhaften Erfolgen führten. 
Ein Beiipiel echten Römerfinnes iſt es, dab Cato nah Ablauf jeiner prokonſu— 
lariihen Verwaltung es nicht verjchinähte, dem State auch wieder in minder 
hervorragenden Stellungen zu dienen. So zog er als Legat des Konſuls Tiberius 
Semproniuß Longus gegen die Bojer zu Felde; ja drei Jahre jpäter entichied er 
ald einfacher Legionstribun durd Umgehung des Feinde den Sieg an den 
Thermopylen in dem Kriege gegen Antiochos den Großen. Auf die Höhe der 
Popularität wie des Gehaßtſeins hoben dann endlich den Cato jeine Thätigfeit 
als Cenſor und die leidenjchaftliche Energie, mit welder er die Wiederaufnahme 
des Krieges gegen Karthago betrieb. Er jtarb 149 v. Chr. 

Seine Muße widmete Gato jchriftitellerischen Arbeiten, wobei ihn 
der Gedanke leitete, den Römern eine Jelbjteigene volkstümliche Literatur 
ju gründen, die frei jein jollte von jedem fremden, d. h. griechischen 
Einfluſſe. 

Noch zu des Livius und des Aulus Gellius Zeiten ſchätzte man eine Samm— 
lung der öffentlichen Reden Catos ſowie ein hiſtoriſches Werk »Origines«, welches 
ſich in ſieben Büchern mit der älteſten Geſchichte der Völker Italiens beſchäftigte 
und bis zum Schluſſe des zweiten puniſchen Krieges führte. Die eigentümlichſte 
Schöpfung des merkwürdigen Mannes waren aber wohl jeine Praecepta ad 
flium, die Ratihläge für feinen Sohn, welde den Anfang einer römijchen 
Theorie der Wifjenihaften bezeichnen, injofern fie eine Summe von Vorſchriften 
enthalten, weiche auf Erfahrung und Beobadtung gegründet find und jih auf 
Sandwirtihaft (de re rustica), auf Kindererziehung (de liberis educandis), auf 
Sejundheitöpflege (commentarius, quo filius medetur servis, familiaribus), 
auf Sittenlehre (carmen de moribus), auf Beredjamfeit (de oratore) und. nas 
türlihd auch auf dad wichtigſte Anliegen der Römer, auf das Kriegsweſen (de re 
militari), beziehen. Bon all dieien Schriften find leider nur geringe Bruch: 
ftüde erhalten *). 

Die Fragmente von Catos Schrift de re (oder de disciplina) 
militari jind auch in sprachlicher Hinjicht Denfmale ftarriter, 
ültertümlichjter Latinität. Gewiſſe militärische Ausdrücde der Römer 
ind chen nur in ihnen erhalten. In der Vorrede hebt Cato mit 


+) Zuerft jammelte die Fragmente Riccoboni (Bafel 1579. MNeuefte und befte Ausgabe 
derſelben ift die von Jordan: M. Catonis praeter librum de re rustica quae extant. (Leipzig 
1860). Die milit. rragmente ftehben ©. 80—82. 


54 Altertum. I. Die Zeit der Republiten. 


derbem Selbjtbewußtjein das eigene Verdienjt eindringlich; hervor und 
fertigt etwaige Tadler im voraus Fräftig ab. Dabei jcheint er aud) 
gegen jolche Verächter der Willenjchaft loszuziehen, welche das Kriegs— 
wejen für eine Sache bloßer Routine hielten und gar nichts von 
wifjenichaftlicher Behandlung desjelben willen wollten!). Solcher 
Männer mag es in Rom wohl jehr viele gegeben haben. 

Glücklicherweiſe find außer den ſpärlichen Fragmenten des Originals 
wichtige Teile der catontichen Schrift noch indirekt erhalten, injoferne 
Begetius den Cato zum großen Teile ausgejchrieben hat; gerade die 
beiten Partien jenes Werkes 8 38] jcheinen dem Buche des Gato 
entnommen zu jein?). Vegetius erwähnt die Benugung desjelben auch 
wiederholt?), und es ijt wohl nicht ohne Bedeutung, daß eine 
florentinische Handjchrift (Cod. Riccardianus Nr. 170), welche aus 
lauter vegetijchen Fragmenten zujammengejeßt it, den Titel trägt: 
M. Cathonis de re militari*). — Unter den bei VBegetius erhaltenen 
Stellen iſt die interefjantejte diejenige, welche die jieben verjchtedenen 
Schlachtordnungen aufzählt’): 1. Die depugnatio fronte longa, 
quadro exereitu, d. h. die PBarallelordnung; 2. und 3. die Jchräge 
Schlachtordnung (obliqua); 4. und 5. die sinuata acies, die bogen- 
fürmige Ordnung; 6. die directa acies oder depugnatio in simili- 
tudinem veru, d. h. in Form eines Bratjpießes; 7. endlich Die 
Stellung mit Flügelanlehnung im Gelände. 

In Bezug auf die 1. Ordnung bemerkt Cato, daß man ji ihrer in 
älterer Zeit ausjchließlich bedient zu haben ſcheine. — Die ſchrägen Schlacht⸗ 
ordnungen haben auch bei Cato den Sinn, entweder mit dem rechten oder mit 
dem linken Flügel anzugreifen; doch jchreibt er für den Dfjenfivflügel keine 
andere Austattung vor als für den Defenjipflügel. Übrigens führte der römijche 
Braud, den Kern des Fußvolkes, die Legionen, ſtets in die Mitte deö Heeres zu 
itellen, die Bundesgenofjen dagegen auf die Flügel zu verteilen, naturgemäß dabin, 
dai man den Feind fajt immer mit voller Front angriff. — Bei der bogen- 
fjörmigen Ordnung jollen beide Flügel den Angriff machen, während die Mitte 
entweder ganz geöffnet oder ſchleierartig durch Reiter und Schügen oder Truppen 
geringeren Wertes ausgefüllt wird. In diefer Hinfiht ahmten die Römer das 
Beifpiel des Hannibal nad), und jo wendete z. B. Scipio die sinuata acies ar, 


!) ®gl. Plinius Nat. hist. praef. 30, Veget. II, 3 unb I, 13. 

?) Namentlich I, 9—14, 20—27; II, 1, 2, 4, 15; III, 14—17, 19, 26. 

) ®al. I, 8, 18, 15; II, 3. 

*) Bol. Keil im Rhilolog. Jahrb. V, ©. 175. 

) Daß Vegetius an biejer Stelle den Cato benußt bat, beweift, abgejehen von anderen Indizien, 
erhaltenes Fragment bes Originals, das fich bei Vegez wörtlich wiederfinbet. 


2. Das Zeitalter der Alerandriner. 55 


indem er bei Ilipa im Jahre 206 gegen Hasdrubal eine Stellung nahm, deren 
Zentrum die ſpaniſchen Auriliaren bildeten, während er mit den Legionen von 
den Flügeln ber angriff. Der Ausdrud »sinuata acies« jteht übrigens nicht bei 
Begez, wohl aber bei Seneca de vit. beat. 4!). Die depugnatio in similitu- 
dinem veru fommt bei einem aus dem Marſch heraus beginnenden Gefechte zur 
Anwendung, indem das ganze Heer in Kolonne auf eine Flanke des Feindes ge- 
führt wird und dann, ihn überflügelnd, in einer Linie Front macht, welche mit 
der feindlihen Aufſtellung einen ſpitzen Winkel bildet. Diefe Schladhtordnung, 
welche dem Cato mit Recht als eine höhere Konjequenz der obliqua depugnatio 
eriheint, ift offenbar eine Reminiscenz der Aleranderihladten. Die Römer der 
älteren Zeit durften, bei der Mangelbaftigfeit ihrer Weiterei, derartige Flügel— 
bewegungen nicht wagen. Eigentlihe Flügelſchlachten hat erſt Cäjar wieder ge= 
ihlagen: jo gegen Wriovijt, bei Pharjalus und bei Thapjus. 


Wie Gatos liber de re militari das erjte lateinische Wert 
über das Kriegsweſen war, jo tft es auch auf lange hinaus das 
einzige geblieben. Bis Frontin, der unter Marc Aurel lebte, alſo 
durh ein volles PVierteljahrtaufend trat fein eigentlich römtjcher 
Milttärjchriftiteller von Bedeutung auf; dieſe ganze Zeit wird von 
griechiicher Bildung beherrjcht, auch auf dem Gebiete der Kriegskunft. 


8 19. 


Der mit Leidenschaft feitgehaltene Lebensgedanke des gefürchteten 
Cenſors: die unbedingte Aufrechterhaltung des alten Römertums, 
erwies jich als undurchführbar. Dejto vollfommeneren Erfolg hatte 
das entgegengejegte Streben eines jüngeren Zeitgenofjen, der ich die 
Aufgabe jtellte, Römertum und Hellenismus praftifch und 
wiijenjchaftlich zu vermitteln: es iſt Polybios. 

Polybios wurde 210 v. Chr. zu Megalopolis als Sohn des achäiſchen 
Strategen Lykortas geboren. Unter diefem Bater und dejien Freunde, dem Feld— 
herrn Philopoimen, dem „legten der Hellenen“, welchem Polybios jpäter ein lites 
rariſches Denkmal jegte, bildete er fih zum Statd- und Kriegsmann aus und 
wurde 169 zum Hipparchen, Reiterbefehlshaber des achäiihen Bundes gewählt. 
Zwei Jahre jpäter, nad) Beendigung des Krieges der Römer mit Perjeus, wurden 
1000 angejehene Achäer, unter ihnen Polybios, als Geifeln nah Rom geführt 
und dort 16 Jahre lang fejtgehalten. Im Hauje des Wemilius Paulus fand 
Polybios eine zweite Heimat, und bald verband ihn innige Freundichaft mit 
Scipio Aemilianus. Er begleitete diefen nah Afrika, unterfuchte während der 
Belagerung von Karthago als Flottenführer in Seipios Dienjt die Nord- und 
Weſtküſte Afrifad und wohnte endlich der Eroberung und Zeritörung der punijchen 
Hauptjtadt bei. 


1) Bel. auch Livius 28, 14. 








56 Altertum. I. Die Zeit der Republiken. 


Bolybios hatte die Überzeugung gewonnen, daß die Erfolge 
Noms nicht blindem Glücke, jondern jeiner Tüchtigfeit zu danken 
jeien und juchte diefe Wahrheit den Griechen als Grund für ver- 
trauensvolle Unterwerfung, den Römern aber als Antrieb zu maß- 
voller Herrichaft vor Augen zu jtellen. In diefem Sinne begann 
er em großes Gejchichtswerf, für das er Netjen nad) Kleinaſien, 
Ägypten, Gallien und Spanien unternahm. Nach ihrer Vollendung 
umfaßte jene pragmatijche Univerſalgeſchichte (rgayuarızı 
orogia vasokızn) 40 Bücher, welche die Ereignifje vom zweiten puni- 
ſchen Kriege bis zur Zerjtörung Karthagos (220 —146 v. Chr.) 
Iynchroniftiich darjtellten. An Genauigkeit und Treue der Erzählung, 
an Tiefe politifchen und militärischen Wiſſens wird Dies Werf 
von feinem des Altertums übertroffen. Die Anforderungen des 
Berfajiers an den Hiſtoriker jind groß. Gr verlangt von ihm 
fleigiges Uuellenjtudium, eigene Anjchauung der Ortlichfeiten ſowie 
politiſch (smilitärtiche) Kenntniffe, und er tjt eifrig bemüht geweſen, 
jelbjt dieſen Forderungen zu entjprechen. Sem Berhältnis zu 
Scipio gab ihm Gelegenheit, viel zu jehen und zu erfahren, 
und das Bejtreben, in jenem Werke „zum Nuten berufener Stats— 
und Sriegsmänner“ überall die Urjachen der Begebenheiten Elar 
zu legen, ein Bejtreben, das ihn als den Schöpfer des Didaf- 
tiichen PBragmatismus in der Gejchichtsbehandlung erjcheinen läßt, 
veranlagt ihn zu erläuternden Erfurjen namentlich militärijchen 
Inhalts. 

Bon den 40 Büchern find leider nur noch die 5 erjten in ihrer 
uriprünglichen Volljtändigfeit erhalten, von den übrigen der erite 
Teil des 6. Buches und zahlreiche z. T. bedeutende Bruchjtüde. 

Unter den Exkurſen iſt der wichtigjte die Abhandlung über 
das römiſche Kriegsweſen (VI, 19—24), welche eine der wejentlichjten 
Grundlagen unjerer Kenntnis der militärischen Altertümer Italiens 
bildet. Er enthält u. a. auch die berühmte viel kommentierte Be 
ichreibung des Lagers eines konſulariſchen Heeres von zweit Legionen 
nebjt obligaten Bundesgenofjen — auf lange hinaus Die einzige 
Quelle über römiſche Caſtramentation, da erit, jajt 400 Jahre jpäter, 
Hyginus 8 35] diefen Gegenitand aufs neue behandelt hat. Dem: 
nächit iſt der Abjchnitt über die makedoniſche Taktik von bejonderer 
Bedeutung. 


2. Das Zeitalter der Alerandriner. 57 


An einer Stelle, wo Polybios von den Beziehungen der Geometrie zu den 
riegswiſſenſchaften ſpricht (X, 20), jagt er, daß er denſelben Gegenſtand ausführlich 
in jeinen Kommentarien über die Taktik (ra eoi ras rafeıs vrournuare) 
behandelt Habe. Vermutlich iſt dies dasjelbe Wert, welches Yelians Arrian 
529, 30) als Vermächmis eines Gefährten Scipio8 empfehlen. Leider iſt e8 für 
uns verloren. 

Die taktiichen Ktommentarien wie das Leben des Philopoimen 
dienten für die Jozogra offenbar als Vorjtudien, durch welche der 
Verfaſſer eine jener Hauptbedingungen erfüllte, welche er an den 
Heichichtsjchreiber stellt: bewandert zu ſein im den technifchen und 
biographiſchen Einzelheiten. 

Geht man näher auf die militärijhden Erfurje der „Allgemeinen 
Geſchichte“ ein, jo muß allerding® zugegeben werden, daß manche davon ge= 
ringen ®ert haben. Das gilt 5. B. von der Auslafiung über den Wert der 
friegeriihen Verſchwiegenheit, welche Polybios an feine Erzählung von dem ver- 
eitelten Anjchlage des Philippos auf Melitaia nüpft (IX, 13). Dieje und auch 
andere bei diejer Gelegenheit entwidelte Marimen, tragen meift den Stempel 
einer gewijien Trivialität, wie er jo manchen friegsethiihen Betrachtungen (nicht 
nur der Alten) aufgeprägt iſt. Andere Erkurje find ſchon interejianter: jo die 
Auseinanderjegung, wie wichtig e3 für den Feldherrn jei, den Gegner zu durd)- 
ihauen (III, 81); die Darlegung, daß Hannibal niemald vom Feinde das Geſetz 
genommen, vielmehr jede Schlacht nach eigenem Willen und Plan geliefert habe 
— yopis noodesenns — (III, 69), oder die Betradhtung, wie verderbenbringend Un= 
einigfeit zwiſchen Heerführern wirfe (III, 110). Merkwürdig ijt die Erörterung 
über die Notwendigkeit mathematijcher Kenntnifje für den Feldherrn, deren diejer 
hon im Intereſſe der Pünktlichkeit des Dienftes bedürfe, dann aber auch bei der 
Lagereinrichtung, bei der Relognoszierung feſter Pläge und bei Beſtimmung der 
Höhe feindliher Mauern (X, 20, 21). Nicht unwichtig erjcheint die Erläuterung 
der von Bolybios jelbit verbeſſerten Fernſprechkunſt durd) Feuerzeichen (X, 43—47), 
de u. a. eine Stelle aus einem der verlorenen Bücher des Aineias Taktikos auf, 
bewahrt Hat ($ 8). Mit Geift und Sachkenntnis ſetzt Polybios bezgl. einer zu 
\iefernden Schlaht das Für und Wider auseinander (III, 70). Eines der wenigen 
Beijpiele antiten militäriſchen Kunftrichtertums, die überhaupt erhalten find, bietet 
des Berfajlers Kritik von des Kallifthene® Darftellung der Schlacht bei Iſſos 
(XU, 17— 22)! Sehr treffend hebt Polybios die entſcheidende Bedeutung der 
Reiterei im punifchen Kriege hervor (III, 117); offenbar als Augenzeuge berichtet 
er über die von Scipio in Spanien angeftellten favalleriftifchen Übungen, und 
eine Andeutung Aelians läht erfennen, daß Polybios gerade diejem Gegenjtande 
in feinem taftiijhen Lehrbuche bejondere Aufmerkſamkeit geſchenkt habe). Schon 
') Mäheres darüber bei Küftom und Köchly: eich. des griech. Kriegsweſens ©. 275, 280. 
*), Melian. XIX, 10. Danach orbneie Bolvbios fein Normalgeihtwader (64 Pferde, aljo eine 


im. Doppelturma) nadı der Figur des ./, d. h. eines Keils an, jomit in derjelben Art, die auch im 
Rittelalter eine der üblichften Angriffsformationen der Reiterei war. 


588 Altertum, I. Die Zeit der Republiten. 


erwähnt wurde die hervorragend wichtige Yagerbejichreibung (VI, 27—32), welde 
leider doch nicht genau genug gehalten ijt, um nicht verjhiedenartige Auffafjungen 
zu gejtatten und welche daher Gegenstand mannigfaltiger Kontroverjen geworden ift'). 

Der bei weitem berühmteite und wichtigite aller Erfurje üt 
aber der Vergleich der griehiihen Phalanx mit der römi— 
Ihen Manipularlegion. 

Groß geworden in der Schule des Bhilopoimen, hatte Polybios 
die phalangitiiche Kampfwerie als etwas Gegebenes hingenommen. 
Da erfolgen die gewaltigen Schläge von Kynoskephalai und Pydna 
(197 und 168 v. Chr.), unter denen die Phalanx auf mafedontjchem 
Boden der Legion erliegt und in ihrem Sturze das mafedontjche 
Reich begräbt. Und nun fommt der junge Bolybios jelbjt nad) Rom. 
Welch eine Aufforderung, die heimiſche Kriegsweiſe mit der Der 
Römer zu vergleichen! Leuchtet ihm doch beim erjten Anblick ein, 
daß jein gebirgiges Vaterland ſich weit beſſer für die Legion geeignet 
haben würde als für die Phalanx; erfüllt ihn doch jene Wißbegierde 
des ‚Fremden, der alles mit friichen Augen anjchaut und daher nicht 
jelten jchärfer jieht und unbefangener beurteilt, als der Eingeborene, 
dem jich das Hergebrachte von jelbjt verjteht. Daher it der Vergleich, 
welchen Polybios zwiichen Phalanx und Legion anjtellt jo 
frifch und lebendig und anjchaulicher als alles, was irgend ein Römer 
über die Legion geichrieben hat. 

„Es ijt anziehend“, jagt Bolybios (X VIII, 11— 12) „zu unterjuden, worin 
jid) die Schlachtordnungen der Griechen und Römer unterjcheiden und weshalb die 
fegtere ben Sieg davontrug. Das Ergebnis wird lehren, daß der Erfolg feines 
wegs allein dem Glücke zuzufchreiben ift, daß vielmehr die Sieger aus Vernunft: 
gründen wegen ihres Verfahrens zu loben find... Es ſteht feft, daß die Phalanx 
in der Front unüberwindlic ift und dab nichts der Madıt ihre® Anjturmes zu 
wibderjtehen vermag, jolange jie ihre eigentümliche und natürliche Verfaſſung aufredht 
erhält... Woher fommt es nun, daß jie dennoch von den Römern befiegt wurde? — 
Weil Zeit und Ort der Gefechte unendlich verjhieden find, die Phalanz aber nur auf 
eine bejtimmte Zeit und eine beftimmte Art der Ortlichkeit berechnet ift. Gilt es, 
eine entjcheidende Schlacht zu liefern, und ijt der Feind gezwungen, zu einer Seit 


1) Bol. über die Sontroversliteratur: Marauarbt: Röm. Staatöverwaltung II, ©. 392. 
(Leipzig 1876.) 

*) Diefer Exkurs hat von jeher Bewunderung und Kritik der Kriegsgelehrten berausgeforbert. 
Bon bejonderem Intereſſe find die Betrachtungen Macdiavellis, Folards, Guichards, Lo Loos’, des 
Herzogs von Roban, des Marihalls Punjegur und Rüſtows. Letzterer hat in den mit Köchly ebierten 
„Briech. Kriegsichriftitelleen“ die im obigen Tert verkürzt wiedergegebene Stelle vollftändig u. am. 
ariechiich und beutich mitgeteilt (II, 1. Abt. ©. 113— 125). 


2. Das Beitalter der Alerandriner 59 


und auf einem Scladtfelde zu kämpfen, melde der Phalanr günjtig find, jo 
wird diefe wahrjcheinlich fiegen. Kann aber der Gegner jene Zeit und jenen Ort 
vermeiden, jo dürfte die Phalanx ihre Furchtbarkeit verlieren. — Jedermann weiß, 
dab die Phalanx eines ebenen Geländes bedarf, das nicht von Gräben und Bächen 
durdichnitten und überhaupt frei von Anhöhen, Abhängen und lüften ift; denn 
durd dergleichen wird die Phalanz gehindert und gebroden. Niemand aber wird 
leugnen, daß es ungemein jchwierig, ja faum möglich jei, ein Gelände von auch 
nur etwa 20 Stadien (ca. 5 km) aufzufinden, welches feines jener Hinderniſſe 
bietet. Angenommen aber, es fänden ſich joldhe Ebenen! Welchen Gebrauch will 
man dann von der Phalanr machen, wenn der Feind, jtatt ſich und auf jenem 
günftigen Boden entgegenzujtellen, ausweicht, jih im Lande ausbreitet und 
plündert ? Was würde dann die Phalanı nugen!? Bliebe fie auf dem für fie 
geihidten Gelände, jo vermödhte fie weder den Ihrigen zu helfen, noch wäre fie 
im ftande, fi) zu ernähren; denn der Feind könnte ihr leicht die Zufuhr ab» 
ihneiden. Verließe fie aber den Plag, jo begäbe fie fich ihres Vorteild. Doch 
auh auf dem ihr günjtigjten Boden vermag man die Phalanx fiegreich zu be= 
impfen, jobald man ihr nicht das ganze Heer auf einmal entgegenftellt, ihr nicht 
eine gleiche Front darbieten will, jondern Heeresteile zurüdhält. So verfahren 
die Römer. Mag nun die Phalanr das erjte römijche Treffen werfen oder mag 
fie jelbft durchbrochen werden: in jedem Falle löſt der Kampf die Gejchlofienheit 
der Phalanx; verfolgend oder zurüdgedrängt: jedenfalls bietet fie jet Lüden, in 
weiche des Feindes zweite® Treffen oder fein Rüdhalt ſich hineinwerjen kann 
u. zw. aus der Flanke oder vom Rüden her. Da man aljo den Bedingungen, 
weldhe die Phalanx ftark und furdtbar machen, leicht ausweichen kann, dieſe jelbit 
aber Umftände, welche ihre Kraft brechen, unmöglich zu vermeiden vermag, jo iſt 
ein merflicher Borteil auf Seiten der römijhen Schlaftordnung. Muß doch aud) 
ein Heer, das in phalangitifher Weije zu jechten gewohnt ift, die verichieden- 
artigjten Gelände durchſchreiten, muß gefaßt jein, während des Marſches anges 
griffen zu werden oder auß dem Marſche Heraus den Feind anzugreifen; e8 muB 
vorteilhafte Päſſe jchnell bejegen, feindliche Streifpartien einjchließen, Lager be= 
ziehen und Lager belagern. AU jolde Unternehmungen aber, die fi jehr oft 
in einem Feldzuge ereignen und immer wichtig, oft jogar entſcheidend jind, laſſen 
ih mit der maledoniihen Taktif nur höchſt unvolllommen durdführen, weil dieje 
nit darauf eingerichtet ift, in Heinen Abteilungen oder gar Mann für Mann 
zu fämpfen. Die römiſche Shlahrordnung hingegen ijt allgemein 
braudbar; fie ift auf alle Fälle gefaßt und kann unter allen Umjtänden und 
auf jedem Boden fechten. Der römiſche Krieger behält die gleiche Faſſung, ob er 
nun in einem ganzen Seere oder nur in einem Manipel oder jelbft einzeln zum 
Kampie gehe. Diefe ZTeilbarkeit und Biegſamkeit der römijchen Legion iſt die 
Urjache, weshalb die Römer ihre taftiihen Zwecke leichter erreichen als ihre 
Gegner. — Ich glaubte diefe Dinge eingehend behandeln zu follen, weil viele 
Griehen, ald Makedonien überwunden wurde, an eine Art Hexerei glaubten und 
nanche auch nachher nicht einzujehen vermochten, worin denn die Anordnung der 
griechiichen Phalanı der der römiichen Legion nachſtände.“ 


60 Ultertum. I. Die Zeit der Republiken. 


Soweit PBolybios. Er bat dabei natürlich die jchwerfällige, im 
einen gewiljen Marasmus verjunfene Phalanx jeiner eigenen Zeit vor 
Augen, nicht die freier gejtaltete mit der Angriffsfolonne oder der 
Nitterichaft verbundene jchräge Schlachtordnung des Epameinondas 
oder Aleranders. Aber jelbit auf dieje beiden paſſen gar manche 
der von Polybios hervorgehobenen Kennzeichen. Wenn die Phalanx 
"der hellentichen Frühzeit, welche auch des Orthios Yochos und der 
mächtigen Reiterwaffe entbehrte, großartige Stege wie die bei Mara— 
thon und Plataiai erfocht, jo lag das, abgejehen von den Mängeln 
der damals befämpften aſiatiſchen Taktik, weientlich daran, daß Die 
Phalangen jener Frühzeit eine jehr viel geringere Stärfe hatten, To 
daß fie weit leichter Gegenden fanden, in denen fie mandvrieren konnten, 
ohne ihre Front zu brechen. — Unzweifelhaft hat Polybios voll: 
fommen Recht, wenn er der Phalanx überhaupt einen beichränfteren 
Grad von Brauchbarfeit zuerfennt, als der Legion. Ein Hauptvorzug 
der leßteren liegt auch darin, daß ihre Anordnung jehr geichteft auf 
die menjchlichen Stärken und Schwächen berechnet it und cine 
methodische Anwendung gejtattet, die jogar dem jchlechteren Feld— 
herrn, wenn er nur fonjequent und zähe it, den Sieg ermöglicht. 
Dies aber entipricht auf das Vollfommenjte dem römischen Stats- 
wejen, der römtichen Politik. So trägt denn die legionare Kampf— 
were den breiten Stempel echter Volkstümlichfeit. Die Römer jelbit 
empfanden das, und noch im 4. Ihdt. n. Chr. meinte Vegetius: von 
einem Gotte jcheine Die Legion erfunden. Die echt volfstünlichen 
Elemente in der Kultur einer großen Nation find aber allemal auch 
die weltgejchichtlichen, und daher hat die römische Taktik der guten 
Zeit nicht nur nationale, jondern geradezu univerjale Bedeutung. 

Die jchachbrettförmig aufgeitellte Legion mit ihren drei Treffen, 
deren jedes wieder frei und gelenkig in zehn Manipel gegliedert iſt, 
gewährt jchon durch dieſe Formation die Möglichkett ganz anders 
gearteter und viel mannigfaltiger taktifcher Verwendbarkeit, als das 
eine tiefe Treffen der Phalanx. Damit jedoch iſt der innere Reichtum 
der Legion noch nicht einmal erichöpft. In die drei Treffen ift Die 
Mannjchaft vielmehr nach Dienjtalter und Kriegstüchtigfeit eingeteilt 
und ungleich bewaffnet, jo daß ein Jneinandergreifen verjchtedener 
Elemente mit wachjender Wirkung jtattfindet. Die kämpfende Legion 
gleicht gewiljermaßen einem Schaujpiele von drei Akten mit dDramatücher 


2. Das Zeitalter der Alerandriner. 61 


Steigerung; ja, wenn man die vor ihr herſchwärmenden Beliten in 
Anschlag bringt, jo fehlt auch das Vorjpiel nicht. Die Phalanx da- 
gegen gewährt nur ein einaktiges Schaufptel; ſie tt Die emfache, den 
eriten Grundjägen geregelter Scharung entiprechende Mafje; die Legion 
aber iſt em feiner umd gelenfiger Organismus. Sehr ſchön jagt 
Machiavelli: „Obwohf die Phalanx viele Befehlshaber und Unter: 
abteilungen zählte, jo hatte jie doch nur einen Kopf; die Römer aber 
teilten ihre Legionen in viele Abterlungen, weil jie dafür hielten, day 
em Körper deito mehr Leben habe, je reicher er bejeelt jet; denn jedes 
Hlied der Legion war fähig, für jich allein zu beſtehen“ ?). Nun aber 
traten gewöhnlich mehrere Legionen neben emander gemeinſam wirfend 
auf, und dann entwidelte jede Legion als jelbitändiger Heeresfürper 
auch ihren eigenen Corpsgeiſt; ſie hatte als die bejtimmte Legion 
Ruhm zu erwerben, zu erhalten, zu verlieren. Davon war bei der 
Phalanx nie die Nede; denn dieſe ballte man aus allen Schwer: 
gewafneten des Heeres zu emer unterjchtedslojen Mafje zujammen. 
in der Phalanx Fällt jeder Notte die Geſamtheit der Gefechtsthätigfeit 
u: Einleitung, Embruch und Nachhauen. Die Legion teilt den Veliten 
die Einlettung, den Haſtaten und Brincipes den Einbruch, den Triariern 
die Aufgabe der Nejerve zu. Zwar mochten auch vor der Front der 
Lhalanx Leichtbewaffnete ſchwärmen; jie konnten doc) feineswegs To 
gründlich für die Gefechtseinleitung ausgenußgt werden, wie die Veliten 
der Legion, weil legtere durch ihre Intervallenitellung das Vorſenden 
und Zurüdnehmen der Plänkler in hohem Maße begünftigte. Die 
Phalanx jegte Gewinn und Verluſt auf Eine Karte; Meachiavell be 
merft in Bezug hierauf mit Recht: »Il maggiore disordine che 
facciano coloro che ordinano un esercito alla giornata, & dargli 
solo una fronte, ed obbligarlo ad un impeto ed a una fortuna.« 
Bei der Legion aber mußte jchon lange unglücklich gejpielt worden 
ſein, bevor der Auf ericholl: Res rediit ad triarios! Was bei der 


»)), Machiavelli: Dell’ arte della guerra, lib. III: »perch& giudicarono, che quel 
corpo avesse piü vita, ch@ avesse pilı anime e che fusse composto di piü parti, in modo 
che ciascheduna per se stessa si regesse-. Angeſichts jo Flarer Auffafiung ſchon in alter Zeit, 
befremdet eö, daß noch heutzutage Urteile zu gunſten der taktifchen Überlegenheit der Phalanx über die 
Sein abgegeben werden. So hat noch jüngit General v. Sonklar einen Aufjag neichrieben, um 
zadzumweifen, „wie gering die taktiſchen Hilfsmittel der Legion im Verhältnis zu jenen der Phalanx 
searien* jeien. („Bon der Phalanx und von der Legion.” Organ der militärwifjenichaftl. Vereine. 
XIV. ®p., 2. Heft, Wien 1877.) Sein Urteil beruht auf einer Verwechſelung des taftiichen Wertes 
der Eooiutionseinheiten mit dem der taltiihen Einheiten. 


62 Altertum. I. Die Zeit der Republifen. 


Phalanx von mehr oder minder einjichtsvollen Anordnungen oder 
Eingriffen des Feldheren abhing und nicht leicht, ja in den meiften 
Fällen überhaupt nicht herbeizuführen war: vechtzeitige und aus 
reichende Wechjelwirfung der einzelnen Teile der Schlachtordnung, Das 
war bet der Legion jelbitverjtändliche Grundlage der Taktik. Das 
phalangittiche Syitem jucht jeine Kraft lediglich im Stoße, bzgl. im 
Abjtogen, das legionare dagegen in dem neinandergreifen ſeiner 
Glieder; jenes jtrebt nach dem Erfolge durch den unbedingten Zus 
ſammenhalt einer feitgeichlofjenen Maſſe (Linie, Kolonnenlinie oder 
Kolonne), dies dagegen durch das Zuſammenwirken jelbitändiger ſtark 
individualifierter Einzelheiten, deren Berhältnis durch ein höheres 
ſtatiſches Geſetz bedingt tt, als durch Pas rohe Aneinanderhäufen. 


Den Zwed, welchen Bolybios jenem Wirken gegeben: zwiſchen 
römiſchem und belleniichem Wejen zu vermitteln und beider Wer: 
jchmelzung als „Elaffiich“ dem Barbarentume aller anderen Völker 
entgegenzuftellen, den hat er in hohem Mahe erreicht. 

In den fchwerften Zerwüfnifjen, wie nad) der Zerftörung Korinths, war 
jein Einjcpreiten vom höchſten Nuten. — Bolybios, ein leidenfhaftliher Reiter, 
jtarb im Alter von 82 Jahren an den folgen eines Sturzed vom Pferde. Seine 
Geburtsftadt jegte ihm ein Denkmal, deſſen Injchrift Tautete: „Alles, worin der 
Römer dem Rate des Polybios folgte, ijt ihm gelungen; alles, wobei er nad 
eigenem Kopje gehandelt, ſchlug fehl.“ 

Das ältejte der vorhandenen Bolybios-Manujfripte jtammt 
aus dem 11. Ihdt. und befindet jich im Vatikan. Jüngere Dand- 
jchriften bewahren die Bibliotheken des Athosklofters, des Escorial, 
zu Tübingen und zu Bejangon. Von dem, was Polybios über Taktik, 
Mafchinen und Belagerungsfrieg mitteilt, findet jich manches wieder 
in den friegswiljenjchaftlichen Werfen der byzantinischen Kaiſer Leo 
und Konjtantin. [M. $8 u.$9]. Den abendländiichen Schrift: 
jtellern des Mittelalters blieb er fait unbefannt. Grit im 15. und 
16. Ihdt. wendeten fie ihm Aufmerkſamkeit zu. 

Leon. Bruni (f 1444) hinterließ eine latein. Überfegung der erjten drei 
Bücher. Im Jahre 1473 erihien zu Rom Perottis Übertragung der libri V 
(Neuauflage: Venedig 1522), und nod) vor 1500 wurden die Hefte des 6. Buches 
und andere Bruchjtüde lateiniſch publiziert. Die erjte Ausgabe des griedhifchen 
Driginaltertes bot Obfopoeus; es ift ihr Perottis Iatein. Überjegung beigefügt; 
Hagenau (1530). Die für Kriegs- und Lagerkunft wichtigſten Kapitel gab Zas- 
caris in latein. Sprade 1529 gefondert zu Venedig heraus, und bald darauf wurden 


2. Das Zeitalter der Alerandriner. 63 


fie im Berein mit Melians Taftit [$ 8] von Phil. Strozzi, dem Vater des 
Warſchalls, und von Eavalcanti ins Ftalienijche überjegt (Florenz 1522), 
Faft gleichzeitig veranjtaltete Maigret eine Übertragung des ganzen Wertes in 
die franzöfiihe Sprade. Der Titel der 2. Auflage lautet: »Les cing premiers 
liuvres des histoires de Polybe, megalopolitein avec 3 parcelles du VI, 
une du VII et une du XVI, autrefois traduits et mis en lumiere par 
Louis Maigret... Ausquelz de nouveau son ajoutees les subsequentes 
parcelles des liuvres IX, X, XI, XIII XIV, XV, XVII. Tous traduites par 
lui sur l’exempl. grec.« (Lyon 1558). Eine italienifche Überjegung von Rudovico 
Domenichi erſchien zu Venedig 1545. Sehr interejiant ift die Verdeutihung 
von ded „Polybius Römiſche Hijtorien“ durch den Heidelberger Philojophen 
Bild. Eylander (Bajel 1574); epochemachend aber ward des Juſtus Lipjius 
tert »De militia Romana libri quinque, commentarius ad Polybium« (Ant- 
werpen (1596), welches den Driginaltegt der betreffenden Stellen des Polybios mit 
erläuterndem Dialoge begleitet. Seitdem war die Bedeutung des Achäers für die 
Geſchichte der Kriegskunſt wie für die Kriegswiſſenſchaft allgemein anerkannt. 

Nicht unbedeutend iſt die Polybios-Literatur des 17. Ihdts. 

Caſaubonus veranftaltete 1609 in Chalons j. Marne eine Ausgabe des 
griechiſchen Driginalterteö der Historiarum libri V (2. Aufl. Straßburg 1614). Im 
Sabre 1613 widmete Mihault de Romaincourt dem Könige Louis XII. 
jeine Milice des Grecs et des Romains par Ellien et Polybe (Leiden 1618). 
Ein Menjcenalter jpäter empfahl La Motte-Levayer, allen State und 
Krieggmännern die von Ryer in franzöfiiher Sprache veranftaltete Polybios— 
Überjegung (Baris 1655), und in der Tat erlebte dies Bud binnen 1%. Jahr: 
zehnten 5 Wuflagen. Die erjte englijche Überfegung it die des Grimestone 
(Zondon 1643). Der das Lagerwejen betreffende Abſchnitt erjchien in: »Higinius 
Gromaticus et Polybius De castris romanis« latein. (Amſterdam 1660) und 
findet ji aud) in den Scriptores veteres ex recens. Scriveri (1670). Eine 
Keubearbeitung von des Lajaubonus Ausgabe beforgte Jakob Gronovius 
(Amjterdam 1670). Sie wurde von Henry Seard recht ungenügend in das Eng: 
liihe übertragen (Xondon 1693). 


In den Mittelpunkt der militärischen Tagesinterejjen trat Polybios 
ım 18. Ihdt. durd) den Kommentar, mit welchem der Chevalter 
de Folard die franzöjiiche Überjegung der Histoire de Polybe des 
Tom Thuillier (Baris 1727 ff.) begleitete. Schon in der An— 
fündigung (Nouvelles decouvertes sur la guerre dans une disser- 
tation sur Polybe, Baris 1724) behauptete Folard, daß es ohne das 
Studium des Bolybios (und jeines Kommentators) keinerlei Mittel gebe, 
die Feldherrnkunſt zu erlernen. 

Soldye Arroganz verjtimmte das militäriihde Publitum; denn dies war ges 
wiß, daß Männer wie Gujtav Adolf, Tilly, Henri Rohan, Turenne, Conde, 
Montecuccoli und der Prinz Eugen niemals den Polybios aufgeihlagen hätten 


64 Altertum. I. Die Zeit der Republifen. 


ganz abgejehen davon, daß fie gar nicht in der Lage gewejen waren, den ans 
getündigten Kommentar zu lejen. Und da Folard aud) alle Gelehrten, die es 
gewagt, vor ihm über das römische Kriegsweſen zu jchreiben (Livius, Machiavelli 
und Lipfius nicht ausgenommen) kurzerhand als Ignoranten und Pedanten 
behandelte, jo erregte er natürlich den Born und die Mißachtung der Philologen, 
zumal dieje wuhten, daß Folard wenig oder gar fein Griechiſch verjtand, für das 
Berjtändnis des Polybios aljo ganz wejentlid auf die Textwiedergabe jeines 
möndifhen Mitarbeiters, eines gelehrten Benediltiner®, angemwiejen war. — 
Die außgebreitete Polemil, welche jih an dies Wert Folards 
antnüpfte und in der bejonder® Guiſchardt hervortritt, berührt natürlich 
vielfach aud) Polybios ſelbſt. Doch wird auf fie erjt bei Betrachtung der Literatur 
des 18. Ihdts. ausführlich einzugehen jein. 

Sonjt find an Polybios-Arbeiten des 18. Jhdts. zu nennen: 

Polybii Megalopolitani: De Militia Romana Libellus studio et opera 
Poeschelii (Nürnberg 1731), eine jehr brauchbare Arbeit, welche den griedi- 
ihen Zert und die lateinijhe Verſion jowie einen Kommentar mit bildlichen Dar: 
jtellungen bringt. — Engliſche Überfegungen erjdienen von Spelman (174%) 
und von Hampton (London 1756—1761). Die legtere ijt vorzüglid und wurde 
oftmal® neu aufgelegt. — An die Folard-Kontroverſe fnüpfen an: Oels nitz 
und Troßel: „VBerdeutfhung des Polybios mit den Anmerkungen Yolards und 
Guiſchardts“ (Breslau und Berlin 1755—1759) und „Geſchichte des Polybios mit 
den Auslegungen und Anmerkungen des Ritter v. Folard, vermehrt durch die 
vortrefflihen Kriegsgedanfen des Herrn dv. Guiſchard“ (Wien, Prag, Triejt 175960). 
— Bon de Gronoviud Edition veranftaltete Ernefti zu Leipzig 1763/64 eine 
neue Ausgabe, der die Anmerkungen Cafaubonus’ angefügt find. — Eine dritte 
Berdeutihung mit Folards und Guiſchardts Anmerkungen gab Seybold heraus 
(Lemgo 1783), eine Übertragung in? Spanijhe Ruivamba (Madrid 1788.) — 
Dann folgte die Tertrevifion von Shweighäufer (Leipzig 1789— 1795). 

Im 19. Ihdt. gejtaltete die Bolybios-Literatur jich wie folgt: 

Tertaußgaben von 3. F. E. Lehmann (1813), Jakob Seel und 
Angelo May (Leiden 1829, Altona 1830, Berlin 1846). Polybii historiarum 
reliquiae (Paris, Didot. 1839, 1859), 3. Better (Berlin 1844), 2. Dindorf 
(Leipzig 1866— 68), Büttner-Wobjt (Leipzig 1882) und Hultſch (1867 —72). 

Berdeutjhungen von Beniden mit Anmerkungen und bildfidhen 
Darjtellungen (Weimar 1820), Haadh und Kraz (Stuttgart 1858— 75), Lampe 
(Stuttgart 1861—63). 

Überfegungen ins Franzöſiſche: Traduction d’un fragment Ju 
XVII livre de Polybe trouv& dans le monastere de Saint-Laure au mont 
Athos par M. le comte d’Antraigues (London 1806). — Traduction au 
II vol. de la Bibl. militaire de Lickenne et Sauvan (Paris 1836). — Tra- 
duction complette (Paris 1847), — Buchon: Ouvrages historiques de 
Polybe, Herodien, Zozime (Orléans 1875). 

Stalienijhe Überjegung nah Schweighäufer® Tert von Kohen 
(Mailand 1824—28). 


2. Das Zeitalter der Alerandriner. 65 


Schriften über Bolybios und jein Bert: 

Nitzſch: Polybius. Zur Geihichte antifer Politit und Hiftoriographie 
(Kiel 1842). Brandftäter: Bemerkungen über das Geſchichtswerk det Polybios 
(Danzig 1843). Derjelbe: Gejchichte des ätoliſchen Landes und Volkes nebit Ab- 
handlung über ®. (Berlin 184). La Roche: Charakteriftit de Polybios 
(Leipzig 1857). Markhauſer: Polybius, jeine Weltanihauung und Stats— 
lehte (Münden 1858). Valeton: De Polybii fontibus et auctoritate (Utrecht 
1879). Rettig: Polybii castrorum R. formae interpretatio (Hannover 1828). 
9. Droyfen: Die polybianifche Xagerbeihreibung (Berlin 1877). 


8 20. 

Die Schlacht von Pydna war der legte große Kampf, den die Legion 
der Römer in ihrer alten Mantpularordnung durchfocht, der legte, zu 
dem das Heer der Römer noch in einer Weile aufgebracht worden war, 
die einigermaßen den alten Traditionen entiprach. Allerdings blieb 
auch nach den mafedonijchen Kriegen die allgememe Wehrpflicht dem 
Wortlaute des Gejeges nach bejtehen; tatjächlich aber verwandelte 
jich die allgemeine Aushebung in ein Werbungswejen, demzufolge die 
Reihen des Heeres ſich nur noc) aus den unteren Volfsklajjen füllten 
und Schichten des Proletariates aufnahmen, welche in der guten Zeit 
überhaupt vom Kriegsdienſte ausgejchlojjen blieben. Die höheren 
Stände entfremdeten jich zum Teil dem SHeerdienit ganz, oder jie 
begannen ihre Laufbahn gleich als Tribunen oder im Stabsdienjte 
des Hauptquartiers. Dieje Anderung des Erjages hatte jofort 
eine Rüdwirfung auf die Taktik. Wenn die an Kopfzahl jo 
Ihwachen, kleinen Manipel taktiiche Selbſtändigkeit entwideln jollten, 
jo mußten in ihnen ein jtarfer moraliicher Halt und ein hohes Map 
ipontaner Intelligenz vorhanden jein. Dieje Elemente verminderten 
fich jedoch infolge Verichlechterung des Erjages von Jahr zu Jahr. 
Dazu fam die Erfahrung, welche man einem neuen furchtbaren Feinde 
gegenüber auf dem Schlachtfelde zu machen hatte. Die feilfürmigen 
Gewalthaufen der Kimbern und Teutonen drangen nämlich meiſt gleich 
zu Beginne der Schlacht mit wütendem Ungejtüm durch die Intervalle 
der Manipularjtellung bis in das Herz der Legion und erjchiwerten 
es dadurc den römiſchen Feldherrn außerordentlich, von den Vor: 
teilen ihrer auf nachhaltigen Kampf berechneten Treffenitellung Gebrauch 
zu machen. Etwas Ähnliches hatte jich einst vor 200 Jahren gezeigt, 
als man zum erjtenmale den Elefanten und der Phalanx des Pyrrhos 
gegenüber getreten war. Damals wurde das Heilmittel darin gefunden, 

Jahens, Geſchichte der ſtriegswiſſenſchaften. 5 


66 Altertum. I. Die Beit der Republifen. 


daß man die Manipel der beiden eriten Treffen der Legion von 60 
auf 100 Mann verjtärfte und den Kompagniekolonnen dadurch größere 
Wucht und Widerftandskraft gab. Jetzt nun entſchloß man fich, je 
drei auf gleiche Stärke gebrachte Manipel zu vereinigen und die jo 
entjtandene, der Bataillonskolonne angenäherte Form als taftijche 
Einheit, als Grundlage der Sclachtordnung anzunehmen. Dieje 
neue taktiſche Einheit, nach der num auch die Stärfe der Heere an- 
gegeben zu werden pflegt, wurde »cohors« genannt, und die aus zehn 
jolchen Einheiten zujammengejtellte Legion wird als Cohortenlegion 
bezeichnet. 

Dem demofratijchen Zuge der Zeit und der gleichartigen Her: 
funft aller Zegionen aus den unteren Volksklaſſen entjprechend, ver: 
wiſchte ein entjchlofjenes Nivellierungsiyiten die althergebrachte Stufen: 
folge der Velites, Haſtati, Principes und Triarii, und auch die legteren 
empfingen das Pilum. Die römtjche Bürgerreiterei wurde gänzlich 
bejeitigt: alle römischen Krieger jollten einander als ein fonformes 
ichwergerüjtetes Fußvolf durchaus gleic) jein. Der Bedarf an leichtem 
Fußvolk und an Neiterei wurde durch Auriliarvölfer befriedigt. 

Anfangs jcheint Martus, auf den dieſe Umgeltaltungen der 
Legion vorzugsweije zurüdzuführen jind, die Legion nur in einem 
Treffen aufgejtellt zu haben, }päter in zweien, aber eng majjiert, und 
ohne auf die frühere Anordnung Rückſicht zu nehmen, welche das 
zweite Treffen auf die Intervalle des erjten Ddisponierte. Offenbar 
will er nicht jowohl durch organtsches Zuſammenwirken, jondern mit 
der Mafje als jolcher den Effekt hervorbringen. Hierin liegt eme 
bedenkliche Abrwendung von dem altrömijchen Kampfprinzipe und eine 
auffallende Annäherung an das phalangitijche Syitem, die 
ihren vornehmiten Grund in der Verjchlechterung des Erjates hatte. 
Bald traten aber auch noch andere Umstände ein, welche in der— 
jelben Richtung wirkten, und in dieſer Dinficht find vor allem Die 
Kriege mit den Parthern erwähnenswert. Die Notwendigfeit, ſich in 
der Ebene einer jtarfen und gewandten Reiterei zu erwehren, drängte 
unwillkürlich zu enger mechanischer Gejchlojjenheit, und jo darf man 
denn nicht jtaunen, jowohl den Grafjus (53 v. Chr.) ala den Antonius 
(36 v. Chr.) ihre Gohortenlegionen zu Phalangen zujammenfafjen zu 
jehen, um dem immer wiederholten Anprall der jchnellen Feinde zu 
widerjtehen. Freilich vergeblich ! 


2. Das Zeitalter der Alerandriner. 67 


8 21. 

Angefichts der unverfennbaren, jtet3 wachjenden Neigung der 
römischen Heerführer zur Anwendung phalangitischer Taktik, ſowie 
angejichts des völligen Schweigens der nationalrömiſchen Militär: 
fiteratur iſt es begreiflich genug, daß, wie in allen andern Wiffen- 
haften, jo auch im denen des Srieges die Griechen als Lehrer 
der Römer aufzutreten wagten und als jolche auch wirklich An- 
erfennung janden. War. jchon der jüngere Scipio ein eifriger Leſer 
der Kyrupaidie gewejen?), jo klagt Marius laut darüber, daß die aus 
dem römischen Adel hervorgehenden Feldheren ihre ganze Weisheit aus 
den griechiichen Taktikern jchöpften.?) In der That weiß man das 
z. B. von Cicero ?) wie von Lucullus. Diejer bereitete ſich auf der 
Reife zu jeinem in Ajien jtehenden Heere durch jolche Studien zur 
Kriegführung vor, und Cicero bemerkt in Bezug hierauf: »In Asiam 
factus imperator venit, cum esset Roma profectus rei militaris 
rudis« (!)*) — Die griechiichen Weltwetjen, zu deren Füßen damals 
ja fait jeder junge Römer jaß, der irgend auf elegante Bildung An 
ſpruch erhob, hatten das Gebiet der Taktif bekanntlich jeit den Tagen 
des Sokrates mit Borliebe beadert. Zu den berühmtejten Ddiejer 
Philoſophen gehört der Stoifer Pofeidonios von Rhodos, ein Freund 
des Cicero und des Pompejus, und auch er bejchäftigte fich, wie das 
Aelian überliefert, mit taktischen Studien?). Nun wird als einer der 
hervorragenden Schüler des Pojeidonios ein gewijjer Asflepiodotos 
genannt), und unter eben dieſem Namen iſt ung eine Taktika überliefert, 
deren jchematische Grundlage vermutlic) aus ähnlichen Werfen mafe- 
donticher Autoren entlehnt iſt und in ihrer trodenen, geiſtloſen Haltung 
den Eindrud macht, als habe man es nur mit einem Abriß, einer 
Unterlage zu freien Borträgen zu thun. Hierauf und auf den aller: 
dings auffallenden Umjtand, dat Aelian das Buch des Asklepivdotos 
zwar benußt, ihn aber nicht genannt hat, gründet jich die Hypotheſe, 
daß dieje Schrift nichts anderes jei, al$ das von Asklepiodotos heraus: 
gegebene Kollegienheft des Pojeidonios ?). 

') Cic. Quint. fratr. I, 1; 8, 23. *) Sallust. Iug. 85, 12. ) Cie. Epist. fam. IX, 25. 
($1 9. Ehr.). *) Cic. Acad. II, 1, 2. 

5) Bgl, über Bojeidonios: Bake: Posidonii Rhodii reliquiae doctrinae. Lugd. Bat. 1810 
und Müller: Fragment. histor. Graec. III, p. 245—29. 

© Seneca: Naturales quaestiones II, 26, 6 u.a. a. ©. 


) Bel. Djann: Der Taltifer Asklepiodotos. (Zeitſchr. f. d. Altertumswiflenichait. 1853, ©. 313.) 
5* 


68 Altertum. I. Die Zeit der Republiten. 


Die raxrıza des Philoſophen Aflepiodotos!) zerfallen im 
12 Kapitel. Das 1. handelt von den verſchiedenen Waffengattungen, bringt aber 
lediglih die Nomenklatur; das 2. gibt Stärfe und Benennung der Unterabtei- 
lungen der Hoplitenlinie; im 3. Kapitel, welches von der Verteilung der Leute 
in ber ganzen Linie und ihren Abteilungen jpridht, tritt ein jtarrer Pedantismus 
hervor, der die Tüchtigkeit der Truppen mit Benfurnummern belegt, auf Grund 
derer die Aufjtellung zu erfolgen habe. Es heißt da z. B: „Sowohl die ganze 
Linie als die einzelnen Abteilungen werden nad) dem geometriihen Verhältnis 
angeordnet, jo daß von vier Abteilungen ſtets die tüchtigfte auf dem rechten 
Flügel rechts zu jtehen fommt, die zweittüchtigfte links und die dritte rechtö auf dem 
inten Flügel, die vierte aber auf dem rechten Flügel links. Bei jolder Aui- 
ftellung wird die Leijtungsfähigkeit beider Flügel gleidy jein; denn, jo fagen die 
Geometer, dad Recdhted aus No. 1 und No. 4 iſt gleich dem aus No. 2 und No. 3, 
wenn Wo. 4 zu den drei erften die vierte Proportionale ijt.“ 

Das 4. Kapitel handelt von den Abjtänden, das 5. in oberflädhlicher Art 
von den Waffen; das 6. bejpricht die Linie der Leichten und Beltaften und deren 
Bliederung; das 7. die Neiterei, wobei eine Menge taktiicher Phantafien und 
Epielereien aufgetiiht werden. Die Kapitel 8 und 9 maden in ihrer fteifen 
Nomenklatur von Wagen: und Elefanten-Abteilungen einen geradezu lächerlichen 
Eindrud, wenn man erwägt, daß fie in Cäſars Tagen gejchrieben wurden. Das 
10. Kapitel behandelt die Lehre von den Evolutionen und läßt eine jeltfame Bor: 
liebe für Dreiteilung erfennen, die aud an anderen Stellen hervortritt und 
darauf ausgeht, immer zwei Gegenſätze und ein Mittelglied zu unterjheiden. Im 
11. und 12. Kapitel, welde von den Marjhordnungen und den Befehlöworten 
reden, jteigert die Spipfindigkeit ji aufs äußerfte, während nirgends aud nur 
eine Spur praftijcher Erfahrung oder geſchichtlicher Beziehung hervortritt. 

M. T. Cicero hat im Jahre 66 v. Chr. eine Rede De imperio 
Cn. Pompei zu gunjten der Übertragung des Heerbefehls gegen 
Mithridates an Pompejus gehalten, in welcher er ſich über Die 
Eigenjchaften eines großen Feldherrn ausjprad)?). 

ALS die vier Hauptfaltoren bezeichnet der berühmte Nedner: Scientia rei mili- 
taris, virtus, auctoritas und felicitas. Zu den bejonderen Yeldherrutugenden 
zählt er: Labor in negotiis, fortitudo in periculis, industria in agendo, ce- 
leritas in conficiendo und consilium in providendo. — Bald jollte der Mann 
auftreten, welcher dieje Eigenjchaften im höchſten Maße bejaß, während er von 
den ergänzenden ethiſchen Tugenden, die Cicero fordert: Innocentia, temperantia, 
fides, facilitas, ingenium und humanitas, auf die erjte und dritte freilich faum 
Anſpruch erheben durfte. 


1) Zum erftenmale vollſtändig, gried. und deutſch herausgegeben von Köchly und Rüftom in 
den griech. Kriegsjchriftftellern II. Bb., 1. Ubt., ©. 127—197. 

2) Bol. F. Fröhlich: Feldherren und Felbherrentum im alten Rom zur Beit ber Republit 
(Aarau 1885). 


11. Das halbe Jahrtauiend des römiihen Imperiums. 69 


II. Bapifel. 


Das Kalbe Iahrtaufend des römilchen Imperiums. 
I. Gruppe. 
Das Beitalter des Prinzipats. 
8 22. 


An der Schwelle diejes Zeitraumes jteht die gewaltige Gejtalt 
Täfars. — «Nommer C6sar, c'est nommer le genie de la guerrel» 
ruft ein begeijterter Interpret des großen Julius aus!). Wie anders 
aber hat jich dies Genie entwidelt als das der meisten Herven der 
Kriegskunft! Noch nicht dreißig Lebensjahre zählten Alerander, 
Hannibal, Friedrih und Napoleon, als jie zuerjt ihre Deere zu 
glänzenden Siegen führten; Cäjar dagegen trat den Oberbefehl an, 
ald er bereit3 im fünften Jahrzehnte jeines Lebens jtand, ohne den 
Krieg vorher anders als ganz gelegentlich) und in untergeordneter 
Stellung kennen gelernt zu haben. Jedoch von Jugend auf in das 
leidenſchaftlichſte Parteitreiben umd im die jchwierigjten Intriguen 
eingeweiht, kannte er die Menjchen durch und durch, und hierin 
vornehmlich wurzelt auch jene Feldherrngröße. Daß eme Natur 
jolher Art das Wejen der Kriegskunſt nicht im den taktischen Formen 
ſuchen konnte, liegt auf der Hand; Cäſar hat diejelben vortrefflich zu 
würdigen und zu verwenden gewußt und fie gelegentlich jogar bereichert 
und verbeijert; im großen und ganzen jedoch nahm er fie hin, 
wie er fie überfommen hatte, um den vollen Nachdruck ſeines 
gewaltigen Wollens und Könnens nach der Seite des großen 
Krieges zu wenden, und zwar unter beitändiger, niemals geloderter 
Beziehung der Strategie zur Politik. Hier liegt der Schwerpunft 
jemer kriegskünſtleriſchen Wirkſamkeit, und eben unter diefem Geſichts— 
punkte it Cäjar durchaus jchöpferiich und epochemachend. — Es liegt 
außerhalb der Aufgabe diejes Werkes auf jene Wirfjamfeit auch nur 
m den äußerſten Umrifjen einzugehen; denn es handelt fich hier nicht 
um die Darjtellung der Kriegsgeſchichte, bzgl. der Kriegskunſt, 
jondern um diejenige der Kriegswiſſenſchaft, und wenn man diefen 
Gefichtspunft ftreng nimmt, jo würden auch die Schriften Cäjars, 


») Graf Zurpin de Erifie (1785). 


70 Altertum. II Das halbe Jahrtaujend des römischen Imperiums. 


jeine „Kommentarien“ hier mit Stillfchweigen zu übergehen jein; 
denn jie jind feineswegs eine Arbeit, welche jich mit der Theorie 
des Krieges oder feiner Hilfsmittel beichäftigt, jondern es ſind 
Denkwürdigkeiten; aber als SHinterlaffenichaft eines der größten 
Kriegsmeifter aller Zeiten jowie als Ausgangspunkt und Mittelpunkt 
einer militärliterariichen Bewegung ohnegleichen, der wir im Laufe 
der Jahrhunderte immer aufs neue begegnen werden, muß ihrer doc) 
auch an diejer Stelle, wenigjtens andeutend, gedacht werden. 

C. Julii Caesaris commentarii de bello Gallico 
et civili zerfallen, wie jchon der Titel andeutet, in zwei Haupt— 
teile: in die Kommentarien über den Krieg in Gallien umd in die 
jenigen über den Bürgerkrieg. 

Die commentarii de bello Gallico find in adt Bücher geteilt, 
deren Inhalt im weſentlichen dem der acht Kriegsjahre entjpricht (58—51 v. Ehr.). 
Das 1. Bud bringt nad) der Einleitung die Schilderung der Feldzüge gegen die 
Helvetier und gegen die Sueven unter Ariovijt; das 2. erzählt den Krieg gegen 
die Belgier und die Einnahme von Aduatuca durch Cäſar, ſowie die Erpedition 
des Legaten Erajjus nad) Armorica. Der Weiterführung legterer Unternehmung 
dur Eälar, insbejondere der Bekämpfung der Beneter, ift das 3. Buch gewidmet. 
Im 4. jcildert Cäſar jeinen weſentlich böfer Lift verdankten Sieg über die 
germanijchen Ufipeten und Tentterer, jeinen erften jechzehntägigen Streifzug über 
den Rhein und die Rekognoszierung Britanniend mit zwei Legionen, der dann 
im folgenden Jahre die zweite Überjchreitung des Kanal und die Bejigergreifung 
der britiſchen Sübdküfte folgte. Diefem Unternehmen, jowie den unglüdlichen 
Kämpfen der Cäjarifhen Legaten gegen Eburonen und Trevirer ift das 5. Buch 
gewidmet. Das 6. jchildert die Unterwerfung der Eburonen und Trevirer durch 
Cäſar und Labienus jowie den zweiten Rheinübergang, und bringt interefjante 
Exkurſe über die Sitten der Gallier und Germanen. Das ganze 7. Bud endlich 
ijt erfüllt von der Darjtellung des Kampfes gegen Bercingetorizr, den hochjinnigen 
und begabten Reltenfürjten, der an der Spige der wejtlichen und füdlihen Stämme 
Galliend den Widerftand gegen die Römer zum erjtenmale in großartiger und 
einheitlicher Weije organifierte. Die Belagerungen von Gergovia, Avaricum und 
Ulefia find die Hauptmomente diejed Kampfes, und die Schladht vor Alefia ent> 
jeidet den Srieg zu Cäſars Gunsten. — Das 8. Bud, welches die völlige Unter: 
werfung Galliens jchildert, ift nicht mehr von Cäſar jelbjt, fondern von jeinem 
Bertrauten Hirt ius geichrieben. 

Die Commentarii de bello civili zerfallen in drei Bücher, welche 
den Krieg Cäſars gegen Pompejus vom 1. Jan. 49 v. Chr. bis zu des Pompejus 
Tode in knapper Form lebendig jchildern. Hauptmomente find die Schlachten 
von Dyrrhahium und Pharjalus. Dieſe drei Bücher wurden wieder von Cäſar 
jelbjt verfaßt, bieten aber von dem Gejamtverlaufe des Bürgerfriege® nur ein 
Bruchſtüch, welchem jic eine Reihe von Fortjegungen aus jremder Feder anſchließt. 


1. Das Zeitalter des Prinzipate. 71 


— Zunächſt ſchildert das Bud) de bello Alexandrino die Berwidelung Cäſars 
in den Alerandrinijchen Krieg und die gleichzeitigen Vorgänge in Bontus, Illyrien 
und Spanien, jowie den Sieg über Pharnafes (Veni, vidi, viei! 47 v. Er.) 
Dieje Arbeit rührt unzweifelhaft wieder von Hirtius her. Ahr reiht fich das 
Bud de bello Africano an, welches von der Niederwerfung des Metellus Scipio 
und Catos von Utica bei Tapjus (46), fowie von der Verwandlung Numidiens 
in eine römijche Provinz berichtet. Offenbar gehörte der Autor auch diefer Schrift 
der näheren Umgebung Cäſars an, war jedody minder bochgebildet als Hirtius. 
Bedeutend tiefer jteht dann freilid noch ein dritter Fortſetzer, der Verfaſſer des 
Buches de bello Hispaniensi, welcher die Ereignijje des gegen die Söhne des 
Pompejus geführten Krieges bis zu Cäſars Sieg bei Munda jhildert (45 v. Chr.). 
— Bermutlih hat Auguſtus bei einer von ihm veranftalteten Redaktion des 
biftoriichen Materiald über die Bürgerfriege dieje Nacdarbeiten mit Cäſars bis 
dahin wohl noch nicht veröffentlichten drei Büchern vereinigt. Aber auch diefe 
drei Bücher jelbjt jcheinen in ſich eigentlich nicht vollendet zu jein; fie enthalten 
jehr viele Unridtigfeiten und Nadläfligkeiten und find ſchwächer und flüchtiger 
gearbeitet als Cäſars jieben Bücher des galliihen Krieges. 

Es liegt in der Natur der Dinge, daß die Schriften des Mannes, 
der im Zenithe der Gejchichte Roms jteht, die Schriften des erſten 
der Gäjaren, des Großmeiſters der römischen Kriegskunſt, von 
Philologen, Hiſtorikern, Kriegern und Fürſten jeit jeher eifrig ediert, 
jtudiert und fommentiert worden jind. Den Löwenanteil der Be 
ihäftigung mir ihnen haber die Franzoſen vorweggenommen, und 
das iſt natürlidy genug. Nicht nur weil ihre Milttärliteratur über- 
haupt reicher tt al8 die deutſche, jondern auch, weil Cäſar ihnen 
näher jteht al8 uns. Hat er doch Gallien der romanijchen Bildung 
geöffnet; tt er doch als Vater des Cäſarismus den Franzoſen geijtes- 
verwandt. „Wie viele meiner Landsleute“, jo ruft Graf QTurpin 
de Criſſe aus, „Eennen faum den Namen der Krieger, welche ihr 
Baterland verteidigt haben, während fie alles wiſſen, was Cäſar 
that, um es zu erobern!“ Kein Wunder, daß ie jeinem literariſchen 
Nachlaſſe jo liebevolle Aufmerkjamfeit zugewendet haben. — Er ift 
aber auch des Studiums wert, jowohl der Form als dem Inhalte 
nach. Cicero, der wahrlicd,) em lauer Freund Cäjars war, iſt dod) 
entzüdt von der Einfachheit des Stils der Kommentare. Treffend 
bemerft Quintilian: Cäſar habe in demjelben Sinne gefchrieben wie 
geitritten. (Eodem animo scripsit, quo bellavit.!) In der Tat 


ı) Die Urteile der Alten über Cäſars Wert find gejammelt in Oudendorps Wusgabe 
der Rommientarien t. Il, p. 365 ff. (Leyden 1737). Cäſar jelbft bezeichnete jeinen Stil treffenb und 
zugleih anjpruchelos als bie „Schreibweife eines rieggmannes”. 


72 Altertum. IL Das Halbe Jahrtaujend des römiſchen Jmperiums. 


tragen die Kommentare den Stempel jeines Genius. Überall treten 
jener Scharfblid, jene Schlagfertigfeit, jene Sicherheit des Urteils, 
jene Klarheit des Geijtes, jene Ruhe der Seele und jene tiefe Kenntnis 
des menjchlichen Herzens zu Tage, die den Imperator in jo vielen 
Schlachten jiegen liegen. Montesquieu hat Recht: «Quelques pages 
de Cesar sont des volumes !)!» 

In rein militäriſcher Hinſicht haben die Kommentarien 
doppeltes Intereſſe: ein gejchichtliches, injofern fie zum VBerjtändnifje 
der Ereignifje und des römischen Kriegsweſens beitragen, und ein appli- 
fatorijches, injofern jie darthun, wie ein großer Feldherr unter 
bejtimmten Umftänden den Krieg geführt. Diejenigen Werfe, welche 
fi) mit der hiſtoriſchen Kritik der cäſariſchen Denkwürdigfeiten 
beichäftigen, fünnen bier ebenjowenig bejprochen werden, wie die 
unermeßlich große Literatur der Ausgaben und Überjegungen. Ich 
habe es verjucht, in einer bejonderen Abhandlung ein überjichtliches 
Bild derjelben zu geben, auf das ich wohl verweiien darf?) Auf 
die applifatorijchen Werfe aber joll bei der Betrachtung der 
Zeiten eingegangen werden, in denen jie entjtanden jind und die ſich 
in ihnen jpiegeln. 

Eine fritiiche Würdigung des militärischen Wertes der Kommen 
tarien hat natürlich) mit der Vorfrage nach ihrer Glaubwürdigkeit 
zu beginnen, und Ddieje Frage hangt wieder eng zujammen mit der 
nad) der Entjtehungsmweije, der Entjtehungszeit und dem 
Zwede der Kommentarien, welche Gegenjtand manntgfacher 
Unterjuchungen und Kontroverjen gewejen jind. Als Ergebnis der— 
jelben darf man die Behauptung aufitellen, daß die Glaubwürdig— 
feit der cäjariichen Denkwürdigkeiten entichieden größer jei 
als die der anderen antiken Schriften, welche den gleichen Gegen 
ftand behandeln. Indeſſen unbedingt iſt dieſe Glaubwürdigfert 

!) Esprit des lois; liv. 30, ch. 2. 

*) Mar Jähns: Cäſars Hommentarien und ihre literarische und kriegswifienichaftliche Folge 
wirfung. (Beibeit zum Militärtwochenbfatt. 1883, VII.) — Die neueften kritiſchen Ausg. Gäfars find 
die von Dinter (Leipzig 1864), Rheinhard (Stuttgart 1881) und Holder (Freiburg 1882); die 
neuejte Verbeutichung des gall. Strieges iſt die von Rößler (1882), der gejamten Kommentarien die 
von Oberbreyer (Leipzig 1877). — Für die ſachliche, namentlich die topographifche Erflärung der 
Kommentarien find die Franzoſen von jeher jehr tätig gewefen und haben unter Rapoleon III. in 
diefer Beziehung Außerorbentliches geleiftet. Den Preis in der philologifhen und militärifchen Hritit 
wird man jedoch den Deutichen faum beftreiten können, und in leßterer Hinſicht find des Firbrn. o. 


Göler „Eäfar gall. Krieg und Teile feines Bürgerkrieges“ (Tübingen 1880), jowie Rüftows „Heer⸗ 
weien und Sriegführung E. Julius Cäſars“ (Morbhaufen 1855) die maßgebenden Werte. 


1. Das Zeitalter des Prinzipats. 73 


feineswegs. Cäſar hatte jo eminentes politiiches und perjünliches 
Intereffe und war ein jo vollendeter Meifter des Stils, daß es 
jehr begreiflich it, wenn man in den Kommentarien jiegreiche Unter: 
nehmungen mit jcharfer Klarheit dargeitellt, ungünjtige Creignifje 
bewunderungswürdig verjchleiert findet. Cäſar jtellte jich in der 
Weiſe dar, wie er vor Mit- und Nachwelt zu erjcheinen wünjchte: 
immer umringt von jehr großen Gefahren, die aber doch ſtets geringer 
iind als die Macht jeines unerjchöpflichen Genies und jeines unmwandel- 
baren Glücks; alles wiſſend, alles vorausjehend, alles zum beiten 
wendend, dem Julium sidus, jeinem Sterne, trauend, jo wünjchte 
Cäſar zu fein, jo war er auch in jeiner Spealität, jo hat er fich 
jelbit gejchildert, und jo ging jein Bild auf die Nachwelt über. Die 
Einzelheiten ſeines Berichtes jind dabei oft nicht jtichhaltig. Es 
finden jich bemerfenswerte Ungenauigkeiten bezüglich der Heeresitärfen, 
Entfernungen und anderer Elemente der Operationen, Verzerrungen 
und Verſchweigungen, die jich nicht weginterpretieren lafjen. 

Niemand hat das jhärfer erkannt, als der Verfafjer der berüchtigten Bulle- 
tins de la Grande Armde. Napoleon I. zog die Wahrhaftigkeit von Cäſars 
Bericht entichieden in Zweifel, namentlich die des 7. Buches des galliihen Krieges, 
welches durhaus im politijchen Sinne arrangiert fei. Mommijen jagt: „Cäſars 
in Form eines MilitärberichtS entworfene Gelegenheits- und Parteiichrift ift ſelbſt 
ein Stüd Gejchichte wie die Bulletins? Napoleons; aber ein Geſchichtswerk im 
tehten Sinne ijt fie nicht und fol fie nicht jein; die Objektivität der Darftellung 
it nicht die des Hiftoriters, jondern die des Beamten. Allein in diefer befcheidenen 
Gattung ijt die Arbeit meifterlih und vollendet, wie feine andere in der ge- 
jamten römiſchen Literatur“. 

Diefe doch immerhin bedingte und beſchränkte Glaubwürdigkeit 
der Kommentarien und andererjeitS der Umſtand, dab auch da, wo 
der Verfaſſer nicht verjchweigen oder verjchleiern wollte, jein Text 
dem Verſtändniſſe oft bedeutende Schwierigfeiten bereitet, ſchmälern 
natürlich den Wert der Schriften Cäjars für das militärische Studium. 
St doch jene Ausdrucksweiſe auf Lejer berechnet, welche mit den 
formalen Grundjägen der römischen Kriegsorganijation und Taktik 
völlig vertraut waren; wir Moderne aber find das nicht mehr, und 
o bleibt der Auslegungskunſt ein nur allzumweites Feld, deſſen Ab— 
grenzung und Ausfüllung um jo jchwieriger iſt, je mehr dazu ein 
höchſt beſonnenes Zuſammenwirken philologijcher Kritik und militärijcher 
Livination gehört. So begreift es jich, daß die Nejultate, welche 


74 Mltertum. II. Das halbe Yahrtaufend des römischen Imperiums. 


die verjchtedenen Schriftiteller aus Cäjars Angaben geivonnen haben, 
vielfach vonemander abweichen uud oftmals in wejentlichen Punkten, 
und Dies modifiziert dann natürlich auch das Urteil über Cäſar 
jelbjt, zumal als Feldherrn, jowie die Grundjäge, welche man aus 
jeiner Haltung ableiten möchte!). — Trogdem haben ausgezeichnete 
Kriegsmänner aller Zeiten ſich an feinem Vorbilde zu belehren und 
zu verfemern geſucht. 


Indem der Herzog von Rohan dem Könige jeine Schrift über Cäſars 
Kriege überreicht ), bezeichnet er Cäſar als den größten Feldherrn, der jemals auf 
Erden gelebt, und hebt an ihm befonder® hervor »une conduite prudente en 
ses dessins, une diligence merveilleuse en ses ex&cutions et une constance 
admirable aux difficultes qu'il a rencontrees au fort de ses affaires. Bil 
a t6moigne quelquefois de la tömerite, g'a étéè peu souvent et pour montrer 
seulement que son courage ne cédoit point à celui d’Alexandre le Grand«. 
— Die Abfiht Neumayrs von Ramßla, eined ausgezeichneten thüringijchen 
Kriegsichriftitellers des 17. Ihdts., bei der Herausgabe jeiner „Militärijchen Er— 
innerungen und Regeln aus Cäjard Commentar“ (Erfurt 1637) kennzeichnet er 
jelbjt dahin, da8 Wert des „durch die ganze Welt befannten, glüdhafften Kriegs— 
und Siegedfürften Cäjaris in gewiſſe militäriiche PBräcepta und Regeln zu faflen, 
da des Cäſaris Schrifften doch eine norm und Regel find, nad welchen man einen 
Krieg mit militarifher prudentz anfahen und fortiegen, aud glücklich binaus- 
führen kann.“ 


Indeſſen hat dem Verfaſſer der Kommentarien jelbit nichts ferner 
gelegen, als militäriſch zu belehren. 


Dies Hat jhon Folard Hervorgehoben, und dementiprechend äußert Buy- 
jegur: »Les commentaires sont 6crits de main de maitre, mais ne donnent 
aucun principe et ne peuvent ötre utiles qu’& ceux, qui sont déjà savants 
dans la guerre«. In ähnlidem Sinne jagt audh Graf Turpin de Erijie: 
»Cesar n’annonce ni theorie, ni principes: ils sont dans la chose m&me. 
ll ne dit point ce qu'il faut faire; il le fait; il instruit le lecteur par des 
actions et non par des discours«. ber er fügt hinzu: »L’&tude des pre 
ceptes surcharge la m&moire et fatigue l’esprit; la lecture des grands 
exemples élève l’äme, l’excite & l’imitation et l’agrandit: c'est ainsi, que 
Cesar paroit s’&tre form& lui-m&me par l'’experience d’autrui sans le se 
cours des theories et des syst&mes. Il avoit etudie l’histoire des cam- 
pagnes des grands capitaines, en cherchant la raison du triomphe et celle 


1) Urteile der Alten über Eäjar als Feldberrn finden fich bei Sueton: Caes. 35. 
58, 60, 65—67; bei Blutarh: Caes. 15—17, 30, 43; bei Dio Caſſius XLII, 56; bei Cicero ad Atzı 
VI, 7,6; VIII, 8, 14; IX, 18 und ad Fam. VIII, 15, 1; bei Blinius VII, 25; bei Zucan I, 140 #. | 
bei Rolyän VIII, 23, 17 ff.; bei Frontin IV, 71; bei Balerius Mar. III, 2, 28. 

*) Le parfait capitaine, un abregé des guerres des Commentaires de César (1631) 

») L’art de la guerre par principes et par regles (Paris 1749). 


1. Das Beitalter des Prinzipats. 75 


de la defaite... Cette maniere d’etudier est indiquee par la nature 
meme. Dans toutes les sciences, la pratique et l'’observation ont devance 
les théories, qui n'en sont que le r&sultat, mais presque toujours sujet à 
revisione. Eben aus diejen Gründen jchlägt Graf Turpin den Wert der Kom— 
mentarien für das militäriihe Studium doch überaus Hoh an. »C'est en 
voyant agir les grands capitaines, que l'on concoit des grandes idees... 
Du moment, qu'on & fait une dtude profonde de l’Art de la guerre, on a 
port ses regards sur les grands capitaines de la Grece et de Rome; 
on a cherch@ & se former par leurs exemiples... Mais on a bientöt re- 
connu avec chagrin, que la plupart des auteurs ne donnent que des no- 
tions confuses.... Tl faut des historiens, qui ont vu des sieges et des 
combats, ont approche des Generaux, ont commande eux-mömes. Mal- 
heureusement de tels historiens sont rares; on peut en compter quatre 
parmi les Grecs (Thucidide, Xenophon, Polybe et Arrian); il n'est qu’un 
seul parmis les Latins; mais celui-lä, c’est Cesar. Les Commentaires sont 
le plus pr&ecieux monument, qui nous reste de l’antiquite«!). 

Bei weitem weniger günftig urteilt Friedrich der Große über den Nußen 
des Studiums Cäſars. Er jagt in der Vorrede zu jeinem Ertrait aus Folard: 
Lart de la guerre, qui mérite certainement d’ötre étudié et approfondi 
autant qu’aucun des autres arts, manque encore de livres classiques. Nous 
en avons peu. Cesar dans ses Commentaires ne nous apprend guere 
autre chose, que ce que nous voyons dans la guerre des pandours; son 
expedition dans la Grande-Bretagne n'est autre chose; un general de nos 
jours ne pourrait se servir que de la disposition de sa cavalerie à la journde 
de Pharsale ?).e Damit wird er nun freilid Cäſar wirklich nicht gerecht. Aber 
auh Napoleon I. ijt nur halb befriedigt von den Ergebnifien jeines Cäſar— 
tudiums. Er erflärt Cäſar für dunfel. Niemals jpreche er fich über die Stärke 
eines Heeres und über die Lage ded Kampfplapes genügend aus. »Ses batailles 
n'ont pas de nom«?). Aber an anderer Stelle hebt der große franzöfijche 
triegsmeiſter doc Hervor, daß die Feldherrngrundjäge Cäſars ganz diejelben ge- 
wejen jeien, wie diejenigen Aleranderd und Hannibald. „Sie bejtanden darin, 
eine Macht vereint zu Halten, nirgends verlegbar zu jein, mit Bligesichnelle ſich 
wmf wichtige Bunte zu werfen; fie bejtanden in der Benußung geiftiger Hebel, 
samentlich jeines Waffenruhmes und des Schredens jeines Namens, jowie endlich 
n der gejdiidten Verwertung politiiher Mittel” 4). 


Y) Commentaires sur les Institutions militaires de Vegece (Paris 1779) und Com- 
»entaires de Cösar (Montargis 1785). Beidemale in ben Discours preliminaire, 

») Avant-propos de l’extrait tir& des Commentaires du Chev. Folard (1753). Der 
Jinweiß auf den Panburentrieg erinnert lebhaft an eine Bemerkung Warnerys, mwelder die Er- 
wbition nad Britannien mit Hadils Zuge nad Berlin vergleiht. Sowenig Hadik Preusen unter: 
serien babe, jowenig Cäjar Britannien. 

2) Precis des guerres de J. Cesar. 3° observation sur la campagne d’Alexandrie. 
dech abfälliger ald hier ſprach Napoleon ſich gegenüber feiner Umgebung auf St. Helena aus. Bgl. 
'omte de Las Cases: M&morial de St. Helöne. (Paris 1821) II, p. 410. 

“, Montholon: M&moires de Napoleon II, 10. 


76 Altertum. II. Das Halbe Jahrtaujend des römiſchen Imperiums. 


Einigermaßen wird der Wert des Studiums der Feldzüge Gäjars 
auch beeinträchtigt durch die Natur der Bedingungen, unter denen er 
Krieg geführt, namentlich in Gallien durch die Natur jener Gegner. 

Während des größten Teild des neunjährigen Eroberungdfrieges entwideln 
die Kelten allerdings jene unbejtändige, leidhtjinnige, unvorfihtige Strategie, welche 
allen halbkultivierten Stämmen eignet. Solche Volksverbände vermögen fid wohl 
einmal zu einer glänzenden Einzelunternehmung zufammenzujdliegen und dabei 
zuweilen Züge erjtaunliden Kriegsinſtinktes zu ofienbaren; aber jie find unfähig, 
auf die Dauer großartige Unternehmungen durdzuführen, und daher erliegen fie 
zu allen Zeiten der methodijchen Kriegführung vollzivilifierter Gegner, falls dieje 
nicht in jozialpolitifher Hinjiht ſchon jehr tief gejunfen jind. Napoleon I. legt 
in feinem Precis des guerres de C&sar auf die Uneinigfeit der galliihen Stämme 
geradezu dad entjcheidende Gewicht. Damit aber thut er dem großen Im— 
perator doch wohl Unredt; denn enticheibender noch als jene Zerfahrenheit der 
Feinde ijt Cäſars militärpolitiihe Kunft, die jede gebotene Gelegenheit Hug und 
jchnell benugt. Mit welcher Meiſterſchaft handelt er im Sinne de »Divide et 
impera!« Wie verfteht er e8, gleich zu Anfang des Strieged, Senat und Adel 
der Aeduer von der patriotiich gejinnten Volksmaſſe loszulöfen! Mit ‚welcher 
rüdfichtslofen Entjchlofjenheit weiß er (man denfe an die Ermordung de Dum- 
norir, an das verräteriihe Verhalten gegenüber den Häuptlingen der ausge— 
wanderten Germanen u. a.) fich gefährlicher Berjönlichleiten zu entledigen oder fie 
do unjhädlih zu mahen! Wie Hug und gewandt nugt er nicht nur die Eifer- 
judht der Stämme, jondern auch die Nebenbuhlerſchaft der Parteihäupter aus! 
In rein ftrategifher Beziehung ijt allerdings zuzugeitehen, daß einige der be- 
rühmtejten Momente des langen Kampfes in Gallien, namentlidy die Erpeditionen 
auf das rechte Rheinufer und über den britifchen Kanal, eben nur Demonjtra= 
tionen und Schaufjtüde waren. Indeſſen fie erfüllten ihren Zweck ſowohl gegen: 
über den Barbaren als gegenüber dem römijhen Publikum. 


Bewunderungswürdig aber im feltiichen wie im Bürgerfriege 
jind Cäſars nie erlahmende Initiative, jeine Entichlojjenheit, jeine 
Beweglichkeit. Welch wunderbares Schaujpiel diejer Bürgerkrieg, 
der in Italien beginnt, nad) Gallien und Spanien überjpringt, ſich 
in Epiros der Entjcheidung naht, dann in Ägypten fortbrennt, im 
Alien wieder erplodiert und im Afrifa nur zur Ruhe zu fommen 
icheint, um in Spanien aufs neue aufzuflammen und bier dann 
endlich wirklich ausgetreten zu werden. Einen jolchen Krieg binnen 
vier Jahren zu führen und glüclich zu beendigen, dazu bedarf es, 
abgejehen von aller jtrategijchen und taktiſchen Kunst, auch vollendeter 
Meijterichaft in organijatorischer und admintjtrativer Beziehung, in 
der Kunit, die Truppen vollzählig zu erhalten, jie jachgemäß zu 
nähren, zu bejolden, zu retablieren; es bedarf weitausjehender Elug- 


1. Das Zeitalter des Prinzipats. 17 


berechneter Kombinationen und Dispojitionen für Heeresbewegungen, 
die, von Weltterl zu Weltteil wechjelnd, über Land und Meer auf 
ungeheuere Entfernungen auszuführen find; es bedarf einer oft nahezu 
divinatorischen Virtuojität auf jenem Gebiete der Kriegskunſt, welches 
die byzantintichen Kriegsgelehrten und nach ihnen die des 18. Ihdts. 
als das der „Logiſtik“ bezeichneten. 

Cäſar jelbit fand, wie Rüſtow bervorhebt, den bezeichnenden 
Unterichted der römijchen Kriegsmweije von der der Bar- 
baren: in der Bejegung enticheidender Bunfte, in der Zagerbefeitigung 
und in dem Streben, den Feinden die Verbindungen abzujchneiden. 


Zur Feirftellung der entjheidenden Punkte war Cäſar ſtets be— 
itrebt, vor dem Kriegäbeginne Nachrichten über den Schauplag wie über das 
Weſen der Gegner einzuzichen, eine Vorbereitung, welche ihm fo wichtig jchien, 
dab er 3. B. den erjten Zug nad Britannien lediglih im Sinne einer großen 
Rekognoszierung und darum auch nur mit zwei Legionen unternahm. Übrigens 
handelte es fidy bei Feſtſtellung des enticheidenden Punktes keineswegs bloß um 
die Natur des Geländes oder die Einrichtung feiter Plätze; vielmehr fam es aud) 
darauf an, den wichtigſten Sammelpunft der Feinde zu erfennen, um mit defjen 
Ergreifung zugleich ein zweites Anliegen Cäſars zu befriedigen: die Teilung 
der@egner, die Möglichkeit, fie einzeln zu jchlagen. Meift waren dann freilich 
derartige Plätze zugleich Ortlichleiten, durch welche ſich der freie Eintritt in das 
Kriegdtheater öffnete: jo der Rhönewinkel bei Lyon oder Orleans mit der Loire 
brüde. Das Ergreifen folder Buntte erfordert Entſchloſſenheit und Schnelligkeit; 
in beiden war Cäſar groß. 

Bon dem erreihten Schlüfielpunfte aus galt e& nun, die Entſcheidung 
zu judhen, entweder, indem man dort den Yeind erwartete und abwehrte oder 
indem man ihn aufjudhte. Cäſar that ſtets das legtere; defenfive Momente find 
nur jelten eingemijcht in jeine Feldzugspläne; er geht immer gerade auf jein 
Biel, d. 5. auf den Feind jelbjt los, und dementiprehend zog er aud), wenn 
möglich, die Angriffsihladht im freien Felde den Belagerungen vor. 

An Zahl war Cäſar meijt ſchwächer als jeine Gegner; aber er vertraute 
auf die Waffenübung, Arbeitäfraft und Siegeszuverjicht jeiner Legionen und nidt 
zum mwenigjten auf jein eigenes Genie. Die zahlenmäßige Schwäde nötigte ihn 
zur®ereinigung ſeiner Kräfte, und er verjtand es, die damit verbundenen 
ihwierigen Aufgaben ganz bewunderungswürdig zu löjen. Im helvetifchen Feld- 
zuge wie in dem gegen Arioviſt behielt Cäſar fein ganzes Heer von 6 Legionen 
eng beijammen; den Feldzug gegen die Belgier eröffnete er mit dem vereinigten 
Heere von 8 Legionen. Am meiften mußte er jeine Kräfte zu Beginn deö Bürger: 
frieged teilen, ald Pompejus ihm bei Brundufium entgangen war; er verfügte 
nun auf dem Hauptkriegsſchauplatze in Spanien nur über 6 Legionen, die er 
dann allerdings ſtets geichlofien hielt, während zugleich 3 Legionen Mafjilia be» 
logerten, 4 nad Sizilien und Afrika und 1 nad Sardinien gingen. Gegen 


78 Altertum. IL Das Halbe Jahrtaujend des römijhen Jmperiume. 


Bompejus in Epirus brachte er 10 Xegionen zujammen und vereinigte von diejen 
100 Kohorten — 82 auf dem Schladytfelde von Pharjalus! 

Der Schlacht diente ftet dad Zager als Stützpunkt, jo dab vom 
jtrategifhen Geſichtspunkte der römijchen und insbejondere der cäjarifchen Krieg— 
führung die Wahl des Gefechtslagers bereit? die Anlage zur Schladt enthält. Im 
der Offenfive pflegte Cäſar möglichft große und möglidhjt verborgene Tagesmäricdhe 
zu machen, bis er in der Nähe de& Feindes gekommen war. Dann ging er am 
legten Tage gerade joweit heran, dab er noch außerhalb des Geſichtskreiſes der 
feindlihen Borpojten das Lager aufzuihlagen, am anderen Tage jedod mit einem 
möglichjt Heinen Marſche den Feind zu erreihen und anzugreifen vermochte. — 
Die Normalſchlacht Eäfars ift die -Offenjivfhladt in drei Treffen 
(acies triplex); der größte Feldherr Roms verhielt ſich alſo ablehnend gegen die 
phalangitiſchen Anwandlungen jeiner Zeitgenofien und kehrte zu den national» 
römiſchen Formen zurüd. Werden 3. B. 6 Legionen ins Gefecht gebracht, jo 
bilden 24 Kohorten das erjte, je 18 das zweite bezüglich dritte Treffen. Dies leßtere 
dient dem Feldherrn als Schladitrejerve, je nad Umjtänden gegen Flanken— 
bedrohung (aljo im defenfiven Sinne) oder (im offenfiven Sinne) zur legten Ent- 
jheidung. Die beiden erjten Treffen jchlagen immer eine reine Frontalſchlacht 
und haben die Aufgabe, des Gegners Front zu durchbrechen. Bei dem hoben 
Bert, den der Erfolg des erjten Angriffs hat, der ja, zumal Barbaren gegenüber, 
oft jchon allein entihied, wurden (ganz im Gegenjaß zu den Einrichtungen der 
altrömijhen Manipularlegion) die tüchtigjten Kräfte dem erjten, die mindeſt— 
wertigen dem dritten Treffen zugewiejen. Das leichte Fußvolk jtand, je nad 
der Sadjlage, entweder vor der Front, auf den Flügeln oder in den Kohorten- 
intervallen. Die Reiterei hielt meijt auf beiden Flügeln der Legion; fie jollte 
die Überflügelung durd) den Feind abwehren, diejen ſelbſt womöglihd in die 
Flanke nehmen und ihn nad erfochtenem Giege verfolgen. — Eine fiegreiche 
Schlacht beutete Cäſar jtet3 ſo vollitändig aus als irgend möglich: taftiih durch 
andauernde Verfolgung, jtrategiih durch möglichjte Verbreiterung jeiner Madıt- 
iphäre. Gejchlagen, beeiferte er fih, den Mut jeiner Truppen aufredt zu er: 
halten, wozu er nicht nur alle Hilfsmittel der Beredjamkeit anmwandte, jondern 
auch, jobald e& irgend anging, die LYegionen in neue Umgebungen bradte, ihnen 
neue Biele jtedte. 


Wie erwähnt, jah Eäjar in dem Bejtreben, den Feinden die Verbindungen 
abzujchneiden,, ein bejonderes Kriterium der rationellen römiſchen Kriegführung ; 
indes läßt ſich doch nicht verfennen, daß er jelbjt, wenigſtens im Anfange jeiner 
Feldherrnlaufbahn mehr darauf bedacht war, jeine eigenen Verbindungen zu 
jihern, als die des Gegners zu durchſchneiden. Der Sorge für Bewahrung feiner 
Verbindungen mit der Bajis opfert er jogar zuweilen jeinen Drang nad) dem 
Zufammenhalten der Madıt; jie veranlaßt ihn zur SHerjtellung regelmäßiger 
Etappenlinien, und mit außerordentlider Sorgfalt behandelt er alle Berpflegungs- 
angelegenheiten. Meijt richtete er jeine Operationen derart ein, dab ſowohl fie 
velbjt zur Erjhliegung neuer Hilfsquellen führten, ald dat ihre Anlage den regel» 
mäßigen Nahichub ficherte. Wurde der Krieg itationär, jo legte er nahe hinter 


1. Das Zeitalter des Prinzipats. 19 


ieinem Deere Magazine an. Märſche in den Rüden des Feindes, ılm diejen von 
ſeinen Hilfsquellen abzufchneiden, hat Cäjar während des galliichen Krieges nicht 
außgeführt, wohl aber hat er dies jtrategijche Mittel in feiner jpäteren Yaufbahn 
nicht jelten und mit Glüd angewendet. Die Überzeugung, feinem Gegner in der 
Schlacht jtetö überlegen zu fein, läßt es ihn jegt wagen, gelegentlich die eigenen 
Verbindungen zu gejährden, um die des Feindes zu bedrohen. 

Kühnheit und Klugheit fennzeichnen jede Kriegsthat Cäjars; 
über das alles hinaus aber leuchtet jene impuljive Entjichiedenheit 
emer nie ruhenden Offenſive, mit welcher, aller ſtaatsmänniſchen Vor: 
jicht ungeachtet und unbejchadet, Cäſar auf das Ziel losgeht, das er 
jih eben gejtedt hat. Darin gleicht er ganz und gar Friedrich dem 
Großen. — Mit Recht jagt der Prinz von Ligue: »Il n’y a jamais 
eu d’activite comme la sienne, si ce n'est celle du Roy. U 
croit n'avoir rien fait lorsqu’il lui reste à faire: c’etoit la le 
principe de Cesar. Il ne remettoit rien au lendemain. Je ne 
sais pas s’il étoit sorcier; mais c’&toit au moins un grand en- 
chanteur. . . . Ne peut jamais assez le lire. Ce devroit ötre 
notre Breviaire. On devroit le savoir par coeur“. — Einer der 
glänzendjten Charafterzüge Cäſars iſt jeine Fähigkeit, den glücklichen 
Augenblick jowohl abzuwarten, als ihn herbeizuführen und endlich 
entichlofjen zu benutzen. Dieje Fähigkeit offenbart ich bei ihm namentlid) 
um militärijchepolitiichen Sinne und dementjprechend noch glänzender 
als in Gallien während der Bürgerfriege. Führte er doc) z.B. den 
Krieg in Spanien, trog mancher Fehlichläge, mehr durch das Über- 
gewicht jeines politischen Genies zu glüdlichem Ende, als durch rem 
riegerifche Operationen. Er jelbjt hebt hervor, daß ein großer Feld— 
herr, zumal im Bürgerfriege, mehr durch Unterhandlungen als durd) 
das Schwert zu ſiegen juchen müſſe (consilio potius quam gladio 
superare); wo jedoch der Knoten nicht anders zu löjen war, als 
durh das Schwert, da braucht er dies auch jofort mit einer Schnellig- 
fett und Schärfe, die jelten ihresgleichen fanden. Unter diejem 
Geſichtspunkte, d. 5. unter dem eines Friegführenden Statsober- 
hauptes, nicht eines mit der bloßen Kriegführung beauftragten Feld— 
berrn, wird Cäſars weltgejchichtliches Beijpiel und werden demgemäß 
auch jeine Schriften für alle Zeiten im höchjten Maße lehrreich bleiben, 
ud darum bat Napoleon I. gewiß jehr recht, wenn er, troß der 
tuhlen Beurteilung Cäſars in jeinem Precis, den großen Römer doc) 
in einer oft citierten Stelle unter den jieben Herven der Kriegskunſt 


80 Altertum. II. Das halbe Jahrtaufend des römiſchen Imperiums. 


nennt, deren achtundachtzig Feldzüge er dem Studium der Generale 
jo warm empfiehlt: »Faites la guerre offensive comme Alexandre, 
Annibal, Cesar, Gustave Adolphe, Turenne, le Prince Eugene 
et Frederic. Lisez, relisez l’histoire de leur quatre-vingt-huit 
campagnes, modelez-vous sur eux; c'est le seul moyen de devenir 
grand capitaine et de surprendre les secrets de l’art« '). 

8 23. 

Summus auctor Divus Julius?), Caesar, gravis auctor 
linguae Latinae?) hat jeinem Zeitalter auch als Schriftiteller voran- 
geleuchtet. Er tit der ältejte lateinijche Hiftorifer, deſſen Schriften 
uns erhalten blieben; an ihn erjt reihen jich die anderen national- 
römtchen Autoren: Cornel. Nepos, Sallujt, Livius, Tacitus u. j. w. 
an. Auf dieje Gejchichtsichreiber kann natürlich hier nicht eingegangen 
werden; denn jo wichtig auch viele ihrer Schriften für die Kriegs— 
geichichte, wie für die Gejchichte des Kriegswejens jind, jo gehören 
jie doch nicht in die Kategorie der Militärliteratur. — Nur einige 
Worte iiber Fivius jeien geitattet. 

Bis zum Ende des zweiten puntjchen Krieges wurde nicht eigentlich 
römische Gejchichte gejchrieben, jondern es wurden nur Gejchichtsquellen 
gefammelt. Es find die amtlichen Aufzeichnungen der Priejter, die 
fasti und annales, die libri pontificii, commentarii regum magi- 
stratuum, und jeit Beginn der Republif gab der jährliche Wechſel 
der Behörden Anlaß zu ähnlichen Aufzeichnungen. Auch die Familien— 
traditionen wurden in Jahrbüchern niedergelegt, und als es dann zu 
zujammenfafjfender Darjtellung der Gejchichte Fam, ſchloß sie ſich 
naturgemäß an die Form der Annalen an. Ihre Thätigkeit reicht 
von der Zeit des zweiten punijchen Krieges bis zu der des Sulla; 
von ihren Werfen aber jind nur jpärliche Bruchitüde vorhanden. — 
Der Geichichtsjinn der Römer war jeltjam geartet; es kam ihnen 
feinesiwegs darauf an, die Wahrheit feitzuitellen und mitzutetlen, 
jondern darauf, die Taten ihres Volkes, den Ruhm ihrer Gejchlechter 
zu verherrlichen und dabei durch bewegte Darjtellung zu unterhalten. 
„Man darf jagen, eine Gejchichtsichreibung, jo getränft und gejättigt 
von dem Geiſte bewußter oder unbewußter Fälſchung wie die römische 


ı, Memoires, notes et melanges de Napoleon. Edit. orig. T. II, p. 155. 
2, Tacitus: German., 28. °) Aul. Gellius IV, 16. 


1. Daß Zeitalter des Prinzipats, 81 


während dieſer Periode gewejen jein muB, gehört zu den feltenjten und 
anheimlichſten Erjcheimungen“ !). — Auf jolche Annalen nun vorzugsweiſe 
bat jich derjenige Hiſtoriker geſtützt, welcher für die Ältere Zeit der römtjchen 
Kriegsgeichichte weitaus unjere Hauptquelle it: Titus Livius (59 v. 
bis IT m. Chr.) in jeinen Historiarum ab urbe condita libri qui 
supersunt. Er folgte jenen trüben Quellen um jo unbedingter, als 
ihm, der niemals tim öffentlichen Leben tätig gewejen, jeder Maßſtab 
jur Kritif der Überlieferung fehlte und er der irrigen Meinung war, 
daß im galliichen Brande Roms die Öffentlichen Denfmäler, welche 
ihm hätten als hiſtoriſche Kontrollpunfte dienen können, jämtlich zu 
Grunde gegangen jeien. Da das römische Volk jeine weltbeherrichende 
Macht größtenteils militärischer Tüchtigkeit verdanfte, jo mußte die 
lateiniſche Hiſtoriographie natürlich einen wejentlichen Teil ihrer Auf 
gabe in der Daritellung der Kriege und Schlachten finden, und 
jo bildet dieje denn auch einen Hauptbejtandteil des Livianischen Werkes. 
Aber fie iſt nur mit der höchſten Vorficht zu benugen ?). Die Schlacht: 
ihilderungen des Livius laſſen alles in weit größerem Maßſtabe cr 
ihemen, als jich "mit der Wirklichfeit verträgt. Naubzüge Fleiner 
Nachbarſtämme baujcht der Verjafjer auf zu gewaltigen Neichskriegen, 
in denen er Menjchenmaffen umkommen läßt, wie fie damals in jenen 
Negenden nicht wehrhaft, ja wohl überhaupt gar nicht vorhanden 
em fonnten. Bei der Bearbeitung hellerer Zeiten, namentlich da, 
vo Livius ſich an den Polybios lehnte, ging ihm freilich ein Licht 
auf hinſichtlich der Übertreibungsjucht jeiner bisherigen Gewährs— 
männer, aber das. war zu jpät; denn die älteren Bücher hatten jchon 
den Weg in die Offentlichfeit gefunden. Während Livius jedoch die 
Baffenerfolge der Römer vergrößernd ausmalt, führt er die Dar- 
"ellıng von Niederlagen nicht näher aus, oder er läht doch gleich 
darauf jene Volksgenoſſen einen um jo glänzenderen Sieg erfechten. 
Niltärtjche Bildung ging ihm gänzlich) ab, und daher überträgt er 
nbedenklich Einrichtungen und Verhältniſſe ipäterer Zeiten auf weit 
rühere, gibt die Anordnung der Heere meiſt ganz dürftig und unge 
nügend an und verwidelt jich in Anachronismen, Widerjprüche und 
Unwahrſcheinlichkeiten. — Dieje Sachlage it ftetS im Auge zu bes 


,RNigfch: Die röm, Annaliftil (Berlin 1873, ©. 346). Val. Betersd: Zur Mritif der Quellen 
"rt älteren röm. Geſchichte (Halle 1879). 
» Stade: Die Schlahtichilderungen in Livius’ erfter Detade (Schneeberg 1873). 


Jaͤhns, Geichichte der Ktrriegswiſſenſchaften. 6 


32 Altertum. IL Das Halbe Jahrtaujend des römiſchen Imperiums. 


halten, jobald man fich mit militäriichen Dingen bejchäftigt, deren Über- 
lteferung im ein oder anderer Art auf den jo viel gelejenen Livius 
zurückführt. 


8 24. 


Die einzige laternijche Arbeit, welche ji” mit Boliorfetif be 
ichäftigt, it das Werk des Vitruv. — M. Ditruvius Pollio jtammte 
vermutlich aus Verona, diente als Kriegsingenieur unter Cäſar und 
rolgte diejem u. a. im Jahre 46 nach Afrifa. Später übertrug ihm 
Augujtus die Oberleitung der Werfjtätten zur Herjtellung der Kriegs: 
majchinen und endlich die aller öffentlichen Arbeiten. Schon im 
Greijenalter jtehend, verfaßte Vitruv auf Wunjch des Kaiſers (wohl 
von 13 bi3 11 v. Chr.) De architectura libri X ad Caesarem 
Augustum, welche, abgejehen von den leider verloren gegangenen 
Zeichnungen und Riſſen, faſt vollftändig erhalten find und für Die 
Geſchichte der Voliorketif nicht geringeren Wert haben, als für die 
Kunjtgeichichte ?). 

Die eigentliche Architektur wird in den jieben erjten Büchern 
vorgetragen. 

1. Unlage einer Stadt, deren allgemeine Einrihtung und Befejtigung. 
2. Würdigung der Baumaterialien. 3. und 4. Tempelbau und Charafteriftif der 
vier klaſſiſchen Stilordnungen. 5. Öffentliche Profanbauten und Anlage der Plätze. 
6. Städtijche und ländliche Brivatgebäude. 7. Innere Ausſchmückung der Gebäude. 

Das 8. Buch handelt die Hydranlif ab, insbejondere die Waſſer— 
verjorgung der Städte; das 9. erläutert die Konjtruftion der Zeit: 
mejjer, namentlich der Sonnenuhren; im 10. und legten Buche endlich 
bejchreibt Vitruv die zu Bauten notwendigen mechanischen Vorrichtungen 
und gibt eine Auseinanderjegung über die Kriegsmaſchinen. 

Bon militärischer Bedeutung jind in Vitruvs Werf befonders 
das von den Stadtbefejtigungen handelnde 5. Kapitel des 1. Buches 


ı) Edit. pr. von Sulpicius (Rom 1486; mit Frontins Bud) de aquis). Wen glüd: 
liher Berjuch einer frit. Ausg. mit Figuren von Giocondo (Fucundus) ebenf. mit Frontins de 
aquaeductibus (Benebig 1511). Wieder abgedr. Florenz 1522 und mit Kommentaren Bhilander! 
und Barbaros fowie mit Baldes Lexicon Vitruvianum von de ;Baet (Amjterdam 1649). Neuere und 
befjere Uusgaben von Schneider (Leipzig 1807), Marini (Rom 1886), ſowie von Roie und Müller: 
Strübing (Leipzig 1867). — Deutjh von Rivius [XVI. $ 114] (Würzburg 1548), Rode (Leipzig 17%), 
Reber (Stuttgart 1865). — Italieniſch: Gediegene Arbeit Dan. Barbaros: IX libri dell’ architettura 
di M. Vitruvio Genedig 1556, 1567, 1584, 1629) und ſchon vorher mit Holzichnitten 3. T. in 
Ruinas Manier (Eomo 1521, Venedig 1524, 1535). 


1. Das Zeitalter des Prinzipats. 33 


(de fundamentis murorum et turrium) und die ſieben legten Kapitel 
des 10. Buches, welche die Kriegsmajchinen bejprechen. 

Das 13. Kapitel des 10. Buches (de catapultarum et scorpionum rationibus) 
handelt von den Berhältniifen der Horizontalgeſchütze (die Storpionen 
ind Eleine Katapulten); das 14. Kapitel (de balistarum contentionibus et 
temperaturis) redet von den Maßen der Ballijten und dem Beipannen 
und „Stimmen“ aller Gejhüge mitteld der Spannleiter. 

Die Prüfung des richtigen Einzugs der Epannnerven geſchah durch den Ton, 
welchen die einzelnen Stränge derjelben beim Anſchlag gaben. Bitruv fagt hierüber 
1,1): „Auch Muſik muß der Baumeifter verjtehen, um das kanoniſche und mathes 
matiſche Verhältnis inne zu haben und um die Gejhüge jtimmen zu können (tem- 
peraturas possit recte facere) ... denn die Sehnenjtränge find nur dann richtig 
geipannt, wenn fie einen bejtimmten und beiderjeitö gleich jtarfen Ton geben. Nur 
dann wirken die Wurfarme, welche in jene Stränge befejtigt werden, gleichmäßig.“ 

Das 15. Kapitel (de oppugnatoriis rebus) jpridt von den Majdhinen, 
welhezur®Berteidigung undzum Angriff fefter BPläße dienen und 
von der Erfindung und Herjtellung des Widders. Das 16. Kapitel (de testudine 
ad congestionem fossarum paranda) erläutert die Einrihtung der Schütt 
ſchildkröten, welde man brauchte, um die Gräben der angegriffenen Feitung 
auszufüllen. Als Iehrreihe Beiipiele großer Belagerungen ſtizziert 
Vitruv diejenigen von Rhodos, Chios und Maſſilia. Im 17. Kapitel (de aliis 
testudinibus) werden die mannigfaltigen anderen Schildfröten dargeitellt, 
und im 18. Kapitel (de repugnatoriis rebus) ſchließt das Werk mit einer Schilderung 
der Berteidigungdmaßregeln ab. 

Dffenbar beruht das 10. Buch auf griehiichen Unterlagen; ja das 16. und 
17. Kapitel jind geradezu (wie Wejcher nachgewiejen hat) Überjegungen der be- 
treffenden Abfchnitte des Athenaios [$ 14]. 

Vitruvius jchreibt einen übermäßig gedrängten Stil, der zugleich 
oft nichtS weniger it al3 Klar und genau. Diejer Umſtand jowie der 
Mangel der Abrifje erjchweren das Verjtändnis im höchſten Grade. 
Die fortifitatorischen Angaben freilich find deutlich, aber nur auf das 
Notwendigſte beichränft und nicht vom Standpunkte des Kriegsmannes, 
jondern von dem des Baumeijters gejchrieben. Überaus große Schwierig: 
feiten bieten dagegen die artillerijtiichen Kapitel. 

Als um die Mitte ded 16. Ihdts. der trefflihe Barbaro jeinen Kom— 
mentar bis zur Erläuterung der Katapulten geführt hatte, gab er die Weiterarbeit 
unmutig auf. ®iocondo entwarf allerdings Zeichnungen nad Vitruvs Dar: 
itellung, bewies damit jedod nur, daß er nichts von der Sade verjtand. Voll 
wiſſenſchaftlichen Ernjtes trat Buteo dem Gegenjtande näher und juchte mittel! 
tubiiher Berehnung die richtigen Maße der Geihüge feitzuitellen !), Da ihm 

ı, Buteonisad locum Vitruvii corruptum restitutio, qui est de proportione lapidum 


mittendorum ad balistae foramen. (Jn der Elzevier-Ausgabe de Laet3 von 1649.) 
6* 


84 Altertum. II. Das Halbe Jahrtaujend des römiichen Jmperiums. 


jedoch, wie er jelbjt erflärt, die griehijhen Mathematiker fehlten, jo ſcheiterte jein 
fleigige® Unternehmen. Auch Silberſchlag (1767) gelang die Erklärung nicht 
[$ 14], und entrüjtet warf er dem Vitruv jeine arge Unklarheit vor. Der Com- 
mentaire sur Vitruve avec une description des machines des anciens par 
Newton (Paris 1782) ift mir nur dem Titel nad) befannt geworden, und id) 
weiß nicht, ob er auch die Kriegsmaſchinen behandelt. — Im Jahre 1836 bradıten 
die Ilustrationes der Marini’ihen Ausgabe eine interefiante Abhandlung über 
das Berhältnis des Kalibers der Ballifte zum Gewichte ihres Steines, und endlic) 
haben 1853 Köchly und Rüftomw die artilleriftiihen Kapitel Vitruvs latein. und 
deutſch herausgegeben und nachgewieſen, daß Vitruvs Geſchütze diejelben jeien, 
wie die, welche die Alerandriner gejchildert. Den Euthytona der Griechen ent» 
ſprachen die Katapulten, den Palintona die Balliften der Römer. Dies Ergebnis 
wird dur die Verſuche bejtätigt, welche Kaijer Napoleon III. anjtellen ließ und 
auf Grund deren die Modelle römijcher Gejchüipe gearbeitet wurden, welche im Muser 
d’artillerie zu Paris und in dem von St. Germain aufgejtellt find). 


S 25. 

Lateinische Militärjchriftiteller aus der Zeit, da das 
Brinzipat bei dem Juliichen Hauje war, aljo bis zum Tode Neros 
(68 n. Ehr.), jind nur jehr wenige zu nennen. In gewiſſem Sinne 
darf man indeſſen vielleicht den Cäſar Octavianus Auguftus jelbit 
zu ihnen rechnen, falls er nämlid nicht nur der Urheber, jondern 
auch der Verfaffer der berühmten Augusti constitutiones it, 
d. h. der von ihm erlaffenen Dienjtvorichriften, welche die gejamte 
Verwaltung und Manneszucht des römischen Heeres bis in die ge 
ringjten Einzelheiten hinein genau regelten. Ihrem Wortlaute nach 
ſind dieje Konjtitutionen leider nicht erhalten; doch führt Vegetius jie 
unter jeinen Quellen auf (I, 8; I, 27), und auch jonjt werden jie 
gelegentlich erwähnt 2). Salt der erjte Kaifer doch überhaupt den 
Alten als der glorreiche Wiederherjteller der römischen Manneszucht ; 
hat doch gerade dieje Seite der Wirkſamkeit des Hugen Fürjten Horaz 
tn einer bejonderen Ode gefetert ?). 

Es entipräche durchaus dem Sinne der Römer für juriſtiſche Feſt— 
jtellungen und Kodififationen, wenn in den lateinischen Werfen über 
Kriegswejen der militärischen Rechtspflege ein breiter Raum einge 


1) Bal. au: Chr. L. F. Schulg: Unterfuhung über das Zeitalter bes röm. Kriegsbaumeiſters 
Marcus Bitruvius Polio (Leipzig 1856). 

°) So von Macer [$ 34]: Digest. 49, 16, 12: ⸗In disciplina Augusti ita cavetur.« Bal. 
Sueton: August. 24 und Tacitus Annales 6, 3, wo betreff& der Belohnungen ber Prätorianer ge 
jagt wird: »Reperisse prorsus, quod divus Augustus non providerit.« 

») Oden II], 5. 


1. Das Zeitalter des Prinzipate. 35 


räumt gewejen wäre. Und das jcheint in der Tat der Fall gewejen zu ſein. 
Man weiß 3. B., daß in die Schrift des jüngeren K. Eincius De 
re militari, von der nur jpärliche Bruchitüde erhalten jind, alles 
aufgenommen war, was jich auf das Jus fetiale bezog, d. h. auf 
das Kriegs und Völkerrecht, defjen Bewahrung, Handhabung und 
Auslegung, den fetiales, den priejterlichen Herolden, übertragen war. 
Auch die wenigen Reſte, welche von des Eincius Werf überhaupt vor— 
handen, jind wejentlicd) militärzjurijtiicher Natur }). 

Das bedeutendite Fragment enthält den Eid, welden die Mannſchaften den 
Tribunen beim Beziehen des Lagers leifteten und der namentlich darauf hinaus 
lief, daß fie gelobten, fi fein ungerechte® Gut anzueignen ’). 

Endlich) tauchte auch jene encyEflopädijche Richtung wieder 
auf, mit welcher unter Gato die nationalrömische Milttärliteratur als 
Teil der Gejamtbildung emjt zuerit aufgetreten war. 8 18.) 
Aulus Cornelius Celſus, ein gelchrter Encyflopädijt wie Varro 
und Blinius, jchrieb, vermutlich unter Nero, ein Werf »De artibus«, 
welches Landbau, Arzneitunde, Kriegswejen, Beredjamfeit und Philo— 
jophie, vielleicht auc; Geichichte und Verfaſſung, abhandelte. — 
Erhalten find die Bücher »de medicina«, welche Celſus berühmt 
gemacht und ihm den Beinamen des latemischen Hippofrates ver: 
ichafft haben. Seine Schrift de re militari ijt verloren. PVegetius, 
der ſie eitiert (I, 8) u. zw. als eme jemer Hauptquellen, bezeichnet 
fie als furzgefaßt und gedrängt. 

8 26. 

Deutlicher als die Gejtalten diejer Männer jteht die des Sextus 
Sulius frontinus vor ung. 

Um 70 n. Chr. gedenft Tacitus feiner al® Prätor der Stadt”), und noch 
in demjelben Jahre eriheint er als Truppenführer im bataviihen Kriege. Im 
Jahre 73 wurde er Konful, begleitete 74 den Cerealis nad) Britannien, übernahm 
bier nad) deflen Zode den Überbefehl und leitete während diejer Amtsführung 
(5—78), namentlih durd Unterwerfung der kriegeriſchen Siluren, die völlige 


Eroberung der Jniel ein, die dann Julius Agricola vollendete). In der Folge 
iheint Frontin als Begleiter Domitiand gegen Katten und Daten gefochten zu 


1) Daß diefer Schriftfteller nicht, wie früher angenommen mwurbe, der als Feldherr des zweiten 
duniſchen Krieges befannte 2. Eincius Alimentus war, fondern frübeftens in die Beit Cäſars gehört, 
it neuerdings nachgetwiejen worben. Vgl. Hertz: De Luclis Cinciis (Berlin 1842). Die Fragmente 
find gefammelt bei Hufchle: Jurisprudentiae anteiustin. quae supers. Ed. III p. 4—%0. 

N Dies Bruchſtück fteht bei Aulus Gellius XVI, 4. 

) Histor. 4, 39. * Zacitus: Agricola, 17. 


86 Altertum. II. Das halbe Jahrtauſend des römischen Imperiums. 


baben!); während der Schredensherrihaft Domitiand jedoch zog er fi in die 
ländliche Stille von Formiä zurüd, wo außer Männern wie Martial und Plinius 
aud der Taktiker Aelian in feiner Gefellihaft begegnet?). Hier, in der Zurüd- 
gezogenheit, begann Frontin feine jchriftftelleriiche Tätigkeit, die zuerjt landwirt⸗ 
ſchaftlichen, dann aber militärifhen Dingen zugewendet war®). Der Regierungd 
antritt Nervas rief ihn in das öffentliche Leben zurüd. Nerva bekleidete ihn 
zum zmweitenmale mit dem SKonjulate und im Jahre 97 aud mit der cura 
aquarum, einem der vornehmjten Ämter der römijchen Magiftratur, in welchem 
Hrontin eine jegensreiche Tätigkeit entfaltete, deren literarifcher Niederjchlag die 
noch erhaltene vortrefflihe Abhandlung de aquis urbis Romae ijt*). Nachdem 
ihn dann Trajan zum drittenmale zum Konful erhoben und ihm aud) dad Augurat 
verliehen, jtarb Frontin unter der Regierung Hadriand. Die Zeitgenofjen gedenken 
feiner mit höchjfter Verehrung; gewiß war er ein Mann von edlem Charalter, 
ausgezeichneter Gejchäftstüchtigfeit und vieljeitiger Bildung. Der jtrenge Tacitus 
nennt ihn geradezu einen vir magnus. 

Frontins erjtes militäriſches Werk war jeine zur Belehrung 
römijcher Befehlshaber geichriebene Rei militaris scientia oder 
De disciplina militaris. Dies Werf, auf welches der Berfafjer 
jelbjt mit großer Genugtuung blidte, erfreute fic) großen Rufes und 
wurde namentlich) von Trajan hochgeichägt).. Daß es verloren ge 
gangen, ijt um jo mehr zu beflagen, als aus den wenigen Andeutungen 
darüber hervorgeht, daß die wichtigiten Grundjäge und Erfahrungen 
der römiſchen Kriegskunſt darin niedergelegt waren. — Zur Er: 
läuterung diejes Werkes jchrieb dann Frontin jene Strategemata 
libri III, welche uns, leider in jehr entjtellter Form, überliefert 
find®). Es iſt das eine Sammlung fluger Taten und Ausjprüche 
umjfichtiger ?Feldherrn (sollertia ducum facta, quae a Graecis una 
orgarnynuarızaw adpellatione comprehensa sunt)’), welche die 
Erfahrung der LXejer erweitern und befräftigen und im gegebenen 
Augenblide ihrer Erinnerung zu Gebote jtehen jollen. Darum be 
zeichnet Frontinus diefe Sammlung aud) als Gedenkbuch (commentarü). 


1) Dies jchließt man aus einigen Unbeutungen in Frontins Strategemata. Bol. Deberid: 
Bruhftüde aus dem Leben bes ©. 3. Frontinus. (Beitichrift für Altertumswiſſenſchaft. 1839. 
Mr. 105—107, 134—136.) 

9), Martial X, 58; Aelians Taktik 1, 1. 

) Bon Frontins gromatijhem Werte hat Lachmann in feinen Scriptores de re agraria 
einige Trümmer nachgewieſen. 

4) Buerft heraudgegeben mit Vitruv (Nom 1486), jpäter noch oft felbftänbig. 

5) Bol. den Anfang ber praefatio der „Etrategemata” und Begetius II, 3. 

6, Erfte Ausg. Rom 1474. Dann in den Scriptores de re militari [8 4). Eine genügenbe 
Ausg. fehlt noch immer. Die beften find bie von Oudendorp (Leyden 1731), die von Schwebel 
(Leipzig 1772) und die von Dederich (Leipzig 1855). 

N) Zroari/ynua = eine Felbherrntat, beſonders eine jchlaue, daher auch „Kriegatift”. 


1. Das Zeitalter des Prinzipats. 87 


Es jind über 400 Begebenheiten, welche der Berf. ald nahahmungäwerte 
Beijpiele der Kriegägeichichte der verſchiedenſten Völker und Zeiten entnommen hat. 
Bon Taten nichtrömiſcher Feldherrn erjcheinen Holdhe des Allibiades (8), 
Themiſtokles (4), Epaminondas (12), Berikles (7), Xenophon (2), Philipp von 
Makedonien (12), Alerander d. Gr. (14), Hannibal (22), Pyrrhos (7) u. ſ. w.; 
die meiften Beiſpiele jedod werden mit römiſchen Feldherrn in Verbindung ge- 
bradt, mit den Catonen (10), den Scipionen (26), den Fabiern (13), Metellen 
(11), ‚mit Marius (10), Sulla (9), Eäjar (21), Pompejus (12), Corbulo (5) 
u. dgl m Auffallend klein ijt die"Zahl derjenigen Beijpiele, welche Frontinus 
aus jeiner eigenen Zeit mitteilt, obgleih er doch unter fünf römiſchen Kaijern 
(Beipafianus, Titus, Domitianus, Nerva, Trajanus) hohe Amter bekleidete und 
jeine Strategemata erjt unter Hadrianus gefchrieben haben fan. (Vegetius I, 8). 
Es finden ſich zwei Beijpiele von Beipafianus (II, 1, 17 und IV, 4, 4), drei 
dergleihen von Domitianus. (I, 1; I, 3 und IV, 3). 

Die Bedeutung jolcher Strategemata war im Altertume größer 
ald heutzutage. Die Verhältniffe waren einfacher und leichter zu 
handhaben. Und wie 3. B. in dem ebenfalls mit geringen Streit- 
fräften Ddurchfochtenen niederländischen WBefreiungsfriege die bumte 
Belt kleiner Kriegsliiten aufs üppigſte ins Kraut jchoß, jo konnte 
auch in den Kriegen der Römer die Kenntnis deſſen, was in jolchen 
Dingen „Ichon dagewejen“ und vielleicht wieder anwendbar oder zu 
fürdhten jei, wohl unmittelbar Nuten gewähren. Das Werk it in 
remem einfachen Stile gejchrieben; die Darjtellung der militärischen 
Anordnungen iſt meiſt klar umd eimleuchtend, jo z. B. die des Paulus 
Aemilius gegen PBerjeus oder des Cäjur bei Pharjalus, und manche 
wertvolle, jonjt an feiner Stelle aufbewahrte Friegsgejchichtliche 
Notiz findet jich in diefem Buche. Manches allerdings it auch recht 
unbedeutend, manches offenbar ohne Sachkenntnis erzählt; ja zuweilen 
finden jich törichte Irrtümer. 

So wird 3. B. gleih im I. Buche (2) bei der Schladt von Cannä aus dem 
dort wehenden Winde Bolturnus ein Fluß gleihen Namens gemadıt, der belannt- 
(id Kampanien durdjftrömt. Dergleichen ift freilicheinem Manne wie S. J. Frontinus 
nicht zuzutrauen; ihm aber deshalb, wie Rüftow und Köchly, die Autorjchaft der 
Strategemata überhaupt abzufprechen, ift zu weit gegangen®). Sicherlich hat man 
& in derartigen Fällen mit ſchlechten Interpolationen zu tun. 





1) Generalmajor Wolf: „Zu Frontinus.”* (Bonner Jahrbücher, Heft 85, 1388.) 

N An fritifchen Beiträgen vgl. die von Haafje (Rhein. Mujeum N. %., III), dann Hedide 
Hermes VI), Majfion (Rev. archeolog. 1869/70), Eußner (Blätter f. bayer. Gymnaſien VII), 
Bahamutrh (Rhein. Muſ. N. F, XV) und Wölfflin (Hermes IX). Leßterer ſchließt aus dem 
Anfange der Vorrede Frontins (gewiß mit Unrecht), daß der konſulariſche Herr „Brofefior an ber 
Kriegdichule in Rom” geweſen jei und feine Beifpieljammlung mit ſyſtematiſchem Unterrichte in Ber: 
bindung geiegt habe. — Bol. auch General Wolf a. a. D. 


88 Altertum. II. Das halbe Jahrtaufend des römijhen Jmperiums. 


Wohl abgefhredt durch jolche Fehlgriffe und durch mande allerdings ab— 
geihmadte Lift, welche Frontin überliefert, will der Brinz v. Ligne gar nichts 
von ihm wiffen und meint mit boshaftem Wortwige: »Il n'y a pas de Frontin 
de Comedie, dont les Stratag&mes ne soyent meilleurs!«e (Der „Frontin 
der Komödie“ ift eine ftehende Figur gewifler Mantel» und Degenftüde, nämlich 
ein jchlauer, kupplerifcher Bedienter). 

Die Anekdoten des 1. Buches beziehen ſich auf Ereignifje, welche 
einer Schlacht vorausgehen können, die des 2. auf den Kampf jelbit; 
die des 3. betreffen den Belagerungsfrieg. Die Dispojittion innerhalb 
der Bücher wechjelt. 

Häufig find die Erzählungen nad) den Berjonen angeordnet (z. B. I. 5, 
20—22 Spartacus; II, 21—25 Hannibal); dann find fie wieder in exempla 
Romana und exempla externa geteilt; unter Umftänden bejtimmen aber lokale 
Berpältnijje die Anordnung der Strategeme. 

Als Quellen dienten bejonders die Werfe Gäjars, Livius', 
Eoelius’ und Sallufts. 

Im 4. oder 5. Ihdt. n. Chr. fügte diefen 3 Büchern Der 
Strategemata ein Unbekannter noch em +. Hinzu, u. zw. in Der 
Weiſe, daß der Namenloje (wie jeine Vorrede lehrt) für Frontin 
jelbjt gehalten werden wollte, was ihm auch bis ganz vor kurzem 
geglückt iſt). Man bezeichnet dieſe Fortiegung als „Strategifon“, 
weil es in der praefatio heißt, daß die Kriegstaten des 4. Buches 
mehr in das Gebiet der Strategie als in das der Strategenmata 
gehörten. Indeſſen trifft das feineswegs zu. — Das Buch iſt m 
jeder Hinsicht jchlechter als die 3 echten; es it großenteils lediglich 
aus Valerius Maximus entlehnt und „voll Aufjchneideret und rheto- 
riſcher Leichtfertigkeit”. 

Die Aufnahme Frontins in den friegswijienihaftlihen Kanon des 16. Jhdts., 
in die Veteres de re militari scriptores [$ 4], zeugt von dem Werte, welhen man 
damals auf das Werk legte. — Jehan Petit widmete dem Herzoge von Bourbon 
eine Überjegung unter dem Titel »Les ruses et cautelles de guerre«. (Paris 1514)- 
— Eine anonyme Berdeutihung eridien unter dem Titel „Die vier Bücher 
Serti Julij Frontini, des conjulariiden Mannes, von den guten Räthen und 
Ritterlihen anjchlegen der guten Hauptleut” (Mainz 1524), und bildet mit One 
anders Feldherrnkunſt 8 28] und einem mittelalterlihen friegsdidaftiihen Gedichte 
XVI, 8 3) ein merfwürdiges feltenes Kriegsbuch. Den Teil, welcher die Strategemata 


4) Die Unechtheit bes IV. Buches haben Wachsmuth und Wölfflin beiviefen. Bgl. übrigens - 
Gundermann: De Julii Frontini strategematon libro qui fertur IV. (Commentationes 
philologae Jenenses. Vol. IV. Leipzig 1881.) Diefe Arbeit will die tertfritiiche Grundlage fire 
Frontin gewinnen, indem fie zwei Klaſſen der Eodices ausicheidet und als Epezimen einer neuen Aus— 
gabe gerade das apofryphe IV. Buch mit Fritiihem Apparate publiziert. 


1. Das Beitalter des Prinzipate. 89 


enthält, zieren Holzſchnitte, die jich in der Mainzer Ausgabe des deutichen Cäjar 
von 1530 wiederfinden, und überdies ift er mit einem Verzeichniſſe verjehen der 
„Eugen namen derer, fo die Ritterlichen anjchleg begangen vnd gute Räth voll= 
bradt haben“. Das Berzeichnis beginnt mit Alerander Magnus und endet mit 
Zerred. — An dieſe Verdeutihung reihten ſich im Laufe von wenig mehr ala 
einem halben Jahrhunderte vier andere: die von Motſchidler (Wittenberg 1540), 
welhe in Reimen abgefaßt ijt, dann die profaiihe „Zrandferirung durch den 
Kenjerl. Boeten Marcus Tatius“, die in Frönspergers großes Kriegsbuch (IIL, 
DB. 225— 282) Yufnahme gefunden hat [X VI,S 32), ferner eine anonyme unter dem 
Titel „Frontini Friegspractica, d. i. artliche und geſchwinde Griffe der Römer“ 
Frankf. a.M. 1578), und endlich die von Schöffer (Mainz 1582). — Italieniſche 
Überjegungen erſchienen im 16. Ihdt. drei u. zw. jämtlic zu Venedig: 1587 die 
von Durantino, 1574 die von Gandino, 1575 die von Jul. Feretti. — 
Im 17. Ihdt. gab Berrot d'Ablancourt den Frontin als Anhang des 
Plutarch lateiniſch und franzöfiih heraus (1664), indem er Hijtoriihe Unter: 
juhungen binzufügte!), und Modius kommentierte die Strategemata (Berjailles 
1670). Neuausgaben erjchienen Leiden 1731 (1779) und Göttingen 1788. — Die 
Fortdaner des Intereſſes für den Autor im 18. Ihdt. befunden ſechs franzöſiſche 
Überjegungen von 1739, (1743), 1768, 1765, 1770 und 1772, fowie zwei 
deutihe: die von Kind (Polyäns und Frontins Kriegsränke, Leipzig 1750) 
und die Gothaer VBerdeutihung von 1792. Nunmehr aber erliiht im Herzen 
Europas die nit reinphilologiihe Beihäftigung mit Yrontin, während in 
Italien Amorojo nod 1803 zu Neapel Discorsi sopra gli stratagemmi ſchrieb 
und 1816 Scott die erjte Übertragung Frontins ins Englifche veröffentlichte. 


& 27. 

Die römische Taktik des eriten Jahrhunderts hielt fich 
mcht lange auf der Höhe der cäjarischen Zeit. Schon die Einführung 
der cohors milliaria, d. h. die Verdoppelung der Stärke der rechten 
Flügelkohorte des 1. Treffens (von 500 auf 1000 Mann), um jie 
nicht nur als Elite jondern auch als Entjendungstruppe zu ver 
wenden, tajtete den alten Organismus an; bald fam man dann dahın, 
der Zweitreffenordnung mit verfürzten Intervallen im Sinne des 
Marius den Vorzug zu geben vor der beweglichen Dreitreffenitellung 
Cäſars, und endlich treten aufs neue jene phalangitijchen Ten: 
denzen hervor, denen wir, em Sahrhundert früher, ſchon einmal 
— u. [$ 20.) — Mehr und mehr entwicdelte jich nämlich in 


) Wieder abgebrudt in Lisfennes und Sauvans Bibl. milit. II. (Baris 1840) mit Anmerkungen 
ber Bolyän umd Frontin und einem Anhange: Ruses de guerre, stratagemes, embuscades, sur- 
prises. — Extraits de Feuquieres, Folard, Santa Cruz, Joly de Maizeroy, Cessac}, Carrion- 
Nisas Jomini ete. — ®Bgl. damit: Carlet de Ia Roziere: Les stratagömes de guerre dont 
s* sont servis les plus grands capitaines du monde (Paris 1756). 


90 Altertum. II. Das halbe Jahrtaujend des römiſchen Imperiums. 


den Legionen entjichiedene Abneigung gegen die Schugwaffen, auf 
deren Gebrauch die römtjche Legionartaktik wejentlich beruhte. War 
dieje doch ganz umd gar auf das Handgemenge berechnet, und dazu 
gehört außer hohem perjönlichen Mute unbedingt die Schugrüftung. 
Ohne eine jolhe den Mann mit Pilum und Kurzichwert in den 
Kampf zu ſchicken, ging nicht an, und jo änderte man denn tatjächlich, 
um ſich der Schugwaffen entledigen zu können, auch die Trutz— 
bewaffnung: man erjegte das Pilum durch Schuß- und Wurfwaffen 
für ein eigentliches Ferugefecht und gab dem Legionar für das Nah— 
gefecht den Langſpieß. Dies hatte dann natürlich nicht nur Die 
Neigung jondern geradezu das Bedürfnis zur Folge, die Stellung in 
getrennten Kohorten, aljo die nationalrömische Taktik, zu gunften der 
Phalanx aufzugeben, die ja zu allen Zeiten die übliche Gefechtsform 
der Spießträger gewejen iſt und deren Mafjenhaftigkeit und pafjive 
MWiderjtandsfähigfeit überdies durchaus jener Ddefenjiven Haltung 
entjprach, zu welcher der römijche Militärjtat jich allmählich herab— 
zujtimmen begann. — Schon unter Nero jcheint, zumal in Britannien, 
gelegentlich in phalangittichen Formen gekämpft worden zu jein, und 
unter Trajan (98—117 n. Chr.) wie unter Hadrian (117—138) 
wendete man jic) mit Bewußtjein, ja mit Liebhaberei der mafe 
donischen Ordnung zu. 

Und num wiederholt ſich das befremdliche Schaujpiel der asklepto- 
dotijchen Tage: die unterworfenen Griechen werden die taktiſchen Lehrer 
der römischen Sieger. Man fing an, ich eifrig mit griechticher 
Militärliteratur zu bejchäftigen; eben aus diejer Zeit hören wir, daß 
ein römischer Altkonful, Fronto, über die homerijche Taftif 
jchrieb!); nicht lange und man rief für die Ererzierübungen graeci 
magistri zu Hilfe, und endlich ging man geradezu wieder in die 
griechiiche Philojophenjchule, jobald man höhere Anjchauungen von 
den Kriegswijjenichaften zu gewinnen wünschte. 


8 28. 


Das erjte Werf der neugriechiichen Schule, welches in Frage 
fommt, it das des Dnefandros. „SKriegswiljenichaftliche Arbeiten“, 
jo äußert er in jeiner Worrede, „Dürfen mit vollem Necht den 


ı) Aelians Tattit I, 2: De Tactica Homeri tempore usitata. 


1. Das Zeitalter des Prinzipate. 9] 


Römern zugeeignet werden und insbejondere den Senatoren, welche durch 
die kluge Wahl unjeres verehrungswürdigen Kaijers wegen ihrer tiefen 
Kenntnis des Kriegsweſens und wegen des Ruhmes ihrer Vorfahren 
zu Konjuln oder Legaten erhoben worden find. Nicht als ob ich 
ihnen neue Borjchriften geben wollte, jondern eben weil jie jo große 
Kriegserfahrung haben. Denn Unwiſſende jind nicht im jtande, 
treffliche Leiltungen anderer zu würdigen, während der einjichtige 
Mann dem, was gut it, gern Gerechtigkeit widerfahren läht“. 
Demgemät widmete Onejandros, der den Titel eines magister 
officiorum führte, jemen Traktat über die Feldherrnkunit 
(Srgaenyırog TAoyos) dem Konjul Quintus Verranius, der um 
50 n. Ehr. lebte!). — „Feldherrnkunſt“ ijt eigentlich Feine ganz zu: 
treffende Überjegung der griechijchen Überschrift; denn ein Strategos 
war zugleich Kriegsminifter und Feldherr, da von ihm nicht nur 
die Anwendung der organijierten Kriegsmittel gefordert ward, jondern 
auch deren Aufbringung und Einrichtung. (One. I und II.) — 
Onejandros ijt ein Bhilojoph aus Platos Schule?) und tritt überaus 
anipruchsvoll auf. Den Vorwurf allerdings, welchen Hannibal dem 
Phormion machte, daß er die Wirklichkeit des Krieges jeinen ſyſtema— 
tiihen Spekulationen anzupajjen juche [$ 16], den darf man gegen 
Onefandros nicht erheben; denn er hat fein Syitem. Er vermeidet 
auch, im Gegenjage zu Frontin, Beiſpiele zu bringen, begnügt ſich 
vielmehr damit, überkommene rfahrungsgrundjäge, militärtjche 
Marimen, welche er bei älteren Schriftitellern fand, zu jammeln und 
zuſammenzufaſſen. — Sem Werf wird bald in 33, bald in 42 Kapitel 
abgeteilt und hat im wejentlichen folgenden Inhalt: 

Wahl und Eigenjhaften eines Feldherrn. Kriegsrat. Kriegserklärung. 
Heeresweihe. Märſche. Läger. Übungen. Ernährung. Spione. Wachdienſt. 
Beiprehungen mit dem Feinde. Überläufer. Form der Läger. Wotwendigkeit 
des Geheimniſſes. Wahrjagung vor der Schladt. Nacjrichtenwejen. Zweckmäßige 
Mahlzeit. Des Feldherrn Gleihmut auch bei Unglüdsfällen. Einwirkung auf 
den Geiſt der Mannſchaft (Ermunterung durd Vorführung von Gefangenen u. dgl.). 

DieSchlahtordnungen: Stellung der Reiterei und der Zeichtbewaffneten. 
Von den Intervallen der Schlahtordnung zur Aufnahme der Plänkler. Vom 





1) Tacit. Annal. II, 56. Übrigens nennt Onefandros den Quintus Verranius nicht Konjul, 
und da Etil und Haltung jeines Werkes vielfach auf eine jpätere Zeit zu deuten jcheinen, jo jegen 
Rigaltius und Salmajius die Entftehung desjelben unter Rero, ZurLauben und Shmwebel 
unter Claudius. — Die gewöhnliche Echreibweije des Namens ift „Onofandros”; Eorany hat „One: 
ſandros als richtig nachgewieſen. 

) Suidas, s. v. 


99 Altertum. II. Das Halbe Zahrtaujend des römijhen Jmperiums. 


Angriff, wenn man feine Leichtbewafineten, der Feind aber viele hat. über die 
Ausdehnung der Phalanı. Eliten und Referven. Es ijt nüglid, während des 
Gefechtes allerlei angenehme Nachrichten ausrufen zu laffen, jollten jie auch nur 
erfunden fein. In den Gliedern find Freunde und Belannte zufammenzuftellen. 
Befehldordnung. 

Lojung und Feldzeihen. Genauigkeit bei Aufrechterhaltung der Ordnung 
in den Gliedern und Rotten. Sauberkeit der Bewaffnung. Angriffsgefchrei. 

Verhalten des Feldherrn in der Shladt: Vom Schladtplan. 
Verfahren bei Überlegenheit de Gegner an Reiterei. Bon Wagnijien. Der 
Feldherr joll nicht jelbjt fänıpfen. Belohnungen. Plünderung. Die Gefangenen 
fol der Strategos jelbjt verfaufen. Das Töten der Gefangenen. Begräbnis. Erjap. 

Borfiht während des Waffentillitandes und des Friedens. Eroberte Städte 
find menjchlid zu behandeln. Selbjt Berrätern hat der Feldherr Wort zu halten. 
Aſtronomiſche Kenntnifie find ihm nützlich. 

Von Belagerungen: Überfall. Hinterhalt. Furdt und Beiipiel. 
Majhinen. Gang der Belagerung. SKriegsliften. Einzug. Aushungerung. 

Bom Verhalten eines fiegreihen Heerführers. 

Da Onejandros oft aus jehr guten Quellen geihöpft hat, To 
bringt ſein Buch manche treffliche Lehre, die deutlich von dem ge 
junden Sinne der Alten zeugt. Aber der rechte Mann für eine 
jolhe Sammlung war diejer Platonifer doc) feineswegs. Schon Die 
Snhaltsüberficht beweiſt den Mangel logischer Gejchlofjenheit in Der 
Stoffeinteilung. Pedant ohne Geiſt und fritiiche Einficht, hält er 
weder Zeiten noch Völker auseinander; nirgends geht er den Dingen 
auf den Leib; ängjtlich hütet er jich, näher auf techniiche Genauig- 
feiten einzugehen, und obgleich er ſich in jeiner Vorrede jchmeichelt, 
die Gründe Elargelegt zu haben, auf denen die Erfolge der römiſchen 
Waffen berubten, jo gibt das Werk doch gerade vom eigentlich 
römischen Kriegswejen jo ‚gut wie gar nichts; überall walten An- 
Ichauungen, welche dem Gedanfenfreife der makedoniſchen Sarijen- 
taftift angehören, oder der Verfaſſer verliert jih in Redensarten, 
deren geringer Kern fich als vertrodnete Überlieferung renophontijcher 
oder polybiantjcher Jdeen erweiſt. Im Gegenjage zu Asfleptiodotos, 
der eine einjeitig mathematische Richtung verfolgte [$ 21], huldigt 
Onejandros vorzugsweiie ethiſchen Bejtrebungen, und jchon 
deshalb darf man jich nicht wundern, daß jeine Schrift von Gemein- 
pläßen wimmelt. 


Eben der moralifh=rhetoriihe Charakter ded Strategifod = logo aber mar 
es, welcher das Buch bejonderd den Dft- Römern und den Franzoſen jo wert 
gemacht bat. — Kaijer Leo VI. Hat in jeine „Summarijde Auseinanderſetzung 


1. Das Zeitalter des Prinzipats. y3 


der Kriegäfunjt“ M. 58] faft den ganzen Traktat des Onejandros aufgenommen, 
wenn auch paraphrajiert, und auch diejenige Faſſung des lepteren, melde der 
Cod. Ambrosianus (B 119) enthält, jtellt jih (8. 8. Müller zufolge) als eine 
bzantiniſche Umſchreibung des DOriginalwertes dar. 

. Dem Abendlande wurde Onejandros zuerjt wieder durch zwei lateinijche 
Überjegungen befannt, deren eine Sagundino im Jahre 1493 zu Rom als 
Anhang des Begez heraudgab, während die andere unter dem Titel De optimo 
imperatore zu Paris erjdien (1504). Ülter als beide ift jedod die jpanifche 
Übertragung des Al. de Balencia: Tratado de la perfegion del triunfo 
militar, welche bereitö 1459 hergejtellt, doch erſt um 1495 s. I. e. d. gedrudt 
worden ijt. Demnächſt erjhien eine Berdeutijhung unter dem Titel „Ones 
ander von den Kriegshandlungen vnd Rathen der hodyerfahrn guten hauptleut 
jampt jren zugeordneten“ in ein und demijelben Kriegsbuche mit Frontin zu 
Mainz 1524 und 1532). [8 26. u. XVI 83.) Nun erjt folgten die Franzofen 
und Jtaliener. Eharrier bot eine Überfegung von Onejander, Frontin, Modeſt, 
Aelian und Madjiavel (Paris 1546); zwei Jahre jpäter erihien Onejandrog zu 
Benedig unter dem Titel Dell’ ottimo capitano generale. Aud in Spanien 
bfieb ihm das Intereſſe zugewendet und Gracian de Ulderete veröffentlichte 
ald 1. Band jeiner Sammlung De re militari des Onosandro Plätonico de 
las calidades y partes, que ha de tener un excellente Capitan General y 
de su officio y cargo (Barcelona 1567). — Im Jahre 1593 vollendete zu 
Never ein gelehrter Artillerift, Blaife de VBigenere, eine franzöfiiche Über— 
jegung und begleitete diefen Act militaire d’Onosandre mit annotations und 
Erkurjen der mannigfaltigjten Art, jo daß ein Duartant von 1500 Geiten ent- 
fand, der erjt nach ded Autors Tode gedrudt und dem Herzoge von Sully zu= 
geeignet wurde (Paris 1605). Bigenered Variationen übertreffen das Thema wohl 
um das Zehnjahe an Umfang und vielleiht no mehr an Wert. Aber aud) 
wenn man die Neigung diefer Zeit in Anſchlag bringt, wiſſenſchaftliche Arbeiten 
erit dann für voll gelten zu lafjen, wenn fie ſich irgendwie an die Antike lehnten, 
fo würde Blaije doch die Rhapjodie Onefanderd ſchwerlich zur Unterlage jeines 
Bertes benupt haben, wenn er fie nicht au an und für fi geihäßt hätte. 

Erjt nad dem Erſcheinen all dieſer Überjegungen wurde der griediide 
Driginaltert Onefanderd herausgegeben u. zw. von Camerarius in Bes 
gleitung einer dem Feldhauptmann Lazar. v. Schwendi gewidmeten lateinijchen 
Übertragung (Nürnberg 1595). Bier Jahre jpäter erfolgte die Pariſer Edition 
von Rigault. 

Das 17. Ihdt. jcheint das Strategikon logon ganz aus den Mugen verloren 
zu haben; aber das 18. nahm die VBeihäftigung mit demjelben aufs neue auf, 
zumal der Marſchall von Sadjen die Borjchriften Onejanderd des jorgfältigjten 
Studiums für wert erklärte. Guiſchardt gab in jeinen M&moires militaires, 
t. I (Haag 1757), der Baron Zur-Lauben in jeiner Bibliotheque militaire 


!, ®gl. de Zurlauben: Sur une traduction allemande d’Onosandre impr. à Mayence. 
(Memoires de l’acad. des inscript. t. XXX. hist. p. 159.) 


94 Altertum. II Das Halbe Jahrtaufend des römischen Jmperiums.f 


(Barid 1760) neue Überfegungen ind Franzöfiihe, und Schwebel benugte bie 
Manujfripte Scaliger8 und Voßius' zu einer befjeren vollftändigen Originalaus- 
gabe (Nürnberg 1762), welcher Zurlauben® Übertragung und Erläuterung bei— 
gefügt wurden. In Bezug auf diefe Ausgabe jpottet der Prinz von Ligne: 
»C'est un Allemand, qui €crit en latin, un Latin, qui &crit en grec, et un 
Suisse qui &crit en francais des Notes inutiles et p6&dantesques... Le 
premier est un J&suite, le second un philosophe et le troisieme un officier« !). 
Der Prinz ift überhaupt auf Onejandros jchleht zu ſprechen und charakteriſiert 
ihn in feiner wigigen Weije mit folgenden Worten: »Pour donner une idee 
de ce philosophe qui parle guerre comme un docteur de Sorbonne, la seule 
fois qu’il ne dit pas des lieux communs, il conseille d’envoyer de la caval- 
lerie battre l’estrade (auf Kundſchaft reiten), si c'est un pays de bois ou 
bien ferme par des collines ... Il ne faut pas se moquer des vieilles gens; 
mais il faut croire qu’Önosandre se moquoit de nous, quand il dit, que 
le general doit crier à la droite de l’armde, que tout va bien à la gauche, 
quand m&me elle seroit battue«. — Auf Grund der Schwebel’jhen Ausgabe 
bot Baumgärtner in feiner jog. „Bollftändigen Sammlung aller Kriegsichrift- 
iteller der Griechen“ (Frankfurt 1779) eine mangelhafte Berdeutihung mit vielen 
Noten von geringem Werte [$ 4]; dann erjtarb das ſachliche Intereſſe an Ono- 
jander und nur das philologijche lebte fort. Ihm verdankt man die Original: 
edition von Coray (Paris 1822. V. Band der Parerga Hell. Bibl.) jowie die vor- 
zügliche fritifche Tertausgabe Köch lys in der Teubnerfhen Sammlung (Leipzig 1860). 


8 29. 

Trägt Onejanders Werf einen vorwiegend ethiichen Charakter, 
jo findet der andere Bol der militärwifjenjchaftlichen Bejtrebungen 
der Griechen, der mathematijche, wieder prägnante Vertretung 
in des Ailtanos Theorie der Taktik (rasrızn) Hewpia), welche 
etwa i. 3. 106 gejchrieben jein wird?). Won der Perſönlichkeit des 
Autors ijt nichts befannt; nur darf man wohl mit einiger Sicherheit 
behaupten, daß er nicht nur griechijch jchrieb jondern auch Grieche 
war?). Das Werk iſt dem Kaijer Trajan gewidmet (J8—117 n. Chr.) *). 
Es handelt, wie Aelian in der Dedifation ausdrüdlich hervorhebt, 
nur vom Älteren griechijch-mafedonijchen Kriegswejen, da die Kenntnis 
des römischen ihm fehle. Seine Bedenken, dieje veraltete Wiſſenſchaft 


1) Catalogue raisonne. 1805, p. 251. 

2) Bol. hierüber: För ſter: Studien zu den griehijchen Zattifern. (Hermes XII. 1877. 
S. 44449.) 

) Der dem Yelian häufig gegebene Vorname „Claudius“ ift jalih. Claudius Aelianus if 
ein naturwiifenjchaftlicher Schriftiteller des 3. Ihdts. n. Chr. 

49 Allerdings ericheint die Schrift in den Handfchriften dem Hadrian gewidmet; allein aus 
guten Gründen hat Köh!y das Iduars in Towers geändert. — Bgl. auh För ſter a. a. O. 


1. Das Zeitalter des Prinzipats. | 95 


vorzutragen, ſeien auch erjt beichwichtigt worden, als er erlebt, daß ein 
ausgezeichneter römijcher Kriegsmann Intereſſe daran genommen ‚habe. 

Er jagt: „ALS ih zu Zeiten von E. Maj. allerhöchſtſeligem Water Nerva 
mich einige Tage bei dem berühmten Altkonſul Frontinus aufhielt *), einem 
Manne, der wegen jeiner friegeriihen Erfahrungen in hohem Rufe ftand, fand 
ih, daß derjelbe fih nicht wenig für die griechifche Kriegslehre interefliere. So 
dachte ich denn an die Bearbeitung diejer Taktik, überzeugt, Frontin würde fie - 
nicht ſchätzen, wenn er fie der römijchen für unebenbürtig halte... Endlid war 
es aber E. Maj. unüberwindliche Tapferkeit und Kriegderfahrung, durch welche 
Diefelben (um es furz zu jagen) alle Feldherrn übertroffen, die je gelebt, was mid) 
veranlaßt Hat, dies Werk zu vollenden, welches gar ſchön und wohl geeignet 
iit, bei Freunden der Kriegskunſt die Schriften der alten Griechen zu verdrängen, 
namentlich wegen jeiner höheren Klarheit und befjeren Anordnung. Freilich trug 
ih Bedenken, diefe Schrift einem in fo vielen Kriegen erprobten Feldherrn zu 
überjenden (mußten doc meine Vorſchriften jeiner Einficht gegenüber ſchwach er: 
ſcheinen!). ®enn E. Maj. jedoch diejelbe als griechiſche Wiſſenſchaft und glatte 
Darjtellung in Betracht ziehen wollen, in welcher Diejelben zugleich die Anlage 
der Schladhten Alexanders erfennen werden, jo dürfte E. Maj. mein Werk dod 
einiged Bergnügen machen“, 

„In Rückſicht auf die bejchränfte Zeit des Kaiſers“ hat Aelian 
ſehr einjichtsvoll jeinem Buche ein ausführliches Inhaltsverzeichnis 
vorangejchidt, welches 113 Paragraphen aufzählt, die man gewohnt 
ft, ım 42 oder 53 Kapiteln zujammenzufajfen. Dem Stoffe nad) 
gruppieren jich die Paragraphen, wie folgt: 

1—3: Die bisherigen Kriegsfchriftiteller. 4—11: Die neun Klajjen der Streits 
baren: Schwerbewafinete, Beltajten, Leichtbewaffnete; Spießreiter, berittene Speer: 
ihügen, reitende Bogenjhügen, Banzerreiter; Streitwagen und Elefanten. 12—26: 
Taftijche Einteilung der Grundftellung. 27—34: Stärken der Abteilungen. 35—42: 
Die Hierardie der Befehlshaber. 44—48: Gewöhnliche, gejchlojjene Stellung und 
Berihildung. 49—54: Bewaffnung und Auswahl der Hopliten. 55—62: Die 
Leihtbewafineten. 63—74: Die Reiterei und ihre Taktik. 75: Elefanten und 
Sihelwagen. 76—113: Die Formen der Elementartaftit des Fußvolks und die 
Kommandorufe. 


Das 1. Kap., deſſen bereits in der Einleitung 8 1] gedacht 
wurde, iſt von bejonderem Interejje. 

Aelian beginnt die Reihe der Kriegsjchriftiteller mit Homer und führt jie 
bis zu Bojeidonios (Asklepiodotos) und dem uns unbelannten Bryon, dem 
„Berfafler eines Lehrbuches“. Er behauptet, jie alle gelejen zu haben (was 


1) Ob diejer Frontinus identijch mit dem Sriegsichriftiteller fei, oder ob etwa an den Altfonjul 
Fronto zu benfen fei, ift nicht völlig fiher (vgl. ebd. 446). 

*, In der Einleitung ftellt Aelian auch ein Buch über den Seekrieg in Ausfiht, und Fabricius 
gibt in der Bibl. graeca (V, p. 621) an, daß eine Handſchrift desfelben erhalten jei, jagt aber nicht wo 


95 Altertum. II. Das Halbe Jahrtaufend des römiſchen Imperiums 


übrigens ziemlich zweifelhaft erjcheint) und findet, daß „jozujagen alle dieje Schrift: 
fteller ihre Werke nur für Eingeweihte ſchrieben“. Aelian will daher dafür jorgen, 
daß andere bejjer belehrt werden, und zu dem Ende überall da, wo Worte nicht 
augreihen, Figuren zu Hilfe nehmen !). Lebhaft hebt er jeine mathematijchen 
Kenntnifje hervor, und eben diefe Geijtesrihtung läßt Aelians Werk dem bes 
Asklepiodotos ‚von vornherein verwandt erjheinen. Aber die Berwandtichait 
geht noch weiter; die Taftif des Asklepiodotos ift offenbar die Hauptgrundlage 
für Aelians Arbeit gemwejen; denn zwiſchen beiden Werten zeigt fih eine fait 
völlige Ubereinjtimmung in Anordnung und Gang. 

Vie Asklepiodotos zeigt auch Ailtanos ſich nicht als militärticher 
Fachmann, jondern als Theoretifer, als „Kathedertaktifer“. Daher 
finden jich bet beiden Mißverſtändniſſe, und daher jtreben beide, bes 
jonders Aelian, nicht ohne Pedanterie nach ſyſtematiſcher Vollſtändig— 
feit. Nichts läßt diefer weg, was er in jeinen Quellen findet, und 
unzweifelhaft tt er mit der griechtiichen Militärliteratur gut vertraut. 
Gerade der Gedanke, daß auch des Asklepiodotos Werf an Wer: 
ſtändlichkeit und Syſtematik noch zu wiünjchen übrig lajje, hat ihn 
zur Bearbeitung jenes eigenen vermocdt. Immerhin bleibt er, auch 
dem Wortlante nach, abhängig von Asflepiodot; aber er entlajtet die 
Daritellung von den überwuchernden mathemattichen Einzelheiten und 
ordnet bie und da die Dinge beifer an. Sem Stil it jo gefeilt, 
wie der des Askleptodotos; er jchreibt, wie es ſich in einem wiſſen— 
Ichaftlichen Lehrbuche ſchickt, fnapp umd genau, und läht es an Er— 
flärungen der technischen Ausdrücke nicht fehlen. 

Was Neltan bietet, it nun keineswegs die Taktik der großen 
geiten des Griechentums; jeine Verficherung, der Kaiſer fünne aus 
dieſer Auseinanderjegung die Schlachtordnungen Aleranders kennen 
lernen, beruht auf Selbittäujchung. Er gibt nichts anderes, als die 
phalangitische Sarijentaftif der Diadochen. Seine regelrechten Figuren 
imponterten jedoch den Kriegskünftlern Noms um jo mehr, je ent- 
jchtedener dieje an dem Wert ihrer eigenen legionaren Nationaltaktif 
irre geworden waren. — Näher joll Nelians jchulmäßige Darftellung 


!) Die Editio princeps bes Robortelli erſchien auch mit vielen Bildern, bie aber nur 
zum Teil den Hanbjchriften entnommen, zum Zeil dagegen (wie namentlih bie Tanbsfnehtsmäßigen 
Kriegerfiguren) ‚Robortellis eigene Erfindung waren. Abchly und Rüftomw haben mit Recht nur 
die erfteren reproduziert. — De Liane bemerlt in diefer Hinfiht: »Elien promet à l’Empereur 
la victoire, s’il se sert de ses rhombes, de sa Bataille lunaire, de sa Phalange transversee, 
entortillöde, courbe, ou Tourme et l’espece d’oeuf. Les desseins en sont plaisans. Je me 
contenterai d’observer, que tous ces Auteurs grecs paroissoient se plaire A des desseins 
baroques, propres à amuser les enfans.« 


1. Das Zeitalter des Prinzipats. 





der alerandrintichen Taktik in der vergleichenden Zuſammenfaſſung — 


antiken Kriegswiſſenſchaft gewürdigt werden. 

Für die Byzantiner wurde Ailianos eine Hauptquelle, aus der 
Kaiſer Leo VI. vieles wörtlich übernahm M.S 8), und von den Romäern 
übertrug dieſe Vorliebe jich) auf die Araber. Glanzpunft der jpärlichen 
und unjelbitändigen islamitiſchen Militärliteratur it die arabtiche Über— 
ſetzung Meltans, welche in em um 1350 zuſammengeſtelltes Lehrbuch 
der Taftif aufgenommen wurde !). — As man ſich dann im Abend— 
lande mit wifjenjchaftlicher Begründung der Gefechtsformen des Fuß— 
volks zu beichäftigen begamı, richtete ſich ebenfalls die Aufmerkſamkeit 
jofort wieder auf Aelian: entiprach doch die Sariſentaktik durchaus den 
Bedürfniſſen der den Langſpieß Führenden Knechte des 15. Ihdts. 

Am Jahre 1487 wurde eine lateinifche Überfegung der „Zaftiichen Theorie”, 
weiche Theod. Ga za von Theſſalonich hergejtellt®), in die Sammlung der Veteres 
de re militari aufgenommen und mit diejem Kanon wiederholt neu abgedrudt. 
Aus diejem Werke find die meijten reglementarijchen Formen des 16. Ihdts. ge— 
ihöpft. Dementiprechend wurde ed nad) Gazas Verſion fon früh verdeuticht 
(Köln 1524). Im 16. und 17. JHdt. ift auch das griechiſche Driginal 
fünfmal herausgegeben worden: zuerjt 1532, dann 1552 zu Venedig von Ro— 
bortelli, 1556 von Gesner in Zürich, 1613 bei Elzevier in Leyden mit 
Kommentar von Arcerius und 1683 von Blancardus in Amfterdam. Mit 
den Veteres scriptores ijt Aelian mehrfad in andere Sprachen überjeßt worden. 
Die erſte jelbjtändige franzöjiiche Übertragung war die von Mardhault in 
feinem dem Könige Louis XIII. gewidmeten Werte »Les milices des Grecs et 
des Romains« (Paris 1615). Sie führt bier den Titel: »De la Sergenterie des 
Grees« und zeichnet ſich durch intereflante Figuren aus. Gleich darauf wurde 
Yelian von Bingham ins Englijche überjegt: The art of Embatteling and 
Arıny (London 1616). — Das 18. Ihdt. brachte die jranzöfiiche Übertragung von 
Bouhaud de Buy (Paris 1737, 1757) und die Verdeutfhung Baum— 
gärtners in der jog. „Sammlung aller Kriegsichriftjteller der Griechen“ [$ 4], 
aus der jie zu Mannheim 1786 gejondert abgedrudt wurde. — Im 19. Ihdt. 
erihien eine engliſche Überfegung von Lord Dillon (London 1814) und endlid) 
eine treffliche kritiiche Ausgabe nebjt Verdeutiyung und Erklärungen in Köchlys 
und Rüjtomws „Griechiſchen Kriegsſchriftſtellern“ (II, 1. Abt.) Leipzig 1855. 

830. 

Weiß man von des Ailianos Perſönlichkeit nur ebenſoviel, als er ſelbſt 
von ſich berichtet, ſo ſteht dagegen Arrian im hellen Lichte der Geſchichte. 

1) Bgl. Wüftenield: Das Heerweſen der Muhamedaner und bie arabiſche Überſetzung des 
Lelian (Göttingen 1880). 


*, Die Handichrift befindet fi im Batifan, wo fie ben Titel führt: Aelianus de instruendis 
aciebus Theodoro Thessalonicensi interprete (ms. lat. no. 3414, 351). 


IJähnd, Geichichte der Kriegswiſſenſchaften. 7 


98 Altertum. II. Das Halbe Jahrtaujend des römifchen Imperiums. 


Flavios Arrianos wurde zu Nilomedien in der damald von Plinius 
verwalteten Provinz Bithynien als Sohn einer armen, doc angejehenen Familie 
geboren. Jung nad) Rom gefommen, ward er Schüler des Stoiferd Epiftet, was 
ihn jedoch nicht hinderte, fi) den Waffen zu widmen. Er zog die Aufmerkſam— 
feit des Kaiſers Hadrian auf fi, erhielt das römijche Bürgerrecht, im Jahre 136 
die Präſektur von Kappadokien und verteidigte die® Land mit Erfolg gegen einen 
Einfall der Albaner!). Der Kaijer verlieh ihm die fonjulariihe Würde und er- 
bob ihn zum Oberpriejter der Ceres und der Projerpina. Arrian jtarb unter 
Marc Aurel in feiner Heimat Nitomedia. 

In ganz eigentümlicher Weiſe hat Arrian, namentlich als Schrift- 
jteller, dem Kenophon zu gleichen geſucht. Um dem Epiftet zu 
werden, was Kenophon dem Sofrates gewejen war, jchrieb er die 
Vorträge desjelben wortgetreu nach und ſchuf jo das beite Werk, 
welches uns über die Stoa überblieben it?). Entiprach dies Werk 
den „Memorabilien“ Kenophons, jo jtellte er den ſieben Büchern der 
Kyrupädie, welche den Gründer der perjiichen Monarchie verherrlichten, 
jene jteben Bücher von den Taten Aleranders entgegen, alio 
des Fürſten, der das Perſerreich zeritörte ?). 

Dieje Arapanıs Ahstandoov iſt auf Grund der für uns verlorenen Rela- 
tionen des Ariftobulos, de Eumened und des Ptolemäos geichrieben, welche 
Alexander jelbft begleitet hatten. Längft war das Bild des großen Makedoniers 
durch die Sagen wundergläubiger Völker und die Deflamationen der Sophiiten 
ins Märcenhafte gejteigert worden; jegt ftellte der nüchtern=kritiiche Arrianos aus 
dem Romane die Geſchichte wieder her und leijtete damit auch der Kriegswiſſenſchaft 
einen hochanzuſchlagenden Dienſt; denn ohne jein Werk wäre man völlig außer 
itande, Aleranders Feldzüge in Aſien mit irgend welchem Nutzen zu ftudieren. 

Aber auch über eigene Kriegstaten vermochte Arrian zu jchreiben. 
Der Anabafis des Zenophon jeßte er eine Daritellung jeiner Unter: 
nehmung gegen die Albaner zur Seite, von der allerdings nur ein 
Bruchjtüd, nämlich die Anordnung der Schlahtordnung (Ektaxis) 
gegen die Albaner erhalten it *®). 


I) Gewöhnlich wird dies Volk als „Ulanen” bezeichnet. Marquardt hat indes nachgetwieien, 
dad es jih um die von Dio Caſſius (69,5) erwähnten Albaner handle. Dieje waren ein faufaftiches, 
an vorzüglichen Bogenſchützen und Keitern reiches Nomadenvolf. — Bgl. Kiepert: Lehrbuch der alten 
Geographie (Berlin 1878, ©. 85). 

2)" Epiktetos, der die Bhilojophie für eine „Waffe“ erflärte (dyysıurdıor oroarıwrıxor), hat 
jelbft nichts geichrieben. 

) Neuefte Ausg. von Abicht (Leipzig 1871), griech. und deutich bei Engelmann (Leipzig 1861), 
beutih von Ele (Stuttgart 1862—65). — Eine Ergänzung von Arrians „Anabafig“ bilder jeine 
Schrift »Indica«. — Bgl. St. Groizg: Examen critique des anciens historiens d’Alexandre 
le Gr. (Baris 1804). 

*) Ausg. von Blancarbd: Fl. Arriani Tactica (d. i. die ältere Faſſung Aelians) Acies 
contra Alanos etc. (Amfterdam 1683, 1750). Herder: Arriani scripta minora (Leipzig 1854), 


1. Das Zeitalter des Brinzipats. 99 


Die inrafız war Aldarıv (Akavamw) ift eine intervallenloje Phalanz von 
8 Mann Tiefe, die aus Legionaren bejteht. Die 4 erjten Glieder führen pila, 
die vier hinteren lancese. Ein neunte® Glied iſt aus pfeilichießenden Auriliar- 
truppen gebildet. Auf den Flügeln jtehen Geihüge und Reiter. Eine Rejerve 
außerlejener Truppen ift zurüdgehalten, um je nach Umftänden an bedrängter 
Stelle Hilfe zu leiften. 

Wie Xenophon in jenem Werfe über die Lakedämonier ein Bild 
der altdortichen Scharung und Kampfart entrollt, jo Arrian in feiner 
zeyvn rarııan (Taktik) ein Bild der alerandriniichen PBhalangentattif. 
Köchly freilich hat das unter dieſem Namen überlieferte Werf dem 
Arrian abgejprochen und für eine ältere Faſſung der Taktik Aelians 
erflärt ?); indeſſen Förſter wies mit überzeugenden Gründen nach, daß 
Köchly in diefem Falle irrte und jegte die Tradition wieder in ihr 
altes Recht ein ?). 


Allerdings iſt Arrians Taktik in vielen Stüden der des Melian eng ver: 
wandt und ruht jomit indireft auch auf Asklepiodotos' Tattil. Aber dad Wert 
des Nilomedierd trägt weniger den Charakter eines doftrinären Lehrbuches als 
den eined Leitfadens, der fürdie Praxis bejtimmt ift. Die langen Perioden 
Aelians find in leichter faßliche, Feine Säge zerlegt; die Sapverbindung ift 
lofer und der Ausdrud breiter. Die Schrift atmet ganz denfelben Geiſt wie 
Arriand Anabafis. Für den gewandten Prattiker, der Arrian doc) war, ijt ver: 
mutlic die Wahrnehmung, daß mit Aelian auf dem Übungsplage und im Felde 
nichts Rechtes anzufangen jei, Beranlafjung geworden, mit einem neuen Verſuche 
hervorzutreten, der gewiſſe Unrichtigfeiten verbefiert, Seitenblide auf die moderne 
römijche Taktik wirft und das Unnötige wegläßt. So geht er an Aelians Ber 
prechung der Wagen und Elefantentämpfe adjjelzudend vorüber (cap. XXII, 1), 
behandelt dagegen beim auvaoruıouo; (cap. XI, 6) die testudo der Römer, anderen» 
orts die eine Beinfchiene (vgl. Vegetius I, 20) und die Bewaffnung der römi- 
ihen Reiter (cap. II, 14). Ebenſo fliht er als echter Praktiker zuweilen Erläutes 
rungen aus der Kriegdgeichichte ein, jo z. B. cap. XI, 2 aus den Schlachten von 


— Franzöj. von Guiſchard in ben Mémoires militaires (II, p. 199—212). — Deutſch von 
Dörmer als Anhang der Anabafis (Stuttgart 1834). — Bal. Groteiend: Die Truppentorps in 
Arrians Marihorbnung gegen die Alaner (Philologus XXXVI, 1867, ©. 18). 

1) Bol. Köhln: De libris tacticis, qui Arriani et Aeliani feruntur (Züri 1851). 
Supplementum dazu (Züri 1852). — [Beide Differtationen in den Opusc. acad. I, Leipzig 1853, 
wieberbolt.] — Libri tactici duae |quae Arriani et Aeliani feruntur editiones emendatius 
desceriptae et inter se collatae (Züri) 1853). De scriptorum militarium graecorum codice 
Bernensi (Zürid 1854). — Rüftom und Köh!y: Weich. des Griech. Kriegsweſens (Harau 1852), 
©. XVI; Ködhln und Rüftomw: Griech. Kriegsſchriftſteller II, 1. 74 ff. (Leipzig 1855). 

2) Förfter: Studien zu ben griech. Taktifern I. Über die Taktifa des Arrian und Aelian 
(Dermes XII, 1877, ©. 426 fj.). Als wirklich arrianiid wird die dem Arrian von jeher zugeichriebene 
Tattita begeichnet duch die subscriptio : Aousavod reyrn taxtixn, jowie durch das Zeugnis Kaiſer 
Leos im der noleuxuvy napaoxewoy diurazız cap. VII, 86 (ed. Meurs.), wo die Übereinftimmung 
iniichen Arrian und Aelian hervorgehoben und doch beider Werte zweifellos auseinandergehalten werden. 

7* 


100 Altertum. I. Das Halbe Jahrtaujend des römijchen Imperiums. 


Reuftra und Mantineia; oder er gibt Hinweije auf die Einrihtungen anderer 
Völker: der Armenier und Parther (cap. II, 12), der Inder, Yethiopen und Kar— 
thager (II, 3 u. XXII, 5), der Sauromaten, Skythen und Albaner (XI, 2 und 
II, 14), der Briten (XXII, 2) und der Perſer (XXII, 4). Alles da® paßt vor: 
trefilih auf den Berfajjer der Arapßasıs AleSardgov, der 'Irdıxr und der ärrafıs; 
denn in diejen Schriften fommen eben aud) all die in der „Taktik“ beiſpielsweiſe 
aufgeführten Völker vor, und es ijt gewiß nicht Zufall, daß der jonjt Eitaten 
abholde Arrian, doc zweimal (cap. V, 3 u. XXXVL, 9) Stellen aus Xenophon 
anführt?). 

In dem Traftate über die Reiterei, welche der Taktik Aelians 
jehlt, dagegen die Arrians ſchließt (c. 32, 3—44) jtellt der Nifomedter 
auch den hippolvgtich-favalleristiichen Werfen des Xenophon eine einiger— 
maßen entiprechende Arbeit zur Seite, welche jogar Köchly als Eigen: 
tum Arrtans anerkennt ?). 

Das Kapitel handelt von den Übungen der römiſchen Reiterei, inöbejondere 
von deren Parade-Evolutionen. Der Tert ijt aber jo mangelhaft erhalten und 
daher jo unverftändlid, daß ihn weder Guiſchardt ins Franzöſiſche, noch Köchly— 
Rüſtow ind Deutſche übertragen konnten. Soweit die Dinge jich erfennen laijen, 
find jie überaus künſtlich und offenbar jtart von barbariichem Wejen beeinflußt. 
Sberer, Kantabrer und Selten, Parther, Armenier und Sarmaten haben der 
Taktik der römijhen Alen ihren Stempel aufgedrüdt, und unter den Trugiwafien 
jpielt die Hauptrolle der Wurfipieh. 

Im Schlupworte des Verfaſſers wird als Zeit der Abfaſſung 
des Werkes das 20. Jahr der Negierung HDadrians angegeben, d. it. 
das Jahr 137 n. Chr. Wie Aelians Taktik dem Trajan, jo tft die 
des Arrian dem Hadrian gewidmet. 

Eine lateinijche Überjegung von Arrians Taktit veröffentlihte Blan— 
Hard (Umjterdam 1683, 1750), Franzöſiſch von Guiſchardt in jeinen 
Me&moires militaires. Vol. II (Haag 1758) und von de Sérignan in der 
Etude: La Phalange (Paris 1880). Italieniſch von Racdetti in jeinem 
Trattato de la milizia de Greci antichi (Mailand 1819), Deutſch von 
Köhly und Rüſtow unter jorgfältiger Bergleihung mit Aelians Taktit in 
ihren „Griechiſchen Kriegsichriftitellern“ (11, 1. Abt. S. 199— 551) mit dem Original: 
terte, Erflärungen und kritiſchen Noten (Leipzig 1855). 

Mit Aelian-Arrian in vielen Bunkten identiich find die Erklärungen 
eines dem Kaiſer Hadrian gewidmeten griechtichen WMilitärlerifons, 
welches der Benediktiner de Montfaucon mit latein. Uberſetzung | 
in der bibliotheca Coisliniana (Paris 1715) herausgegeben bat. 

I) Förſter a. a. O. 


2) Wie Köchly jo ſchreiben auch St. Croix (a. a. ©.) und nad ihm Paſſow (in Erſch und 
Gruber Encyll. V, 404—105) Arrian nur diejen Neitertraltat, nicht die ganze Taktik zu. 





1. Das Zeitalter des Prinzipats. 101 


(CCCXLVI; p. 505—514). — Ein anderes Kriegswörterbud. 
ralıg scalzıa ai Vvouaciaı vow apyorrew, das wohl auch diejer 
Zeit entſtammt, findet jich mehrfach alten Wörterbüchern, u. a. dem 
Thesaurus linguae graecae des Stephanus (Genf 1572) ame. 
gehängt. 


Daß Kaijer Hadrianus literariich tätig geweſen, tjt Durch 
viele Zeugnifje bekräftigt; daß er auch eine Taktik gejchrieben habe, 
behauptet Salmafius. Die von Vegetius zitierten Hadriani con- 
stitutiones jind damit nicht gemeint: dies waren nur auf die Heeres 
organtjation bezügliche fatjerliche Verordnungen. Salmajius erklärt 
vielmehr eine noch erhaltene Schrift für eine bloße Neubearbeitung 
der Hadrianiſchen Taftifa, nämlich das razzızor des Urbictus [M. $ 2]. 
Neuerdings Hat jedoch Förſter diefe Komjektur als eine irrige Voraus— 
jegung nachgewiejen !). 


8 31. 
In ähnlichem Verhältnifje wie Vitruv zu Auguftus jtand Apollo- 


doros von Damascus zu Trajan und Hadrian. 

Er war ein berühmter Architekt, der u. a. die Säule auf dem trajanijchen 
Forum zu Rom und die kolojjale Kriegsbrücke über die Donau errichtete, welche 
jpäter, nach Aufgebung des Gebietes jenjeitö der unteren Donau, auf Hadrians 
Befehl zerftört wurde. Apollodoros zog fih Hadrians Ungnade durch freimütige 
Äußerungen über den arditektonijchen Dilettantismus des Machthabers zu. Ber: 
gebend juchte er die verlorene Gunjt wieder zu gewinnen, indem er in der 
Verbannung ein Buch über die Kriegsmaſchinen und die Belage- 
tungsfunjt jchrieb, dad er dem Herricher widmete. Diejer lieh ihn bald unter 
anem Borwande Hinrichten. 

Die zroLıoganrıza des Apollodorus erjcheinen in mancher Hinjicht 
als Ausgangspunkt jener mittelalterlihen Bilderhandjchriften, 
die bejonders im 15. Shot. ihre eigentümliche Blüte entfalteten. Die 
überlieferten Zeichnungen, welche in das Manujfript eingejtreut jind, 
tragen einen Charakter, der vielfach an jolche jpäteren Darjtellungen 
erinnert. — Apollodors Schrift handelt von den Belagerungstürmen, den 
tahrbaren Laufhallen, den Mauerbohrern, den Widdern, der Zerjtörung 
der Mauern durch Feuer, von Sturmleitern verjchiedenartiger Kon— 
ſtruktion, von Wandeltürmen mit NAusjchlagsbrücden (sambucae) und 


Y Rtaifer Hadrian und bie Zaftif des Urbicius (Hermes XII, ©. 449). 


102 Altertum. II. Das halbe Jahrtauſend des römiihen Jmperiums. 


anderen zur Belagerung geeigneten Gerüjten. Auch ein Schöpfrad 
zur Entleerung von Wafjergräben wird bejprochen und in einer Weiſe 
dargejtellt, die durchaus an mittelalterliche Typen erinnert. 


Ausgaben der Poliorketika finden fih in Thevenots Mathematicorum 
veterum Opera und in Weſchers Poliorc6tique des Grecs. 


8 32. 


Die Gruppe der griechiichen Kriegsichriftiteller des 2. Ihdts. 
beichließt Polyainos. Geborener Mafedonier praktizierte er zu Rom 
als Ahetor und Sachwalter und jchrieb um 163, jchon in vorgerüdtem 
Alter, jeine dem Marcus Aurelius Antoninus und dejjen Mitregenten 
Lucius Verus gewidmeten Strategemata!), ein Konkurrenzwerk 
des Frontin [8 26). 

Bon den Irparnyruarıov Bıßkia oxro find vollitändig nur die Bücher 
1—5 und 8 erhalten, 6 und 7 unvollitändig, jo daß man von den WO Strate- 
gemen bed Polyaen nur noch 833 befigt. Die erjten 6 Bücher jchildern Kriegs— 
liſten griediicher Heerführer (von Bakchos, Ban und Herafles an); das 7. Bud 
erzählt die von ‚barbarijhen Feldherrn angewandten Strategeme, das 8. die 
der Römer. 

Wie Frontin iſt auch Polyaen Kompilator; während der lateintjche 
Autor aber jelbjt ein tüchtiger praktischer Kriegsmann war, fehlt Dem 
griechiichen Advofaten jeder wahre Begriff vom Kriege. Der ohne 
Geſchmack und Kritik zufammengebrachte Stoff verdient nur deshalb 
einige Aufmerkjamfeit, weil ein Teil der Originalwerfe, aus denen 
Polyaen jchöpfte, ein Raub der Zeit geworden iſt. Unaufhörlich ver- 
mijcht der Autor die Strategeme mit beliebigen Gejchichten, die gar 
feine Beziehung mehr zur Kriegskunſt haben, und zuweilen bringt er 
als Feldherrnkünſte Züge von Niederträchtigfeit, die des gemeinften 
Sklaven unmwürdig wären, neben banalen Gemeinplägen, Akten harter 
Ungerechtigteit und wilder Graujamfeit. Es tft ein Werf des Ver— 


1) Lateinische Überfegungen von Bulteius (Bajel 1549) und Mutoni (Venedig 1552). 
Edit. prince. bes gried. Tertesd von Gajaubonus (Leyden 1589), Maas vicius (ebd. 1690), 
Murjinna (Berlin 1756), Coray (Paris 1805) und ‚Wölffling(Leipzig 1860), — Deutſch 
mit Frontin von Kind (Leipzig 1750), allein von Seybold (Frankfurt 1793) und von Blume Fuchs 
(Stuttgart 1854). — Fran zöſiſch vongb’Ablancourt (Paris 1739 und wohl jchon früher) und 
von Don Gui-⸗Alexis Lobineau. (Ebb. 1743 und 1770 und aufs neue abgebrudt im 3. Banbe ber 
Bibl. militaire von Listenne und Sauvan. Paris 1839.) — Italienijd von Mutoni 
(Benebig 1542) und Carrina (ebd. 1552). — Engliicdh von Sheperb (London 1793). 

Bol. Joly de Maiyeroy: Traite des stratagemes permis A la guerre, ou Remarques 
sur Polyen et Frontin (Me& 1765). 


2. Das Zeitalter der Militär-Deipotie. 105 


alles! — Wenn Bolyän wirklich, wie Sutdas angibt, noch eine Schrift 
rarrıza verfaßt hat, jo ift der Verluſt derjelben kaum zu bedauern. 


2. Gruppe. 
Das Beitalter der Militär-Defpotie. 

Noch Ichärfer als Polyäns Kriegsliſten trägt das Zeichen des 
Verfalls, u. zw. des VBerfalls nicht nur der Kriegskunſt, jondern aud) 
der Sitten, das Werk eines griechtich jchreibenden Orientalen an der 
Stirn, das des Julius Africanus. 

Sertus Julius NAfricanus wurde, vermutlid unter Septimius 
Severus, zu Emmaus (Nilopolis) geboren, wo er jpäter die Würde eines crijt- 
lichen Biſchofs bekleidete, literariich tätig war und um 232 ftarb'). 

Außer einem von den Kirchenhiftorifern oft zitierten Abriſſe der 
Weltgeichichte (bis zum Jahre 221 n. Chr.) jchrieb er Kommentare 
zur hl. Schrift, und unter dem Titel Asoror, d. i. Benusgürtel, 
jtellte er eine Sammlung von Geheimmitteln und Zauberfünjten zus 
jammen, die großenteil3 zum Gebrauche im Kriege bejtimmt waren ?). 
Später jind in dies Buch jehr viele Bruchjtüde anderer Arbeiten ein- 
geichoben worden, namentlich aus des Aineias Boltorketifon und aus 
den für Konjtantin VI. (780—791) gejammelten Schriften über Roß— 
arzneifunde (Srrrrrargıza) und Landbau (Tewscoveza), jowie aus der 
eines militärischen Anonymus des 6. Ihdts. [M. 84], jo daß die 
Keiten, jo wie jie vorliegen, Nejte von Schriften aus einem taujend- 
jährigen Zeitraum umfafjen >). 

Einer kurzen Vorrede folgen ahtundfiebzig Kapitel: 1. Bon der Bewaffnung. 
2. Bon verjchiedenen Mitteln, den Feind zu vernichten. 3. Weinvergiftung. 


2, Die Hauptitellen über ©. J. Air. ftehen bei Suibas I, 94 (1100 n. Ehr.), bei Bbotios: 
Bibl. XXXIV, p. Ta, 6—24 (870 n. Chr.) und bei Eujebios: Chroniton I, p. 64 und Hist. ecl. 
vl. 31 (820 n. Chr.). 

2) fiber den Titel vgl. Ilias XIV, 214,5: „Sprachs und löfte vom Bujen den wunderköſtlichen 
Gürtel, buntgeftidt; dort waren die Zauberreize vereinigt.” — Uusgaben: bei Thevenot: 
Math. vet. (Paris 16v8), p. 275— 316 und in Meursi opera vol. VII, ex recens. J. Bami 
(Florenz 1746) p. 897—9%4. — Frranzdfiichhe (jehr freie, Überıragung der auf die Ktriegskunſt bezüg⸗ 
lichen $apitel in Guiſchardts M&moires critiques III, p. 273—392. — Puchard, der eine Über: 
wgung ins Lateinijche unternommen, gab dieje, wegen des abjcheulichen Inhalts der Keſten wieder auf. 
Fabricius Bibl. gr. V). 

) Schon Eajaubonus bat dieie Miichung nachgewieſen. Köchly und Rüitom führten 
die Unterſuchung weiter in ibren Borbemerkungen zu den kritiichen Noten zum byzantinischen Anonnmus, 
Griech. Kriegsichriftiteller II, 2. Leipzig 1855.) 


104 Nltertum. II. Das halbe Jahrtaujend des römijchen Jmperiums. 


4. Luftvergiftung. 5. Mittel, fih fampfmutig zu machen. 6. und 7. Mittel, 
um den Schmerz einer Operation nicht zu empfinden. 8—14. Bon den Pferden, 
ihrer Behandlung und Zäumung. 15. Mittel, Pferde zu jchreden. 16—19. Roß— 
arzneimittel?). 20. Borjchlag, die Truppen durch Jagden, namentlid; Löwenjagden, 
auf die Beſchwerden des Kriegs vorzubereiten. 21. Methoden, unerjteigliche Höhen 
und Strombreiten zu mejjen. 22. Vorteile guter Augen und Mittel, um das 
Gehör zu jchärfen. 23. Sicherung gegen das Einſchlafen. 24. Von den Elefanten 
und der Art, fie zu bekämpfen. 25—28. Bom Landbau? 29. Vom Bogen- 
ihiejen. 30. Bon Verarbeitung de Holzes. — Dieje dreißig Kapitel dürften im 
weientlihen von Africanus elbſt herrühren, wobei hier die Frage nad dem Zus 
jammenhange mit der Hippiatrica und Geoponifa aus dem Spiel bleib. Nun 
aber beginnt das wunderlidjte Durdeinander. Die Kapitel 31 —38 und 40—44 
jtammen nod von Africanus; fie handeln 31. vom Schlaftrunf, 32. und 33. von 
Zerftörung der Wälder und Ernten, 34—36. von favallerijtiihen Geheimmitteln, 
37. vom Pfeilgift der Skythen, 38. vom Feuerlöſchen mit Weinejfig, 40. von 
medizinijchen Wirkungen der Raute und des Rettigd, 41—43. von Wundarznei- 
funde, 44. von Brandjägen. Die Kapitel 39 und 45 bis 59 entſprechen ebenjo 
vielen Stellen aus dem Poliorketikon des Aineias ſ8 8] und verbreiten ſich über 
die Brandftiftung an Toren und Belagerungsmajhinen, über Waſſeruhren, 
Torwachen, Geheimjchrift, Entdedung, Bekämpfung und Schug der Minen, über 
Fallgatter, über die Kunft, eine große Stadt mit Feiner Bejagung zu halten 
u. dgl.m. — Die Kapitel 61—73, 77 und 78 gehören in die „Kriegswiſſenſchaft“ 
des byzantinifhen Anonymus aus dem 6. Ihdt. [M.$ 4]; fie beziehen ji auf 
die Bognerkunft, auf die Schlahtordnung, auf dad Berhalten nad) einer Nieder: 
lage, auf die Frage, wann eine Schladht anzunehmen jei und wann nicht, auf 
Hinterhalte und Überfälle, Spione, Gejandte und Überläufer, Fanale und Wacht⸗ 
dient, jomwie auf Anordnung und Bewafinung der Phalanı, wobei die Kapitel 
des Anonymus arg durdeinander geworfen find. — Endlich enthalten die Keſten 
nod) vier Kapitel taftiihen und militärpolitiihen Inhalts (60, 74—76), welde 
teil an Asklepiodotos |$ 21], teil® aud) wieder an den Anonymus gemahnen 
und vielleiht von Kaiſer Leo fompiliert find. 

In militärischer Hinficht tft das von den Brandſätzen handelnde 
44. Kap. von großem Interejje; denn bier handelt Jul. Africanus 
von einem jich jelbjt bewegenden Feuer (zig arröuaror). 

Dies wird folgendermaßen bergejtellt: „Nimm gleihe Teile ungebrannten 
(gediegenen ?) Schwefeld, Salpeter$ und ferdonijchen Pyrits (Antimonjchwefel ?), 
zerreibe diefe Stoffe mittagd in einem ſchwarzen Mörjer, füge gleiche Mengen 
von Syfomorenjaft und flüjfigem Asphalt Hinzu, miihe dann dad Ganze zu einem 
jettigen Teig und füge endlid eine geringe Quantität ungelöſchten Kalks Hinzu. 
Man mus die Maſſe vorfichtig umrühren, um Mittag und muß ji das Geſicht 
ſchützen; denn die Miihung fängt ehr leicht Feuer. Fülle fie dann in eherne 


1) Diefe Kapitel finden ſich in den Hippiatrila wieder. 
2) Dieje Kapitel finden fich in der Geoponila wieder. 


2. Das Zeitalter der MilitärrDeipotie. 105 


Sapieln, weldye mit Dedeln geichlofjen jind und Hüte jie vor den Sonnenjtrahlen, 
ren Berührung ſie entflammt“. 

Wir haben es bier mit der ältejten Zujammenjegung des jpäter 
og. „Öriechtichen Feuers“ zu tum, welche, dadurch noch bejonderes 
‚sntereffe gewinnt, daß als wejentlicher Bejtandteil bereits Salpeter 
enhemt und daß die Bezeichnung als „automatisches Feuer“ auf eine 
rofetenartige Bewegung zu deuten jcheint. Eben dieſes Feuers gedenft 
auch em Zeitgenoſſe des Jul. Africanus, der griechiiche Rhetor At he: 
natos, welcher um die Wende des 2. u. 3. Ihdts. in Alerandrien 
und Rom lebte. Er berichtet in jeinem Gaſtmahl der Gelehrten 
Jamooogıorat): 

„zenophon, der Taſchenſpieler, erjtaunte die Welt durch feine wundervollen 
Fünfte, Er bereitete u. a. ein automatiſches Feuer” (nie arrouarov Enoia ava- 
nd), 

Da wäre die wichtigite Stelle der Asoror; im übrigen ijt der 
Emdrud diejes buntichedigen „Benusgürtels“ widerwärtig. Die Künfte, 
welche Africanus empfiehlt, um dem Feinde zu jchaden, ohne mit ihm 
u fämpfen, Jind ebenjo teufliich als abgejchmadt. Er lehrt die Ver: 
gitung der Lebensmittel, der Brunnen, der Ströme, ja der Luft; doch ind 
'tine Rezepte teils jo umverjtändlich, teils jo verrüct, daß fie glücklicher— 
weiſe feinen Schaden anrichten fünnen. Unermeßlich it der Aberglaube 
des grimmigen Bijchofs, und beftet jich bald an christliche, bald an 
heidniſche Vorſtellungen: Hand in Hand mit dem Glauben an über: 
natürliche Kraftäußerungen des Djterfejtes oder der Pſalmenſprüche 
geht der am die Macht des Gottes Ban, als Urhebers des pantjchen 
Schredens, oder an die Kampfmut wedende Wirkung fleiner Kalk— 
tüdchen aus dem Magen eines Hahnes, die man vor dem Gefechts- 
eginne unter die Zunge legen joll. Häufig beruft Africanus ſich auf 
an von ihm jelbjt verfaßtes Zauberbuch. — Er jchrieb die Keiten zu 
aner Zeit, da Nom jich in langwierigem ſchweren Kriege mit dem 
neuaufitrebenden perjiichen Reiche befand und jich gleichzeitig in Europa 
num mühlam der Barbaren zu erwehren vermochte. Die Furcht, 
welche die wilde Kraft diejer rohen Stämme den Römern einflößte, 
ward nur durch den Haß gegen fie übertroffen; nicht jelten griffen 
Feldherrn, deren entartete Truppen den jugendfriichen Gegnern 


') Ausg. des Athenaios von Schweighäuier (Straßburg 1801 — 1807), Bud I, cap. 35 
I, Band ©, 73). 


106 Altertum. II. Das halbe Jayrtaujend des römiihen Jmperiums. 


nicht Stand hielten, zur Verräterei und zur niedrigen Liſt, und es 
fam wohl vor, daß man ähnliche Mittel anwandte, wie die, welche. 
Africanıs empfahl. Freilich trugen die Römer meiſt feine andere 
Frucht davon, als die Schande und die Wiedervergeltung der Bar— 
baren, denen das Verhalten ihrer „ziviliſierten“ Gegner mit Hecht als 
ern widerliches Gemiſch von Feigheit und Niedertracht erichien. 


834. 


In dem Bierteljahrtaujend vom Ende des 1. bis zur Mitte des 
4. Ihdts. find an eigentlid römijchen Militärjchriftitellern 
nur ganz wenige Namen zu nennen, und es tit volfscharafteriftiich, 
daß der Schwerpunkt ihrer Leiſtungen durchaus nach der juriitiichen 
oder der gromatischen Seite liegt. 

Die »constitutiones« des Augustus hatten die Verhältnifie der 
Garden, der Garnijonen, der Örenzlegionen und der Hilfsicharen hin— 
jichtlich ihrer Organijation, Formation und Adminiſtration vollitändig 
geordnet. Sie jind dann durch die Konjtitutionen des Hadrian offenbar 
in manchen Stüden ergänzt und erneuert worden. Daneben aber 
läuft eine eigenartige Entwidelung der Milttärjuftiz. Je mehr 
das nattonalvömische Volk ſich vom Heere zurüdzog, um jo mehr 
juchte die Statögewalt, durch Privilegien, namentlich zivilvechtlicher 
Art, anzuloden, die Soldatenlaufbahn zu wählen; zumal im Erbrechte 
gewährte man den Striegern Vergünftigungen, welche die Grundjäge 
des alten römischen Rechtes vielfach dDurchbrachen, ein Umſtand, der 
im 5. Ihdt. dahin führte, day jich viele Bürger als Soldaten ein— 
ichreiben liegen, ohne es wirklid) zu jein (milites inermes). Als Straf- 
gejeß für die gemeinen Vergehen galt allerdings das bürgerliche Recht, 
aljo der mehr als 600 Jahre in Kraft gebliebene, durch Cäjars lex Julia 
majestatis und andere Vorjchriften ergänzte Kriminalfoder des Sulla ; 
für Die militärtschen Vergehen aber hatte ji) ein Gewohnheitsrecht 
gebildet ; Die Befehlshaber beſaßen die Jurisdiftion über ihre Untergebenen 
und liegen Milttärgerichte abhalten, bei denen jedoc) ein assessor to- 
gatus, ein vechtsfundiger Berjiger, nicht fehlte. Männer jolcher Art und 
andere Juriſten haben denn auch eine friegsrechtliche Literatur 
entwickelt, von der jedoch nur jpärliche Reſte übrig geblieben find ?). 


N Bol. Ruborff: Romiſche Rechtsgeihichte (Leipzig 1857—59N und Schneider: Zur Weichichte 
der militärtfchen Rechtspflege Zürich 1874). 


2. Das Zeitalter der Militär-Deipotie. 107 


Dieje fmüpfen ji) au die Namen des Baternus, des Menander 
Arrius, des Aemilius Macer und des Julius Paulus. 

Zwar Tarruntenus Paternus führt den Beinamen des „Taktikers“, 
und jein Werk, das in den Bandekten den Titel Libri militarium, bei 
Lydos den der razrıza führt, enthielt, nac) den erhaltenen Fragmenten 
zu urteilen, in der That auch eine Überjicht des Entwicelungsganges 
der römichen Taktik. Als der wichtigite Teil der Schrift erjchien 
aber denen, die es noch) kannten, offenbar die Bearbeitung des Militär: 
rechtes. Nur dieje Seite ift e8, welche Vegetius hervorhebt, wenn 
er den PBaternus als diligentissimus iuris militaris adsertor be- 
zeichnet (I, 8). — Paternus war Siegelbewahrer (ab epistolis) des 
Marc. Aurel und Focht gegen die Marfomannen, über welche er im 
Sahre 179 einen entjcheidenden Sieg davontrug. Commodus ernannte 
ihn zum Praefectus praetorii, ließ ihn dann aber aus Anlaß der 
Verihwörung der Lucilla ermorden !). 

Die Fragmente des Paternus finden fi in direkter Überlieferung zunädhit 
indes Qaurentiuß Lydos: De initiis rei publicae Romanae (Magistr. I, 
9°), und dann in den Bandelten: Digestorum libri, 49 (16, 7) und 50 (7, b); 
außerdem in mittelbarer Übertragung bei Begetius I, 27 und II, 19. Xeptere 
Stelle ift fajt identijdy mit Dig. 49 (16, 7). Jedenfalls hat Vegetius aus des 
Faternus Schrift die Konjtitution Hadrians gekannt, auf die er ſich bezieht, und 
wahriheinlich führt auf Paternus aud) die interefjante Notiz über die Spar= und 
Sterbefafjen ber römijhen Soldaten zurüd®). 

Menander Arrius lebte (Köchlys Unterjuchung zufolge) um die 
Zeit des Baracalla (211—217). Bon jeinem Werfe de jure militari 
md nur Brüchjtüde in den Pandekten überblieben ®), aus denen u. a. 
hervorgeht, daß auch diefer Autor ſchon den Unterſchied zwiſchen ges 
meinen und militärischen Vergehen als Ausgangspunkt jeiner gelamten 
darlegungen an die Spige jtellt. Seine Arbeit umfaßte mindeſtens 
drei Bücher. 

Aemilius Macer und Julius Paulus lebten unter Alexander 
Severus (222— 235). Macer jchrieb de re militari in vermutlich) 
wei Büchern, von denen ſich ein Fragment in den Bandeften 


') Ral. Dirkjen: Der Rechtögelehrte und Taktiker Paternus, ein Beitgenofie der Antonine. 
(Hinterl, Schriften II, 412 - 434.) 
!tı 9) Ausgabe von Fuß (Paris 1811). 

 Shang: Die Quellen des Begetiuß (Hermes XVI, 1881). 

) Mirabelli: Comment. ad fragm. Arr. Menandri (Lips. 1738). — Suringar 
De Arr. Menandro eiusque in Pandectis fragmentis (Lugd. Bat. 1840). 


108 Mltertum. II. Das halbe Jahrtaujend des römiſchen Jmperiums. 


findet: 49 (16, 12). Auch in diejer Arbeit jcheint die juriitiiche Seite 
entjchteden vorgewaltet zu haben. — Bon dem Präfectus Prätorio 
3. Baulus, einem jcharfiinnigen, doch ſchwer verjtändlichen Juriſten, 
weiß man, daß er eine Monographie über die Beitrafung der Soldaten 
herausgegeben hat. 

8 35. 

Eine ganz eigenartige Stellung nahm bei. den Römern die Gro— 
matik oder Feldmeßkunſt ein): jie verband nicht nur mathematijche 
und jurijtiche, Jondern auch veligiöje Momente, und wurde urjprünglic 
von den Auguren ausgeübt. Allmählich bildete ſich jedoch ein bejonderer 
Stand der Gromatici oder Agrimensores heraus, dejjen lieder 
al® Castrorum metatores auch die Feldlager abjtedten. Die allge 
meine Einrichtung dieſer Yager zur Zeit des zweiten puniſchen Krieges 
hat Polybios gejchildert 8 19]; wijjenjchaftlich jtellte das Gejamt- 
gebiet der Gromatik nach der theoretischen, praftiichen, bürgerlichen 
und militärischen Seite zuerit Hyginus dar. 

Diejer Hysinus lebte vermutlich unter Septimius Severus (195 
bis 211?) und jchrieb außer de limitibus, de conditionibus agrorum 
und de generibus controversiarum wohl aud) den Liber de 
munitionibus castrorum, ein Fragment ohne Anfang umd 
Ende, für welches allerdings weder der Name des Verfaſſers, noch) 
der Titel, der nur für den legten Abjchnitt paßt, ficher beglaubigt jind®). 

Die Schrift geht von der Beichreibung derjenigen Teile de Lagers aus, 
welche unverändert blieben, mochte das Heer nun aus drei, fünf oder ſechs Legionen 
und jehr verichiedenen Hilfstruppen beſtehen. Dann handelt fie die Unterabteilung 


der Truppen ab, erläutert die Gejfamtanordnung für ein Yager von drei Legionen 
und jegt endlicd) die Einrichtung der Zagerbefejtigungen auseinander. Als normale 


ı) Die Bezeihnung rührt her von »groma«, einem Bifier-Inftrumente. — Bgl. die Schriften 
ber römifchen Feldmeſſer, herausgeg. von Ruborff, Blume, Lachmann und Mommſen (Berlin 1848—52). 
Über das geometrifche Wiffen der Römer: Cantor: Die römiſchen Agrimenjoren (Leipzig 1876). 

2, Dies ift Marauardts Anficht (Röm. Staatöverwaltung II, ©. 579), für melde aud 
der Umſtand fpricht, daß der Autor einen orientalifchen Krieg im Auge hatte ; benn er weift Pläge für 
Hamele an. Lange jchreibt das Buch einem älteren Hygin zu, der unter Trajan lebte, Lachmann, 
im Gegenſatz dazu, einem jüngeren Hygin, der zu ungewifjer Zeit, doch jedenialld vor Konitantin d. Gr. 
lebte. (Erläuterungen im 2. Bande der Gromatici vett. ©. 136 f. und 166 f.) 

») Ausg. von Scriveriund im Anhange zum Begez (Leiden 1607), dann mit Bolnbs Ab— 
handlung über da® Lagermwejen und mit Kommentar von Schelius zu Amijterdbam 1660, ferner in 
des Graevius Thesaurus antiquitatum Romanorum X, p. 599 f. (Atrecht 1698) und zulekt 
von Lange (Göttingen 1848). — Deutich in va d. Gröbens Neuer Hriegäbibl. VII (Breslau 1778) 
und, bearbeitet in Roeſchs und Nafts Römiſchen Hriegsaltertümern (Halle 1782. ©. 276 ff.). 


2. Das Zeitalter der Militär-Deipotie. 109 


Srundrißform des Caſtrums nimmt Hygin, wie das aud) noch Spätere tun (Veget. 
III, 8; Leo Takt. XI, 29), ein Redted an, dejien Länge um ein Drittel größer 
it, al® jeine Breite'). 

8 36. 

Kur als Hinweis jet an diejer Stelle noc) der großen Bedeutung 
gedacht, welche für die Kenntnis des ſpätrömiſchen Kriegsweſens das 
Verf des legten tüchtigen Gejchichtsichreibers der Nömer hat, das Des 
Ummianus Marcellinus. Diejer Autor, der zu Antiochta geboren 
war, hat Feldzüge ın Hallien, wie im Orient mitgemacht, und zog 
ſich nach einer mehrere Jahrzehnte füllenden militäriſchen Laufbahn 
nach Rom zurück, wo er um 390 ſeine Rerum gestarum libri 
ihrieb, die den Ammian als einen jachfundigen, ehrlichen und wohl 
wollenden Kriegsmann zeigen, und eine Reihe von Kapiteln enthalten, 
welche unmittelbares Intereſſe fir Die Geſchichte der Kriegskunſt haben. 

Die das Geſchützweſen betreffenden Außerungen Ammians (XXIII, 4) 
ind von Köchly und Rüjtow in den „Griech. Kriegsichriftitellern“ (I, 407) erläutert 
worden. Auf den von ihm bejchriebenen großen Standjtahlbogen wird an anderer 
Stelle eingegangen werden [8 39). Hier jei nur auf jeine rafetenartigen Feuer— 
dfeile bingewiejen. Sie bejtanden aus einem Rohr (cannea), das mit brenn- 
baren Subjtanzen gefüllt und mit Draht ummidelt war. Dieje Pfeile wurden 
mit mäßiger Kraft geworien, damit fie nicht erlojhen, und dienten zur Brand» 
iftung. Darauf gegoſſenes Wajjer belebte die Flamme; nur mit Sand fonnte 
man jie eritiden. Offenbar hat man e8 hier wieder, wie bei Julius Africanus, 
mit einer jener pyrotehniihen Mifchungen zu tun, welche jpäter ald „Griechiſches 
Feuer“ befannt wurden. 

Ss 37. 

Der bedeutendjte Kriegsichriftiteller des ſinkenden Katjertums 
und zugleich derjenige, welcher, nächjt Cäſar, die breitejte literariſche 
Nachfolge hat, it Flavius Degetius Renatus, der Verfaſſer der 
Epitoma rei militaris oder der Institutorum rei mili- 
taris libri quinque. 

Leider mangelt über die periönliche Stellung de Mannes jeder Bericht. 
Er jelbft nennt fih comes und vir illustris; dieje Titel jedoh, die allerdings 
den höchſten Offizieren, den magistri militum und den comites domesticorum 


zulamen, wurden im 4. und 5. Ihdt. doch auch von anderen vornehmen Männern 
geführt, und beweijen alſo feineßmweges, daß Vegetius militärifcher Fachmann war. 


i) Bal. über die Eaftramentation no: Hlenze: Das römiſche Lager und bie Limitation. 
(Sahmanns Bhilolog. Abhandlungen. Berlin 1839, ©. 106 f.) und Zange: Prolegg. crit. et hist. 
in Hygini de castrament. libellum. Diss. (Göttingen 1847). 


J 


110 Altertum. II. Das halbe Jahrtauſend des römiſchen Imperiums. 


Er widmet ſeine Schrift einem Kaiſer ohne ihn zu nennen; der 
ſpäteſte Imperator, deſſen er, u. zw. als „hochſelig“ (divus) ge 
denft (I, 20) iſt Gratian. / Vermutlich tt jedoch der Katier, dem er 
das 1. Buch überreicht und in deſſen Auftrag er die folgenden 
jchreibt, jener »imperator invicetus«, jener »domitor omnium 
gentium barbarorum«, fein anderer als Theodojius d. Gr, welcher 
von 379 bis 395 herrichte!). 

Früher nahm man gewöhnlich an: die epitoma jei Balentinian II. gewidmet. 


) Stevedhius (1568) legt dem Vegez auf Grund einer alten Handſchrift den Titel 


eine® comes Constantinopolitanus bei. Als jeinen Wohnſitz betrachtete man 
\RKonjtantinopel oder Zrier, die Reſidenz VBalentinians II. (375—392). Gibbon 
bat Balentinian III. als denjenigen Kaiſer bezeichnet, welchem die Epitoma ge 
widmet jei, und dieje Anficht ift neuerdings von See d mit jharffinnigen Gründen 
unterjtügt worden). Ihm zufolge ſpricht jowohl die Erwähnung Gratians ala 
die eines objturen afrifanifhen Stammes, der Urcilliani (III, 23), durhaus dafür, 
daß Begez im Wejtreiche geichrieben habe. Sein Gönner jei (wie die Einleitnna 
zum 2. Buche zeige) ein jugendlicher Herricher, der ziwifchen 383 und 450 regierte, 
der eine Feitungslinie hergejtellt und eine Donauflotille unterhalten babe; alle? 
dies treffe vollftändig nur bei Balentinian III. zu. Das 1. Buch wiſſe noch nichts 
bon einem Siege des Kaiſers; das 2. dagegen beginne gleich mit überſchwäng— 
lihem Preiſe des Triumphes. Das erfte Buch jei aljo vermutlich unmittelbar 
nah dem NRegierungsantritte Balentinian® III. geichrieben, der damals etwa 
7 Jahre alt war. — Uber eignet man Kindern ſolche Kriegsbücher zu und begleitet 
jie mit ſolchen Widmungen? 

Jedenfalls schrieb Vegetius zu Beginn der großen Völker— 
wanderung, zu der Zeit aljo, da zum erjienmale die Grenze Des 
Reiches auf die Dauer durchbrochen und die bleibende Niederlafjung 
eines Germanenvolfes auf dem Boden des Imperiums durch Die 
Schlaht von Adrianopel erzwungen worden war. Es tjt die Zeit, 
da der energiſche Theodojius den amdringenden Nordvölfern eben 
durch Aumahme der Wejtgoten in den Verband des römiſchen 
Neiches wie des römischen Heeres vorübergehend Halt gebot und den 
Neichsangehörigen eine Frift gewann, ſich zu ſammeln und herzuftellen. 
Einer jolchen Weltlage entipricht es vollfommen, daß des Vegetius 
Werk den Charakter eines Wedrufes hat, daß der Verfajler den 
Verjuch macht, jenen Zeitgenofjen ein Bild des altrömiſchen Heer: 
wejens zu entrollen, daß es auf die jchweren Schäden des Kriegs— 

4) Bal, die Begründung in Karl Bangs Borrede zu feiner Ausgabe des Begez (Beipzig 1935) 


und Teuffels Römtiche Literaturgeichichte ($ 405). 
2) „Die Zeit des Vegetius.“ (Hermes XI.) 


2. Das Zeitalter der MilitärsDeipotie. 111 


meiens der eigenen Zeit hinweiſt!), dann aber aud) unmittelbar 
Vorichriften über Taktik, Strategie, Feſtungs- und Seefrieg gibt, 
welche, den Schriften älterer |lateiniicher Autoren entnommen, die 
Zeitgenofjen unterrichten jollen, „damit diejenigen, denen es obliegt, 
die jungen Krieger zu bilden, durd) Nachahmung der alten Tugenden 
die Ehre des römiſchen Heeres wieder heritellen möchten“. 

Bon älteren Schriftitellern, die er benugt, nennt Vegetius jelbit: 
Cato Maior, Corn. Celjus, Frontinus, Baternus. Dazu fommen die Konftitutionen 
Auguſtus und Hadrians, und durd Konjunktur hat man auch die Benupung des 
Hngin feitgeitellt?). 

Das 1. Bud) zählt 27 Kapitel und handelt von Aufbringung 
und Ausbildung der Truppen. 

Er beginnt mit Betradhtung der Größe des röm. States als Wirkung der 
Kriegätüchtigkeit (1), geht dann auf die Grundjäge rationeller Rekrutierung über 
2-8), jhildert den Gang der Ausbildung bei den Alten (9—19), handelt von 
den Waffen (20), von der Lagerbefejtigung (21—25), jowie vom Marichdienite 
%, 27), und wendet jich endlid; in einem Nachwort an den ion in der Vor: 
rede gepriejenen Kaiſer. 

Dies 1. Buch iſt für das Verjtändnis des Kriegsweſens zu 
Begetius’ eigener Zeit das wichtigite. 

Er ſpricht dem Kaiſer jein allerdings unbegründetes Vertrauen darauf aus, 
daß der friegeriihe Sinn der Völker des römiihen Reiches noch immer nicht 
entartet jei; die lange Friedenszeit nur habe die Menſchen in Sicherheit gewiegt 
und jo jei es gelommen, daß die friegerijchen Übungen nad und nad) veriäumt 
und vergejien worden jeien. Und doch beruhe auf ihnen die Sicherheit des 
State; denn fie allein gäben jenes Gefühl der Überlegenheit und jenes Selbjt- 
vertrauen, welche Heine doch wohlgeihulte Heere auch großen aber rohen Majien 
gegenüber triumphieren ließen. Dazu jei indes vor allem ein vorzüglicher Erjag 
notwendig, und daher Hätten die Alten auf den dilectus, auf die Auswahl der 
Kriegsdienftpflichtigen den höchſten Wert gelegt. Jetzt aber gebe es gar feinen 
dileetus mehr; an jeine Stelle jei die jehr bedenkliche indictio militum getreten, 
derzufolge den possessores, d. h. den vermöglichen Bürgern aller Stände, die 
Geftellung von Soldaten oblag, u. zw. nur den possessores der Provinzen; 
denn Jtalien, früher ein unerſchöpfliches seminarium militum, hatte in der 
Kaiferzeit jeine Wehrhaftigkeit völlig eingebüßt. Dieje gelieferten Soldaten jeien 
jedoch feinesweges jorgfältig ausgewählt. Überdies jei es jegt, da die Städter 
durch raffinierte Genüſſe entnervt jeien, zwedmähig, die Mannjchaft nur auf dem 
Sande auszuheben. (Idem bellator, idem agricola genera tantum mutabat 
armorum). Habe man endlich braudbare Leute, jo gelte e8 nun, eine tüchtige 


) Bal. Bland: Der Beriall des römiſchen Kriegsweſens. Studie nad Vegetius (Stuttgart 1877). 
’, Siehe Vang a. a. O., Shang: Zu den Quellen des Vegetius (Hermes XVI 1831) und 
drundius: Quaestiones Vegetianae (Heimftädt 1875). 





112 Altertum. II. Das halbe Jahrtauſend des römiſchen Imperiums. 


exercitia armorum. Da aber jtelle e8 ji) jofort heraus, daß e8 an brauchbaren 
Lehrmeijtern, an guten doctores armorum, an wohlvorgebildeten campidoctores 
mangele. Man müſſe aljo den alten Braud durch Studium neu erlernen, und 
eben darum habe Vegez jein Buch verfaßt‘). — Ein Hauptübeljtand der mangel— 
haften Vorübung der Kriegsmannſchaft jei der, daß diefe nicht im jtande wäre, 
genügende Schutzwaffen zu tragen, ohne die doc ein energifches Nahgefecht nicht 
durchgeführt werden könne. [$ 27). — Zwar jei die Reiterei nad dem Muſter 
der Goten, Alanen und Hunnen jegt beſſer gerüjtet al® früher; die pedites 
jedoch jeien nudati. Dies habe ihnen, namentlih auch den gotiihen Bogen— 
ihügen gegenüber, unermeßlihen Schaden getan und fie zugleid vom Hand— 
gemenge abgeſchreckt. Die gravis armatura, auf welcher vorzugäweije der Wert 
der alten Legion beruhte, die fehle jept. Ehedem jei die Legion eine jeite Burg 
gewejen (eivitas munitissima); mit Recht habe man jedes Fußvolkstreffen als 
murus bezeichnet; jegt aber führe die Legion nicht nur feine Schugwaffen, jondern 
aud zum Trutze meijt nur Fernwaffen; das Pilum jei in Wegfall gelommen ; 
Bogen und Pfeil jeien zur Hauptwaffe geworden?). — Ebenjo beflagendwert wie 
diefe Änderung und Berwahrlojung der Bewaffnung jei da8 Aufgeben der munitio 
castrorum, der Lagerbefejtigung. Das alte Heer fei in der Schladht durch feine 
Rüftung, im Lager durch den Wall, alfo jederzeit eine civitas murata gewejen. 
Nun aber befejtige man die Marſchlager nicht mehr, und jo jeien nicht nur viele 
Heere durd) die Barbaren überfallen worden, ondern aud die Niederlagen in 
den Schlachten hätten doppelt jhlimme Folgen gehabt, weil das Lager gefehlt 
babe, auf welches das erjchütterte Heer hätte zurüdgehen können. Fremde Bölfer, 
wie die Neu-Perjer, hätten jich die altrömiſche Sitte der befejtigten Marſchlager 
angeeignet; jollte e8 nicht möglich iein, fie auch im Reichsheer wieder einzuführen ? 

Das 2. Buch handelt in 25 Kapiteln von der Einrihtung 
und dem Dienite der Legion. 

Nach einer von Untertänigkeit triefenden Widmung an den Kaiſer erläutert 
Begetiuß zunächit die allgemeine Einteilung der Streitmadht nad) Baffengattungen 
(1), den Unterichied der legionaren und der auriliaren Truppen (2), den Berfall 
der alten Einrichtung (3) und die Unzahl der ein Heer bildenden Legionen (4), 
dann bejpricht er den Legiongeid) (5), die Einteilung der Legion (6), die Hierarchie 
der Befehlshaber (T—12), die Feldzeichen und die Genturien (13), jowie die 
Kegiongreiterei (15). Nun geht er zur Schladhtordnung über, wobei aud Die 

1) Die von Begetiuß verlangten Übungen find: der Kriegsichritt, das Schwimmen, der Kampf 
gegen den Pfahl (exereitio ad palum), das Fechten, wobei das auf den Stid, dem auf den Sieb 
vorgezogen wurde (punctim non caesim ferire), ber Gebrauch der Fernwaffen: Wurfipeer, Bogen, 
Schleuder (d. jog. armatura), Fertigkeit im Auffigen (salitio equorum) und die Fähigleit Laften zu 
tragen (pondus baiulare). 

2) Dementiprechend werden bei Begetiusd unter dem Ausdrud »armatıura« furzweg die Waffen 
der Leichtbemwaffneten, die levis armatura veritanben. 

», Die Soldaten jchwören „bei Gott, bei dem Namen Ebhrifti und des hi. Geiftes, ingl. bei dem 
Namen Er. Kaiſerl. Majeftät, welche nächſt Bott ber höchſten Ehrfurcht des Menſchengeſchlechts würdia 
ft, ... dab fie bie Befehle des Feldherrn pünktlich befolgen, nicht entlaufen unb den Tob für die 
römische Republik nicht fcheuen wollen.” 


2. Das Beitalter der Militär-Defpotie. 113 


Ausrüftung der verjchiedenen Treffen gejchildert wird (15—18); er dharafterifiert 
die wirtichaftlihen Einrichtungen (19, 20), die Beförderungsverhältnifje (21) und 
die Signale (22), geht endlid noch einmal auf die Art und den Wert der Erer- 
jitien ein (23, 24) und gibt zulegt (25) ein Bild der zu jeiner Zeit bei der 
Legion üblichen Kriegsmaſchinen. 

Begetius compilierte jem Werf aus Quellen der verjchtedeniten 
Zeiten. Hätte er auch nur einiges Verftändnis von hiſtoriſcher 
Entwidelung gehabt, jo wirde namentlich dies 2. Buch uns ein 
deutliches Bild von den allmählichen Veränderungen des römijchen 
Kriegswejend gewähren müſſen. Leider aber jtellt Vegetius jeine 
Auszüge jo unverjtändig zufammen, daß man niemals weiß, von 
welcher Zeit er redet, niemals zu unterjcheiden vermag, was er als 
ein nachahmungswertes Borbild der Vergangenheit charakterifiert, 


was als ein zu feinen eigenen Tagen übliches Verfahren gelten joll?). 


Diejer Umſtand jchmälert den Wert der Epitoma des Begetius im 


geichichtlicher Hinficht außerordentlich. 

Übrigens wirft aud) das 2. Buch traurige Lichter auf den Verfall des 
römiichen Kriegsweſens im 4. Ihdt. Welche Zerrüttung des Ehrgefühls offenbart 
der Brauch, den Rekruten gleich Gafeerenjtlaven Marken in die Haut zu druden, 
bald ins Geficht, bald auf andere Körperteile, um die Dejerteure leicht ausfindig 
machen zu fönnen. (Punctis signorum scribere tirones). Unterjhleife und 
falſche Erſparniſſe, leichtfertige Urlaubserteilung und Verwendung der Soldaten 
für Brivatzwede, kurz die mannigfachſten Mißbräuche jind an der Tagesordnung. 
Für die entlaflenen oder entlaufenen Mannihaften werden oftmals feine neuen 
eingejtellt, jo daß die Jit-Stärfe mit der Soll-Stärfe niemals jtimmt; namentlid) 
in den Legionen; denn bei ihnen, deren militäriiche Verrichtungen zahlreicher, 
deren Manneszucht immerhin noch die feſtere ijt, melden ſich faſt feine Frei— 
millige; dieje drängen ſich zu den Hilfätruppen, deren Dienst leichter ijt und bei 
denen die Belohnungen ſich rajcher einftellen. Die Bejörderung geht nad) Gunſt 
itatt nad Berdienft, und unzählbar ift die Menge der Grade — immer ein 
Zeichen der Entartung und des Verfalles. Und ein ebenſolches iſt die Mafjen- 
haftigkeit des Auftreten ſchwerer Geſchütze als integrierender Teile der Legion. 
Die Balliften und Katapulten werden nicht mehr wie früher in der Kaiferzeit 
im Sinne einer Divifionsartillerie dem Heere zugewieſen, jondern im Sinne der 
Bataillonsjtüde des 18. Ihdts. Einer jeden Legion wurden 55 Carroballijten 
und 10 Onager zugeteilt, jo daß man auf jede Ktohorte 5 Horizontal» uni 


') Das bat jchon der Autor der anonymen »Institution de la discipline militaire« erlaunt 
Syon 1559). Er jagt von Vegetius »Il distingue assez mal les temps et mutations de la 
diseipline romaine.e Auch Salmafius hebt diefen Mangel hervor. (De re militari Romanorum. 
Senden 1657.) — Die antiqua legionis ordinatio, deren Vegez II, 6 gedentt, wird gewöhnlich in 
bie Zeit des Diofletian oder Aurelian gejegt; doc hat Schang neuerdings a.a. O wahricheinlich ge— 
macht, dab fie in die Beit des Habrian gehöre. 


Jahns, Geſchichte der Kriegswiſſenſchaften. 8 


\ 


114 Altertum. II. Das halbe Jahrtauſend des römiſchen Imperiums. 


1 Wurfgeſchütz rechnete. Da die Legion zu Begetiuß’ Zeiten reglement3mäßig 
6100 Mann gezählt zu Haben jcheint, jo fam fast auf jede Hundertichaft 1 Geihüß: 
eine unerbört jtarfe Artillerie, 

In jeinem 3. Buche behandelt Vegetius in 26 Kapiteln Taftif 
und Strategie. 

Nahdrüdlich hebt die Widmung an den Kaifer den Wert der Kriegstheorie 
hervor. „Wer den Frieden wünſcht, der übe jein Heer; wer im Kriege den Sieg 
erringen will, der verlafje jich nie auf den Zufall, jondern auf die Kunſt.“ — 
Vegez ſpricht zuerjt von der Stärke der Heere (1) und von der Sorge für 
Gejundheit, Verpflegung und Mannszucht der Truppen (2—4). Eingehender 
noch als im 2. Buche Handelt er dann von den Signalen (5), welde er, 
überaus fpipfindig, in laute, halblaute und ftumme einteilt. Laute Signale find 
nämlid Kommandorufe, halblaute joldhe mit Horn oder Trompete; ſtumme find 
Zeichen, welche mit Fahnen und Flaggen, Laternen, Fackeln, Feuern u. dgl. m. 
gegeben werden. — Und nun beginnt Vegetius jeine Darftellung der Taktif 
mit der der Marſchtaktik, wobei der Gebraud; von Stinerarien wie der von 
Situationdkarten empfohlen und das Wejen der Flußübergänge näher beiprochen 
wird. (6, 7). Nach einem Kapitel über die Anordnung der Läger (8) folgt die 
in ſiebzehn Abfchnitte eingeteilte Gefechtslehre: Grundjäße über die Art des 
Angriffs (9), Haltung der Befehlshaber an der Spipe fampfungewohnter Truppen 
(10), Verhalten vor der Schlabt (11), Prüfung der Stimmung des Heeres (12), 
Wahl des Schlachtfeldeg (13), Truppenanordnung im einzelnen und die fieben 
Haupt -Schladhtordnungen, welde auf Cato Maior zurüdgeführt worden find 
[$ 18] (14—20). Hieran reiht fi die Belehrung, dag man dem Feinde Raum 
und Gelegenheit zur Flucht gönnen müſſe unter Berufung auf die „belobte Sen- 
tenz“ ded Scipio, der gejagt habe: viam hostibus, qua fugerent, muniendam. (21). 
Diejen Grundjaß, daß man dem fliehenden Feinde goldneBrüden 
bauen müjje, hat Vegetius volkstümlich gemacht; aber er ijt jehr alt; er findet 
ſich bereit8 in Xenophons Kyrupaidie (IV, 1, 16); Iphikrates empfahl und befolgte 
ihn (PBolyainos III, 9, 2), und Frontinus bringt eine ganze Reihe von Anekdoten 
de emittendo hoste ne clausus proelium ex desperatione redintegret. 
(Strateg. II, 6). — Weiterhin handelt Begetiu® von Mitteln, dem Yeinde zu 
entgehen, wenn man nidjt Schlagen will (22), von Kamelen und Panzerreitern 
(23), Sichelmagen und Elefanten (24), jowie von den Mahregeln bei Flucht des 
eigenen Heeres (25). Endlich aber faht er als Ergebnis der ganzen Unterſuchung 
Regulae bellorum generales in Form kurzer Dogmen zujammen. Eine Nach 
ſchrift an den Kaijer voll unglaublicher Schmeicheleien ſchließt das Bud). 

Für die Geichichte der Kriegswifjenjchaft tt dies 3. Buch Der 
Epitoma von außerordentlich) großer Bedeutung, da Vegez, wie er 
jelbjt jagt, hier all’ die Grundjäße vereinigt, welche die trefflichjten 
Schriftiteller, al8 bewährt durch Erfahrung verjchiedener Zeiten, nieder- 
gejchrieben hatten. Die Lehrjäge, zu denen er auf dieſe Weiſe gelangte, 
erschienen daher ihm und nicht minder den kommenden Gejchlechtern 


2. Das Zeitalter der Militär-Dejpotie. 115 


als Tuinteffenz der antiken Sriegstheorie und haben als jolche eines 
unvergleichlichen Anjehens genofjen, nicht nur im Mittelalter jondern 
bis an die Schwelle des 19. Ihdts. Diejer Folgewirkung wegen, 
der es auch an literarischen Äußerungen nicht gefehlt hat, find 
namentlich Die Regulae bellorum generales, die allgemeinen 
Srundjäge der Kriegsfunjt genauer ins Auge zu faſſen, deren 
Zahl gewöhnlich auf 33 angegeben wird, die fich jedoch natürlicher 
und verständlicher in 21 Regeln zujammenfafien laſſen. 


1. „In allen Feldzügen und Schlachten ift allgemeiner Grundjag: was 
dir vorteilhaft, jchadet dem Feinde, und alle, was dir nüßt, ijt dem Gegner 
ſchädlich.“ Diefe Marime findet ſich bereits in des Frontins Kapitel De con- 
stituendo statu belli und wird in der Folge genau wiederholt in den Anfangs— 
worten der fragmentariichen Baraphrafe des Maurikios im Laurentinifchen Coder. 
53). Vegetius aber führt den einfachen Grundgedanken noch weiter aus und 
tellt bei der Gelegenheit wohl zum erjtenmale wiflenjchaftlih da8 Prinzip auf, 
daß man fid) niemals vom Feinde das Geſetz geben lafjen dürfe. 

2. „Kein Mann darf ins Feld geftellt werden, der nicht gehörig geübt und 
erprobt iſt.“ 

3. „Es ift beijer, den Feind durch Mangel, Überfälle und Sorge vor 
ihwierigen Lagen zu befiegen, al3 dur die Feldſchlacht; denn diefe wird oft 
vom blinden Glück entjchieden.” — Daß ift ein jehr alte® Dogma: opferten doch 
jogar die fampffrohen Spartaner für einen durh Klugheit errungenen Sieg dem 
Ares ein Rind, für einen biutig erfochtenen nur einen Hahn. Doch jo alt das 
Dogma, jo gefährlich ift e8 auch; zumal einer tatenfcheuen Zeit, wie die des 
Vegez war, brauchte e8 nicht gepredigt zu werden. Iſt doch zu allen Zeiten, in 
denen die Energie der Stats- und Kriegdleitung ermattete, dad Wejen der Krieg— 
führung ftatt im Kampfe im Manöver gejucht worden. Deutlich tritt das in 
der Zeit der KHabinetöfriege hervor. Damald bildete ſich jene Anjchauung, die 
den Marſchall von Sadıjjen zu der Behauptung brachte, daß die größte Geſchick— 
lichkeit eines Feldherrn darin beftehe, jede Hauptſchlacht zu vermeiden. Selbſt 
dad Beiipiel Friedrichs d. Gr. und Napoleons genügte nicht, Died Dogma auszu— 
tilgen. Noch ein Kampfgenofje des größten Schlachtenmeijterd, der Baron Carrion- 
Nifas, fteht nicht an, in feinen weitverbreiteten Essai sur l’histoire generale 
de l'art militaire (1824) als Hauptgrundjag der Kriegskunſt auszufpreden, daß 
man jo viel als möglih Schladhten vermeiden und alles auf VBorpojten und 
Detahementögefechte zurüdführen müfje. „Jedes andere Verfahren”, jo fährt er 
fort, „unterwirjt das Schidjal der Heere dem blinden Glüde, dem Zufall; während 
do der Feldherr, dem Begriffe der Kunſt gemäß, joviel als möglich Herr der 
Begebenheiten und des Ausgangs bleiben ſoll.“ Das ift eine Wiederholung des 
vegetiihen Lehrſatzes. 

4. „Soldye Pläne find die beften, welche dem Feinde bis zum Augenblide 


der Ausführung verborgen bleiben können.“ 
. sr 


116 Altertum. II. Das halbe Zahrtaujend ded römijchen Imperiums. 


5. „Die Kunft, vorteilhafte Gelegenheiten zu benüßen, iſt wertvoller als 
Tapferteit.“ 

6. „Der feindlihen Partei juche man fo viel Anhänger zu entfremden, als 
nur immer möglich, und daher nehme man aud) die Überläufer gut auf. Denn 
man gewinnt mehr dabei, wenn man die Feinde zu fich herüberzieht, ald wenn 
man jie tötet.” — Diejer Grundſatz iſt offenbar Ergebnis der Betrachtung eines 
Bürgerfrieges; vielleicht hat bei feiner Formulierung Vegez an den Feldzug 
Cäſars in Spanien gedadit. 

7. „Nad) der Schladht verjtärfe man eher jeine Stellung, al® dab man 
die Truppen zerjtreue.” 

8. „Wer die eigenen Kräfte und die des Feindes richtig zu ſchätzen weiß, 
der wird jelten geſchlagen werben.” 

9. „Tapferkeit wirkt mehr als Übermadt; doc eine vorteilhafte Stellung 
überwiegt oft die Tapferkeit.“ (Vgl. Regel 5.) 

10. „Nur wenige Helden zeugt die Natur. Den meijten Menſchen wird 
der Mut erjt anerzogen.“ 

11. „Anftrengung ſtärkt, Ruhe entträftet ein Heer. Man führe nie ein 
Heer zur Schladht, wenn es nicht voll Siegeshoffnung ift.“ (Vgl. Regel 2.) 

12. „Das Unerwartete erjchredt den Feind; ein allzu gleihmäßiges Ver— 
fahren macht feinen Eindrud.“ 

13, „Den geichlagenen Feind mit zerjtreuten Haufen planlo8 verfolgen, 
heißt, ihm den verlorenen Sieg wieder in die Hände jpielen.“ (Bgl. Regel 7.) 

14. „Wer es verjäumt, für den Unterhalt feiner Truppen zu jorgen, der 
wird ohne Schwertftreicy unterliegen.“ 

15. „Wenn man dem Feinde an Zahl und Tüchtigkeit überlegen ijt, jo 
darf man ed wagen, ihn in der erſten Schladhtordnung, d. h. mit voller Front, 
geradeaud vorrüdend, anzugreifen. Iſt man fchwächer, jo greife man in [ber 
ihrägen Schlachtordnung] an: entweder mit dem rechten Flügel des Feindes 
linfen (dies ift die zweite) oder mit dem linken Flügel des Feindes rechten (dies 
ift die dritte Schladhtordnung). Fühlt man ſich ftark genug, jo greife man beide 
feindlihe Flügel an (vierte Schlahtordnung). Dabei mag der, welcher über 
tüchtiges, leichtes Fußvolk gebietet, nur mit diefem den Raum zwiſchen jeinen 
angreifenden Flügeln ausfüllen. (Dies ift dann die fünfte Schladhtordnung.) 
Ver nur wenig gute Truppen hat, nehme dieje an die Spitze und werfe fich mit 
ihnen auf den einen Flügel des Feindes, während er den anderen Zeil des 
Heered verjagt. (Dieje Schlahtordnung, mwelde die Gejtalt eines Bratjpieies 
hat — in similitudinem veru — iſt die ſechſte) Oder er lehne den einen 
Zlügel an einen guten Stüßpunft: einen Berg, eine Stadt, einen Strom oder 
gar an dad Meer. (Dies ift die fiebente Schlahtordnung.)* — Dieje tauſendfach 
interpretierten und fommentierten fieben Schlahtordnungen ded Begetiuß, melde 
er dem Cato entnommen und ſchon einmal, in den Kapiteln 14—20 des 3. Buches, 
ausführlich vorgetragen hat, find ofienbar höchſt willfürliche und wertlofe Kate- 
gorien, die ſich nad) Belieben vermehren oder bejchränfen ließen. [8 18.) 


2. Das Zeitalter der Militär-Dejpotie. 117 


16. „Je nahdem man jtärter an Fußvolk oder Reiterei ijt, wähle man 
ein Schlachtfeld, was diejer Waffe bejonders zujagt, und weife den entjcheidenden 
Angriff derjenigen Truppe zu, auf welde man jein bejte® Vertrauen jet.“ 
(Bgl. Regel 9.) 

17. „Hegt man Verdadt, daß ſich feindlihe Kundſchafter im Lager befinden, 
io befehle man der Mannſchaft, fi vor Einbrud der Naht in ihre Zelte zu 
begeben. Dann werden die Kundfchafter leicht entdedt werden. Erfährt man, 
daß der Feind von unfern Plänen unterrichtet jei, jo muß man jofort neue 
entwerfen.“ (Vgl. Regel 4.) 

18. „Was zu tun jei, berate mit vielen, was du tun willſt, vertraue nur 
wenigen Getreuen, oder, noch bejjer, behalte es für dich.“ 

19. „Im Frieden Halte man den Soldaten durh Furcht und Strafe im 
Zaume; im Kriege reize man ihn dur Ausficht auf Beute und Lohn“. — Diejes 
Dogma ift jehr bedenkliher Urt. Es Hat feine ausgebreitetite Anerkennung und 
Anwendung ftet3 gefunden, wo nicht die freien Bürger ded States kämpften, 
iondern milde, Habgierige Söldner, die dann infolge der Durchführung jener 
Vorſchrift natürlic) immer wilder und Habgieriger wurden. Freilich fahen ihnen 
das ihre Anführer gerne nad, wenn jie nur ſonſt ihre willenlojen Werkzeuge 
waren. Erflärte doch jchon der attijche Söldnerfeldherr Iphikrates: die nad) Gold 
und Wolluft begierigjten Krieger jeien ihm durchaus die liebiten. Genau jo 
dachten die mittelalterlihen Bandenführer und die Heeresgründer des dreißig— 
jährigen Krieges; jo dachte aud) Napoleon. 

20. „Sroße Feldherrn liefern niemald eine Schlaht ala bei bejonders 
günjtiger Gelegenheit oder wenn fie dazu gezwungen find. Es gehört mehr Kunft 
dazu, den Feind durd Hunger zu befiegen ald durch dad Schwert“. — Diejer 
Cap ijt eine Wiederholung oder vielmehr eine Variation der jchon eingehend be- 
ſprochenen 3. Regel. Auch in ihm liegt ja Wahrheit. Gewiß war es vorteilhaft, 
daß die deutſche Heeresleitung 1870 die franzöfiihen Armeen in Meg einjchloß 
und durch Hunger zur Kapitulation zwang. Um fie aber nad) Mep hineinzu- 
werfen, dazu bedurite e8 der Schlachten von Mardsla-Tour und Gravelotte- 
St.Privat. Wer den Feind durch Hunger bezwingen will, ohne das Schwert zu 
gebrauchen, der bleibt in den Manövern de Meinen Krieges jteden und wird 
niemal3 einen großen Erfolg erringen. 

21. „Eine allgemeine Regel iſt die, daß man dem Feinde die Art des beab- 
fihtigten Angriff verberge, damit er feine Gegenanjtalten treffe”. (Vgl. Regel 4.) 


Überblidt man dieje Regulae bellorum generales, jo wird man \ 
gern zugeben, daß jie manchen Gemeinplag und manche jehr bejtreit= 
bare Behauptung enthalten. Dennoch find fie in kriegswiffenjchaftlicher 
Hinfiht von großer Bedeutung; denn fie ftellen einen der ältejten 
und einflußreichiten Verſuche dar, große Grundjäge der militäriichen 
Theorie knapp und klar im dogmatischer Form zufammenzufaffen, 
und unzweifelhaft jind es dieje Regeln, denen Vegetius vorzugsweije 


.—— 


118 Altertum. II Das halbe Jahrtaufend des, römischen Jmperiums. 


jeine große Popularität im Mittelalter und in der Zeit der Rennaiſſance 
zu verdanken hatte '). 

Das 4. Buch des Vegetius bejpricht in 30 Kapiteln Den 
Sejtungsfrieg. 

Auch dies Buch leitet eine Widmung an den Kaiſer, „den Gründer und 
Bollender unzähliger Städte“, ein. Kapitel 1—6 behandeln die Einrichtung der 
Stadtbefeitigungen, Kapitel 7—12 die Vorbereitung der Verteidigung, Kapitel 13—18 
die Belagerungsmajdinen, Kapitel 19—23 die Mapregeln und Werkzeuge der 
Verteidigung, Kapitel 24 den Minenangriff, die Kapitel 26—28 beſchäftigen ſich 
mit Sturm und Überfall, Kapitel 29 wirft einen Blick auf die Munition und 
das letzte Kapitel auf die Methoden, Mauerhöhen zu mejjen. 

Das Bud) ift Sehr viel kürzer gefaht als die früheren, wa® um jo mehr zu 
bedauern ift, als e8 für das ganze Mittelalter die einzige zugängliche Quelle über 
die Poliorketik der Alten bildete und als ſolche eifrigft ftudiert wurde. — Es 
zeigt fich, daß zu Vegetius' Zeiten ein großer Umſchwung im Geſchützweſen 
eingetreten war. Vegez bezeidinet, ganz im Gegenſatze zur Vergangenheit, mit 
dem Ausdrud ballista den Geradipanner, das große Schußzeug jowie die Arm— 
brujte (arcuballistae et manuballistae) während er für den Winfeljpanner, 
da8 Wurfzeug, den neuen Namen onager hat. Diejer Onager nun ift ein ein 
armiges Torfionsgeihüg, deſſen Spannnerven nicht ſenkrecht, jondern wagrecht 
gejpannt find, während der Arm aufrecht jteht. Dies Geſchütz entwidelt bei 
gleihem Kaliber mit dem einen Nervenbündel diejelbe Kraft wie das doppelarmige 
Torfionsgefhüg mit zwei Bündeln, und dieje Kraft wird durd Verlängerung des 
Armes und Verbindung desjelben mit einer Schleuder noch außerordentlid, ver— 
ftärft, mehr wie verdoppelt. Daher ift Vegez auch überaus eingenommen von 
diejer Waffe und vergleicht ihre Wirkungen der des Blitzes. Er weiſt jeder Ko— 
horte einen Onager, jeder Genturie der Legion eine Räderballiſte (carruballista) 
zu. Dieje Geſchütze übertreffen, wenn fie von geübter Mannjdaft bedient werden, 
feiner Anficht nad), andere. Welche andere Gejhüge es aber noch gab, erwähnt 
er nicht; vielleicht ift dabei an die großen Stahlbogen zu denfen, von denen 
Ammianus Marcellinus und die anonyme Schrift De rebus bellicis berichten 
[8 36 u. 39). Die Übertragung des Namens Ballifte auf den Geradjpanner 
hat große Verwirrung herbeigeführt, welche 3. T. ſogar heute nod) andauert?). — 
Bemerkenswert ift die Bejchreibung, die Vegez von dem Feuerpfeil (malleo- 
lus) und der Feuerlanze (falarica) gibt, welche von Balliften zur Brand 
ftiftung in die belagerte Stadt geichojjen wurden. Er jagt: »Inter tubum et 
hastile sulphure resina bitumine stuppisque convoluitur infusa oleo, quod 


1) Bor der 21. Hegel fteht bei Begetius noch ein Sag über die Reiterei, ber jebocdh fein 
Lehrjag, fondern nur eine Bemerkung ift, weldherdarauf binausläuft, daß er von der Ravallerie ſchweige, 
weil man über fie in den Echriften der Alten nichts fände, was beffer und Iehrreidher fei, als eine 
Würdigung der Keiterei in der eigenen Beit des Autors; denn fie jeian Übungen, Waflen und Pferten 
befier ald jemals. — Lang har diefen Satz neuerdings mit Recht hinter die Generalregeln geichoben. 

2) Bol. darüber: General Köhler: Die Entwidelung des Kriegsweſens in der Ritterzeit IIIa 
(Breslau 1887). 


2. Das Beitalter der Militär-Defpotie. 119 


incendiarium vocant.e Es ijt da& im wejentlichen derjelbe Sag, welden drei 
bis vier Jahrhunderte jpäter Marcus Graecuß ignis graecus nennt [M.$ 6). 

Das 5. Bud) endlich handelt vom Seefriege u. zw. in 
15 Kapiteln. 

Dad Bud ijt offenbar nur der Bollftändigfeit wegen hinzugefügt: Begez 
jelbjt meint, daß er hier kürzer fein dürfe, weil man zur See Frieden habe, die 
Barbaren das Reich nur zu Rande bedrohten. Einer hiftoriihen Nachricht über 
den Beitand der früheren römijchen Objervationsflotten (Kap. 1,2) folgt eine Be: 
ihreibung der Liburnerjdiffe (3—7), eine Meine Abhandlung über Meteorologie 
(8-12), eine Würdigung des Marineperjonal® (13), eine Anführung der auf 
Schiffen gebräuchlichen Kriegsmaſchinen (14), und den Beſchluß machen einige Anz 
gaben über die Taktik zur See (15). 


Die literarijche Arbeit des Vegetius beitand nach jeiner 
eigenen Ausjage lediglich in abbreviare und in digerere; er war nur 
Epitomator und Redaktor, nicht eigentlich Autor. Daß er militärticher 
Praftifer geweſen, iſt unmwahrjcheinlich, wenn man erwägt, daß er 
höchſt ſelten auf Ereigniſſe jeiner eigenen Zeit, niemals auf eigene 
Erfahrungen und Erinnerungen hinweiſt, vielmehr jeine Beiſpiele 
meit den Taten eines Negulus, Scipio oder Augujtus entnimmt. 
Die älteren Kriegseinrichtungen erjcheinen ihm als Werk göttlicher 
Eingebung. »Non tantum humano consilio, sed etiam divinitatis 
instinetu legiones a Romanis arbitror constitutas« (II, 21; val. 
auch II, 20). Seiner Anjicht nach kommt es nur darauf an, jene 
Einrichtungen wieder herzustellen, um gleiche Erfolge zu erringen, wie 
Scipto oder Cäſar. Die Gejchichte lehre, daß auch bei den Alten 
wiederholt die Kriegskunſt in Verfall geraten ſei; da habe man jie 
(jo wähnt Vegez) aus den Büchern wieder hervorgeholt, und große 
Feldheren Hätten die jo gewonnene Kunſt dem Leben zurücgegeben. 
Er hofft, daß dies auch jenem Buche beichieden jein werde. Darin 
hat jich Vegetius allerdings gründlich getäujcht. Der Gedanke aber, 
dar man die Kriegskunſt, nachdem jie in der Praris verloren ge: 
gangen jei, aus Büchern und insbejondere aus jeinem Buche wieder 
jur Auferjtehung rufen fünne, der hat, zwar nicht bei jeinen Zeit 
genojjen, wohl aber im Mittelalter gezündet; frühzeitig jchon erichien 
die Epitoma rei militaris des Vegetius als der Inbegriff militärijcher 
Beisheit, umd es ift, namentlich für das hiſtoriſche Verftändnis des 
römiſchen Kriegsweſens, von jehr üblem Einfluffe geweien, dab man 


120 Altertum. IL Das halbe Zahrtaufend des römischen Imperiums. 


lange Zeit das Urteil darüber auf einen jo fritiflojen und trüben 
Schriftiteller jtüßte wie Vegetius it. 
Die epitoma rei militaris wurde im 5. Jhdt. mit den Summarien für 


die einzelnen Kapitel verjehen, im Jahre 450 von Flav. Eutropius zu Kon- 
ftantinopel einer Terteßverbejierung unterzogen und joviel gelejen und demgemäh 


| abgejchrieben, dab dadura an mander Stelle der Wortlaut ſchwankend geworden 


ift. Abgeſehen von einigen Auszügen, deren einer noch aus dem 7. Ihdt. her: 
rührt, jind aus der Zeit vom 10. biß ins 15. Ihdt. an 150 Handſchriften er- 
halten). Schon zur Zeit Karls des Großen wurde dad Werk für die Bedürfnifie 
des fränkiſchen Heeres bearbeitet ?); ein „Vegez“ wird im ZTeftamente des Grafen 
Everard von Frejus vom Jahre 837 aufgeführt?). Der Chronijt Jean de Mar: 
moutier berichtet, daß Gottfried Plantagenet bei Belagerung des Schloſſes Gaillard 
den Traktat des Vegetius durchforſcht Habe, um die beften Angriffsmittel zu er: 
kunden“). Lag doc wirklid in den Abjchnitten über den Belagerungskrieg der 
für das Mittelalter brauchbarſte Teil des Werkes. — Dieſe älteite diefer Angaben 
ftammt aus der erjten Hälfte des 9. Ihdts., führt aljo um 500 Jahre weiter 
zurüd als die erjte Erwähnung der Beihäftigung mittelalterlicher Fürſten und 
Krieger mit den Kommentarien des Cäſar. Bejonders rege aber wurde das In— 
terejie an Vegez in der zweiten Hälfte des 13. Ihdts. M. $ 18, 19, 28). Des 
Aegidius Colonna Wert De regimine principum jtüßt fi in feinen milir 
täriſchen Abfchnitten bereit® ganz wejentlid auf die Epitoma, und eben damals, 
aljo in der erjten Frühzeit der italienifchen Literatur, wurde fie von dem loren- 
tiner Bono Giamboni in die Vulgärſprache“), von de Meung ind Fran» 
zöſiſche überjegt‘). Für die Beihäftigung mit Vegez im 14. Ihdt. ſprechen Aus— 


1) {über die Handſchriften des Vegez vgl. Haafe: De milit. scriptt. (Berol. 1847, ©. 683), 
dann Cafjius: Descriptio et collatio codieis vet. Vegetii (Liffaer Progr. 1836) unb enblich 
gang: Editio, Praefatio (Leipzig 1885). — Jener Auszug des 7. Ihdts. befindet fih in einem 
vatifan. Balimpjeft. 

2) Marr: Mitteilungen aus dem Gebiete Firchlicher Archäologie der Diöz. Trier. Heft 1. 

2) Miraeud: 2. &d. Brüffel 1723, ©. 20. 

+) Deville: Histoire du chäteau Gaillard (Rouen 1849). gl. Historia Gaufr. ducis 
(Bouquet, recueil XII, 528). 

5) Es gibt mehrere Abichriften diefer Übertragung, welche neuerdingd von Burtani heraus— 
gegeben worden ift (Florenz 1815). Verſchieden von ihr ſcheint eine mit gotifchen Lettern auf Bapier 
neichriebene Handichrift der Uffizien, welche fi in ein und demjelben Bande mit einem Lucano in 
prosa volgare befindet (Bibl. naz. II, II, 73). 

Jean Elopinel de Meunlg), Mitverfafier des befannten „Romans von der Roje” ftarb 
1322. Er bezieht fich auf feine Begezüberjegung ausdrücklich in einer, auch von ihm herrübrenden Über: 
tragung der Tröftungen des Boöthius. — Ich kenne vier Handichriften:: a) Berner Stabtbibliothef 
(280, 1) unter dem Titel: Vegece l’art de chevalerie que le noble prince Jehan, conte de 
heu (Eu), fit translater de latin en francais par... de digne memoire mes. Jehan de meun 
en l’an de l'incarnation mil. C.C.LXXXIV.‘“ (Der Anfang fehlt; der Tert beginnt mit bem 
Worten: la science des armes puissent estre mises en appert pour le commun proufit des 
gens). bi Dresdener Bibl. (O, 57) unter der Überjchrift: Ci commence par bon eur et non (nom) 
del souverain dieu li abriegemens noble homme Vegece Flaue Rene des etablissemens 
appartenanz a chevalerie. Et est diuisez en IIII liuves. — c) Batilan: Regin. Montefalc. 
(C. b. 30b.) — d) Bibl. Mazarin. Paris (No. 227, 228). 


2. Das Beitalter der Militärs-Defpotie. 121 


züge feines Werte in den Handichriftenbeitänden italienijcher Bibliotheken !), 
dann die Grazer Paraphraſe der organijatoriihen und taktiihen Vegezkapitel 
[M. 8 24], jowie da® Livre des faits d’armes et de chevalerie der gelehrten 
Chriftienne de Pijan [XV. 839], welches jehr viele Vorſchriften »selon 
Vegece« enthält, wenngleid) es keineswegs (wie zuweilen behauptet worden) eine 
Bearbeitung der Epitoma ift, vielmehr im wejentlihen das Kriegsweſen der Wende 
des 14. und 15. Ihdts. jchildert, wie es der Berfajierin vor Augen jtand. Indeſſen 
aibt es auch wirkliche franzöfifche Uberjegungen de Livre de vegece de la 
chaualerie von der Wende des 14 und 15. Ihdts. Die burgundijche Bibliothek 
befigt zwei jehr ſchöne Handichriften ſolcher Übertragungen (Brüfiel, ms. 11048 
und 11195). Bemerkenswert erſcheint es, wie im 15. Ihdt. dasjenige Bolt, 
welches zuerjt eine rationelle Kriegführung im großen Stil durchzuführen verjtand 
und in diejer Hinficht tonangebend in Europa wurde, die Engländer, ſich der 
militäriihen Weißheit des Vegetius zu bemächtigen ſuchte. Man kennt vier eng— 
fiihe Überjegungen der Epitoma aus diejer Zeit, eine von John Lydgate 
(Bibl. Bodleiana), eine dem Baron Thomas von Berkeley gewidmete (Oron Col. 
St. Maria Magdalena), eine von Elifton (Bibl. Landsownige) und eine nicht 
ganz volljtändige (Harleianus). — Und nun bemächtigte ſich auch die neuerfundene 
Buchdruckerkunſt des beliebten Wertes. 

Die drei erjten Drude des Vegetius erichienen ohne Ort und Datum; 
die Bibliographen ordnen fie verichieden; die meiften enticheiden fich für folgende 
Reihe: Utrecht 1473, Köln 1476, Paris 1478?) Nun erjt fam die Ausgabe in 
den Veteres de re militari scriptores (Rom 1487), als deren erjter Autor Ve— 
getind prangt’). Dann folgt eine jelbjtändige Ausgabe von 1488 (Pisciae) mit 
einem Schlußpafius, welcher deutlich zeigt, wel hohen Wert man dem Studium 
des Begeriuß für die Erneuerung ded Kriegsweſens beimaß. Denn es heikt da: 
»Non sunt passi diutius situ et squalore delitescere illustrem Vegetium de 
re militari disciplina loquentem, virum omni laude dignissimum, ingenui 
alolescentes Sebastianus et Raphael de Orlandis; quem ob eam maxime 
causam imprimi curaverunt; ut et antiquae virtutis exemplo Italici juvenes 
longa desidia ignaviaque torpentes tandem expergiscerentur.« 

Deutichland wetteiferte mit Stalien. Raum war der erjte Drud des lateini- 
ihen Originals erjhienen, als aud jhon Ludwig Hohenmwang von Thal EI: 
Önger im Jahre 1475 zu Ulm „des durdyleichtigen, wolgeborenen Grauen Flavii 
Vegecii Renati kurcze vnd von der Ritterjhaft zu dem großmächtigſten Kaiſer 
Theodofio feiner biecher vierer“ in deutſcher Überjegung ericheinen ließ 9. Es iſt 
eine koſtbare Ausgabe, die Verdeutſchung vortrefflich, und die letzten 32 Seiten 
des Buches werden von großen, guten Holzſchnitten eingenommen. 


U. a.: Abstractiones libri Flauii Vegetii Renati viri illustris comitis epithoniu (sic!) 
rei militaris (Markusbibl. 179). — (Pseudo-) Cato de re militari (Riccardiana 710, Florenz). 

# Der Titel der vermutlich zu Utrecht 1473 erfchienenen Ausg. lautet: Flauij vegeti renati 
viri illustris Epitoma de re militari quatuor. Das 4. und 5. Buch diefer wie fait aller älteren 
Editionen find nämlich (ihrer Kürze wegen) in eined zufammengezogen. 

’, Un diefer Stelle bleibt Begez bid zur Ausgabe von 1670 8 4). 

*) Näheres füber biefe Ausgabe XV, 8 2. 


122 Altertum. II. Das halbe Jahrtauſend des römischen Imperiums. 


Für da8 eingehende Studium des Vegez im 15. Ihdt. ſpricht endli ganz 
bejonders das Erſcheinen des Pjeudo=Modeftus: De vocabulis rei militaris 
ad Tacitum Augustum. Dieje lerifaliihe Kompilation aus der Epitoma ent= 
hält die Erklärung der im Kriegsweſen üblihen Ausdrüde und eine Skizze der 
bei Rangierung und Ausbildung gebräudlichen Methode. Das Libell iſt wahr: 
iheinlich in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts von dem gelehrten Bomponius 
Laetus verfaßt und einem gewijjien Modejtuß untergeſchoben worden, der als 
Militärjchriftiteller des 3. Ihdts. erwähnt wird, von dem fi jedoch fein Wert 
erhalten hat!). Die Zeitgenojien wurden völlig getäujcht; des Modeitus Votabu— 
larium ijt ſogar das erjte aller „antiten“ Kriegsbücher, das überhaupt gedrudt 
wurde (Benedig 1471), und jelbjt in die fanoniijhe Sammlung der Veteres 
scriptores fand e8 Aufnahme ?). 

Im 16. Ihdt. erjchienen drei Ausgaben des Deutſchen Begez, welde 
ih an Hohenwangs Arbeit anlehnen, ohne mit ihr identifch zu jein: zu Erfurt 
1511, zu Augsburg 1529 und 1534. Die beiden Augsburger Ausgaben jind 
mit einem „Zuſatz von Büchjengejhoß“ vermehrt, um den Vegetius aud nad) 
der artillerijtiihen Seite auf die Höhe der zeitgenöffiihen Wiſſenſchaft zu heben. 
[XVI. $4). 

In Italien erfhienen während des Cinquecento zwei Übertragungen. 
Die eine, von Tizzone di Pofi Gaetano (1524, 1525, 1528, Venedig 1540), 
ift dem Federigo Gonzaga gewidmet; die andere eignete Frane. Ferroſi, Kanzler 
von Cortona, dem Francesco dei Medici zu (Venedig 1551). — Welche Bedeutung 
die Dlarimen des Vegetius für den erjten modernen militäriihen Klajfifer, für 
Machiavelli, Hatten, das joll jeinesorts näher dargelegt werden. XVI. S 7.) 


In den Niederlanden veranftaltete Stewehiuß eine fritiiche Ausgabe 
der Institutionis rei militaris. (Antwerpen und Xeyden 1569, 1579, 1607) 
und Volkier gab 1536 eine franzöſiſche Überjegung der Veteres d. r. m. 
script. [$ 4). 

Nach diefer lebhaften Beihäftigung mit Vegez während des 16. Ihdts. tritt 
im 17. plöglid) ein aufjallender Rückſchlag ein. Offenbar verlor das Werk gegen- 
über der von Lipfius in den Vordergrund gerüdten Bolybianiihen Darjtellung 
des römiſchen Kriegsweſens ſtark an Kredit. Zwar hat Montecuccoli in 
jeinen Memoiren die Epitoma jehr ausgiebig benupt, aber er verjchleiert .e8 nad) 
Kräften — ob nur aus aus Rüdjiht auf die Beitjtimmung ? 


Abgejehen von den kritiihen Ausgaben der Veteres scriptores ijt aus 
diejem Zeitraume, ja bis fajt zur Mitte ded 18, Ihdts., eigentlich nur der Tert- 
abdrud zu erwähnen, den mit nebenjtehender Verdeutfhung Johann Jacobi 
v. Wallhaujen dem 1. (und einzigen) Teile jeiner „Romanijchen Kriegskunjt“ 
angehängt hat. (Frankf. a. M. 1616). XVIIa. 8 2]. — Erjt 1743 (1749, 1759) 


1) Bl. Benron: Notitia librorum qui donante Callusio illustr. s. in bibl. Taurin. 
(Leipzig 1820, ©. 85). 

?) Spätere jelbftändige Editionen des Pſeudo-Modeſtus find die römischen von 1475 und 1487 
und eine Turiner von 1517. 


2. Das Zeitalter der Militär-Deipotie. 123 


erideint eine neue franzöfijche Überfegung von Bourdon de Sigrais mit 
ausgezeichneter Vorrede und kritiihen Noten, und gleichzeitig wendet der Marichall 
von Buyfegur der Epitoma lebhaftes Interefie zu. Wenn freilich Guifchardt 
meint, daß Puyſegur den Vegez fo volllonmen verjtanden Habe, wie fein anderer 
vor ihm, jo jehe ich nicht recht, worauf er dies Urteil jtügt: die Bemerkungen 
über Begez in der Einleitung des Art de la guerre jind doch zu aphorijtiich, 
um fold; Lob zu rechtfertigen. — Eine Berdeutihung von „Vegez Kriegslehren 
aus dem Franzöfiihen“ lieferte Bion (Wien 1759); eine Übertragung in das 
Spaniihe gab Viana (Madrid 1764), eine ſolche ins Engliſche Clarke (1767). 
Kritiihe Tertausgaben veranftalteten Balart (Paris 1762) und Schwebel 
(Nümberg 1767). 

Neuen Aufihwung nahm das Studium des Vegetius ald Graf Turpin 
de Criſſe feine Commentaires sur les institutions militaires de Végèce 
derausgab. (Baris 1775, Montargis 1779, Paris 1788, neuabgedrudt in Lis— 
fenned und Sauvans Biblioth. hist. et militaire. III. Baris 1840, ©. 313 ff.) — 
Zurpind Kommentar behandelt nur die erjten drei Bücher und ift eine inhalt- 
reihe, geiftvolle, wenn auch zuweilen weitabichweifende Arbeit. Durd) das Kom— 
mentieren der Denkwürdigkeiten Cäſars und MontecuccolisS war der Verf. bereits 
zu einer bejtimmten Methode und zu weitem Umblid gelangt; reiche Kriegs— 
erfahrung hatte ihm mit unbefangenem Sadverjtändnis ausgeſtattet. Er zog 
übrigens dad Studium der Tatjahen dem der Theorien unbedingt vor und äußert 
ih darüber in feiner Vorrede: »Lorsqu’on s’avisa de reduire la guerre en 
regles, de faire des syst@mes, la Science devint plus generale; mais l’etude 
de la Guerre en fut moins agréable et plus longue; la valeur möme y 
perdit; il se forma un plus grand nombre des Savans et de Raisonneurs 
en tat de pouvoir discuter sur les points de la Science Militaire; mais il 
yeut moins de vrais Militaires; la theorie, qui n’eut dü &tre que la con- 
squence de faits multiplies et l’art d’appliquer les principes aux circon- 
stances et au terrein, ne fut qu'un resultat d’'hypotheses plus ou moins 
ingenieuses, plus ou moins hardies, d’apres quelque fait particulier. Aussi 
estil bien peu de thedories, qui, mises au creuset de l’experience, puissent 
soutenir l’analyse.... Si tous les Grands Generaux avoient &erit leur 
histoire militaire, il y auroit plus à profiter dans ces simples recits, que 
dans tous les systämes de tactique dont le Public est innonde.« 


Sehr ausführliche Auszüge der Epitoma, welche nahezu einer Verdeutſchung 
geihlommen , enthält das Werk von Naſt und Röſch: „Römiſche Kriegsalter: 
tümer, aus echten Quellen gejchöpft.“ (Halle 1782). Die Verfaſſer begleiten den 
Abriß mit nicht uninterefjanten Anmerkungen, 3. T. polemiſcher Natur, die 
ich jedoch zu ausſchließlich auf Einzelheiten beziehen, um hier bejproden zu 
werden, zumal die betreffenden Streitfragen durch neuere Unterſuchungen erledigt 
ind. — Neben diejer Arbeit verdient noch Erwähnung ein Essai sur le IV. libre 
de Vegöce im Journal des Savants 1790. 

Im eriten Biertel unferes Jahrhunderts jchien es, als ob ſich noch einmal 
dad Interefje für Vegetius heben wollte. Im Jahre 1800 widmete Mleinede) 


124 Nltertum. II. Das Halbe Jahrtauſend des römijchen Imperiums. 


zu Halle dem damaligen Direktor der Potsdamer Ingenieur- Akademie, dem 
Oberjten v. Raud), eine neue Überjegung, die auf der Schwebelſchen Ausgabe 
beruht und als eine gute zuverläjjige Arbeit mit genügenden Erläuterungen ems 
pfohlen werden darf. Wenige Jahre jpäter (1805) erflärte der Brinz von 
Ligne, daß die Inftitutionen de Vegetius in der Tajche jedes Generals zu 
finden fein müßten. »C’est un livre d’or... Un Dieu, dit Végèce, inspira 
la lögion;‘et moi je trouve, qu'un Dieu inspira Vegece; car c'est lui, 
qui par ses sept ordres de bataille nous a fait entendre la guerre des 
Anciens et a appris aux plus grands Generaux de nos jours à les imiter.« 
Solh Lob ſchießt unzweifelhaft weit über das Ziel hinaus; vielleiht erklärt 
fi diefe Vorliebe de Lignes durd eine andere Bemerkung diejed Fürſten über 
Vegetiuß: »Je ne sais pas pourquoi on n'aime par son Latin; je l’aime 
beaucoup moi, car je l’entends.« — Im Jahre 1806 veranjtaltete Beſſel 
zu Straßburg eine neue Ausgabe der Epitoma. — Wie wahlverwandt ſich der 
Baron Carrion-Nifas in feinem Essai sur l’histoire generale de l'art 
militaire (1824) mit wejentliben Auffafiungen des Vegez fühlte, darauf wurde 
ihon oben bei Beiprehung der General-Regeln vom Sriege bingewiejen. — 
Garrion ift der jüngjte militäriihe Autor, welcher fich eingehend mit Vegetius 
beihäftigte; jeitdem haben ihm nur die Philologen noch Aufmerkjamkeit zugewendet. 
Im Jahre 1827 erſchien eine neue deutiche Überfegung von Lipowskti, 1859 
eine joldhe ins Sranzöfiihe von Develay. Beiträge zur Kenntnis der Epitoma 
gaben Mommjen und Gemoll im „Hermes“ (I, 130 und VI, 113), 
jowie Brundius in jeinen Quaestiones Vegetianae I (Helmjtadt 1875). 
Eine Dijjertation Förſters De fide Flavii Vegetii Renati (Bonn 1879), 
welche übrigens faſt ausſchließlich das 2. Buch behandelt, erhebt gegen Vegez den 
Vorwurf einer wahrhaft ungeheueren Dummheit und Nadläfiigfeit. Das be 
deutendfte Werk, das neuerdings. über Vegez erſchien, iſt die meijterhafte Aus- 
gabe der Epitoma rei militaris in Karl Langs Rezenfion (Leipzig 1869, 
1885), welche den gereinigten, reich mit Anmerkungen verjehenen Tert und eine 
ausgezeichnete Einleitung bringt. 


Überjchaut man den Gang der literariijhen Nahwirfung 
von Vegetius’ Werf und vergleicht ihn mit dem von Cäſars 
Kommentarien, jo ergibt fich ein bemerfenswerter Unterjchied. Cäſars 
Memoiren treten allerdings erſt jpäter als das Lehrbuch des Vegetius 
in den Geſichtskreis der abendländiſchen Forſchung, wenigitens injowett 
dDieje irgend welche Fühlung hielt mit der politischemtlitärtichen Welt; 
nachdem ſich aber das Studium einmal der Kommentarien bemächtigt 
hatte, tt e8 ihnen auch in unverminderter Stärfe ununterbrochen zu- 
gewendet geblieben. Die Brennpunkte des dem Begetius gemwidmeten 
Interejjes liegen dagegen zu Ende des 13. und zu Beginn des 16. Ihdts. 
und jeitdem hat das Studium der Epitome eigentlich jtetig, wenn 
auch langjam abgenommen. — Den größten Anteil an dem jo frühen 


2. Das Zeitalter der MilitärsDejpotie. 125 


und jo entjchtedenen Ergreifen des vegetischen Lehrbuches hatte un— 
verfennbar das Autoritätsbedürfnis des Mittelalters, welchem der 
dogmatiiche Charakter des Werkes jehr anmutend entgegenfam. Hier 
hatte man, was man juchte: ein volljtändiges Kompendium des 
geſamten altrömiſchen, und das will für jene Zeit zugleich heißen, 
des idealen Kriegsweſens. Hier bot jich ein methodiſch geordnetes, 
\üdenlojesg Breviarium dar, welches über Heeresaufbringung und 
Heeresbildung, über Taktik und Strategie, über Belagerungskrieg und 
Seeweſen ſyſtematiſch unterrichtete; hier endlich) empfing man im den 
Regulae bellorum generales fnappgefaite Marimen, die man wie 
miltärtjche Glaubensartifel auswendig lernen konnte, antike Zauber- 
tormeln, die man als Arcana des Sieges preijen durfte. Wie ganz 
entiprach die dem dogmenjüchtigen Geiſte jener Zeit! — Allmählich 
ward das anders. Die hijtoriiche Kritif gewann an Schärfe; nicht 
mehr als ein einheitliches Ganzes ward das Altertum aufgefaßt; 
man fing vielmehr an, die Bertoden zu umterjcheiden. Das Licht des 
Tolybios warf helle Strahlen in das Dunkel der Vergangenheit. 
Man begriff, daß Vegetius der ihm gejtellten Aufgabe wenig gewachjen 
geweien war, daß jein „Abriß“ kritiklos fompiltert je, daß dem Autor, in 
dem man einen „Sanzeleivorjteher“ zu wittern begann, jedes gejchicht- 
che Unterjcheidungsvermögen mangele. — In der Tat, Vegetius 
bezeichnet all das, was er oft weit auseinander liegenden Quellen 
entnommen hat, unterjchtedslos als »antiquus«; rühre es von Cato 
Cenſorius her, aljo aus der Wende des 2. und 3. Ihdts. vor Ehr., 
oder aus den Tagen Hadrians, d. h. aus dem 2. Ihdt. nach Ehr., 
oder gar aus der Ddiofletianischen Zeit, jeit deren Verlauf faum drei 
Menichenalter dahingegangen als Vegetius jchrieb: — es iſt ihm 
alles kurzweg „alt“. Die Erkenntnis jolcher Kritikloſigkeit mußte in 
den Kreifen der Hiltorifer die Epitome disfreditieren. Dies wurde 
Veranlafjung, auch den dogmatijchen Teil näher zu prüfen, und bald 
überzeugte man fich, daß die allgemeinen NRatichläge des Vegetius 
denn doch nicht jelten wenig durchdacht und jtichhaltig jeren, und da 
man nun zur Belehrung der militärichen Fachmänner überhaupt 
die hitorisch-applifatorische Methode der jyftematisch-dogmatijchen vor- 
juziehen begann, jo nahm die Geltung der Epitome erjtaunlich jchnell 
ab, und es iſt feine Ausficht vorhanden, daß ihr Kredit jemals 
wieder fteigen werde. 


126 Altertum. II. Das Halbe Jahrtaufend des römiſchen Imperiums. 


& 38. 

Nicht zu verwechjeln mit Flavius Vegetius Nenatus iſt Publius 
Degetius Renatus, auch Veterinarius genannt, der Verfaſſer der 
Artis veterinariae sive digestorum mulomedicinae 
libri IV. Fraas und Sprengel halten einen ttalientichen Mönch des 
12. oder 13. Ihdts. für den Autor diefer Schrift; indes neigt ſich 
die allgemeine Anficht doch dahin, das Buch wirklich dem Publius 
Vegetius zuzujchreiben, der wohl nur wenige Jahrzehnte nach Flavius 
Vegetius lebte. Seine Tierheilfunde ijt in jehr ungebildeter Sprache 
abgefaßt; doch bleibt fie, namentlich durch die eingehende Kenntnis 
der damaligen Pferderafjen, interejjant und in gewiſſem Sinne auch 
milttäriich von Bedeutung. 

Erjte Ausgabe Baiel 1528, zweite Mannheim 1781; auch in den Scriptores 


rei rusticae. Das Bud ift mehrfah in die verſchiedenen wejteuropäijchen 
Spraden überjegt worden. 


8 39. 

Zum Schluſſe der Betrachtung der militärmifjenichaftlichen Lei— 
tungen des Altertums jei noch fur, der Notitia dignitatum 
et administrationum omnium tam civilium quam militarium 
in partibus Orientis et Occidentis gedacht, eines römischen Stats- 
bandbuches, welches zwiſchen 395 und 407 n. Chr. entjtanden ſein 
dürfte). Es it ein vollitändiges Verzeichnis aller Hof, Civil und 
Milttärämter mit ihren Würden und ihren (bildlich dargeftellten) 
Infignien. Dies Buch it injofern von Wichtigkeit als es eine genaue 
Überficht der faijerlichen Kriegsmacht um die Wende des 4. umd 
5. Shots. gewährt, die Standörter der Truppen nachweiit und 
jomit das erite Beiſpiel aller erhaltenen „Nang= und Quartter- 
liiten“ Ddaritellt. 

Für die frühere Kaiferzeit von Nero biß zu den Antoninen befißt man für 
die Verteilung der vielen alue und cohortes über die einzelnen Provinzen des 
römijchen Reiches nur einige 50 diplomata militaria (oder, wie man fie früher 
unrichtig bezeichnete, tabulae honestae missionis). Davon find 13 jo fragmen- 
tariich erhalten, dab fie faum Wert haben; 10 find für entlafiene Flottenjoldaten, 


3 für Soldaten von legionibus classicis, 5 für Prätorianer oder singulares 
ausgejtellt, jo daß für das eigentliche Landheer nur etwa 20 in Betradht fommen. 


1) Erfte vollftändige Ausgabe von Gelenius (Bajel 1559). Spätere Editionen von Boeding 
(Bonn 1839— 1853) und von Eerf (Berlin 1876). 


2. Das Zeitalter der Militär-Defpotie, 127 


— Die weiteren Quellen für die Dislokation des kaiſerl. Heeres find Grabmäler, 
Votivaltäre, Legiondziegel und Inſchriften. 

Die Nomenklatur der Streitkräfte, wie jie die Notitia bringt, 
iſt recht jeltjam und verwidelt; fie zeigt, wie weit ſich das Kriegs— 
weien um Die Wende des 4. und 5. Ihdts. n. Chr. von der edlen 
Einfachheit der Blütetage der alten NRepublif oder der Siegeszeit 
Julius Cäſars entfernt hatte. 

Der Notitia dignitatum angehängt iſt eine anonyme Schrift 
De rebus belliceis. Ihr allgemeiner Wert iſt gering; den 
intereffantejten Zeil bildet der Abjchnitt de bellicis machinis, welcher 
10 Paragraphen und ebenjoviel Bilderchen enthält. Die wichtigjten 
Stellen dieſes Abjchnittes find von Köchly und Rüſtow Griech. 
Kriegsichriftiteller I, ©. 410 ff.) abgedrudt und verdeutjcht worden. 
Auf nähere Erklärung verzichten jie jedoch; weil der Text jo ober: 
rlächlich und die Zeichnungen jo finnlos jeien, daß eben nur dies 
eine mit Sicherheit erhelle: daß die Geichüge der jpätrömijchen 
Artillerie von denen der alten Griechen und Alerandriner völlig 
verjchieden waren. 

Eine Erläuterung der „Blißballifte* diejer anonymen Schrift hat General 
Köhler gegeben. Kriegsweſen der Ritterzeit IITa S. 146.) Er ſieht in derjelben 
einen Stahlbogen von großen Abmefjungen, deſſen Sehnentau durch eine Räder: 
winde oder großen Hafpel geipannt wurde. Auch bier bezieht ſich alio (mie ſchon 
bei Begez) der Ausdrud „Balliſte“ nicht auf ein Wurf-, jondern auf ein Schuh 
zeug. Und ebenjo ijt der Sprachgebrauch bei Ammianus Warcellinus (lib. 23 c. 4), 
der gleichfall® diefen großen Standbogen beſchreibt. Ammian weift darauf Hin, 
welche verfeinerte Kunſt dazu gehöre, den Eylinder (d. h. den mittleren Teil des 
Stahlbogens) „in der Mitte zu ordnen”, das will jagen, ihn jo herzuitellen, daß 
beide Arme gleiche Federkraft ausübten. In der Tat erfordert dies eine jehr 
porgejchrittene Technik, die den Römern auch bald wieder verloren ging. Die 
Balliite, welche (zwei Jahrhunderte nad) Ammian) Prokop von Cäſarea ſchildert 
(M.$ 3), ijt wieder ein doppelarmiges Torjionsgeihüg. General Köhler nimmt 
on, dab die Zeit, in welder das große Stahlbogengeihüp geherricht, etwa 
1%, Jahrhunderte: das 3. und die erjte Hälfte des 4. Ihdts., gedauert habe. Der 
Name des Stahlbogens „Ballifte* ging dann auf die Armbruft über, die ja aud) 
Vegez ſchon ald arcu- oder manuballista bezeichnet. 

Eine Art Auszug aus der Notitia dignitatum Imperii mit 
einem Anhange über militäriiche Dinge befigt die Univerjitätsbibliothef 
zu Leiden. Es ıjt ein grell illujtriertes Manujfript, etwa von der 
Wende des 14. und 15. Ihdts. (ms. lat. fol. 44), dejjen Zeichnungen 
jedenfalls auf byzantinische, bzw. antife Vorbilder zurüdführen. 


128 Altertum. 


Bemerkenswert find unter den Darftellungen: eine Liburna zum Bieh- 
transport, welche mit Schaufelrädern und einem Widder zum Unterwaſſerſtoß 
verjehen ift. — Ein Thichodifurus (?), d. 5. ein Spiehlarren. — Eine Ballista 
quadrirotis mit gepanzerten Pferden bejpannt. Es ijt offenbar ein Torjions 
geihüg, welches einen großen Pfeil ſchießt. — Ein Handpfeil (plumbata mami- 
lata?). — Ein Currus drepanus, d. 5. ein Sichelwagen, der nur aus der Achſe 
beiteht, feinen Wagentaften hat und deſſen Lenker auf dem Bugpferde figt 


Dufammenfaffung. 


Ein Rüdblid aufdie Gejhichte der Kriegswiſſenſchaft 
imklaſſiſchen Altertum zeigt, daß die Überlieferung ſehr lückenhaft 
it. Unmöglich wäre es, über Aufitellung und Ausrüſtung der Heere, 
über Taktik, Poliorketik, Strategie und Seewejen der Alten ſich auch 
nur einigermaßen befriedigend zu unterrichten, falls man ausſchließlich 
auf die eigentlichen Militärjchriftiteller angewiefen wäre. Ein lebendiges 
Bild ergibt ſich erit, wenn man die Nachrichten der Gejchichts- 
jchreiber, gelegentliche Bemerkungen der Redner und Philoſophen, 
jowie Schilderungen der Dichter mit heranzieht. Überlieferungen 
jolcher Art mußten bier jedoch — da es fich nicht um eine Dar- 
jtellung des Kriegswejens, jondern um eine jolche der Kriegs 
wijjenjchaft handelt — wichtige und unabweisliche Ausnahmen 
abgerechnet, außer Betracht bleiben. 


8 40. 


Aufitellung und Ausrüftung der Heere haben in der 
antiken Militärliteratur nur äußerſt jpärliche Behandlung erfahren. 
Allerdings war ja die Aufbringung der Mannſchaft in den 
antiken Staten urjprünglich jo eng mit den bürgerlichen Funktionen 
verbunden, daß die eigentlichen Kriegsjchriftiteller faum Veranlaſſung 
finden mochten, jie in den Kreis ihrer Unterjuchungen zu ziehen. 
Erit das majjenhafte Auftreten geworbener Truppen, wie e8 m 
Sriechenland zuerjt während des peloponnejiichen Krieges jtatthatte, 
änderte jenen Zujtand; denn die Werbung der Söldner war nun 
weſentlich Sache der Kriegsführer geworden. Doch auch hierüber 
ſind uns, abgejehen von einigen beiläufigen Andeutungen des Aineias 
Taftılos und des Polyainos, nur Mitteilungen der Hiftorifer über- 
blieben, und jogar der dilectus der Römer, der doch eine Haupt- 


Bujammenfafiung. 129 


und Stat3-Aftion war, wäre lediglich aus Gejchichtswerfen bekannt, 
wenn uns nicht die Auseinanderjegung des Vegetius überliefert wäre, 
die denn doch auch den Verluſt der Imjtitutionen Augufts, Trajans 
und Hadrians nicht verjchmerzen läßt. — Die Einteilung der 
perionellen Streitfräfte in Kombattanten und Nichtfombattanten 
jowie die der erjteren nach Waffengattungen tritt in der Kyrupatdie 
hervor (VI, 2; 32—37) und wird auch von Askleptodotos (I), von 
Ailianos (II), und Vegetius (III) ziemlich breit behandelt, wobei es 
anfällt, dab eritere ſich bejonders jorgfältig mit der Einteilung der- 
jenigen Waffengattung bejchäftigen, welche in Griechenland gerade 
am wenigjten zu bedeuten hatte, mit der der Neiterei. Aelian zählt 
6 verichiedene Arten derjelben auf, deren Unterſchiede jchwieriger 
teitzuitellen jein dürften, als etwa die umjerer heutigen deutjchen 
Dragoner, Hujaren, Karabiniers und Chevauzlegers. 

Über die Aufbringung der Pferde bieten Kenophons 
tavalleriftiiche Schriften einige jchägbare Angaben. 

Die Bewaffnung der Truppen it kaum Gegenjtand wiſſen— 
Ihaftlicher Behandlung geworden. Was man davon weiß, verdankt 
man vorzugsweije den Dichtern, den Denkmalen der bildenden Kunjt 
und den jeltenen Funden Jantifer Originale. Am beiten hat noch 
Aelian von diejem Gegenjtande gejprochen (II). Das vielumjtrittene 
Thema von der Länge der Spieße und der Art ihrer Führung be 
handeln Polybios (VIII, 11—16), Aelian (XIV), Polyän (TI, 29, 2) 
und Asklepiodotos (V). 

Die rehtlihen Beziehungen der Mannichaft jind Gegen: 
itand einiger römischer Fragmente. — Den einzigen Geſamtüber— 
blid einer organijterten Heeresmacht gewährt die jpät- 
römiſche Notitia dignitatum. 


g 41. 


Reicher und ergiebiger al3 auf dem Gebiete der Heeresbildung 
fliegen die Duellen auf dem der Taftif. Zwar wären die ältejten 
sormen hellenischer Kampfweiſe ohne die Schilderungen der Dichter 
nahezu unbekannt; zwar mangeln gerade für die interejjantejiten 
Entwidelungsmomente  fachgemäße Daritellungen; indeſſen, jobald 
ih überhaupt einmal militärwijjenjchaftliche Beitrebungen auf griecht- 
ihem Boden regten, wendeten ſie ſich doch auch eu der Taktik 

Jähns, Geſchichte der Kriegswiſſenſchaften. 


130 Altertum. 


zu. — Der Begriff diefer Wiſſenſchaft war ziemlich unbeftimmt. Zu 
Xenophons Zeit verjtand man darunter eigentlich) nur den reglemen- 
tariichen Teil der Elementartaktif; Xenophon ſelbſt indefjen will den 
Begriff der Taktik, obgleich er jie nur für einen Teil der Feldherrn- 
kunst erklärt, doch über das rein Mechanische hinaus führen; er gibt 
jedoch feine Definition. (Kyrup. I, 6; 14 und 43; VII, 5, 15). 
Aineias erklärt die Taktik als Lehre von den kriegerischen Bewegungen, 
Polybios als die Kunst, ungeordnete Maffen friegsmäßig zu gliedern 
und gehörig auszubilden. (Ber Aeltan III, 4). Asklepiodot, Aelian 
und Vegetius laffen jich auf eine Erläuterung des Begriffs nicht ein. 

Kenophon gibt im „State der Lafedämonier“ eine Darftellung 
der altdorijchen ?Fechtweile, in der „Anabaſis“ eine Vorjtellung der 
von ihm jelbjt entwicelten freteren Formen panhellenischer Kampfart, 
und in der iyrupädie deutet er prophetiich vorwärts auf die werdende 
alerandrinische Kunjt. Dann erfaßt der univerjelle Geijt des Boly- 
bios die taftiichen Formen bereits unter dem Gejichtspunfte ethno- 
graphijcher Bergleichung, während Bojeidonios-Asflepiodotos und 
Aelian-Arrianos uns in das Wejen hellentstiicher Elementartaftif ein— 
führen, Arrianos auch an einem einzelnen Beijpiele die formale An— 
ordnung einer bedeutenderen Truppenmajje zu Hadrians Zeiten über- 
liefert. Vegetius endlich verjucht in jeiner Art ein Nejume der antifen 
Traditionen zu geben, insbejondere der römiſchen. 

Am jorgfältigiten durchgearbeitet it die Elementartaftif der 
Hoplitenphalanz des jpäten, jinfenden Griechentums. 

Grundlage der Aufftellung war dabei nicht das Glied, jondern die Rotte 
(oriyos, jpäter Aoyos) von 8 bid 16 Mann Tiefe. Die innere Unordnung der Rotte, 
auch Hinfichtlich der Eigenichaften der einzelnen Leute, wird genau außeinander- 
gejegt. (Asklep. II, 1—5; el. IV—VIL) Die aufgejtellte Truppe wird in den 
Rotten gededt und in ben Gliedern auögerichtet. (AS. II, 6; Ael. XXXL) — 
Während die Taktik der guten griehijhen und maledonijchen Zeiten PBhalangen 
von höchſtens 256 Rotten, d. h. von 2000 bis 4000 Mann, zu bilden pflegte, 
icheint es, als ob die jhon von Polybios (II, 56, V,65) und jpäter von Livius 
(XXI, 24 u. XLII, 51) erwähnte Mafjierung von 16384 Mann den Theo— 
retifern der Spätzeit ald normale Stärfe der Phalanx gegolten habe; denn 
diefe übergroße, dod) künstlich außgeklügelte Zahl wird ſowohl von Asklepiodotos 
(II, 7) als von Nelian (VIII), nicht minder aber aud) nod) von den Byzantinern 
(Maurif. XII, 8; Leo Takt. IV, 57) ausdrüdlic empfohlen. Genieht fie doch den 
bejonderen Borzug bis zur Einheit durch 2 teilbar zu jein! — Die große Majie 
gliederte man nun duch Zujammenfafjung mehrerer Rotten zu Frontabteilungen: 


Zufammenfaffung. 131 


Eopolutionseinheiten und größeren Unterabteilungen: Enemotie 
Lentekoſtys, Lochos oder Tetrarchie, Syntagma und Chiliardhie. Diefe Benen- 
nungen find aud da, wo fie uriprünglid eine bejtimmte Anzahl bedeuteten, 
lediglich konventionell. Eine lakoniſche Pentekoſtys der hiftorifchen Zeit 3. B. ift 
keine Fünfzigſchaft mehr, jondern eine Schar von 128 bis 144 Männern. Es 
lam nämlid darauf an, daß die Grundlage aller Einteilungen, die Evolution: 
einheit, ein Quadrat im Grundriß hatte, weil das, nad der Auffafiung der Tak— 
tifer, die Truppenbewegungen, zumal die Epiftrophen (die Schwentungen), er- 
leihterte. Der quadratiihe Grundriß der Abteilungen hängt nun von der Kopf— 
zahl der Rotten und Glieder jowie von den Abjtänden ab, und es fcheint, als ob 
der Gliederabftand zwei, der Rottenabjtand drei Fuß betragen habe. Aus diejen 
Elementen ergab ſich die tatjädyliche Stärke der Frontabteilungen. (Asklep II, 
3, 10 und IV; Mel. X und XL) — Große Aufmerkſamkeit widmete man der 
Verteilung der Führer wie der Abteilungen innerhalb der Front 
je nah dem Grade ihrer Tüchtigkeit. (AUSH. III, 1—4; Ael. X.) Wud bei 
Vegetius follen von den 10 Kohorten der Legion die Flügellohorten und die 
Zentrumskohorten jedes jeiner beiden Treffen aus den befieren Mannſchaften be= 
ſtehen (II, 6). 

Die elementartaftijhen Bewegungen der Hoplitenphalang haben bei 
den verjchiedenen Taktikern abweichende Bezeichnungen. WAufgeführt werden: das 
Schließen (Ast. XII, 8—9; Ael. XXXIID, die Wendungen (Kyrup. VII, 
—6; Askl. X, 3; Uel. XXVI, 1—4 und Schwenkungen (Askl. X, 4—11; 
XI, 1—7; Ael XXV, 5—9; XXXI, XXXIV), von denen namentlich bie 
(egteren in äußerjt weitichweifiger Art und doch unflar bejprochen werden, ferner 
die Herftellung der Front nah Achtel-, Viertel- und halben Wendungen 
Askl. X, 12; Ael. XXVI, 3), die verjchiedenen Kontremärjche, melde von 
großer Wichtigkeit waren, weil man ſtets wünjchte, die aus den bejtgerüfteten 
und tüchtigjten Leuten zujammengejtellten erjten Glieder vorn zu haben (AS. 
X, 13—16; el. XXVII, XXVIN), und endlih die Verdoppelungen nad) 
Ftont und Tiefe. (Kyrup. II, 4 u. VI, 3; Wall. X, 17—20; Ael. XXIX; 
Livius XXXVIU, 8) — Der Gleichſchritt iſt für die Laledämonier aus— 
drüdlich bezeugt (Thukyd. V, 70) und war wohl auch bei den anderen Griechen, 
wenigſtens für gejchlofiene Angrifjsbewegungen, üblich. Hinfihtlih der Römer 
erwähnt ihn, und zwar fogar für den Reiſemarſch, Vegez an einer Stelle, die 
wahrſcheinlich aus Cato entlehnt ift (I, 9). 

Ein Thema von eigentümlicher Schwierigkeit ift da® von den Kolonnen. 
(Anab. IV, 8, 10; Astl. X, 21; Ael. XXX.) Jede Phalanı, welde tiefer als 
breit ift, wird ald „aufrecht“, als oo#ia, d. h. als Kolonne, bezeichnet. Askle— 
diodot behandelt die verjchiedenen Arten der Kolonnen mit finnverwirrender 
Spitematit (XI). Deutlicher tritt e8 bei Aelian hervor (XXX, 1—3), dab es 
ih im Grunde dod nur, wie heutzutage, um Reihenkolonne (naoayoyr,) und 
Settionskolonne (draymyr) handelt. Die Märjche mehrerer Kolonnen zu 
emem Ziel werden genau unterjchieden und benannt (USt. XI; Ael. XXXVI, 
XXXVII, und ihre Betradtung führt hinüber zu der der Gefecdtsformen. 


9* 


132 Altertum. 


Die Schlahtordnungen find nach griechiicher Auffaffung 
entweder ſolche in flacher Phalanı (rAayı« pahayS), bei der die 
Tiefe der Aufjtellung geringer ift, als die Breite, oder jolche, bei der 
die flache Phalanz mit der Kolonne (oeILR parayf) verbunden ift, 
oder endlich jolche, welche überhaupt nur aus Kolonnen bejtehen. — 
E83 verdient hervorgehoben zu werden, daß Cato Genjorius, trotz 
jeiner faſt gewaltſamen Ablehnung hellenischer Wiſſenſchaft mit jeinen 
vielbejprochenen jieben depugnationes doc) aud) durchaus auf jenem 
griechtiichen Standpunkte jteht. Catos fronte longa exercitu depug- 
natio ijt nicht3 anderes als die flache Schlahtordnung der 
Griechen; jeine obliqua depugnatio iſt eine flache „ſchräge“ 
Schlachtordnung hellenischer Art, welche mit dem rechten oder 
Iinfen Flügel zum Angriff vorgeht (Aofr palayd). Die catonijchen 
‚sormen, welche die Mitte verjagen und mit beiden Flügeln angreifen, 
jind die Überflügelungen der Griechen (Urregxzgaoıs), und die 
directa acies iſt dasjelbe wie die mit der zurüdgehaltenen 
flachen BPhalanz verbundene Kolonne — Ms reine Kolonnen- 
ſchlachtordnungen erjcheinen diejenigen, bei denen zwei Kolonnen der— 
artig zujammenwirfen, daß nach) zwei Seiten Front gemacht werden fann 
(@upiorouog pahays, bei Onejander X, 21: augırreöowreos). Dabei 
fünnen die Kolonnen parallel vorrüden oder jchräg gegeneinander 
gerichtet jein. Leßterenfalls ijt entweder die Spite vorn: dann ergibt 
ji) die uralte Angriffsform des Eberfopfes oder Keiles: der 
&ußokAos des Asflepiodotos, der cuneus des Cato und PVegetius (III, 
17, 19) das caput porcium der römtjchen Soldaten, u. zw. ein 
Keil mit leerem Innenraum. Oder die vorrüdenden Kolonnen diver- 
gieren derart, daß jte nach vorn zu einen offenen Winkel bilden: Die 
Zange oder der Hohlfeil (AoAeußodor), die forfex des Cato— 
Begetius). Ferner kann der Marjch auch im Viereck geichehen u. zw. 
entweder im Nechted Eregounaes oder zrAaiaıov) oder im Quadrate 
(reroayemwov oder zeAımFiov), wofür eine Stelle aus Xenophons Ana- 
bafis (IV, 19— 23) das berühmtefte Betjpiel iſt. Eine derartige 
Anordnung mag man als eine Verbindung ziveier flacher und zweier 
aufrechter Phalangen auffaffen oder als eine Verbindung von vier 
Kolonnen, von denen eine mit der Frontwendung, eine in der Kehrt— 
wendung marjchteren. Bon der Verteidigungsitellung der Ver: 
ichildung (ovraozeıauög) und der aus ihr hervorgegangenen römtichen 


Zufammenfafjung. 133 


testudo handelt bejonders genau Aelian (XI), und die Schilderungen 
der Gejchichtsichreiber erläutern ihn. (Arr. Anab. I, 1; Polyän. IV, 3; 
iv. X, 21). Diefe Schildfröte, bei der ſich die Truppen nicht nur 
vor- und jeitwärts, jondern durch die erhobenen Schilde der inneren 
Maffe jogar nach oben dedten, wurde übrigens auch zum Angriff, 
nämlich für Sturmfolonnen im Feitungsfriege gebraucht. (Liv. X, 43, 
XXXIV, 39; Cäſ. B. G. U, 6, VII, 85.) 

Eine weit höhere Entwidelung als alle dieje von den Griechen 
aufgeſtellten taftiichen Kategorien jtellt die aus jelbjtändigen 
Shlahtförpern (Manipeln, Kohorten) gebildete Treffen- 
ordnung der römischen Legion dar. Seltſamerweiſe aber hat 
dieje vollendete Kunjtform wifjenjchaftliche Würdigung nur gelegentlich 
u. zw. nicht durch einen eigentlichen Milttärjchriftjteller, jondern durch 
enen Hiftorifer, durch Polybios erfahren (XVIII, 11—15), und nichts 
beweift mehr die erjtaunenerregende Herrichaft der griechijchen Speku— 
lation über die Denfweije auch der Römer, als der befremdliche Um— 
ſtand, daß nicht diejenige taftiiche Organijation, mit welcher das 
Siegervolf die Welt unterwarf, zur Grundlage der militärwiſſen— 
ihaftlichen Syftematif gemacht wurde, jondern die überwundene 
Phalanz, deren Formen eben den Griechen altüberfommen waren. 

Weit weniger eingehend als über die Elementartaftif der Hopliten- 
phalanr äußern fich die Schriftiteller über den Nuten und die Gefechts- 
tormen der Leichtbewafjneten (Askl. VI, VII; Ael. VII, 4—6, XV, 
XVII; Beget. I, 9), und hinfichtlich der Neiterei (ebd. u. Ael. XVII 
bis XXI; Veget. III, 16). Die beiten Arbeiten über Wejen und Auf- 
gaben der Reiterei find Diejenigen Kenophons. Als Favallertitiiche 
Gefechtsform jpielt bei den Alten die Raute die größte Rolle, eine 
Form, welche durch das Abreiten des Geſchwaders aus der Mitte, 
wo der Führer hielt, entjtand. (Askl. VII, 9; Ael. XIX). 

Endlich ijt der Streitwagen und der Elefanten zu gedenken. 
Für erjtere ift, joweit es die heroiſche Griechenzeit angeht, Homer 
die Hauptquelle. Über die Sichelmagen der Berjer handelt Kenophon 
(&yrup. VI, 1, II, 17; Anab. I, 8; vgl. Veget. III, 24); über die 
Streitwagen der Kyrenaiker jpricht Aineias (X VI, 9). Bon den 
britaniſchen Wagenfämpfern (essedarii) gibt Cäjar Nachricht (B. G. 
IV, 33), von denen der Kelten in der Schlacht bei Sentinum Livius 
(X, 28). — Obgleich weder Streitwagen noch Elefanten in der Zeit 


134 Altertum. 


der jchulmäßig behandelten Taktif gebraucht wurden, jo widmen ihnen 
doch die Lehrbücher, am Überlieferten pedantijch haftend, jtets beſondere 
Kapitel. (Askl. VIII, IX; Ael. XXII, XXIII; ®Veget. III, 24). 
Vegetius gedenkt auch der erjt im jpäteren Altertum wichtig gewordenen 
Kamele. 

In großer Stärke trat, zumal bei griechiſchen Heeren, der Troß 
auf. Seine Sicherſtellung war immer ein Hauptanliegen der Feld— 
herrn. Auch in dieſer Hinſicht gibt XRenophon die beſten Lehren und 
Beiſpiele (Anab. II, 2, III, 2, IV, 1 u. 2; Kyrup. V, 4, VI,2u. 3). 
Die Theoretiker bieten dagegen nur höchſt oberflächliche Andeutungen. 
MOneſ. V; Askl. XI, 8; Ael. XXX, IX). 

Den Beſchluß der Lehrbücher des Asklepiodotos wie des Ailianos 
bilden Auseinanderſetzungen über die Kommandowörter. 


8.42. 


Erwägt man, wie eng ſich noch in der Gegenwart die Aufgaben 
der Feſtungs- und Belagerungs-Artillerie mit denen der Genietruppen 
durchdringen, jo eng, daß neuerdings die Verichmelzung beider Waffen 
ernjtlich in Frage steht, jo läßt fic) denken, daß bei der geringen 
Bedeutung der antiken Artillerie für den Feldkrieg jene Verbindung 
noch inniger und eine Trennung der Geſchützmeiſter von den Kriegs— 
baumeijtern nicht jachgemäß erjcheinen fonnte. Dennoch darf man 
Heron und Biton wohl vorzugsweile als Artillerijten anjprechen, 
während Bhilon, Aineias (Taktifos), Athenaios, Vitruv und Appolo- 
dorus unter der gemeinjamen Bezeichnung der Boliorfetifer zu: 
Jammenzufajjen jind, und des Gromatikers Hyginus Werk über das 
Feldbefeftigungsweien im Verein mit den betreffenden Äußerungen 
des Polybios (VI) wieder das Verbindungsglied der Poliorfetif mit 
der Taktik darjtellt. Beklagenswert iſt es, daß für die Artillerie der 
römischen Spätzeit nicht ebenjo gute Quellen vorliegen, wie für Die 
der alerandrinischen Periode; wir würden dann gewiß auch die oft jo 
dunklen Nachrichten über die mittelalterlichen Werf und Schießzeuge 
bejjer verjtehen. 

$ 43. 


Für die Strategie bleibt man wejentlid auf das Studium der 
Gejchichtsichreiber angemwiefen. Die „Feldherrnkunſt“ des Onejandros 
entipricht ja ihrem Titel nur allzumwenig, und die „Strategemata“ 


Bufammenfajlung. 135 


Frontins und Bolyäns überliefern zwar manchen ftrategiichen Zug, 
find aber doch Feinesweges Lehrbücher der Strategie. Übrigens er- 
icheint der Begriff dieſer Wiſſenſchaft noch jehr jchwanfend, und wenn 
man bedenkt, wie die Definition desielben, insbejondere die Abgrenzung 
der Strategie gegen Taktif und Logiftif, bis zur jüngften Zeit von 
den Militärgelehrten als überaus jchwieriges Problem behandelt worden 
it, jo darf man jich über jolche Unficherheit nicht wundern. Bei den 
unaufhörlichen Einwirkungen der Bolitif auf die Kriegführung, und 
aljo namentlich auch auf die Strategie, fällt die Darftellung der 
legteren überhaupt jchon in den Mitbereich der Kriegsgeichichte, und 
darum find demjenigen, der die Strategie der Alten jtndieren will, 
bejonders Thufydides, Polybios und vor allem Cäſar zu empfehlen. — 
Dat auch ſchon die Alten ſelbſt die Kriegsgefchichte als wejentliches 
Bildungsmittel für den Kriegskünftler betrachteten, lehren die Beijpiel- 
Jammlungen Frontins und Polyäns, jowie 3. B. der Umstand, daß 
Vitruv jein 10. Buch (das über die Kriegsmaſchinen) mit einem hiſtoriſchen 
Kapitel beichließt, welches die Belagerungen von Rhodos, Chios und 
Maſſila bejchreibt. Dem entjpricht es, wenn in der Folge auch die Byzanz 
tiner ihren Zehrbüchern jolche hiſtoriſche Exkurſe anhängen, wie das z. B. 
in ſchönſter Weiſe der von Weſcher veröffentlichte Athos Codex zeigt. 

Mit der Feldherrnfunft engverwandt erſchien den Alten das 
friegsethijche und Friegsrhetorische Gebiet: allgemeine militärische 
Marimen, zuweilen jehr abjtrafter Art, ſowie Betrachtungen über 
das Verhältnis der Führer zur Mannschaft und über Mittel auf die 
Stimmung der Truppen zu wirfen. Onejander ift reich an Angaben 
dieſer Art, und auch Vegetius hebt manchen Punkt derart jorgfältig 
hervor. (II, 10—12.) 


8 44. 


Was nun endlich die ſyſtematiſchen und encyflopädijchen 
Verfe über Kriegswiſſenſchaft betrifft, jo haben hier (abgejehen 
von den bloßen Sriegswörterbüchern) offenbar jchon frühzeitig die 
jofratijch-renophontischen Ideen diejenigen Kategorien vorgezeichnet, 
ın welchen fich die Späteren bewegten: von allen als erjter Aineias 
Taktifos! Doch wie über feinem Werke bereit8 der Unjtern ſchwebte, 
daß uns nur ein einziges Buch desjelben erhalten blieb, jo find auch 
von den jpäteren encyklopädijchen Arbeiten bloß Titel übrig mit der 


136 Altertum. Bufammenfajjung. 


alleinigen Ausnahme der Epitoma des Vegetius. Und eben auf diejer 
Ausnahmeftellung beruht ganz bejonders die ungewöhnlich) große 
Geltung des Vegez, beruht der Wert, den dieje an und für fich jo 
mittelmäßige Schrift trog ihrer SKritiflofigfeit und Oberflächlichfeit 
doc) auch heute noch für uns hat. 

8 4. 

Dies wäre eine Rückſchau auf den Inhalt der klaſſiſchen Militär: 
literatur. Wägt man die Beteiligung der beiden in Frage kom— 
menden Bölferfomplere: der Griechen und der Römer gegen- 
einander ab, jo ergibt jich, daß jenen umbedingt der Vortritt gebührt. 
Sie find nicht nur die Schöpfer der antifen Kriegswiſſenſchaft; jie 
haben jie vielmehr auch faſt allein weitergebildet. Nur auf den Neben: 
gebieten des Lagerbefeftigungswejens und des Milttär-Nechtes treten 
eigenartige römische Leiſtungen auf. Dasjelbe Verhältnis, das eigentlich 
auf allen Feldern antiker Kunjt und Wifjenjchaft hervortritt, das zeigt 
ji) eben auch hier: überall find die Römer Nachtreter der Griechen; 
nur in gromatiſcher und juriftiicher Hinficht erweiſen jie ſich original. 
Wenn troßdem die wiljenjchaftliche Nachwirkung der römiſchen Kriegs- 
jchriftjteller bis zur neueren Zeit unzweifelhaft weit größer war als 
die der griechiichen, wenn namentlich) Cäjar und Begetius ein Weiter: 
leben von ungewöhnlicher Energie geführt und eine reiche Literatur 
um ſich gejammelt haben, jo ift dies zu nicht geringem Teil wohl 
dem Umſtande zuzufchreiben, daß ihre Sprache, die lateinische, den 
weiteren Kreijen der wiljenjchaftlichen Welt allgemein verjtändlicd) war, 
was von dem griechijchen Idiom nicht gejagt werden kann. Hat doc) 
Aelian, der einzige griechiiche Militärjchriftiteller, welcher ſich im 16. 
und 17. Ihdt. allgemeinerer Geltung erfreute, dieſe weſentlich der Auf- 
nahme einer lateinifchen Übertragung jeines Werfes in die Sammlung 
der Veteres de re militari scriptores zu verdanken gehabt. — Und 
wie die Griechen das Friegswiffenichaftliche Leben des klaſſiſchen Alter: 
tums gejchaffen und genährt, jo waren jie es auch), welche es zumächit 
im Mittelalter weiterführten. Während im Abendlande die Wogen 
der Völkerwanderung die Reſte der alten Kultur verjchlingen, wird 
im Oſten das Licht der Wiſſenſchaft von den Byzantinern gehütet. 
Freilich fladert die Flamme immer unficherer und verbreitet nur noch 
einen trüben Schein. 


Bmeites Buch. 


Das Mittelalter. 


Bom 6. bis 14. Jahrhundert. 


Zweite Bud). 
Mittelalter, 


(6. bi® 14. Jahrhundert.) 





Finleitung. 


81. 

Des Vegetius Weckruf war wirkungslos verhallt. Wer auch 
vermöchte eine ſinkende Nation durch vernünftige Auseinanderſetzungen 
zu neuer Mannhaftigkeit zu ſpornen! Wie ſich Kranke nur ſelten 
entſchließen, die Lebensweiſe, welche Quell ihrer Übel iſt, zu ändern, 
vielmehr verſuchen, die verſagende Kraft durch Reizmittel anzuregen 
und die Symptome des Leidens durch PBalliativmittel zu bejeitigen, 
jo verfahren auch fieche Völker. Die Einführung neuer Kriegsmafchinen 
joll die Gefechtskraft fteigern; aber ſie trägt nicht minder dazu bei, 
die Heere des jtolzen Kampfes Mann gegen Mann zu entwöhnen. 
Der elementaren Energie jugendkräftiger Völker joll begegnet werden, 
indem man ſelbſt Barbaren bejoldet und ihren Brüdern entgegenftellt ; 
aber jo friftet man fich doch nur hin, bis eines Tages die Barbaren 
hüben und drüben einander die Hände reichen und ihrer vereinten 
Macht der längſt ſchon untergrabene Bau des alten Reichs endlich 
erltegt. Freilich verjtanden es die „riechlein“, die byzantinijchen 
Romäer, ausgezeichnet, namentlich von dem zweiten jener Mittel 
geſchikt Gebrauch zu machen, und jo gelang es ihnen, den Namen 
Ihrer Herrichaft noch ein Jahrtauſend länger zu friften, als dies dem 
Rom des Abendlandes möglich war. 

Nicht jolange als das byzantiniiche Reich bejtand, erhielt jic eine 
byzantiniſche Kriegswiſſenſchaft. Von einer jolchen darf man auf 


140 Mittelalter. 


Grund ihres literarischen Niederjchlages nur für die Zeit vom 6. bis 
zum 12. Ihdt. reden. Diejer Zeitraum ijt allerdings jehr verjchtedenartig 
ausgefüllt. Weiſt das 6. Ihdt. eine nicht ganz geringe Anzahl friegs- 
wiljenjchaftlicher Arbeiten auf, welche 3. T. jogar auf Originalität 
Anjpruch erheben dürfen, jo herrſcht fim 7., 8. und 9. Ihdt. (mit 
Ausnahme einer allerdings jehr wichtigen pyrotechniichen Schrift) 
vollftändiges Stillichweigen. Das 10. Jhdt. bringt wieder eine Reihe 
von Erzeugnifjen der Militärliteratur, die fich freilich fajt ausnahmslos 
als bloße Kompilationen darjtellen; im 11. Ihdt. zeigt jich noch ein 
Ihwacher Schimmer Friegswiljenjchaftlicher Tätigkeit; mit der Er— 
richtung des lateinischen Katjertums jedoch erlijcht er; jede wiſſen— 
ichaftliche Beftrebung, ja die Pflege der Überlieferung, geht zu Grunde. 

Nun aber regt es jich im Abendlande Wenn man bier von 
einer einzelnen Lebensäußerung unjerer Wiljenjchaft zu Anfang des 
7. Ihdts. abjieht, jo it es das 13. Ihdt., in welchem man ihren 
eriten Spuren begegnet. Nur zum geringften Teile find dieſe um ihrer 
jelbjt willen da; meist bilden jie imtegrierende Bejtandteile größerer 
Werke: wijjenichaftlicher Encyklopädien, jtatsrechtlicher Schriften oder 
politijcher Entwürfe. Die metjten Verfaſſer jind Geiftliche, und der 
überlieferte Stoff ijt jeiner Hauptmafje nad) antife Tradition. Die 
kirchliche Wirkſamkeit jtand in engen Beziehungen zur Vermittelung 
der vom Altertume überfommenen Bildungselemente. Die Bertreter 
des Ehrijtentums waren zugleich die Kulturträger, und ihre römische 
Erudition flößte faum mindere Ehrfurcht ein, als die Heiligkeit ihres 
Amtes. Wie jich in der mittelalterlichen Dogmatik theologijche und 
antife Autorität verjchmolzen, jo wird auch die friegsmwiljenjchaftliche 
Tradition zuerjt wieder im Munde der Geiftlichen lebendig, und jo 
erklärt jich auc) das befremdliche Schaujpiel, daß es Kleriker find, 
welche ung im Abendlande als die eriten von jenem merkwürdigen 
Kraftträger unterrichten, der in der Folge einen jo tiefgreifenden 
Umſchwung des Kriegswejens herbeigeführt hat: vom Schiekpulver. 


I. Byzantiner. 1. Die Militärjchriftiteller vom 6. bis 9. Jahrhundert. 141 


I. Bapifel. 


Die Byzantiner. 


l. Gruppe. 
Die Militärfchriftieller vom 6. bis 9. Iahrhundert. 


82. 

Das 6. Ihdt. ijt die glänzendjte Zeit des oſtrömiſchen Reiches, 
die Zeit jeimer bejten Waffentaten und dementjprechend die Zeit jeiner 
tüchtigjten Leiftungen auf dem Gebiete der Kriegswiſſenſchaft. Jene 
Waffentaten jind um jo bemerfenswerter, als das Heer der Romäer 
auch damals jchon keineswegs vorzüglich war. Zumal das Fußvolk 
war in schlechter Mannszucht, mangelhaft gerüjtet und dem Nah— 
gefechte abgeneigt. Nur mühjam vermochte es den Perjern, Bulgaren 
und Hunnen zu widerjtehen, die mit jtarfen Neiterheeren über Die 
Grenzen brachen, ungeftüm angriffen und wenig von den Pfeilen der 
ausichlieglich dem Bognerfampfe ergebenen Griechen litten, weil 
Mann und Roß gewöhnlich gut gepanzert waren. Daher richtete 
alles Sinnen der byzantinischen Kriegsverjtändigen ſich darauf: ihr 
Fußvolk jenem furchtbaren Schod zu entziehen und ihm Friſt zu 
verichaffen, von jeinen Fernwaffen möglichjt ausgibigen Gebrauch zu 
machen. Auch majjenhafte Vermehrung der Gejchüge reichte dazu 
jedoch nicht aus, weil die Bedienung der Majchinen zu zeitraubend 
und ihre Wirfung doch unzulänglich war, und daher juchte man den 
verderblichen Einbruch der gewappneten Feindesgeſchwader durch trag: 
bare Hindernismittel zu hemmen, welche jo geartet jein mußten, 
dag ſie das Fußvolk einige Zeit lang jichern fonnten, ohne es doch 
auf Die Dauer unbeweglich zu machen. 

Anfangs des 6. Shots. schlug ein gewiſſer Drbifios oder Ur- 
bictus, von defjen Lebensumjtänden nichts befannt ift, dem Kaiſer 
Anaſtaſios I1(491—518) in einer kurzen, gewöhnlich als "Errırr,devua 
bezeichneten Denkjchrift ein Syjtem der Verteidigung des Fuß— 
volf3 gegen die Neiterei der Barbaren vor!). Er formiert 








1) Ausgabe in Rigaults Edit. Onosandri (Paris 1599, p. 69— 74) und in Scheffers 
Edit. Mauricii (Upfala 1664, p. 364—370). Pranzdj. in den M&moires militaires von Guiſchardt 
(&a Date 1758, II, p. 104—106). Eine Erläuterung bat Earrion Nijas gegeben. 


142 Mittelalter. I. Die Byzantiner.. 


die Truppen in große, anjcheinend quadratische Haufen, die er „Pha- 
langen“ nennt und die nach allen Seiten Front machen können, umd 
rät, den Mannschaften der Außenglieder Sturmböde zuzumeijen, welche 
er “avöveg, d.h. „Geſtelle“, nennt und welche offenbar den jpäteren 
Federbalken (ſpaniſchen Reitern, chevaux de Frise), entiprechen'). 

Die Kanones werden im Falle feindlichen Angriffs vor den vier Fronten 
der jog. Phalanx mit ihren eiſenbeſchlagenen Federn in den Boden geitohen, und 
da, wo bieje leichten Barrikaden an den Eden des Haufens zujammentreffen, 
werden Geſchütze aufgepflanzt, welche die Fronten jeitwärt® beitreichen und den 
Feind hindern, die Kanone zu entjernen, falld er fie entdedte und durch ab» 
geſeſſene Mannjchaft zu bejeitigen verſuchte. Borgejandte flanlierende Schügen 
modten die Wirkung der Balliften noch unterjtügen. Bemerkten jedoch die heran 
braujenden Reitergejchwader die Kanones nicht, jo mußte ſich der Schod unzweifel- 
haft an den Wehrbäumen breden; Roß und Mann würden übereinander ftürzen 
und leicht zu erlegen jein. Beim Weitermarjche jollten dann die Kanones zu je 
dreien auf einem Pferde transportiert werden. 

Die Anwendung jolcher Schugmittel iſt ſtets ein Zeichen, daß 
die Kraft des Fußvolks, welches jich ihrer bedient, lediglich in der 
Fernwaffe beruht. So bedienten ſich die trefflichen englischen Bogner 
während des hundertjährigen Krieges in Frankreich gegenüber der 
ſchwer gewappneten franzöfiichen Kavallerie gleichfalls leichter, jchnell 
einzurichtender Pallifadierungen, und zu der Zeit, da das moderne 
Fußvolk jich dem Gebrauche der Pike entfremdete, ohne daß das 
Bajonett zu allgemeiner Anwendung gelangt war, führte man unter 
dem Namen der „ipaniichen Reiter“ abermals die Kanones ein. 

Außer diejer Gelegenheitsichrift verfaßte Orbifios noch ein Eleines 
als raurırov bezeichnetes Werk, welches Föriter im „Hermes“ (XL, 
1877) herausgegeben und dabei nachgewiejen hat, daß dasjelbe eine 
mit Weglaſſung alles Gejchichtlichen und nicht ohne Mikverjtändnifje 
gemachte Epitome der Taftif Arrians jei. — So begegnet aljo gleich 
bet dem ältejten der byzantinischen Kriegsjchriftiteller die Neigung, 
die antife Überlieferung durch auszugsweife Bearbeitung den Zeit- 
genofjen zugänglich und mundgerecht zu machen. — ein Verfahren, 
auf das in jpäterer Zeit die Gejamttätigfeit der Romäer in wiljen- 
ichaftlicher Hinficht hinausgelaufen it. 





1) Bei Homer find xardrss bie beiden über Kreuz gelegten Hölzer, welche zum Ausſpannen 
bes Schilbrandes dienten und über welche das Leber ber Schilbflädhe geipannt war. Es bebeutet alfo 
aud bier „Geſtell“. In jpäterer Zeit verfteht man unter zavav meift ein Mebinftrument: die Lot- 
oder Setzwage, die Mehlatte, das Lineal und daher die Übertragung: Richtſchnur, Megel. 


1. Die Militärjchriftfteller vom 6. bis 9. Jahrhundert. 143 


Der erite Teil des Taktikon dedt fich dem Inhalt nah mit Arrians Kapitel 
De ordinibus exercitus. Der zweite, längere, in 11 Sapitel gegliederte Teil 
gibt furze Vorjchriften über Zujammenftellung und Aufftellung des Heeres, über 
die vom Anführer zu fordernden Eigenjhaften, über Kommandos und über Be- 
wegungen der Truppen und ded Troſſes. 

Ferner gilt Orbifios als Verfaſſer eines als "Ovouaoiaı be 
zeichneten Artifel® de ordinibus exercitus, der zuweilen auch als 
„Wörterbuch der Bhalanr“ citiert wird. 

Er handelt über die verjchiedenen ‚Unterabteilungen des Heereß und deren 
Führer und jteht unter dem Titel "Opßıxiov ro» regi To argareyua in dem Etymo- 
logicum magnum, welches im 12. Ihdt. redigiert wurde, u. zw. unter dem Stich 
worte Zrgaros. Der übrigens unbedeutende Artikel füllt in der erjten Ausgabe des 
Etymologicums ungefähr eine Kolonne der Folivjeite. Abdrüde ald Anhang der 
griechiſchen Diktionarien der Aldini (Venedig 1527) und von Sejja (ebd. 1525.) 

Endlich jind im dem medicätichen Coder der Taftifer mit des 
Urbicius Namen die ungedrudten raxrıza orgaernyıra in Verbindung 
gebracht, welche ſchon nach Bandinis Angaben mit der dem Kaijer 
Mauritius zugejchriebenen Taktik [$ 5] engjt verwandt zu jein jchienen. 
Inzwiſchen hat Förſter die Identität beider Werke nachgeiwiejen und 
jte dem Urbicius abgejprochen. 


83. 

Die in kriegeriſcher Hinſicht ruhmvollite Zeit des byzantinischen 
Reiches ijt diejenige der Regierung Juſtinians. Es it das Abendrot 
römischen Kriegsruhms, welches die Gejtalten Beliſars und Narjes’ 
umftrahlt. Und neben Belijar jteht, ähnlich wie Polybios neben 
Scipio, der Verfaffer der „Berichte über die Kriege Jujtinians“ 
or ireeo raw rrol&uwv Aoyoı)?) Profopios von Cäſarea. 

Diejer vorzüglich unterrichtete und offenbar aus gutem Haufe jtammende 
Rann wurde im Jahre 527 von Kaiſer Yuftinus dem Belifar, der damals die 
Truppen gegen Perfien befehligte al® assessor oder consiliarius, d. h. als juri- 
tiiher Rat, beigegeben und gehörte bald zu dem engſten Kreije unter den Hun— 
derten, welde nad damaliger Sitte den Stab oder das „Haus“ (oixia) des Feld⸗ 
derm bildeten. Er blieb an Belijard Seite auch als diejer zur Würde eines 
magister militum per Orientem (orgarnyos rjs Ep) emporjtieg, folgte ihm auf 
sem Bardalenfeldzuge nad) Afrifa und wurde bei diejer Gelegenheit jowie nod) 
dater von dem Feldherrn auch militärijch verwendet — ein Zug, der wieder an 





ı) Banbini: Epistola de celeberrimo codice tacticorum bibl. Laurent, (Florenz 1766). 
2) Died ift der Titel, welchen Prokopios jelbft feinem Werfe im Proömion besjelben, ſowie an 
meszeren anbern Stellen gibt; gewöhnlich wird es kurzweg als „Hiftorien” bezeichnet. 


144 Mittelalter. I. Die Byzantiner, 


Polybios mahnt. Während des Krieges gegen die Goten in Italien darf es 
Prokop fogar wagen, dem größten Feldherrn jeiner Zeit gelegentli einen guten 
militärifchen Rat zu geben, indem er ihn an altrömijhe Einridtungen erinnert, 
welche ihm dur Tradition und Studium bejler befannt fein mochten ala dem 
Belijar, der ein illyriiher Barbar war. Dieje Haltung Prokop macht es be— 
greiflich, daß feine Kriegs: und Schladtenihilderungen joviel Sinn, Verſtändnis 
und Intereſſe für dad Militärifche beweijen .. Die „Hiftorien“ des Protopios 
beitehen aus 8 Bücern?). Zwei davon behandeln Belifard Feldzüge gegen die 
Perſer, zwei vornehmlich deſſen Unternehmungen gegen die Bandalen, drei den 
Untergang des Gotenreiches in Italien. Dieje fieben Bücher bilden ein zujammen- 
bangendes Ganzes und wurden als jolche® um 550 veröffentliht. Das achte 
Buch ift ein Nachtrag, der mit dem Jahre 550 beginnt, jyndroniftiich abgefaßt 
iit, bi8 554 führt und 559 herausgegeben wurde. 


Prokopios iſt nicht Militärichriftiteller, ſondern Geichichtsichreiber 
wie Bolybius; er hat jogar (abgejehen von einer wichtigen Aus— 
einanderjegung in der Einleitung jeines Werkes) Feine eigentlichen 
militärtichen Erfurje; dennoch darf er bier aufgenommen werden, 
weil jeine Darjtellung in kriegswiſſenſchaftlicher Hinficht für die geiſtes— 
arme Zeit, in der er lebte, umentbehrlicd; zum Verſtändniſſe ericheint. 


Prokops Schilderungen zeigen ihn als Hochgebildeten und kriegskundigen 
Uugenzeugen; fie find meijt jehr anſchaulich und überliefern genau die ent- 
iheidenden Tatſachen; nur da, wo er jelbjt nicht zugegen war (wie 3. ®. bei der 
Schlacht von Taginas, in der Totila fiel), lajjen fie zu wünjden übrig. Die 
jentenziöje Schreibweife der Zeit, der auch der Berfafier der „Hiftorien“ Huldigt, 
tritt freilih oft in der Behandlung kriegeriſcher Angelegenheiten hervor, jo 
namentlich in dem mehrfach erwogenen Berhältnifje von Kühnheit und Vorficht, 
deren Vertretung gern an zwei Gegenredner verteilt wird (vgl. Bell. Got. III, 24), 
oder in dem Grundfage: „Man liebt den Berrat, doch verachtet die Verräter” 
(B. G. I, 8). Ganz folgerichtig bleibt Profop in feinen Urteilen nidt: Ver— 
zweifelter Todesmut, der den Untergang der Unterwerfung vorzieht, wird bald 
bewundert, bald als ſündhaft getadelt (vgl. B. G. IV, 14 u. III, 21 mit 
IV, 12); Übermadt der Feinde ift hier zu verachten, dort zu ſcheuen u. dgl. m, 
Für die militärijhe Ehre ded „römiſchen Namens“ hat Prokop die lebhaftejte 
Empfindung und geberdet jich nicht jelten als echter Chauvin. Wo diefer Punkt 
in Frage fommt, und das ift nur allzu oft der Fall, da jchlägt der jonjt feines- 
wegs kritikloſe Gejhichtsichreiber einen bedenklichen Bulletinjtil an, welder von 
römiſchen Siegen über unbegreiflihe Übermaht und unbegreiflih kleinem Ver— 





1) Bol. Dahn: Profopius v. Cäfaren, Berlin 1865, dem unfere Darftellung wejentlid folgt. 

*) Ausgaben von Höfchelius (Augsburg 1607), Maltretus (Baris 1661/83, Venebig 1729), 
Dindorf (Bonn 1833). — Lateinifche Überfegungen erſchienen jeit ber de8 Bolaterranus 
(Rom 1509) mehriah. — Ital. von Egio (Venedig 1547). FFranzöfiih von Baradin (die beiden 
erften Bücher; Lyon 1578), Fumer de Genillé (Paris 1587) und Mauger (Paris 1669). nal. 
von Holcroft (2onton 1653). Deutih von Kannegieher (Greifewald 1827—31). 


Die Militärfchriftiteller vom 6. bi® 9. Jahrhundert. 145 


(ufte häufiger als billig mit gläubiger Miene zu erzählen verfteht. Gelegentlich 
freilih bricht do die unabweisbare Erkenntnis der Wirklichkeit mit tragiicher 
Energie dur, wie in jener höhnenden Äußerung, die er (B. Pers. II, 30) dem 
Berjerfeldherrn Mermerots in den Mund legt: „der Thränen und des Jammernd 
wert ijt daß Reid, der Römer, da die jo herabgelommen find, daß fie mit feiner 
Menſchenmöglichkeit hundertundfünfzig perfiiher Männer, die ohne Schuß einer 
Mauer fochten, Herr werden konnten“. 

Die für das Kriegsmwejen der juftinianischen Zeit bezeichnendjte 
Stelle ijt der Erfurs gleich zu Anfang der „Perſerkriege“, welcher 
die Taktik jeiner Zeitgenofjen in das gebührende Licht zu jeßen ver- 
jucht. Seine Apologie läuft mejentlich auf ein Lob der Bogen— 
hüten hinaus. 

„Es gibt freilich Menſchen“, heißt e8 da, „welche eigenfinnig alle Ehre nur 
in der jog. guten alten Zeit finden, die Großtaten der Gegenwart abfichtlich ver- 
Neinern und bie Krieger unjerer Tage wegwerfend „Bogner“ nennen, während 
fie gegen die Alten freigebig find mit den pompöjen Namen der „Nahkämpfer“ 
oder „Schildmannen“ Das Urteil diefer Menjhen zeugt von ihrer Uns 
wifiernheit und gänzlihem Mangel an Erfahrung. Das fällt ihnen gar nidt ein, 
dab jene homeriſchen Pfeiljhügen, deren Waffe allerdings veradhtet war, weder 
Rob, noch Spieß, noh Schild hatten... Solche Leute konnten natürlich) den 
offenen Feldftreit nit wählen und durften vom Ruhm der Schlaht nur einen 
Diebedanteil für fi nehmen. Und fogar in ihrer Kunſt waren fie ſchwach; denn 
fte zogen die Sehne nad) der Bruft zu, und daher prallten ihre Pfeile fraftlos 
ab. Die Bogenjhüpen der Gegenwart treiben das edle Handwerk ander! Ge— 
harniſcht und zu Roſſe eilen fie in den Kampf ..: und ziehen die Sehne bis zum 
rechten Ohre an. Das gibt einen kräftigen Schuß; der treffende Pfeil bringt den 
Tod... Trogdem bat man Leute, welche nicht fatt werden fünnen, immer nur 
die Alten zu bewundern. Das hindert aber gar nicht, daß doc) in diejen Kriegen 
Belijard die herrlichiten und größten Taten der Geſchichte getan find.“ 

Solche Verherrlichung des Ferngefechts mit Bogen und Pfeil tritt 
bet den Schriftjtellern der Zeit Juſtinians und jeiner nächjten Nach- 
tolger mehrfad) hervor. Ein unzweideutiges Anzeichen gejunfener 
Kriegskraft, läßt fie e8 durchaus begreiflich erjcheinen, daß troß der 
hohen Feldherrngaben, welche die beiden, übrigens von Barbaren ab- 
itammenden Rivalen, Beltjar und Narjes, auszeichneten, Doch noch zu 
Brofops Tagen das ganze Abendland an die Germanen verloren 
ging und daß jlavijche Plünderer und Perjerreiter bis vor die Tore 
von Konjtantinopel jchwärmten. Juftinian hat, wie Gfrörer treffend 
jagt, „den Stein des Siſyphus gewälzt“, als er den Krieg gegen 
die Germanen anhub: wohl vernichtete er die Vandalen in Afrika, 

FJänns, Geſchichte der Ktriegswiſſenſchaften. 10 


146 Mittelalter. I. Die Byzantiner. 


die Oſtgoten in Italien; aber er machte beide Länder zur Wüſte; 
jehr bald nach Ausrottung der Goten verfiel Italien den Lango- 
barden ; kaum ein Jahrhundert nad) Zerjtörung des blühenden Vandalen- 
reiches gehörte ganz Nordafrita dem Islam. Und um jene Kriege 
führen zu können, hatte der Bajileus die gefürchteten Hunnen durch 
unermeßliche Geldgejchenfe bejchwichtigen, hatte er die benachbarten 
Barbaren in der funjtvolliten Weije, bei der natürlich die Beitechung 
eine Hauptrolle jpielte, gegeneinander verhegen müfjen. Der finanzielle 
Ruin, den dies Verhalten zur Folge hatte, machte es unmöglich, eine 
Flotte zu halten, und Jujtintan Hinterließ das Reich nach einer faſt 
vierzigjährigen Regierung in minderer Sicherheit, als er es über- 
fommen hatte. 


84. 

Unter Juſtinian nun ſchrieb ein Autor, deſſen Name uns nicht 
bekannt iſt, ein höchſt merkwürdiges Buch über die Kriegswiſſen— 
ſchaft als Teil der Statswiſſenſchaft!). Der byzantinifche 
Anonymus teilt nämlich die Statswiljenichaft in eine jolche der Tat 
und im eine jolche des Wortes ?). Die Statswijjenichaft der Tat 
(rgarrıncv ueoos) zerfällt wieder m zwei Teile: Statswifjenichaft 
im engeren Sinne (ro4ırızn), welche von der politiichen Organiſation 
der Gejellichaft Handelt ?), und Kriegswiſſenſchaft (zeaznyırn), welche 
ihm „das wichtigite Gebiet der Statswiſſenſchaft“ iſt. 

Das Buch von der Kriegswiſſenſchaft (regi Irearnyırng) zer: 
legt jeinen Gegenstand in Verteidigungsmahregeln und Angriffsmaßregeln. 
Unter den VBerteidigungsmaßregeln (Bokazrınov rwv otxelam) 
werden folgende Kapitel abgehandelt: Vom Wachtdienjte im großen, 
von den Befejtigungen und deren Armierung, von militärpolitiichen 
Lijten, durcch welche man den Krieg vom Lande abwendet, ohne Frieden 








1) Zum erftenmale herausgegeben und zugleich ins Deutſche überfegt von Kochly und Rüftom 
im 8. Bande der „Griech. Kriegsfchriftiteller” (Leipzig 1855) nad) dem Barijer Codex 2522. In dem 
Blorentiner Hauptcober [A. 88] fteht die Schrift p. 104— 130. Gie ift bort, wie bie anberen Ab⸗ 
handlungen in ihrem Anfange verftümmelt. 

2) Die Statswiifenihaft des Wortes (doyıxör zFoos) bildet den Inhalt der jog. 
Anuayoolaı, einer Anweiſung zur Beredſamkeit, insbejondere zu kriegeriſchen Ermunterungsreben 
(Rhetorica militaris), welche ebenfalls in die beiden großen taktiſchen Codices aufgenommen ift und 
deren Einleitung Köchly und Rüſtow griech. und deutſch in ihren „Borbemerfungen” zum Anonymus 
mitgeteilt haben. 

») Nämlich von den verſchiedenen Bürgerklaſſen des Bivilftanbes und deren Beitimmung, jomwie 
von der Beichaffenheit der Vorſtände und des dienenden Berionales. 


1. Die Militärjchriftfteller vom 6. bi 9, Jahrhundert, 147 


zu jchließen, von der Verhütung des Krieges durch Abjchluß eines 
möglichjt wenig nachteiligen Friedens, von den Verpflegungsanitalten. 
— Unter den Angriffsmaßregeln (Areunrızov vov vreevarriay) 
beipricht der Anonymus die Taktif (Gliederung, Bewaffnung, Be 
wegung, Berwendung der taktischen Mittel) und anhangsweiie die 
Überläufer, Spione und Gejandten !). 

Wenn auch von der Perſon des Berfafjerd dieſes Handbuches nichts be— 
fannt iſt, jo hat man doch aus ſeiner Berufung auf eigene Erfahrung (XIX, 23), 
aus der eingehenden und gründlichen Behandlung des ganzen Kapitel® über die 
Flußübergänge mit bejonderer Hinweijung auf die Donau, jowie namentlich aus 
der Durjtellung und Kritik der fliegenden Fähre des Apollodoros (XIX, 7—14) 
geihlojien, daß er ald Sachverſtändiger u. zw. ald Ingenieur einem oder mehreren 
Seldzügen an der Donau beigewohnt habe. Die Schriften älterer Taftiter hat 
er mehrfach benußt, ohne dab jedoch etwa Gelehrſamkeit oder aud nur aus 
gebreitete Belejenheit bervorträten. Seine Sprade ift ein im Berhältnis zu 
jonjtigen Produkten der Zeit noch recht reines Griechifch *). 

Es ijt ein Zeihen ungewöhnlicher Einficht, dab der Anonymus die Kriegs— 
wiſſenſchaft lediglih al8 einen Teil der Statswiſſenſchaft auffaßt. Den Krieg 
betrachtet er als ein leider unvermeidliches Übel; die Kriegswifjenichaft ijt ihm 
„die Urt und Weije, nach welder man als Feldherr fein Vaterland ſchützt und 
über die Feinde fiegt“. Der „phylaktiiche“ Teil der Strategif handelt von den 
Mitteln, den Krieg zu verhüten, oder, fall dies nicht gelingt, fich durd tote 
Mittel, wie 3. B. Befeftigungen, gegen defien üble Folgen zu jhüßen: der 
„apeiletiiche” Zeil dagegen enthält die Verwendung der lebendigen Kräfte der 
Truppen. Dabei denkt der Anonymus offenbar wenig an den Angriff. Seine 
Gedanken beihäftigen fich eigentlich immer nur mit der Aufgabe, wie ed anzu— 
ftellen jei, möglidhft wenig Schläge zu belommen. Dab man deren überhaupt 
befomme, das wird als felbjtverftändlich vorausgejegt! Ein höchſt charakteriftifches 
Zeichen der Zeit! Darum empfiehlt der Autor auch die juftinianijche Politik 
gegenjeitigen Verhetzens der Feinde untereinander; darum rät er, wenn immer 
möglich, jtatt zur Offenfive zu greifen, mit der Demonftration auszulommen. 

Recht gut zujammengefaßt find die Lehren vom Wachtdienſt und von 
den Keuerzeihen und Fanalen, die ja jhon in frühejter Zeit von den 
Griehen auögebildet [A. $8]) und in der Folge fortentwidelt worden waren. 
(A.$ 19, 33, 37.) Beſonders jorgfältig ift das Kapitel (IX) von den Warten 
(Fooxgıa) durchgearbeitet, wie deren ebenfall3 jchon gleich nad) den Perjerfriegen 
an der attifhen Grenze eingerichtet worden waren, unb deren auch Zenophon® 
Kyrupaidie wiederholt erwähnt. — Bei dem Befeſtigungsweſen finden fid 
mehrfach Züge, die an Apollodoros, vielleiht audh an Bitruv erinnern. Der 


1) Der Text ift lückenhaft. Er fpringt von ber Urmierung der Feitungen unvermittelt zur 
Zaftif über. Offenbar fteht auch der Anhang von den Überläufern, Spionen und Gejandten nicht an 
der richtigen Stelle, 
” Bol. Rüftows und ſtöchlys „Borbemerkungen“. 
10* 


148 Mittelalter. I. Die Byzantiner. 


Anonymus handelt davon, wo "und wie eine Stadt zu erbauen jei und warnt 
davor, den Rüdfichten auf Wohlftand, Bequemlichkeit und Schönheit den Vorrang 
vor denen auf Sicherheit einzuräumen; er gibt Maße für die wichtigften Teile der 
Enceinte und empfiehlt die Anlage von Außenwerken (XII, 5). Eine größere 
Rolle als bei den älteren Griechen (Philon ausgen.) jpielt bei ihm der Graben; auch 
einer glaciartigen Anlage wird gedacht. Die VBorjchriften über Armierung 
lafjen erfennen, daß neue poliorketifche Streitmittel zur Zeit der Abfafjung diejes 
Buches nod nicht in Frage famen. Das betreffende Kapitel (XIII) erwähnt jogar 
des Naphta nicht, dejjen der Autor doch an anderer Stelle gelegentlich gedenkt ") 
und das jchon Begetius (IV, 8) als oleum incendiarium unter den Materialien 
aufzählt, die bei Verteidigung einer Stadt bereit gehalten werden müfjen. 


Den apeiletijchen Teil jeines Werkes beginnt der Autor mit 
einer Definition der Taktik. Er bezeichnet fie treffend als Die 
Wiffenjchaft, nach welcher man eine Maſſe Menjchen bewaffnet, gliedert 
und auf zwedmäßige Weiſe in Bewegung jeßt. Bon fünftlichen 
Stellungen der Phalang will er nicht reden, „weil doch die metjten 
Leute von Taktik nicht viel verjtehen.*“ Im großen umd ganzen be- 


handelt er aber diejelben Dinge wie Asklepiodotos und Ailianos ?). 

In der Bewaffnung jpricht fi) deutlich der defenfive Geift de Autors 
und jeiner Zeit aus. Er ftedt feine Phalangiten, jofern fie nicht mit Harnifch 
und Beinjhienen gerüjtet find, in Waffenröde von 1 Daktyl (34 Zoll) Dide An 
einem Sommertage der Baltanhalbinjel oder Kleinafien® müſſen ſolche Stepp— 
wämſer fajt unerträglih gewejen jein; aber die Furcht vor den Pfeilen des 
Feindes ließ manches erdulden. Die ungeraden Nummern der Rotten find über— 
dies noch mit mannshohen Septartichen verjehen, mit denen er „die Truppe völlig 
panzern und gegen alle Geſchoſſe des Feindes ficherjtellen“ will. Denn im Grunde 
genommen ijt nur dad Ferngefecht ind Auge gefaßt; auch die Phalangiten 
führen neben dem Langjpieße den Bogen. Das einzige Stüd der Bewaffnung, 
welches außer dem Spieß auf das Handgemenge berechnet ijt, ijt zugleih im 
höchſten Grade lächerlich. Die Helme haben nämlich ſcharfe Spitzen, und mit 
denen follen die Leute, falls ihnen unerwarteterweije der Feind wirflid auf den 
Leib rüdte, wie die Böde zuftoßen. — Die Bujfammenfegung der Rotte 
je nad) Tüchtigkeit der Leute bejhäftigt den Anonymus nod mehr als früher 
Ihon den Asklepiodotos und ben Ailian. Seitdem der kriegeriſche Geift der 
Mannſchaft geſchwunden war, wollte man fidy nicht mehr damit begnügen, nur 
das 1. Glied und das jchließende (da8 der Uragen) au gewählter Mannjchaft 
zujammenzufegen, jondern jann darüber, wie man e8 möglich maden fünne, aud 
in den mittleren Gliedern die Leute derart anzuordnen, daß die minder jchlechten 
Kerle die jehr jchlechten mwenigftens einigermaßen zuſammenhielten. — Bei der 


1) Nämlich in der politifchen Einleitung (II, 7), wo er bei der Beiprechung ber &ewerbetreibenben 
unmittelbar hintereinander der Eiſen unb ber Naphtaarbeiter erwähnt. 

2) Bol. demgemäß die betreffenden Paragraphen bes I. Buches und bie vergleichende Zuſammen-⸗ 
ftellung über die antifen Taftifer in dem Rüdblide am Schluffe jenes Buches [A. 8 41). 


1. Die Militärjchriftiteller vom 6. bis 9. Jahrhundert. -149 


Taktik der Reiterei gejhieht der Raute nit mehr Erwähnung, wohl aber 
der geſchachten Stellung (en &chiquier), wobei das zweite Glied auf den Inter— 
vallen des erſten reitet. Offenbar hält der Autor fehr viel von der Kavallerie, 
die zur Zeit Juftinians ja tatſächlich dem Fußvolke in jeder Hinficht überlegen 
war. — überraſchend gut find die Auseinanderjegungen de Anonymus über die 
Bewegungen der Bhalanr. — Während Asklepiodotos und Ailianos nur eine 
trodene Aufzählung der Formen geben, berüdfichtigt der Anonymus das Gelände, 
und eben dies veranlaßt ihn, ein bejonderes, ſehr eingehendes Kapitel von Fluß⸗ 
übergängen zu geben und die dazu gehörigen technijchen Mittel genau vorzus 
führen. Merkwürdig ift aud die Erwähnung von Terrainaufnahmen (XX, 8), 
welche von taktiſch wichtigen Bofitionen zu veranftalten jeien (Vgl. Vegetius III, 6). 
— Die Bewegungen ded eigenen Heeres macht der Autor, (XX, 10) durchaus 
von denen des Feindes abhängig; diefem überläßt er von vornherein die 
Initiative, 

Begetius hatte geklagt, daß die Lagerordnung vernadläfjigt werde (I, 21); 
bei dem Anonymus tritt das nicht hervor. Die wejentlich defenfive Haltung der 
Zeit hatte hierin offenbar wieder eine glüdliche Reaktion herbeigeführt, und die 
byzantiniſche Zagereinrihtung erſcheint im Prinzipe al® ganz diejelbe, wie jie 
ſchon Polybios gejhildert und wie fie mit einigen formalen Änderungen jpäter 
Hyginus dargelegt hat. Sie liegt in den Händen eine® bejonderen Corps, de# 
der unvoopen (bei Vegetius II, 7 »mensores« oder »metatores«) d. h. der 
Ouartiermeijter, welche dem Heere vorausziehen und den Lagerplag wählen und 
abſtecken, wobei fie die Abmefjung der Räume, harakterijtiicherweije, durch Bogen 
ſchüſſe erzielen. Die Befeftigung des Lagers geihieht ganz nad) dem römifchen 
Syitem; zur weiteren Sicherftellung wendet der Anonymus jedoch allerlei früher 
unbekannte Slünjteleien an: Fußangeln, die ſtets mitgeführt werden jollen, ausge— 
ipannte Leinen mit Gloden, vorgefchobene Wachen, die in Gejtalt einer Flefche 
aufzuftellen feien u. dgl. m. 


Begnügt der Anonymus ſich ſchon bei Abhandlung der Märjche nicht mit 
bloßer Nomenklatur, jo geht er begreiflicherweije bei Betrachtung des Gefechtes 
nod lebendiger auf reale Berhältnifje ein: auf die Fälle, in denen man zum 
Schlagen fommt, und auf das Verhalten dabei. Nur allzudeutlich tritt auch hier 
jeine traurige Neigung hervor, fich da8 Gejep vom Feinde geben zu laſſen. Sorg—⸗ 
fältig jei zu überlegen, ob man mit Vorteil ein Gefecht annehmen fünne. Sei 
die Lage irgendwie zweifelhaft, jo folle man den Kampf lieber vermeiden und eine 
günftigere Situation abwarten oder herbeiführen. Sogar dann, wenn man doppelt 
fo ſtark jei als der Feind, müjje man fih hüten, ihn etwa ganz einzuſchließen; 
denn wenn er durchaus gehindert fei, auszuweichen, jo könne er leicht unerhörte 
deldentaten vollbringen. Bejonderen Wert haben dem Autor jolche Operationen, 
melde darauf berechnet find, des Gegnerd Lebensmittel abzujchneiden und ihn 
dadurch zur Zerfplitterung jeiner Macht zu zwingen; auf jolche Weife habe Belifar 
feine beiten Erfolge erreiht. Biel Sorge bereiten dem Anonymus die Gedanten, 
überflügelt oder umfaßt zu werden, und er ijt fruchtbar an Vorſchlägen zu Gegen- 
maßregeln. Überflügelnder Reiterei gegenüber greift er ſogar wieder zu den von 





150 Mittelalter. I. Die Byzantiner. 


ihm jo fehr gejhägten Fußangeln Y. — Von großen taktiſchen Formen 
unterjdheidet er die Kolonne (von yahayf), deren Tiefe ein Vielfaches der Front 
ift, die Linie (mÄayia Yakayf), deren Front ein Vielfaches der Tiefe ift, und die 
ſchiefe Stellung (Ao&r yalayf), deren einer vorgenommener Flügel den Gegner 
angreift, während der andere verjagt wird, doc nur um foviel, daß er nicht 
binter der Tiefe de8 vorgenommenen zurüdbleibt?)., Die Reiterei hält auf den 
Flügeln; über die Unordnung der Leichtbewafneten jollen die jedemaligen Ber: 
hältnifje entfcheiden. — In Folge der allgemeinen Einführung des Bogen? auch 
in die Phalanx gewannen die Schladhten der byzantinijchen Zeit einen nahezu 
modernen Charakter. Das Handgemenge war ganz in den Hintergrund getreten, 
und nad) oft jtundenlangem Ferngefeht, das freilich unendlich viel weniger mör— 
derijh war als heutzutage, genügte meijt irgend eine geringe VBorwärtöbewegung 
der einen Partei, um ben Tag zu enticheiden®)., Großen Wert legt der Ano= 
nymus auf das Bereithalten von Referven zur Dedung des Rüdzuges; denn 
daß diefer angetreten werden müſſe, ift ihm unter allen Umſtänden wahriceinlich. 
Die Lepten jollen Hinter fih dann wieder Fußangeln ftreuen. — Naiv find 
die Vorſchriften für einen nächtlichen Überfall; auch hier fol man ja dafür 
jorgen, daß dem Feinde die Möglichkeit der Flucht bleibe, damit er ſich nicht etwa 
verzweifelt wehre. Für Überfälle und Hinterhalte zeigen die Byzantiner übrigens 
entjchiedene Vorliebe. 

In jeiner Einleitung äußert der Anonymus den Vorſatz, nach 
Behandlung des Landfrieges auch vom Seekriege zu reden; aber in 
der eben erläuterten Schrift findet jic) darüber nichts. Neuerdings 
hat jedoch K. K. Müller in der ambrofianischen Handjchrift der Kriegs— 
jchriftteller eine Schrift über den Scefrieg entdedt, welche wohl 
aus dem 6. Ihdt. herrührt und möglicherweije eben jene von dem 
Anonymus Byzantinus verjprochene Arbeit tit*). 

Leider ijt fie nicht ganz vollftändig; daß erhaltene Stüd beginnt im 4. Kap. 
des Ganzen und endet im 10. Kap. Es behandelt die Pflichten des Kapitäns, 
den Späher: (Mpifos) Dienft, die Signale und den eigentlichen Kampf zur See 
jamt den dazu nötigen Vorbereitungen und den Maßnahmen nad der Schlacht. 
Des griehifhen Feuers geſchieht feine Erwähnung. — Dies Fragment ijt die 





ı) Die Fußangeln jheinen oriental. Urjprungs zu jein. In der Schlacht bei Baugamela 
wendete fie 3. B. Darius an, um Teile bes Kampfplages vor jeiner Front ungangbar zu machen. 
Dann gingen fie zu ben jpäteren Römern über. Vegetius definiert fie (III, 24) »tribulus autem cst 
ex quattuor palis confixum propugnaculum, quod, quomodo abieceris, tribus radils stat et 
erecto quarto infestum est.« 

2) Hieraus geht hervor, daß der Angriffäflügel ald 069) palays, die ſchiefe Stellung jomit 
als eine Miſchung aus Linie und Kolonne nebadt ift. 

2) So geichah e# in der Schlacht bei Dara (Prokop B. Pers. I, 14). In ber bei Ehalfis (ebb. I, 18) 
wurde bis zum jpäten Nadhmittage nur geſchoſſen. — Bol. Köchly und Rüſtows „Erflärende An- 
merfungen zu dem byzantinifchen Anonymus“. Kap. XXXVI 

4) Sie füllı 6 Blätter der Hanbfchrift; wahrjcheinlich ift zu Anfang und zu Ende nur je ein 
Blatt verloren gegangen. 8. 8. Müller ebierte diejelbe unter dem Titel: Eine griech. Schrift über 
Seelrieg. Zum erften Male herausgegeben unb unterfucht (Würzburg 1882). 


1. Die Militärfchriftiteller vom 6. bis 9. Jahrhundert. 151 


ältefte bis jetzt befannte in griehiiher Spradye abgefahte fachmänniſche Schrift 
über den Seefrieg. 

Auf denjelben Anonymus, welcher die „Kriegswiſſenſchaft“ verfaßt 
bat, it endlich auch noch eine Taktik vom Bogenſchießen (regı 
roseiag) zurücdzuführen, welcher zum Teil in die xeozor des Jul. 
Aricanıs aufgenommen worden iſt. [A. 8 33.) 

Auf drei Hauptpunkte fommt es dem byzantinischen Anonymus bei dem 
Bogenſchießen an: richtig, kräftig und ſchnell zu ſchießen, und nad) diefen Geſichts— 
punkten iſt auch die Abhandlung eingeteilt, welche urſprünglich wahrſcheinlich 
hinter der Beſprechung der Bewaffnung (XVI) ihren Platz gehabt hat. Welde 
Bedeutung der Bogenkampf für die Byzantiner hatte, wurde bereit3 mehrfach er= 
wähnt. Beſonders charakteriftiich ift in diefer Hinficht die oben mitgeteilte Stelle 
aus Vrokops Einleitung zu feinem „Perjerkriege“. Auch andere Äußerungen deö- 
jelben atmen gleichen Geiſt (I, 14; I, 18), und im „Gotentriege“ (I, 22) rühmt 
Brofop jogar den Belijar jelbit ald den „erften Bogner“ beim Sturm der Weit- 
goten auf Rom (im Jahre 537). 

Es jchien notwendig, jo genau auf die „Kriegswiſſenſchaft“ des 
byzantinischen Anonymus einzugehen, nicht nur, weil dies Werf ein 
in mancher Hinficht noch viel volljtändigeres Kompendium der aus 
dem Altertum überfommenen militärischen Traditionen it, als ſelbſt 
des Begetius Epitome, jondern auch, weil es auf Jahrhunderte hinaus 
de legte jelbjtändige Arbeit auf dieſem Gebiete iſt, auf dem von 
mm an die Kompilatoren herrichen. In gewiſſem Sinne darf man 
jogar das anonyme Werf als die letzte Schöpfung der antifen 
Militärliteratur betrachten ıumd ihm bejonders warme Anerfennung 
yollen, weil es in einer bis dahin noch kaum dagewejenen Weile den 
Krieg als eine Funktion des Statslebens, die Kriegsfunit als einen 
Lil der Statskunjt und demgemäß die Kriegswifjenichaft als Teil 
der Statswiſſenſchaft auffaßt und behandelt. Allerdings, dieje Auf: 
faſſung jcheint nicht ſowohl eine igentümlichkeit des Anonymus 
ald vielmehr die allgemeine jener Zeit gewejen zu jein. Wird doch 
das ebenfalls der jujtintanischen Periode angehörende Werf des Petros 
Magiftros (oder Patrikios) zregi &ruoriung zrolrrınng!) (Über die 
Statskunſt) wegen eines bedeutenden Teiles jeines Inhaltes, zumeilen 
auch unter die militärischen Werke gerechnet. Es bietet indeſſen 
ſo wenig Eigenartiges, daß es hier nicht näher berücichtigt zu 
werden braucht. 


!) Gr. et lat. ed. Mai: Scriptores class. coll. nova. T. II, p. 590--609 (Rom 1826). 


152 Mittelalter. I, Die Byzantiner. 


85. 

Ungefähr ein halbes Jahrhundert nach der „Statswiſſenſchaft 
der Tat“ entitand jenes Irgaznyırov oder jene Ars militaris, welche 
gewöhnlich dem Kaijer Maurifios (Mauritius) zugejichrieben wird. 

Diejer Fürſt war im Jahre 539 in Kappadofien geboren, verlebte jeine 
Sugend unter Juftin I. am kaiſerlichen Hofe und wurde 578 zum Magijter militum 
und Befehlöhaber der gegen Perfien in Waffen jtehenden Armee ernannt. Als 
jolder gelang e& ihm, die gejunfene Disziplin wieder herzuftellen und eine 
Reihe von Siegen zu erfechten, infolge deren er im Jahre 582 triumphierend zu 
Konftantinopel einzog, die Hand der Kaifertochter empfing und noch in demfelben 
Sahre den Thron beitieg. Von diejem Wugenblide an verließ ihn das Glüd. 
Seine Feldherrn erlitten gegen die Avaren Niederlagen ; die Abficht de Maurikios, 
fi, jelbjt wieder an die Spipe des Heeres zu ftellen, wurde als „unerhört“ leiden- 
ihaftlih vom Hofe befämpft; dennoch führte der Kaifer fie endlih aus und 
überjchritt wiederholt jiegreid die Donau. Allein das Heer haßte ihn wegen feiner 
Energie und Sparjamleit, und zulegt gab der Befehl des Herrichers, jenjeitö der 
Donau zu überwintern, den Anlaß zu einer wilden Empörung, infolge deren 
PHofas zum Kaiſer ausgerufen wurde. Maurifios jand jamt jeinen Söhnen 
den Tod (602 n. Ehr.). 

Wohl um 595, als die Feldherrn des Maurikios jo unglücklich 
gegen die Avaren fochten, hat diejer das Kriegslehrbuch abgefaßt 
oder neu herausgegeben, das unter jeinem Namen überliefert üt. 

Der Herausgeber des Strategiton, Scheffer, vermutet, dab dies Werf nur 
ein Auszug aus einem vollftändigeren Buche des Orbikios ſei [$ 2]. Im der 
Tat ift vor der Vorrede in dem medicäifchen Coder Urbicius als Verfaſſer ge 
nannt; wahrjcheinlich handelt es ſich da jedoch um ein Mihverftändnis; denn mit 
Recht macht Förſter darauf aufmerkjam, da die wiederholte, 3. T. ausführliche 
Rüdfihtnahme auf Bekriegung jolher Völker wie Franken, Langobarden, Uvaren 
und Anten wohl in Maurifio®’ Zeit, nicht aber in die des Kaiſers Anaſtaſius 
pajie?). Noch weiter geht Salomon, der da meint, die Schrift jei früheftens im 
9. Ihdt. entftanden und ihr Verf. müſſe mit Leo VI. und Konſtantin [$8 u. $ 9] 
aus einer gemeinjamen, für uns verlorenen Quelle gejhöpft haben.®) Angeſichts 
fo widerfpredender Anfichten halte ich mich an die alte Überlieferung. 

Das Strategifon zerfällt in die Einleitung und 12 Bücher. 
Es mangelt ihm nicht an Berührungspunften mit dem Werfe des 
Anonymus; aber es ergänzt e8 auch mannigfach. — Die Einleitung 
jcheint auf jene unglüdlichen Feldzüge gegen die Barbaren hinzudeuten. 

1) Ausgabe von Scheffer in: Arriani tactica et Mauricii Ars militaris libri XII, omnia 
nunquam ante (und auch fpäter nicht wieder) publicata. Graece primus edit, versione latina 
notisque illustrat (Upsaliae 1664). 


2) Förſter: Kaiſer Habdrian und die Taktik des Urbicius (Hermes XII, 1877, ©. 467). 
», Salomon im Szäzadok, Organ ber ungarifchen hiſtoriſchen Geſellſchaft 1878. 


1. Die Militärfchriftiteller vom 6. bis 9. Jahrhundert. - 153 


Nach einem Gebete an die Heilige Dreieinigfeit, an die gottgleihe Jungfrau 
Maria und an alle Heiligen beginnt Maurifio® mit der Betrachtung, daß jeit 
langer Zeit die Kriegswiſſenſchaft darnieder liege, ja fast in Bergefienheit gelommen 
fei, jo da die angehenden Feldherrn nicht einmal das Allgewöhnlichſte verjtänden. 
Das ift genau diejelbe Klage, welche ſchon Vegetius ausſtößt und welde der 
byzantiniſche Anonymus wiederholt (Beg. III, 10 und Anon. XV, 1). Wie dieje 
beiden hofft Maurikios durd fein Werk zur Bejlerung beizutragen. 


Das 1. Buch handelt von Aufbringung, Ausbildung und 
Gliederung des Heeres. 

An die Spige gejtellt ift die Ausbildung im Bogenjhiehen, wobei 
der Hauptnachdruck auf das Schnellihiehen gelegt wird. Der Schüß trug 30 bis 
40 Pfeile im Köcher (XII, 8). Bis zum 40. Lebensjahre follten alle hriftlichen 
„Römer“ den Bogen führen, fie möchten nun gut oder jchledht jchießen ; die Un— 
geſchickten möchten mit ſchwachen Bogen anfangen; fie würden fchon lernen. — 
Auch die Reiterei, welde durchaus als die bevorzugte und wohl auch vorzüg— 
lihere Waffe erjcheint, bejteht offenbar großenteils aus Bognern; für ihre Aus» 
rüftung und Taktik weit Maurikios meiſt auf Türken und Avaren als Bor 
bilder Hin. 

Intereſſant ift die ausführlide Abhandlung über die Hierardie der 
Befehlshaber. Den höchſten Rang hat der IZroarnyos (zugleich Feldherr und 
Kriegdminijter, bezw. Statthalter eines Gebietes, der als jolher auch für die 
Drganijation der GStreitfräfte zu forgen Hat), Ihm folgen der "Pnostparnyos 
(Generallieutenant) '), die Meoapyaı, d. h. die Befehlshaber einer Merie?), und 
die Mosoapyoı®), welche je einer Moira vorjtanden, deren drei immer eine Merie 
bildeten. Die Moira jept fih aus einer wecjelnden Zahl von Tagmen (Batail- 
lonen) zujammen. Dad Tagma entjpridt normalmäßig dem altmakedoniſchen 
Syntagma, d. h. einem Männerquadrat von 16 Rotten und 16 Gliedern, aljo 
einer Schar von 256 Köpfen. Tatfählih zählen die Tagmen jedoch nicht jelten 
400 Mann; fie werden auch Numeri oder Banden genannt und ihr Führer heikt 
“uns oder zoıBovvos. Den Komites oder Tribunen unterjtehen wieder die Bes 
ſehlshaber der Hundertichaften, die 'Exarovrapyoı, deren eriter 'Aaeyns betitelt 
ft. Weiter abwärts folgen die Führer der Zehnſchaften (Sexapyns), der Fünf: 
haften (#e»rapyns) jowie der dem althellenijchen Uragos entiprechende Rotten- 
chließer (rergagyns). 

Entipredend der mechaniſchen Anjhauung vom Kriegsweſen, wie fie den 
Byzantinismus fennzeichnet, hatten gewiſſe Truppenteile genau bejtimmte 
Aufgaben, die eben nur ihnen zugewieſen werden durften. So war die Ber: 


1) Leo VI. zufolge (Taktifon IV) urjprünglid „Stellvertreter bes Kaiſers“. 

) MeoG = Keil. Die wörtliche Überjegung wäre alfo „Divifion*. Übrigens bezeichnet 
Raurifios biejelbe Heereseinheit au ald „/uvyyo; (drungus). Leo VI. jagt a. a. D.: „Bormals 
sannte man den Befehlshaber einer Merie Turmarch“, weil damals die Merie den Namen „Turma” 
trug.” Leo befiehlt dann, die Moira zum befjeren Unterjchiede von der Merie „Drungus“ zu nennen. 

) Auch aoioa = Teil. Der Moirarch wird übrigens auch Av; (dux) betitelt. Er ift aljo Be 
ehlshaber einer Brigade in unjerem Sinne. 


154 Mittelalter. I. Die Byzantiner. 


folgung des Feinde Sache der Renner (uowages), denen ſchwere Reitergeichwader 
als Helfer (Inperowoes), als „Soutiens“, folgten. Zur Aufflärung der Straßen 
und zur Wahl geeigneter Lagerpläge zogen dem Heere Anticefjores (Avrızeswgess) 
voran; Menjores (Mivowges) ftedten die Läger ab u. ſ. w. 

Kapitel über Aushebung, Bereidigung, Kriegsartifel und Reifemärjche ſchließen 
das erjte Buch. — Sehr merkwürdig jind die Kriegsartikel, weil in ihnen 
und offenbar ein alte® Erbgut aus der antifen römiſchen Kaiferzeit überliefert 
worden ift. Leo VI [$ 8] hat fie wiederholt. Sie find jehr kurz: es handelt 
fi) eigentlih nur um Ungehorjam, Fahnenflucht, Verrat, Feigheit, Unredlichkeit 
und Zauberei, jowie fonjtige Störungen der Ordnung. Die Mannszudt wird 
ausdrüdlich als Duell der Siege anerkannt. 

Das 2. Buch jtellt den Sag auf, daß nicht die Menge und der 
blinde Mut die Schlachten entjchteden, jondern nächſt der Hilfe Gottes 
die Kunſt der Strategie (dıa orgarrag ai TEyung). 

Demgemäß handelt e8 von den Vorzügen einer Heeredauftellung in zwei 
Treffen und führt dann einzelne Andeutungen bes 1. Buches näher aus, nament- 
li die über Marichfüherung, Feldzeichen, Fahnenwachen und Spielleute. 

Das 3. Buch beichäftigt Jich mit den taftijchen Anordnungen 
der Heeresteile vom einzelnen Tagma an bi8 zur Armee hinauf. 

Maurifios bewegt fich hier weſentlich in den überlieferten Formen und 
ihließt mit Anweijungen für das Verhalten der mit befonderen Aufgaben be- 
trauten Abteilungen: wie Vorhut, Seitendedungen u. dgl. 

Das ganze 4. Buch it den NRejerven und den Hinterhalten 
gewidmet, auf welche der Verf., gleich dem Anonymus, großen Wert legt. 
Wie diejer macht auch Maurifios ausgedehnte Anwendung von nädtlichen 
Überfällen und von Fußangeln. Er ſchlägt jogar vor, Hinter der ganzen Aus—⸗ 
dehnung der Schladtordnung einen Bodenftreifen von etwa 30 m Breite mit 
Fußangeln zu bejtreuen, dod 4 biß 5 Wege von 10 m Breite frei zu lafien und 
durch Merkzeihen (Erdhügel, Spiehe, Neifer) erfennbar zu machen. Auf diejen 
Wegen joll fih dann das Heer in jcheinbarer Flucht zurüdziehen und den un— 
bedachtſam folgenden Feind in die Fußangeln loden. (!) 

Im 5. Buche jpricht Maurifios vom Heergeräte und dom 
Troß. — Das 6. Buch jegt die Shlahtordnungen und Gefechts- 
bewegungen der Skythen, Alanen, Afrikaner und Italiker 
auseinander und erläutert dann das Wejen der Überflügelungen und 
Seitendedungen, welche, zumal Reitervölfern gegenüber, ja von jo 
großer Wichtigkeit ſind. — Das 7. Buch handelt von der eigentlichen 
Feldherrnkunſt (oreaenyıza). 

Gleich zu Anfang und jpäter noch mehrfah wird Hier fehr eindringlih der 
Grundjag eingefhärft: wenn irgend möglich, jelbft bei anjcheinend wohl begründeter 
Siegeßhofinung, der Entſcheidung durd die Feldihladht auszumweihen und dem 


1. Die Militärjchriftftellee vom 6. bis 9. Jahrhundert. 155 


Feinde lieber durch den Beinen Krieg Abbruch zu tun. (gl. VIIL,2 u. IX, 1.) 
— Bie in diefem Punkte, jo jagt das jehr breite Buch, welches ſich weſentlich 
auf Onejander [A. 8 28] jtügt, auch fonjt nichts neues. 

Das 8. Buch bringt allgemeine Kriegsregeln ganz ähnlicher 
Art wie die Regulae bellorum generales des Begez. 


Lebhaft wird auch hier wieder empfohlen, dem Feinde goldne Brüden zur 
Flucht zu bauen. 


Das 9. Buch ist „unerwarteten Unternehmungen“ gewidmet. 

Maurikiod empfiehlt das Überjchreiten von Strömen mittel® aufgeblajener 
Schläuche, ein Verfahren, das er vermutlich perjönlih am Euphrat kennen gelernt. 
Dann wird das Durchſchreiten von Engpäfjen beſprochen, und im legten Kapitel, 
wo er eigentlid von den Rekognoszierungen redet, gibt der Verfaſſer die jorg« 
fältigfte Überficht der Aufjtellung jeiner Hauptwaffe, der Reiterei. Danad) rechnet 
er für jedes Pferd in der Front 8, in der Tiefe 8 Fuß, fo da aljo 300000 Reiter, 
mit 600 Pferden Front und 500 Pferden Tiefe (!!) aufgejiellt, 1800 Fuß Front 
bei 4000 Fuß Tiefe einnehmen würden — eine geradezu ungeheuerliche Formation, 
die er denn auch jelbit verwirft. Er weit jogar darauf Hin, daß bie Reiterei 
der Alten nur 4 Glieder tief gefochten habe und erflärt, daß dies an und für ſich 
eigentlich genug jei; „aber“, jo fährt er fort, „da es in einem Geſchwader leider 
gewöhnlich nur wenige Reiter gibt, welde zum Handgemenge taugen, fo wird 
man doc wohl daran tun, fie, je nad der verfügbaren Stärke, 7 biß 10 Pferde 
tief zu jtellen.“ (Ähnlich XI, 1 und 8 fowie Leos Taftit VII, 59.) 


Das 10. Buch handelt von der Landesverteidigung umd 
Befejtigungsfunit, deren technijcher Teil indejjen ziemlich obenhin 
abgefertigt wird. — Das 11. Buch lehrt wie die Nachbarvölker 
zu befämpfen jeien, insbejondere die Perjer, Skythen, Avaren, 
Türken, Franken, Yangobarden, Slaven und Anten. — Im 12. Buche 
iommt Maurifios nod) einmal auf die Elementartaftif zurüd. 

E3 gibt genaue Borfchriften über die Zufammenjegung der einzelnen Rotte. 
Eine jolche beftand gewöhnlid aus 16 Mann; davon jollen der 1.u. 4,5. u. 8., 
9. u. 12., 13. u. 16. Mann allemal die bejjeren jein, während die jchlechten Kerle 
zwiſchen ihnen als Lüdenbüßer einzuichieben jeien. Es ift das eine ähnliche 
Anordnung wie die Verteilung der Kohorten bei Vegetius (II, 6). Übrigens 
wurde die Rotte häufig in ein Quadrat von 4 Mann Front und 4 Mann Tiefe 
abgebrochen, um als kleinſte Evolutionseinheit zu dienen. — Dann folgen Be- 
tahtungen über die jhiefe Shlahtordnung, Einzelheiten über Lager— 
beieftigung, und endlich ſchließt da8 Werk ſeltſamerweiſe mit einer Anweiſung, 
wie man auf der Jagd wilde Tierg erlegen könne ohne gefahrvollen Kampf. 

Alles in allem jtellt des Maurifios Strategifon ſich als eme 
Kompilation dar, in der eigentlich nur die Durchbildung der byzan- 
tmichen Militärhterarchie neu erjcheint, welche dann allerdings auf 


156 Mittelalter. 1. Die Byzantiner. 


Sahrhunderte hinaus in Geltung blieb’). Der Verfaſſer hat jeinen 
Stoff mangelhaft geordnet; die Abhängigkeit von fremder Überlieferung 
raubt ihm die Freiheit. 


Engverwandt dem Strategifon iſt ein auf den Blättern 68—76 
de3 Codex. Laurent. graec. LV, 4 erhaltenes Fragment über 
Kriegswejen, welches K. K. Müller in der Fetichrih für Urlichs 
herausgegeben hat (1882). Die Gejamtanlage ift diejelbe wie bei 
Maurifios, und nicht nur einzelne Worte und Wendungen, jondern 
ganze Abjchnitte jtimmen völlig mit dem Strategifon überein. 


86. 

Aus dem langen Zeitraume vom Ende des 6. bis zu dem Des 
9. Ihdts. ift mur ein einziger Name zu nennen, der des Marchus 
Graecus, dejien Liber ignium ad comburendos hostes Die 
Geheimniſſe des „griechiichen Feuers“ und des Schießpulvers 
enthält. 

Über die Lebenszeit des Marchus iſt viel geitritten worden; indes hat Ferd. 
Höfer in feiner Histoire de la chimie (I, Paris 1866) nachgewiejen, daß der 
arabiſche Arzt Meſue den Marcus citiert?). Mejue aber jchrieb im 9. Zhöt., und 
jo fann Marchus nicht jpäter gelebt haben. 

Der Traftat des Marcjus liegt nur lateinijch vor, obgleich er 
vermutlich urjprünglich in griechischer Sprache gejchrieben war. Die beſte 
Handjchrift desjelben enthält das Ms. lat. 7156 der Nationalbibl. zu 
Paris. Ebendort befindet jich eine zweite (ms. 7158). Andere Ab— 
ichriften bewahren das German. Mujeum zu Nürnberg und die Münchener 
Hofbibl. (cod. lat. 197, 224 und 267). 

Der Überlieferung zufolge hat Kallinitos das „Griechijche 
Feuer“ im Jahre 673 nad) Byzanz gebracht und damit dem Reiche 
der Romäer in der Tat ein wejentliches Verteidigungsmittel zugeführt. 
Der Ausdrud ignis graecus, feu gregeois, ijt abendländiich und 
ſtammt aus der Kreuzzugszeit. Die Griechen jelbjt nannten ihr Kunftfeuer 
zeig umdıröv oder zeig Falaocıov, aud) vygov. Die Hauptfubitanzen, 
welche Marchus zur Bereitung desjelben vorjchreibt, find Naphta, 
Erdöl, Harz, Mutterharz (galbanum), Teer, DI, Pflanzenfäfte, Metalle, 





1) Diefe Ehargenbezeihnungen und jonftige milit. Ausbrüde erläutert Rigault (Rigaltius) 
in De verbisquiin.novellis constitutionibus post Justinianum occorrunt@Glossarium (Bari81601). 
) Joan Mefue: Opera medica (Benebig 1581), p. 85, col. 1. 


1. Die Militärfchriftiteller vom 6. bis 9. Jahrhundert. 157 


Eimer und Eigelb. Sein Rezept für das gewöhnliche griechiiche 
euer lautet: 

»Ignem graecum tali modi facies: Nimm reinen Schwefel, Weinjtein, 
Sorcocolla (Fleiihleim? Perf. Baumharz ?), Beh, Kodjalz, Erd- und Baumöl. 
Lab es gut zuſammenkochen, tränke Werg damit und zünde e8 an. Nur Harn, 
Beineflig oder Sand vermag es zu löjchen“. 

Dieſe Miſchung entjpricht im wejentlichen ganz den Vorjchriften 
des Vegez zur Heritellung von fFeuerpfeilen. Etwas Geheimnisvolles 
tegt durchaus nicht darin, und wenn es jich wirklich bloß hierum 
handelte, jo müßte man ſich über das ängjtliche Sefretieren wundern, 
mit dem Byzanz die Herjtellung jeiner Kunſtfeuer zu allen Zeiten 
umgeben hat. Ganz neu und umerhört dagegen erſcheint ein anderes 
von Marchus gejchildertes Kriegsfeuer, nämlich) das ignis volans, 
dad fliegende Feuer. Dies beiteht aus Salpeter, Schwefel und 
Kohle — iſt alſo Schiehpulver! Eine ſolche Miſchung lohnte 
freilich die Geheimhaltung! — Marchus lehrt die Zuſammenſetzung 
des Pulvers und jeine Verwendung zu Raketen und Kanonen— 
ihlägen. 

Es heißt in dem Liber ignium (ed. Par. p. 5): »Secundus modus ignis 
volatilis hoc modo conficitur. Re. Acc. li I sulfuris vivi, li II carbonum 
tilliae vel salicis, VI li salis petrosi, quae tria subtilissime terantur in la- 
pida marmoreo. Postea pulverem ad libitum in tunica reponatis volatili, 
vel tonitruum facientem. 

Nota. Tunica ad volandam debet esse gracilis et longa et cum prae- 
dicto pulvere optime conculcato repleta. Tunica vero tonitruum faciens 
debet esse brevis et gressa, et praedicto pulvere semiplena et ab utraque 
parte fortissime filo ferreo bene ligata. 

Nota, quod in qualibet tunica parvum foramen faciendum est ut tenta 
imposita accendatur, quae tenta in extremitatibus fit gracilis, in medio 
vero lata et praedicto pulvere repleta. 2 

Nota, quod ad volandum tunica plicaturas ad libitum habere potest: 
tonitruum vero faciens, quam plurimas plicaturas. 

Nota, quod duplex poteris facere tonitruum atque duplex volatile in- 
strumentum; videlicet tunicam includendo. 

Nota, quod sal petrosum est minera terrae et reperitur in scorphulis 
contra lapides. Haec terra dissolvitur in aqua buliente, postea depurata 
et destillata per filtrum, et permittatur per diem et noctem integram de- 
coqui et invenies in fundo laminas salis congelates cristallinas.« 

Die Pulvermiſchung beiteht aljo aus 2 Teilen Kohle, 1 Teil 
Schwefel und 6 Teilen Salpeter, entjpricht jomit im mwejentlichen ganz 
demjelben Pulver (22 8., 11 ©., 67 Salp.), welches bis zur jüngjten 


158 Mittelalter. I. Die Byzantiner. 


Vergangenheit allgemein für Feldjignalrafeten angewendet wurde und 
zwiſchen Gejchüß- und Sprengpulver die Mitte hielt. Sollte es als 
Nafetenja dienen, jo wurde es in eine dünne Hülle gefüllt, Die 
fang und dünn jein mußte und voll geichlagen wurde; jollte es zum 
Donnern dienen, jo wählte man eine kurze, dicke, mit Eiſendraht um— 
wundene Hülje, die nur zur Hälfte mit Pulver gefüllt ward. Sn 
jede Hülfe (in die der Nafete wie die des Kanonenjchlages) wird ein 
Zünder eingeführt, der wieder aus einer mit Pulver gefüllten Hülſe 
beiteht, die an den Enden dünn, in der Mitte didker it. Man fonnte 
auch doppelte Nafeten und Donnerrohre heritellen. 

Den Salpeter gewinnt Marchus, indem er denjelben, jowie er fih wild an 
Gemäuern und in Kellern vorfindet, jammelt, in fiedendem Waſſer löjt, filtriert 
und friftallifieren läßt. Das ift allerdings eine ungenügende Reinigung, bei 
welcher fremde Salze zurüdbleiben. Waren jedocd die Bejtandteile de Pulvers 
noch wenig rein, jo fam das der tunica ad volandum, der Rafete, eigentlich zu 
gute; denn andernfall® wäre die Mifhung zu jchnell verbrannt. Bemerkenswert 
ift, daß man bereit den Vorzug der aus leichtem Holze (Linde oder Weide) 
gewonnenen Kohle erfannt Hatte. Übrigens konnte die Kohle auch durch einen 
anderen Stoff erfet werden, und demgemäß gibt Marchus ein Rezept zu ignis 
volans, bei dem an Stelle der Kohle Kolophonium jteht. 

Von einem Raketenſtabe ift feine Rede, auch nicht von einer Seele der 
Rakete. Mber die Durchbohrung derjelben zur Einführung des Zünders bereitet 
die Seele mindejten® vor, zumal da® parvum foramen doch nicht allzu Mein 
gewejen jein dürfte, da der Zünder in medio lata jein fol. : 


Die Schrift des Marchus Graecus it von der höchiten Wichtig- 
feit für die Gejchichte der FFeuerwaffen; denn wenn auch jchon im 
Altertum jelbjttätige Feuerwerfsförper erwähnt werden, bei denen der 
Calpeter eine Rolle jpielte [A. $ 33], jo gibt Marchus Graecus doch 
unvergleichlich viel mehr als Julius Africanus, und man muß von 
ihm, der zuerjt vom Schteßpulver und der Nafete handelt, die Ent: 
widelung der wifjenjchaftlich erfennbaren Pyrotechnik datieren !). 

Einen Teil des Liber ignium ließ de la Porte du Theil im Jahre 1804 
druden; doch ijt die Broſchüre fo jelten geworden, da Höfer fi ein Verdienſt 
dadurd erworben Hat, dab er den ganzen Traltat nad) dem aus dem 14. Ihdt. 


ftammenden Parijer Manuſkript 7156 als Anhang zum 1. Bande feiner Gejchichte 
der Chemie hat abdruden lafjen. 


I) Bol. Lalanne: Essai sur le feu grögeois et sur l’introduction de la poudre à canon. 
(M&moires pres. par divers savants à l’acad. des inscriptions. II. ser., t. I, p. 294—363). 
— Uppmann: Das Schießpulver (Braunſchweig 1874). 


2. Die Militärjchriftiteller vom 10. bis 12, Jahrhundert. 159 


2. Gruppe. 
Die Militärfhriftkteller vom 10. bis zum 12. Jahrhundert. 
8 7. 


Die Regierung des verſchwenderiſchen, ränfevollen und bigotten 
Despoten Jujtintan I. hatte den Hellenismus vollends zum Byzan- 
tinismus umgewandelt umd jene Erjichlaffung der WVolks- und Stats- 
fraft herbeigeführt, an der das Reich bis auf den erjten der iſauriſchen 
Kaiſer, Zeo III. (718— 741), jammervoll krankte. Unter Maurikios 
hatte die lateiniſche Sprache aufgehört, das offizielle Idiom des Hofes 
und der Verwaltung zu fein, und dadurch war dem Länderkomplexe 
des ojtrömijchen Neiches abermals ein mächtiges Band der Einheit 
gelöjt worden. Daher verfiel denn, als bald darauf die Araber aud) 
den politiichen Zujammenhang des Reiches auf die Dauer durch 
brachen, jogar die Volfsiprache ungehindert jener Zerjegung, welche 
das unaufhörliche Eindringen barbarijcher Elemente herbeiführen mußte. 
Der Literatur ward dadurch ihr natürlicher Boden entzogen, und die 
Thronbejteigung der iſauriſchen Fürjten, welche in politijcher Hinficht 
zu eimer gewiljen Kräftigung führte, war für das wijjenjchaftliche 
Leben geradezu verderbenbringend. Die höheren Schulen wurden 
aufgehoben, die Klöfter in Kajernen umgewandelt und ihre Biblio- 
thefen zerjtreut oder gar verbrannt. Damals gingen Schäße antifer 
Kultur unwiederbringlich verloren, und unter jolchen Umjtänden wird 
es begreiflih, daß auch die Kriegswiſſenſchaft drei Jahrhunderte lang 
völlig verjtummte. Erjt jeit Theophilus (829 bis 842) hoben fich 
wieder wie Gewerbfleiß und Handel, jo auch Kunſt und Wifjenjchaft, 
und ausgejprochene Vorliebe für literariiche Wirkſamkeit war es endlich, 
welche dem Kaiſer Zeontos VI. (8386— 911) jogar den Beinamen 
des „Philojophen“ oder des „Weiſen“ eintrug, der zuweilen aber 
auch mit dem des „Taktikers“ wechjelt. Wie die erjte Periode der 
byzantinischen Kriegswiſſenſchaft mit der Arbeit eines Kaiſers ausging 
jo beginnt die neue Periode wieder mit einer jolchen; ja unter den 
jieben Namen, welche in diejer Bertode überhaupt etwa noch zu nennen 
find, befinden ſich außer Leo noch zwei Kaiſer: Konjtantin und 
Nikephoros Phokas, jowie eine Kaijertochter, Anna Komnena — 
ein deutliches Kennzeichen der Despotie, in welcher alle Anregung, 
auch die wiljenichaftliche, durchaus vom Throne und dejjen nächjter 


160 Mittelalter. I. Die Byzantiner. 


Umgebung ausgeht. — Übrigens kommt für dieje zweite Periode 
eigentlich überhaupt nur das 10. Shot. im Betracht; das 11. und 12. 
bringen lediglich jchwache Nachklänge. 


88. 

£eontos VI. war der Sohn jenes Baſilios' J., der ji — ein 
Bauernburjche aus der Gegend Adrianopel3 — zum „Bajileus“, zum 
Gebieter des Neiches, emporgejchwungen hatte und Begründer Der 
jog. „mafedonischen Dynajtie“ geworden war. Obgleich ji) unter 
dieſem energijchen Manne das Anjehen der byzantinijchen Regierung 
nad) außen wie nach innen gehoben hatte, jo hinterließ er das Wehr- 
wejen doch in umngenügendem Zuftande, und als die Bulgaren ein— 
brachen, jah der Thronerbe Leo ſich darauf angewiejen, gegen jenen 
Feind die Türken in Sold zu nehmen. Das hieß aber den Teufel 
austreiben durch Beelzebub. Dieje Erfahrung veranlaßte den Bafileus, 
jich eifrig mit Hebung des Kriegswejens zu bejchäftigen. Zu dieſem 
Zwecke verfaßte er eine Summarifche Auseinanderjegung Der 
Kriegskunft (Tiv Ev rolduoıg Taurınov GUvrouog ragadocıg), 
die unter dem Namen der „Leoniniſchen militärischen Inititute“ befannt 
iſt. — Allerdings war Leo ein Pedant. Wie er jelbjt nicht als Feldherr 
aufgetreten ijt, vielmehr die Kriegführung anderen, meiſt noch Dazu 
ſiegloſen Strategen überließ, jo tjt auch jein militäriſches Wiſſen nicht 
das Ergebnis eigener Erfahrung, eigenen Denkens, jondern lediglich 
theoretijcher und fompilatorischer Natur. Aber eben als rapadogıs, 
d. h. als „Überlieferung“ bleibt jein Werf für ıms von hohem Werte; 
ja, e8 ift wegen der darin aufgejpeicherten militäriſchen Kenntniſſe 
eines der wichtigjten Dokumente der Gejchichte der Kriegswiſſenſchaften. 

So wie das Werf gedruct vorliegt, zerfällt e8 in eme Vorrede 
und 21 Inſtitute (Kapitel). 

Die Vorrede legt die Stellung des Verfaſſers zum Kriege 
und zur Kriegswiſſenſchaft dar. 

Der Autokrat verfichert jeine innige Liebe zum Frieden und feine Sorge 
für das Statswohl. Eben bieje aber veranlafje ihn, des Krieges zu gedenken, 
defien man wegen der Sündhaftigfeit des Menjchengejchlechte® nicht entraten könne. 
Er beflagt den Verfall der Kriegökunft, die mit der Mannszucht zu Grunde ge» 
gangen jei, und erflärt, daß er, geftüßt auf feine umfafjende Belejenheit, die 
Hauptgrundjäge bed Kriegsweſens kurz zujammenfaflen und dem Deere als 
unverbrüchliches Geſetz vorjchreiben wolle. Nicht die Maſſe ſei es, welche Schlachten 


2. Die Militärfchriftfteler vom 10. bis 12. Jahrhundert. 161 


und Kriege entjcheide, fondern die Kunft der Heerführung und die Gnade Gottes 
(vgl. Maurikios II. „Wer das hier von mir gebotene Wifjen aufnimmt, vermag, 
jals ihn feuriger Geiſt beflügelt und angeborene Talent befähigt, gute Dienfte 
in den höchſten Führerftellen zu leiften, und dies Glüd jedermann zugänglich zu 
machen, ift unjere Abfiht und unfere Hoffnung“. 

Interefiant ift eine Außerung des Kaiſers über die Kriegskunſtſprache. 
„Um der Deutlichleit willen“, jo jagt er, „haben wir in unjerem griechiſchen Terte 
dod die lateinischen Kunftwörter ftehen lafien. Wir wollten diefen fremden Aus— 
drüden, die nun einmal im Kriegswefen üblich find, das Bürgerrecht nicht ent- 
ziehen, weil wir fürdhten müßten, andernfall® dem Leſer unverftändlich zu werden“. 
Tiefe Betrachtung mutet ganz modern an; ein deutſcher Kriegsjchriftjteller könnte 
noch heute ganz dasfelbe bezüglich der romanijchen Wörter in unjerer Kriegskunſt⸗ 
Iprahe jagen. Schon Mauritios hatte jich in der Einleitung ſeines Strategifons 
ähnlich geäußert. Er fagt (Scheffer8 Überfegung ©. 3): »Rerum vero brevitatis 
potius habita est ratio, adeo ut et Latinis saepe vocabulis in militia per 
consuetudinem tritis utamur, quia sic portamus clarius intellectum iri ea, 
quae intendimus«. Indeſſen bringt Leo doch ſchon griechiſche Kommandorufe, 
während die älteren Schriften, insbejondere da8 anonyme „Fragment über Kriegs- 
weien” [85], durchweg auch die lateiniihen Kommandowörter beibehalten. 

Das 1. Institut bejchäftigt jich mwejentlic mit wifjenjchaftlichen 
Definitionen und Begriffserläuterungen. 

Leo unterjcheidet zwiſchen raxzır) und argarnyım), Die Taktik ift ihm 
das Wifjen von den friegerifchen Bewegungen, die Strategie das Willen von 
der Einrichtung der Feldzugspläne und der jiegreichen Heerführung. In der 
Relapitulation am Schluſſe feines ganzen Werkes führt Leo aber nod) eine dritte 
Kriegswifienihaft auf: die Logiftil(doyoren — wörtlid) „Rechenkunſt“), und an 
diefer wichtigen Stelle fennzeichnet er die Aufgaben jener drei militärijchen Grund— 
wifjenjschaften folgendermaßen: — Sade der Strategie iſt es, den Krieg zu 
entwerfen, d. h. ſich Kenntnis zu verichaffen von der Macht, von der Art der 
Kriegführung und von den Gebräuchen des Feindes, ferner, fich jelbft für Angriff 
oder Verteidigung zu entjheiden und die Art der eigenen Kriegführung zu wählen: 
ob man fich der feſten Plätze bemächtigen oder dem Gegner die Feldſchlacht bieten 
will, ob man den Krieg Hinhalten, den Feind durch Märſche ermiüden und in 
Heinen Kämpfen aufreiben oder ob man fein Land verwüjten, jeine Untertanen 
in die Gefangenjchaft treiben will. — Sache der Logiſtik ift es, das Heer zu 
bejolden, ſachgemäß zu bewaffnen und zu gliedern, e8 mit Geſchütz und Kriegs— 
gerät audzujtatten, rechtzeitig und hinlänglich für jeine Bedürfniffe zu jorgen und 
jeden Alt des Feldzugs entiprehend vorzubereiten, d. h. Raum und Zeit zu be— 
tehnen, das Gelände in Bezug auf die Heereöbewegungen ſowie des Gegners 
Biderftandskraft richtig zu jhägen und diejen Funktionen gemäß die Bewegung 
und Verteilung der eigenen Streitkräfte zu regeln und anzuordnen, mit einem 
Bort zu dißponieren. — Sache der Taktik ift e8 endlich, die nach den Geſichts— 
dunkten der Logiſtik organifierte Heeresmacht für den jedesmaligen Kriegszweck 
waffenweiſe zufammenzujtellen (ordre de bataille) und die jo formierten Truppen 

Zähne, Geſchichte der ſtriegswiſſenſchaften. 11 


162 Mittelalter. I. Die Byzantiner. 


teile auf dem Marjche wie im Gefechte richtig zu Ienfen. — Man muß zugejtehen, 
daß dieje Definitionen jehr gut find und im wejentlichen der heutigen Wiſſenſchaft 
entjprehen. Das von Leo der Strategie zugewiejene Gebiet iſt durchaus das 
des Feldherrn und feines „großen Generaljtabs”. Der Begriff der Logiſtit, 
welcher im 18. Ihdt. gäng und gäbe war, ijt allerdings gegenwärtig feine übliche 
Schuldefinition. Die der Logiſtik von Leo zugeteilten Aufgaben beſtehen aber 
natürlid) fort u. zw. als Tätigfeitöfreije teil des Kriegaminifteriums und der 
Intendantur, teils als jolde der Generale und Quartiermeifterftäbe. Die Auf— 
gaben endlich, weldye Leo der Taktik jtellt, find ja nod heute ganz biejelben ; 
nur ift es auffallend, daß der Bafileus au die Übung in Truppenverwendung 
und Truppenbewegung als einen befonderen Zweig der Taktik behandelt. — Erläute- 
rungen ber Begriffe: Land- und Seekrieg, Streitbare und Nichtftreitbare, Fußvolk 
und Reiterei, jchließen das 1. Inftitut, das durch Leos Feititelung der großen 
friegöwijienichaftlihen Kategorien in einer noch nad) taujend Jahren wejentlich 
gültigen und lebendigen Weije wohl als der merkwürdigſte Abjchnitt de ganzen 
Werkes erjcheint, zumal unter vergleihender Heranziehung des Schluhfapitels. 


Das 2. und 3. Injtitut bejchäftigen fich mit der Berjönlich- 
feit und den jtrategijchen Aufgaben des Feldherrn und feiner 
Ratgeber. 


Merkwürdig find die treffenden Worte, in denen Leo die Eigenſchaften 
zufammenfaßt, welche ein Feldherr beſitzen ſoll. Der Strategos foll ger 
fund, feujh, mäßig in Speije und Tranf, einfach, vorjihtig und Mug, ehrlich 
und ein Verächter des Geldes jein, nicht zu jung, nicht zu alt, aber ein Water 
guter Kinder. Er muß es verjtehen, aus dem Stegreif treffend und elegant zu 
ſprechen; mit vornehmer Dentweije und volllommener Uneigennügigfeit ſoll er 
menjchenfreundliden Sinn und Großmut verbinden und womöglid aud von 
guter Herkunft jein. — Man fieht: es find jittliche Forderungen, welche Leo 
jtellt, und es erjcheint da8 um jo merkwürdiger, als er jelbjt ganz und gar nicht 
der Dann war, denfelben auch nur im entfernteften zu entiprechen; aber er folgt 
dabei der antiken Tradition, welche jtet$ von der Überzeugung ausging, daß es 
vor allem der Charakter jei, was den Wert eıne® Mannes und niht zum 
mindejten auch den des Feldherrn bedinge. Endlich verweift Leo auf die Hilfe 
Gottes, der mit frommem Zutrauen entgegengejehen werden müſſe. „VBergebeng 
wendet ein Steuermann, wie gelehrt er auch jei, alle Mittel feiner Kunſt an, 
wenn der Wind ihm durhaus entgegenjteht. Iſt ihm aber nur ein einziger 
Hauch günjtig, jo wird er ihn dankbar und Mug benußen und feines Schiffes 
Lauf mit ruhiger Sicherheit fördern“. 

Im 3. Injtitute handelt Leo vom Kriegsrate!). „ES geſchieht jelten, 
da man in einer Sade, die man allein durchdenkt, zu fehlerfreiem Schluſſe 


1) Im laurentinifchen Codex ift dies JInftitut das vierte, und als jolches hat 8 au Meurjius 
1612 herausgegeben. Da es jedoch in engem Anſchluß an das Inftitut vom Feldherrn geichrieben ift, 
haben e8 die Kommentatoren Joly de Maizeron und Bourſcheidt mit Recht por das Inſtitut De 
divisione exercitus et praefectis constituendis geichoben. 


2. Die Mititärfchriftiteller vom 10. bis 12. Jahrhundert. 163 


fommt.“ Aber man muß der Berjhwiegenheit feiner Ratsgenofien völlig ficher 
jein und daher nur ehrliche und unabhängige Männer um ihre Meinung fragen, 
und ſelbſt ſolche joll man nicht merken laflen, für welchen Vorſchlag man fich 
entiheide. Erjt im Augenblide der Ausführung lajje der Befehl den Willen des 
Feldherrn erkennen. „Entſchlüſſe faßt nur nad) jorgjamjter Erwägung, falls euch 
nicht die Umftände drängen; habt ihr aber einmal einen Entihluß gefaßt, jo 
führt ihm jchnell und entichieden aus!“ Das it Moltkes Wahlſpruch: „Erit 
wägen, dann wagen!“ a die Erläuterung, welche Leo jenem Satze im 
X. Inſtitute gibt, erinnert noch unmittelbarer an die Devije des großen deutfchen 
Strategen; denn er jagt: „Bei der Erwägung eines Entwurfed behandelt eueren 
eigenen Gedanken mit Mißtrauen; doch Habt ihr euch einmal entichlojien, ſo 
ſchwankt und zaudert nicht, weil euch nachträglich noch dies und jenes bedenklich 
iheint. Eine allzu ängjtliche Klugheit ift ſchädliche Schwäche” !). 

Die Injtitute 4 bis 11 faſſen die Aufgaben der Logiſtik 
ms Auge u. zw. zunächſt (4—8) diejenigen, welche fich auf die Vor- 
bereitung des Heeres zum Kriege beziehen, und dann (9—11) die: 
jenigen, welche der taftiichen Seite der Logiſtik zugewendet find, nämlich 
Marſch- und Quartierweſen. 

Das 4. Inſtitut, das von der Heeresorganiſation handelt, folgt in 
den Grundjägen wejentlid) der Auffajjung Onejanders [A. $ 28]. Die Befehlös 
ordnung entjpridht ganz den von Maurikios [$ 5] dreihundert Jahre früher ges 
gebenen Normen — ein merfwürdiges Zeichen der Stabilität der byzantinijchen 
Verwaltungßeinrihtungen (oder ein Zeichen, daß die Kritiker, welche das Stra- 
tegiton ins 9. Ihdt. ſetzen wollen, vielleicht recht haben). Jene Gleichartigfeit tritt 
auch in den taftifhen Formationen hervor. Wie bei Maurikios (XII, 8) ift 
bei Leo dad Tagma die Evolutionseinheit der Bhalanz, und die Normalftärke der 
letzteren iſt wie bei Asklepiodotos (II, 7), wie bei Wiliano® (VIIT) und bei Mau: 
tifio® (XII, 8) noch getreuli zu 16384 Mann veranjcdlagt [A.$ 41]. Auf: 
fallend erjcheint es, daß die Stärke der Banden, Merien und Turmen der Reiterei 
ganz ebenjo groß angenommen wird wie die der Tagmen, Merien und Turmen 
des Fußvolkes, ein Anzeichen dafür, daß die beiden Waffen ungefähr gleich ftart 
im Heere vertreten gewejen jein werden. Gleich Maurikios empfiehlt auch Leo, die 
Reiterei womöglich 10 Pferde tief zu jtellen (VII, 59). 

Dad 5. und 6. Inſtitut reden von der Bewaffnung des Heeres und 
iind großenteild dem 1. Kapitel des I. Buches des Maurikiod wörtlih entlehnt. 
Hauptwafle ijt nad) wie vor der Bogen, der in flaher Ledertaſche über der einen 
Schulter Hangt, während die andere den Köcher trägt. In einer bisher ungedrudten 
jweiten Faſſung der Leoniniſchen Imftitute gibt der Kaijer dem Bogenſchuß das 
außerordentlich weite Maß von 156 Orgyien, d. h. 936 Fuß (XII, 17)%). Man 
jol den Krieger möglichſt jhmüden; „glänzende Rüſtung wedt de3 Mannes Mut 
und jchredt den Feind!” — Nah) der Bewaffnung zerfällt das Fußvolk in Hop— 

1) Ganz Ähnlich rät Montecuccoli: »Consulti adagio e tosto essequiscasi!- (I, 3.) 

7, Bgl. Büricher Beftionsfatalog 1854/55 ©. 15. 

11* 


164 Mittelalter. I. Die Byzantiner. 


liten und Pſiliten. Jene find jchwer gerüſtet und führen neben dem Bogen den 
Langſpieß; diefe führen, leichtgerüftet, nur Fernwaffen und Streitart. — Aus 
führlich fegt der Bafileus die antife Bewaffnung der Hellenen auseinander. Der 
Langſpieß feiner eigenen Zeit ift aber nicht mehr die antike Sarifa, jondern über: 
ragt die Krieger nur um etwa einen Zub. „Wir brauden“, jo jagt er, „eine 
Waffe, die leicht zu handhaben ift und in richtigem Verhältnis zu den Kräften 
des Mannes fieht*. Es entipricht das der in den Heeren der Karlinger üblichen 
Augrüftung. 

Das 7. Inftitut ift den Truppenübungen gewidmet. Es empfiehlt 
Gefehtämandver in zwei Parteien mit ftumpfen Waffen und legt befonderen Nach— 
drud auf Übungen der Reiterei auch im durchſchnittenen Gelände. Die einzu 
übende Elementartaktik ift hinſichtlich des Fußvolkes dem Aelian, hinſichtlich der 
Neiterei dem Maurikios entlehnt. 

Das kurze 8. Inftitut fpridt vom Kriegsrecht, indem es die Ver— 
brechen der Untreue, deö Ungehoriams, ded Verrats, des Raubes und der Feigheit 
fowie die dafür zu erfennenden Strafen abhandelt. Es fuht ganz auf den Kriegs— 
artiteln im I. Buche des Maurifios. Merkwürdig erfcheint es, daß feldflüchtige 
Truppenteile „dezimiert“ werden jollen, wobei jedod) Verwundete, die etwa das 
208 träfe, zu verjchonen feiern. Der Verluft einer Fahne wird für jchändend 
erklärt, fall8 er zu vermeiden geweſen wäre. 

Im 9. und 10. Inftitute redet Leo von den Märjchen und 


vom Troſſe. 

Das Inftitut von den Märjchen ift gut gejchrieben und verhältnismäßig 
jelbftändig; es übertrifft das betreffende 9. Kapitel de8 Maurikios namhaft an 
Wert. Große Bedeutung mißt Leo der Erhaltung der Marſchdisziplin bei, die 
allerdings nur zu bewahren jei, wenn die Zufuhr durdaus fiher und regelrecht 
erfolge. In Feindesland freilich müſſe man unter Umftänden das Land ver— 
wüſten und jedenfall® joviel wie möglich von den Vorräten ded Gegners zehren. 
— Der Heerführer joll immer an der Spitze der Kolonnen, jein Gepäd immer 
das legte im ganzen Train fein. Große Sorgfalt iſt beim Durchſchreiten der 
Päſſe nötig; an gefährlichen Stellen hat der Feldherr auszuharren bis das ganze 
Heer defiliert ift. Requifitionen und Fouragierungen jollen ftet3 in wohlgeord- 
neten Scharen ftattfinden. Beim eigentlihen Marjche ift ſcharf auf die Abjtände 
der Truppenteile zu Halten, um fofort die Schladhtordnung herjtellen zu können. 
Man marjchiere in jo breiter Front als möglid und vermeide Engmwege, wo es 
nur irgend angeht. Die befte Ordnung für den Kriegsmarſch iſt die im läng- 
lien Biered. Sehr gefährlicd find Nachtmärſche, zumal in coupiertem Gelände. 
Durd dichte Wälder find Kolonnenmwege von 16 Mann Frontbreite (Tagmenfront) 
zu Ichlagen. Gegen einen überlegenen Verfolger fol man alles Hornvieh und 
alle Kriegögefangenen parweis zujammengefejjellt vortreiben,; fie werden wie ein 
Schild wirkten und Vorſprung gewinnen lafjen. Iſt man völlig eingejchlofien, jo 
töte man die mitgeführten Gefangenen und jchlage ſich mit zufammengenommenen 
Kräften durh. Zur Marjhdedung WVorhut, Nachhut, Seitenficherung) find je 
nady der Natur des Geländes verjchiedene Waffen zu wählen: in der offenen 


2. Die Militärfchriftiteller vom 10. bis 12. Jahrhundert. 165 


Ebene Reiter und Bogner, in durcjchnittenem Gelände Bogner und Spießer, 
im Walde Speerfhügen. Eine Hauptjahe ift gute Übung der Aufmärjche zum 
Gefeht auf Kommando oder Pojaunenfignal. — Dad Jnjtitut vom Troſſe 
(reidv) ift 3. T. Wiederholung von des Ailianos Kap. XXXIX. Wer dem Feinde 
eine Schlacht zu liefern denkt, der joll den Troß (Habjeligkeiten, Knechte, Weiber, 
Kinder) nicht mit fich führen. „Die Furcht, das Liebjte zu verlieren, jchlägt den 
Menihen nieder“. Nur das Kleinere Gepäd (vayuagıa) folge dem Heere bis dicht 
an den Feind, aber aud nicht bis ins Gefecht; vielmehr bleibe dies im lepten 
Lager zurück. Eine Relaiskette verbinde e8 mit dem fümpfenden Heere, damit der 
Bagenmeifter aufs fchleunigite, je nad) dem Gang der Schladt, injtruiert werden 
tönne, wohin das Gepäd zu führen jei. Streifzüge nehmen nur Padpferde mit, 
welche doppelte Ledertaſchen und die Zelte tragen. 

Das 11. Injtitut handelt von den Feldlagern, ijt wejentlic) 
dem XI. Buche des Maurifios entlehnt und entipricht noch ganz 


dem altrömischen Syjteme. 

Auf Krieggmärjhen foll jedes Lager, auch dad nur für eine Nacht bes 
jtimmte, befejtigt werden. Als Grundrig wird das längliche Viered empfohlen; 
doh habe man ſich nad) dem Gelände zu richten. Das Lager joll zunächſt mit 
den Gepädwagen umgeben werden; dann ijt außerhalb ein Graben auszuheben 
und der Boden einwärts zur Brujtwehr aufzumwerfen. Bor den Graben legt man 
Bolfsgruben und Fußangeln. Gejftattet der Untergrund oder die. verfügbare 
Zeit das Ausheben eines Grabens nicht, jo ijt das Lager durch mitgeführte Igel— 
balfen zu ſchützeny. Die Umfaffung erhält 4 Haupttore, auf welde die Haupt- 
fagergafien münden. Unmittelbar hinter der Wagenburg liegen die Zelte der mit 
Fernwaffen ausgerüjteten Truppen, und zwijchen dieſen Zelten und denen der 
Hopliten bleibt ein Zwijhenraun von 300 bis 400 Schritten, damit die Schwer: 
gerüjteten nicht von feindlichen Pfeilen beläjtigt werden fünnen. Ganz in der 
Mitte lagert die Reiterei. — Nah dem Nachtmahl erfolgt das Zeichen zum Abend» 
gebet; dann hat völlige Ruhe zu herrichen und dürfen die Tore nicht mehr pajjiert 
werden. — Ein größerer Angriff ijt nit im Lager abzuwarten, jondern man 
tut gut, wenn man ſich irgend ſtark genug dazu fühlt, dem Feinde entgegenzu- 
gehen. Ratſam ijt ed, dabei dem Heere den Rüden dur die Wagenburg 
zu deden‘; die dann mit Geſchütz auszurüften iſt. 

Nachdem Leo die jtrategijchen und logijtiichen Elemente erläutert 
hat, widmet er vier Inſtitute der Betrachtung der Schladten- 
taktit (12—15). 

Der dem eigentlichen Kampfe abholde Baſileus traut der Einſicht des Feld— 
bern zu, daß diejer ſich auf feine Schlacht einlafjen werde, jolange eine ſolche nicht 
geradezu unvermeidlich fei (!). Wenn died aber der Fall, jo fjolle man aud 
einem überlegenen Feinde gegenüber nicht verzweifeln. Man ziehe zur Schladt 
alle irgendwie verfügbaren Truppen heran. Man ftelle jein Heer nicht in einem 


!) Leo nennt biefe Sperrbalten roFoloı (Dreifühe) und empfiehlt ihren Gebrauch als Ballifaden 
in holzarmen Gegenden. Es find die xurrdve; des Urbicius (8 2). 





166 Mittelalter. I. Die Byzantiner. 


Treffen auf, jondern mindejtens in zweien, um der großen Vorteile zu geniehen, 
welche aus der Unterftügung der Treffen entipringen und aus den Flanfierungs 
bewegungen, die fi mit Truppen ausführen lafien, welche man aus der Tiefe 
bervorzieht. — Shlahtordnungen gibt Leo zwei: die eine für ein lediglich 
aus Reiterei beitehendes Heer, wie es in den Kriegen jeiner Zeit nicht jelten 
aufgetreten zu fein jcheint; die andere für ein aus gemifchten Waffen beftehendes 
Heer. — Das 1. Trefien der Reiterjhlahtordnung jet er aus leichter und 
ihwerer Kavallerie (Kurjoren und Defenjoren; vgl. 85) zujammen. Seitwärts 
rüdwärts des linken Flügels diejes Treffens hält eine Abteilung jchwerer Kavallerie, 
die „Seitenwächter“ (nAayıogriaxes), zum Schutze gegen Überflügelung, während 
ein Geihwader leichter Reiterei jeitwärts rüdwärts des rechten Flügels angeordnet 
ijt, um als „Überflügler* (vrregxepaores oder cornistes) dem Feinde, welcher an- 
rückt, in die Flanke zu fallen. Auch hinter den Flügeln des zweiten Trefiens find 
ſolche abgejonderte Abteilungen aufgeftellt: die „Rückenbewahrer“ (vwrogpudazss). 
Endlid wird als 3. Trefien eine Generalrejerve zurüdbehalten, um je nach Um: 
jtänden überraſchend auf eine der Flanken de3 Gegners geworfen zu werden. Das 
find die „Hinterliftner” (evedgos). — In der Ehladtordnung der ver— 
bundenen Waffen jteht die Reiterei auf beiden Flügeln der Phalanx, welde 
ihrerjeitö in zwei Treffen, jedes 16 Mann tief, angeordnet ift. Zwijchen den ver: 
ſchiedenen Frontabteilungen befinden ſich die Geihüge. Die Wagenburg wird zur 
Dedung einer der Flanken oder des Rückens benugt; die Pfiliten ſchwärmen vor 
der Front. — Die Reiterjhladhtordnung iſt wejentlicd der des Maurifios (II, 1) 
nachgebildet; die gemiſchte Schlahtordnung aber ftellt ſich als alte, nur wenig 
abgemwandeltes Erbe der Zeit der Diadochen Aleranders des Großen dar. 

Die Inſtitute 13 bis 15 schreiben das Verhalten vor, 
während und nad) der Schladht vor?). 

Tags vorher werden die Feldzeihen eingejegnet, die Truppen haranguiert 
und die Feinde ausgejpäht. Angemeſſen ijt es oft, einen beftimmten Teil der 
Front durd Wolfsgruben und Fußangeln unzugänglid zu maden. Mit aller 
Entjchiedenheit rät Leo, den Angriff auf des Feindes Flanke zu richten, u. zw. nur 
auf eine Flanke; er plädiert aljo für die jchiefe Schlahtordnung. Mittel zur 
Flanfierung, rejp. Überflügelung des Feindes gewährt die Stellung in mehreren 
Treffen; doch fann man aud von vornherein verdedte Entjendungen in Flanke 
oder Rüden de Feindes vornehmen. Den Aufmarſch des Heeres follen vor: 
geſchobene Truppen verichleiern. Hinter jeder Abteilung jollen berittene Kranken— 
träger halten, um die Verwundeten zurüdzujhaflen. Der Vormarſch gejchieht mit 
dem Schladhtrufe „Sieg des Kreuzes!“ und unter den Liedern der bei den Truppen 
beftellten Sänger (zarraropes). Nach erfochtenem Siege danke man Gott, belohne 
und bejtrafe Einzelne wie ganze Truppenteile und bejtatte die Gefallenen. Ge: 
fangene jollen weder getötet noch verjtümmelt werden. Der Sieger hüte ſich vor 


1) Im Gob. Laur. und bei Meurfius ift das Inititut de excursionibus post bellum erit 
das jechzehnte, das de obsidione das fünizehnte. Dies ift narürlich eine Berftellung, da ſich das 
Kapitel von dem Verhalten nad der Schlacht als unmittelbares Gegenftüd des 13. Inftitutes de die 
ante bellum barftellt. 


2. Die Militärfchriftfteller vom 10. biß 12. Jahrhundert. 167 


allzugroßer Sicherheit. „Mibtrauen ijt der Vater des Erfolges“ !), Daher vers 
meide man auch nad) dem Siege eine Zeriplitterung des Heeres durch allzuviele 
Streifparteien. 

Das 16. Inſtitut Handelt vom Feſtungs- und Bes 
lagerungsfrtiege. 

Die jehr kurze Abhandlung vermweijt hinſichtlich der techniihen Einzelheiten 
auf Werke anderer Berfafjer, doch ohne diejelben namhaft zu maden. Übrigens bietet 
fie manche gute Geſichtspunkte. Wo Ausſicht vorhanden, mit bloßer Blodade zum 
Ziele zu fommen, lafje man fi nicht auf den förmlichen Angriff ein. Kleine, 
ausreihend verproviantierte, durch ihre Lage jehr jtarte Pläpe find dadurch zu 
überwinden, dab man die geringe Bejagung niemal3 zur Ruhe fommen läßt, 
jo dak die Garnifon zwar nicht ihre Lebensmittel, wohl aber ihre Lebenskräfte 
aufzehrt. Großen Wert legt Leo bei der für das byzantiniſche Reich jo widjtigen 
Örenzverteidigung auf die Anlage proviſoriſch befeftigter Poften. Dies führt natur- 
gemäß hinüber zum 

17. Inſtitut, welches vom fleinen Kriege, msbejondere 
vom Örenzfriege jpricht. 

Der Kaifer gibt Hier die Mittel an, den häufigen Einfällen plündernder 
Reiterftämme zu begegnen, die das Reich jo oft heimjuchten. Dies Kapitel ijt eines 
der beitgefchriebenen, bejtgeordneten des ganzen Werkes. Die Fugen Anweijungen 
für das Verhalten jo flüchtigen Yeinden gegenüber, namentlid die Direktive für 
Überfälle find wertvoll und finden ſich bei feinem der früheren Schriftfteller, aud) 
bei Vegetius nicht, dem andere Teile des Inſtituts offenbar entlehnt jind. Aud) 
Maurifios ijt benupt; feinem 9. Kapitel entjtammt 3. B. die gar nicht in den 
Zufammenhang gehörige Berechnung des Raumes für eine Maſſe von 300 000 Pferden. 

Das 18. Institut bejchäftigt fic) mit der Kriegsweiſe der 
Feinde des Reiches. 

Es geht der Reihe nad) die Türken, Bulgaren, Franken, Siaven und Sara= 
jenen (Araber) durd. Leos Hußerungen über die Türken enthalten dasfelbe, was 
Maeurifios (XI) über die Avaren jagt. Sonjt weichen Leos Angaben wenig von 
denen feines Vorgängers ab. Die interefjanten Mitteilungen über das Kriegs— 
weſen der Sarazenen bilden noch jet eine der beiten Quellen unjerer Kenntnis 
von den arabijchen Kriegsaltertümern ®). 

Das 19. Inſtitut iſt dem Seefriege gewidmet und von großer 
geihichtlicher Bedeutung ?). 

Die Seemadjt des Reiches zerfiel in zwei Teile: die faijerliche Flotte (ro 
Basıkırov nAcnuor) und die von den Provinzen oder Thematen gejtellte Flotte 
10 Heuarıxov rchuov). Die kaijerliche Flotte bejtand aus „Dromonen“ von ver— 


) Ühnlih nennt Friedrich d. ®r : La mere des succes la sage meflance (Art de la 
Zuerre V). 

8 Bol. v. Kremer: Culturgeſch. des Orients unter den Ghalifen I, (Wien 1875), ©. 222. 

) Beſte Wiedergabe dieſes Kapitel in Gfrörers Byzantiniſchen Studien II (Graz 1873, 
€. 49-435), 


168 Mittelalter. I. Die Byzantiner. 


ſchiedener Größe: Einruderreihenfhiffe oder Zweiruderreihenjhiffe u. zw. folche mit 
100 und jolde mit 200 Ruderern. Unter den Zeritörungsmitteln des Seekrieges 
nennt Leo vor allem dad „Kunjtfeuer“ [$ 6), welches mit Donner und feurigem 
Rauche (vera Aporrns xai xanvov noontgov) aus ehernen Röhren (sipo») her: 
vorgeht und die Schiffe, auf die es gejchleudert wird, in Brand jtedt. Dies iſt 
wohl die interefiantejte Stelle, welche bezüglich des vielgenannten „griechijchen 
Feuers“ erhalten ift, weil ſie am meijten auf einen dem Schießpulver gleihenden 
Treibjag (Ausjtogladung) deutet, während andere Angaben desjelben Leonini: 
ihen Injtitutes® nur auf Brandſätze jchließen lajjen!)., Ohne Treibjag wären 
namentlich die hinter den Schilden zu verdedenden Handiyphonen (zepooipuwa), 
mit denen der Kaijer die Schiffsjoldaten auszurüjten heit, garnicht zu erflären. „Wir 
jelbt lafjen fie von verſchwiegenen Werkmeiſtern verfertigen, und jie enthalten 
den ung allein befannten fünftlihen Satz.“ Die Brandjäge wurden offenbar mit 
den von alter8 her üblihen Wurfmaſchinen geichleudert. Daneben aber gab es 
eben jene Raketen, welche teil® von fejten Gejtellen (dem erzüberzogenen Rohren) 
abgeſchoſſen, teils als Handrohre losgelaſſen wurden.) 

Das 20. Inſtitut enthält eine Sammlung von Maximen 
und Lehrjägen, die Leo meijt älteren Schriftitellern entlehnt 
hat. Biele davon jind vecht gut; andere erjcheinen uns als bloße 
Gemeinpläße. 

Den Beichlug des Werkes bildet eine Nefapitulattion. 

Dies ift der Inhalt der ITaoadovıg rwv &v srok£uoıg rarrızar. — 
Sleichgültig ob der Bajileus jelbjt Redaktor diejer Arbeit war oder 
ob jie auf jeinen Befehl von Leo Magiftros zujammengejtellt wurde ?) — 
fie gibt die Summe des militäriichen Wiſſens, das fic) aus dem Alter: 
tum bis in das 10. Ihdt. gerettet hatte. Das Werf jteht genau in 
der Mitte zwijchen dem 5. und dem 15. Ihdt., und da das Mittel: 
alter feine zweite kriegswiſſenſchaftliche Leiſtung von gleicher metho- 
diſcher Tüchtigkeit und gleichem Reichtum des Inhalts hervorgebracht 
hat, jo darf man Leos „jummarische Überficht der Kriegskunſt“ als 
den militärwifjenschaftlichen Höhepunkt jenes Zeitraums überhaupt 
bezeichnen. Allerdings, diejer Hohe Rang wird in doppelter Weiſe beein- 
trächtigt! Erjtlich it das Werk feine eigentliche Driginalarbeit, jondern 
großenteils ein Konglomerat aus älteren Schriftjtellern ; dann aber tjt aud) 
der hijtorischsetynographiiche Horizont desjelben verhältnismäßig eng. 
Der Hauptjache nach behandelt Leo lediglich das überfommene Erbe 
der mafedonischerömischen Kriegskunft, und wenn er auch im 18. Inſtitute 


I) Bol. Jähns: Handbuch einer Geich. des Kriegsweſens (Leipzig 1880) ©. Sul. 
?) Append. ad Constantini libri I de caerim. aulae byzant. p. 456 sq. Bonn. 


2. Die Militärjchriftiteleer vom 10. bis 12. Jahrhundert. 169 


die Kriegsweiſe feiner Feinde zu erläutern jucht, jo geichteht das doc) 
nur hinfichtlich der Morgenländer mit einiger Ausführlichkeit. Darin aber 
liegt jene Einjeitigfett, welche für ung den Wert der Leoniſchen Arbeit 
jo wejentlich vermindert. Mafgebende Berührungen mit dem auf 
germanticheromantjchen Grundlagen neu entwidelten Weiten hatten 
den Byzantinern bis auf Leos Zeit gefehlt; der Geiſt des occidentalen 
Kriegsweiens war auf ihren Vorſtellungskreis noch ohne Einfluß; 
mit einem Worte: das Werk tft eben vor den Kreuzzügen gejchrieben. 
Man muß beflagen, dab feine ähnliche Arbeit aus dem 12. oder 
13. Ihdt., aus der Zeit Manuels I. oder des lateiniſchen Katjertums, 
überblieben ift. Doch ift damals etwas Ähnliches wohl überhaupt 
nicht entitanden; denn die gewaltjame Erjchütterung des oſtrömiſchen 
Lebens durch die Kreuzzüge verjchüttete die Brunnen der Wiſſenſchaft. 
Das Werf Leos hat möglicherweije auf die Taftif der deutjchen 
Ottonen eingewirkt, dagegen in der Renaiffancezeit auf die Ideen der 
Begründer de3 modernen Kriegsweſens feinen Einfluß ausgeübt. 


Zuerſt erſchien nicht der Originaltert, fondern eine geringwertige, lateinijche 
Überjegung (Bafel 1554), welche John Cheke (Checus) von Cambridge hergeftellt 
und dem König Henry VIII gewidmet hatte. Ihr folgte eine italienifche Über: 
ſezung von Bigafetta unter dem Titel: Leone Imperatore. Dello schierare 
in ordinanza gli eserciti (Venedig 1586). Erſt 1612 gab de Meurs (Meurfius) 
den Originaltext heraus und fügte demjelben auf Wunfc des Prinzen von Naſſau— 
Dranien die lateinische Überjegung des Checus bei. In demjelben Jahre 1612 er- 
ihien eine neue Auflage von Pigafettad Übertragung (Leyden 1612) und eine neue 
italienische Überſetzung von Andrea u. d. T.: Degli ordini e governo della 
guerra con la vita del Imperatore Leone (Neapel). — Dieje verjchiedenen 
Übertragungen in die italienijhe Sprache madten nun aud) italieniiche Kriegs- 
leute auf das Werk aufmerkſam. Im Jahre 1652 veröffentlihte Majolino 
Sensi civili sopra la tatica di Leone imperadore (Venedig); der ausgezeichnetite 
Fahmann jedoch, auf den fie gewirkt, ift Fürft Raimund Montecuccoli, der 
in jeinen »Memorie«e die Inſtitute Leos nicht jelten citiert und noch häufiger 
daraphrafier. Im Jahre 1745 gab Lami zu Florenz die gejammelten Werte 
des Meurfius heraus und veröffentlichte bei diefer Gelegenheit im 6. Bande aber: 
mals ſowohl den griechiſchen Tert als die Übertragung I. Chekes, u. zw. nad) ſorg— 
fältigem Vergleiche mit dem medicäiichen oder jowie unter Hinzufügung des bis 
dahin fehlenden Kapitels Quomodo adversus Sarazenos pugnare opporteat. 
Diefe Ausgabe ift die beſte. Sie führt den Titel: Leonis Imp. Tactica sive 
de re militari liber. Joannes Meursius graece primus vulgavit et Notas 
addidit. Jo. Lamius ex absolutissimo Codice Laurentiano mutilum supple, 
vit atque restituit. — Endlich wurde dad Werf aud) in die Mathematicorum 
veterum opera (Bari® 1693) aufgenommen, in die es eigentlich gar nicht gehört. 


170 Mittelalter. I. Die Buzantiner. 


Im Jahre 1771 erſchien zu Paris die franzöfifche Überfegung des Oberften 
Joly de Maizeroy u. d. T.: Institutions Militaires de l’Eiwpereur Leon 
le Philosophe, avec des notes et des observations, suivies d’une disser- 
tation sur le feu gregeois et d’un trait& sur les machines de jet des an- 
ciens«. Es ijt das eine ganz vortreffliche Arbeit, präzis, einfichtig und formvoll. 
Sie wurde dad Vorbild einer deutichen Übertragung, welche von 1777 bis 1781 
zu Wien in fünf Bänden u. zw. anfangs anonym herausfam; erjt ipäter nannte 
fih der Autor: J. W. von Bourfcheidt. Der leonijche Tert iſt bei weiten 
weniger treu wiedergegeben als von Joly de Maizeroy; ja es jcheint, ald ob 
Bourjcheidt jich überhaupt gar nicht auf das Original, jondern nur auf die fran- 
zöſiſche Überſetzung ſtütze; dennoch aber iſt dies Werk, welches den Titel „Kaiſers 
Leo des Philoſophen Strategie und Taktik“ führt, von Wert u. zw. durch ſeine 
Exkurſe. Es ift eine der inhaltreichſten Arbeiten, welche nad Friedrichs des 
Großen militäriſchen Werten in der zweiten Hälfte des 18. Ihdts. über die Kriegs— 
kunst gejchrieben wurden, doppelt interefjant, weil ihr Verfaſſer ein Öfterreicher 
ift, aljo nicht unmittelbar der friedericianiſchen Schule angehört. 

Niemand hat ſich begeifterter über die Inftitutionen Leos ausgeſprochen als der 
Fürſt v. Ligne. Er nennt fie ein „unfterblihes Bud“ (Catalogue rais. 1505). 
Schon die Vorrede entzüdt ihn fürmlid. »Il n'y a jamais eu qu’un seul 
Souverain«, jo ruft er aus »qui ait écrit comme cela, et ses Instructions 
ä ses Generaux ne peuvent être compardes qu'àâà cette ouvrage icie. Ich 
weiß nicht, ob Friedrid; dem Großen durch dieje Zujammenftellung nicht doc) zu 
nahe getreten wird. Indes, der Fürſt verjucht fein Urteil zu begründen. »Ces 
deux Princes«, meint er, »ont tout prevu, et ce n'est que comme cela qu’ils 
sont les images de Dieu sur la terre. Les autres les repr&sentent bien 
male. — Sa, de Ligne geht nod) weiter: »Ces deux ouvrages sont sup6rieurs 
à celui de la troisitme tête couronnde de me£rite, c'est à dire à Cesar. 
Les Commentaires «donnent des exemples, mais jamais des preceptes. 
Tout ceci peut encore se suivre à merveille... J’ai, en verite, pour 
l’Empereur L&on la plus haute consideration«, 


An einigen Stellen jenes Werkes bezieht der Baſileus fich in leider 
unbejtimmten Ausdrüden auf noch andere militäriſche Schriften 
aus jeiner Feder, welche daher die Gelehrten aufzufinden, bzw. 
jeitzuftellen bemüht find. So gab Joh. Alb. Fabricius in jemer 
Bibliotheca graeca ein Fragment vom Seewejen unter dem Titel 
Leonis Naumachia sive potius supplementum capitis XIX Tacti- 
corum heraus (Bibl. graec. 1720. t. V. p. 372). Dann zeigte ſich 
Bandini geneigt, dem Leo die 12 Bücher der Problemata 
militaria zuzujchreiben, welche in der großen Florentiner Taktiker— 
Handjchrift unmittelbar vor den Inftitutionen jtehen?). Haaje pflichtete 


») Epistola de celeberrimo codici tacticorum bibl. Laurent. (Florenz 1766.) 


2. Die Militärfchriftiteller vom 10. bis 12. Jahrhundert. 171 


dieſer Anficht beit), und der Berner Profefjor Müller wies darauf 
hin, daß auch der Berner Coder der Taftifer (ehemals Cod. Bongarsii) 
jene Broblemata enthalte?). Endlich trat Köchly Bandinis Auffafjung 
bei und gab einige Abjchnitte der PBroblemata, griechiich, in der ur: 
jprünglichen Schreibweife und ohne Erläuterungen heraus?). Dieje 
Selecta quadem ex ineditis Leonis tacticis capita bringen 9 Kapitel 
vom Kriegswejen der Alten und 5, welche jich auf die wichtigjten 
Srundjäge der byzantinischen Kriegskunſt beziehen. 

Ad. Aufjtellung des Fußvolkes, der-Reiterei und eines gemijchten Heeres. 
Kriegdamtöbezeihnungen bei den Alten. Benennung der Seereöbewegungen. 
Formen der Phalanx. Tiefe und Breite der Truppenaufjtellungen; Raum, den 
fie erfordern; Abjtände. Über das Bogenſchießen. 

Ad 2. Bewaflnung des Fußvolkes und der Reiterei (2 Kapitel, die wegen 
ihrer jchlichten Kürze den Kapiteln 30—39 des VI. Inſtituts des Hauptwerkes vor— 
zuziehen find). Was hat der Belagerte zu tun? Was der Belagerer? Wie legt 
man, ohne Aufjehen zu erregen, jchnel einen befejtigten Grenzpoften an? 

Die Problemata entjprechen dem Hauptwerfe teilweije wörtlich; 
z. X. weichen fie aber auch jehr wejentlich ab, weil der zujammen- 
bangende Tert der Inititutionen bier in emzelne Paragraphen oder 
auch in Frage und Antwort aufgelöit iſt. 


89. 

Das mafedonijche Katjerhaus zeichnet jich durch literarijche Nei— 
gungen aus. Schon der niedrig geborene Bafilios I. entwarf für 
jeinen Nachfolger eine noch erhaltene, kurzgefaßte „Regierungskunſt“. 
Diefer Thronfolger jelbjt, Leo VI., hat außer den militärischen auch 
noch theologijche Gegenjtände bearbeitet. Beide übertraf der Enfel, 
Konftantinos VII. Porphyrogennetos (dev Burpurgeborene), welcher 
den Thron von 912 bi8 959 inne hatte. Er muß emen großen 
Teil jeines Lebens den Studien gewidmet haben, und nod) jeßt 
zeugen umfangreiche, wenn auch freilich geiltloje Schriften von feinem 
Bienenfleiget). 

Unter den Werfen Konjtantins, welche militäriſches Interejie 
erregen, jteht in erjter Reihe jein Taktikon (Bıßktov raxrınöv, zrüg 





ı) al, Jahrb. f. Philologie und Päbagogif I, ©. 88. 

», (Ebd. IV, Supplementband, Leipzig 1836, 1. Heit. 

», In den beiden Indices lectionum in literarum Universitate Turicensi. Zürich 1854. 

*, ®gl. Lebeau: Histoire du Bas-Empire. Ausg. von Et. Martin (Paris 1836). Siehe 
beionder# ©. 328 und 392 ff. 


112 Mittelalter. I. Die Byzantiner. 


öpellovovv 01 zara yıv ve nal ara Yaharravy uayouevoı srohgueiv 
örreg Eunygaııe Kovoravrivog Baoıkeus 6 rov “Pwuavou viög). 

Hirſch hat nachzuweiſen verjucht, dab dies Werk, ein wertloſes Plagiat aus 
Leos VI. Inſtituten, nicht von Konjtantin VII. herrühre, fondern von deſſen Entel 
Konjtantin VIII. (1025—1028) 1). Salomon dagegen hält es für viel älter und 
bezeichnet al8 VBerfafjer einen anderen Konjtantin, Sohn des Kaijerd Bafilioß' L, 
welcher im Jahre 868 noch bei Lebzeiten ſeines Vaters den faiferlihen Rang er: 
hielt und 878 ftarb*). Angeſichts folder Kontroverjen halte id mid wieder an 
die Überlieferung. 


Das Buch ift eine Zujammenftellung taktiſcher Vorjchriften mit 
geichichtlichen Erläuterungen aus älteren Kriegsſchriftſtellern. Trotz 
jeine8 jtattlichen Umfanges verdient es feine nähere Berüdjichtigung ; 
denn e3 deckt ſich großenteil3 mit Leos Imjtituten, ohne fie an Wert 
zu erreichen. Noch mehr als Leo wirft Konjtantin Zeiten und Syiteme 
durcheinander, jo daß man oft völlig im Unklaren bleibt, ob es ſich 
um das Kriegswejen ferner Vergangenheit oder um die Regierungszeit 
des Purpurgeborenen jelbjt handelt. 

Ausgabe von Meurjius al® »Liber tacticus quomodo debent qui 
terra marique pugnant bellum gerere« zu Leyden 1617. WReproduziert und 


mit lateinijcher Überjegung verjehen in de Meurd gejammelten von Lamius 
edierten Werten (Florenz 1745, VL)S). . 

Sehr viel fnapper gehalten it Konſtantins Strategifon 
(Froaenyırov sregi EI» dıapöogwv EIvov). Doch /auch dieſe Eleine 
Schrift iſt von geringer Bedeutung; denn jte bietet lediglich eine 
Bujammenftellung aus älterer Literatur über die bei verjchiedenen 
Bölfern — Perjern, Avaren, Türken und Hunnen — übliche Kriegs: 
weile jowie über die Art, fie zu befämpfen, und geht dabei über Das 
von Maurifios (XT) und Leo (XVII) Gebotene nicht hinaus. 

Ausgabe und Reproduktion an derjelben Stelle wie die des Taftifon‘). 

Nicht ohne Friegswiffenjchaftliches Intereſſe jind Drei andere 
Schriften Konftantins: die Statiftif des Kaiſerreichs (De thema- 
tibus), das Werk über Bolitif und Staatsverwaltung und das 
über die Cäremonien. 

. 1) Göttinger Gelehrte Anzeigen 1873, St. 18, ©. 496 ff. 

2) Szäzadok. (Organ ber ungariſchen Hiftorijchen Gejellichaft) 1878. 

») Die Ausgabe des Taktikon ift nicht vollftändig. Nah Haaſes Anficht gehören auch die 
Xraltate de naumachia, de strategematibus und de piratica, welde in einigen alten Sand: 
fchriften dem Purpurgeborenen augeichrieben werden, in das Biblion taftifon. 

4) Val. über Taktikon und Strategifon: Bincent: Notice et extraits de la bibl. du Roi, 


t. XIX, pars 2, p. 848 ff.; Müller: Fragm, hist. Graec. V, prolegg. p. 13, und ®eiher: 
Poliorcötique p. 199, 296. 


2. Die Militärjchriftfteller vom 10, bis 12. Jahrhundert. 173 


Die beiden Bücher regi row Yeuarov (de thematibus oder 
de praefecturis imperii orientalis) fnüpfen eine Art Landes- 
beichreibung an die Einteilung des Reiches in „Themata“ d. h. in 
Milttärbezirfe. Im eriten Teil werden die 17 Themata des Orients, 
im zweiten die 12 Europas verzeichnet. Es iſt ein trocdener und ober: 
flächlicher, geographiich-itatiftiicher Abriß, deſſen geringer Wert jchon 
daraus erhellt, daß er meilt aus dem Suvexdnuog des Hierofles, 
d. h. aus einer Überficht der 64 Eparchien des oftrömijchen Reiches 
abgeschrieben ift, welche 400 Sahre vor der Regierung des Purpur— 
geborenen verfaßt worden war. — In der Einleitung führt Konjtantin 
das Wort éud auf tagma — legio, Standquartier, Militärbezirk, 
Provinz(?)!) zurüd. 

Das 1. Buch der Ieuara erſchien mit lateinifcher Überfegung von Vul— 
canius zu Leyden 1558, das 2. mit lateinifcher Lberfegung von Morel 
zu Paris 1609. Dann gab Meurjius das ganze Werk in Constantini Por- 
phyr. Opera 1617 heraus, Dieſer Edition folgte die in de8 Banduri Impe- 
rium orientale mit Kommentar von de [’YSLe (Paris 1711) und die in des 
Lamius großer Ausgabe der Werke des Meurfius (VI). — Joly de Maize- 
roy gab einen Extrait du livre de Thematibus in feiner Überjegung von 
Leos Taktik (I, 56—0). 

Das Werk zroög rov !dLov viov Pouavov (de administrando 
imperio) hat Konjtantin an jenen Sohn Romanos gerichtet; es joll 
dieſen über die Regierungskunft, insbejondere über die den Friegerijchen 
Nachbarvölfern gegenüber mnezuhaltende Politik belehren. Wohl ent- 
hält die Schrift viel von dem Aberglauben und der Unmijjenheit des 
10. Ihdts., aber doch auch eine Fülle intereffanter Nachrichten über 
Abitammung, Wohnfige, Machtverhältniffe und Gebräuche der Rufjen, 
Betjchenegen, Bulgaren, Türken, Sarazenen, Dalmatiner, Chrowanten, 
Franken und anderer Reichsfeinde, und dieſer Reichtum zum Teil 
originalen Meateriales, der natürlich auch in militärticher Hinficht 
ergibig it, wird von Le Beau als jo bedeutend veranjchlagt, daß er 
dies Werk in gewijjem Sinne mit den Schriften Herodots, Strabong 
und. Ammtans vergleiht. — In friegstechniiher Hinſicht iſt 





1) Bgl. über bie Bücher de Thematibus, bezw. über bie Kriegsverfaſſung des byzantiniſchen 
Raijerreiches: Gibbon: History of the decline and fall of the Roman Empire (2ondon 1782 
bi® 1788, chap. 53). Finlay: History of the Byzantine and Greck Empires from 716—1453 
(London 1858/54, p. 13—15, 32—40).. Rambaub: L'’empire grec au X siöcle. Constantin 
Porphyr. (#ari3 1870). Hirſch: NKonftantin VII. (Berlin 1873), Programm der Königftäbtijchen 
Realichule). 


174 Mittelalter. I. Die Byzantiner. 


die Stelle von Interefje, in welcher der Burpurgeborene jeinem Sohne 
aufs dringendite die Geheimhaltung der Zujammenjegung des 
griechijchen Feuers empfiehlt. 

Dies Feuer jei von einem Engel dem erjten Könige der Chriſten, Konſtantin 
dem Großen (323—327), mit dem ausdrüdlichen Befehle anvertraut worden, es 
nirgends anders als in der Stadt der Chriſten (d. h. in Sonjtantinopel) zu ver- 
fertigen ; der große König habe auf dem Altare Gottes die Geheimhaltung 
gelobt und jeden verflucht, der ed wagen werde, Milhung und Bereitung des 
griehiihen Feuerd einem Fremden mitzuteilen, gleihviel ob König, Erzbiſchof 
oder ſonſt welchen Standes. 

Ausgaben von Meurjius, Banduri und Lamius a. d. a. O. 

Die zwei Bücher ouvrayua (de caerimoniis aulae Byzantinae) 
handeln von den Gebräuchen, welche am Hofe, in der Kirche, im 
Feldlager jowie bei öffentlichen zeiten und Spielen beobachtet wurden, 
enthalten aber auch einen bejonderen Anhang über das Kriegs— 
wejen (Praecepta imperatori Rom. bellum cogitanti . 
observanda.) 

Ausgaben von Leich (Leipzig 1751— 1754) und von Reiske (Bonn 1829). 

Auch die Basilica, das Geſetzbuch Konjtantins VII., enthält 
Beitimmungen über Kriegswejen und Sriegführung. 

Die eigenen Arbeiten Konjtantins begründen nur einen Teil jener 
Bedeutung in der Gejchichte der Wiſſenſchaften. Fat noch wichtiger 
it er dadurch geworden, daß er eine encyflopädiiche Anthologie der 
jeientifiichen Projaliteratur der Griechen veranlaßte, welche alles 
Quellenjtudium entbehrlich machen jolltee Diefe EncyElopädie 
zerfällt in 7 Hauptgruppen: Gejchichte und Politik, Acderbau und 
Landwirtichaft (Tewrrovıza), Roßarzneikunde (Lrrriargıre), Medizin 
(Tergıra), Tiergeichichte, Heiligengejchichte und Epigramme. Hat 
dieje Sammelarbeit auch manches verjtümmelt und entjtellt, jo war 
ihre Frucht doch eine dauernde; feines der in jenen Auszug auf 
genommenen Werfe verfiel völliger Vergefienheit, wenn ſie auch nur 
zum Teil herausgegeben worden jind. 

Die Encyklopädie der Gejhichte und Politik umfakte 
unter 53 Titeln die hiſtoriſche Literatur der Griechen von Polybios 
(140 v. Chr.) bis auf Theophylaftos Simofattes (650 n. Chr.) in 
gruppenmweijer Gliederung nad) Maßgabe des Inhalts, wie: Tugend 
und Laſter, Sentenzen, höfiſches, diplomatisches, jtatsrechtliches Wiſſen, 
von Gejandtichaften, von der Jagd, von der Taktik, Strategie, Be 


2. Die Militärjchriftiteller vom 10. bis 12. Jahrhundert. 175 


lagerungsfunft, Demagorie u. j. w. — In militäriſcher Hmficht 
fommen davon die Titel sregi orgarnynuarew, sregi ouußohng sroltuam, 
regi rolrogriag und zregi Önunyogıwv in Betracht. Leider zeigen 
die militärijchen Abteilungen der Encyklopädie, u. zw. in noch höherem 
Maße als alle übrigen, die Neigung der Redaktoren, um der Raum 
erjparniS oder der Bequemlichkeit willen, den Text plöglich und will- 
fürlich durch Hinweis auf andere Titel zu unterbrechen. 

Nur ein Teil der militärischen Artikel ift ediert, insbejondere ward das 
Kapitel (repi argarnynuarew), Heinere Bruchſtücke kriegsgeſchichtlicher Literatur 
im Sinne Frontind und Polyäns, von E. Müller auf Grund einer Athos- 
handſchrift als Excerpta de strategematis herausgegeben und neuerdings von 
Beſcher durd den Titel neoi rologxıwv bereichert. — Die dnunyooiaı, d. h. die 
Beiipiele militärifher Beredjamfeit (contiones militares), find mit vorzüglidher 
Sorgfalt zufammengejftellt. Den Eingang dieſer Militärrhetorif haben Köchly und 
Rüftomw in ihren „Grieh. Kriegsichriftitellern“ (TI, 2 ©. 14 ff.) griehifh und 
deutih wiedergegeben '). 


8 10. 


Daß ein Fürjt wie Konjtantin Porphyrogennetos einen großen 
wilfenichaftlichen Stab um jich verjammelte, läßt ich denfen. Bon 
den in dieſer Hinficht erwähnten Männern treten als militärijche Rat- 
geber und Mitarbeiter Heron und Bafilios Patrikios hervor. 

Bon Heron ?) wird berichtet, daß er eine Sammlung von Regeln 
(ragerBohai Ex ww Orgarnyırav sragarasewv) aus Athenaios, Biton, 
Heron dem Alerandriner, Philon und zumal aus Apollodoros „mit 
Umgiegung der Form“ zu einer Schrift „Poliorketika“ mit einem 
Anhange über Geodäſie gejtaltet habe?). 

Ed. pr. De obsidione repellenda et toleranda, de mechanicis bellieis 
et geodesia von Barocio (Venedig 1572). Griehiich und lateiniſch bei The— 
venot (Bari 1693). 

) Über die Vebeutung biefer dnunyooraı läht fih Konftantin VII. jelbft in jeinem Buche vom 
Carimonienweſen bes buzantinifchen Hofes eingehend aus (Caerim. I, c.837—%; II, ce. 47 und 
Append. ad libr. I. Die Haupthandſchrift der Taktiker zu Florenz fügt zwifchen alte Kriegsſchrift 
heller und die Taktik des Purpurgeborenen wirflihe dnunyooda mporgentixol noös evdpelar ein, 
weihe offenbar auf den früher beiprocdhenen byzantinifchen Anonymus [$ 4) zurüdzuführen find. — 
Bal bierüber: RKöhly: Anonymi byzantini rhetorica militaris (in zwei Zürcher Leftionsfatalogen 
1855/6) und Köchln und Rüftowa.a.D. 

rn) Die Zeit biejed jüngeren Heron ijt übrigens nicht völlig außer Frage. Einige meinen, 
er babe ſchon unter Herallios (610 — 641) gelebt; andere bezweifeln überhaupt jeine Autorſchaft. — 
Bel. Drapeyron : L’empereur Heracliuns et l'’empire Byzantine au VII sicele (Bari 1869) und 


Memoires pres. par div. savants à l’acad. des inscriptions. I, p. IV. 
) Die Notiz über den Uriprung der Roliorletifa jteht in der Geodäſie. 


176 Mittelalter. I. Die Byzantiner. 


Bafileios Peteinos Patrikios jcheint die taktischen Titel der 
hiſtoriſch-politiſchen Encyflopädie bearbeitet zu haben. Er war cubiculi 
praefectus Konſtantins und auch noch unter Romanus I. ein mächtiger 
Mann. — Lange Zeit wurde ihm auch das „vevuayıra“ überjchriebene 
Buch zugemwiejen, welches Fabricius in jeiner Bibl. graeca (VII) 
abgedrudt Hat; indes hat neuerdings K. K. Müller nachgewiejen, 
daß dieje Schrift dem Bajileios nur gewidmet ijt?). 

Dem Texte gehen nämlid 12 Verje voraus, die den Ratrifiv8 wegen jeiner 
Weisheit und feines Sieges über die Araber feiern und ihn auffordern, die vor— 
liegenden Naumachika zu ftudieren, um an der Hand der darin gegebenen Vor— 
ſchriften Kreta zu erobern. 


8-11; 

Wie jeine Vorgänger auf dem Throne, Leo und Konjtantin, wird 
gewöhnlich auch Nikephoros Phofas als Kriegsjchriftiteller aufgeführt; 
doch erjcheint es höchſt zweifelhaft, ob er jelbit Verfaſſer des mit 
jenem Namen in Berbindung gejegten Buches iſt. Nifephoras II., 
der von 963 bis 969 regierte, war ein tapferer Fürjt, der vor 
feiner Thronbefteigung glänzende Siege über die Hamaniden in 
Syrien und Mejopotamien erfochten, Kreta zurücerobert und jechzig 
jefte Pläße eingenommen hatte. Auch als Kaijer bewies er Energie, 
und es läßt jich nicht verfennen, daß das von ihm verfaßte oder 
veranlaßte Reglement über den Grenzfrieg (rzegi rrage- 
deourg rol£uov)?), trog offenbarer Anlehnung an das 17. Inftitut 
Leos VI., den Stempel noch weit höherer Selbjtändigfeit und prak— 
tiicher Sicherheit trägt, !als die Arbeit Konjtantins. Der Charakter 
der Berfallzeit tritt jedoch auch in diefem Werfe injofern entjchieden 
hervor, als es feine Spur kriegeriſcher Initiative aufweiſt. Dies 
läßt jchon der Titel ahnen; denn rragadgour, bedeutet, wie aus 
dem ganzen Buche, bejonder8 aber aus dem 6. Kapitel desjelben, 
hervorgeht, jjoviel wie „Begleiten“ oder „Cotoyiren“ des TFeindes 
im Gegenjage zu zragauovn, d. h. dem ruhig beobachtenden Verharren 
gegenüber einem nicht in Bewegung begriffenen Feinde. Mehr als 
Gegenüberfigen oder höchitens Begleiten mutet Nifephoras den Heeren 

8. Müller: Eine griehifche Schrift über Seefrieg (Würzburg 1882). — Iene nur vom 
Seekriege handelnden Naumachila bredien mit dem 6. Kapitel ab. Der Reft ift verloren. 

2) Lambecius überjegt den griech. Titel mit De re militari (Comment. de Bibl. Caes. VII, 482) 


umgeht alſo die Echwierigfeit, ihn wiederzugeben ; Fabricius verſucht dies durch den Ausbrud De 
eventibus bellicis et excursione (Bibl. graec. VI, 347). 


2. Die Militärjhriftfteller vom 10. bi8 12. Jahrhundert. 177 


nicht zu, welche er gegen die Einfälle der Barbaren an die Nord- 
grenze jeines Reiches jendet, und damit iſt denn allerdings in denkbar 
deutlichiter Wetje anerkannt, daß man willens war, das Gejet des 


Krieges vom Feinde zu empfangen. 

Die Schrift zählt 25 Kapitel. — Es iſt zunädft von der Einrichtung der 
Grenzwachen die Rede, vom Dienjt der Späher und der Art, wie man bem Feinde 
an wichtigen Punkten zuvortommen und dort befeftigte Poften jchaffen jolle. Dabei 
wird bejonder® der Sicherung der Waflerläufe gedacht. Dann wird auseinander: 
gejegt, wie den Einfällen räuberifcher Reitericharen zu begegnen und wie durch) 
Kundichafter (namentlich unverdächtige Kaufleute) die Anjammlung größerer feind: 
liher Streitkräfte rechtzeitig in Erfahrung zu bringen jei. Immer aufs neue 
fommt der Autor auf die Plünderungszüge der Barbaren zurüd, bei denen ein- 
geborene Provinzialen nicht jelten dem Feinde die Hand gereicht zu haben jcheinen. 
Da gelte ed vor allem, den Gegner im Auge zu behalten, ihn möglichjt ungejehen 
zu beobadhten, indem man ihn gejhidt begleite, ihn zur Berjplitterung ver: 
führe und jede Teilung der Invafionsarmee zum Überfall benutze. Namentlich 
die Augenblide, da der Gegner einen Engweg durchſchreite, jeien dazu geeignet. 
Ausgedehnter Gebrauch ſei vom Hinterhalt zu machen. Bleibe der Feind gar zu 
fange in der Provinz, jo empfehle ſich als Demonjtration ein entichlofjener Einfall 
in ſein Gebiet; ziehe er jid) dann zurüd, jo bejege man jchnell die Schlüfjelpuntte 
und ſuche, ihn in den Defileen zu vernichten. Unter Umjtänden habe der dux 
dem Feinde jedoch zu folgen u. zw. in zwei Kolonnen. — Auch über die Bes 
handlung de eigenen Heeres werben Unweijungen gegeben: über Stand, Be- 
waffnung und Übung der Mannſchaft, über Marjhordnung, Sicherung, Troß, 
über die Belagerung fejter Pläge und endlich auch über eines der beliebtejten 
Kapitel der Byzantiner: die Nachtgefechte, welche jehr geeignet feien, dem ab- 
ziehenden Gegner große Verluſte beizubringen. 


Atmet die Schrift auch nicht den Geiſt der DOffenjive, jondern 
den der Rejignation, jo find ihre VBorjchriften doch offenbar feine 
bloßen Theoreme, beruhen vielmehr auf bejtimmten Erfahrungen. 


Ausg. grieh. und latein. von Haaſe: De velitatione bellica domini Nice- 
phori Augusti im Corpus scriptorum historiae Byzantinae, Pars XI (Bonn 1828). 


Ungefähr gleichzeitig mit dem Reglement über den Grenzfrieg 
und vielleicht auch unter den Aufpizien Nifephoras’ II. entjtand jenes 
Militärlerifton, das unter dem Titel "Egunveia rov Erri Oroarev- 
uarow “al rrolsuıaev rrageraseım Pwvov dem großen, zu Anfang 
des 11. Ihdts. abgejchlofjenen Reallexikon des griechiichen Gram— 
matifer8 Suidas angehängt zu werden pflegt und fich auch hinter 
dem Lerifon des Thomas Magijter ‚Paris 1532) findet. Hier führt 
es den Titel: radıg sale Kai ovouadiaı Ev agyovrum dx roü 

Jähns, Gedichte der Kriegswiſſenſchaften. 12 


178 Mittelalter. I. Die Byzantiner. 


Alıavoi, der lateinisch folgendermaßen wiedergegeben iſt: »Ex 
scriptis Aeliani libellus de antiqua ratione instruendarum acierum 
et ductorum militarium appellationibus«. Dieſe Überjchrift gibt 
die faſt ausschließliche Quelle des Glofjariums richtig an. Denn 
nach Köchly iſt diejer »Catalogus vocabulorum tacticorume« nicht 
etwa aus dem Werke des Suidas, jondern unmittelbar aus Ailtanos 
jelbft excerpiert und dann wieder von Suidas zur Verwendung in 
jeinem Lerifon im einzelne Glojjen zerpflüdt worden. Der Katalog 
iſt eme rein nomenklatoriſche Definitionstabelle der Bhalangentaftif, 
deren Skelett jomit die ganze antike Kriegführung und ihre Theorie 
überlebte. 


Ausg. von Köchly und Rüſtow in den „Griech. Kriegsſchriftſtellern“ II, 2 
S. 217—233. 


8 12. 


Ein jpäter Niederichlag antiker Kriegsmwifjenichaft auf griechiſchem 
Boden iſt endlich) der Traftat des gelehrten byzantinischen Poly— 
hiſtors Michael Konjtantinos Pfellos (1020— 1105), welcher den 
Titel sregi reoleuınng rafewg führt. Er leitet ſich damit ein, daß 
der Philoſoph zwar nicht Krieg zu führen habe, ſich aber doch auf 
Krieg und Feldlager verjtehen müfje, und handelt dann im meilt 
wörtlichen Ercerpten aus Ailians Taktik von der Schlachtordnung der 
Griechen. — Wie aljo Ailianos am Ausgange des 10. Ihdts. jteht, 
jo beherricht er auch das einzige nennenswerte Werfchen der byzan- 
tiniſchen Militärliteratur des 11. Ihdts. 

Ausg. bei Köhly und Rüftow a. a. DO. ©. 234— 238, 


8 13. 


Dies find die legten Ausläufer der byzantinischen Kriegswiſſenſchaft 
und jomit die legten Triebe, welche die antike Kriegswiſſenſchaft auf 
griechiichem Boden zeitigte.e Wohl erhob ſich unter Baſilios U. 
Bulgaroftonos (976—1025) das Kriegsweſen der Nomäer noch 
emmal zu bedeutenden Leiftungen; bei dem Tode des „Bulgaren- 
töters“ beherrichte jeine Flotte wieder das gejamte öſtliche Gebiet des 
Mittelmeeres; jeitdem aber jinft die militärische Macht des Reiches 
unaufhaltſam; das wechjelvolle Syſtem der aus den Adelshäujern 
Komnenos, Dufas, Angelos, zum Thron emporjteigenden Dejpoten 


Anhang. Die arabifche Feuerwerkerei. 179 


bezeichnet ein Zeitalter der Auflöjung, Zuchtlofigkeit und Feilheit. 
Die Kriegswiffenichaft iſt verjtummt; die Gejchichte aber redet noch, 
und unter denjenigen ihrer Werke, welche militärijches Intereffe haben, 
vagt vor Allen die AAefıag der Kaifertochter Anna Komnena 
hervor, welche in 15 Büchern die Gejchichte Alerios’ I. (1069—1118), 
des Vaters der Verfafjerin, jchildert. Aus ihren Schlachtbejchreibungen 
jpricht ein Fräftiger, mit den Künjten der Strategie und Taktik nicht 
unvertrauter Geijt, und für die BZuftände des Kriegsweſens zur 
eriten Kreuzzugszeit jind ihre Darjtellungen von namhaften Werte'). 
Dann aber vernichtete das lateiniſche Kaijertum (1204—1261) Die 
legten Reſte des Wohlitandes und der Bildung, welche ſich auch nach 
Wiederherjtellung einheimischer Herrichaft unter den Paläologen 
(1261—1453) nicht wieder zu erholen vermochten. Nur die fait 
unangreifbare Yage der Hauptitadt, deren Geſchick ja im dejpotifchen 
Reichen immer entjcheidend it, erflärt e8, daß der völlige Untergang 
fich jo lange verzögerte. Endlich erlag Konjtantinopel den Osmanen, 
und num fiel der Schwerpunkt alles wiljenjchaftlichen Wollens und 
Könnens, für den jahrhundertelang die Stadt am goldenen Horn 
gegolten hatte, ins Abendland, u. zw. zunächit nach Italien. 


Anhang. 
Die arabiſche Fenerwerkerei. 
8 14. 


In nahen, wenn auch meist feindlichen Beziehungen zum byzan- 
tiniſchen Reiche jtand die islamitiiche Welt. Das Streben der 
Araber, jich zu unterrichten, war groß und führte jie u. a. auch dazu, 
griechische Kriegsjchriftiteller in ihre Sprache zu überjegen. [A. $ 29]; 
eine eigentlich jarazenische Militärliteratur jcheint jich jedoch nicht ent- 
wicelt zu haben; wie auf faſt allen andern Wiſſensgebieten blieben 
die Semiten, Perjer und Türken auch auf dem des Krieges weſentlich 


1) Ausg. im Corpus scriptorum historiae Byzantinae. Vol.I von Shopen (Bonn 1839), 
II von Reifferfcheid (Bonn 1878). — Franzdf. von Couſin (Paris 1655). Deutih in Schillers Allg. 
Sammlung hiſtor. Memoiren vom 12. Ihdt. an (Jena 1790, D. — Bal. Fuedly: De Alexiade 
Annae Comnenae (Züri) 1766). Hegemwifh: Hiftor. und liter. Auffäge (Kiel 1801), Wilmans: 
Anno Comnena (Pertz' Arhiv X, S. os ff.). Ofter: Anna Komnena. (Raftatt 1869.) 
12° 


180 Mittelalter. I. 


Empfangende und Bewahrende !); nur nach einer Richtung ind ſie 
als Bindeglied für die Gejchichte der Kriegswiſſenſchaft von Intereſſe, 
nämlich in Bezug auf die Kriegsfeuerwerferei. 

Ein arabijcher Autor, der um die Mitte des 10. Ihdts. jchrieb, 
erwähnt ein „Buch über das Feuer, das Naphta und den 
Gebraud, welhen man im Kriege davon macht.“ Leider 
{ft dieſe Schrift verloren; doc) ein 300 Jahre jüngeres Manujfript der 
Leydener Bibliothef, als deſſen Verfafjer ganz naiv Alerander der 
Große genannt wird, die „Abhandlung über Kriegsliiten, 
Einnahme der Städte, Berteidigung der Päſſe u. ſ. w.“ 
(1225) jcheint den wejentlichen Inhalt jenes alten Buches aufbewahrt zu 
haben. Es lehrt in den zwei Kapiteln, welche von der Pyrotechnik handeln, 
die Zubereitung der Naphta, die Anfertigung von Feuerwerksförpern 
zu Glimpf und Schimpf, die Kunſt, brennbare Stoffe fortzujchleudern 
und jie jo einzuhüllen, daß die Verbrennung gejichert bleibt. 

Hauptingredienzien der Brandmiihungen find die verſchiedenen Arten von 
Naphta und Erdöl, dann Teer, Harze, Ole, Pflanzenjäfte, Metalle und endlich 
Fette verfchiedenfter Tiere: das de8 Seehundes, ded Haushundes, des Bären, des 
Wolfes u.j. mw. Dabei iſt e8 bemerfenäwert, daß in diejem ältejten arabiſchen 
Feuerwerlsbuche de8 Salpeterd gar nicht gedacht wird. 

Der „Zraftat vom Reiterkampfe und den Kriegs— 
maschinen“, welchen Ledjn- Eddin- Haßan-Alrammah um das 
Jahr 1290 u. zw. „nach Anleitung jeines Vaters, jeines Großvaters 
und anderer berühmter Meiſter“ jchrieb, enthält eine volljtändige Ab- 
handlung über Feuerwerferei, in welcher der Salpeter bereits die 
Hauptrolle jpielt. Zur Reinigung desielben bedient der Verf. jich, 
wie es noch heute geichieht, der Holzaiche — ein großer Fortichritt 
gegen das Verfahren des Marcus Gräcus [8 6); denn die Wiche 
jcheidet die fremden Salze aus, deren Beimiſchung die Wirkung des 
Salpeters beeinträchtigt und ihn jchnellem Verderben ausjeßt. 

Als Kriegsmittel empfiehlt HakansAlrammah in erjter Reihe Glasbälle, die 
mit erplojiblen Kompofitionen gefüllt und mit einem Zünder (ekrikh) verjehen 
find. Die Heinjte Form diefer Bälle heißt „Kichererbjen“, die größte ftellte man 
ſtatt aus Glas auch wohl aus Baumrinde oder Bapyrus ber; fie hießen „khes— 
manat.“ Neben jolhen Wurfgeſchoſſen jchildert der Autor die Feuerlanzen, ins— 


) Benlers Bibliotheca orientalis (Leipzig 1846) führt Tein einziges militärijches Wert in 
arabifcher, perfiicher oder türfifcher Sprache auf, das Älter wäre als bas 18. Jhdbt. — Graf Münfter 
hat 1840 ein Verzeichnis arabijcher Werte über Kriegswiſſenſchaft lithograpbieren laſſen, weldye er im 
Orient fuchen ließ. Ich babe e8 nicht zu Geficht befommen. — Bgl. Reunaub: De l’art militaire 
chez les arabes au moyen-üge (Journal asiatique 1848, no. 9 ff.)- 





Undang. Die arabijche Feuerwerterei. 181 


bejondere die jog. „Blumenlanzen“, an deren Spipen Heine Glasgefäße mit 
pyrophoren Mifhungen in Geftalt einer Blütenkrone angeordnet wurden. Ähnlich 
wurden Armbruftpfeile und Wurffpieße ausgeftattet; ja es werden Spieße darges 
jtellt, die faft ihrer ganzen Länge nad) mit Erplofionshülfen befegt find. Auch 
Streittolben und Morgenfterne wurden mit Brandjag gefüllt. Sehr außgebreitete 
Anwendung findet die Rakete, zumal zur Beflügelung von Brandpfeilen. 

Dad Manuſkript befindet fi in der Nationalbibliothet zu Parid. Den 
arabiihen Tert veröffentlihten Reynaud und Favé in »Le feu gregeois et les 
origines de la poudre à canon«. (Paris 1845.) 

Die wirkliche Feuerwaffe tritt dann zuerjt in einem Manu— 
jfripte des Aſiatiſchen Muſeums in Petersburg auf. Es iſt dies eine 
im 15. Ihdt. für einen Mamelufen-Sultan hergeitellte Kopie einer vom 
Anfange des 14. Ihdts. herrührenden Handichrift, als deren Verfaſſer 
Schems - Eddin Mohammad gilt, der Sohn des Abu-Belr, Sohn 
des Cayym Aldjuziam, welcher in dem bibliogr. Wörterbuche des Hadji 
Khalfa als Verfaſſer einer „Kriegskunſt Mohammeds“ genannt wird. 

Die eine von diejem arabijchen Autor erwähnte Feuerwaffe iſt 
ein geſtielter Handmörjer, der Madfaa!). Er bejichreibt ihn wie folgt: 

„Rimm 10 Drachmen Salpeter, 2 Dramen Kohle, 1,5 Drachmen Schwefel. 
Dieje made zu feinem Pulver und fülle damit "/s der Höhlung des Madfaa; mehr 
nimm nicht, weil er jonjt zerfpringen könnte. Lafje den Madfaa aus Holz drechſeln 
und zwar jo, daß die Länge dem Durchmeſſer entjpricht“. (Auch den Zeihnungen 
nad ijt die Seele des Madfaa in der Regel ebenjo breit als tief.) Treibe das 
Pulver mit kräftigem Stoße hinein; lege einen Bolzen oder eine Kugel (bondoc) ?) 
darauf und zünde dad Brandzeug an. Die Länge des Madfaa muß in rihtigem 
Verhältnis zur Größe der Mündung jtehen; wäre er tiefer als jene breit ift, fo 
wäre das ein Fehler. — Der Schütze nehme fi wohl in adt“. 

Die zweite Feuerwaffe ift in der Überjchrift bezeichnet als eine 
„Lanze, aus der du einen Bfeil hervorgehen lajjen 
fannit, der in des Gegners Brujt eindringt“. Vermutlich hat man 
es hier mit derjelben Waffe zu tun, welche etwa ein halbes Jahr: 
hundert früher bei den Chinejen aufgefommen war und Toslostjisang 
genannt wurde ®). 


I) Madfaa (medfaa) = propulsorium, projectorium. m fpäterer Beit = Kanone. 

2) Bondok bedeuter urſpruͤnglich „Hafelnuß”, feit dem 10. Ihdt. die mit der Armbruft geworfene 
Kugel ; heutzutage ift eslein Ausdruck für Handfeuerwaffe überhaupt. 

*) In der Geſchichte per Dynaftie Sung wird berichtet: „Im erften Jahre der Periode Stai- 
Khing (1259 n. Eh.) ftellte man die „Banze des ungeftümen Feuers” (to-lo-tsl-ang) ber: Man legte 
in ein langes Bambusrohr eine Handvoll Körner (offenbar Bulver und Schrot), legte Feuer an; eine 
heftige Flamme brach hervor und die Körner wurben mit einem Geräuſche wie das eines Paos hinaus: 
weftoßen und verbreiteten fi bis auf etwa 150 Schritt (Recueil des 24 historiens de la Chine. 
Livr. 127, fol. 14). „Pao“ ift eine Steinſchleudermaſchine. 


182 Mittelalter. 1. 


Die Waffe ftellt fich als eine lange Nöhre dar, deren Wände ziemlih dünn 
find. Die Seele hat fünf Finger Breite (Durchmeſſer). Im dieje Röhre ijt ein 
Madfaa eingeihoben und mit dem Rohr durd einen jeidenen Faden verbunden, 
der durd Löcher in Rohr und Madfaa geſchürzt ijt und den Zwed hat, den 
Madfaa zurüdzuhalten, wenn abgefeuert wird. Wie Ladung und Zündung ges 
ihehen, wird nicht mitgeteilt und es ift ſchwer zu verftehen. Jedenfalls fann die 
Wirkung nur gering gewejen jein. Wenn der Madfaa als Kammer diente, jo 
mußte ihn der Rüdftoß im Rohre halten und e8 brauchte des jeidenen Fadens 
nit; lag die Bulverladung hinter ihm, jo mußte fie überaus jchwad fein, wen 
der Faden nicht reißen jollte, 

Man erkennt aus dieſen Schilderungen, daß es jich eigentlich 
nur um Spielereien handelt, von denen ein wirklicher Nugen im Ge— 
jecht nicht zu erwarten jtand. Die erſten Bejchreibungen brauch 
barer Feuerwaffen find abendländischen, deutjchen Urjprungs. ($ 37.) 

Neben jenen neuen Waffen zeigt das Petersburger Manujfript 
auch all die alten FFeuerwerkstörper in vollem Gebrauche. 

Es jind das u. a.: Feuertöpfe, Feuerkolben, Feuerlanzen u. dgl. m. Die Schrift 
berichtet auch von einer jeltfjamen Art, ganze Reiter mit Feuer zu umgeben und 
dadurch den erjchredten Feind in die Flucht zu jagen — eine Erfindung, die ein 
arab. Mipt. der Pariſer Bibliothet (No. 1128, anc. fonds) noch näher erläutert. 

Dieje wichtigiten Angaben über die orientaliiche Pyrotechnik find 
in dem vom Oberjten Favé bearbeiteten 3. Bande von Napoleons III. 
Etudes sur le passe et l’avenir de l’artillerie jamt den dazu ge 
hörigen Figuren auszüglich wiedergegeben (Paris 1862). 


Mittelalter. Il. Die Abendländer. 183 


II. Aapitel. 


Die Abendländer. 


8 15. 


Während nach altaermanischer Auffafiung das Kriegführen ein 
Recht, ja eine natürliche Lebensäußerung jedes freien Mannes war, 
it es bemerfenswert, daß die wiſſenſchaftliche Anjchauung des frühen 
Mittelalters, joweit jie unter dem Einfluffe der lateinischen Über- 
lieferung jtand, den Krieg geradejo al3 eine Betätigung des Stats- 
lebens, als ein Mittel der Statskunſt auffaßte, wie es die Byzantiner 
getan hatten. Doch wenn im Often für die „Statswiffenjchaft der Tat“ 
vor allen Dingen nach praftiichen Behelfen gejucht wurde, die man 
am beften in den jtrategijchen und taktiſchen Schriften der Alten zu 
finden überzeugt war, jo vertiefen jich die Forſcher des Abendlandes, 
den Impulſen ihrer germanischen Blutbeimiſchung folgend, ſofort in 
die ſchwierigen Brobleme über die Weltjtellung des Krieges, über jein 
Verhältnis zum Chriftentum, zum Völkerrecht, zur Lehnsverfaffung; 
jie erwägen die bejondere Berechtigung des Krieges gegen die Un— 
gläubigen und jegen diefem den Krieg zwiſchen den Glaubensgenojjen 
ald unberechtigt entgegen; fie verlangen bald nicht nur den Land» 
frieden, jondern den Weltfrieden, oder fie bejchäftigen ſich doch mit 
den Mitteln zur Einjchränfung, zur Milderung, zur Humaniſierung 
des Krieges. 

Daneben kommen eigentlich Friegswiljenjchaftliche Gegenjtände 
jehr jpärlich zur Geltung, anfangs nur in den Encyklopädien, welche, 
entjprechend dem Unternehmen Konftantins VII. [$ 9), namentlich von 
franzöſiſchen Königen während des 13. und 14. Ihdts. angeregt und 
von hervorragenden Getjtlichen bearbeitet wurden; dann in den 
literariſchen Nachklängen der Kreuzzüge, welche zu neuen Waffentaten 
im heiligen Lande aufrufen und die Mittel dafür nachweiien wollten. 
— Auf jene encyklopädiichen Arbeiten jtüßt ſich bejonders die erjte Fleine 
deutiche Abhandlung über Kriegskunſt, welche nach der Niederlage 
von Sempach der Dechant Johann der Seffner jchrieb. — Die 
Heeresverfaffungen deden fich wejentlich mit den Feudalverfajjungen; 
doch erläßt man jchon im 12. Ihdt. für beftimmte Gelegenheiten 
bejondere Heereögejege, und im 14. Ihdt. treten neben die Schriften 


184 Mittelalter. II. Die Abendländer. 


über das ritterliche Leben und die ritterlichen Künſte jelbjtändige 
Arbeiten über die Feuerwerferei und Büchjenmeijterei, deren Vorläufer 
ſich in einzelnen Stellen byzantinischer Schriften, wie in Werfen des 
Albertus Magnus und des Noger Bacon finden. Der Boden aber, 
auf dem die neue Wiſſenſchaft der Artillerie ihre eriten Schritte tut, 
iſt Deutichland. 


I. Gruppe. 
Antike Reminiscenzen und Lehrſchriften. 
8 16. 

Das Verdienjt in einer Zeit tiefiten WVerfalles der Wiljenjchaft 
einigermaßen die Kenntnis der alten Klaffifer bewahrt und fort- 
gepflanzt zu haben, teilt mit Boethius und Caſſiodorus vor allem der 
heilige Jfidor. — Iſidore Hijpalenfis, um 570 zu artagena 
von eimer gotischen Königstochter geboren, wurde 594 Biſchof von 
Sevilla und jtarb im Jahre 636. Er iſt das helljte Licht der Wiſſen— 
Ichaft, das dem Abendlande fait ein Sahrtaujend durch geleuchtet 
hat, und jein bedeutendites Werk find die Originum seu Ety- 
mologiarum libri XX, eme wahre Encyflopädie des damaligen 
Willens, vorzüglich der antiken Tradition und eins der Eoftbarjten 
Denfmale für die Gejchichte der Wiſſenſchaft!). 

Die ältejte datierte Ausgabe ift die Wiener von 1472, die beite die von 


Dtto, weldhe den 3. Band der Lindemannihen Sammlung Corpus grammati- 
corum veterum bildet. (Leipzig 1833.) 

Die 20 Bücher behandeln: Rhetorik, Aritymetit, Muſik und Aftronomie, 
Jurisprudenz und Chronologie, Theologie, Spraden, Anthropologie, Zoologie, 
Kosmographie, Geographie, Städtefunde, Mineralogie nebſt Maß und Gewicht, 
Aderbau, Kriegswejen und Spiele der Alten, Koftümkunde In kriegswiſſen— 
ihaftliher Hinficht find das 5. und das 18. Bud) bemerkenswert. 


Das 5. Buch »De juris prudentia« enthält die eriten Keime 
des mittelalterlichen jus gentium und des jus militare und 
verdient deshalb bejondere Beachtung. Höchſt merkwürdig iſt die 
Flare, nahezu modern anmutende Definition, welche der heilige Biſchof 
vom Kriegsrechte gibt. Er jagt (V, 4 und 7): 

»Jus militare est belli inferendi solemnitas, faederis faciendi nexus, 
signo dato egressio in hostem, vel pugnae commissio. Item signo dato re- 


) Bgl. Hersberg: Die Hiftorien und Chroniten des Iſidor v. Sevilla (Göttingen 1874). 


1. Antike Reminiscenzen und Lehrſchriften. 185 


ceptio; item flagitii militaris disciplina, si locus deseratur; item stipen- 
diorum modus; dignitatum gradus; proemiorum honor, veluti cum corona 
vel torques donantur. Item praedae decisio et pro personarum qualitatibus 
et laboribus justa divisio; item principis portio«. 

Das Völkerrecht präcijiert Jfidor folgendermaßen: »Jus gentium est se- 
dium occupatio, aedificatio, munitio, bella, captivitates, servitutes, post- 
liminia, faedera, paces, induciae, legatorum non violandorum religio, con- 
nubia inter alienigenas prohibita«. 

(Dieje Definitionen Iſidors erhielten durch Gratian (1150) eine Stelle 
im fanonijhen Rechte und wurden jo der zweiten Hälfte des Mittelalterd übers 
liefert. Unendlich oft kommentiert, find fie doc jelbjt an der Schwelle der Neu— 
zeit nur jehr unvolllommen begriffen worden) !). 

Das 18. Bud) »De re militari et ludis veterum« ijt ganz 
jummarijch gehalten und bringt (abgejehen von dem die Schaujpiele 
betreffenden Kapitel) nur eine Bejchreibung der antiken Kriegs: 
initrumente, ſowie einige Angaben über Pferdefunde und Reitkunſt. 
dennoch verdienen dieje jpärlichen Daten erwähnt zu werden; denn fie 
bezeichnen den Ausgangspunkt der weſteuropäiſchen, germaniſchen 


Kriegswiſſenſchaft der nachrömiſchen Zeit. 


Bi), 

Ein halbes Jahrtaujend verrann, bevor Iſidor einen Nachfolger 
fand. Auch dieſer war wieder ein Geiftlicher: Dincent de Beauvais 
(Vineentius Bellovacensis) ein gelehrter Benediftiner, der, um 
1190 geboren, i. 3. 1264 jtarb. König Louis IX., der ihn liebte, 
torderte ihn auf, eine Encyflopädie zu jchreiben, und Vincent ging 
darauf ein; allerdings nur im dem Sinne, eine Sammlung wichtiger 
Stellen aus den ihm befannten Autoren über die vorzüglichiten 
Bıilfensgebiete zu jammeln. So entjtand die Bibliotheca mundi 
oder dad Speculum majus?), in dejjen erjtem Teile, dem Speculum 
doctrinale, das 12. Buch von militärijchen Dingen handelt?). 

Da erkennt man denn freilih, daß der Verfaſſer fich Hier auf einem ihm 
iremden Boden bewegt, der allerdings auch wenig bearbeitet war; denn während 


Vincent jonjt immer aus möglichjt vielen Quellen zu ſchöpfen judt, folgt er hier 
(ediglih dem Vegetius und (bezügl. der Waffen, Kriegsmaſchinen und Kriegs: 


— 





!, ®8gl. Nys: Le droit de la guerre et les pröcurseurs de Grotius (Bruxelles 1882). 

N Nachdem ſchon 1481 zu Bafel eine Auswahl der Schriften Vincents veröffentlicht worden, 
erihien das Werk ald Speculum quadruplex 1624 zu Douai. Bol. Schlofier: Vincent? v. B. 
hand: und Lehrbuch (Heidelberg 1819). 

) Nach Schlofjerd Zählung ; gewöhnlich gilt dies als das 11. Bud). 


186 Mittelalter. II. Die Abendländer. 


zeichen) dem Iſidor von Sevilla. Da diejer aber jelbft ausſchließlich auf Vegetius 
jußt, jo gewährt die Benutzung jeiner Origines feine Bereiherung des Stoffes. 
Auf Iſidor führen aud die Betrachtungen über Kriegsrecht zurüd, wenngleich fie 
nicht direft auß den Origines jondern aus Gratians Dekretalen entnommen find. 
Bon irgend welcher Eelbftändigkeit militärischen Wifjens, von einem Widerſcheine 
der Kriegskunſt des 13, Ihdts. jelbjt ift in Bincents Werte keine Rede, und jo fommt 
ihm eben nur das Berdienft zu, die Tradition fortgepflanzt und die Kriegskunſt 
al8 einen Gegenjtand wiſſenſchaftlicher Doltrin aufrecht erhalten zu haben. 


g 18. 


Es iſt jchon darauf Hingewiejen worden [A. 8 37], daß bereits 
jeit dem frühen Mittelalter Vegetius einen namhaften Einfluß auf 
die kriegswiſſenſchaftlichen Anſchauungen der Abendländer ausgeübt 
hat. Diefer Einfluß jteigert ji im 13. Ihdt. und tritt fait 
überall, ganz bejonders aber in zwei wichtigen Werfen: den libri 
tres de regimine principum des Megidius Romanus [$ 19) und 
in des Königs Alfonjo X. Leyes de las siete partidas [$ 28) 
deutlich zu Tage. Es beruht das auf einer nahen Verwandtichaft Der 
Heereszuftände eben diejer Zeit mit denen des 4. Ihdts!). 

Die Kriegsverfaffung des ausgehenden Altertums entiprach in 
vielen Zügen derjenigen des entwidelten Feudalweſens, das unter der 
Berührung mit der orientalischen Kultur einer Neugeitaltung entgegen- 
veifte. Wie im 4., jo waren Jauch im 13. Ihdt. Angriff und Ver— 
teidigung twejentlich auf die beiden Hauptiwaffen verteilt; jener fiel 
der Neiterei und einer nicht zahlreichen, leichtbewaffneten Elite des 
Fußvolks anheim, dieje den Mafjen des jchweren Fußvolks. Vegez 
preift die meilt aus Barbaren gebildeten Reitergeſchwader jeiner Zeit 
als in jeder Hinficht vorzüglich und denen der Alten überlegen, 
während jeine Klagen über Entartung und schlechte Ausbildung 
durchaus dem Fußvolk gelten. Im 13. Ihdt. decken jich der Haupt: 
lache nach Reiterei und Nitterichaft, und dieſe beiteht aus der 
Blüte des Kriegerjtandes, während die Maſſe der Fußgänger nur 
geringen Wert hat. Vegez gejellt jeiner Neiterei ausgejuchtes Fuß— 
volf; er empfiehlt den Angriff per equites probatissimos et velocissi- 
mos pedites; jein Linienfußvolf bildet in mehr oder minder fompalter 
Mafje das Zentrum der Schladhtordnung, das nicht einmal zum 
Gegenjtoße vorgehen, jondern nur den Kampf der aus Reiterei und 


1) Bal. Henri Delpech: La tactique au XIII siecle (Paris 1886) II. 


1. Antike Reminitcenzen und Lehrichriiten. 187 


Leihtbewaffneten zujammengejegten Flügel fichern joll. Die Ver— 
hältnifje des 13. Ihdts., namentlich jo weit jie unter dem Einfluffe 
der Kreuzzugserfahrungen zur flügelweijen Anordnung der Heere geführt, 
erlaubten die Übertragung jener vegetifchen Vorjchriften auf die An- 
ordnung der Feudalheere; das Studium begegnete dem Bedürfniffe. — 
Auch die allgemeinen Regeln des Römers wurden jorgfältig beachtet. 
Mehrfach rühmen die Ehronijten: wie (3. B. bei Steppes 1213 und 
Bouvines 1214) das eine Heer mit dem Rüden gegen die Sonne, das 
Fußvolk in überhöhender Stellung angeordnet worden jei. Gleich dem 
lateinischen Autor zählen auch die Kriegsleute des 13. Ihdt3. die einzelnen 
Heeresabteilungen vom rechten zum linken Flügel und geben jenem den 
Vorrang. — As Vorausjegung tüchtiger Kriegsleiſtung erjcheint dem 
Vegez emme jolide Schutzbewaffnung und gerade eine jolche ward 
im 13. Ihdt. mit ebenjoviel Eifer als Erfolg angejtrebt. Vegez 
empfiehlt es, die ausgejuchte Mannjchaft mit zwei Schwertern, einem 
kurzen und einem langen auszurüjten; die Ritterichaft bewaffnete jich 
tatjächlich in diejer Weile. Vegez rät, den Bogen durch die wirkjamere 
arcabulista zu erjeßen; im 13. Ihdt. jpielt die Armbruft eine hervor: 
ragende Rolle, zumal bei den Plantagenets, den eifrigen Lejern der 
Epitoma. Die vegetiſchen Borjchriften Hinfichtlich der Führung der 
blanfen Waffen jowie der Feldzeichen finden jich meijt treulich befolgt. 
Nicht minder trifft man in den Gebräuchen des Belagerungsfrieges 
vielfache Spuren des lateimijchen Autors, und auch die Benennungen, 
welche Vegez für die Truppenteile anwendet: turma für Weiter: 
geihiwader, cohors und legio für Fußvolf, jind diejelben, welche die 
Autoren des 13. Shots. gebrauchen. Zuweilen werden jogar dem 
Degez Lehren zugejchrieben, die er tatjächlich gar nicht gegeben hat, 
nämlich da, wo es angemejjen jchien, die Anwendung irgend eines 
recht erfolgreichen technischen Verfahrens gewiffermaßen durch römischen 
Urjprung zu adeln!). Dies zeigt deutlich, wie Hoch VBegez den Menjchen 
jener Tage jtand. 


8 19. 


Bon hervorragender Bedeutung in der Gejchichte der Stats wie 
der Kriegswiiienichaft jind des Aegidii Culumnae Romani De 
1) 8. B. das Schleudern des Brandfaſſes vor Monafteriolum, von dem Johannes Zuronenfis 
ezäblt. Bgl. Alvin Shulg: Das höfliche Leben zur Zeit ber Minnefinger (Leipzig 1879) II, ©. 384. 





188 Mittelalter. II. Die Abendländer. 


regimine principum libri tres. — Egidio entitammte der 
Familie der neapolitantichen Colonna, wurde aber nach jeinem Geburts— 
orte Rom gewöhnlich Aegidius Romanus (frzj. Gilles de Rome) 
genannt. Noch jung fam er nach Paris, wo er einer der ausgezeid)- 
netjten Schüler des hl. Thomas von Aquino wurde, der feinerjeits 
wieder ein Jünger des deutjchen Grafen Albertus Magnus war 8 34). 
Bald jeiner Gelehrjamkeit wegen Hochberühmt und durch den Ehren: 
namen Doctor fundatissimus ausgezeichnet, begann der vornehme 
Staliener als Auguftinermönd Borträge in Baris zu halten, und König 
Philippe le Hardt, welcher damals für jeinen Sohn einen Lehrer juchte, 
wählte den Aegidius. In diejer Stellung jchrieb der Gelehrte um 
1280 jein berühmtes Werf, das jeinem edlen Schüler, dem jpäteren 
Könige Philippe le Bel, als Anhalt und Richtichnur dienen jollte. 
Sn der Folge wurde Egidio General feines Ordens, 1292 Erzbijchof 
von Bourges und im Jahre 1316 jtarb er hochbetagt als Kardinal. 

Auch Egidios Lehrer, der hl. Thomas, hat ein Buch de regimine prin- 
cipum für den König von Eypern geſchrieben, und das Verhältnis beider Schriften 
ijt noch nicht völlig Mar geftellt. Der ital. Militärliterator Galeano Napioni 
behauptet, daß von dem unter Thomas v. Aquino Namen gehenden Werke, dem 
Heiligen nur die beiden erften Bücher angehörten. Hat Egidio ihn fortgeſetzt 
und ift er aljo etwa nur der Verfafjer des uns befonder® interejfierenden 3. Buches ? 
Der ſpaniſche LKiterarhiftoriter Elemencia erflärt dagegen die beiden Werte, 
troß des gleichlautenden Titels, für mwejentlich verihieden, und er ijt in der Lage, 
hier zu entjcheiden; denn ſowohl die Bibliotheca nacional zu Madrid als die 
Sammlung im Escorial befißt mehrere Codiced® De regimine, von denen die 
einen dem bl. Thomas, die andern dem Wegidius zugejchrieben werden. 


Die drei Bücher de regimine prineipum jind in der Zeit ge 
Ichrieben, da Philipp der Schöne noc Kronprinz war, aljo zwiſchen 
1271 und 1285. Das 1. Buch hat einen wejentlich philoſophiſch 
moralischen Inhalt; das 2. bietet die Grundzüge der Stats und 
Gejellichaftslehre; das 3. Buch endlich geht näher auf das Wejen 
des States und auf die Mittel ihn zu beherrichen und zu verteidigen 
ein. — Dies 3. Buch zerfällt in drei partes. Der erjte diejer Teile 
handelt: »propter quod bonum inventa fuit communitas domus, 
civitatis et regni«, der zweite Teil »quomodo regenda est civitas 
aut regnum tempore pacis«, der dritte und legte endlich »quo- 
modo regenda sit civitas aut regnum tempore bellie. Dieier 
Abjchnitt, der etwa den achten Teil des ganzen Werkes ausmacht, gibt 


1. Antife Reminiscenzen und Lehricriften. 189 


ihm jene militärtjche Bedeutung. Es erjcheint aber jehr merkwürdig, 
wie nahe verwandt ſich die Gejamtanordnung von Egidios Arbeit 
mit der jiebenhundert Jahre älteren Schrift des byzantinischen Ano- 
mus [$ 4) erweilt, die der gelehrte Auguftinermönch doch wohl 
ihwerlich gefannt hat. 

Der militärische Teil von Egidios Werf zerfällt in 
B Kapitel, die fich jehr eng an den Gedanfengang wie an den In— 
balt der Epitome des Vegetius anlehnen, aber doch auch manche 
agene Betrachtung und manches Streiflicht aus der Zeit des Autors 
aufgenommen haben. 

l. Quid est militia et ad quid est instituta et quod omnis 
bellica operatio sub militia continetur. — 2. Quae sunt regi- 
ones illae in quibus meliores sunt bellatores et ex quibus artibus 
elegendi sunt homines bellicosi. — 3. In qua aetate assues- 
cendi sunt iuvenes ad opera bellica et ex quibus signis cog- 
noscere possumus homines bellicosos. — 4. Quae et quod ha- 
bere debent homines bellicosi ut bene pugnent et ut eos strenue 
bellare contingat. — 5. Qui sunt meliores bellatores, an urbani 
et nobiles vel agricolae et rurales. 

Dieje fünf der Heeresaujbringung gewidmeten Kapitel jind faft ganz 
dem erjten Buche ded Begetiuß entnommen und haben für die Zeit, in der fie 
von Colonna reproduciert wurden, d. h. für das durch Feudalverfafjung und Söld- 
nertum beherrſchte 13. Jahrhundert eigentlih nur den Wert, ein unerreichbares 
Peal Hinzuftellen, fromme Wünſche zu formulieren. 

6. Quod in opere bellico, nimium valet exercitatio armo- 
rum et quod ad incedendum gradatim et passim et ad cursum 
et saltum exereitandi sunt bellantes. — 7. Plura alia ad quae 
exercitandi sunt homines. — 8. Quod utile est in exereitu 
iacere fossas et construere castra, et qualiter castra sunt con- 
stituenda et quae sunt attendenda in construetione castrorum. 

Was Egidio in diefen drei Kapiteln von der Ausbildung jagt, ift ebenio 
unvermittelt importiert wie der Inhalt der erjten fünf Kapitel. Intereſſant iſt 
die Erwähnung und rühmende Hervorhebung der gewöhnlich als „SKriegsflegel“ 
bezeichneten Handwafje!). Wie völlig Colonna jeine Anſchauung der des Vegetius 
unterordnet, erhellt aus der Einbeziehung der Lagerbefeſtigungskunſt in den Kreis 
der eigentlichen Truppenausbildung: eine durdaus römiſche Auffajiung, für die 
der Autor unmöglidy in feiner Umgebung ein Analogon zu finden vermochte. 


— —— 


!) Näheres über den Inhalt der Kapitel 1—8 vgl. bei Alwin Schuld: Höfiiches Leben zur 
Het der Minnefinger II (Leipzig 1880), €. 160 ff. 


190 Mittelalter. II. Die Abendländer. 


9. Quae et quod sunt consideranda in bello si debeat pub. 
lica pugna committi. 

Da kommen denn die alten, wohlbelannten, immer aufs neue bin und 
bergewendeten Erwägungen über die Bedenklichkeit und Ungewißheit dead 
Kampfes und über die Möglichkeit, die eigene Stärke wie die des Feindes richtig 
zu ſchätzen und die Vorteile der Stellung zu würdigen. 

10. Quod utile est in bello ferre vexilla et construere du- 
ces et praepositos, et quales esse debeant qui in exercitu vexilla 
portant et qui equitibus et peditibus praeponuntur. 

Died Kapitel hätte eigentlich da8 6. fein müſſen; denn mit den Maßregeln, 
die es vorträgt, d. 5. mit der Einrihtung von Truppenförpern und 
der Aufſtellungder Befehlshaber, wird die Heeresbildung doch erft vollendet. 

11. Quibus cautelis debet uti dux belli, ne suus exercitus 


laedatur in via). 

Eolonna empfiehlt wie Vegetiuß für den Marſch in Feindesland jorgfäl: 
tigite Relognoscierungen, insbeſondere au den Gebraud) von arten. „Wie die 
Schiffer Seekarten entwerfen, auf denen die Häfen, die gefährlichen Stellen u. dgl. 
in richtigen Maßen verzeichnet find, und welche leicht erfennen lafjen, wie zu 
jegein jei, wo man fich befinde und wovor man fid) zu hüten habe ... jo darf 
auch ein Heer niemals auf einer Straße vorrüden, auf der es durch Hinterhalte 
geſchädigt werden könnte, wenn nicht der Befehlshaber die Beichaffenheit der Wege, 
die Berge, Flüſſe und was jonjt auf dem Marjche begegnen mag, verzeichnet 
oder abgemalt bei fich hat“. — Nun weiß man ja, dab e8 zu Egidioß Zeit See- 
farten (Bortulane) gab; aber Zandfarten werden jonft nirgends erwähnt. 

12. Qualiter ordinandae sunt acies si debeamus contra 
hostes vel contra adversarios dimicare. — 13. Quod deridendi 
sunt in bello omnes percutientes caesim et quod eligibilius est 
percutere punctim. — 14. Quod et quae sunt illa quae hostes 
potentiores reddunt et quot modis et qualiter debemus hostes 
invadere. — 15. Quomodo homines bellatores stare debeant si 
debent hostes percutere, et quomodo debeant declinare a pugna 
si non sit bonum pugnam committere. 


Diefe vier Kapitel handeln alfo von Schlahtordnung, Waffenge 
braud, Kampfweije und etwaigen Mitteln, einer Schlacht auszu— 
weichen). Sie find verhältnismäßig felbftändig, d. h. fie ftellen die taktiſchen 
Lieblingsformen des 13. Ihdts. in den Vordergrund. Für die bejte Berteidigungs- 
jtellung erflärt Egidio die runde oder, einem an Zahl ſchwachen, aljo leicht zu 
umfafjenden Feinde gegenüber, die zangen= oder hufeifenförmige., Die vieredige 


1) Bol, Alwin Schul: Höfifches Leben zur Zeit der Minnefinger II, (Leipzig 1880), ©. 209 f. 
%) Desgl. ©. 161, 243, 286 - 238. 


1. Antike Reminiscenzen und Lehrichriften. 191 


Stellung rät er nur da anzumenden, wo das Gelände dazu nötige Die beite 
Angriffsform ift der Keil. — Beim Gebrauche des Schwertes jei der Stich un— 
bedingt dem Hiebe vorzuziehen. — Das 14. Kapitel gibt großenteild nur eine 
weitere Ausführung des neunten. Bemerkenswert ift e8, dab Colonna das von 
Begetius empfohlene Mittel, die Gegner dadurd zu ſchwächen, daß man Zwie— 
ipalt in ihren Reihen bervorrufe, verwirft. „Diefe Maßregel”, jo bemerkt der 
ritterfiche Kardinal, „ift nicht zu empfehlen, obgleid; Vegez fie vorichlägt, denn 
fie jheint dem Anftande zu widerſprechen“. 

16. Quot genera bellorum? quot modis devincendi sunt 
munitiones et urbanitates, et quo tempore melius est obsidere 
civitates et castra. — 17. Quomodo debent munitiones obsideri 
et quomodo periculosius impugnari possunt munitiones obsessae. 
— 18. Quae et quot sunt genera machinarum eiicientium lapides ; 
per quae impugnari possunt munitiones. — 19. Quomodo per 
aedificia impulsa ad muros civitatis impugnari possunt muni- 
tiones, — 20. Qualiter aedificanda sunt castra et civitates, ne 
per pugnam ab obsidentibus faciliter devincantur. — 21. Quo- 
modo muniendae sunt civitates et castra.. — 22. Quomodo re- 
sistendum est impugnationi factae per cuniculos et qualiter 
machinis lapidariis et aliis aedificiis '). 

Daß Colonna dem Belagerungskriege fieben Kapitel widmet, zeigt, 
welche Bedeutung derjelbe im 13. Ihdt. Hatte. Der Kardinal unterjcheidet drei 
Arten, befejtigte Pläße zu gewinnen: durch Durft, durch Hunger oder durch Kampf. 
Bei legterem handelt es fi entweder um den gewaltfamen oder den fürmlichen 
Angriff, und dieſer bedient fich entweder der Minen oder des Wurfzeugd oder 
der Angriffsbauten. Hier find des Verf. Angaben vom höchſten Werte. 

Über die Minen (cuniculi) jagt er: „Es gibt deren zwei Arten; entweder 
will man fi einen unterirdiihen Weg in die Stadt bahnen, um fie nachts zu 
überrafchen oder man untergräbt die Mauer, jtügt fie durch trodene Ballen und 
füllt den Hohlraum mit Brandjtoffen. Nun zieht man die Arbeiter zurüd, läßt 
die Truppen zum Sturm antreten und legt Feuer an die GStüßballen. Dann 
türzt die Mauer ein. Die Galerien müfjen mit Holz ausgelegt werden, und die 
ausgeworſene Erde ift zu verbergen, damit fie vom Feinde nicht bemerkt wird“. 
Geſchah letzteres, ſo ging der Belagerte mit Gegenminen vor. 

„Die Wurfgejhüge (petrariae) zerfallen in vier Arten. Jede von ihnen 
hat eine Rute (virga), die man niederzieht und mit Hilfe eine® Gegengewichtes 
emporjchnellt. Zumeilen reicht das nicht aus und man muß nod Stride zu Hilfe 
nehmen. Um Ende der Rute ift eine Schleuder angebracht. Das Gegengewicht 
(am kurzen Arm der Rute) ift entweder fejt oder beweglich oder beides zugleid. 


1) Bgl. Alwin Shulg: Höfiiches Leben zur Seit der Minnefinger II (Leipgig 1880), 
S. 316—978 unb Band I, ©. 7. 


192 Mittelalter. II. Die Abendländer. 


Seit ift e8, wenn ein mit Steinen, Sand, Blei oder jonjt beſchwerter Kajten un— 
verrüdbar mit der Rute verbunden ijt. Dieje Art von Maſchinen nannten die 
Alten trabucium. Sie werfen am genauften, weil das Gegengewicht ſtets 
gleihmäßig wirft; man fann damit faft eine Nadel treffen. Hat man ji) in der 
Seitenrihtung geirrt, jo richtet man entiprechend nad) der entgegengejegten Seite: 
hat man zu kurz geworfen, jo jchiebt man die Maſchine vor oder wählt ein 
leichtere Geſchoß . . . Die Geſchoſſe find daher vorher zu wiegen. — Eine andere 
Art, bei der fi) daS bewegliche Gegengewicht an der Rute um eine Are dreht, 
nannten die Alten biffa. Hier wirkt das Gegengewicht, weil es beweglich an der 
Rute herabhängt, beim Falle ftärfer (denn es verlängert den Hebelarm); daher 
wirft die biffa weiter, aber nicht jo genau. — Eine dritte Art heißt tripantium. 
Sie hat ſowohl ein feſtes als ein bewegliches Gegengewicht und vereinigt die Bor: 
teile der beiden erjten Arten. — Bei der vierten Gattung wird das Gegengewicht 
durch Menſchenkraft eriegt: die Leute. ziehen an Striden. Dieje Maſchine wirft 
nicht jo große Steine; aber fie ijt leichter jchußbereit zu maden und kann daher 
öfter werfen. Alle Arten von Wurfmaſchinen find entweder den beſprochenen 
gleich oder aus ihnen entitanden. Die belagerte Zeitung muß Tag und Nacht 
beworfen werden; und daher ift nacht? ein brennender Gegenftand an den Stein 
zu befejtigen, um zu wiflen, wohin man trifft”. 

Berdienfte um die Klarjtellung der bier gejchilderten mittelalterlihen Wurf: 
zeuge hat fih Napoleon III. erworben. Die Ergebniffe der "von ihm veran- 
laßten Unterjuhungen finden fid) im 2. Bande jeiner Etudes (p. 29 ff.). Neuer: 
dings hat General Köhler einen wichtigen Schritt weiter getan!) und Rejultate 
gewonnen, denen gegenüber ich meine eigenen früheren Anfchauungen, namentlid) 
die Einteilung der mittelalterlihen Artillerie in Hohe und niedere Gewerfe, aufgebe. 


Das Trabucium ift der Triboc der Deutihen (ital. trabocco, frzj. tre- 
buchet), welcher bereit3 in dem thüringiihen Kriege Ottos IV. (1212) erwähnt 
wird. Die Biffa ift die Blide oder Bleide, welce zuerjt in einer Verordnung 
Kaifer Friedrich® II. von 1239 urkundlich genannt wird und deren Name in der 
Folge auch auf das Tripantium des Colonna überging. Die von diefem unbe» 
nannt gelafjene vierte Art der Schleudermajhinen ijt offenbar die gewöhnliche 
Betraria, welche immerhin nocd Steine bis zu 6 Ztr. Gewicht werfen konnte. 
Vermutlich ift auf diefe Maſchine auch der niederdeutfche Ausdrufd Paderel zu 
beziehen. | 

EColonna irrt, wenn er annimmt, daß dieje Wurjmajchinen bereit® von den 
Alten gebraudht worden jeien?); fie find wahrſcheinlich byzantiniſcher Herkunft 
und treten im Abendlande erjt zu Anfang des 13. Ihdts. auf. Er jcheint auch 
zu irren, wenn er meint, daß außer dem von ihm aufgeführten Wurfzeuge fein 
anderes bejtehe, wenigjtens feine, das auf anderen Prinzipien beruhe. Bielmehr 
haben ſich (abgejehen von den großen Windarmbrujten) vermutlich die Katapulte 
und der Onager der Alten auch im Mittelalter erhalten, jene (die „Ballifte“ des 


!) ſtriegsweſen ber Nitterzeit IIIa (Breslau 1887) ©. 119 ff. 
2, In demjelben Jrrtum befindet ſich audy Lipfius [XVI, $ 34). 


1. Antike Reminidcenzen und Lehrſchriften. 193 


Vegez) als Tarant (mangonellus) diejer unter dem Namen der Mange, Rutte 
oder Polers. 

Die von Egidio Kolonna erwähnten Angriifsbauten jind: Widder, 
Kate, Maus, Sau, Fuchs, Maulwurf, Türme, (Ebenhöhe, Bergfried.) 

Aries (Zummler), sus (Soge), vulpes und talpa find Majchinen zur 
Brechelegung, teild durch Stoß, teild dur Mauerbohrung. Auch die „Katze“ 
dient oft diefem Zwede (als „Schildkröte“); meift aber ift unter der Bezeichnung 
Katze“ ein Deckungswerk, eine Laufhalle (vinea) zu verjtehen. Dasjelbe gilt 
von den musculi. Die Ebenhöhe ift mit einer Yallbrüde (sambuca oder exostra) 
verjehen. 

Wie bei diefen Angriffsmaſchinen, jo führt Colonna auch in Bezug auf die 
Berteidigungsmahregeln die Anweiſungen des Vegetius mit geringen 
Anderungen bis auf jeine Zeit fort. Für die Baumeije der Befeftigungen ſelbſt 
bringt er nur wenige neuere Angaben. 

23. Qualiter construenda est navis et qualiter committen- 
dum navale bellum et ad quae bella singula ordinantur. 

Egidio führt zehn Kampfweifen zur See auf, deren erjte in der Anwendung 
deö ignis incendiarius, d. 5. des griechijchen Feuers beiteht. 

Wenn man das Werk des Aegidius im großen und ganzen über- 
blikt, jo erjcheint als das verdienjtvollite wiljenjchaftliche Charakte— 
riſtikum desjelben: die Einreihung der Eriegskünftleriichen Abhandlung 
in ein Lehrbuch vom Leben des States. Der große Grundjat des 
Clauſewitz, daß der Krieg nichts anderes jet als die fortgejeßte Stats— 
politif nur mit neuen Mitteln, der erjcheint dem gelehrten Kardinal 
als eine jo jelbjtverjtändliche Sache, daß er es nicht für nötig findet, 
ihn bejonders zu begründen; aber er gibt ihm durch die Überjchrift 
des legten Teiles jeines 3. Buches einen Ausdrud, der nicht einfacher 
und jchlagender jein kann: »Quomodo regenda sit civitas aut 
regnum tempore’belli.e Die Ausführung fußt ja num freilich durch- 
aus auf jeinem antiken Vorbilde; die Kriegsverfaffung der eigenen Zeit 
it jogar ganz außer Augen gejegt; das Unterjcheidungsvermögen war 
in diejer Hinficht noch nicht genügend ausgebildet. Immerhin hütet 
ſich Egidio davor, wie es doch jo viele jpätere Autoren getan, das 
vegetijche »milese für identijch zu nehmen mit „Ritter“ ; ex umjchreibt 
es an- den entiprechenden Stellen mit »bellator«.. Und da, wo 
e3 ſich um handgreifliche Dinge handelt, wie bei den Mafchinen zum 
Angriff umd zur Verteidigung feſter Plätze, da kümmert er fich doch 
auch ganz ernjtlih um die Wirklichkeit, ſtützt jich nicht allein auf jeine 
Bücher und jchafft jo ein Werk, das, indem es die alte Tradition 

Jahens, Geſchichte der Kriegswiſſenſchaften. 13 


194 Mittelalter. II. Die Abendländer. 


aufnimmt, fie zugleich weiterbildet. Mit Necht nennt ihn Naptone: 
Il nostro Vegezio del secolo XIII. 

Golonnas Werk hat während des Mittelalters eine bedeutende 
Autorität 'genofjen und iſt infolgedeffen vielfach abgejchrieben worden. 
Hänel citiert in jeinem Manuffriptenfataloge der Bibliothefen Weit: 
europas 25 Kopien. 

Noch aus dem 13, JHdt. ftammt angeblich der Cod. ms. 448 der kgl. öffentl. 
Bibl. zu Bamberg. Aus dem 14. Ihdt. befigt die kgl. Bibl. zu Berlin zwei 
Handichrijten (ms. lat. fol. 97 und 429), die Bibliotheca Ashburna in der 
Laurentiana eine und eine zweite aus dem 15. Ihdt. Die Bajeler Univerjitätd- 
bibliothet Hat zwei Manujfripte: eines von 1459 und eines von 1469. 

Schon Philipp der Schöne lieh den lateinifchen Tert von Henri de Ganchy 
ins Franzöſiſche überjegen; ind Caftilianijche übertrug ihn Caftrojeriz 
um 1340 unter Alfonjo XI VBerdeutihungen kommen unter dem Titel 
„Bon der Fürjten Regiment“ feit dem 15. Ihdt. vor. Mehrere Handſchriften 
derart bejigt die Hof- und Statsbibliothef zu Münden. 

Der erite Drud iſt der Augsburger von 1473. Ein franzöjijcde 
Überfegung Simons de Hesdin eridien 1497, die des Henri de Ganchy 1517 
unter dem Titel »Miroir exemplaire«e. Eine catalanijde Überjegung wurde 
1480, eine caftilianifde 1494, eine limoufinijche 1594 herausgegeben. 
Berdeutjcht erfhien der das Kriegsweſen betreffende dritte Teil des 3. Buches 
zuerft in Hahns Übertragung (Braunſchweig 1724) und neuerdingd — wenig- 
ſtens größtenteil® — in Alwin Schul’ „Höfifches Leben zur Zeit der Minne— 
finger”. (Zeipzig 1880.) ') 


8 20. 


Nicht ohne innere Berührungspunfte mit Egidios Werk it em 
Traftat, der unter Philipps des Schönen Regierung von einem avocat 
royal u. zw. wahrjcheinlich von dem Normannen Pierre du Bois 
geichrieben und jenem Könige gewidmet wurde. Der Titel lautet: 
»Summaria brevis et compendiosa doctrina felieis 
expeditionis et abbreviationis guerrarum ac litium 
regni Francorume. Dieſe ungedrudte in der Barijer National: 
bibliothef (No. 10316) aufbewahrte Abhandlung bejchäftigt ſich mit 
den Meitteln, welche nötig jeien, um jowohl die Kriege als auch die 





I) Die Ed. pr. von 1473 im Beſitz des Verfaſſers. — Vgl. über das Wert: Hahn: De re 
militari veterum et mores praesertim medii aevii (Braunjcdhweig 1724). — Conte Galeani 
Napiome bi Eocconato : Della scienza militare di Egidio Colonna (Memoiren der Turiner 
Alabemie t. XXVIII. 1822. — Bibl. der Berliner Sriegdafademie D. 274). — Müller: Aegidii 
Romani de regimine principum liber tres abbreviati per Leoninum de Padua ($eitichrift 
für die gefammten Staatswifienihaften 1880). 


1. Antite Reminiscenzen und Lehrichriften. 195 


inneren Streitigkeiten, die Prozeſſe, ein für allemal glücklich zu beendigen. 
Die Niederichrift dürfte in das legte Jahrzehnt des. 13. Ihdts. fallen. 

Die Auffafjung diefe® merkwürdigen Verkünders des ewigen Friedens kenn— 
zeichnet es, dab er jeine Schrift nicht, wie das jonjt zu geichehen pflegt, etiwa mit 
einer Schilderung der Süßigkeiten des Friedens beginnt, jondern mit Auseinander- 
jegung der Borteile einer neuen Kriegführung, als deren Erfinder der 
Verfafier fich jelbit bezeichnet. Es jei ein ganz verfehrted Verfahren, dab die Stra= 
tegie ji gewöhnlich auf die feiten Plätze jtüge, oder eben gegen dieje angriffs- 
weife vorgehe, obgleich bei ſolchen Unternehmungen die Ritterjchaft weit weniger 
augzurichten vermöge, ald dad mangelhaft gerüjtete und jchledht geübte Fußvolk. 
Das müfje aufhören! Die neue doctrina felicis expeditionis et abbreviationis 
guerrarum lehrt, die feſten Plätze einfach zu ignorieren, dagegen das feindliche 
Gebiet ſyſtematiſch und rüdjichtslos auszuplündern und zu verwüften, um fo den 
Feind, womöglid ohne Kampf und ohne die Seelen der Gefahr ewigen Höllen- 
jeuerd auszufegen, dur Hunger und Elend zur Unterwerfung zu zwingen. — Hödjt 
wünjchenswert jei es, da8 ganze Univerjum der Herrſchaft eines einzigen Volkes, 
u. zw. derjenigen der Franzoſen zu unterwerfen, da die Franzoſen ein jugement 
plus sür bejähen que les autres peuples, de ne pas agir inconsideröment 
et de ne pas se mettre en opposition avec la droite raison!). Demgemäß 
entwirft der Berfafler einen wohlerwogenen Plan, wie Philipp le Bel alle 
anderen Völker, jei es gütlid durh Verhandlungen, VBermählungen u. dgl., oder 
mit Hilfe der neuen Strategie, d. h. aljo durch Weltverwüftung zur Unterwerfung 
bringen könne. (E8 ijt daS Berfahren Louis' XIV. in der Pfalz!) 


Dies iſt der Inhalt des eriten Teils; der zweite, welcher von 
Beleitigung der Prozeſſe handelt, geht uns bier nichts an. Die 
Inhaltsſtizze lehrt, wie außerordentlich jtarf bereits um die Wende 
des 13. und 14. Ihdts. das Selbitgefühl und die Eroberungsjucht 
der Franzoſen waren und wie die legtere fich jchon damals mit der 
Masfe des »combattre pour une idee« zu jchmücken verſtand; fie 
(ehrt ferner, wie wenig militärisches Willen der Verfaſſer bejaß, der 
nicht einjah, dat eben die Feſtungen der Durchführung jeines rohen 
Verfahrens entgegenitanden; endlich aber zeigt auch fie den Krieg we- 
\entlich als eine Statsaftion aufgefaßt und nicht ungejchieft mit 
dem jurtjtiichen Prozeſſe paralleliſiert. 


g 21. 


In der Zeit der Kreuzzüge hatte der hi. Abt Bernhard von 
Clairvaur in jenem Tractatus de nova militia seu exhor- 


1) Bol. de Wailln: Un opuscule anonyme, intit. »Summaria etc.» Lu dans les 
sceances du 5. et 12. fevr. 1847. Acad. des inscriptions et belles lettres. Vol. XVII. 
13* 





196 Mittelalter. II. Die Abendländer. 


tatio ad milites Templi (ca. 1130) die Berechtigung des „Krieges 
für Chriſtus“ nachzuweiſen unternommen ?). Anderthalb Jahrhunderte 
jpäter erläuterte eimer der berühmtejten Defretaliften, Benricus de 
Segufia (Hojtienjis) im jener Summa aurea super titulis 
decretalium aufs neue diefe Frage ?). 


Der gelehrte Biſchof von Oſtia unterjcheidet dabei zwiichen denjenigen Sa— 
razenen, welche, wie z. B. die in Sizilien, dem Zepter des Kaiſerreichs unter- 
worfen find, und denen, welde außerhalb des Reichsverbandes jtehen. >Alii 
autem qui dominium Romanae Ecclesiae non recognoscunt sive Imperii 
Romani, impugnandi sunt.« (V, rubr. de Sarracenis.) Der Krieg gegen ſolche 
Ungläubige heißt ein „römijcher Krieg“ und ijt an und für fi gereht. »Bellum 
quod est inter fideles et infideles potest dici bellum Romanum et hoc 
justum. Hoc enim Romanum voco quia Roma est caput fidei nustrae et 
mater. (I, rubr. de treuga et pace.) 

In ganz demjelben Sinne jprachen jich auch alle anderen Kano— 
niften aus, und die gleiche Auffafjung begegnet uns bei den Legiften. 
Bartolo da Safjoferrato (geb. 1314 F 1357), das Haupt der fog. 
Poſtgloſſatoren, unterjcheidet in der Lectura ad Digestum 
novum?) denjenigen Teil der Menjchheit, welcher dem römischen 
Reiche angehört grundjäglich von den Fremdvölkern, auf die jomit 
der antife Barbarenbegriff übertragen wird. 

Und zwar umfaßt diefer alle »populi extranei qui non fatentur impera- 
torem romanum esse dominum universalem«: Griechen, Tataren, Juden, 
insbejondere aber Türken und Sarazenen. (II, De captivis et postliminio re- 
vereis et redemptis ab hostibus.) 

Dem Bartolo jchließt ich faſt wörtlich der Mailänder Giovanni 
de Cignano (F 1385) an, einer der berühmteſten Nechtsgelehrten der 
Bolognejer Schule und päpjtl. Legat, der ſich auch) eifrig mit Theo— 
logie, Philojophte und Ajtrologie beichäftigte. Er jchrieb um 1360 
einen Traftat De Bello, in welchem er das unbedingte Recht des 
Bapites auf das hl. Yand verfocht, welcher aber auch anderweitig 
hinsichtlich der Auffaffung des 14. Ihdts. vom Kriege jehr interejjant üt. 

Lignano zufolge gibt e8 einen geiftigen und einen förperlichen Krieg. Das 
bellum spirituale wird im Himmel zwiſchen Gottes Heerjharen und den abge= 
fallenen Engeln, auf Erden zwijchen der menſchlichen Seele und den Leidenihaften 


geführt. Ebenjo wie diejer Kampf ift aud) das bellum corporale von Gott ge= 
jept und unerläßlid und fteht wie jener unter dem Einfluß der Gejtirne. Aber 





1) Drud Paris 1645 (IV, p. 96—102). Meuer Abdr. der Ausg. v. 1690: Paris 1839, 
2) Ausg. Bafel 1573. *) Ausg. der gefamten Werte Bajel 1562. 


1. Antike Reminiscenzen und Lehrichriften. 197 


nur dann ijt der Krieg gerecht, wenn er von einem wirklichen Souverain unter: 
nommen wird, der kein Oberhaupt über fi hat, und wenn er in der Abficht 
geführt wird, zu einem rechtihaffenen Frieden zu gelangen. »Bellum justum 
tendit in bonum, nam tendit in paceın et in quietem universi«. In diefem 
Sinne braude Gott, ald medicus altissimus, den Krieg ald Heilmittel. 

Die merkwürdige Abhandlung wurde mit Zufägen von Paul Lignano als 
Tractatus elegans de bello, de repressaliis et de duello jhon im Jahre 
1487 zu Bavia mit gotijchen Lettern gedrudt. (Erplr. unter den Inkunabeln 
der Salzburger Studienbibliothel.) Sie ift aud dem Traltate De bello von 
Paris de Puteo [XV, 8 54] in der Ausgabe von 1525 angehängt. 


Doch nicht nur die Nechtsfrage des Krieges gegen die Uns 
gläubigen beichäftigte im 14. Ihdt. die beiten italienischen Köpfe; 
jondern der Wunjch, die erlojchene Begetjterung für die Kreuzzüge 
neu zu entflammen, veranlaßte zwei Abhandlungen, in denen der 
militärifchen Seite der Gottesfriege näher getreten tt. Auch 
deren Berfafjer waren Italiener. 

Der eine dieſer Nachzügler der Kreuzfahrer ijt Marino Sanuto 
gen. Torfello (Torrellus), der Sohn eines venetianiichen Senators. 
Begeijtert für den Gedanken der Befreiung des hl. Grabes, unter: 
nahm er fünf Reifen in den Orient und jchrieb heimgefehrt den Liber 
secretorum fidelium crucis super Terrae sanctae 
recuperatione et conservatione. Er überreichte ihn 1321 
zu Avignon dem Papſte, den er, wie auch manchen anderen Fürjten, 
vergeblich für einen neuen Kreuzzug zu entflammen verjuchte. 

Das Buch Handelt in drei Abjchnitten von der Möglichkeit und von den 
Mitteln die Macht des Sultans zu breden, von den Wegen und der Art und 
Weije, einen neuen Kreuzzug zu unternehmen und weiter in 15 Abfchnitten von 
den bisherigen Kriegen gegen die Ungläubigen. Dabei werden denn vor allem 
die militäriſchen Mittel jorgjam ind Auge gefaßt; bis in die Einzelheiten der 
Bewaffnung hinein ift die notwendige Heeredausrüftung durchgeſprochen; Marino 
Sanuto zeigt fi ald erfahrenen Ingenieur und erläutert namentlich die Bela= 
gerungsmaſchinen recht gut. 

Torſello unterſcheidet hinſichtlich des Wurfzeugs die machina communis 
und die machina lontanaria, beide mit beweglichem Gegengewicht, alſo Bliden. 
Er gibt für die Verhältniſſe der Maſchinen, ihrer Ständer und Seitenſtreben de— 
taillierte Angaben, bei denen die Maſſe des Gegengewichtes als Grundlage und 
Ausgangspunkt dient; aber ſeine Ausdrucksweiſe iſt zu unklar, um ſichere Schlüſſe 
zuzulaſſen. Je nachdem man weit oder kurz werfen will, ſoll man die Krümmung 
des eiſernen Hakens am Ende der Rute, an dem ſich die Schleuder befindet, ent— 
ſprechend ändern; denn das modifiziere den Abgangswinkel des Geſchoſſes. Dies 


198 Mittelalter. II. Die Abendländer. 


befteht in einem runden Steine, dejjen Gewicht wieder zur Schwere deö Gegen 
gewichtes in beftimmtem Verhältnis zu jtehen habe. — Napoleon III. Hat 
nad diejen Vorſchriften ein Geſchütz bauen lafjen, das auf ein Gegengewicht von 
8000 kg beredinet war; doch zeigten ſich die Ständer zu ſchwach und die Seiten 
ftreben zu fteil angefegt, jo dab man das Gegengewicht nicht über 4500 kg ans 
zunehmen wagte. — Intereſſant iſt aud die von Marino Sanujo erwähnte 
muschetta (feine Fliege, davon „Mustete“), d. h. ein Geſchoß der großen Stand- 
armbrujt, welches wie der vireton eine Art Drall aus Bergamentjtreifen gehabt 
zu haben jcheint. 

Das Liber secretorum Fidelium crucis wurde 1621 zu Dannover ge- 
drudt und findet ſich auch im 2. Bande von Bongars Gesta Dei per 'Francos. 

Einzelne wichtigere artilleriftiide Momente hat Napoleon III. hervorge— 
hoben in den Etudes sur le passe et l’avenir de l’artillerie II, p. 27, 31, 36, 42; 
ebenfo General Köhler in feiner „Entwidelung des Kriegsweſens der Ritterzeit“ 
IlIa, ©. 186, 197. — Intereffanter als in militärijcher Hinficht iſt da8 Wert freilich 
noch in geographijcher Beziehung. Torſello hatte den Plan, den Wohl— 
ftand Egyptens zu vernichten, die Waren Indiens über Bagdad, Bafjora, Tauris 
nad) der afiatiihen Mittelmeerfüjte zu lenken. Er gibt Karten diefer Gegenden 
und ift der erfte Europäer, der Afrika als vom Meer umgeben daritellt: eine 
Kenntnis, die er wohl im Orient gewonnen, wo Ibn el Vardi bereit? 1252 
ſolche Karten gezeichnet Hatte. 


Zu gleichem Zwede wie Torjello jchrieb der um 1270 geborene 
Baveje Guido da Digevano in der Mitte der dreißiger Jahre des 
14. Ihdts. jenen Thesaurus regis Franciae acquisitionis 
Terrae-Sanctae de ultra mare, nec non sanitatis corporis 
ejus et vitae ipsius prolungationis ete. Guido gehörte zu den 
hervorragendjten machinatores jeiner Zeit und verbreitet jich weit— 
läufig über alle Arten von Kriegsmajchinen, gibt Zeichnungen der- 
jelben und empfiehlt jogar eigene Erfindungen. 

Bibl. nationale zu Paris. (Fonds Colbert. No. 9640.) Der Zraftat ijt 
nie gedrudt worden. 


$ 22. 

Mehr oder minder unter dem Einfluſſe derjelben Ideen, welche 
Lignano über den Krieg formuliert hat, jtehen drei andere Autoren, 
des 14. Ihdts.: Caruſi, Baldus und Bonnor. 

Fra Bartolomeo Caruſi, Biichof von Urbino, verfaßte um 1370 
einen Tractatus de re bellica spirituali per compa- 
rationem ad temporalem. 


Dieje Schrift iſt eigentlich weniger ein asketiſches Werk als ein militärifches ; 
denn der fromme Berjafjer geht bei feinem jorgfältigen Vergleihe zwiſchen den 


1. Antike Reminiscenzen und Lehrſchriften. 199 


Anfehtungen, welde der Ehrijt zu bekämpfen habe, mit dem wirklichen Kriege 
derartig ins einzelne, daß er den Gang eines Kriegslehrbuches innehält und ſich 
überall auf Frontinus und Vegetius jtügt. 

Die Handichrift befindet ſich in der Pariſer Nationalbibliothet und ift, 
meines Wifjend, niemals abgedrudt worden. 

Baldi degli Ubaldi (1327— 1400) hat in jeinen Kommen- 
tarien zum Corpus juris civile und in jenen Konjilien?!) 
die Weltitellung des Krieges auseinander zu ſetzen verfucht. 

Er fordert fünf Bedingungen für den gerechten Krieg, die er unter Die 
Rubrifen persona, res, causa, animus und auctoritas ordnet. Wer Krieg führt, 
muß dazu perjönlich befähigt und mächtig fein; das Ziel des Kriege® muß be- 
rechtigt jein. Der Krieg muß notwendig fein, darf nicht willfürlic herbeigeführt 
werden ?); er darf nicht wildem Rachetrieb entipringen, und endlid muß der Fürft, 
welcher ihn erklärt, dazu berechtigt fein. 

Bon höherem militärtichen Intereffe als dieje Schriften ijt eine 
dritte, welche Honore Bonnor (Bonnet), ein Provencale, Prior von 
Salon, verfaßt hat: der auf Befehl König Charles’ V. von Frankreich 
für den Dauphin gejchriebene, doch dem SHerricher jelbft gewidmete 
Arbre des batailles. Das Werf entjtand um 1380, aljo zu 
der Zeit des Schismas zwijchen den römiſchen und den franzöfiichen 
Päpſten. Bonnor hofft, daß der Dauphin, wenn er zur Regierung 
fomme, den Frieden iwiederherftellen werde. Den Hauptinhalt des 
jtatswiljenjchaftlich- militärijchen Werkes bildet eine Darftellung des 
mittelalterlichen Kriegsrechtes, doc) jind auch andere Elemente feines- 
wegs ausgeichlojjen. 

Dem Titel und dem Inhalte entfprechend eröffnen jich einige Handichriiten 
mit dem Bilde eines Baumes, in dejien höchſten Zweigen Geiftlicdye um die Tiara, 
tiefer hinab Fürſten um eine Krone, darunter dann Ritter um eine Burg und 
endlich ganz unten Bauern und Söldner um Beute jtreiten. 

In ber einleitenden Widmung jagt Bonnor: »Ce que j'ay mis en mon 
livre prend son fondement sur les loix, sur les decrets et sur naturelle 
philosophie, qui n'est autre chose que raison de nature, et aura nom ces- 
luy livre l’Arbre des Batailles. — Si m’est venue une telle imagination 
que je vois un arbre de deuil au commencement de mon livre ouquel à son 
dessus vous poves veoir les regnes de Ste. Eglise en tres fiere tribulation 
tant que oncques telle ne fut: apr&s pov&s veoir la grande discension qui 
est au jour d’hui et Roys et aux Princes... entre les nobles et les Com- 
munes, et sur cet Arbre ferai les quatre parties de mon livre. 


!) Opera omnia (Benebig 1598). 
7, Dem entipricdht ein Paſſus des 17. Titel® der „Boldenen Bulle“ Kaiſer Karla IV., welcher es 
verbietet, Fehde⸗ Urſachen zu erbichten (1356). 


200 Mittelalter. II. Die Abendländer. 


Das Werk zerfällt in 4 Teile, deren erjter von der Entjtehung 
und dem Wejen des Unfriedens Handelt; der zweite jpricht von den 
Erjchütterungen der vier großen Reiche der Vergangenheit, der dritte 
von den Zweifämpfen und Kriegen und der legte von der jtats- 
rechtlichen Stellung des Krieges. — Die Hauptmomente des Inhalts 
jind die folgenden: 


I. (12 Kapitel.) Quelle chose est bataille? En quel lieu fut 
premierement trouue bataille? Des tribullations de lesglise jadis passes 
Les sept anges (aus der Offenbarung Johannis.) 


II. (18 Kapitel.) Des tribullations des quattre plusgrands 
Royaulmes de jadis. Dieſes Kapitel behandelt u. a. folgende Themata: 
Comment fut premierement Rome ediffitee. Gouvernement des senateurs. 
Du bon roy Alexandre. De la vaillantise de Messire Scipion. De la de- 
struction de la cite de Cartaige. De la bataille qui fut entre les Allemans 
et les Romains. De messire Scilla ennemy des Romains. De Jullius 
Cesar. Du bon prince Octavien. Dont vient Jurisdicetion seigneurale de 
tout le monde. Qui fut le premier juge entre les hommes. 


III. (8. Kapitel.) Champ clos pour prouuer son droit. — Ce n’est 
possible chose que celui monde soit sans bataille? Comant force est prin. 
cipal fondement de bataille.e. Comant cognoist on que ung homme a la 
vertu de force? Quelle est la plus grande vertu: d’assaillir ses ennemis 
ou les atandre? (der Berfafjer beantwortet dieje Frage im Sinne des Angriff; 
denn »selon lescripture est plus vertueuse chose de bien donner que de 
bien prendre.«< Alſo donner bataille, nidjt prendre bataille!) Pour combien 
de choses est ung chevalier bien hardy? Ung homme doit plustot morir 
que sen fouir de la bataille.e. Commant doit estre pugny celui qui se part 
de la bataille de son seigneur et va combattre les ennemis sans son com- 
mandement? 


IV. (136 apitel.) Queldroitvientbataille?— Par quelle droit ne 
pas quelle raison puet on mouvoir guerre contre les Sarrasins? Se l’empereur 
puet commander guerre et quelles gens luy doivent obeir. De les autres 
princes que l’empereur peuvt ordonner guerre. Si l’empereur puet ordonner 
guerre contre l’esglise? Dieje Frage wird von dem geiftlichen Autor merkwür—⸗ 
digerweije bejaht; denn die Schrift jage, wer dem Fürften nicht gehorche, der folle 
fterben. — Quelles choses sont necessaires & faire bataille? Feldherr und 
Truppen. Erſterer, der duc de bataille, werde aud) connestable oder mareschal 
de l’ost genannt. Die Truppen müßten tüchtig jein und follten »selon une 
glose que nous avons en droit« geordnet werden in 3 ordenances: 1. af& 
legion zu 7000 pions und 719 gens d’armes & cheval; 2. ald compaignie zu 
20000 (?) & pie und 5000 à cheval, und 3. al® cinquantisme zu 555 homes 
à pie und 66 à cheval. Neuerdings jei das freilih nidt mehr Braud, viel: 
mehr formiere man die Truppen in batailles von ganz beliebiger Stärke. — 


in NE un — 


1. Antike Reminiscenzen und Lehrſchriften. 201 


Quelles choses appartiennent au bon chevalier, quelles au bon Duc de 
bataille? Comant et pour quel cas doivent estre pugnis les chevaliers? 
Comant si force est vertu moralle? Comant si force et vertu cardinalle ? 

An dieje allgemeinen Fragen reihen ſich einzelne völker- und friegsrechtliche 
Erörterungen: über Vaſallenpflichten, Soldredt, Löſegeld u. dgl. m. Eingehend 
werden die fragen der Lehnsfolge bei doppelter Abhängigkeit des Vaſallen be: 
iproden. Unter den Rechtsſätzen verdient hervorgehoben zu werden, dab in 
Konflittsfällen ein Clericus eher jeinem Vater beizujtehen habe ala jeinem Bis 
ihofe, und daß die Behauptung, der König von Frankreich jei fein Untertan 
(subject) des Kaijers, falſch fei; jener fei vielmehr tatfählih dem Kaifer unter: 
geordnet; denn die Schrift fage, e& jolle nur ein Herr auf Erden jein. Diejer 
Sag im Munde eines franzöſiſchen Abtes und in einem dem Ktönige von Frank— 
reich gewidmeten Buche ift in der Tat höchſt merkwürdig! — Die Prinzipien des 
Soldredtes feinen auf Grund der lombardiſchen Gejege aufgejtellt zu jein. 
Sie geben Auskunft darüber, wann ein Sold rechtmäßig gefordert, wann er ver- 
weigert werden dürfte Ein Ritter, der gegen jeinen Willen vom Könige ins 
Feld befohlen wird, habe Anjprud) auf gaige. Die Frage: si ung homme va 
en guerre par vaine gloire, s’il doit avoir gaiges? verneint der Verfaſſer, 
ebenfo die, ob ein Mann Sold verdiene, wenn er zu Felde ziehe pour piller. 
Ferner wird gehandelt über den Erjag geborgter Rüftjtüde, die in der Schladt 
verloren: gingen, über das Recht der Yürften, anderen ihresgleihen den Durd- 
zug zw verweigern, über die Rechtsfolgen des freien Geleites, über die Erhe— 
bung de8 Löſegeldes und über die Folgen des Waffenſtillſtandes. — 
Hieran reihen ſich die nicht uninterejjanten Kapitel des Armes et des bannieres, 
wobei das Wappenrecht beiprodhen wird, und dad des couleurs des armes 
(Gold, Purpur, Azur, Weiß und Schwarz.) — Weiter folgen die Doctrines sur 
la nature et condicion de champ clos. Bonnor iſt überzeugt, daß der ge— 
rihtlihe Zweikampf zu verwerfen jei; denn .er heiße Gott verfuchen, und 
gar nicht jelten unterliege der Unſchuldige. Solange die® Rechtsmittel indefien 
gelte, müjje es aud nad) allen Regeln angewendet werden. Niemals z. B. dürfe 
etwa in Abmwejenheit de Fürjten die Fürſtin als Kampfrichter fungieren. Der 
Angegriffene habe den erjten Streidy zu tun. — In einem Anhange werden 
endlich noc die Eigenjhaften guter Kaifer und Könige erörtert. 


Bonnors Arbre des batailles bejchäftigt jich, wie aus Diejer 
Inhaltsangabe hervorgeht, ganz vorzugsweije mit militärjuriftiichen 
Dingen. Taktiſche Fragen werden gar nicht berührt, wenn man dahin 
nicht Die trois ordenances de lost rechnen will, oder die Anweilung 
zur Wahl des LZagerplaßes, wobei der Verfaſſer jich auf die doctrine 
d’un docteur beruft, qui s’appelloit Monseigneur Vejece ou 
livre de chevalerie. Seltjum it Bonnors mit Bibeljtellen unter: 
jtüßter Nat, die Truppen nicht vor, jondern nach der Schlacht jpeijen 
zu lajjen. 


202 Mittelalter. II. Die Abendländer. 


Das Werk des provencalijchen Abtes erfreute jich bis ıns 16. Ihdt. 
großen Anjehens und wurde jehr oft abgeichrieben und paraphrajiert. 

Die Nationalbibl. zu Paris befigt allein 15 Abjchriften des Arbre des 
batailles von denen die beiden vornehmiten (Fonds francais 1267 und 1274) 
der obigen Inhaltsangabe zu Grunde gelegt wurden. Die Bibl. de Bourgogne in 
Brüfjel weijt zwei Manujfripte de Arbre auf (No. 9009 und 9070). In Deutic 
land jcheint fi nur eine Handidrift zu befinden, nämlich die der Weſtermannſchen 
Gymnafialbibliothet zu Frankfurt a. d. O.). Die Nationalbibl. zu Madrid be- 
figt eine von Diego de Valencia im erjten Viertel des 15. Ihdts. hergejtellte Über: 
jepung ins Spaniſche: »Arbol de batallas«. Die mit gotijchen Lettern gedrudte 
Editio princeps (1477?) befindet fich in der franz. Nationalbibliothet und hat 
weder Titel nod Datum. Eine zweite Ausgabe erſchien 1480 zu Lyon; von 1493?) 
und 1495 datieren Pariſer Ausgaben, wie die früheren in gotijher Schrift und 
mit vielen Holzichnitten verziert. Neuerdingd wurde dad Wert von E. Nys 
nad) einer unter Auberts Leitung rezenfierten Brüjjeler Handichrift herausgegeben. 
(Brüfiel 1883 >). 

Nahe verwandt dem Arbre de bataille erjcheint das Bruchitüd 
eines franzöjiichen Kriegsbuches der Berner Stadtbibliothef (ms. 607,3, 
das dort den Titel führt: De re bellica, fragm. saec. XIII. (?) 

Erhalten find der Schluh des 13. Kapitels, das 20. »Pourquoi la moitie 
des gages aux cheualiers doit estre gardee as herberges«, das 21. »Com- 
ment cil que ley doit essaucier et legions doivent passer par les degrez«, 
da8 22. »De la difference des trompeurs des armees et des clasiques« 


(Bläjer) und der Anfang de 23. Kapitels: »Comment ley doit garder que li 
cheualiers ne se desconfortent.« 


8 23. 

Die erjte ſchwache Regung friegswijjenichaftlicher Be— 
tätigung in Deutjchland zeigt ſich bemerfenswerterweije unmittel- 
bar nad) der jchweren Niederlage DOfterreich® bei Sempach 1386. 
Der Verfaſſer jagt: „Des hochgeporen durchleuchtigiten furitens 
heerczogs Leopold von Ofterreich ungeordneter Streitt ift mir, Johann! 
dem Seffner, dy zeitt techant der jchulen zu Wyenn in geiftleichen 
rechten, als jer zu herczen gangen, daz ich ein junder ler der jtreitt 


ı) Vgl. über diefe Handichrift den Aufjag von Kreßner: L’arbre des batailles in Herrigt 
Archiv für neuere Sprachen LXVII, wo aud ein Teil ber interefjanteften Kapitel abgebrudt ift, 
deren Wortlaut übrigens vielfadh von dem der erwähnten Pariſer Manuſtripte abweicht. 

2) Die Ausgabe von 1493 ift jeltfamermeife König Charles VIII. zugeeignet. 

2) Auszüge aus der Brüfjeler Handichrift bei E&. NyVs Le droit de la guerre et les pre- 
ceurseurs de Grotius (Brüſſel und Leipzig 1882). 


1. Antike Reminiscenzen und Lehrichriften. 203 


hab gezogen aus den puchern der weijen vnd bejunderlic) aus dem 
puch Begecii, der von der Nitterichaft hat gejchrieben.“ 

Wie es bei dem geiftlichen Stande des Autors faum Wunder 
nehmen kann, it die „Ler von dem ftreitten“ ohne jede praftijche 
Kenntnis aus allerlei Definitionen und Regeln zujammengeitellt, 
welche Seffner, jeiner Angabe nach, in den heiligen Schriften, jorvie 
bei den Sirchenvätern Hieronymus und Augustinus (4. und 
5. Ihdt.), bei Iſidorus 8 16], bei Claudianus (einem Epifer des 
4. Ihdts.), bei Vegetius [A. 8 37], bei Sidonius (einem bijchöf- 
lichen Dichter des 5. Ihdts.), bei Jakobus Aquienſis (?), bet 
Solinus (einem Naturhiftorifer des 3. Ihdts.), bei Valerius 
Marimus (dem Berfajfer der „Memorabilien“ 30 n. Chr.), bei 
Damascenus (einem Mönche des 8. JHdts.) und bet Jojephus 
Flavius (1. Ihdt. n. Chr.) aufgetrieben hat. — Die bunte Blumen— 
leſe dieſer Uuellenjchriften fennzeichnet übrigens mehr den Berfafier 
als jene Arbeit. 

Seffner zufolge hat zuerjt der afiyriihe König Ninus Kriege geführt. — 
Nach Fjidor gibt e8 vier Arten von Kriegen: der „gerechte Krieg“ ift der, welder 
„von dem cdaijer und von den rechten erlaubt ijt durch widerpringen des erbs 
oder zu vertreiben die veind; vnd aljo was der ftreitt gerecht des edelen furjten 
Herczog Leupold von Oſterrich; wann er hatt vmb jein vaterleich erb geftritten.“ 
— Iſt ein Herriher nicht in der Lage, Frieden halten zu fünnen, jo joll er zu— 
erſt für gute Kundſchaft jorgen und die „hinderhutt“ vorteilhaft aufjtellen. „So 
haben wider den edelen furjten herezog Leupolden die Sweinczer gehabt großen 
vortail, wann fie der maljtatt all gelegenhaitt gar wol weiten. Ich hor aud) 
jagen, das er ab einer hohen talzu in gelauffen“. — Den verfolgenden Feind 
jol man in „haymlich gmus vnd infeln“ verführen, d. 5. in ungangbare® Ge— 
fände: Moos, Moor u. dgl. 

Das Heer ordnet man meift in drei Teile. „Zu der hinderhutt jol man 
getrew, mendlich beherczt Leutt ſchicken, wann deran leit großer troft des ſigs, 
ald man das mag merfen an dem ftraitt der zwayer fürften, des vömijchen 
Kunigs Rudolffs von Habspurg vnd funig Ottakchers von Beham, des hinderhutt 
floh) ab dem jeld, darumb müßt er dernyderligen des ſtryts.“ — Auch eifriges 
Gebet verhelfe zum Siege, wie das der Verfaſſer ſelbſt im Jahre 1394 bei Herzng 
Albrechts Turnier in Wien erlebt. — Dem geordneten Heere joll der Führer eine 
Anrede alten, zur Tapferkeit ermuntern und Lohn verheißen. Denn mit Recht 
ihreibe Jacobus Aquienfis, „daz der phaw hat die natur, wenn man jn anſicht 
vnd fobt, jo zerjpraitt er jein vedern. Sydonius ſchreibt in „ayner epijteln, jeite 
mal daz dy leuff der pherd werden mit geichray geraiczt, michels mer werden ges 
raiczt dy leutt, dy naturleichs (068 begerent, wenn man jn dy er vnd lob des 
ſigs vorczelt“. — Der Fürft foll fich möglichſt vom Kampfe ſelbſt zurüdhalten, 


204 Mittelalter. II. Die Abendländer 


wie das auf Verlangen des Volkes aud David gegenüber Abjalon getan. Iſt 
e3 aber notwendig, jo darf er freilich das Gefecht nicht ſcheuen: kämpft doch fogar 
dad Wiejel mit dem Bafılisfen. — Bon der Flucht jind drei Arten zu unter: 
jheiden: „Die erit flucht ift wenn der menſch nit getraut füder zu fommen, vnd 
ift der verzagnus... Die ander flucht ift, wenn die chrafft der veind, die man 
fuder treibt (?), und heißt der vnerberdait ... . die dritt flucht ift wenn ainer 
vrſach hat zu fliehen vnd die iſt leublih!“ So floh David vor Saul. — Ge: 
fangene ſoll man jorgjam hüten, „und ijt ain notturfft, den fiechen und gemunden 
und erflagen die lieb der menjchait zu erzeigen“. — Iſt der Feind über: 
wunden, jo ift der Streit zu Ende, und e8 bleibt nur übrig, Gott zu danken, zu 
belohnen, zu jtrafen und die Beute zu verteilen. 

Sehr merkwürdig iſt das dringliche Anempfehlen der Sorge um 
die „Hinderhut.“ In ihr Elingt offenbar die Erinnerung an Sempach 
durch, wo das lagernde Nitterheer, troß jeiner keineswegs unauf: 
merkſamen Vorhut, dennoch überfallen wurde!). — Es iſt ein jchöner 
Zug, daß in diefem älteften Denkmale deutjcher Kriegswiſſenſchaft, das 
fretlih an und für jich recht ärmlich it, der Gedanke der Humanität, 
„die lieb der menjchait“ jo warm ausgejprochen wird. 

Seffners „Ler“ fteht in einem dem Grafen Attems auf Podgara bei Görz 
gehörigen Manujfripte der jog. „Hagenjhen Chronik“ von Öfterreich und jchließt 
fih unmittelbar an die Erzählung der Niederlage von Sempach an. Gejchrieben 


ift die „er“ um die Wende der Jahre 1394 und 1395; die erhaltene Abjchrift 
jtammt aber erjt von 1451®). 


8 24. 


Dem gleichen Jdeenfreije, wie Seffners „Ler“ entjprang ver: 
mutlicd der Pulcher tractatus valde de materia belli et 
modis omnibus bellandi, welcher den Sammelcoder qu. 901 
der Grazer Univerjitätsbibliothef eröffnet. 

E3 find im ganzen 17 Blätter; die folgenden, nicht durchweg 
von Dderjelben Hand gejchriebenen Bejtandteile des Duartanten ent- 
halten Abhandlungen über den hl. Bernhard, die HI. Elijabeth u. dgl.; 
der Goder ijt aljo jedenfalls geiltlicher Herkunft. Die legte Ab- 
handlung ift datiert u. zw. von 1396. — Das Liber continens 
materiam bellandi enthält 34 Kapitel: 


De modo bellandi — Cause pro quibus debet bellari — De modo 
bellandi contra affines — De modo addiscendi bellari — Qui sunt apti ad 
1) Bol. Bürfli: Der wahre Winkelried. Die Taktik der Urjchweizer (Bürich 1886). 

2) Bol. Mart. Maper: Unterfuchungen über die öfterr, Chronik des Matthias oder Gregor 
Hagn. (Archiv für öſterr. Beihichte. LX. Bd. Wien 1880.) 


2. Heered= und Dienftordnungen. 205 


bellandum — Modus docendi pueros ad bellum — De modo vitandi pro- 
dieiones — Quomodo oportet deludere inimicos — Quale consilium conue- 
niat bellantibus — Quomodo prouisio habeatur in bellando — Alius modus 
— De modo habendi victualia — De itinere obseruando per bellatores — 
De modo ponendi campum — De custodia habenda — De custodia ducis 
belli — De itinere assecurando — De suspectuosis euitandis — De modo 
conferendi cum suis sapientibus — Quomodo cognoscantur timidi in bello 
— Quomodo debentes bellare debeant admoneri — Quomodo inimici re- 
ducantur ad odium ducis eorum — Quomodo inimici omnino non obsi- 
dientur — Quomodo debet leuari campus — De modo pugnandi — De 
modo eundi ad campum — De quibus debet prouideri in bello — De modo 
ordinandi acies — Alia cautela — De signis habendis in bello — Quo- 
modo dux debet se exercere in bello — Ubi debet stare dux in bello — 
Quomodo debet resisti inimicis — Alius modus ordinandi acies. 

Die ganze Arbeit iſt eme Baraphraje der organtijatoriichen 
und taftijchen Kapitel des Vegetius. Diejer Autor wird bereits 
in der 5. Zeile und nachher noch unendlich oft citiert. Neben ihm, 
jedoch nur nebenjächlich, werden auch Caſſiodor und Seneca gelegentlich 
angeführt. Dinge oder doch Wendungen, welche nicht bei Vegez vor: 
fommen, finden jich jehr jelten und jind dann ohne Bedeutung. 
Bemerfenswert erjcheint der bejondere Nachdrud, welcher für den 
Angriff auf die Keilform gelegt wird. Der Verfaſſer weiſt darauf 
hin, daß fich diejer Formation auch die Meerfiſche bedienen, um die 
Flut zu durchſchneiden. 


2. Gruppe. 
Heeres- und Dienſtordnungen. 
8 25. 


Eine wiſſenſchaftlicheBßBehandlung des Heeresverfaſſungs— 
weſens hat im Mittelalter nicht ſtattgefunden. Auch ſoweit es ſich 
um geſetzliche Feſtſtellungen handelt, iſt die Literatur ſehr arm; 
doch gerade deshalb darf an dieſen ſpärlichen Überlieferungen nicht 
ganz mit Stillſchweigen vorübergegangen werden. 

Da iſt denn in erſter Reihe der Kapitularien Karls des Großen 
md jenes nächiten Nachfolgers zu gedenken, d. h. derjenigen all» 
gemeinen Anordnungen der Reichsgewalt, welche über die eigentümlichen 
Rechte der einzelnen Stämme binausgingen und für alle Teile 
des Neiches Geltung hatten. Obgleich diejelben allerdings immer 


206 Mittelalter. II. Die Abendländer. 


nur für den Einzelfall erlafjen wurden und feine organische Gejet- 
gebung darjtellen, jo haben fie eine jolche doch weientlich erjegt und 
Jind in diefem Sinne jchon im Jahre 827 von dem Abte Anjegiius 
von Fontanella gejanımelt worden. Ihre Sprache tt die lateinijche. 
In Bezug auf das Heerwejen werden die Kapitularien bedeutend, ſeit 
Karl die Kaiſerkrone trug und jeit er als jolcher im Jahre 802 allen 
Untertanen einen Eid abnehmen ließ, im welchem jie unterjchiedslos 
die Heerbannspflicht auf jich nahmen, die er dann durd) das im 
Sahre 803 erlaffene Capitulare de exercitu promovendo näher 
regelte. Weitere Beitimmungen, meiſt Milderungen der urjprünglichen 
Anforderungen, brachten die Kapitularien von 805, 807, 811 und 
813 unter Karl jelbit, 819 und 828 unter Ludwig dem Frommen. 

Die Heeresverfafiungsgejepe der Karolinger verfolgen vornehmlich) den Zwech, 
die gejamten Streitkräfte des Neiches für den kaiſerlichen Kriegsdienſt verfügbar 
zu machen, den Heerbann, welchen das Feudalſyſtem aufzujaugen drohte zu er- 
halten, die Scharen der Bajallen aber in möglichit ausgiebiger und wirkſamer 
Weile den Statdzweden dienjtbar zu machen. 

Die beite Ausgabe ift die in den Monumenta Germaniae historica von 
Boretiuß 1883, 

Da der Inhalt der Kapitularien großenteils auf Statseinrichtungen 
berechnet war, die ſchon im 10. IHdt. verfallen waren, jo gerieten 
jie frühzeitig in Vergefjenheit; die bisherigen ungeichriebenen autonomen 
Nechte der einzelnen Stämme, ſowie die Lehnsrechte der Bajallen 
und die Dienſtrechte der Minijterialen, jpäter die Stadtrechte traten, 
an die Stelle des immer undeutlicher werdenden Neichsrechts, 3. T. 
auch in Heeresverfafjungsfragen. Indeſſen Haben doch wohl allezeit 
gewilje allgemeine Beitimmungen unangefochten Geltung gehabt, wie 
das insbejondere aus einer Matrifel hervorgeht, welche ſich aur 
die Aufitellung eines Neichsheeres unter Kaiſer Otto II. für emen 
Zug nach Italien bezieht. 

Abdrud bei Waig: Deutiche Berfajiungsgejchichte VIII, Kiel 1878, ©. 134 i. 

Bedeutender als die ottonische Matrifel it die von den Gelehrten 
viel umijtrittene jog. Constitutio de expeditione Romana, 
welche unter dem Gewande eines karlingiſchen SKapitulares Die 
Zujammenjtellung derjenigen Normen enthält, unter denen die Lehns— 
leute zur Romfahrt aufgeboten wurden. 


Berg, der die Urkunde in den Monumenta Germaniae historica (t. IV 
abdruden ließ, wollte ihr allen Glauben abſprechen. Er jegt ihre Entjtehungs- 


2. Heered= und Dienjtordnungen. 207 


zeit unter Friedrih I. Senkenberg hält fie für das Gefeg eines der ſächſiſchen 
oder fränkiſchen Könige, wahrjcheinlich Konrads II. Eihhorn nimmt an, daß 
der in einer um 1190 gejchriebenen Handichrift erhaltene Tert wenigſtens 100 
bi8 150 Jahre früher entftanden fei. Dönniges Hält die Entitehung unter 
Konrad II. für dad Wahrſcheinlichſte. Nitzſch datiert fie vor oder ſpäteſtens 
gleichzeitig mit Konrads II. Weihenburger Dienftreht. Weiland vermutet, daß 
jie unter Einwirkung des Aufgeboted zur Romfahrt im Jahre 1189 fabriziert jei. 
Ficher endlih nimmt an, dab der Konjtitution eine gereimte Borlage zu Grunde 
liege, welche vermutlich in der erjten Hälfte des 11. Ihdts. in Lothringen ent: 
itanden jei und das damals geltende tatjächliche Recht verzeichnete. Dieje wohl 
aus Konrads II. Tagen ftammende Vorlage jei dann zur Zeit Kaifer Friedrichs I. 
in die Form eine Gejepes Karls d. Gr. gebracht worden, wobei der Berfertiger 
ih jedoch inhaltlich durchweg an die Angaben der alten Vorlage hielt und ſich 
lediglich auf erflärende Zujäge u. dgl. beſchränkte, ohne jogar offenbar veraltete 
Angaben zu bejeitigen. Demgemäß jei die Konftitution in erjter Reihe als 
Zeugnis für die Zuftände des 11. Ihdts. zu betrachten, und ihre Übereinftimmung 
mit den anderweitig überlieferten Verhältniſſen des 11. und 12. Ihdts. jei jo groß, 
da man fie unbedenklich als glaubwürdige Duelle benupen dürfe !). 


8 26. 


Das wichtigjte Denkmal praftijchen Kriegsrechts, das ung 
aus dem Mittelalter überfommen it, knüpft jich) an den Namen 
Kaiſer Friedrichs I. In dem Streben, das Recht zu wahren, hatte 
der große Hohenjtaufe 1155 ein Yandfriedensgejeß erlaſſen, welches den 
Beginn einer neuen Epoche bedeutete, weil es jich über den provinziellen 
Charakter ähnlicher älterer Berfügungen erhebt und dauernde Geltung 
für daS ganze Reich beanjprucht. Ihm zur Seite gingen Erlafje zur Er- 
haltung des Lagerfriedens, wie der von Aſti im Jahre 1155; dann 
aber folgte das bedeutende Heeresgejet vom Juli 11582), welches 
‚sriedrich nach eingehender Beratung mit den Fürjten zu Brescia 
erließ. Dies Geſetz teilt allerdings mit faſt allen ähnlichen Akten 
des früheren Mittelalters die Eigentümlichfeit, daß es Feinerlei 
allgemeine Grundjäge aufjtellt, jondern nur einzelne Bejtimmungen 
anemanderreiht, die nicht einmal ein deutlich erfennbarer Logijcher 
Faden verbindet. Anordnungen, welche jedermann angehen, wechjeln 
mit jolchen, die nur beitimmten Kreiſen gelten, vorbeugende Be— 


1) Bgl. Fider: Über die Entitehungsverhältnifie der Constitutio de expeditione Romana. 
Sitzungsberichte ber Alademie zu Berlin 1873. 73. Band.) 
») Bgl. W. v. Biejebredht: Geſch. d. deutich. Kaijerzeit Va. (Braunſchweig 1880) ©. 153. 


208 Mittelalter. II. Die Abendlänber. 


jtimmungen mit Strafandrohungen; aus dem Ganzen aber ergibt jich 
doch ein lebendiges Bild der zeitgenöffischen Zujtände. 

Das Geſetz bringt 25 Paragraphen. Davon beziehen fih vier auf Körper: 
verlegung, Mord und Totjchlag, vier auf Diebitahl und Raub, zwei auf Brand» 
jtiftung und zwei auf Streit und Händel, einjchließlich der VBerbalinjurien zwiſchen 
NRittern. Zwei bejchäftigen ji mit dem Auffinden fojer Pferde und vergrabener 
Güter, je einer betrifft die Aufnahme Herrenlojer Knehte, da8 Zujammenleben 
der Krieger mit Weibern, oder deutjher Männer mit Romanen. Bier Paragraphen 
beziehen fich auf die Jagd, zwei auf Warenverteuerung durch Zwiſchenhändler 
und das Auffinden von Wein, und endlich handelt je ein Abjchnitt von Verhü— 
tung der Feuersgefahr und vom Angriff auf einen mit Reichstruppen bejegten 
Plag, der jeltfjamerweije bejonders verboten wird. — Die Strafen find jehr ftreng 
und graufam und wurden durch Kirchenſtrafen noch verfchärft. 

Überliefert iſt das Gejep von Ragewin, dem Schüler und Gehilfen 
Ottos v. $reijing, in Gesta Frideriei imp. lib. III. cap. 26. Den Tert hat 
Willmanns in den Monumenta Germ. hist. XX hergeitellt '). 


Das Heergejeß jcheint nur für den einen Feldzug gegolten zu 
haben, wie denn Ähnliche Verordnungen, namentlich während der Kreuz— 
züge, nicht jelten erlajjen worden find: jo die Statuten Henrys LI. 
von England (1188) 2), die Gejege Richards Löwenherz (1190) ?) 
u.a. m., auf die hier nicht eingegangen werden kann. 


Die Kriegseinrichtungen der ſchweizeriſchen Eidgenojjen 
fanden ihre Begründung im Jahre 1393 durch den in Zürich be 
ichlofjenen, jog. „Sempacder Brief“, den die alten acht Orte be 
ſchworen und der über ein Bierteljahrtaujend die Grundlage des eid- 
genöſſiſchen Wehrweſens blieb. Er enthält ſowohl jtatsrechtliche Be- 
jtimmungen als aud) eine Kriegsordnung im Sinne des hohenjtauftichen 
Heeresgejeßes von Brescia. 


Der Sempader Brief bejtimmt, daß fein Eidgenofje den anderen berauben 
dürfe. Auch bei Auszügen unter dem Bundesbanner bleibt die richterlihe Ge— 
walt des Heimatdortes gewahrt. Wer durch zwei Zeugen überwiefen wird, das 
er flüchtig vom Banner jei, dejien Leib und Gut verfalle dem Richter. Alles 
Plündern ijt verboten bis das Feld behauptet ift; dann mag mit Erlaubnis der 
Hauptleute jeder, der im Streit gewejen, auf Beute gehen, dieje aber zu gleiche 


1) Bgl. Elaner: Das Heeresgeieh Kaiſer Friedrichs I. (Jahresbericht bes St. Matthias 
Gymnaſiums zu Breslau 1882). Bringt fowohl ben latein. Originaltert als die Verdeutſchung. — 
Siehe auh Schuld: Das höfiſche Leben II, ©. 221—224 und Köhler a. a. ©. IIIb, 219. 

m Abgebr,. in Guilelmi Parvi Hist. Anglicana lib. III, c. 38. 

») Abgebr. mit der Chronica Rogeri de Hoveden 11%. 


2. Heered= und Dienftordnungen. 209 


mäßiger Berteilung ehrlich abliefern. Am Schluſſe heißt es: „Wir ſetzen ouch 
vnſer lieben frovwen ze Eren dz deheiner under vns dehein frovwen oder todjter 
mit gewaffneter hant jtechen, jlagen noch vngewonlich handlen jol durch dz jie 
vn? lafjent zuo fließen in Genade Schirme vnd behuotnufie gegen allen vnſere 
pyenden. Es were dann dz ein tochter oder ein frovw zu vil gejchreye® machte 
dz vns ſchaden möchte bringen gegen vnſere vyenden oder ſich zu weri ftalte oder 
deheinen anfiele oder wurfje...“ Wegen dieſer Rüdficht auf die rauen, die 
übrigens auch auf Gotteshäuſer, Klöjter und Mühlen ausgedehnt war, Hat die 
Urkunde wohl aud den Namen des „Frauenbriefes“ erhalten. 


In Bezug auf die Art der Mannjchaftsaufbringung und das 
Verhältnis der Waffengattungen in den ſchweizeriſchen Aufgeboten 
bieten die „Reiſerödel“ treffliches Material). 

Die Rödel enthalten die Namen der auszuhebenden Leute und die Art ihrer 
Bewafinung; ein Eremplar nahm der Hauptmann mit ind Feld; das andere 


ward in die Kanzlei gelegt, und daher bergen die Archive der meisten ſchweizeri— 
ihen Kantone noch viele alte Reiſe- und Auszugsrödel. 


8 27. 


Auch für das jeit dem Beginne des 14. Shots. mehr und mehr 
in den Vordergrund tretende Söldnerwejen fehlt es nicht an beleh- 
renden Dofumenten, unter denen die eigentlichen Soldfontrafte 
am merfwürdigiten find. Für Deutſchland bilden der Soldvertrag 
Kaijer Karls IV. mit Meinede Schierjtedt v. 1373), das Yübeder 
Urfundenbuc (Lüb. 1843—1883), das Soldbuch des deut- 
ſchen Ordens vom Jahre 1410, endlich die betreffende Sammlung 
des ſtädtiſchen Archives zu Köln a. Ah. hervorragendes Interejje. 

Bündnisverträge, die ſich allmählich (zuerft mit Jülich) zu Erbver- 
trägen über Kriegsvolksgeſtellung ausbildeten, bietet das Kölner Arhiv vom 
Fahre 1251 an. Eigentlihe Soldverträge finden ſich jeit 1387 in ununter- 
brodyener Folge vor. Gie bejtehen aus je einem „Prinzipalbriefe“, welhem „Trans: 
fire“ jedes einzelnen „Helpers und Dienerd“ angehängt find. Der Soldvertrag 
beißt „Firme“ weil er auf bejtimmte Zeit geſchloſſen wird. Jeder einzelne „Sol: 
denere“ verpflichtet fi, die „gejtimpten“ (tarierten) Pferde zu halten, fie nicht 
zu fandwirtihajtlihen Zweden zu benugen und auf Befehl des Hauptmannes 
gegen jeden Feind der Stadt binnen fünf Tagen aufzufigen. 

In Frankreich war die Kriegsverpflichtung der einzelnen Kron— 
vajallen von fajt jedem unter ihnen derartig verflaujuliert, daß die 


2) Bol. v. Rodt: Das bernerifche ſtriegsweſen (1840) und v. Ellger: Kriegsweſen und ftriegs- 
funft der Eidgenofien im 14., 15. und 16. Ihdt. (1873). 
2, Riedel: Cod. dipl. Brand. II; 2, 539. 


ZäHns, Geſchichte der Kriegewifienichaften. 14 


210 Mittelalter. II. Die Abendländer. 


Gewalt des Königs jehr bejchränft erjcheint. Zwiſchen ihm und Den 
Lehnsträgern walteten fajt unaufhörlich Meinungsverjchtedenheiten über 
ragen des Feudalrechts und der Heeresfolge ob, die ihn nötigten, 
wohl oder übel, das Lehnsarchiv jedesmal mit ins Feld zu führen. 
Als Philipp Augujt 1194 gegen Richard von England zog, wurde 
bei Blois jein Nachtrab überfallen und ihm unter anderen Schäßen 
das Archiv (chartrier) geraubt. . Philipp gab fich die größte Mühe, 
es zurücdzuerhalten, weil es ihm faft unentbehrlich war; aber eben 
deshalb weigerte ſich Richard, es herauszugeben !). Sahrhunderte 
lang it der Ehartrier im Londoner Tower aufbewahrt worden, endlich 
aber jpurlos verichwunden. Aus dem 13. Ihdt. ſind jedoch noch 
ziemlich viel franzöftiche Mujfterrollen erhalten: die ältelte von 1214; 
Daniel erwähnt deren außerdem von 1226, 1242, 1253, 1271/72 
und 1296. Die Heeresgejegliteratur der Franzojen findet jich in Der 
großen Recueil des ordonnances vereinigt ?). 

Die Bejtimmungen, auf denen das mittelalterliche Kriegsweſen 
Englands berubte, hat Rymer in jeine Foedera, conventiones literae 
et cujusque generis Acta publica aufgenommen. (Haag 1745). 

Für die italienischen Kommunal-Milizen it von be 
jonderer Wichtigkeit das im Florentiner Statsarchive unter dem Titel: 
»Libro detto di Montaperti« vereinigte Urfundenmaterial vom 
Sahre 1260). 

Das Buch war in der Schladht, nad) der es benannt ijt, mit dem Yeldherrn- 
zelte und dem Fahnenwagen der Florentiner in die Hände der fiegreihen Sienejen 
gefallen und von diefen als eins der ruhmvolliten Beutejtüde aufbewahrt worden. 
Die Urkunden beziehen ſich auf dad Aufgebot, die Organifation, Verpflegung und 
Verwaltung des florentiniihen Heeres; taktiiche Momente werden nur geftreift. 

Trefflichen Anhalt für das Verſtändnis des ttalienijchen 
Söldnermwejens bietet der Codice degli stipendiarii der floren- 
tiniſchen Republik vom Jahre 1369 *). 

Eine Sammlung italienijher Soldfirmen, ganz ähnlid wie die des 
Kölner Archives, befindet fi) in der Bibliothek des Herzogd von Genua zu Turin, 





!) Le Pre Daniel: Histoire de la milice francaise (1721). 

2, Bgl. über die militärifh wichtigen Orbonnanzen ben Aufſatz: Code des lois antiques et 
Capitulaires des rois de France im Journ. des Sciences militaires, 133, p. 119 unb einen 
Artifel im Journ. de l’arm&e, t. II, p. 223. 

3, 8. T. abgedbrudt in Ricottis Storia delle compagnie di ventura in Italia (Zurin 1846). 
Bol. Hartwig: Quellen und Forſchungen zur älteften Geich. der Stabt Florenz II (Halle 1880), S 297 fi. 
u. Köhler a. a. ©. IIIb, ©. 206/7. 

* Bol. Ricotti 11 mn. Köhler a.a. ©, ©. 170, 


2. Heered- und Dienftordnungen. 211 


8 28. 


Bon höherem Intereſſe als die meisten der bisher erwähnten Er- 
laffe find die militärischen Abjchnitte der Leyes de las siete 
Partidas, d. bh. der von Fernando III. von Leon und Kaftilien 
begonnenen und von jeinem Sohne Alfonfo el jabio im Jahre 1260 
vollendeten Geſetzſammlung, die noch anfangs des 16. Ihdts. als all- 
gemeines Yandrecht bejtätigt wurde!). Hier jpielt das taktiſche Ele— 


ment eine hervorragende Rolle. 

Alfonjo bemerkt im 23. Titel des II. Teils über die Truppen: „Die Alten 
(los antiguos), welde den Krieg kannten und übten, haben den verſchiedenen 
Formen der Schlahtordnung entiprechende Namen gegeben. Truppen, welche ſich 
in gerader Linie ordneten, bildeten dadurch einen haz (d. h. Garbe; vgl. Pha— 
lang = Walze); diejenigen, welche ſich im Kreiſe aufftellten, bezeichnete man als 
muela (Müpljtein). Den Namen cudo (Keil) gab man der von der Spitze 
(aguda) bis zum Bagel (zaga) bejtändig breiter werdenden Anordnung; während 
die im Viereck aufgeftellte Mafje ald muro (Mauer) angeiproden ward. it das 
Viered jedoch hohl, jo daß e8 einen Hof darjtellt, jo nennt man e8 cerca (Um— 
zäunung). Stleinere Abteilungen, welche auf den Seiten eines Haz angeordnet 
ind, heißt man ala (Flügel) oder in Spanien ceitara (dünne Wand.) Einen 
unregelmäßigen Haufen von ungewifjer Stärke nennt man tropel... 

Die haces tendidas (breite Shlahtordnung) erfand man, um 
die Truppen in ihrer ganzen Madıt, ja mit einem die Wirklichkeit noch überftei- 
genden imponierenden Anjehen auftreten zu lajjen, wodurd) der Feind eingeſchüchtert 
und dann feichter befiegt werden kann. Wuhßerdem aber vermag man einen 
ihwächeren Gegner wohl auch mit einer jolden Schladhtordnung zu umfafien. 
Die Alten jtellten mehrere Hazes hintereinander, um die im Kampfe ermüdete 
Schlachtreihe (Treffen, acies) durd) die zurüdgehaltenen zu unterjtüßen. 

Die Form der muela ift da anzunehmen, wo ed gilt, fi) nad) allen Seiten 
hin zu verteidigen. 

Mit dem cufo durchbricht man die Mafje eines fejtgefchloffenen ſtarken 
Segnerd. Der Keil ermöglicht den Sieg aud) gegen große Überzahl; denn mit 
ihm teilt man den Feind. Man bildet den cußo, indem man in das erite 
Glied drei, ind zweite ſechs, ins dritte zwölf Reiter ftellt und jo ftetig verdoppelnd 
fortfährt bis die vorhandene Mannſchaft erſchöpft iſt. Iſt deren Zahl nur gering, 
jo mag man lieber nur einen caballero an die Spike jtellen, in das zweite Glied 
zwei, in das dritte vier u. j. w. 

Der muro wird zum Schuß des Gepäds oder der Fürſten bergejtellt, die 
in feine Mitte aufgenommen werden. Man bildet ihn bei der Nachhut, während 
die Hauptmajje des Heeres im Gefecht jteht. 

H Sieis Partidas (P. II, titul. XXIH, ley 16), Madrid, Inprenta Real 1807. Abdrud des 


betreffenden Abſchnittes nebft franzöftfcher Überfegung bei Delpech: La tactique au XIII* sidcle 
(Barid 1886, I, »Tactique de l’Infanterie«). Dasſelbe mit Verdeutſchung bei Köhler a. a. ©. 


Ib, Anhang. 





14* 


212 Mittelalter. II. Die Abendländer. 


Die cerca oder der corral (Hof) wird gleihfalld zum Schuß des Königs her⸗ 
gejtellt u. zw. nur von Fußvolk in drei Gliedern. Damit keiner weichen kann, 
werden die Leute mit den Füßen aneinandergebunden. Bor ſich jtoßen fie die Spiehe 
mit dem Schub in den Boden, und noch weiter vor errichtet man einen Wall von 
Seldfteinen, den man mit Wurfjpießen jpidt. Bogner, Urmbrufter und andere 
Leute mit Schuß» und Wurfwaffen verteidigen ihn. Sit daß Heer des jo ge- 
fiherten Herrſchers fiegreidh, jo beweiſt die Unbeweglichkeit einer ſolchen Truppen 
anordnung jeine Verachtung des Gegners, die ſich nicht einmal die Mühe nimmt, 
zu verfolgen; wankt dagegen jein Heer, jo findet es an der cerca einen Stüß- 
punkt, bei dem es fid) neu ordnen mag und wird dann doppelte Anjtrengungen 
maden, das Gefecht wieder berzuftellen. 

Bu den alas nimmt man feine Zufludt, wenn die einzelnen Abteilungen 
des Heeres zu weit voneinander ftehen; fie füllen dann die Zwijchenräume und 
hindern den Feind in diefe einzudringen. Aber auch wenn biejelben eng, ja 
vielleicht zu eng beieinander ftehen, find fie nüglidh: fie fönnen dann außen vor= 
gehen und den Feind von der Geite fafjen. 

Unregelmäkige tropeles braudt man entweder zur Ergänzung der eigenen 
durhbrodenen Schlachtordnung oder zum Angriff auf den Rüden des Gegners... 


Alfonjo X. war einer der bejtunterrichteten Fürjten feiner Zeit. 
Es ıjt fein Zweifel, daß er den Vegetius fannte und zwar nicht aus 
zweiter Hand, jondern jehr gründlich. Sein in mehreren Treffen 
aufgejtellter haz ijt die Legion des Vegez, jeine muela dejjen orbis, 
jein cuno dejjen cuneus; jeine Verteidigungsitellungen find, gerade 
wie die des Vegetius, als quasi murus gedacht. Dennoch hat 
Delpeh gewiß Recht, wenn er meint, daß es fich in dieſer Ley 
der Sieta Partidas Ffeineswegs um bloße gelehrte Nachahmungen, 
jondern um die Schilderung der wirklich) im 13. Ihdt. üblichen Ge 
jechtsformen handle. Nicht nur, daß die lateinischen Bezeichnungen 
überall durch kaſtillaniſche erjegt jind!): auch die Strafandrohungen, 
welche das Geſetz abjchliegen, verpflichten die Führer gerade wie auf 
die disziplinaren, jo auf die taktischen Vorjchriften, was nur unter 
der Vorausjegung geichehen fonnte, daß die Truppen im jtande waren, 
fie zu befolgen. 

8 29. 

Nicht ohne Interefje für das Verftändnis des mittelalterlichen 
Kriegswejens, wenn auch feineswegs jo ergiebig als man vorausjegen 
jollte, find die Satungen der großen NRitterorden, unter 
denen die der Templer die ältejte und vorbildliche it. 


I) Schr merkwürdig ift die Bezeichnung haz, welche, indem fie fih an das fpan. Wort für 
„Garbe“ anſchließt, zugleich das latein. »acies« wiedergibt. 


2. Heered- und Dienjtordnungen. 213 


Die Regel der Tempelherru bildet, ſowie jie ung vorliegt, 
fein einheitliches Ganzes. In Ermangelung der vermutlich unterge- 
gangenen Driginalhandichriften muß man ſich mit drei Kopien aus 
dem 13. und 14. Ihdt. begnügen, welche zu Rom, Paris und Dijon 
aufbewahrt werden und nach denen neuerdings Henri de Curzon »La 
Regle du Temple« herausgegeben hat. (Paris 1886.) 

Die Negel beiteht zunächjt aus den Satzungen, auf welcde 
jich der Ordensitifter Hugues de Payns 1123 mit jeinen 
eriten ſieben Genojjen geeinigt hatte, und mit welcher Teile 
der Regeln der Chorherrn vom hl. Grabe und der vom hl. Bernhard 
[$ 21] gejtifteten Gijterzienjermönche verbunden wurden. In diejer 
Form fand die alte, lateinisch abgefaßte Negel 1128 auf dem Konzil 
von Troyes Beitätigung dur) Papſt Innocenz II. u. zw. wejentlich 
unter Teilnahme des hl. Bernhard, der in den Fratres militiae templi 
das von Gott jelbjt gewählte Werkzeug zur Vernichtung des Islam ſah. 
Dieje Regle primitive enthält in militärischer Hmficht nur einige 
Angaben über die Ausrüftung der Ritter. 


Jeder von ihnen joll drei Rofje und einen escuier haben, der nit um Lohn, 
fondern um Gottes willen dient und den der Ritter daher auch unter feinen Um— 
ftänden jchlagen darf. Zaum, Bügel und Sporen dürfen nicht mit Gold oder 
Silber verziert werden; wer vergoldeten Harniſch befigt, joll ihn übermalen oder 
das Gold abfragen laſſen. Schild und Lanze find nie zu verhüllen. Die escuiers 
und sergans, welde dem Orden nur auf Zeit angehören, dürfen den weißen 
Mantel der Ritter nicht tragen. 


Der Urregel reihen jic) die Statuts hierarchiques an. 


An der Spige jteht der Maitre, ein mächtiger, doch nicht abjoluter Sou- 
verain. Ihm jtehen vier Pferde zu. Sein Stab umfaßt 2 Fröres chevaliers, 
1 Frere chapelain (jeder mit 3 ®f.), 1 Frere sergent (2 ®f.) 1 Ecrivain sar- 
razinois (Dolmetſcher), 1 Turcople (leichter Reiter), 1 Huffchmied, 1Koch, 2 Fuß⸗ 
fnechte. Der Meijter führt die Ordensfahne: den gonfanon baucent, und bes 
wohnt im Felde ein großes rundes Zelt. — Der zweite im Rang ijt der S6n&chal, 
der berechtigt ift, jedem Kapitel beizuwohnen; er darf nicht hinausgeworfen werden 
(jetè fors). Sein Stab bejteht au 2 escuiers, 1 compagnon chevalier, 1 fröre 
sergant, 1 diacre &crivain und 1 6dcrivain sarrazinois, 1 turcople, und 2 Fuß— 
knechten. Er führt diefelbe Standarte und dasjelbe Zelt wie der Meifter. — Der 
Mare&chal iſt Bertreter von Maitre und Senehal jowie die höchſte kriegerifche 
Autorität und verfügt über des Orden? Waffen und Pferde. Unter ihm ftehen 
Provinzial-Marſchälle, namentlih in Tripolis und Antiohien. Sein Stab und 
jeine Equipage find ähnlich eingerichtet wie die der beiden erfigenannten Groß— 
offiziere. — Der Commandeur de la terre et royaume de Jeru- 


214 Mittelalter. II. Die Abendländer. 


salem ift Haupt der erjten Ordensprovinz und Großſchatzmeiſter. Sein Gefolge 
entipricht dem der jchon beſprochenen Gebietiger; außerdem umfaßt e8 den nod 
zu erwähnenden Drapier. Dem Kommandeur unterjtehen die Fermen und Do— 
mänen ber Provinz; er verteilt die Brüder derjelben und verfügt über die Kriegs— 
beute mit Ausnahme derer an Waffen und Rofien, die dem Marſchall zufallen, 
und unter ihm jteht auch der Hafen von Acre mit feinen Schiffen. — Der Com- 
mandeur de la cit& de Jerusalem bekleidet zugleich die Würde des 
Hospitalier de8 Ordens; er wadıt über das Geleit der Pilger und rüjtet jie mit 
Lebensmitteln und Pferden aus. Auch ihm fteht die »tente ronde« zu, um 
möglichit viel Gäfte beherbergen zu können. Zehn ihm gejellte Ritterbrüder jind 
mit dem Geleit der Pilger und der Wade bei den Reliquien des bl. Kreuzes be— 
traut. — Die Commandeurs de Tripoli et d’Antioche jtehen den 
beiden andern Provinzen des Orient? vor und find entſprechend außgejtattet. 
Dagjelbe gilt von den Kommandeuren in den Provinzen des Abendlandes, von 
denen die Regel erjt Frankreich, England, Poitou, Aragon, Portugal, Bouille 
(Apulien) und Ungarn erwähnt. — Der Drapier bejhäftigt jih mit allem, 
was die Kleidung der Brüder betrifft. — Außer diejen Großoffizieren jtehen über 
den Ritterbrüdern in den Provinzen die Commandeurs des maisons 
und, als Lieutenants des Marſchalls, die Commandeurs des chevaliers, 
welche im Felde je einer »estage« (Rotte oder Reihe) von Rittern befehligen. — 
Seder Chevalier hat, wie jchon erwähnt 3 Pferde und 1 ecuyer; nur aus— 
nahmsweiſe wird ein viertes Pferd und ein zweiter Knappe zugelajien. Jeder 
hat ein Zelt für fich und fein Zubehör. — Unter den Freres sergents ragen 
fünf hervor: der Sous-mar6chal, der Gonfanonier, der Cuisinier, der Ferreur 
und der Commandeur du port d’Acre, deren jedem 2 Pferde, 1 Knappe und 
1 Belt zuftehen, während die andern Sergents, jelbft wenn fie Hauskommandanten 
find, nur 1 Pferd haben. Der Untermarjchall ift eine Art Intendant, fein Kriegs» 
befehlshaber; der Gonfanonier waltet ald Haupt aller Ecuyers über deren Mannes: 
zudt und Haltung. — Eine ganz bejondere Stellung nimmt der Turcoplier ein, 
das Haupt der Turcoples, der leichten Hilfstruppen des Tempels. Wie den 
Großwürdenträgern jtehen ihm 4 Pferde zu, und er darf auch Ritterbrüdern bis 
zur Zahl von neunen befehlen; zehn müſſen dagegen ſtets unter einem Comman- 
deur de chevaliers jtehen, dem dann der Turcoplier ebenfalls gehordt. Steht 
diefer indefjen an der Spike jeiner Turcopolen (ein Ausdrud mit dem auch eine 
leichte Reitergarde der griechiichen Kaifer bezeichnet wurde) jo empfängt er jeine 
Befehle nur vom Meijter oder vom Marihal. — Mit dem Berpflegungsdienft 
im Felde wurden bejondere Commandeurs de la viande betraut. 


In taktijher Hinjiht formierten ſich die estages der Ritter zu 
seschieles« (Staffeln, Schwadronen); denn es heißt in S 103 der Regel: 
Quant il est guerre et cris lieve, les commandeors des maisons doivent 
leur proies recuillir... et tuit venir en l’eschiele dou Mareschau, et puis 
ne s’en doivent partir sans congie. Et trestous les freres sergens doivent 
aler au Turcoplier. Et trestous les freres chevaliers et tous les freres 
sergens et toutes les gens d’armes sont au commandement dou Mareschau 


2. Heereö= und Dienftordnungen. 215 


quant il sont as armes«. Das gejtaffelte Geſchwader war, wie eine jpäter an- 
zuführende Stelle deutlich erfennen läßt, als »pointe«, als Spitz, d. h. als 
Schlachtkeil formiert, geradejo wie die Reiterei auch nod im 15. Ihdt. focht. 

Einige Angaben über den Lagerdäenſt finden fid in den 88 148—155 
unter der Überſchrift: »Coment les freres doivent prendre herberge«. Eine 
Kapelle bildet den Mittelpunkt, um den die Ritter lagern, was erjt auf gegebenen 
Befehl geihehen darf: »Herberges vos, seignors freres, de par Dieu!« Zus 
nächſt der Kapelle liegen die Zelte der Würdenträger und das für die Lebens— 
mittel. Kein Ritter darf ohne Erlaubnis zum Furragieren reiten, fich überhaupt 
nicht aus Rufweite entfernen und nicht ohne Befehl abjatteln. Die Nationen der 
Pferde verteilt der Granatier, die der Menſchen der Commandeur de la viande, 
und jedermann bat fich beim Empfang in der Reihenfolge zu halten und fid) 
genügen zu lafjen. 

Marihdienjt. »Coment li frere vont en rote. ($ 156—160). Nies 
mand darf jatteln und auffipen bevor es der Marſchall befohlen, jeder hat darauf 
zu achten, da nichts vergefien wird. Beim Aufbruch folgen dem Ritter jeine 
$nappen; aber wenn die Marihordnung eintritt, haben jie ihm vorauf zu reiten. 
Nachts Hat man fich till zu Halten. Reiten mehrere Ritter hintereinander und 
der eine will mit dem andern reden, jo foll das immer in der Weije gejchehen, 
daß der vordere nad) hinten reitet, damit die Knechte jtet3 überjchaut werden, und 
jo, daß der Zug nicht durch den Staub des Hin- und Herreitenden behelligt wird 
(aljo unter dem Winde), Sonſt darf feiner feinen Blaß verlafien, niemand neben 
dem Buge herreiten, und jobald »cri lieve en route« hat jeder zu Schild und 
Lanze zu greifen und auf des Marſchalls Befehl zu warten. 

Vorſchriften für das Gefecht. »Coment doivent aler en eschiele 
les freres«. ($161—163). Wenn die Brüder in Gefchwader gereiht find (sont 
establis par eschieles) darf fein Ritter von einem zum andern gehen noch auch 
aufjigen ohne Erlaubnis. Beim Marſch im Gejchtwader reiten die Knappen, 
welche die Langen der Ritter tragen, diejen voraus; die mit den Pferden folgen 
ihnen. Niemand darf torner la teste de sa beste devers la coe por baeter 
(fämpfen), ne por cri, ne por autre chose, puisqu’il vont en eschiele. Um 
ſich mit Helm und Lanze zu bewaffnen, bedarf es der Erlaubnis, nicht jo, wenn 
der Ritter nur die coiffe de fer, die Maichenfapuze, iiber das Haupt werfen oder 
wenn er durch einige Bewegungen feines Pferdes prüfen will, ob der Sattel gut 
gegurtet ift. Auch einen unterliegenden Bruder beizuftehen, mag der einzelne 
Ritter dad Glied verlafjen, Hat aber nad vollbradhter Hilfe jofort in dasfelbe 
zurückzukehren. — »Quant le Mareschau prent le confanon por poindre« 
(anzugreifen; $164—168). Wenn der Marjchall aus der Hand des Untermar— 
ihall3 die Standarte nimmt, um zu attaquieren, jo joll er 5—10 Ritterbrüder 
bejtimmen, ihn und die Standarte zu wahren, und dieje haben nun bei ihm aus— 
zuarren und dürfen fi nur injoweit am Gefecht beteiligen, als es in ihren 
unmittelbaren Bereih kommt. Die andern Brüder dagegen mögen den Feind 
vorn oder hinten, recht3 oder links angreifen, doch jo, daß fie den Standartens 
haufen und diejer fie ſtets unterftügen fünne. Einer der Kommandeurs joll einen 





216 Mittelalter. II. Die Abendländer. 


zufammengerollten Gonfanon an der Lanze tragen, um die offene Standarte zu 
erjegen, falls diefer irgend ein Unglüd zuftieße. Ind wenn der Marſchall verwundet 
oder abgeſchnitten würde, jo daß er ne peust fornir la pointe, d. 5. daß er den 
Spig (den Schlachtkeil) nicht Herzujtellen vermödte, jo ſoll der Ritter mit dem 
Gofanon ploié das an feiner Stelle tun. Die eschiele der Ritter darf, nahdem 
fie gebildet worden, unter feinen Umftänden ander ald auf Befehl des Meijters, 
bezügl. ſeines Stellvertreter®, wieder aufgelöjt werden, es ſei denn, daß fie mit 
Gewalt zerfprengt werde, oder daß ein Engweg zum Abbrechen zwinge und man 
gehindert fei, rechtzeitig die Erlaubnis zu erbitten. Über Ungehorjame wird jtrenges 
Gericht gehalten und ihnen das Recht abgeſprochen werden, das Ordenslleid zu 
tragen. Niemand darf aus den Reihen weichen; jelbft Berwundete Haben erit 
um Erlaubnis zu bitten, wenn jie zurüdgehen wollen, und fall fie das nicht 
vermögen, jo haben jie einen Bruder damit zu beauftragen. Ritter, welde von 
ihrer Standarte ablommen, müſſen ſich baldmöglichſt der nächſten anſchließen, 
wenn nicht einer des Tempels, ſo einer der Hoſpitaliterritter oder überhaupt der 
Chriſten. Auch in dem Fall, den Gott verhüte, daß die Chriſtenſcharen geſchlagen 
würden, darf doch kein Ritter dem Schlachtfelde dem Rücken wenden, um die 
guarison aufzuſuchen, ſolange noch die Standarte flattert (tout come il y eust 
confanon baussant en estant). Der Fahnenflüchtige wird für immer ausgejtoßen. 


Den hierarchiichen Teil der Regel ergänzt der Abjchnitt über die 
Election du Grand Maitre du Temple; daran reihen jich 
die Strafbeitimmungen (Penalite) und endlich ausführliche Vorjchriften 
über die Vie conventuelle, unter denen die SS 366—375 
(Discipline de la campagne) noch einige Ergänzungen bzgl. der 
Haltung im Lager bringen. Dann folgen Normen über die Tenue 
des chapitres ordinaires, Nachträge zum Strafwejen und 
endlich die Formen bei der Reception dans l’ordre. 


8 30. 

Nach dem Vorbilde der Templer bildete jich die jchon im 11. Ihdt. 
organtjierte Genojjenichaft der Hojpitaliter ebenfalls zu einem 
geiftlichen Ritterorden, dem der Johanniter, um, dejjen eriter Meiſter 
Raimund de Buy (1150) war, von dem auch die Regel des Ordens 
jtammt. Die urjprüngliche Faſſung derjelben iſt freilich mit dem 
Haupthauje zu Accon 1291 verloren gegangen; doch haben jich 
jpätere Redaktionen erhalten?). 


Die militärische Organijation war jehr jorgfältig durcdhgebifdet und murde 
auf den Ordendfapiteln durch ausführliche Bejtimmungen immer neu geregelt. 


») Bgl. Herauet: Der Johanniterorden und feine Berfaffung (Würzburg 1865). 


2. Heered- und Dienjtordnungen. 217 


Namentlich ließ man ſich die Beſchaffung des Kriegsmaterials angelegen ſein, mit 
dem außerordentlich ſparſam umgegangen wurde. Genau war feſtgeſtellt, was 
jeder von den Würdenträgern an Pferden, Waffen und Dienern zu beanſpruchen 
hatte, und alle Ritter waren verpflichtet, die ihnen aus den Ordenskammern ge— 
lieferten Kleider und Waffen in gutem Zuſtande zu erhalten und die durch ihre 
Schuld beſchädigten Stücke zu erſetzen. Bevor ſie neue erhielten, mußten die 
alten abgeliefert werden. 


8 31. 


Aus dem Johanniterorden zweigte ſich zu Ende des 12. Ihdts. 
der Orden der Deutſchen Herren zu S. Marien ab, deſſen 
Regel 1198 von Innocenz III. beſtätigt wurde. Die älteſte Faſſung 
der Statuten iſt die lateiniſche (nicht, wie man bisher annahm, die 
mitteldeutſche).) Urſprünglich ſtimmte die Regel der Deutſchherrn 
mit der Tempelregel überein; im Jahre 1245 wurde ſie revidiert 
und ihr, wahrſcheinlich von dem Kardinal Wilhelm v. Sabina, eine 
neue Faſſung gegeben. Im diejer erjcheint jie al8 eine Zuſammen— 
arbeitung der Regeln beider älteren Orden: was ſich auf die Kranfen- 
pflege bezieht, ijt der Regel der Hojpitaliter entlehnt, während Die 
Beitimmungen über das Kriegswejen faſt wörtlich) den Statuten 
des Tempels entnommen jind. 


Da in jeder Komthurei eine Abjchrift der Statuten befindfich jein mußte, 
haben fich deren mehrere erhalten. In der Schloßbibliothel zu Königsberg be- 
finden ſich allein fünf (drei deutjch, eine fatein. und eine deutſch und franzöſiſch), 
welche vielfach; voneinander abweihen?). Auf dem großen Kapitel zu Marien: 
burg wurde i. 3. 1442 beichlofien, ein Normal-Manuſkript Herzuftellen. Dies 
fog. „neue Ordensbuch“, welches im Geh. Archiv zu Königsberg aufbewahrt wird, 
ift unter dem Titel: „Die Statuten des Deutſchen Orden?“ von Ernit 
Henning mit einem Glofjar und einigen Erläuterungen herausgegeben worden. 
(Königsberg 1806). 

Die Gejamtjtatuten des deutjchen Ordens zerfallen in die 
39 Kapitel der Regel, die 52 Kapitel der Gejege und die 64 Kapitel 
der Gewohnheit. — Die „Regeln“ gliedern jich wieder in Drei 
Teile: der erjte jpricht von den drei vornehmen Gelübden (Keujchheit, 
Gehorjam, und Armut), der zweite vom Spitaldienit, der dritte von 


1) Bel. Perlbach: Duellenkritit der Deutfchorbensftatuten in ben, dem Andenlen an G. Waitz 
gewibmeten hiftor. Auffägen (Berlin 1887). 

*) Auch im inneren Deutfhland finden ſich natürlich Eremplare der Orbensitatuten ; jo befigt 
J. 3. bie fol. öffentl. Bibl. zu Bamberg eine Handſchrift berjelben aus dem 15. Yhbt. (ms. 1191), 


218 Mittelalter. II. Die Abendländer. 


bejonderen Pflichten der Ritter. Diejen dritten Teil führen Die 
„Geſetze“ und „Gewohnheiten“ gewiljermaßen näher aus. — 
Was die Statuten an rein militärtifchen Dingen enthalten, tt 
übrigens weit weniger, als man erwarten Jollte. 


Dad 24. Kapitel der Regel, welches von den Dingen handelt, „di czu der 
vitterfhaft geboren“, weift darauf hin, daß es gar manderlei Waffen und 
vielfahe Kampfweife gebe; es verzichte daher auf bejondere Vorſchriften; alles 
wird der „beicheidenheit”, d. h. der Entſcheidung deſſen überlafjen, „der der obirjte 
vnd' den bruderen iſt“; ihm jollen die „witczigiften bruderen des landes, do man 
ynne vrliougit, ader di do fegen’w’tig ſint“ mit ihrem Rate beiftehen. Die Haupt: 
jadhe bei allen Kriegshandlungen ift der Gehorjam, der jei „die ubirguflde allir 
guten dinge® (Gef. 36); zu der „allerjwereftin jchult“ aber zählt es „ap ein 
bruder von deme vanen oder von deme here vluhet als der vorczagete”. (Geſ. 46.) 
„Alle die brudere, die der wapene pflegen, die geboren zcu deme marſchalke 
vnde jullen im vndertenig jein nehijt deme meijtere“. Unter ihm jteht die Ge— 
jamtausrüftung mit Waffen und Rofien. In feiner Abweſenheit vertritt ibn 
der „grojltumpthur.“ (Gew. 20—22.) Der marjdall jal nit an vrloup des 
meijter8 (ap her fegenwertig ijt) an die viende jprengen noch heizen fprengen 
(d. 5. angreifen), is enjei denne, da8 jogetane not darczu tivinge. (Gew. 25). 


Niemals darf ohne Befehl gejattelt noch „getroßt” und aufgebroden werden. 
Beim Marjche reitet der Nitterbruder jeitwärt® oder Hinter feinen Knechten— 
um jie ftet3 im Auge zu haben. Jeder hat feine Stelle genau innezuhalten und 
„zeu fere gahen jal man do meiden.“ Reitet man über ein Waſſer, fo darf 
während des Marjches nicht getränkt werden. (Gew. 45—47.) Angegriffenen 
- Abteilungen Haben die Nachbarn jofort zu Hilfe zu eilen. (Gew. 48.) Ohne Er: 
laubnis darf weder abgejattelt nod) gefüttert werden. „So der vane gejegt iſt, 
vmme den jullin fie Herberge nemen zeu ringe“, u. zw. find die Zagerhütten io 
anzulegen „das die bejtien (Pferde) innewendig fein“. (Gew. 49—51.) 

Spärlid find die Vorjchriften über das Gefecht. — „Wenne der marichalc 
ader der, der den vanen furet, jprengen jal an die viende, jo fal ein jarriant» 
bruder einen vanen furen, vnder deme ſich die knechte jammeln vnd beiten (ab— 
warten), bis da8 got ir herren wider gejendet. Nirnkein bruder jal an vrloub 
jprengen, e denne der gejprengit hat, der den vanen füret (vgl. Gew. 25); wenn 
ouch d’hat gejprengit, jo mag ein iclihir tun, das fein Hercze geweizet, vnd doch 
aljo, das er, jo en daS dundet czeit, wider zcu deme vanen feren. Die brudere, 
den d’vane beuolen ijt, die thun bei deme was fie müczen, jo das fie ſich do von 
iht verren“. (Bew. 60). — Strenger Gehorjam, Aufmerkſamkeit auf die Befehle 
und möglichit fejte® Zuſammenhalten — das ijt aljo eigentlih der Inbegrifi 
der gejamten Kriegskunſt der Deutjchherrn, jomweit fie aus den Ordendjtatuten 
erfennbar ijt. — Über die Hilfstreitfräfte der Ritter: die Zurcopelen, d. b 
die leichten Reiter, die Knechte, und die in caritate, db. h. als unbejoldete Frei- 
willige dienenden Genoſſen Handelt ein bejonderes Geſetz de Hochmeiſters 
Konrad v. Feuchtwangen. 


3. a. Das Ritterwejen. 219 


3. Gruppe. 
Werke über einzelne Dweige des mittelalterlichen Kriegswefens. 
a) Das Ritterweſen. 
8 32. 


Im Mittelpunkte der ritterlichen Zeitinterefjen und deingemäß der 
ritterlichen Literatur jteht das ZTurnierwejen. Aber auch mit anderen 
Kreiien des Sports: Waffenjpielen, Jagd, Pferdezucht, Meitkunft, 
jowie mit dem höfiichen Cäremonial u. dal. iſt das Witterweien jo 
eng verfnüpft, daß jene Literatur den ftrengeren Charakter eigentlich 
friegswifjenichaftlicher Haltung niemals gewonnen hat und demgemäß 
diejes Gebietes hier nur andeutungsweile gedacht werden darf. 

Die Blüte des deutjchen Rittertums und mit ihr die des Turnei 
fällt in die Zeit der ſtaufiſchen Kaiſer. Doc, haben jich aus diejer 
feine fachwiſſenſchaftlichen Werfe erhalten; unjere Kunde fließt viel- 
mehr faſt ausschließlich aus den höfiſchen Gedichten, von denen als 
glaubwürdigjte Quellen der „Biterolf*, jowie die Werfe Wolframs 
v. Eſchenbach und Ulrichs v. Lichtenjtein gelten). Bejonders wertvoll 
erichemmt Ulrichs Schilderung des „Zurnay von Frijach“ am 
13. Meat 1224, eines Kampfſpiels mit gejchlojjenen Schlachthaufen ?). — 
Eine Satire iſt: The Turnament of Tottenham or the wo- 
veing, winning and wedding or Tibbe the Reeves daughter Ther, 
welche um 1300 Gilbert Pilfington, Pfarrer zu Tottenham jchrieb?). 
Wenig jünger dürfte des Konrad vom Würzburg „Turnei von 
Nantheiz“ jein, ein Gedicht, das ein Turnier Richards Löwenherz 
feiert*). — Ein ebenfalls hieher gehöriges franzöftiches Werk führt 
den Titel: C’y est ly traitie de cheualerie a tous allans 
et venans, translat& du latin en langue vulgare en 13775). — 
Am lebendigſten jchildert das Qurnier des 14. Shots. Peter der 
Suhenmwirt, den man den „Stnappen von den Wappen“ nannte, 
weil er der berühmtejte Wappendichter jeiner Zeit war. Er begleitete 
1377 den Herzog Albrecht III. zum Ritterzuge nach) Preußen, und jeine 


1) Aus diefen Dichtungen hat Niedner vorzugäweije den Stoff für jeine Schrift „Das beutiche 
Zurnier des 12. und 13. Ihdts.“ geihöpft (Berlin 1881). 

2) Abbrud u. Erläuterung bei General Köhler a. a. D©., IIIb, ©. 362 u. 20. 

s, Ausg. von Bodwell (1681) und bei Berchy: Ancient Engl. Poetry p. 9. 

*) Ausg. von Bartich (Wien 1871). 

5) Ausg. bei NRoifant be Brieur: Recueil de pi&ces en prose et en vers (Gaen 1671). 


220 Mittelalter. II. Die Abendländer. 


Gedichte Hallen wieder vom Lobe und freudig begeijterter Schilderungen 
des Turniers!). 

Den volliten Glanz ritterlichen Lebens jtrahlt das Buch des 
jtreitbaren Bafton de foir, genannt Phoebus, aus, jenes Seigneurs 
de Bearne, der 1331 geboren, jchon mit 14 Jahren jich im Kampfe 
gegen England die Sporen verdiente, dann am der Seite des Gaptal 
de Buch in Preußen focht und endlich daheim entjcheidend über jeinen 
Rivalen, den Grafen von Armagnac, ſiegte. Diejer Phoebus, der, 
wie es in der Vorrede jenes Werkes heißt, jich ſtets hervorgetan 
en armes, en amours et en chace, hinterließ Le livre nome 
lordre de Chevalerie, le livre des esthaz et de la 
chasse. Es iſt das die volljtändigite und bejtangeordnete Abhandlung 
über Jägerei, welche das Mittelalter hervorgebracht, und an dieje 
ichließt jich eine Darlegung über die Bedingungen ritterlichen Lebens, 
welche ungefähr ein Viertel des ganzen Werkes füllt und (wie es 
heit) verfaßt wurde par un tres vaillant cheualier leque a la 
fin de son eage mena sainte vie en un hermitaige. 

Das Wert Gaſtons findet ſich Handichriftlic in der Nationalbibliothef zu Paris 
und in der fgl. öffentl. Bibliothek zu Dresden. (ms. O. 61). Letzteres Eremplar 
ift mit den herrlichſten Miniaturen außgejtattet. — Der in Proja gejchriebene 
erjte (theoretijche) Teil de8 Jagdbuches iſt nicht gedrudt worden; der verfifizierte 
zweite (praftifche) Teil erihien anfangs des 16. Ihdts. zweimal zu Paris. 

Regeln der weltlichen Ritterjchaft, wie jie Gajtons de Foir Bud) 
abjchliegen, finden ſich mehrfach unter den franzöftichen Proſawerken 
diejer Zeit. 

Bol. 3. B. die Dresdener Handidrift (O. 62. 1.), welche mit den Worten 
beginnt: »Pour maquiter dune promesse que jay faite a dame de grant 
renomee,. . 


8 33. 


Die hippologiſche Literatur des Mittelalter war dürftig. 
Bis zum 12. Ihdt. bringen die Schriftiteller lediglich Wiederholungen 
der in der Konſtantiniſchen Encyflopädie 8 9] enthaltenen Kapitel über 
Roßarzneikunſt. Erſt Kaifer Friedrich II. von Hohenjtaufen gab 
diejen Dingen einen neuen Impuls. Diejer große und geiftreiche 
Herrjcher wies energiich darauf Hin, daß das praktische Leben den 
Zuſammenhang mit dem methodischen Wiſſen zu juchen Habe, weil es 


1) Ausg. mit wichtiger Einleitung von Brimijfer (Wien 1827). 





3. b. Feuerwerlerei und Büchſenmeiſterei. 221 


in diejem jeinen beiten Regulator finde. Schrieb er doch der Uni— 
verjität Bologna, indem er ihr eine Ariftoteleshandichrift über- 
jandte: „Die Wiljenichaft muß der Verwaltung, der Gejegebung 
und der Kriegsfunjt zur Seite gehen, weil dieje jonjt entweder in 
Trägheit verjinfen oder zügellos über ihre Grenzen jchweifen; . . . 
denn ohne Wiſſenſchaft entbehrt das Xeben der Regel 
und der Freiheit?)“. Dem entiprechend behandelte er jelbjt jeine 
Liebhabereien wifjenjchaftlih. Sein Werk über die Falkenjagd ijt nicht 
nur merkwürdig weil e8 ein Kaiſer jchrieb, jondern weil es die jcharf- 
ſinnigſte Sachkunde bezeugt und zugleich eine geradezu bewunderungs- 
würdige Naturbejchreibung der Vögel enhält. — Nach Kaijer Fried— 
rih8 eingehenden und genauen Anweiſungen verfaßte jein Stallmeijter 
Jordanus Rufus (Giordano Ruffo) aus Calabrien denn auch um 
d. J. 1230 ein jelbjtändiges Werk über die Natur und die Be 
handlung der Roſſe unter dem Titel Hippiatria. 

Es findet fih im Cod. Nanciani No, 71 der Marcu&bibliothet zu Venedig, 
in einem Coder der Raurentiniihen Bibl. zu Florenz und in der Parijer Natio- 
nalbibl. ms. 7, 136. Das lat. Original gab Molinus 1818 zu Padua heraus, 
Eine italienifche Überjegung »Libro dell’arte de mareschalchi per conoscer 
la natura delli cavalli« erſchien 1492 (1554) zu Venedig. 

Wol eine Bearbeitung diejer Hippiatria iſt des Lorenzo Ruſſo 
(Aufius) interefjantes Liber marescalciae (ca. 1300). 

Mehrere Handiriften in der Nationalbibl. zu Neapel. Ein ſchönes, ganz 
voljtändiges Mif. im Kölner Archiv (No. 291): »Liber de mareschalchia« in 
191 Kapiteln. Es ſtammt von der Wende bed 14. und 15. Ihdts. und ift neo— 
politan. Urjprungs. Ausgaben: Ed. pr. 8. Il. e a. — Dann Paris 1531. — 
Italieniſch: Venedig 1548. Deutih: „Wie man ains jeden ro oder pferd aigen- 
ihafft ertennen, auch jein manderley krankhayten ärtzneyen mag“ u. j. w. (Auges 
burg 1535). Franzöſiſch: 1533 und öfter. 


b) Feuerwerkerei und Büchjenmeijterei. 
8 34. 

Um diejelbe Zeit, da den Arabern die Miſchung des Schieß— 
pulvers befannt geworden zu jein jcheint, wird fie auch jchon in 
Deutihland und England von Männern der Wiſſenſchaft befprochen. 

Albert Graf von Bollitädt, ein edler Schwabe, war 1193 zu 
Yauingen geboren und ftarb al3 der weltberühmte Doctor universalis, 


») Bol. Bd. v. Raumer: Geſch. der Hohenftaufen III, ©. 277 (Ausg. v. 1872). 


222 Mittelalter. II. Die Ubendländer. 


al® Albertus Magnus im Jahre 1280 zu Köln Er war der 
Humboldt jeiner Zeit, und die jtaunenswerte Belejenheit des gelehrten 
Biſchofs in den antiken, byzantinijchen, arabtichen und jüdiſchen 
Schriften äußert jich überall. So gibt er denn auch, u. zw. offenbar 
auf Grund der Schrift des Marchus Graecus [8 6], in jeinem Werke 
De mirabilibus mundi eine Schilderung des aus Salpeter, 
Kohle und Schwefel gemijchten Bulvers und der Eigenſchaft desjelben, 
petardenartig Blit und Donner zu bewirken oder die Raketen jteigen 
zu laſſen. 

Gedrudt ijt die Schrift hinter Alberts Buch De secretis naturae (Amjterdam 
1702.) Übrigens wird die Autorjhaft Alberts bejtritten '). 

Stand Albertus Magnus ganz in dem Gedanfenfreije Des 
Aristoteles, jo erjcheint der britiiche Mönch Roger Bacon (geb. 1214, 
geit. 1294) als Fühner Neuerer. Diejer Doctor admirabilis iſt der 
erſte jelbjtändige Exrperimentator; er leitet den Zerjegungsprozeß der 
Scholajtif ein, und jeine geiftlichen Genofjen haben es natürlich nicht 
verabjäumt, ihn zum Märtyrer der Wiſſenſchaft zu machen. — War 
dem Albertus das Pulver nur wichtig als Gegenjtand gelehrter 
Tradition, jo wendet Bacon ihm bereits perjönliche Unterjuchungen 
zu, von denen er in jeiner Epistola de secretis operibus 
artis et naturae et nullitate magiae handelt. 

Bacon fpridht da von dem mit Salpeter gemijchten ignis volans, das Blig 
und Donner nachahme, und von dem geringe Mengen audreihen würden, um 
eine Stadt oder ein Heer zu zeritören. Um diejen Stoff zu erzeugen, bedbürfe 
man außer des Salpeter8 auch Schwefel und »Lucu vapo vir can utriet«: eine 
tabbaliſtiſche Formel für „pulverifierte Kohle“. 

Ganz ähnlich äußert ſich Bacon in jenem Opus majus. 

Merkwürdigerweije bezeichnet er die mit einer Pergamenthülle verjehene 
Ralete bereits als ein bekanntes Kinderſpielzeug. — Bedeutungsvoll ift es, dab 
der Verfaſſer den Salpeter durch volljtändige Löſung in Waller und durd Kry— 
jtallijation zu läutern lehrt. 

Die Epistola de secretis erſchien 1542 zu Paris und 1618 zu Hamburg; 
da® Opus majus gab Jebb 1733 zu London heraus ?). 


8 35. 
Wie im Altertum und im Oriente handelte es ſich offenbar auch 
im Abendlande zuerjt nicht um „sFeuerwaffen“ jondern um das 


) Bol. Sieghart: Albertus Magnus (Regensburg 1857). 
2) Bol. Schneider: Roger Bacon (Augsburg 1837). Die das Pulver betreffenden Stellen 
find abgedrudt bei Gmelin: Geſch. der Ehemie. I, ©. 8 fi. 


3. b. Feuerwerkerei und Büchfenmeifterei. 223 


„Feuer als Waffe“ Die wirfjamjten Formen, in denen es dabei 
dem Kampfe diente, waren Die Feuerlanzen, Schaftrafeten und 
Schwärmer. Indem man dann fleine Sabröhrchen an Armbruſt— 
bolzen befeſtigte, zunächſt nur um zu zünden, erfannte man gewiß 
jehr bald, daß durch eine derartige Verbindung zugleich die Schuß— 
weite und Durchichlagsfraft der Bolzen vermehrt würden, die Bolzen 
aber den Schwärmern als Steuer und Nichtungsruten dienten. So 
fam man auf die frei fliegende Nafete mit dem Stabe, 
deren Benugung zu Anfang des 14. Ihdts. mehrfach bezeugt wird. 
Dieje Etappen des Fortſchritts lafjen fich nicht eigentlich urkundlich, 
Schritt für Schritt, erhärten, ergeben ſich aber aus der Sache jelbit 
und haben im einzelnen auch mannigfache Spuren hinterlafjen. 

Math. Lupus, einer der Schüler des Leonardo Brunus Aretinus jagt in 
einem Gedichte über die Geſchichte jeiner Vaterſtadt San Geminiano: die Ein 
wohner derjelben hätten fih im Kriege mit Bolterra um 1309 der »canones« 
bedient. »Et qui canones incluso pulvere fertis« und weiterhin »Dux in ea 
interiit stridentis sulfuris ietu.« Der Ausdruck canones bedeutet hier uns 
zweifelhaft nur Hohlrohre; es find Raketen, welche zijchend, jaujend (stridens) in 
den Feind fuhren. Faſt gleichzeitig fommt diefe Waffe in den Niederlanden vor; 
die canones heißen hier »bussen (Büdjen) met kruijte.. In den Genter 
Rechnungen von 1314 wird berichtet: die flandrijhen Bürger hätten ſich diejes 
Berteidigungsmittel® gegen die Seeräuber an ihren Küften bedient !). 

Neben der Nafete geht, wie im Orient, die Feuerlanze ber. 8 14.) 
Diejfe wurde im Abendlande, wohl ihres byzantinischen Urjprungs 
wegen, „Nömerferze“ (chandelle romaine) genannt und anfangs 
meijt mit mehreren Ausjtoßladungen und zwijchen diejen liegenden 
Brandfugeln geladen, eine Form, die noch Biringuccio [XVI$ 41] 
bejchreibt. Sie bedurfte nur geringer Umwandlungen, um zu emer 
wirklichen ?zeuerwaffe zu werden. Die „Klotzbüchſe“ des cod. 
germ. 600 der Münchener Bibliothef [$ 305 ift eine jolche, und 
diefe Übergangsform hat fich bis in die jpäteiten Zeiten erhalten; 
noch Ende des 18. Jhdts. tritt jie aufs neue in den jogenannten 
„Espignolen“ hervor. Es lag jehr nahe, einer jolchen Borrichtung 
jtatt mehrerer, gelegentlid) nur eine Ladung zu geben, und durch 
diefe Pfeile und Brandfugeln auszuſtoßen, urjprünglic) wohl nur um 
zu zünden, dann aber, bei jteigender Verbefjerung des Pulvers und 


1) Bol. Lentz Notice sur l’invention de Ja poudre a canon et des armes ü feu in ben 
Nouvelles archives historiques et philosophiques. T. II, p. 589 ff. (Gent 1840. 


224 Mittelalter. II. Die Abendländer. 


ihr entjprechender jchnellerer Erplofion, auch in der Abficht, durch 
die Durchichlagskraft des Gejchofjes zu wirken. — Damit aber war 
auch im Weiten, wie etwa ein halbes Jahrhundert früher in China 
mit dem To—lo-tſi-ang 8 14), der Schritt von der Nömerferze zum 
Feuerrohr getan. Nicht mehr das Feuer diente als Waffe, jondern 
man bediente fich einer Feuerwaffe. 

Die Berbejjerung des Pulvers durch Herjtellung reineren 
Salpeters jcheint bejonders erfolgreich in den Niederlanden angejtrebt 
worden zu jein, welche zur Zeit der Kreuzzüge innige Verbindungen 
mit Byzanz unterhielten. Während alle anderen Sprachen das 
laternijche Wort »pulvis« zur Bezeichnung des Treibjages angenommen 
haben, entwidelte jic) für dieſen im niederdeutfcher Mundart ein 
eigener Ausdrud: „Kraut“ (frut, kruyt, Erijt), ein Wort, das gleich 
dem griechiihen gaguaxov zugleich Heilmittel und Zaubermittel 
bedeutet. Aber nicht nur die Verbeſſerung des „Donmerfrautes“ 
jondern auch die der Feuerwaffen, ja ihre erjte wirklihe Nutz— 
barmadhung für Kriegszwecke, führt, joweit das Abendland 
in Frage jteht, auf Deutjchland zurüd. Dafür jpricht die in allen 
Ländern Europas verbreitete Sage von der Erfindung des 
Pulvers, bzw. der Feuerwaffen, durch einen deutichen Mönd, 
der gewöhnlich als em Freiburger, Berthold Schwarz, bezeichnet 
wird, während nach anderen Überlieferungen ein Mainzer Mönd) 
zwifchen 1290 und 1320, wieder nach einer anderen Konjtantin 
Antlig (Anklig) von Köln der Erfinder war!). Nur einmal, anfangs 
des 15. Ihdts., bezeichnet ein Artilleriewerf den Niger Berchtoldus 
als einen „maiſter von Sriechenland“, und auch hier iſt doch der 
deutjche Name Berthold unangetajtet geblieben [XV $ 5718). 

Der belgiſche Major Renard fagt in einem Artitel über die belgijche 
Artillerie”): »On rencontre parmi les manuscrits interessants relatifs annales 
gantoises une espece d’annuaire administratif remontant à l’an 13W0 et 
rapportant d’annde en annde les noms des magistrats et les principaux 
&v6enements survenus pendant leur administration. Or dans ce registre on 
lit & la date de 1313: »Item in dit jaer was aldereerst gevonden 
in Duitschland het gebruik der bussen van eenen mueninck.« 


Wenn dieje Eintragung wirklich vom Anfange des 14. Ihdts. herrührte, jo wäre 
ſie von höchſter Wichtigkeit. Leider ſind meine Bemühungen, dieſelbe in einem 


1) Bl. Lens: Notice sur l'invention de la poudre A canon et des armes à feu in ben 
Nouvelles archives historiques et philosophiques. T. II, p 589 ff. (@ent 1840). 
») Revue militaire beige. Tome III, p. 584 (Lüttich 1848). 


3. b. Feuerwerkerei und Büchjenmeiiterei. 225 


der möglicherweije gemeinten Codices der Genter Bibliothef aufzufinden, erfolglos 
geblieben, troß der freundlichen Unterjtügung des Vorſtandes. 

In dem Reglement de monnaies tant de France qu'6trangeres (Pariſer 
Nat. Bibl. Nr. 353 du Puy) findet fich fol. 70 folgende Notiz: „Le dix-sep- 
tieme mai 1354 le dit Sr. Roy (Jean I) estant acertene de l'invention 
de faireartillerietrouveeen Allemagneparunmoinenomme& 
Bertholde Schwartz, ordonna aux generaux des monnaies faire dili- 
gence d’entendre quelles quantit6es de cuivre estoient au dit royaume de 
France tant pour adviser des moyens d’iceux faire artillerie que sembla- 
blement pour empescher la vente d’iceux à @trangers et transport hors le 
royaume“, 

Unter allen Umftänden wird man annehmen müjjen, daß ein 
deutjcher Mönch entjcheidenden, allgemein anerfannten Einfluß auf 
die Herjtellung oder Anwendung der Feuerwaffen im Abendlande geübt 
hat. Die Italiener jind einjtimmig darüber; auch ein Byzantiner, 
Chalcocondilas, bezeichnet um 1470 in dem Corpus. script. hist. 
Byz. (45 lib. V p. 251) Deutjchland als den Ausgangspunkt der 
bewunderungswürdigen Erfindung, und obgleich noch feine aftenmäßigen 
Beweije für dieje jeit Jahrhunderten allgemein anerkannte Tatjache auf- 
gefunden worden find, nötigt jchon der Umjtand dazu, der alten 
Überlieferung die höchfte Bedeutung zuzufchreiben, daß im 14. und 
15. Ihdt. die Deutjchen ausjchlieglich eine artillerijtijche 
Literatur befigen und daß Ddementjprechend in allen Landen 
deutjche Büchjenmeijter die erjte Rolle jpielen. 

„Am 3. Nov. des zweiten Regierungsjahres Henry's VI. (1424) wurden 
40 £ den vier Büchjenmeiftern (Gunnemeystere) aus Deutihland bezahlt, welche 
lange Zeit im Dienſt Lord Henrys, des legten Königs von England gewejen“ 
(Gesta Henriei V. ed. Williams, p. 22). — König Charles VII. von Frankreich 
erftattet dem maitre d’artillerie, Kaſpar Bureau, eine Summe, welche diejer einem 
deutichen Juden gezahlt, „pour apprendre certaines choses subtiles, touchant 
le fait de l’artillerie“. (Pere Anselme, p. 140). | 


Ich denfe mir den jchwarzen Berthold (um diefen zumeiſt über: 
(teferten Namen beizubehalten) als einen rheinischen Mönch, und 
wenn er, in fomijchem Gegenjag zu jeinem deutjchen Namen, einmal 
„ein matjter aus friechenland“ genannt wird, jo erinnere ich mich, daß 
dies genau zu derjelben Zeit, nämlich anfangs des 15. Ihdts., ge 
ſchieht, da in Deutjchland die Überlieferung von Marchus Graecus 
neu belebt war [S 6 u. 34]. Ich denke mir den erperimentierenden 
Mönch mit dem Traftate des Marcus ausgerüftet, den ja Albertus 
der Große ebenfalls kannte, und nehme an, daß er von der Nafete, 

Zähne, Geichichte der ſtriegswiſſenſchaften. 15 





226 Mittelalter. II. Die Abendländer. 


bzw. der Feuerlanze, zur Kloßbüchje (espignole) und weiter zum 
Einzellader vorſchritt. Das ihm jpäter zugejchriebene Pulverrezept, 
wie die Aufftellung großer Steinbüchjen ſchon durch den Erfinder jelbjt 
ſind natürlich Zutaten der verzerrenden und vergrößernden Fama. — 
Sch gebe zu, daß dieje Vorſtellung zur Zeit noch nicht beweisbar iſt; 
aber fie hat die übereinjtimmende Tradition bei den nächjten Gene: 
rationen für jich und entipricht dem analogen Gange der Dinge bei 
den Arabern [$ 14]. Die meijten großen Erfindungen tauchen ja in 
verschiedenen Yändern und verjchiedenen Köpfen auf (man gedenfe bzgl. 
der Dampfmaschine nur an Lionardo da Vinci, Bapin und Watt!); aber 
die Erfindung wird da fixiert, wo fie die entjcheidende 
Folge hatte, und das war Hinjichtlich der Feuerwaffen, nach dem 
ganz allgemeinen, übereinjtimmenden und damals nie angefochtenen 
Urteile des 14., 15. und 16. Jhdts., Deutjchland. 


In jüngfter Zeit ift General Köhler gegen dieje alte Überlieferung auf— 
getreten und hat nachzuweiſen verjucht, dab die Feuerwaffentechnit von 
den Nrabern nah Spanien übertragen und erjt von dort aus 
über Italien und FZranfreid nah Deutjhland gelangt jei.! 
Ganz neu ijt diefe Anſchauung freilich nicht. U. A. hat ihr jhon der Haupt- 
mann Dr. Mori Meyer in jeinem „Handbuch der Bejchichte der Feuer 
waffentechnit" Ausdrud gegeben (Berlin 1835), nidyt nur durch die Anordnung 
jeiner Daten, jondern auch durch die direfte Behauptung: „Von Algefiras, wo 
1342 Ritter aller Nationen waren, verbreitete ji die Nachricht vom Pulver— 
geſchütz raſch durch Europa“. Den Beweis dafür ijt Hauptmann Meyer aller: 
dings jchuldig geblieben; aber auch General Köhler vermag für jeine Auffajjung 
einen ſolchen unmittelbar nicht zu führen und jchlägt deshalb den Weg des 
indireften Beweijes ein. Zu dem Ende jtellt er die bisher angenommenen Nadh- 
richten über das frühe Vorkommen von Feuerwaffen in Deutjchland z. T. in 
Stage. So wendet er ſich namentlicdy gegen die Nachricht der Chroniques 
messines par Huguenin, daß Meß i. J. 1324 couleurines et serpentines 
bejefien habe, eine Nachricht, auf welche Lorédan Larchey den höchſten Wert gelegt®). 
Allerdings muß jene Bezeichnung der Geſchütze befremden, weil fie einer jpäteren 
Zeit angehört. Nun find aber die Chroniques messines eine abgeleitete Arbeit, 
welche auf ein altes NReimgedicht zurücführen: „La guerre de Metz en 13248, 
und in diefem jteht an Stelle von coleurines und serpentines der dem 14. Ihdt. 
durchaus entjprechende Ausdruck espignoies. DPiejer Ausdruck fann aller 
dings engins älterer Art (Standarmbrüjte) bezeichnen, ebenjo gut aber audı 
engins & feu, und da die Bearbeiter des Neimgedichtes ſolche darunter verjtanden 


1) Die Enttwidelung des Kriegsweſens und der Kriegführung in ber Ritterzeit Illa (Breslau 1887). 
2) Origines de l'artillerie francaise (Paris 1862). 
°) Publ. par E. de Bouteilles (Paris 1875). 


3. b. Feuerwerkerei und Bichjenmeiiterei. 2327 


haben, jo ift doch wahrjcheinlicher, daß es fich um Geſchütze handelt als um älteres 
Berfzeug. Köhler inde® nimmt das leptere an. — Brügger Rechnungen v. F. 
1339 führen neue Majchinen „die man heet ribaude“ als Feuerwaffen auf!). 
Benn nun dag Inventar des gejamten Zeuges der Stadt Braunſchweig in dem 
„Grundbuche“ von 1368 neben Bliden und Paddarellen (petrarise), aljo altem 
Verfzeuge, unterjcheidend auch zwei „Ribolde“ erwähnt, jo jpricht die Wahrſchein— 
lifeit dafür, daß man es hier ebenfalls mit Feuerwaffen zu tun habe. Köhler 
dagegen meint, „daß fie durd den Segenjat zu den Steinjchleudern und weil 
Armbrüfte ſonſt nicht genannt werden, fich als jolche entpuppen“. Mir fcheint 
der Grund durchaus nicht ausreihend. Bringen doch ſchon 18 Jahre früher die 
Stadtrehnungen Aachens von 1346 ganz unzweifelhafte Nachrichten vom Vor— 
!ommen der Feuerwaffen!“) Erzählt doch eine Handfchrift des Archivs von 
Zournay (cuir noir fol. 20) jogar von Schießverſuchen zu Doornif i. J. 1346 1%) 
Lerjagte doch Gillis Nypegheerite, Hauptmann der Genter Weber, 1347, mit 
Schüflen aus Ribaudefins eine franzöſiſche Heerihar vor Caſſel). — 1356 finden 
hd Geijhüge in Nürnberg, 1362 in Erfurt, 1364 in Bayern, 1368 in Frankfurt a. M. 
erwähnt. — Merktwürdigerweije werden bei der Ausrüſtung der Hanjaflotten in den 
däniſchen Striegen 1363 und 1368 feine Gejchüge aufgeführt, und auffallend 
it es auch, daß die Augsburger 1362 bei dem Zuge gegen Zwingenberg, die 
Kölner 1366 bei dem gegen Hemmersbach (den erhaltenen Kojtenberehnungen zu: 
tolge) fein Feuergejhüg mitführten. General Köhler ſchließt daraus, daß fie feins 
bejaßen. Aber wie jollte eine Stadt von der Bedeutung Kölns feine Feuerwaffen 
gehabt haben, wenn Brügge deren nachweislich jeit 27, Doornif und Machen 
jet 20, Nürnberg jeit 10 Jahren befaen!? — Ich glaube, daß gerade im Gegen: 
teil alle erhaltenen Nachrichten auf den Niederrhein als auf die Heimat der 
abendländischen Feuerwaftentechnit deuten. Die Kölner Rechnungen v. 3. 1370 
weiien Ausgaben für Büchſen nah; wenn fie vier Jahre früher bei dem Unter— 
nehmen gegen Hemmersbad) nicht aufgeführt werden, jo darf man daraus, meiner 
Meinung nah, nur jchließen, daß fie aus irgend welchen Gründen nicht mitge- 
nommen worden jind. — Auch den oben mitgeteilten Bafius aus dem Reglement 
des monnaies über die Erfindung des Berthold Schwartz erflärt Köhler für 
geräliht. Die Handichrift diejes Neglements rührt freilich erit aus dem 16. Ihdt. 
ber; aber es ijt aud) nicht im entferntejten einzujehen, welches Intereſſe der Ab— 
ihreiber hätte haben können, um fälichend jenen Sag einzujchieben. Lacabane 
bat ihn in einem Aufſatze der Bibliotheque de l’&cole des chartes ganz aus: 


ı) feropn de Xettenhove: Hist. de Flandres (Brügge 1874, III, 246). 

®) Baurent: Aachener Stabtrehnungen aus dem 14. Ihdt. (Machen 1866). »Item pro una 
busa ferrea ad sagittandum tonitrum 5 schilde. — Item pro salpetra ad sagittandum cum 
buss 7 sch. — Item magistro Petro carpentario de ligneo opere ad busam 6 sch. — Item 
! Dugtzin de clavis et opere sue ad eandem busam 6 sch. 

») Pierre de Bruges, potier d’etain de sa profession, jtellte feine conollles vor. Sie 
\hoflen Bolgen, die mit zweipfündigen Bleiftüden bejchwert waren, zwei Mauern durchſchlugen, in 
dad Stabtinnere eindrangen und einen Menjchen töteten. Offenbar handelte es ſich hier um ein ge 
aoflenes Geſchütz, ſonſt hätte der Peter von Brügge nicht Zinngießer fondern Schmied jein müllen. 
Leng a. a. O) *) Ebenda. 

15* 


ae EI — = 





228 Mittelalter. II. Die Abendländer. 


drüdlich als echt anerkannt ; Libri übernahm ihn in feine „Geſchichte der mathemat. 
Wiſſenſchaften“ (1838); Napoleon III., Favé, Lorédan-Larchey und Suſane find 
ihm binfichtlidy ihrer Werke dabei nachgefolgt, und ich fann die Gründe, aus denen 
Köhler den Sap beanjtandet, feinedwegs als überzeugend anertennen. 

Somit erjcheinen mir denn die Ausführungen des Generals Köhler die 
Wahrjceinlichleit des Vorkommens von ?Feuerwaffen in Weftdeutfchland im 
erjten Viertel des 14. Ihdts. nicht genügend erfchüttert zu haben, um die altherge- 
bradyte und durch den Reichtum der frühen deutſchen Wrtillerieliteratur jo ftarf 
unterjtüßte Überlieferung vom deutjchen Urſprung des abendländiihen Geſchütz- 
wejen® aufzugeben. Die machinas de truenos, mit denen der wenig zuver— 
fäflige Gefchichtsjchreiber Konde i. J. 1325 den König von Granada die Stadt 
Baza beſchießen läßt, und die pelotas de hierro que se lazaban con fuego, 
welche er denjelben König 1331 gegen Alicante verwenden läßt, jind mindeftens 
ebenjv fragwürdiger Natur wie die oben bejprocdhenen Meper Espignolen von 
1324. — Es ijt jafehbrwohl möglich, daß die arabijdhe Erfindung, 
deren wir im Anhange zum vorigen Kapitel gedadyt haben, in Südeuropamit 
der deutjhen zujammengetroffen ijt; aber in bobem Grade un: 
wahrſcheinlich ijt es, daß die legtere überhaupt niht gemacht wurde. 

Man dürfte die Ddeutjche Erfindung in die erjten Jahre des 
14. Ihdts. zu fegen haben. Sie verbreitete fich jchnell. Schon 1326 
befahl die Signoria von Florenz die Beichaffung metallener Kanonen 
und eijferner Kugeln‘), Schon vor 1344 Außert ſich Petrarca in 
jeinem Dialoge »De remediis utriusque fortunae« wie folgt: 

Da ruft der Eine: „ch befige unzählige Majchinen und Baliiten!“ Der 
Dichter antwortet: „ES ijt ein Wunder, daß du nicht auch jene metallenen Eicheln 
(Ogivalgeſchoſſe?) haft, die ein Flammenſtoß unter jchredlihem Donner entjendet. 
Es war nit genug, daß der erzürmte Gott vom Himmel bligte; auch das 
Menichlein muß von der Erde donnern! Seine Wut ahmte den Blik nad, und 
was jonjt aus den Wollen gejchleudert wurde, da8 wirft man nun aus einem 
hölzernen aber hölliichen Inftrumente, das nad), einiger Meinung die Erfindung 
des Archimedes iſt. Der aber gebraudte es, um feiner Mitbürger Freiheit zu 
ſchützen; ihr aber unterdrüdt damit freie Völker! Diefe Peſt war bisher noch jo 
jelten, daß man fie wie ein Wunder beftaunte; nun aber ift fie, da man bei den 
ichlechtejten Dingen ſtets am gelehrigjten, jo gemein wie jede andere Art von Waflen“. 


8 36. 


Das ältejte abendländijche Bulverrezept, welches erhalten 
it, jcheint aus den dreißiger Jahren des 14. Jhdts. zu jtammen und 
lautet folgendermaßen: 

„stem daß ift daz pphver damit man auf der phyß ſchieſt. Pa 
foll man nemen zv zway tail lindains oder jaelmwaidens kols vnd zway tail jal 


1) Qacabane (Bibl. de l’ecole des chartes. Iser. 2, p.50). *) Ausg. Genua n. 1745, p. 99. 


3. b. Feuerwerkerei und Büchjenmeijterei. 229 


petre. vnd denn daz fonftail fol man avch nemen jolfor vivi oder rechten jwefel. 
vnd derzv fol man avd nemen firnis glaz (Firnis-Glanz) den zehenden tail. und 
daz fol man alz derr machen. vnd jol ez inder ain ander ftozzen zou ainem polver in 
ainem morjer. vnd wenn man ez in die pohh tut jo fol man daß dem loch da 
man den jlvzzel in die pohß trocht hinain zu dem polver giezzen ainen tropphen 
leckſilvers“. 

Das Rezept ſteht in einer ſehr gemiſchten Handſchrift der Münchener Hof— 
und Statsbibliothet (Cod. J. m. 4350), deren theologiſcher Hauptteil lateiniſch 
abgefaßt iſt. Auf der erſten Seite von Bl. 92 ſteht: „an. 1338“ ete. Auf 
die frei gebliebenen Stellen des Manufkriptes jind von einer offenbar faum 
jüngeren Hand allerlei Notizen, namentlich Roßarzneivorſchriften und auch (auf 
Bl. 31b) das Pulverrezept eingetragen. 

8 37. 

Die ältefte artilleriewifjenfchaftliche Handichrift des Ubendlandes 
it der Codex germ. no. 600 der Münchener Hof und Stats— 
bibliothek, welchen der Katalog bezeichnet al8 „Anleitung, Schieß— 
pulver zu bereiten, Büchjen zu laden und zu bejchießen“. 
Es jind roh gezeichnete, mit dick aufgetragenen Farben ausgemalte 
Darstellungen, 3. T. mit kurzem Text verjehen, welche anfangs 
artillerijtiiche WBerrichtungen, weiterhin aber verjchiedene Gejchüße, 
Schleudermajchinen und anderes Kriegsgerät älterer Art veranjchaulichen. 

Der auf Bapier gejchriebene Coder zählt 22 Folioblätter, don denen Die 
meijten auf jeder Seite eine bildliche Darjtellung und die 9 erjten kurze Beijchriften 
aufweifen. Offenbar ijt die Handichrift nicht ganz volljtändig. — Eine Fakſimile— 
Kopie derjelben bejigt daS Germanijche Mujeum zu Nürnberg. (Nr. 25661.) Die 
9 wichtigſten Darjtellungen find in Eßenweins „Quellen zur Geſchichte der 
Feuerwaffen, herög. vom Germ. Mujeum” in farbloſem Steindrud wiedergegeben. 
(Leipzig 1877). — Die erjte Mitteilung über diefe Bilderhandſchrift machte R. 
von Rettberg im „Anzgr. f. d. Kunde der deutjchen Vorzeit” (1860, S. 405). 
Er glaubt, daß fie um 1345, fpätejtend 1350 entitanden ſei, und diejet Zeitbe— 
ſtimmung ſchloß ſich Oberſtlt. Würdinger in feiner „Kriegsgeſchichte von 
Bayern“ (München 1868) an. Der Major Toll ſchätzte das Manuſkript um 
% Jahre jünger („Eine Handſchrift über Artillerie aus dem 14. Ihdt. Archiv 
j. Art.» u. Ingen.-Offz. 60. Bd., 1886, S. 148). Eßenwein datiert es von 1390 
bis 1400. Ich nehme aus inneren Gründen die Entjtehung des Wertes wie 
Rettberg und Würdinger um 1350 an. 


Die auf Pulvermahen und Büchjenmeijterei bezüglichen Dar: 
jtellungen haben folgenden Inhalt:!) 


1) Ich gebe den Zert unter engftem Anſchluß an das Original in neuem Deutic und folge babei 
wie bei den Erläuterungen, den Arbeiten Tolle, Efjenweins und Köhlers. 


230 Mittalalter. II. Die Abendländer. 


Bl.1. Bild: Eine männliche und eine weibliche Figur neben einem Fake. 
— Tert: „Wenn du Salniter faufeit oder gewinnjt, willſt du ihm ausſuchen, 
ob er gut jei, fo ſtoß deine Hand darein. Sit, daß fie dir feucht wird darin, jo 
ift er nicht qut; bleibt jie troden, jo ift er gut. Auch greif mit der Junge an die 
Hand; ijt fie verjalzen, jo iſt der Salniter nicht gut; ift jie ſüß, jo ift er gut. 

Bl. 2a. Bild: Ein Mann an einem Tijche hält eine Wage. — Tert: 
Willit du ein gut jtart Pulver maden, jo nimm 4 Pfd. Salniter, 1 Pb. 
Scwejel, 1 Pfd. Kohle, 1 Unze Salpetri und 1 Unze Salarmoniat, item Yır 
Kampfer und jtoß das alles wol unter einander, tu gebrannten Wein dazu, ſtoß 
damit ab (d. 5. feuchte ed damit an) und diürre das wol an der Sonne, jo hait 
du ein ſtark beleibig (dauerhaftes) Pulver, deſſen 1 Pfd. mehr tut als jonit 
3 Pd. tun möchten und ift auch behaltig und wird je länger je beſſer“H. 

Bl. 2b. Bild: Ein Mann hält eine Flajche über Feuer. — Tert: „Tue 
Kampfer und gebrannten Wein in ein Qucurbit und brenne das aus, und was 
aus dem Gucurbit geht (alfo Nampferjpiritus), davon wird das Pulver gar jtart. 

Bl. 3a. Bild: Ein Mann hält ein Beden; ein anderer gießt etwas auf 
einen Koblenhaufen. — Tert: „Alfo follft du das Kob gutmachen: Nimm Linden: 
oder Albern= (Pappeln-) Holz, das ijt das bejte; füttre das wol in einen Bad- 
ofen umd verbrenne das gar und ganz, und nimm jein etwan viel und jtürz ein 
Beden darüber und verdämpfe das Kol alſo. Aber willft du das allerbeite Kol 
maden, jo brenne das Kol jehr wol und löſche e8 ab mit gebranntem Wein 
und dörre das Kol an der Sonne, jo haft du gutes Kol“. 

Bl. 3b. Bild: Zwei Männer an Mörjern mit Stampfen beichäftigt. — 
Tert: „BWillit du ein ſchlecht (gewöhnliches) Pulver maden nur von dreien 
Stüden, jo nimm 4 Pd. Salniter, der faſt gut jei und wol geläutert, 1 ®ib. 
Schwefel und 1 Pfd. Hole und jtoß das ab mit gutem Wein, da Kampfer in 
gefotten jey, und dörre das an der Sonne. Denn wo nicht Kampfer dabei iſt, 
das Pulver erwirt (erſchöpft ſich) und verdirbt gern. Aber der Kampfer hält alles 
Pulver auf und iſt aud kräftig in altem Pulver wenn man ihn daran tut“. 

Bl. 4a. Bild: Ein Mann, der einen Topf in den Ofen jtellt. — Tert: 
„Willſt du Pulver wiederbringen, das verdorben ijt, jo nimm guten 
Salniter 4 Pfd., Salpeter 1 Pfd., Nampfer 1 2. und jiede das in gutem 
gebranntem Wein oder jonjt gutem Wein und jtoß das Pulver damit ab, und tu 
das Pulver aljo feucht in irdene Hafen und jeß die Hafen in einen Badofen der 
nicht (jtärker) glühe, denn ehe darin gebaden jei, und lab das Pulver alfo wol 
in dem Ofen jtehen, jo fommt es jchon wieder und wird gut und jchnell. Es 
wäre dann, daß das Pulver mit dem Gewicht verderbt wäre (durch Auslaugen 
des Salpeters zu leicht geworden); das müßte man jcheiden“. 

Bl. 4b. Bild: Zwei Männer, die ein Gefäß über Feuer halten. — Tert: 
„Den Salniter follft du alſo gießen. Nimm Salniter in einen irdenen 

u 1) „Salpeter” bebeutet hier im Gegenfage zu „Salniter” (dem gereinigten Froftallinifchen Salpeter) 
ein ftaubförmiges Präparat, das in jpäteren Feuerwerlsbüchern „Salpotrifon, Salpatrita oder Sal. 
pertica” genannt wird. „Salarmonial” ift Weinfteinjalz. — Das obige Rezept ergibt ein ſehr viel 


falpeterreicheres Pulver als bie erfle, vermutlich ältere Vorſchrift des vorhergehenden Baragrapben. 
Bon Knollenpulver ift noch feine Kebe. 


3. b. Feuerwerkerei und Büchjenmeijterei. 231 


Tigel und tu so Schwejel dazu und vermache den Tigel gar wol und fege ihn 
in eine Glut, und wenn ein blauer Dunjt davon geht, jo bridy den Tigel auf, 
jo ift der Salniter zergangen; den magjt du gießen wohin du willjt oder in 
welchen Model du willſt. tem, willft du den Salniter färben rot, fo reibe 
Zinnober flein und jchütte den daran; item, willft du ihn grün färben, jo nimm 
Srünjpan u. j. w.“ (Das Schmelzen des Salpeters ijt jehr bemerfenswert ; es 
wird in den Wrtilleriebüchern erjt feit 1530 wieder erwähnt). 

Bl. 5a. Bild: Ein Mann hält eine Meine Büchfe in den Armen; ein 
anderer hadt auf einem Amboß ein walzenförmiges Holz entzwei. — Text: 
„Alſo jollit du eine Büchſe laden mit dem Klog. tem du jollit nehmen 
dürr Birfenholz oder Abrein, das ift das bejte, und made daraus Klöße und nimm 
ein Maß von dem Rohr an der Büchſen (d. h. von der Kammer) und als weit 
al® das Rohr jei, als weit und als lang foll audy der Kloß jein, jo ift er gerecht. 
Auch nimm ein Gluteifen und brenne den Klogen vorn (wo das Geſchoß gegen 
gelegt wird), jo wird er (hier) deito härter; doc) je weicher der Klo (an und 
für fih im ganzen) deito beſſer ift er“. — Die Heritellung diejer Klöße, von 
deren Zwed jogleid die Rede fein wird, gehörte zur Bedienung der Geſchütze, da 
fie nicht auf Vorrat gearbeitet werden konnten, wei jie jonjt eingetrodnet wären. 

Bl. 5b. Bild: Zwei Männer laden ein, etwa 4 Fuß langes, mit der 
Mündung jenfreht nad oben gerichtetes Geſchütz. Der eine hält zwei becher- 
förmige Rulvermaße; der andere holt mit einem Schlegel gegen einen in die 
Mündung gejegten Antreiber aus, um die Kugel zu verfeilen. Die Gejtalt des 
Geſchützes ijt die eines abgefürzten Kegels, der mit dem diünneren Ende nad) 
unten auf einer wenig übergreifenden Fußplatte jteht und über den oben ein 
Hohlcylinder von nahezu gleihem Kaliber (10-12 Zoll) aufgejchoben ift. Diejer 
chlindrijche Teil, der das Geſchoß aufzunehmen hat, ift etwa 1 Fuß lang; der 
hintere fegelförmige, der beftimmt it, Pulverladung und Pfropf zu bergen, hat 
3 Fuß Länge Es ift das aljo eine Steinbüchje mit Kammer von derjelben Form 
wie fie Redufius beichreibt. [8 38]. Auch hier hat die Kammer die doppelte Länge 
wie das Vorhaus, der Flug. Im Schwerpunft befindet fich ein jtarfer, beweg— 
liher Handhabungäring. (Die Maße beruhen auf dem Berhältnis der Größen 
von Mann und Gejhüß in der Zeihnung und treffen alfo nur dann zu, wenn diejes 
Verhältnis einigermaßen richtig dargeitellt iſt). — Tert: „Item, wenn du eine 
Büchſe ladeit mit dem Kloß, jo leg den Stein (das Geſchoß) faſt hart an den 
Klog und verfeil ihn mit weichem Holz. Die Keile jollen nicht hart jein oder 
eine Büchfe möchte davon brechen; fie follen auch glei lang und did und ganz 
jein; fie jollen auch gleich getrieben werden. tem, und über die Keile ſoll man 
einen Stein verjhoppen mit Heden (Werg) und mit Lehm oder mit Heu oder 
was ſolchen Dings ijt“. — Der fejt eingetriebene Kloß follte durch jeinen Wider- 
itand dem in Staubform dicht zufammengeprehten Rulver Zeit geben, zufammen- 
zubrennen, bevor es auf das Geſchoß wirkte. Zu dem Ende blieb zwiſchen Klotz 
und Ladung aud noch ein leerer Raum von derjelben Größe wie der Klotz. Da 
dad Borhaus oder der „Bumbhart“ der Kammerbücdjen meiſt nur die allernot= 
wendigſte Länge zur Aufnahme der Nugel hatte, jo reichte dieje noch über die 


232 Mittelalter. II. Die Abendländer. 


Mündung hinaus. Wenn jie nicht hinausfallen jollte, jo mußte jie verfeilt 
werden. Dies gejhah (wie e3 die Zeihnung darjtellt) in der Weiſe, daß die 
Büchje jenfreht auf den Boden gejtellt wurde, der daher einen breiten, fuhbrett- 
artigen Anjag hat. Die Keile mußten weich fein, damit die Büchſe nicht gejprengt 
wurde, und damit der Widerjtand ſich gleichmäßig äußerte, mußten fie auch gleich 
gang und did fein; jonjt wäre die Kugel jeitwärts abgelenft worden. — Nach 
dem Berfeilen wurde diefe nod) verjchoppt, d. h. der Spielraum ward durch Werg, 
Lehm oder Heu ausgefüllt, um das Entweichen der Gaje möglichſt zu hindern. 

Bl. 6a] Bild: Ein Mann feuert eine Karrenbüchſe ab, u. zw. eine 
große Lot- (Blei) Bühje Das Rohr hat etwa 4 Zoll Durchmefjer umd 
an 6 Saliber Länge; jeine Seele jcheint cylindrijch zu jein, und da der Boden 
des Rohre flach abgerundet ift, fo darf man annehmen, dal es feine Kammer Hat. 
Dad Mundjtüd ift dur einen Stulpring verjtärkt, gegen den ſich das Gefäh 
(Schaft, Lafete) jtemmt. Dieſes Gefäh hat vorn die Bejtalt einer jlahen Mulde 
und läuft hinten in einen langen Stiel aus. Rohr und Schaft find durd ein 
in der Mitte umgelegtes Eiſenband jowie durd einen großen jihelförmigen Hafen 
dicht hinter der Mündung verbunden. Nahe unter der Mitte des Schaftes liegt 
eine Achſe, mit der er beweglich verbunden ijt; denn durd den Stiel des Schaftes 
und ein unterhalb desjelben jchräg abwärts laufendes Holzjtüd, das ſich wie ein 
Lafetenſchwanz auf den Boden jtüßt, ijt ein langes, handbreites, flahgefrümmtes 
Stüd Eijen gezogen, das offenbar als Richthorn (Gradbogen) dient. Dies 
Prinzip der Lafetierung ijt während des ganzen Verlaufs des 15. Ihdts. herrichend 
geblieben. Die Räder jind jo niedrig, dab jie dem bedienenden Manne nur bis 
zur Hüfte reichen. Letzterer ſteht zur Rechten des Gejchüges, zündet mit dem 
glühenden Loseiſen an und Hält die linfe Hand vor die Augen. — Tert: 
„Wenn du eine Büchje willjt bejchießen, jo jtehe über Ort, d. i. 10 oder WU 
Schritt hinter der Büchſe und ebenjoviel daneben. Denn wenn eine Büchſe 
bricht, jo jpringt fie nur hinter ſich oder neben ſich aus, daß jie jelten über Ort 
(im Winfel) bridt. Oder entzünde jie mit einem Luder (d. i. mit einem in 
Schwefel getränften Lappen)) das du deſto jicherer feieft davor. Gedenf an 
diefe Lehre“. 

Bl. 6b. Bild: Ein Mann feuert ein Gejhügrohr ab, welches mit der 
Mündung nad) unten jentvecht aufgetellt it. — Tert: „Eine neue Büchje 
ſoll man aljo beſchießen. tem lade die Büchje fait wol mit Pulver 
ohne Klotz (d. 5. Hier ohne Kugel) und verfchlage den Pumhart (das VBorderteil 
der Büchje) davor mit einem harten Klotz und fäge den Kloß vor der Büchſe ab 
und jtelle den Boden über fih und den Pumhart unter fich auf einen Herd und 
laß die Büchfe jich jelber beihießen, und welche Büchſe aljo beiteht, die iſt ſicher 
gut und beleibt wol, man wolle denn Mutwillen treiben“. 

Bl. Ta. Bild: Ein Mann, der in einem auf einer Tafel jtehenden Mörjer 
reibt. — Tert: Anweifung zur VBerfertigung verjchiedenfarbigen Pulvers. 

Bl. Tb. Bild: Zwei Männer, die ein aufrechtitehendes Rohr in derjelben 
Art wie auf Bl. 5b laden. Dies Geſchütz hat feine Kammer. — Tert: „Willit 


ı) Davon rührt vermutlich die fpätere Bezeichnung Ludel“ für Bündfchnur ber. 


3. b. Feuerwerkerei und Büchienmeijterei. 233 


du eine Büchſe meijterlih und recht laden, jo fieh zuerſt, daß das Pulver gut ijt. 
tem nimm ein Maß und ftoß es in die Büchſe und teile die Maß in 5 Teile, 
als du im der Figur wol fiehit, und lade die 3 Teile mit Pulver als die Mai 
jagt, jo ijt-fie mit Pulver recht geladen. Denn der Klotz bedarf jeine Weite; 
jo foll zwifchen dem Klo und dem Pulver aud) eine Weite fein, da das Teuer 
zu rechter Brunft und aud) zu rechter Kraft mag fommen. tem, danach magit 
du dann einen Klotz (d. h. Hier ein Bleigefhoh) und einen Stein dejto beſſer 
ihiegen“. — Es heißt das alfo: man foll ®%/s der Büchje mit Pulver füllen und 
dad Geſchoß derart einführen, daß zwijchen ihm und der Yadung nod) Ys der 
Büchje frei blieb. Dieje mußte alſo 5 Kaliber lang jein. 

DB. 8a. Bild: Ein Mann, der an einem Dejtillierapparate beſchäftigt 
it. — Tert: „Alſo jolft du Salarmoniat (Weinjteinfalz) gut machen. Es 
it gut zu Pulver, das man lange behalten will... .“ Die Bereitung jtimmt 
mit der in dem jpäter maßgebend gewordenen Feuerwerksbuche [X V, $ 58] überein. 

Bl. 8b. Bild: Ein) Mann, der von einem an der Dede hangenden 
Topfe etwas abfragt, das in ein darunter gehaltenes Gefäß fällt. — Tert: 
„Alſo madt man Salpeter. tem nimm Salniter 4 Pfd., Salarmoniat 1 Pfd., 
Ganffer 1 Lt. und jiede das in gebranntem Wein, bis der Salniter wol zer- 
gangen, gieß dann ab in einen anderen Hafen, der die Form (wie Figura zeigt) 
babe, und hänge den in einen Keller, und laß ihn einen Monat alfo Hangen. 
Danach gehe darunter und jchabe dem Hafen außen den Kies ab, und danad) 
geb allweg über 9 oder 10 Tage und wijche dem Hafen außen das Weihe und 
das Graue ab; das iſt das bejte sal petri, das jemand gehaben mag und 1 Bid 
gilt 6 Gulden“. 

BL.9a. Bild: Zwei Männer an einem Faße. — Tert: „Willjt du Schwefel 
verjuchen, ob er gut jei oder nicht, jo nimm einen Knollen Schwefel in die Hand und 
hebe ihn zu den Ohren. Kradıt dann der Schwefel, daß du ihn Hörjt krachen, fo ift er gut, 
jchweigt der Schwefel aber jtill und kracht nicht, jo ijt er nicht gut. Und jo muß man ihn 
machen, als du hernach wol hören wirjt, wie man ihn bereiten ſoll.“ — BL. Ib it leer. 

Bl. 10a. Bild: Zwei Männer, der eine mit einer Handbücdje; der 
andere mit einem Ringe in der Rechten, welcher, wie es jcheint, zum Stugelleeren 
(mejfen) dient. — Tert fehlt. — Über den Handſchützen gehen die Anfichten 
auseinander. Er Hält die beträchtlich lange Büchſe vornübergeneigt mit der Linken 
vor ſich hin, wie es eigentlich unmöglid) ift, eine Waffe von offenbar nicht unbe: 
deutendem Gewichte zu halten.) In der Rechten hält der Schü eine Stange, 
die jich vorn in zwei Spitzen zu teilen jcheint. Eßenwein hält diejen Stab 
für eine Gabel zum NAuflegen des Rohre, Toll für das Loseifen. Einen bogen= 
förmigen Strid, der von der Mündung der Büchſe zu der Gabeljtange hinüber 
führt, erflärt Eßenwein für eine jpäte zufällige Verunreinigung der Zeichnung ; 
Zoll hält ihn für eine Zündfchnur, die aus dem Rohre herabhangt und jchlieit 
daraus, daß die erjten Handbüchjen feine Zündlöcher hatten, die Yadung vielmehr 
durch eine Feuerleitung von der Mündung aus mit dem gabelförmigen, glühenden 





1) Bei Ehenmwein in dem die Sanbieuerwaffen behandelnden 2. Teile der Quellen zur Geld. der 
Feuerwaffen bargeitellt. 


234 Mittelalter. II. Die Abendländer. 


Loseijen in Brand gejegt wurde. In diefem Falle ging der Schuh natürlich nicht 
gleich nach dem Anzünden los; der Schüge hatte noch Zeit genug, die Büchſe mit 
beiden Händen zu faflen und ihr die erforderliche Richtung zu geben. Köhler 
ſchließt fich im wejentlichen der Anficht Tolls an, erflärt die Waffe jedoch für 
feine eigentliche Handbüchfe, fondern für eine „Klopbücdje“, die mehrere Schüſſe 
abgab, deren jeder feine befondere Ladung hatte, welche jic) nad) dem Abgehen des 
vorherbefindlihen Schufies entzündete. Sole Klotzbüchſen wurden von der Mün— 
dung her entzündet. Diefe Erklärung wird durch eine Handichrift der Wiener Hof: 
bibliothet (Nr. 3069) bejtätigt, die jich als eine etwa dv. J. 1400 ftammende Be- 
arbeitung des Münchener Coder 600 darjtellt und in der eine ganz ähnliche Figur 
ausdrüdlich mit der Bezeichnung „Die Klotzbüchſe mit drei Schuß“ verjehen iſt. 
Übrigens wurden auc noch im 15. Ihdt. wirkliche Handrohre nicht jelten bon 
der Mündung ber abgefeuert. [XV, 8 64] Abgejehen von dem einen langen Dand- 
rohr der Tafel 10a zeigen alle anderen Heinen Büchfen der Münchner Handſchrift 
diefelben Formen wie die großen. 


Den folgenden Bildern fehlen nun durchweg die Beifchriften. Die auf ihnen 
dargeitellten Geſchütze beitehen, wie fi) aus der Farbe ergibt, ſämtlich aus 
Eifen und find mittels eiferner Bänder auf Holzunterlagen befeftigt, die wiederum, 
leichterer Beweglichfeit wegen, auf Beftellen verfchiedener Art ruhen. Die größeren 
Geſchütze, welche ohne Holzfafjung erfcheinen, haben etwa 1 m Länge und 20 cm 
Mündungsdurcmefler, verengen ich fonifch gegen den Boden zu und mögen 2 bie 
3 Str. wiegen. Die Meineren jind etwa 1%.‘ lang und in der Mündung 2 bis 3 
weit; jie haben ſämtlich die Form hoher didrandiger Becher. Dergl. find auf 
Bl. 12a zu dreien auf einem jchaufelfürmigen Brette befeitigt, das mit Hilfe einer 
vertifalen großen Schraube geſenkt und gehoben werden fann. Es ift eine Art 
Orgelgejhüg mit einer Schraubenrihtmajhine — Auf BI. 13a 
liegen vier Rohre im Kreuz, mit ihren Bodenftüden faſt zufammenjtoßend, 
aufeiner runden Eceibe, die fich um eine durch ihren Mittelpunft gehende 
Schraube drehen und mitteld eines Richtbogens neigen läßt. Diefe Einrichtung 
erlaubte im Augenblide des Sturms eine Art Schnellfeuer. — Bl. 15b, BI. 168 
zeigt ein aus 15, um einen Mittelcylinder gelegten fleinen Rohren zuſammen— 
gejeßtes Gefhüg, das auf einem vierkantigen, in einer Gabelſpitze (Wippe) liegenden 
Balken befejtigt ift, durch deſſen Schwanzteil eine etwa 1 m hohe Richtfchraube 
läuft, die ein Mann an ihrem oberen furbelartigen Anſatze dreht. Es ijt aljo 
eine Art Gatlinggejhüg. — Bl. 17a ftellt zwei Rohre dar, die beide auf 
demjelben kurzen Balken aber nad) entgegengejegten Richtungen befeftigt find. 
Der Balten dreht ſich in der Gabel eines Unterfages und ift unten mit einer 
halbkreisförmigen Scheibe verjehen, welche an der Peripherie mehrere Löcher auf— 
weilt, durch die Bolzen gejchoben werden fünnen, um fo den Balten beliebig zu 
elevieren. Der daneben dargejtellte Mann trägt Schwert, Ringpanzer, Eifenhut 
und Beinjchienen, während ſonſt die Artillerijten der Handſchrift unbewaffnet, 
jogar 3. T. barhäuptig erjcheinen. — Abbildungen folder Vereinigungen mehrerer 
Lot-Büchſen laufen durd die gejamte artilleriftiiche Literatur des 15. Ihdts.; 
gerade das ältejte Werk derjelben, Konrad Kyeſers „Bellifortis“ [XV, 8 4] üt 


3. b. Feuerwerkerei und Büchſenmeiſterei. 235 


reih daran, aber auch die jpäteren, jelbit die im 16. Ihdt. gedrudten, bringen 
he noch, und unzweifelhaft haben fie eine bedeutende Rolle gejpielt. Gejchichtliche 
Angaben über den Gebrauch derartiger Injtrumente gewähren aus fehr früher 
Zeit italienische Schilderungen "), und aus dem Anfange des 15. Ihdts. hat fich 
jogar ein Originaleremplar (fünfläufig) erhalten, welches im Mujeum zu Sig- 
maringen aufbewahrt wird. Es leuchtet aud ein, daß man den Gefahren, die 
aus der Langſamkeit und Schwierigkeit der damaligen Bedienung erwuchſen, zu 
begegnen bejtrebt war, indem man mehrere geladene Rohre gleichzeitig in Tätigkeit 
brachte. Denn jo mochte man hoffen, den Gegner, der es keineswegs erwarten durfte, 
daß einem abgegebenen Schufje ſogleich nod) einer oder gar mehrere andere folgen 
würden, wirkungsvoll zu überrafchen. Lagen joldhe Vereinigungen von mehreren 
Lotbüchſen auf Karren oder Wagen, jo nannte man jie Ribaude oder Ribaudequins, 
indem man eine Bezeichnung der fahrbaren Armbrufte auf fie übertrug. — Auf 
8. 17b findet ſich eine Art Hoher NRahmlaffete auf niederen Blodrädern, eine 
Borkehrung, welde allerdings für das Meine Rohr, eine Lotbüchſe, zu groß er: 
iheint. Immerhin handelt es fich Hier um ein Belagerungsgeihüß, denn das 
Serüjt fteht einem Turme gegenüber, und bei wenig jtärferer Abmefjung einzelner 
Teile des Geſtells würde es ſich aud) jehr wohl zur Aufnahme einer Steinbüchſe 
eignen. Dies jind die wejentliditen Typen der ohne Tert dargejtellten Büchjen. 

Sp interefjant und wichtig der Inhalt diejer fojtbaren artille- 
riſtiſchen Neliquie tft, jo reicht er doch nicht aus, um ein genügendes 
Bild von dem Stande der Gejchügtechnif zu gewinnen, den dieje im 
14. Ihdt. überhaupt erreicht hat. Gar nicht die Nede iſt von den 
großen, 3. T. Eolojjalen Stalibern, welche als „Legeſtücke“, d. h. als 
wagerecht auf mächtige Holzunterlagen gebettete Brechgeichüge, gegen 
Ende des Jahrhunderts tatjächlich zur Verwendung famen: wie die 
Nürnberger Chrimhild (1388), die große Srankfurter Büchſe vor 
Tannenberg (1399) u. U. Eben darum muß man Nachdrud darauf 
legen, daß in der Münchener Handjchrift (mag fie jelbjt auch erſt im 
legten Viertel des Jahrhunderts hergeftellt, d. h. abgezeichnet und 
abgejchrteben worden jein) doch ein Niederjchlag der Büchjenmetiter: 
fimit der Zeit von etwa 1350 vorliegt. Jedenfalls jtellt jich in ihr 
das ältejte wijjenjchaftliche Werf über Artillerie nicht nur Deutjchlands 
jondern Europas dar. 

Übrigens enthält die Handjchrift auch interefjante Darjtellungen 
des mittelalterlihen Wurf: und Schußzeugs. 

Die Abbildung einer Blide entjpridt genau dem tripahtium des Egidio 
Colonna [$ 19]. Sehr merkwürdig tft die Zeichnung eines Onagers auf BI. 15. 


1) Bl. Eitadella: Hist. de la domination des seigneurs de Carare; jomwie Mitteilungen 
des }. f, Artillerie-Gomite, 1868, XX und Wille: Über Kartätſchgeſchütze (Berlin 1871). 


236 Mittelalter. II. Die Abendländer. 


Sie beweijt, daß dies Geſchütz der Spät-Römer ſich durch das ganze Mittelalter 
erhalten Hat. General Köhler hat nachgewieſen, daß es mit den als „Mange“ 
oder „Rutte“ bezeichneten Gejhügen der Chronijten und Dichter gleichbedeutend 
ift). Werner bringt diefer Coder die einzigen Zeichnungen, welde ji) von 
großen Stand= und Wagenarmbrujten aus dem 13. und 14. Ihdt. erhalten 
haben u. zw. z. T. mit den Spannvorrichtungen, unter den die Schraube (vis) 
als ganz bejonders wichtig hervorzuheben ijt ?). 
S 38. 

Die ältejte eigentliche Geſchützbeſchreibung, welche uns 
befannt wurde, gibt das Chronico Travisano des Reduſio da Quero 
beim Jahre 13769). Da heißt es: 

„Est eniim bombarda instrumentum ferreum fortissimum cum trumba 
anteriore lata, in qua lapis rotundus ad formam trumbae imponitur, habens 
cannonem a parte posteriore secum conjungentem longum bis tanto, quanto 
trumba, sed exiliorem, in quo imponitur pulvis niger artificiatus cum sal 
nitrio et sulphure et ex carbonibus salicis, per foramen cannonis praedicti 
versus buxam (buccam ?). Et obtuso foramine illo cum concono uno ligneo 
intra calcato, et lapide rotundo praedicetae buccae imposito et assentato 
ignis immittitur per foramen minus cannonis, et vi pulveris accensi magno 
cum impetu lapis emittitur“. — D. h. „Die Bombarde ijt ein eijernes In— 
jtrument mit weitem Vorderteil (trumba), der den hineinpajlenden runden Stein 
aufnimmt, und einem hinteren doppelt jo langem, aber dünnerem Rohr (cannone), 
in das durch die dem Vorterteile (buxa) zugefehrte Offnung das ſchwarze, 
fünjtlih aus Salniter, Schwefel und Weidenfohle bereitete Pulver getan wird. 
Hat man dann jene Offnung durd einen hineingejchlagenen Holzpfropf feit ver- 
ichloffen, die Steinfugel in das Mundjtüd eingejebt und verfeilt, jo wird durd 
das fleine Loch des hinteren Rohres Feuer gegeben, worauf die Kraft des ent- 
zündeten PBulver® den Stein mit großer Gewalt hinausjchleudert.“ 

Aus den fiebziger oder achtziger Jahren des 14. Ihdts. ſtammt 
eine Anweijung zur Läuterung des Salpeters in einer Hand» 
ichrift des Archivs von Rothenburg ob der Tauber, welche Kerler 
im Anzeiger für die Kunde der deutjchen Vorzeit mitgeteilt hat*). 


c. Befeſtigungsweſen. 
8 39. 
Sehr ſpärlich find die literarifchen Überlieferungen auf dem 
Gebiete der Befeſtigungskunſt. In der deutichen Gejchichte wird ein 


1) Rriegweien und Sriegführung der Ritterzeit IIIa (Breslau 1887), Taf. II, Fig. 7. 

n Ebd. Taf. II. Fig. 5. 

3) Abdrud der Ehronif bei Muratori: Rerum ital. scriptores, vol. XIX, p. 754 (Rai» 
land 1730). Bgl. aud) Hodyers Geſchichte der Kriegstkunſt, I. Bandes 2. Hälfte, S. 7 der Zufäge und Er- 
l[äuterungen (Göttingen 1797). — *) Jahrgang 1866, Sp. 426. Wieder abgedrudt bei Köhler IIla, 5.254. 


c. Befeſtigungsweſen. 237 


eigentlicher Kriegsbaumeifter zum eritenmale in der 2. Hälfte des 
12. Shots. namhaft gemacht, nämlich Bifchof Benno von Osnabrüd, 
welchem König Heinrich IV. u. a. den Burgenbau gegen die Sachjen 
übertrug!) und welcher jomit gewiß genötigt war, eine Art von 
Syſtem zu entwerfen, wenn auch nicht niederzujchreiben. 

Das 20. Kapitel des Ägidius Romanus, welches vom Feitungsbau 
handelt [819], erhält noch einige Erläuterung durch den Inhalt einer 
Heinen Abhandlung über dasjelbe Thema, die fich indem Dietionarium 
des Johannes von Garlanda vorfindet. Die Lebenszeit Ddiejes 
Mannes iſt ungewiß, wahrjcheinlich fällt fie um die Wende des 12. 
und 13. Shots. Sein Dietionarium iſt eine Encyflopädie der 
Künſte und Wiffenichaften, ſoweit diefe unmittelbare Beziehungen 
zum praftichen Leben haben. Eine Handfchrift des Buches aus dem 
14. Ihdt., welche ji) zu Cambrai befindet (No. 867) iſt dadurch 
interejjant, daß ein Scholiaft viele Erklärungen in franzöfifcher Sprache 
zu dem lateinischen Text hinzugefügt hat. 

Das Dictionarium ift nicht gedrudt. Mone teilt einiges daraus mit im 
„Anzeiger für die Kunde des deutjchen Mittelalters“ 1835. Da auch diejer Jahr: 
gang ſelten geworden ijt, jo wiederhole ich den militärischen Paſſus, der in feinem 
fonderbaren Durdeinander von baulichen Einrichtungen, Berpflegungswefen, Be- 
fagung u. j. w. ein charafteriftiiches Zeichen der Zeit ift, und füge die Erflärungen 
des Scholiaften in Klammer bei: 

„Si castrum debeat decenter construi, duplici fossa cingatur. situm 
loci natura muniat, ut mota super rupem sedem debitam sortiatur, vel 
naturae defectui succurat beneficium, ut muralis moles ex cemento (mortier) 
et lapidibus constructa in arduum opus excrescat. super hanc erigatur 
sepes horrida, palis (de peus) quadrangulis et vepribus (ronsses) pungen- 
tibus bene sit armata postmodum vallum (castel vel baile) amplis gaudeat 
interstitiis (epasses) et fundamentum muri venis terrae maritetur. muri 
autem supereminentes columpnis exterius collocatis appodientur. super- 
ficiis autem trullae (trouele) aequitantem et cementarii operam repraesentet. 
cancelli (crestel) debitis distinguantur proportionibus. propugnacula (bretes- 
ques) et pinnae (pignon vel toureles) turrim in eminenti loco sitam muniant. 
nec desint crates sustinentes molares ejiciendos, si forte castrum obsideatur, 
ne defensores oppidi ad deditionem cogantur. muniantur et farre, blado 
et mero, arvis (bacons) et pernis (flikes) et baconibus et carne in succidio 
(souchies) posita. hillis (andoulles) et salsuciis (saussices) vel tucetis 
(bondin) et carne auilla et carne bovina et carne arietina et leguminibus 
diversis, fonte jugiter scatiente (souriant): posticis subtilibus et cataractis 


ı) Krieg dv. Hodfelden: Geſch. der Militärardhitectur in Deutſchland von den Römern bis 
zu den Kereuzzügen (Stuttgart 1859). 


238 Mittelalter. 


(boues) subterraneis, quibus opem et succursum allaturi latenter incedant. 
assint et lanceae, catapultae (saiete barbée) peltae (targes) anchilia (escus 
reons) balistae (arbalestes) fustibula (mangonnel) fundae (fundes) baleares, 
sudes ferrei, clavae nodosae, fastes, torres (brandon), ignem sapientes, 
quibus obsidentium assultus (assaus) elidantur et enerventur, ne propositum 
consequantur; arietes (engien) vineae vites (garite) crates, balearia et 
ceterae machinae. assint et manni (palefroi) et gradarii (cacheour) et 
dextrarii (destrier) palefridi usibus militum apti, quibus exeuntibus ut 
melius animentur. concinant tibiae (buisines) et litui et buxus (frestel) 
et cornu (cornet) et acies et cunei et legiones vel cohortes et exercitus 
a tribunis militiae ordinabuntur, vel etiam cum prosiliant ad troiampium 
(tournoi) vel ad troianum agmen vel ad tornamentum vel ad hastiledium 
(bouhourdich). assint et ronsini sive succussatorii vel succussorii, vernis 
(sergant) et vispilionibus (bedel) et coterellis (pieton) apti. sint etiam in 
castro viri prudentes tam clarigatores (desfieur) quam caduciatores (apaiseur). 
assint et carceres, mansionibus debitis distincti, in quorum fundum de- 
trudantur compediti in manicis ferreis positi, et cippi (cep) et columbaria 
(pellor). assint ex excubiae (gaites) vigiles. 

Aus wenig jpäterer Zeit begegnet bereit3 ein handjchriftliches 
Denkmal der Tätigkeit eines Architekten: das Album des Dillard de 
Honnecourt, Netjejfizzen eines pifardiichen Baumetjters, etwa aus 
dem Jahre 1230. 

Das Original befigt die Nativnalbibliothet in Paris (ms. lat. 1104). Aus 
gaben veranftalteten Laſſus und Darcel (Paris 1858) und Willie (Urford 1860). 

An militäriſch interejjanten Gegenjtänden bringt das Album u. a. einen 
fünfedigen Turm mit Scharten, dann die Einrichtung eines arc ki ne fant um 
die Grundriizeichnung eines fort engieng con apiele trebucet. — Der ar 
infaillible ijt eine Armbrujt mit fonifcher Verlängerung der Bolzenute, deren 
Zwed leider nit Har wird. Von dem fort engin qu'on apelle tr&buchet 
fehlt bedauerlicherweije der Aufriß, welcher einjt vorhanden war. Biolletzle-Duc 
bat nach Villards Angaben eine anſchauliche und einleuchtende perjpektivijce 
Zeichnung diejes Gegengewichtswerfzeugs fonjtruiert und mit Erläuterung ver: 
öffentlicht H. 

Aus einer Notiz Almirantes (p. 577) jcheint hervorzugehen, dat 
der Belagerungsfrieg des 13. Ihdts. jelbjtändig abgehandelt üt 
indem Opusculum Ildefonſi, Regis Deigratia Romanorum 
et Castellae, deiis qui sunt necessariaad stabilimentum 
castri tempore obsdionis [$ 28]. 

Es iſt das eine Handſchrift aus der Zeit des caitiliichen Königs Don 
Alfonjo el Sabio (1252—1282) in der jpanifchen Academia de la historia. 


1) Dietionnaire raisonne de l'’architecture francaise du 11. au 16. siecle V, p. 2% 
(Paris 1861). 


Schlußbemerkung. 239 


Schlußbemerkung. 
8 40. 


Vergleicht man die mittelalterliche Literatur des Abendlandes 
mit der des Oſtens, ſo zeigt ſich eine äußerliche Ähnlichkeit in dem 
Wechſel zwiſchen Fruchtbarkeit und Sterilität, der hier wie 
dort hervortritt. Beiden Kreiſen iſt das 5. Ihdt. ein Zeitalter ab— 
ſoluten Schweigens. Das 6. Ihdt. dagegen bringt Lebensregungen 
hier wie dort, im Orient freilich unvergleichlich viel bedeutungsvoller 
als im Occident, da für dieſen nur ein einziger Name zu nennen iſt: 
der bi. Iſidor. Mit dem 7. Ihdr. tritt wieder überall völlige Stille 
en, welche im byzantinischen Weiche bis zum Beginn des 10., im 
Abendlande jogar bis zur Mitte des 13. Ihdts. währt. Aber im 
Titen erlifcht (von einigen arabijchen Arbeiten abgejehen) mit dem 
11. Ihdt. das Licht der Kriegswiſſenſchaft überhaupt, während es 
jet dem 13. Ihdt. im Weiten heller und heller aufflammt. Im 
14. Ihdt. läßt ſich Hier bereits, zum erjtenmale jeit dem Untergange 
der Haffischen Bildung, wieder eine Sonderung der jachwifjenjchaftlichen 
Beitrebungen erfennen, an denen nun auch Deutjche teilnehmen. 

Wägt man den Wert der griedhijchen und der abend- 
ländijchen Militärliteratur gegeneinander ab, ſo unterliegt es 
feinem Zweifel, daß in quantitativer wie namentlich auch in formaler 
Hmficht die Wage jich Itark zu guniten der Byzantiner jenkt. Anders, 
jobald man nach den Anfängen neuen Lebens, nach dem wirklichen 
Fortjchritte fragt. Da ergibt jich, daß die Byzantiner wenig mehr 
getan haben, al3 das antife Erbe weiter zu jchleppen und hie und 
da umzuprägen. Und zwar it es nur ausnahmswetje der Geiſt 
der Alten, der fie anzieht und bejchäftigt; zumeiit handelt es ich für 
lie immer nur um die Form. Wie bezeichnend erjcheint es doch in 
diefer Beziehung, day gleichtwie Orbifios, der ältejte byzantintjche 
Kriegsjchriftiteller, ein auf Älians Taktik beruhendes „Wörterbuch 
der Phalanx“ bearbeitet hat, auch noch die legten Regungen militär- 
literariſcher Betätigung am goldenen Horn eben wieder jolchen lexi— 


kaliſchen Bearbeitungen der älianiſchen Taktik galten! — Formen 
und Worte! Der Inhalt it längst nicht mehr lebendig, und der 
Reit iſt Schweigen. — Ganz anders im Abendlande! Hier gebt 


neben jchwächeren Überlieferungen des antifen Formalismus ein von 


240 Mittelalter. 


Sahrzehnt zu Jahrzehnt fraftvoller aufitrebendes Denken her, das ic 
einerjeits unter religiös-ethijchen, bzw. jtatsrechtlichen Gefichtspunften 
mit dem Kriege beichäftigt, andererjeits ritterliche und artillerijtiiche 
Technif eigenartiger Betrachtung unterzieht. Hier tft Individnalität, 
Wachstum, Zukunft! Und daher geht denn auch die weitere Ent- 
wicelung der Kriegswiſſenſchaft nicht von der byzantinischen Tradition 
aus, jondern von den lebensfähigen Keimen der mittelalterlichen 
Literatur des Abendlandes. 


Drittes Buch. 


Das funfzehnte Jahrhundert. 


Yähne, Geſchichte der ſtriegswiſſenſchaften. 16 


Drittes Bud. 
Das funfjehnte Dahrhundert, 


I. Bapifel. 
Allgemeine Kriegswillenfchaftfiche Werke. 


l. Gruppe. 
Die SKearbeitung der antiken Überlieferung. 


81. 

Gering nad) Umfang und Vertiefung war im eigentlichen Mittel- 
alter die Kenntnis der literarifchen Überlieferungen des Altertums, 
namentlich joweit es ſich nicht bloß um lateinische Dichter, Redner und 
einige Gejchichtsichreiber, jondern um Fachjchriftiteller handelte. Im 
kriegswiſſenſchaftlicher Hinficht kam lediglich Vegetius in Betracht. 
Mit dem 15. Ihdt. aber beginnt, wie eine folgerichtige Anlage von 
Bücherfammlungen durch Abjchriften lateinischer und Überfegungen 
griechischer Werfe, jo auch eine wejentliche Erweiterung des Interejjen- 
freijes, eine Fülle neuer Entdedungen, ein verjtändnisvolles Ver— 
ienfen in eigentliche Fachſchriften. Zunächſt war Italien der Schau- 
platz dieſer Entwidelung, wo jie außerordentlich gefördert ward durch 
die von der Balfanhalbinjel vor den Osmanen fliehenden Griechen; 
ja die griechischen Studien hingen von dieſen Flüchtlingen in jo 
beitimmter Weiſe ab, daß mit dem Dahinjterben der byzantinischen 
Einwanderer während des eriten Viertels des 16. Ihdts. auch die 
griechiichen Studien in Italien abjtarben, freilich nur, um nun von 
den Deutjchen aufgenommen zu werden. Doch auch vorher jchon 
hatten dieje regen Anteil an der Wiedererwedung der antifen Kultur, 
und die deutjche Erfindung der Buchdruderfunit wurde ein gewaltiges 
Hilfamittel für die Verbreitung diefer Studien, welches jehr frühzeitig 
auch der militärijchen Renaiſſance entgegenfam. 

16*® 


Ihr ' 


244 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


— 6.4 

Es iſt ſchon darauf hingewieſen worden [A. 8 37], wie eifrig 
ım 15. Ihdt. dasjenige Volk, welches zuerjt unter den Wejteuropäern 
eine großartige Neorganijation des Kriegsweſens durchzuführen be- 
itrebt war, das der Engländer, fic) mit Vegetius bejchäftigte, indem 
es durch Überfegungen die Epitoma weiteren Kreifen zugänglich 
machte. Auf eben diefem Wege folgte, unmittelbar nach dem Er- 
jcheinen des erjten Vegez-Druckes (Ütrecht 1473) ein Deuticher nad). 
Ludwig Hohenwang von Thal Elchingen verdeutichte den Vegez 
und widmete jeine Arbeit dem Grafen von Laufen (Würtemberg), 
defjen Dienftmann er vermutlich war. Eine ſehr jchöne Handjchrift 
dieſer Überjegung bildet den erjten Teil eines hochintereffanten, weiter 
unten [$ 36] näher zu bejprechenden Kriegsbuches Philipps von 
Seldened, welches ſich in der großherzoglichen Bibliothek zu Karls— 
ruhe befindet (Durchlach Nr. 18); eine zweite befigt, Moned Angabe 
nach, die Bibliothef zu Linz. (9. ©. XL. c. 8). — Diejer deutjche 
Vegez ift nun eines der erjten Bücher, welche in Deutjchland über- 
haupt gedruckt worden find. Die erjte Ausgabe erjchten zu Ulm 
um 1475; fie iſt jehr jelten und entbehrt, wie die meilten In— 
funabeln, Titel, Zeichen und Kuſtos, beginnt vielmehr gleich mit 
der Zueignung: „Dem wolgebornen herren, herren Johanjen Grauen 
von Zupffen, landgrauen zu jtielingen, herren zu Hewen, Embeut ich 
Ludwig Hohenwang von Tal Eldhingen gehorjfam mit dienjten.“ 
Nach der Widmung heißt e8 weiter: „Des durchleichtigen, wolgebornen 
Grauen Flavii Begecit Renati kurcze red von der Ritterjchafft 
zu dem großmechtigjten kaiſer Theodofio, feiner bieder vierer.“!) — 
Folgendes iſt die Inhaltsangabe: 

Das erjt buch weiſet vnd lernet erwelung der jungen, vß welchen enden 
oder welche Ritter zu beweren ſyen, oder mit welher vbung der wouffen zu 
vnderweiſen. — Das ander buch haltet in gewonhait der alten Ritterſchafft 
oder wie man anſchicken ſol ein fußzeug. (Infanterie), — Das dritt buch 
alle wouffen, die zu dem veldftreit nicz find. — Das vierd bud erzelt allerlai 
gerijt, bolwerck vnd gebew, dardurd die jtet gewonnen oder vorgehalten mugent 
werden/— Uber in ainem Yyeglichen krieg ift nit als gar gewon fig zu erlangen 
die mengin vnd vngelert jterfin als kunſt und vbung. — Dieſen vier Büchern 

!) Bwei Eremplare diefer jeltenen Ausgabe befist — Bibliothet zu Wolfenbüttel, eins 


das germaniſche Muſeum in Nürnberg, eins bie fgl. öffentl. Bibl. zu Dresden, eins die WibI. des 
Serzogs von Genua in Zurin. 


1. Die Bearbeitung der antiten Überlieferung. 245 


bat Hohenwang als fünftes Buch einen Atlas Hinzugefügt, den auch die Dur: 
lacher Handjchrift aufweift und von dem der Berf. jagt“ „Wann aber mangerley 
gerift, bolwerd vnd gebew in den vierden buch begriffen iſt vnd fain ſach ganz 
tlarlich durch bedeutnus der wort als durch zaigen ain?® monſters begriffen/mag 
werden, darum hab ich das funft Bud, gejeczet mit figuren darzu gehoerend 
ond ſoliches vßweiſend“. 

Der Text der vier Bücher iſt eine einfache buchſtäbliche Ver— 
deutſchung der Epitoma. Der Überſetzer redet die Sprache' des Tages, 
einen ſchwäbiſchen Dialekt ohne literariſche Feinheit, aber mit ſo 
gutem Verſtändnis des ſachlichen Inhalts, daß man geneigt wird, 
ihn für einen erfahrenen Kriegsmann zu halten. In ſeiner Vorrede 
an den Landgrafen ſpricht er sich eingehend über den Wert 
der Kriegswiſſenſchaft und ſein Verfahren bei der Überſetzung aus. 


Er ſagt: Ile — — pp /v pirered [x f { 

„Wie wol ewer großmechtigkait in Reitery, frieghlouffen vnd anderen ſachen 
bewertlich geubt iſt, ye doch alt erber vnd nuczlich herkomen vnſer eltern je 
merden, weiß ich vch alleweg allergeuelligoft. So ich aber die biecher des durd)- 
leihtigen Grauen Flavii Vegecii, in latein kurcz begriffen, verlefen hab, nun 
diefelben ze teutſchen vch als meinem gnedigen herren ze jchiden, vermain ich 
wolgeuellig vnd nuczbar fein. Wann in angelangtem oder jelbangehebtem krieg 
funjt der Reitery (d. 5. bier „Kriegsfunft“ überhaupt) faſt gut jein, ziweiuelt 
nieman. Durch welhe die freihait behalten wirt, das veld gebumwen, das land 
befhirmet vnd das reich gejterdt. Welhe vor zeiten (all ander vnderwegen gelaßen) 
die facedemonier vnd darnach die Roemer in eren gehebt haben, wann alle andere 
ding in der find begriffen oder durch die andere ding zu eruolgend hoffnung it. 
Das ijt die, die den friegenden nuczlich ift, durch die fi das leben behaltend vnd 
fig eruolgend. Was mag aber fchedlicher® geſein, warın folihs nit wißen; da= 
durch das land befumert, verderbt und zu dem letjiten, das, das großf iſt, zer- 
itört wird. So aber die allain folihen nucz leut vnd land fachet, it fie billich 
für all zu beijhirmung vnd Hail des lands als ain befunder zuflucht ze bruchend“, 
— Um des Verjtändnifjes der „puren layen“ willen, hat Hohenwang zum Schluß 
feiner Berdeutfhung eine Erflärung der im Terte beibehaltenen lateinischen Kunit- 
ausdrüde in alphabetijcher Reihenfolge gegeben; ausdrüdlih aber erklärt er fich 
in der Borrede jelbjt über jeine Berdeutfhung des Wortes miles. „Ob aud 
geichrifften (das ift der hailigen vnd auch der haidnifchen) zu gloubend iſt, vindt 
man den namen des ritters auch dem reiter oder foldner zugeaignet fein, doc) 
mit vnderſchid desjelben, al& bezeugt der mantuanijch poet, das ijt virgilius 
(buccoliorum prima) da er alfo jpridt: „Impius bec tam culta novalia miles 
Habefit“. Darumb wo ir vindent in diefen biecher Ritter oder ritterfchafft, ſolt ir 
verjtain reitery vnd reiter, die allweg der Ritterjchafft in dienjten als iren herren 
beimonend vnd leib und hab mit in wagend“. Dieſer Bemerkung entjpredhend 
iind miles, tiro, militia jtet3 mit „Ritter“ und „Ritterjchaft“ überjegt. Man 


* i 


4 Ur * 


nd 


246 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


darf übrigens nicht vergefien, daß nad) mittelalterlihem Sprachgebrauche „Reiter“ 
nicht unumgänglich Berittene bedeutet, jondern ebenjo wie „Reifige“ für „Striegs- 
leute“ ſchlichthin gebraudt wird, da ſolche denn doc der Mehrzahl nad be: 
ritten waren. 


Sehr bezeichnend für die Auffafjung des lateinischen Textes wie 
für die militärtichen Zuftände des 15. Ihdts. find die Erflärungen 
der römiihen Kunſtausdrücke, umd daher jollen Ddiejelben, 
unter Fortlaffung der citierten Beweisjtellen, ſowie unter Beiſeite— 
laſſung derjenigen Stichwörter, die nur mit einem Hinweiſe auf Tert- 
jtellen abgefunden jind, hier abgekürzt wiedergegeben werden. 

Acies!) ijt ain fpicz. — Ale haißent fligel vnd find x x x Reiter in dem 
zeug. — Aries ift ain wider. — Agger ijt ain bajty. (Eine jehr bemertene- 
werte Erläuterung, welche beweijt, daß Hohenwang unter einer Bajtei ein Wert 
aus Erde und Flechtwerk verjtand). — Auxilia find zufecz. — Balista ijt ain 
armbroft, welher mangerlai gewejen: als carrobaliste, manubaliste, arcubaliste, 
welhe ains taild iren namen verloren habent als scorpiones, die nun baliste 
haißent. — Bucina ijt ain bujan, geiprodyen als bocina (d. i. Poſaune). — 
Comes ijt zu zeiten mer dann ein furjt. — Consul ijt ain burgermaifter, ge— 
ſprochen von dem, das er rat gibt, gleich als rex don regieren. — Centurio, 
als liuius jpricht, was der, weldyen man nun primipilum haißt. — Classica jind 
gebogene herhorn. — Contubernia jind rotten, aljo daz allweg zehen rittern ain 
decanus dor was. — Cornua jind die vßeren tail des zeugs. (Zeug bedeutet 
hier alſo Schlacdhtordnung). — Cuneus ijt ain bejamelte mengin der ritter, ge 
ſprochen al® coneus, vnd ijt der fußknecht und nit der reiter. (Der Begriff des 
„Keils“ erſcheint in diefer Erklärung ganz bei Seite gelajien, wa® um jo mehr 
auffallen muß, als, namentlich für die Neiterei, keilförmige Gejechtsiormen im 
15. Ihdt. geradezu vorherrichten). — Olasses werdent reiter gehaißen von tailung 
wegen des zeugs. (Aljo im Sinne von „Abteilung“). — Cohors wird von dem 
wort cohercendo geſprochen, und wieviel die ritter hab, ijt mangerlai mainung. — 
Cataphracti equites jind die mit Platharnaſch bededet find vnd auch bededte 
roß habent. — Dux ijt ain herezog, ain fierer des zeugö, von welhem er den 
namen bat. — Decanus ijt zehen rittern vor, die vnder ainem zelt wonent. — 
Expediti et impediti jind bering oder unbering. — Exostra ijt ain jhurmger. 
(Eigentlidy ijt es eine auf Walzen fortzubewegende Maſchine, eine „Katze“, wie 
es das Mittelalter nannte). — Ferentarii jind ritter von ringen wouffen, als 
ichlingen, jchwerter, geihoß. — Impedimenta jind waher- vnd Holcztrager (!) — 
Nota jind zaichen, dabi man ain gancze mainung veritat. — Semissis iſt andert- 
halber vinger. — Uncia ijt ain lengin drier vinger vnd nit allwegen ain gewicht 


Nach Hohenwangs Äußerung ſoll auch der als fünftes Buch 
dem Texte angehängte Atlas zur Erklärung des Vegetius, namentlich 


1) Nur der beſſeren Überſicht wegen wende ich hier Antiqualettern an; Hohenwang druckt 
lateiniſch wie deutſch gleichermaßen gotiſch. 


1. Die Bearbeitung der antifen Überlieferung. 247 


des vierten Buches, dienen, und bis zu eimem gewiſſen Grade trifft 
die8 auch zu, indem sambuca, exostra, telleno, turris ambulatoria, 
currus falcatus, falerica, malleoli, murices, musculi und aries 
durch Zeichnungen erläutert werden; der Hauptjache nach aber hat 
der Atlas gar nichts mit dem Vegetius zu tun und wird daher mit 
den identijchen Abbildungen des Valturius [$ 41] und den gleich— 
artigen der Veteres de re militare scriptores an anderer Stelle 
8 10] zu würdigen jein. 

Den Drud des deutichen Begez, der zu den Inkunabeln der deutjchen Buch— 
druderfunft gehört und vielleidyt das ältejte ihrer weltlichen Werte ift, jchreibt 
Ebert dem Johann Zainer zu. (Allg. bibl. Leriton, Lpzg. 1821— 27). Früherer 
Tradition zufolge war Hohenwang jelbit der Druder, habe ſich als ſolcher anfangs 
zu Ulm aufgehalten und dort die Berdeutichung der Artis moriendi gedrudt, 
ipäter aber in Thal Elchingen eine eigene Druderei eingerichtet. Auf Grund diejer 
Überlieferung erfundigte ji) vor jegt hundert Jahren von Heineden an Ort und 
Stelle; doch wuhte man weder in der bücherreichen Benedikftiner-Abtei noch in 
dem Dorfe Thal Elchingen (Fagjtkreis) irgend etwas von einer Ortsdruderei, von 
Hohenwang oder vom deutichen Begetius. (Nachrichten von Künjtlern und Kunſt— 
fahen, Dresden 1786)}). 


83. 

Ein Jahr nach der Editio princeps des Vegetius erjchien die 
jenige von des SrontinusStratagematalibri Ill (Rom 1474). 
— Des Vitruvius Architectura wurde zuerjt 1486 von 
Sulpicius in Rom herausgegeben u. zw. mit Frontins Buch de 
aquis. Im nächſtfolgenden Jahre ſtellte Theod. Gaza von Theſſa— 
lonich jeine Übertragung von Ailians „Theorie der Taktik“ 
ins Lateinische her, welche dann jogleich in jenes große kanoniſche 
Corpus rei militaris aufgenommen wurde, das unter dem Titel: 
Veteres de re militari scriptores, scilicet Vegetii, Aeliani, 
Frontini et Modesti opera im Jahre 1487 zu Nom erichten. Bon 
diejer Sammlung, welche, immer aufs neue aufgelegt und bearbeitet, 
bis gegen Ende des 17. Ihdts. ald die rechte Pidce de resistance 
aller kriegswiſſenſchaftlichen Bejtrebungen erjcheint, ijt bereits näheres 
mitgeteilt worden [A 8 4. — Auf den den Veteres beigegebenen 
militäriſchen Bilder- Atlas wird am anderer Stelle eingegangen 
werden 8 10). 


1) Näheres über die ältefte Ausgabe bes beutichen Vegez dal. in den Annalen der deutichen 
Siteratur und in Baumgartend Nachrichten von merkwürdigen Büchern. 


ur 


248 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


Was außerhalb des Kreiſes diejer Veteres an antifen Schrift- 
jtellern, die kriegswiſſenſchaftliche Beziehungen haben, herausgegeben 
wurde, hat nur philologifches und bibliographifches Intereffe; denn 
es blieb ohne Einfluß auf die militärischen Studien der Zeit. Doc) 
jet erwähnt, daß 1469 zu Rom die Kommentarien Cäſars zuerit 
gedrudt wurden. (Ausgabe des Aleria.) Eine Mailänder Ausgabe 
derjelben von 1477 bringt bereitS einen Inder der in den Denk 
würdigfeiten erwähnten Ortlichfeiten. Dann jtellte Jean du Chene 
»au noble vouloir et plaisir du Duc Charles de Bourgogne« 
eine zweite Übertragung der Kommentarien ins Franzöſiſche her!), 
welcher gleich darauf eine dritte folgte: die translation en gaulois, 
die der Mönch Gaguin für jenen Schüler, König Charles VI. 
ausführte, der als galliicher Eroberer von Italien ji) gern als 
ebenbürtigen Gegner Cäſars betrachtete. Du Chenes Werk, von 
dem jich in der Dresdener öffentlichen Bibliothek eine Pergament- 
handfchrift befindet, ift feine eigentliche Überjegung, vielmehr freie 
Nachbildung unter Mitbenugung anderer Schriftjteller, namentlich 
Suetond. Gaguin dagegen ijt wirklich” nur Translator und gab jein 
Wert 1500 zu Paris heraus. Diefen franzöfiichen Arbeiten folgte 
eine Übertragung ins Spanijche von Don Diego Lopez de Toledo 
(Toledo 1498), und jomit läßt jich fejtitellen, daß das Interejje an 
der Beichäftigung mit Cäſar während des legten Viertels des 15. Ihdts. 
in Wejteuropa offenbar zunahm. 


2. Gruppe. 
Kriegswiſſenſchaftliche Bilderhandſchriften. 
84. 


Die techniſchen Zeichnungen antiker Codices, wie ſie namentlich 
in den byzantiniſchen militäriſchen Enchklopädien häufig begegnen, 
famen den Neigungen des ausgehenden Mittelalter in eigentümlicher 
Weile entgegen. War das doch die Zeit, in welcher man allen 
möglichen Geheimnijfen „mit Hebeln und mit Schrauben“ auf die 
Spur zu fommen hoffte, in welcher man wähnte, die Riegel, die den 
Eingang zu übernatürlicher Macht verjchlöffen, heben zu Eönnen, 


») Die erfte Übertragung der Kommentarien ins Franzöſiſche und damit zugleich die erſte Über: 
ſetzung derjelben in eine abendlänbiiche Sprache jcheint 1356 unter Charles V. vorgenommen worden zu jein. 


2. Kriegswiſſenſchaftliche Bilderhandſchriften. 249 


wenn des gebrauchten Schlüſſels Bart nur recht „kraus“ ſei. Nicht 
verworfen wurde das Unverſtandene, ſondern um ſo ſorgfältiger 
überliefert, je weniger man im ſtande war, es zu begreifen. Antike 
Traditionen und eigene Erfindungen wurden in ſeltſamer Art mit 
aſtrologiſchen, myſtiſchen und alchymiſtiſchen Elementen verquickt, und 
namentlich die Feuerwerkerei bildete die Brücke zwiſchen dieſem 
geheimnisvollen Wiſſen und der Lebenspraxis, zumal der größte Teil 
jener z. T. nekromantiſchen Technik dem Kriegsweſen zugewendet war. 
Feuerwerkerei und Büchſenmeiſterei umgab zu Ausgang des 14. und 
zu Anfang des 15. Ihdts. noch ein eigenartiger Nimbus, der nicht 
frei von unheimlichen Nebenlichtern war und der die Feuerkundigen als 
eine der vornehmſten Klaſſen der Wiſſenden überhaupt, namentlich 
aber al3 berufene Träger Friegerijcher Geheimkunſt erjcheinen lie. 
In der Tat hatten jene Männer phyſikaliſche und chemijche Kenntnifje 
und zugleich Beziehungen zu dem verjchiedenen Zweigen militärischer 
Doktrin; eignete jich num auch einmal ein Herr ritterlichen Standes 
dies verborgene Wiſſen an, jo fonnte e8 nicht fehlen, daß er hoher 
Autorität genoß. Einem Manne jolcher Art verdanken wir die 
ältejte kriegswiſſenſchaftliche Bilderhandichrift, die zugleich das ältejte 
deutiche Kriegsbuch allgemeinen Inhalts it, das überhaupt erhalten 
blieb. Konrad Kpyefer, ein fränftjcher Edelmann, 1366 zu Eichjtädt 
geboren, der, jeiner eigenen Ausſage zufolge, bet den meiſten Fürjten 
Europas als fundigjter Kriegsmann berühmt war, jchloß dies Buch 
Im Jahre 1405, während er als Berbannter in den böhmischen 
Wäldern lebte, mit einer Widmung an Kaiſer Ruprecht ab und gab 
ihm den Titel Bellifortis, d. i. der Kampfitarfe (Bello fortis). 
Das höchſt merhwürdige Haupt-Manuſtript gehört der Univerfitäts- 
bibliothef zu Göttingen (cod. ms. phil. 63), bejteht aus 140 Foliopergament- 
blättern und ijt mit vielen farbigen Darjtellungen, 3. T. jogar mit ſehr jchön 
ausgeführten Miniaturgemälden gejhmüdt. Ein furzer lateiniſcher, meijt in 
dexametern, jelten in Proſa abgefahter Tert erläutert die Itonographie. Trotz 
ded neuen, etwa aus dem Jahre 1600 jtammenden Einbandes ijt die alte Ord— 
nung der Blätter wohl erhalten. Ganz volljtändig it die Handſchrift allerdings 
nicht mehr, und einzelne Darjtellungen find durch Übertuſchen und Nadelpunttierung 


geihädigt'). 


i) Bgl. über den Göttinger Eodeg: dv. Eye: Beiträge zur Kunſt; und Sulturgeichichte vom 
Beginne des 15. Ihdts (Anzeiger für Kunde der beutichen Borzeit 1871) und Ejienmwein (ebd. und 
in ben „Quellen zur Geſch. der Feuerwaffen“) 


250 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


Der Inhalt des Bellifortis zeigt, welch große Pieljeitigfeit 
von einem Kriegs- und Büchjenmeijter der deutjchen Frührenatjjance 
verlangt wurde; denn obgleich das Buch allerdings vorzugsweiſe von 
friegerijchen Dingen handelt, jo }pielen doch auch eine Menge anderer 
technijcher Gegenftände hinein, die dem Bejchäftigungsfreiie eines 
jolchen Mannes gegenwärtig fern liegen. Wenn aber auch bei einem 
Werke, das jo verjchiedenartige Materien umfaßt, gewiß manches aus 
anderen älteren Schriften entnommen jein wird, die nicht auf uns 
gefommen jind, jo iſt der Göttinger Coder doch offenbar ein einheit- 
liche8 Ganzes und eine Originalarbeit, aud) im bandjchriftlichem 
Sinne. Die Mehrzahl der mit der Feder umrifjenen, ziemlich flüchtig 
in Wafjerfarben hergejtellten Bilder jcheinen von der Hand des Ver: 
faſſers ſelbſt herzurühren; nur -in den jorgfältig ausgeführten 
Miniaturgemälden, die den Stempel der böhmischen Malerjchule 
tragen, glaubt Eſſenwein eime andere Hand zu erfennen. Der 
Zulammenhang zwiichen Bild und Wort iſt oft loje; e8 kommen 
jogar Zeichnungen vor, bei denen der für die Erklärung offen ge 
laffene Naum gar nicht bejchrieben it, und umgefehrt Schriftitellen, 
über denen die ergänzende Abbildung fehlt. Einige Male jagt der 
Berfafjer auch, daß er die Erläuterung nicht geben wolle, vielmehr 
die Entzifferumg des geheimnisvollen Bildes dem Scharfiinne des 
Leſers überlajje. 

Auf dem WVorblatt des Bellifortis iſt ein Phönix Ddargeitellt, 
vermutlich als Sinnbild der ſich durch Kyeſers Werk verjüngt aus 
der Aſche erhebenden Kriegswiſſenſchaft; denn ſelbſtbewußt tritt der 
Berfaffer auf. Den Tert eröffnet ein Exordium von 17 Ber 
zeilen, das den Titel »Bellifortis« und den Namen des Urhebers 
»Conradus Kyeser, natus Eystetensis« fundgibt. Dem folgt in 
gebundener Rede eine Begrüßung der gelamten Chrijtenheit und die 
Widmung an König Ruprecht von der Pfalz, jowie an alle Reiche: 
jtände, die der Verf. vom Kaijer abwärts in genauer Gliederung 
gewiljermaßen an ich vorüberführt. Ihnen allen möge der Bellifortis 
als Not und Hilfsbuch dienen. »Datum sub castro Mendici in 
habitatione Exulis anno Domini Millesimo quadringesimo quinti.« 
— Auf Blatt 4a eröffnet jich das Buch durch eine Darjtellung von 
ſechs Planeten. (Venus fehlt.) Es jind Neiterfiguren im Koftüme 
der Zeit und jollen gewiſſermaßen den kosmiſchen Hintergrund abgeben 


1. Kriegswiflenichaftlihe Bilderhandichriften. 251 


für die ihnen folgenden irdiſchen Dinge, deren Geſamtmaſſe in zehn, 
je mit einigen Verſen eingeleitete Kapitel geſondert iſt. Die Dar— 
ſtellungen der Kriegswerkzeuge, welchen die beiden erſten Kapitel ge— 
widmet ſind, werden noch beſonders eingeleitet durch die Abbildung einer 
gewaltigen Speerklinge, die mit einem kabbaliſtiſchen Monogramm 
und der rätſelhaften Inſchrift »Meufaton« (?)verjehen iſt, ſowie mit 
dem Reiterbildniſſe Aleranders d. Gr. in der Tracht des aus- 
gehenden 14. Ihdts. 

Das 1. Kapitel enthält faſt nur Darjtellungen von Streit- 
farren und Katzwagen. 


Die mit Spiefen und Sicheln bewehrten Streitfarren haben den 
Zwech, gegen geichlofiene Haufen von Spießern vorgefhoben zu werden, um 
deren feſte Ordnung zu brechen und jo den nadjrücdenden Kriegerhaufen geeignete 
Angriffspuntte zu verſchaffen. Zugleich follen fie dem eigenen Fußvolk Sicherheit 
gegen den Echod ſchwergerüſteter feindlicher Reitergeſchwader gewähren, indem jie 
um deſſen Aufſtellung aufgefahren werden. Bejonders auffallend ijt ein auf 
einem Zapfen drehbarer Streitfarren, jehr abenteuerlich ein anderer in ®ejtalt 
eines „Capud armatum“ — Pie Katzwagen, welde meijt mit fleinen Feuer— 
rohren verjehen find, jollen den Belagerungstruppen gededte Annäherung an den 
Fuß einer Feitungsmauer fihern, um deren Gefüge hier mit Widder, Spighade 
oder Mauerbohrer zu zerjtören. BI. 17 gibt eine Andeutung der Art, in welder 
die Fahrzeuge einer Wagenburg zuſammenzuſchieben jeien. 


Das 2. Kapitel (Blätter 28b— 50) iſt als »furibundum« 
(wuterfüllt) bezeichnet und enthält wejentlih Belagerungsgerät. 


Beſonders reih jind in diefem Kapitel die fahrbaren Sturmhütten 
(Kagen) und die bewegliden Schutzſchirme vertreten, außerdem Vorrichtungen, 
um einzelne Leute in die Zinnen zu heben, aufjchraubbare Belagerungs= 
türme, Sturmbrüden, geflodhtene Schirme zur Bedahung von Laufgräben, 
ſpaniſche Reiter mit vier eingejegten Beinen u. dgl. m. Darjtellung wie Be— 
ihreibung find recht kindlich, und die erläuterten Inſtrumente erſcheinen oft jo 
unpraftijch, dab man nicht jelten an ihren wirklichen Gebrauch faum zu glauben vers 
mag. Bemerkenswert ijt (auch wegen vorzüglicer Ausführung) die Abbildung 
einer großen Bleide (Schleuderwurfzeugs) ohne Beischrift (Bl. 30). Eine andere 
von noch fomplizierterer Konjtruftion mit Göpelrädern zum Serabziehen des 
Gegengewichtsfaftens (BI. 48) ift folgendermaßen erläutert: 

Hec est blida grandis, qua castra omnia vincuntur 
Nam lapides proicit, turres et menias scandit 
Opida, castella, urbes resecat civitates. 


Das 3. Kapitel ift der Hydrotechnif gewidmet und wird 
von der Geitalt des Waſſerengels „Salatiel“ eingeleitet. 


252 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


Die Zeichnungen ſtellen Schiffe, Schiffbrüden, Wajjerleitungen, Schöpf- und 
Mühlenwerke, Schwimm- und Taucherapparate dar. Intereſſant ijt die Abbildung einer 
Schiffbrüde (BE. 53), die aus mehreren nad) unten verjüngten Kajten zu 
ſammengeſetzt wird, welche durch eijerne Scharniere verbunden jind und durd 
Anker fejtgehalten werden. Ein Schiff, von dem es heißt „Navis ista versus 
aquam citissime currit“ ijt in der Mitte mit Rädern verfehen, ohne daß deutlich 
würde, wie diejelben bewegt werden follen. (BI. 54b). Ein Bonton zeigt 
eine Einrichtung, die gejtattet, e3 auch zu Lande ald Wagen zu benupen. Außer 
den Schiffbrüden fommen Tonnenbrüden vor. — Auffällig erfcheint e8, daß 
eine verhältnismäßig große Zahl von Tafeln (5) dem Taucherweſen gewidmet 
ist; offenbar hat dies im mittelalterlichen Kriegäwejen, u. zw. nicht nur bei der 
Marine, eine bedeutende Rolle gejpielt. Schon Roger Bacon [M.$ 34] bejchreibt 
ausführlich die Taucherglode; auch in der Weltchronit des Rud. von Hohenembs 
(Münden cod. germ. 15) v. J. 1350 findet jich eine Zeichnung derjelben, und 
die Handjchriften des 15. Ihdts. find voll von Darftellungen von Schwimm— 
gürteln, Shwimmijtiefeln, Luftflaſchen und Taucherhelmen ver- 
jchiedenartigjter, oft rätjelhafter Konjtruftion. Im Kriege verſuchte man Fluß— 
arıne oder nafje Gräben, jei es als Taucher auf deren Sohle oder ald Schwimmer 
mit Hilfe tragender Apparate zu überjchreiten, um Botjchajten zu vermitteln. 
Überaus häufig findet man luftdichte, aufgeblafene Lederkiſſen dargejtellt, die um 
den Leib gejchnallt werden und durd einen Schlaud mit dem Munde des Trägers 
in Verbindung jtehen. Daß man aber wirklich mit Hilfe einer jolhen Ausrüſtung, 
gleich einem Dudeljadpfeifer Luft nachblaſend, über die Oberfläche des Waſſers 
dahingejchritten ſei, das ſcheint doch faum glaublih, jo oft es auch darge- 
ftellt wird®). 

Das 4. Kapitel (von Bl. 66a an) handelt von den Steig- 
zeugen. 

In Erfindung von Steigzeugen war das Mittelalter außerordentlich fruchtbar 
Es jind die mannigfaltigjten Arten von Leitern, Sprofjenpfojten und Schwung 
baten, deren man jich zur Erjteigung von Mauern und Türmen bediente. 

Das 5. Kapitel umfaßt dieArs ballistaria. (Blatt 73— 81.) 

Die Einleitung bildet das Abbild einer capre barba, d. h. eines mit Eifen- 
fpigen (Ziegenbart) bewehrten rollbaren Holzſchirns zur Beobadtung und Be- 
jchießung des Feindes. Dann folgen Zeichnungen verjchiedener Armbruſte, 
ihrer Spannvorrichtungen und Bolzen mit manch interejjanter Einzelheit. Zum 
Spannen dienen der Flafchenzug, die gewöhnliche Winde, die Schraube und das 
gezahnte Rad. — Außer in Kyeſers Handſchrift finden fich für diefe verfchiedenen 
Spannvorridtungen nirgends Andeutungen, weshalb gerade das 5. Kapitel ſehr 
wichtig ericheint. — Unverſtändlich bleiben freilid die Einrichtungen der riefen: 
haften Schußmaſchinen auf den Blättern 79b bis 831. 

Das 6. Kapitel (bi Bl. 89a) beichäftigt ſich mit dem 
Belagerungsfriege. 


', Bal. Effenmwein im Anzeiger f. db. Runde der deutichen Borzeit 1871. 


2. Kriegswiſſenſchaftliche Bilderhandichriften. 253 


Leider find die dargeftellten Dinge z. T. wenig anfhaulid. Man ficht, 
wie Krieger, kwelche in einem Hohlwege zu einer Burg emporfteigen, dadurch 
zerihmettert werden, dab die Verteidiger einen mit fchweren Steinblöden be- 
lafteten Wagen auf fie herabrollen lafien. Ein Blatt zeigt, wie neben Hunden 
auch Gänje zur Burghut verwendet werden — wohl in Erinnerung an die fapi- 
toliniihen Gänſe. Unter den Annäherungshindernifien fommen am häufigiten 
sußangeln vor. Eine Zugbrüde Hat die tüdifche Einrihtung, nit nur 
aufgezogen jondern auch gejentt werden zu können, jo daß man die Betretenden 
undermutet in den Graben ftürzen fann. Höchſt naiv ift eine dargejtellte Kriegsliſt: 
Ein Faß mit Wein wird ins Freie geftellt; Kriegsleute fommen, jehen, beraujchen 
ih, und die Betrunfenen werden von den Bauern mit Knütteln erjchlagen — 
ein würdiges Gegenftüd zu dem Einfangen der Affen mit Pechjtiefeln ! 


Das 7. Kapitel (BI. 90— 98) bringt allerlei Geheimmittel. 


Es handelt fi befonders um die Bereitung von Beleudhtungsgegen- 
tänden, Kerzen, Fadeln, z. T. mit übernatürlidyen Eigenſchaften. Bemerkens— 
wert erfcheinen drei Reiter, welche leuchtende oder flammende Bälle auf außer: 
ordentlich hohen Stangen tragen (Cignallihter?), dann eine Burg unter Nacht— 
himmel, deren Zugang zwei nadte Kinder mit brennender Zauberkerze bejchreiten, 
und endlid eine Burg, auf deren Bergfrit ein Leuchtfeuer flammt. 

Das 8. Kapitel it ein Feuerbuch: de ingeniis ignum. 

Das Kapitel beginnt mit einer projaifhen Abhandlung über die Bereitung 
des Schießpulvers. Mehrere Rezepte von „griechiſchem Feuer“ be- 
zeichnen Salpeter, Schwefel und Kohle als dejjen Hauptbeftandteile. Dann verbreitet 
das Kapitel fich über die Herjtellung von Feuerwerkskörpern: des Kanonen 
Ihlages (BI. 101), namentlich aber des fog. fliegenden Feuers, d. h. der Raketen, 
auf welche der Verfaſſer offenbar befonderen Wert legt und deren eine Bl. 102 
darſtellt. Kyeſers Rakete hat ebenfowenig eine Seele wie die des Marchus 
Öraecus iM. 86], wohl aber fennt er die Einführung eines Brandjaßes in medio 
fistulae und den Raletenſtab; denn wenn auch die auf BI. 102 von einem Geftell 
abfliegende Rakete ohne Stab dargejtellt ift, jo empfiehlt er diefen doc im Text 
als Steuer. Sein Rafetenpulver befteht aus 32 T. Salp., 3T.©. ud 5 T. K., 
fein Bücjjenpulver aus 6 T. Salp. und je 1 Teil ©. u. K. Vielleicht ift mit 
dieſem „pulvis cum quo incendunt pixides“ das Anzündpulver gemeint (Bf. 101). 
Zu den Raketen gehört aud) der draco volans, der aus Pergament und Leinwand 
bergejtellt wird, fyeuer jpeit und den ein Reiter über feinem Haupte an einem 
ziemlich langen abrollbaren Bande fteigen läßt. Allerhand Mittel zur Brand- 
fftung haben ebenjo geringes Interefie wie der abgejhmadte Vorſchlag, den 
Feind dadurch in Schreden zu verjegen, da man ein mit brennenden Holzjtüden 
beladenes Pferd auf ihn zujagt. — Deſto bedeutfjamer find die leider ſparſam 
eingejtreuten Darjtellungen von $euerwaffen. Bl. 104b bringt eine Bod- 
büchſe größeren Kalibers, ein Mittelding zwifchen Handfeuerwaffe und Geſchütz, 
und zwar im Augenblide des Abfeuerns, jo daß man deutlich erfennt, wie der 
Schuß ohne direftes Zielen als Bogenſchuß abgegeben wird. Die eiferne Röhre 


254 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


ift außen polygen, innen rund. Hinten ift ein Holzjtiel eingejchoben, und die 
Lage des Zündlochs beweist, daß dieje Art von Schaft ziemlich tief hineinreicht. 
Das Ende des Stiel jteht auf dem Boden; das Geſchütz jelbft ift vorn auf eine 
Gabel gejtellt. — Interefianter erjcheint noch das auf Bl. 108a dargejtellte Ge- 
ihüg. Es iſt eine Steinbüchje, welche in einem Blode ruht, der ſich mit jchild- 
zapfenartigen Armen auf Ständer jtügt. Das Geſchütz jteht in einer fahrbaren 
Sturmbütte, ift alfo eine jog. „Tarraßbüchſe“. Sein Rohr bejteht aus Eijen, ift 
mit zwei Ringen umgeben und hat eine enge Kammer und ein Geſchoß von etwa 
1, Fuß Durchmejier. Am Fußende des Gejtelld ijt ein Richthorn angebracht 
aber der Schuß, bei dejjen Abgabe die Büchſe dargejtellt ift, ift unzweifelhaft ein 
hoher Bogenſchuß. Auf ziemlich nahes Herangehen mit dem Gejchüge weiſt der 
Umjtand hin, daß die Hütte der Bedienung Schuß gegen Pfeile bieten joll, was 
aus der erläuternden Beijchrift hervorgeht: 


Tutamen pixidis sic constat aptum de lignis 
Sursum que levata sicut iam deponere potes 
Si lapis jacitur per fenestram cum aperitur 
Sed cum seratur sagitta nulla subintrat. 


General Köhler bemerft zu diefer Büchſe): „ES ijt unmöglich, jich unter 
diefem Gejchiig eine große Büchſe vorzuitellen, da ſowohl die Schildzapfen als der 
hintere Teil des Gejtells jo zerbrecjlich erjcheinen, dah ſie dem Rückſtoß einer 
großen Bichje nicht hätten widerjtehen fünnen. Man mag fid) das Pulver noch 
fo ſchwach voritellen: der Widerjtand, den ein Stein von 1 Ztr. Gewicht entgegen: 
ſetzte, brachte es doc) zum AZufammenbreden, und der Rüditoß war nicht zu 
vermeiden. Man kann diefe Konjtruftionen nur als Verſuche auffafien“. 

Die ſeltſamen Vereinigungen mehrerer Büchſen zu einem einheitlichen Ge 
jchüße, die jchon der Münchener Coder germ. 600 [M. 8 30] aufweiſt, zeigen ſich 
auch bier. Drei Heine Rohre, die nebeneinander auf einem flahhen, um eine Are 
auf= und abwärts beweglichen Blocde befeitigt jind, werden folgendermaßen erläutert: 


Est hoc instrumentum pixidum trium ita fabratum 
Emittitur prima sequitur prima quoque trina. 


Eine andere Vereinigung dreier Büchſen, von denen die mittlere das doppelte 
Kaliber hat wie die zu den Seiten, iſt in fich ſelbſt ohne Gejtell zujammen- 
gejhraubt. Dazu lautet die Beifchrift: 


Similiter prima det vocem statim sinistra 
Demum lapis magnus jinimicis repente nocebit. 
Sechs Meine, um einen im Gejtelle drehbaren jechsedigen Block gereibte 
Büchſen bilden ein primitives Nevolvergejhüß, das folgendermaßen erklärt ift: 


Contus ille magnus ille pixidum sex stat revolvendus 
Emissa prima redit altera demum secuta 
Decipiunt hostes, post primam non timent ultam. 


I) Entwidelung bes ſtriegsweſens ber Ritterzeit IIIa (Breslau 1887). 


2. Kriegswifienichaftliche Bilderhandſchriften. 250 


Sechs andere Rohre finden fich wagerecht auf einer Scheibe angebracht, die 
gedreht und der durd eine einfache Richtſchraube auch die gewünjchte Erhebung 
gegeben werden kann. Dies wird in nachitehender Weije erläutert: 

Hec rota movetur per circoferentiam istam 
Pixis nam post pixidem statim mittit lapidem 
Hostis sic decipitur per hoc atque fallitur, 

Das 9. Kapitel handelt von der friedlichen Berwendung 
des Feuers. 

Es werden Bäder, Herd und Schlot-Anlagen, Räucherwerk und Sprengungen 
dargeftellt. Bemerkenswert erjcheinen u. a. einige Erdminen und Baumjprengungen 
jowie die Abbildungen eines Dampfbades. 

Das 10. Kapitel beichäftigt ji) mit Waffen und Werf- 
zeugen. 

Bunt durcheinander finden jich die Schilderungen von Mefjern, Schrauben, 
Scheren, Feilen, Sägen, Überſchuhen, Fußangeln, Schleudern, Spießen verſchiedener 
Art, Luftfiffen und anderen Dingen. Befremdlic wirkt die Zufammenjtellung des 
Keufchheitsgürteld einer Frau mit dem Hufbeſchlage eines Pferdes auf ein und 
demjelben Blatte (1308). Die Schladhtjenjen, eijernen Kampfdrifhel und Morgen- 
iterne leitet der Berfaffer von den Türfen und Tataren ber und erflärt fie für 
zwar bäuerifche, doch fehr wirffame Kriegswaffen. — Die Rüſtung der an ver- 
ichiedenen Stellen des Buches dargeftellten Krieger ift bei größerer und geringerer 
Volljtändigkeit immer von Eijen. Den Kopf dedt der Eijenhut oder die Keſſel— 
baube mit Halsbrünne; Elbogen und Knie ſchützen Feine Nadeln; die Bein- 
ichienen find mit Scharnieren verjehen. Gemeinere Krieger tragen das ältere 
Kettengefleht mit tuchenem Lendner oder auch nur Brujtplatte und Eijfenhand- 
ſchuhe. Die Schilde find Mein und zeigen am unteren Nande eine geringe Spitze: 
daneben kommen große Septartjchen vor u. zw. nicht nur für Schügen, jondern 
auch für Lanzenkämpfer zu Fuße. 

Das ift der wejentliche Inhalt des ältejten deutjchen Kriegs— 
buches. ES jchließt mit einem längeren Gedichte, in welchem der 
Verfaſſer einen Überblick jeiner Wiljenjchaft, jorwie einige Andeutungen 
über jeine perjönlichen WVerhältnifie gibt, von denen jchon Notiz 
genommen wurde. Den Bejchluß macht Kyeſers Bildnis nebjt zwei 
Wappen, eines der ältejten Porträts, die in Deutjchland entitanden 
ind. Es jtellt den vierzigjährigen Verfaſſer in halber Lebensgröße 
dar; er trägt furzes Haar und furzgehaltenen, jpiten Kinnbart; die 
flugen Augen und der fejtgeichlojfene Mund reden von Schlauheit 


und Energie, muten aber nicht ſympathiſch an. 


Außer der Haupthandichrift des Bellifortis iſt nun noch eine 
Reihe anderer Handſchriften zu erwähnen, welche mehr oder 


256 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


minder vollftändige Wiederholungen desjelben Werkes jind. — 
Göttingen jelbjt bejitt noch eine Papierhandjchrift vom Anfange des 
15. Ihdts. (ms. phil. 64), die als ein zweites Eremplar des Bellifortis 
zu betrachten it, doch mehrfach von dem Hauptmanuffripte abweidt. 

Titel und Einleitung fehlen; die Zeihnungen find weit jchledhter ausgeführt: 
einige derjelben (Bl. 25—28 und 44b) haben deutjche Beiſchriften, die z. T. den 
Verſuch machen, antite Versmaße nadjzubilden. Da heißt es z. B. bei einem 
Instrumente zum Niederziehen einer Zugbrüde von außen: 

Diefer zug, der zuhet fallbrüden vnd turen ind ain vejtinen vnd jtetten. 
Das gewappnet vold fol ſich daran henden vnd ziehen. 
Bei der ſchon erwähnten, tüdijc eingerichteten Zugbrüde wird gejagt: 

„Diß ift ain betrogen brud vnd wellet wer darüber gant, wenn man wil, 
jo man die vnderen jail ziehet, jo vellet jy, vnd mit den oberen riht man ſy 
wieder uff“. 

Die Burghut durd Tiere bejingt folgender Berg : 

„Nachtwach befinnet ain hund vnd ain gans. ain hund pilt yedman an; 
Aber die durchwächtig gang ift beßer, wan fie befinnet zu nacht menſchlichen gang“. 

Die Erklärung eines Schußzeugs nah Art der Euthytona lautet 
wie folgt: 

„Diß it ein gefhoß, gen. Sonifer, daz als vil ijt als ein tünend eifen. 
Wenne man cz zu zühet und darnach uzlat, jo jchießen die eyjen uß vnd legent 
Es zubet ſich mit ainem Woualten (?) ſayl, vnd die haggen an den jeyten ziehent 
fih zu. Wen man die Shoß uß lat jo ſchüßet ez weytt“. 

Hier bilden die Planetengötter den Beſchluß der Handjchrift, und dann 
folgt der Tert des weiter unten zu würdigenden deutſchen Feuerwerksbuches 
in feiner alten und urjprünglicdden Form [$ 58). 

Im wejentlichen übereinjtimmend mit dem Göttinger Bellifortis 
ft der Tractatus de arte bellica hexametris com- 
positus der Wiener Hofbibliothef (ms. 5278). 

Die Erläuterungen jind bier z. T. in Geheimjchrift gegeben und bald in 
(ateinifcher, bald in deutjcher Sprache abgefaht. Angehängt ift ein Fecht- und 
Ringbuch aus der Mitte des 15. Ihdts. 

Hundertfünfzig Blätter einer ehemals gebundenen PBapierhand- 
jchrift der fürſtl. Fürſtenbergiſchen PBrivatbibliothef zu Donau: 
ejhingen (Nr. 860), welche ich nicht gejehen habe, jcheinen, nad 
den Angaben des gedrudten Katalogs, der Wiener Handjchrift jehr 
nahe zu jtehen. Titel, Vorrede und Schluß fehlen. 

Wie das zweite Göttinger Eremplar ijt aud) eine in Heidelberg 
aufbewahrte Wiederholung von Kyeſers Werf (cod. Palat. germ. 787) 
mit dem Feuerwerfsbuche [$ 58] verbunden. 


2. Kriegswiſſenſchafttliche Bilderhandichriften. 257 


Auf dem Titelblatte der jehr bejcheiden ausgeſtatteten Handſchrift fteht: 

In gottönamen. m dem jar ald man jchreyb vierhundert iar vnd darnach in 
dem dreybigiten jar ward anegehaben, diß buche zu jchriben“. Nun folgen zu= 
nächſt zwei Abjchriften des Feuerwerksbuches [$ 58], zwijchen welche andere artille- 
riftiiche Angaben eingejchoben jind, und dann das Bilderbuch mit Beifchriften in 
lateiniſchen Hexametern, weldyes jedoch nur rein militärische Dinge, nicht den 
ganzen Inhalt des Bellifortis wiedergibt. Leider iſt die Arbeit nicht vollendet ; 
die Zeihnungen find großenteil® nur in leifen Umriſſen angedeutet oder fehlen 
gar. Die Berje jind, namentlich zu Anfang, oft jchwer lesbar; erjt von ©. 68 
an, wo eine andere Tinte und deutlichere Charaktere angewendet find, mindert 
fh die Schwierigkeit. — Hervorzuheben ift S. 62 u. 63 eine rätjelhafte Gruppe 
von Kreifen gleiher Durchmeſſer mit den Beilchriften: „Franken IIII., 
Sachſen IIIIJ, Venedig IIIIJ“. — Auf ©. 76 beginnt ein Vers, zu dem die 
Figur fehlt, mit einer Beziehung auf Philon [A. $ 12], ebenjo eine Beifchrift 
auf ©. 78b. Auf der vorhergehenden Seite follte offenbar ein großer Setzſchild 
zu folgenden Berjen gezeichnet werden: 

Positus clipeus est ista bene formatus 

Armigeros binos tegens ubicumque locatus. 


S. 101b zeigt eine „Katze“ mit Mauerbohrer und folgende Beifchrift: 
Cattus ista coclear cum defendicto prono 
Homines armatos et moenias (!) ducit frequenter, 
Merkwürdig erjcheint auch die Berpflegungsanmweifung auf ©. 70. 
Sunt panes biscocti que bis coquuntur in lora 
In castellis, castris nutriunt morantes in ede 
Annisque triginta servantur a corrupcione. 
Lora d. i. potionis mellitae genus; es handelt fi aljo um ein Rezept 
zur Bereitung von Lebkuchen (Honigfuchen). Ob dergleihen wohl wirklich jo dauer: 
haft gebaden werden kann, daß er dreißig Jahre lang genießbar bleibt ? 


Nahe verwandt dem Kyejerichen Werke ijt eine JEonographie 
der Karlsruher Bibliothek (Durlach 241). 

Diefe jpätejtens vom Anfange des 15. Ihdt. herrührende Handſchrift bringt 
jehr ähnliche Darjtellungen wie der Bellifortis u. zw. aud mit Erflärungen in 
lateinifhen Herametern. Sie enthält u. a. auch ein Kapitelverzeichnis des Begetius. 
Leider fehlt der Anfang. 

Endlich ift noch einer Handjchrift des Bellifortis zu gedenken, 
welche anjcheinend in neuejter Zeit verloren gegangen it. In einem 
der eriten Jahrgänge des „Anzeiger für die Kunde des dentjchen 
Mittelalter8* (1838, ©. 607) berichtet nämlich Mone von einem 
Eremplar des Bellifortis, vom Jahre 1395 (!), welches ich im Muſeum 
u Innsbruck befinde und die Bezeichnung IX. B. fol. trage. 

Jahns, Geſchichte der Kriegswiſſenſchaften. 17 


258 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werke. 


Mone beichreibt das Eremplar ziemlih genau. Der Eingang beginne: 
„Hoc est exordium Bellifortis intitulatum‘“; das Bud jei dem Pialzgrafen 
Ruprecht gewidmet, der Autor werde in jeiner „Grabſchrift“ auf Bl. 146 ge- 
nannt „affabilis largus exul mitis socialis Hyeser Conradus decessit tunc 
Eystetensis“ und er jei eben diejer Grabſchrift zufolge ein berühmter Kriegsmann 
gewejen. Stimmen diefe Daten nun auc nicht damit, dab das Haupteremplar 
i. 3. 1405 vollendet wurde, jo ift dody fein Zweifel, daß es jich tatſächlich um 
Kyeſers Werft handelt. ' 

Gegenwärtig findet jic) das Manujfript weder im Ferdinandeum, 
dem Mujeum zu Innsbrud, noch auch, wie mir die Vorſtehung 
des FFerdinandeums am 4. Dezember 1882 mitteilte, in der dortigen 
Universitätsbibliothef. 


8 5. 

Unter den anderen friegswiljenjchaftlihen Bilderhandichriften 
Deutjchlands stehen der Entjtehungszeit nach dem Belliforti8 am 
nächiten die folgenden: 

Allerley Kriegsrüjtung, Codex der II. Abteilung der Kunjt- 
jammlungen des A. H. Katjerhaujes zu Wien. (Ambrajer Sammlung 
No. 49), der angeblich vom Ende des 14. Ihdts. ſtammt umd, 
im Falle, daß dieje Datierung zuträfe, vielleicht noch älter iſt, als 
Kyejers Werk. 

Es jind 28 Pergament: und 15 BapiersFolioblätter. Die Ausführung der 
Beichnungen ijt flüchtig. Die Hauptmaſſe der Darjtellungen bezieht jih auf 
Streitlarren; im übrigen finden ſich die üblichen jahrbaren Hütten und Schirme, 
Leitern, Sturmjenjen, Taucherapparate u. dgl. m. — Die Streitfarren fimd 
meift mit Senjen, Spießen und Schwertern oft in abenteuerlicher Weiſe bewehrt. 
Lateinische Herameter erläutern die Bilder ; zur, Seite ſtehen profaische Verdeutſch— 
ungen, welde jedody nicht immer wirkliche Überjegungen der Derameter find. 
Die verjchiedenen Streittarren werden den erlauchteſten Heldengeitalten der heiligen 
wie der Profangejchichte zugejchrieben: dem Gedeon, Attila, Troilus, Alerander 
d. Gr. (nad) des Arijtoteles Angabe), dem Robert von Sizilien, Hektor, Bilde- 
brand von Berona u. j. w. Es heißt z. B.: „Der dharr ijt gehaißen der jcharpfe 
precher, vnd den fand Achila, der chunig von Vngarn, da er twang Hijpanien 
vnd Schottenland . . . Der charr haißt der juden darr. Den fand Judas 
Maccabäus gegen die Philijter vnd legte fie danieder . . . Das iſt ain darr zu 
jtreit und haißet der krichiſch Ygel, den fürt der groß chaiſer Conſtantin . . . Der 
charr ijt gehaigen das ochſenhorn, den fürt der herre Hannibal von Chartagine 
di die Römer . . .“ u. ſ. w. — Man jieht: mit den geihichtlichen Kenntnifjen 
des Verfaſſers jtand es übel; aber nicht minder erfennt man, welche Bedeutung 
ihm die Streitwagen für Kriegszwede zu haben ſchienen. — Ein jechsräderiger 
Karren mit langen Seitenjenjen iſt mit acht ganz Meinen Feuerrohren belegt. 


2. Kriegswiſſenſchaftliche Bilderhandichriften. 259 


Ähnlichen Charakters ift das Bruchſtück einer Jkonographie 
in der Bibliothek des Vereins für das Würtembergiiche 


Franken zu Weinsberg. 

Es jind 20 jtarfe Bapierblätter mit Federzeichnungen und beigejchriebenen 
Berjen. Ich habe die Handſchrift nicht jelbjt geſehen; eine Beiprechung derjelben 
in dem „Anzeiger zur Runde der deutſchen Vorzeit“ jet fie in die Wende des 
14. und 15. Ihdts. Aus den dort gebotenen Auszügen jei beijpielaweife die 
folgende Bemerfung mitgeteilt, weldye neben der Darjtellung eines Geſchützes mit 
jwei einander entgegengejegten Läufen jteht: 

Diß buchjen find in ain jchießen gut, Es iſt ain geruſt vf ainem halben jibn. 
So man jtrihent ſchuß daraus tut; ‚ Mag man jy ober hoc) oder nider tribn. 


Intereffanter it en Sammelcoder der Hof- und Stats— 
bibliothef zu München (cod. lat. 197), welcher eine deutjche 
und eine italienische Ikonographie enthält. 

Die deutſche Bilderhandſchrift füllt die Blätter 147 und muß in 
den zwanziger Jahren des 15. Ihdts. entitanden jein; denn es heißt z. B. von einem 
Geihügihirm: „Den ſchirm hat ber Ardinger (d. i. Erdinger v. Seinsheim) 
vor Sacz (Saas) gehabt“ — das war im September 1421. An einer anderen 
Stelle it die „wagenburgt, daruff die Hußen vechten“ jfizziert. Überdies werden 
Züge der Büchſen „derer von Münden“ und „derer von Nürnberg“ erwähnt. 
Die Feuerwaffen find von überrafchend altertümlihem Gepräge, zumal diejenigen 
gewiſſer ſprachrohrförmiger Feuertuben auf Meinen Handfarren und Böden. Etwas 
beſſer fonjtruiert find die auf Streitwagen liegenden feinen Büchſen, welche mit 
Rulverfammern von nur balbfalibrigem Durdymefier verjehen find. Über die 
intereffante Darjtellung einer Holzburg vgl. $ 71. Anmerkung. 

Bon dem italienijhen Teil des Sammelcoder wird jpäter die 
Rede fein [$ 19). 

Auch das Germaniihe Muſeum in Nürnberg bejigt eine 
hiehergehörige Handſchrift (No. 25801). 

Es ijt ein Oktavheft mit rohen Zeichnungen von SKtriegdmajdinen und 
wenig Tert. Die dargeitellten Feuerwaffen find jehr Hein und von urjprünglidjter 
Form. Alte Werfzeuge und jahrbare Armbrujte jpielen offenbar eine bedeutendere 
Rolle ala die Geſchütze. 


8 6. 

Auch noch in den vierziger und fünfziger Jahren des 15. Ihdts. 
it die Grumdgeitalt des Bellifortis maßgebend für die kriegswiſſen— 
ihaftlichen Bilderhandichriften Deutichlands; die Feuergeichüge aber 
treten im Ddenjelben bedeutend mehr in den Vordergrund. Beides 
zeigt ich deutlich in einer dem jtädtiichen Archive zu Köln gehörenden 
Sonographie (3. 1), welche den Titel führt: „Dißes it ein buxen— 

17* 


260 Das XV. Jahrhundert. TI. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


buch vnd hat gemachet Augujtinus Dachßberg von münchen, em 
moler vnd em buchjenjchieger, in dem tore, do man zalt von Chriſt 
geburt 1443“. — Die Zeichnungen jind von lateinischen und deutjchen 
Erklärungen begleitet. Wie der Bellifortis beginnt auch dies Büchjen- 
buch mit den Darjtellungen der Planeten (Saturn, Jupiter, Mars, 
Sonne, Merkur und Mond); wie im Bellifortis folgt dann Alerander 
mit der Siegjahne jowie das myſtiſche Speereijen mit der Inschrift 
„Menfragon“ (Mannbrecher?) Bon den einzelnen Darjtellungen jind 
folgende, der Neihenfolge nach, hervorzuheben: 


Kämpfende mit Nüdficht auf den Stand der Sonne. — Streitwagen unter 
der Bezeihnung „Sporn, der ſechs Pferd bezwinget“. — „Gewappnet Haupt“ 
und andere Streitfarren. — Eine keilförmig angeordnete Wagenburg 


mit folgender Beilchrift: „Ein mijer jtritter jol ſin wegen in ſtarkem jtrit aljo 
ordnen: des erjten einen wagen, nach dem anderen danad) zween nebeneinander, 
darnad) dry, darnad) vier, ie mer vnd mer nach der lenge ung du fi alle ordneit 
nad) dei heres fraft. Dar in teille das roßvolt, alfo teillejt du alle ſpitz. Dieß 
ordnung brud, jo du bijt in der frömbde“. — Streitwagen mit Spießen und 
feinen altertümlidhen Büchfen. — Schirme, erfunden von den Juden und 
von König Alexander. — Sepihild. — Zelt. — Fußeiſen, gegen melde 
der Gebrauch von Eiſenſchuhen und Rechen empfohlen wird. — Steigzeuge. 
— „Sonifer“ ijt, wie in der zweiten Göttinger Bellifortishandichrift (ms. 
phil. 64), ein mihverjtandenes antikes Seilfhuhzeug benannt und dabei bemerkt 
„wen man in mit gejchwindem zug züchet, jo jchüßet er uß vnd tötlet alles, 
daz er treffet“. — Sehr wunderliche Rekonftruftionen von Ballijten. — Arm: 
bruft. — Pfeile. — Schleudern. — Sturmtürme, insbejondere Ebenhöche mit 
Fallbrüden. — Sagen. — „Kluge thurn“, d. h. aufjhraubbare Ebenhöche. — 
„Züge“ d. h. große Standjchleuderwerte. — „Münchkapp“ d. i. ein Spigwagen 
zum Sturm. — „Steinbodhorn“ desgl. — Mauerſchere. — Im ftritten zu 
ſchiff“ jol man Fäſſer jchleudern, die mit gepulvertem Kalt gefüllt find, um 
dem Feinde die Augen zu blenden, oder jolche mit dünner Seife, um die „ſchif— 
brügge“, d. h. das Ded des Gegners, „jlipfferig“ zu machen. — Leitern umd 
Steigzeuge. — „Gelidert jhiff von geringem Holzwerd mit leder vberzogen“. — 
Schöpfwerfe, Heber, Taucher. — „Wilde“ feuertragende Roſſe. — Tonnenbrüde. 
— Waflergenius als gießender Knabe. — Bäder. — Waſſerkunſt. — Schwimm- 
gürtel. — Reiter mit einem Rafetendradhen. — Feuertragende Taube. — Zubereitung 
von Brandpfeilen. — Kteufchheitsgürtel. — Sehr bemerkenswert ift die Darftellung 
des Anſchießens einer Büchſe, was in der Weije erfolgt, daß das jchari: 
geladene Geihüg mit der Mündung auf den Erdboden, bezw. eine fejte Unterlage 
gejtellt ift, jo daß es, losgebrannt, in die Höhe fliegt. Die Zeichnung jtellt die 
jelbe Gejchügprobe, welche auf BI. 6b des alten Münchener Coder 600 erläutert 
wird [M. $ 37), in jehr anſchaulicher, wohl etwas übertriebener Weife dar; der 
Büchjenmeijter ſchaut mit untergejhlagenen Armen triumphierend zu. Die Er- 


2. Kriegdwifjenichaftlihe Bilderhandicriften. 261 


läuterung lautet: „Item bie fi), wie du ein große buren machſt ſchießen hod) 
in die luft vnd der jtein und der Moß (Kugel und Spiegel) beliebent hie niden 
vff d’erden, vnd das ift ein Fluger fin, dey ſicht man geren vnd bringet jelten 
gewin“. Border: und Hinterteil der Bombarde find nahezu gleich lang (4 Kaliber) 
und glatt cylindriih. Jenes hat ca. 2, dies nur 1%4 Kaliber Durdymefjer und 
eine jtarf vortretende Bodenplatte. — Fahrbare Sciffbrüde. — Beratung des 
Büchfenmeifter und der Frau Sapientia an einem Bulverfaffe. — Untergraben 
einer Feſte. — Verteidigung gegen einen Sturm durch herabrollende Wagen. — 
Deckkörbe, unter denen Leute mit Spishaden arbeiten. — Hunde und Gänfe als 
Wächter. — Zum Abſchluß: das Bild eines Fuchjes, 


8 7. 


Im jechiten Jahrzehnte des 15. Ihdts. treten zu dem gewöhnlichen 
Beitande der militärischen Ikonographien außer den artilleriftijchen 
Elementen auch noch diejenigen der Fechtkunſt Hinzu, welche inzwischen 
eine umfangreiche Literatur hervorgebracht hatte, von der in dem 
Abjchnitt über „Hofekunſt“ noch näher zu reden fein wird. — Über- 
ſichtlich und ergiebig ſtellt ſich dieſe Miſchung in einem Kriegsbuch 
dar, welches in zwei Exemplaren erhalten iſt, von denen das eine in 
der f. E. Hofbibliothek zu Wien (ms. 3062), das andere, beſſer 
ausgeführte, im Striegsarchive des Gr. Generalitabes zu Berlin 
(no. 117) aufbewahrt wird. Letzteres Eremplar, deſſen Originals 
eınband in vielfacher Wiederholung den brandenburgiſchen Adler zeigt, 
itammt vermutlich aus dem Belize des Kurfürſten Friedrich IL., 
des Eiſernen. 

Das Kriegsbucd beginnt mit einer Abjchrift des alten Feuer— 
werfbuches [$ 58], welche in dem Wiener Exemplar bezeichnet tt: 
„Beichriben per Johannem Wienn. Anno ıc. Tragesimo septimo“, 
während ſie in dem Berliner Eremplar von 1453 datiert iſt. Daran 
reiht jih Hans Bartliebs Onomatomantia, d. h. eine Lehre der 
Kunit, die Namen von Kämpfern mit der Kalenderitellung des Kampf- 
tages in Übereinſtimmung zu bringen [8 50). — Dann folgt das 
Buh von den Iconismis bellicis: 127 Zeichnungen, welche 
in vielen Einzelheiten unmittelbar an den Bellifortis erinnern und 
durch eine Daritellung von vier pojaunenblajenden Engeln eingeleitet 
werden, die vom Himmel niederfahren. Die leicht farbig angelegten 
Zeihnungen find ziemlich roh ausgeführt; nur eine: die edel gehaltene 
Geſtalt des Waſſerengels Salatiel, hat künſtleriſche Bedeutung. 


262 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine friegswifienichaftliche Werte. 


Der Inhalt ordnet fih wie folgt: 3 Kampfftüde; 1 Planetenbild; Unter: 
grabung eines feiten Schloßes, 15 Tafeln mit Handwerkszeug, 30 mit 
Steigzeug und Sturmleitern; 1 Planetenbild; 28 Tafeln mit Hagen, fahr 
baren Schirmen, Setztartſchen u. dgl.; 1 Planetenbild; 24 Tafeln mit Feuer: 
werfötörpern, Brandmitteln, pyrotechnifher Magie, Ofen und Netorten, 
fowie 20 Tafeln mit Büchſen von z. T. höchſt altertümlicher Form; darunter 
2 Elbogengejhüge, eine Wiederholung der Gabelbüchſe aus Kyeſers „Bellifortis“ 
und ein ungejchäftetes Handrohr mit einem Stab, das bereits an die Wange, 
nicht an die Schulter, angelegt wird; 1 Planetenbild; 2 jymbolijche Darjtellungen 
(darunter der Speer mit der Zauberinſchrift wie bei Kyeſer); 1 Planetenbild; 
Kampfjzene, in der fi die Gegner truppenweije hinter Septartichen formieren, 
von denen eine das huflitiiche Abzeichen des Kelches zeigt. Wagenburg, teils 
mit Büchſenſchützen bejegt, teild mit fahrbaren Büchjen größeren Kalibers belegt; 
13 Tafeln mit Streitwagen und Sturmlarren (dabei das „caput armatum“) 
3. T. in Verbindung mit Gejhüßen. Proſpelt einer befejtigten Burg ; 31 Taieln 
mit Darjtellungen älteren Wurf- und Sturmzeugs, darunter mehrere 
Bleiden, Standarmbrufte, Detail$ der großen Schleuderwerte, Brechſchrauben, 
aufihraubbare Holztürme, aud) noch einige Streitfarren und Setztartſchen. Be 
jonder8 bemerkenswert erjcheint hier eine Nachbildung des vegeziihen Onager, 
deflen Fortgebrauch im Mittelalter zuerjt General Köhler feitgeitellt hat. Es iſt 
das unter dem Namen der „Mange“ oder der Rutte“ in den Chroniken und 
Urkunden erwähnte Gejhüg. Ferner ift eine Wagenbüchje hervorzuheben , welche 
gegen die des Codex 50 der Ambrajer Sammlung, die Ejienwein in den „Quellen 
zur Gejchichte der fyeuerwaffen“ (A. KVID) nadıjgebildet hat, injofern einen Fort: 
jchritt zeigt, als auf den Aren des Fahrzeugs ein mächtiges Holzplateau auf- 
liegt, auf dem ſich ein niedriges Gejtell mit 2 Ständern erhebt, zwijchen denen 
fih die in Holz gefahte Büchſe um einen eijernen Bolzen bewegt. Eine Bor- 
rihtung zur Feſtſtellung einer beftimmten Erhöhung iſt jedoch nicht vorhanden". 
— sKometenbild; Gebrauch des Laſſos; 4 Tafeln Detaild® von Gattelzeug und 
Rüſtung. — Planetenbild; 5 Darjtellungen fortifitatoriih armierter Burgen: 
13 Tafeln mit Hindernismitteln und Hebezeugen. — Planetenbild: 
der Waflerengel Salatiel; 31 Darjtellungen von bydrotehniihen Dingen: 
Brüden, Schöpfrädern, Taucerwertzeugen u. dgl. 

Den Beichluß des Kriegsbuchts macht eine Abhandlung unter 
dem Titel: „Her Albrechts von Lannenbergk Kunjt“: ein buntes 
Durcheinander vieler pyrotechnijcher und poliorfetiicher Anweiſungen, 
welche großenteils tllujtriert find. 

Die dargejtellten Gegenstände find im wejentlichen diejelben wie in den 
übrigen Bilderhandichriften. Hervorzuheben find: eine fahrbare Bleide, ein feites 
Schloß mit „Igel“ (Baliffadierung), ein Bockſchirm für eine gejhäftete Hand— 
büchje, ein „geruft um die großen wergf hoch vnd nydder zu richten“, d. 5. eine 


1) Bol. Köhler: Kriegsweſen und Kriegführung der Nitterzeit IlIa, ©. 162, 320, 332. 


2. Kriegswiſſenſchaftliche Bilderhandicriften. 263 


Art Rahmenlafette mit Richthörnern, und endlich das Hebezeug für eine jchwere 
Büchſe von jehr primitiver Geftalt. 


8 8. 
Ebenfalls brandenburgijcher Herkunft ift, alter Überlieferung 
zufolge, das „Kriegs und Pixenwerch,“ welches als Nro. 51 
der Bücheret der Ambrajer Sammlung der 2. Abteilung der kunſt— 
hiſtoriſchen Sammlungen des A. H. Kaijerhaujes zu Wien angehört. 
Dieje ausgezeichnet jchöne, auf Pergament in gr. Quart ausgeführte 
Sonographie hat auf 119 Bl. 236 Bilder ohne irgend welchen Text 
und iſt im ihren trefflichen, leicht bemalten Zeichnungen durchaus 
eigenartig und originell, wenngleich unter den dargejtellten Gegen- 
itänden als jolchen fich nur wenig Neues findet. Bei den meijten der 
geihilderten Tätigkeiten wiederholt jic) das Bildnis des anordnnenden, 
ernjt waltenden, bärtigen Meijters in langem Gewande, desjelben, der 
auf dem erjten Bilde das Buch knieend dem Fürſten überreicht. — 
Bemerfenswert jind vorzüglich folgende Darjtellungen: 

Rulverproben durch Schmeden und Anzünden. Abkratzen des Salpeterd von 
den Mauern und von Gefähen, die eigens zum Anſetzen des Salpeterö bejtimmt 
ind. Gewinnung von SHajeljtauden zur Kohle. Umgießen von Schweiel. 
Kanonenbot (gerudert). Bejejtigungen aus Hürden und Holz, darunter ein aus 
verjhränften Balten gebildeter Bau, der auffallend an die auf der Trajansfäule 
dargejtellten römischen Holzfejten erinnert. Orgelgeſchütze. Springen einer Büchje. 
Aufihraubbare Holztürme. Härten von Lanzenipigen. Telegraphie mit aufge- 
jtedten Kerzen, deren Zahl gejprocdhen zu Haben jcheint. Armbruiter. Stand 
armbrujt. Schirme. Leute, die auf wagerecht liegenden Rädern über Gletjcher 
gehen. (Stimmt nicht redit zu der angeblidy brandenburgiicden Herkunft der 
Handichrift). Verſchiedene Geſchütze in muldenartigen Laden, andere mit primis 
tiven Elevationsvorrichtungen. Kammerbüchſen zur Hinterladung. Schießen mit 
Veilen aus Büchſen. Belagerungsidirme. Neiter in Terrain, auf welchem 
Fußangeln und Schlingen liegen. Standſchleuder. Schanztorb u. j. w. 


89. 

Wohl auch noch) den funfziger Jahren zuzuschreiben iſt das „Rüſſt— 
und Büchſenmeiſterbuch von Hanns Hens von Nürnberg, 
Jegiger Zeytt Organijt bei Sandt Martin“, eine Bergamenthandichrift 
der großherzoglichen Bibliothek zu Weimar (cod. qu. 342). 

Das jeltjame Titelbild jtellt drei fingende, ſtart farrifierte Männer dar, 


deren mittlerer wohl Hentz jelbit ift. Der Tert ihres Gejanges lautet: „Ich pin 
vey ir, ſy weiß nit!“ — Den Anfang der Darjtellungen bilden auch bier fahr: 


264 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werke. 


bare Schirme mit allerlei jeltfjamen Bezeihnungen: Ochs (kann um einen 
Drehbolzen gewendet werden, ohne die Raditellung zu ändern), Spitz, Münchs— 
tutt, Schiebtartſche, Septartihe. Dann folgen Steigzeuge Der Waſſer— 
läufer hat an den Sohlen flofjenartige, in Scharnieren bewegliche Blechbretter. 
Bl. 7b—22a find mit den mannigfaltigiten Arten von Karrenbüdjen an- 
gefüllt. Bl. 23—27 bringt Hebe- und Bredzeuge. BI. 28 jtellt die Ein- 
rihtung des „Anjtoßes“ einer großen Büchje dar, 28b eine Pulverjtampfe, 
29 eine Bohrmaſchine mit Göpel, 30 „Werde in die Höhe zu werfen“, d. h. 
Mörſer zu Brandkugeln, 32 Franzöſiſche Thorbefejtigung mit Zugbrüde, 
36b eine Starrenbleide!), 37 Schiffbrüden (eine vom diesjeitigen Ufer mit 
Flaſchenzug Hinüberzuziehen, den ein Wafjerläufer am jenjeitigen Ufer verankert 
hat). 44 fi. Mühlen u. dgl. — Den Beihluß des Buches, Bl. 55—82, macht 
eine ſchöne Abjchrift de Feuerwerksbuches mit einigen Anhängen. — Einige 
Darftellungen, namentlich die Karrenbüchſen, die fahrbare Brüde mit Flajchenzug 
und die franzöfifche Feitung verdienen bejondere Beachtung. Die Ausführung 
der Zeichnungen ijt mittelmäßig. 

Ungefähr in dieje Zeit dürfte auch die Herjtellung einer Jkono— 
graphie von 158 Blättern fallen, welche die kgl. Bibliothek zu 
Dresden aufbewahrt. (OÖ. b. 13). Sie ijt jchlecht ausgeführt und 
verrät oft völligen Mangel an Berjtändnis. 


8 10. 


In die jechziger Jahre des 15. Ihdts. fällt die Entjtehung des 
Atlajjes, welcher dem deutſchen Begez [$2] und dem nod) 
zu beiprechenden Kriegsbuce des Roberto Balturio [$ 44 
beigegeben iſt. Es ijt wahrjcheinlich, daß man es hier 3. T. 
mit jehr alten Überlieferungen zu tun hat, welche wohl italienijchen, 
bzw. byzantinischen Codices antiker Kriegsjchriftiteller entitammen, die 
uns heute nicht mehr erhalten jind und aus demen vielleicht im 13. 
und 14. Ihdt. jchon nur die Zeichnungen fopiert und weiter über: 
liefert worden find. Das gilt freilich nur für einen Teil des Inhalts 
jener Atlanten; das meijte ijt eines Schlages mit dem hergebrachten 
Beitande aller Sonographien: e3 find Übertragungen der im eigenen 
Gebrauche stehenden Werkzeuge auf die römische Vorzeit oder freie 
Gebilde der Einbildungstkraft. 

Der Atlas des deutichen Vegetius beiteht aus 63 Tafeln 
in folgender Reihe: 


1) Es ift das genau biejelbe Figur, welche Napoleon III. in feinen Etudes als jFig. 2 auf 
Tafel I des erften Banbes ald »Engin volant« bringt, ohne feine Quelle zu nennen. 


2 


2. Kriegswiſſenſchaftliche Bilderhandichriften. 265 


= 


. „Sambuca ijt ain turn vnd dienet zu dem jturmen“. (Rollbare 


Ebenhöhe, die von den darauf jtehenden Kriegsleuten jelbjt an die 
Mauer herangezogen wird, mit der fie durch eine aufgehafte Leiter in 
Berbindung gejegt iſt). 


. „Eroitra hat in der mitten ain brugg vnd dienet zu dem jturm“. 
. „zelleno ijt damit leut vf die mur geworffen (d. h. von außen ber 


gehoben) werdent“. 


.Turris Ambulatoria, in teutjch aim ziechturen“. (Unten ragt 


ein Geſchütz hervor). 


. „Das iſt ain ziehturen, damit ain jtat vberhöcht wirt“. (Eine 


Tarrasbüchje geht voraus). 


. Dasjelbe, doch nicht in Turmgeitalt, jondern als Bodtonjtruftion mit 


zinnenartigem Aufjag. 


. Desgleihen, nur andere Einrichtungen, von denen die eine aufſchraubbar, 


die andere in Geſtalt eines achtedigen Turmes ausgeführt ift. 


.„Das ijt ain ander (?) Streitwagen mit odhjen angericht.“? (Trägt 


4 Mann: Armbrujter, Bogner, Spieker und einen mit furzem Schwert 
und Kampfhammer, an deſſen Stelle in der Dresdener Balturius- 
bandichrift ein Mann mit einer Feuerlanze fteht. Im gedrudten 
Balturius ift diefer Krieger, der zugleih die Ochjen lenkt, nur mit 
einer gewöhnlichen Lanze verjehen und der Bogner fehlt überhaupt). 


.„Das iſt ain currus falcatud, in teutſch genant jtreitiwagen“. 


(Beipannung mit zwei Pferden; Bejagung fünf Mann: der Roßelenter 
ohne Trutzwaffe, Bogner, Armbrujter, Handbüchſenſchütz und Spieher.) 
In der Dresdener Balturiushandichrift ift die Geißel des Roßelenkers 
(jedenfalls irrtümlich) als Fackel illuminiert; der VBalturiusdrud zeigt 
an Stelle des Armbrufters einen zweiten Spieher. 


. „Das ijt ain windwagen vnden mit redern angericht“. (Ein Wagen 


mit Meinen Windmübhlenflügeln, deren Naben durch Zahnräder mit den 
vier Blodrädern des Gefährts in Berbindung jtehen und fie in Be- 
wegung jeßen jollen). 


- „Das ijt ein ſchrauben damit eijen gebrochen wird“. (Inſtrumente 


zum Brechen von Gittern). 


.„Wie ain getilt () vor ainer porten gemadt fol werden“. (Dreh: 


bare Balijadenthür). 


. „galerica, ain Scießzeug wie die Alten gebruchet haben“. (In 


jpäteren Ausgaben des deutſchen Vegez bezeichnet als „PBhalarica, ein 
band armbroft, wird aud) zu fewr pfeyln gebraudt“. Interejjante 
Darjtellung einer nevrobaltiftiihen Schußmaſchine, die jedenfall® auf 
ein antikes Vorbild zurüdzuführen iſt). 


. „Malleoli find feurpfeil in ainer jolihen form angericht“. (Dar— 


jtellung einer Schußmafchine "mit jtählerner übermannshoher Stand» 
jeder, die, zurüdgemwunden und dann plötzlich losgelaſſen, mit großer 
Kraft gegen einen vor ihr auf einem Gerüſte ruhenden Pfeil jchlägt 


* 


GE: a 


266 


Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswifjenichaftlihe Werte. 


und diefen ſomit forttreibt. — Übrigens ift Malleolus die Bezeichnung 
des Pfeile nit in der Schußmaſchine. Dieſe heißt bei Valturius: 
Gatapulta. Hohenwang hat diefen Ausdrud nit). 


. „Murices find fußeyfen, die allwegen vber ſich jtand“. 


„Musculi jind, damit durch ain mur gegraben wird“. (Maus: 
förmige Holzgehäufe, in denen drehbare Mauerbohrer verborgen find). 


. „Das jind werd, damit wajjergraben erihöpft werden“. 


(1. Einfacher Heber; 2. Waſſerſchöpfrad). 


. Desgleichen. (Blajebalgartige Vorrichtung). 

. Deögleihen. GHeberwerke). 

. „Das ijt ain werd zu waßer in ainer folihen form“. (Unverjtändlid). 
. „was ijt ain arie$, in teutich genannt ain wider”. (1. Bon Menjcen 
‚auf ihren Armen getragen und vorgejtoßen; 2. am Schmwungieil 


bangend). 


. Ein Aries, der in einer als Flechtwerks-Teſtudo geftalteten fahrbaren 


Sturmhütte hangt und gegen eine Mauer arbeitet. — Eine von 
Pferden vorgejhobene jpige Sturmhütte. 


.„Das iſt ain wider mit ochjenheuten vberzogen“. (Fahrbare Sturmbütte). 
. „Das ijt ain wider mit weiden für jeur gezeinet“. (Fahrbare Sturm: 


hütte). 


. „Das Werd ift wie ein ziechturen vnd dienet zu den ſturm“. (Biehturm 


mit Fallbrücke. Er hat die Geſtalt eines ungeheuren Draden aus Flecht⸗ 
werf, ift mit Geſchütz armiert und mit Mannſchaft bejegt. Im den 
ipäteren Begezausgaben lautet die Erflänung: „Diß ift ein wunderbarlid 
groß Arabiſch werd mit geihoß, laytern, u. bruggen. Auch mit 
leuten erfült, zum jturm angeridht“. 


„Das find Steiglaitern vnd die in mangerlai form“. 


. „Das iſt damit ain ziehbrugg gejperret wird. GFeſtlegehaken). 
. „Das find bolwerf in mangerlay gejtalt vnd form“. (Unter Bohl— 


werfen find hier Schleudermafhinen verjtanden. — Die erjte diejer 
Daritellungen zeigt eine Blide mit direftem Hintergewicht am Schwengel.) 


. Blide mit zwei Hintergewichtskaſten. 
. Blide mit einem Hintergewichtsfaften, der durd) ein Räderwerf zurüd: 


gezogen wird. Diejer Werfzeug heißt bei Balturius Machina versilis. 


. Blide mit zwei Hintergewidhtsfaften, ähnlich wie R. R. 


Drehbaße, Meines Gejhüg auf turmartigem Gejtell; bei Balturius 
alö turris tomentaria bezeichnet. 


. Große auf jchwerem Blod feitgeihnürte Büchje mit Anftoh; bei Val— 


turius lombarda genannt. 


« „Das find buchßen in mangerlai form vnd geftalt*. (Diele 


Überjchrift ift offenbar verftellt; fie gehört vor V. V. — Dargeſtellt iſt 
dasjelbe Gejhüß wie unter W. W., doch im Augenblid des Abfeuerns 


2. Kriegswiſſenſchaftliche Bilderhandichriften. 267 


Y.Y. Acht Meine Rohre auf drehbarer Scheibe, mit den Böden zujammen- 
jtoßend; bei Balturiuß al® „Machina tormentaria“ bezeichnet. 
2.2. Büchſe primitiver Form in Lade mit Rädern und kurzen Rihthörnern. 

A. A. A. Büchje mit einer Schraube am Boden, um fie in einen Anftoß fejtzu- 
ihrauben. Diejer Anjtoß, der mit einer Mutter verjehen ift, heißt bei 
Balturius compago. 

B.B.B. Feitgelegte Büchſe mit beweglihem Schirm. (Tarrasbüdje). 

C.C.C. Hebezeug um eine Büchje vom Sattelwagen zu heben. 

D.D.D. Büchſe in einer Doppellade, welche durch Richthörner und Borjtedbolzen 
in einem unter dem Fluge angebradhten Gejtell eleviert werden fann. 

E.E.E. 1. Sonderbarer Sattelwagen in Bejtalt eines Ktreisfegmentes. (Als 
Sattelwagen bezeichnet Valturius diefe Karre; in den fpäteren Vegez— 
ausgaben ift jie al$ jahrbare Lade dargejtellt, auf weldyer das Geſchütz 
abgefeuert wird.) — 2. Sattelwagen, in dem das Geſchütz aufgerichtet 
transportiert wird. 

F.F.F. 1. Büchſe mit jehr enger Pulverfammer, deren Länge die des Fluges 
übertrifft. (Bei Balturius jind Kammer und Flug gleich lang). 2. Zwei 
Geſchoſſe, weldhe das Anjehen von Bomben haben. 3. Ein 
Elbogengejhüp, bei Valturius mirabilis machina. (Über 2 und 
3 vgl. weiter unten!) 

G.G.G. „Das ijt ain werifende brugg vber waher“. (Zugvorricdtung). 

H.H.H. Schwimmbhäute. 

J.J.J. Kaſten- und Tonnenbrüden. 

K.K.K. Schwimmende Türme auf einem Floße. 

L.L.L. Fahrzeug mit gepanzertem Bug. 

M.M.M. „Das ijt aud) ain fugel, die in waßer brinnt“. 

N.N.N. Ein Waſſerläufer. [Bgl. ©. 252.) 

0.0.0. „Das ijt ain galen mit gewouffneten leuten angericht“. (Galeere mit 
Zurm). 

P.P.P. Eine PBontonbrüde. 

Die Holzjchnitte diejer erjten Ausgabe des deutichen Begetius 
ind genau diejelben wie die in des Valturius de re militari libri XII; 
nur it die Reihenfolge geändert, jie find größer und gerade entgegen- 
gejeßt gewendet. Man könnte die Frage aufwerfen, welche Original, 
welhe Kopie jeien. Indeſſen abgejehen davon, daß Hohenwangs 
Vegez⸗Verdeutſchung früheitens 1473 erjchien, während Valturios 
Verf um 1460 gejchrieben, 1472 gedrucdt wurde, jprechen auch) 
innere Gründe dafür, dab das italienische Werf als Driginal 
zu betrachten iſt. Nicht nur, daß jich in ihm die Zeichnungen 
unmittelbar an den Tert anjchließen und zwischen beiden eine Wechjel- 
beziehung bejteht, welche im deutjchen Vegez fehlt: einige der von 
Balturio dargejtellten Kriegsmajchinen werden jogar dem Herren des 


268 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


Autors, dem Sigismund Bandulph Malatejta geradezu als dejjen 
Erfindungen zugejchrieben; ob mit Recht oder Unrecht, it für 
die Frage der Priorität faum von Belang. 

Die dem Malatejta zugeichriebenen Erfindungen find die auf den Tafeln 
A.A.A. und F.F.F. des deutjchen Vegez dargeitellten Geſchütze und Geſchoſſe 
In den legteren hat man die eriten Bomben erkennen wollen. Valturio jagt 
von ihnen: „... . Inventum est quoque machinae hujusce tum Sigismundi 
Pandulphi qua pilae aeneae tormentarii pulveris plenae cum fungi aridi 
fomite urienus emittuntur“. Dies Hohlgeſchoß bejtand in der Tat aus zwei 
bronzenen durd Scharniere verbundenen und mit Bändern überfreuzten Halb: 
fugeln; aber obgleich in der Beiſchrift ausdrüdlich gejagt wird, daß die Kugel 
mit Pulver gefüllt ſei, jo ericheint ihr Gebraud zum Wurf, den Balturio er: 
wähnt, doch nicht wohl möglich, weil ein jo zerbrechliches Hohlgeſchoß das Rohr 
der Bombarde gewiß nicht unzertrümmert verlaffen hätte, es jei denn, dab das 
(Mehl-⸗) Pulver darin jo fejtgejtampft gewejen wäre, daß überhaupt feine Erplojion 
erfolgen konnte. Dann aber war es fein Sprenggeſchoß, jondern blos 
eine Brandfugel, deren Metallhülle lediglich den Zwed hatte, fie beſſer 
werfbar zu machen; und jo wird es auch wohl gewejen jein!). — Das Elbogen- 
geijhüß, die mirabilis machina, ijt eine ganz tolle Konjtruftion, gehört 
aber dem Malatejta nicht an, findet jich vielmehr ſchon in älteren und gleid- 
zeitigen deutichen Jfonographien, z. B. in dem Berliner Manujfript von 1453. 
[$ 7). Das abenteuerlie Geſchütz bejteht aus zwei Röhren, die im rechten 
Winkel aneinanderjtoßen. Bei Balturius bildet die wagereht liegende Röhre 
die Bulverfammer, die ſenkrecht jtehende den Flug. Eine Zeihnung in dem 
deutjchen Begez von 1534 und eine andere -bei Nicolas Maridhall [XVI S 4 
und 6] zeigt dagegen in beiden Rohren Zündlöcher und keinen Berjhluß am 
unteren Ende des Horizontalrohrs, jo daß das Monjtrum bier zu gleichzeitigem 
Wurf und Schuß bejtimmt erjcheint. Dies ijt aud) die Meinung des Diego Uffano®). 

In jpäteren Vegez-Ausgaben weicht der Atlas vielfach von 
dem des erjten deutjchen Vegez und des Balturio ab. Die Zeich— 
nungen wimmeln von Mikverjtändnifjen, welche oft beweijen, daß die 
Darjteller feine Ahnung von der Bedeutung des Gegenitandes hatten; 
zugleich aber werden eine Menge anderer Gegenjtände aus den älteren 
deutjchen Ikonographien übernommen: mit bejonderer Vorliebe aben- 
teuerliche Streitiwagen, wie das caput armatum u. dgl.; ja es fehlt 
jogar die Speerflinge mit der myſtiſchen Injchrift nicht, die bereits in 
Kyejers Bellifortis begegnet. Dieſe Darjtellungen finden ſich ſowohl 
im Deutjchen Vegez von 1534 wie in den Ausgaben der Veteres de 
re militari von Budäus (Paris 1535 ff.) 





1) Bol. Jahn: Handbuch einer Geih. des Kriegsweſens. 5. 810. 
») Bol. ebda. ©. 796. 


2. Kriegswiſſenſchaftliche Bilderhandicriften. 269 


=..11. 

Bon unvergleichlich jchöner Ausführung iſt ein encyklopädijches 
Verf in der Sammlung des Fürften Waldburg-Wolfegg- 
Waldjee, welches das Germanische Mujeum unter dem Titel „Ein 
mittelalterliches Hausbuch des 15. Ihdts.“ (Leipzig 1866) veröffentlicht 
hat’). Es jcheint jchwäbiichen Urjprungs zu jein; die herrlichen 
Zeichnungen aber jollen auf Zeitblom zurüdweiien. Der Inhalt 
gruppiert jich wie folgt: 

1. Wappen des erſten Befigerd. 2. Landichaft mit Gauflern und FFechtern. 
3. Bemerkungen zur Mnemonit (Gedächtniskunſt) in abſcheulichem Latein. 4. Die 
Blanetengötter. 5. Sittenbilder; darunter Badhaus, Vorbereitungen zum Turnier 
mit Krönigen, Wett: und Scharfrennen, Hetzjagd, Minneburg und Liebesgarten. 
6. Hausmittel. 7. Spinnrad und Wappen ala Zwifchenbilder. 8. Berg:, Hütten- 
und Münzmwejen. 9. Pulver-Geſchütz- und Kriegsweſen. Der fpezielle 
Inhalt diejes legteren Kapiteld ordnet ſich folgendermaßen: 

Zwei Zeichnungen einer Bulvermühle, die fih von der Getreidemühle 
nur dadurch unterjcheidet, daß jie fein Beutelwert hat. — Ein Büchſenwagen, 
der das jchwere Geſchütz nicht oberhalb der Arebene, jondern unterhalb derjelben 
trägt. — Zwei Schlangenbüchſen, eine auf einem „Bödlin“ mit Richtbogen, 
eine, die auf vier fleinen Blodrädern läuft, eine jogenannte „Heuſchrecke“. Das 
Rohr ift mit eifernen Bändern auf einem Blod (der Lade) befejtigt, der hinten 
in einen Schwanz endet. Die Lade dreht fih um einen eijernen Bolzen am 
Borderteil des den Büchſenwagen überdedenden Holzplateaus. Der Schwanz 
fann zwijchen den beiden Hörnern für eine bejtimmte Neigung fejtgejtellt werden ; 
eine Erhöhung ift jedoch nicht möglich und auch eine Änderung der Seitenrihtung 
nur dur Berjchiebung des ganzen Wagens. immerhin zeigt fich hier gegen 
früher (3. B. gegen die Handichriften von 1437, bzgl. 1453) [8 7] ein entjchiedener 
Fortſchritt). — Heb-, Brech- und Schießwerfzeuge u. a. ein „Tann: 
zapfen“ zum Zerbrechen von Nettengliedern und einige Marterinjtrumente. — 
Drei Zwingerbüchſen zum Schießen durch „Slitzfenſter“, darunter zwei zum Tief— 
ſchuß eingerichtete mit hochgeichweiftem Schwanzende, eine zum Bogenſchuß in 
einem jogenannten „Froſch“. Zwei diejer Geſchütze haben Schildzapfen; die eine 
der zum Senkſchuß beftimmten Büchjen liegt dagegen im Blod mit Eifenbändern. 
— Katze mit Seitenwänden und Dedel und Büchſenſchirm (Tarrad) um die 
Bedienung einer „Schermbüchſe“ zu deden. — Ein Heereszug in drei Zeilen 
nebeneinander geordneten Zügen): innen Proviant- und Gepädwagen, außen 
Acht aufgejchlojien die Büchjenwagen. Jeder Wagen mit vier Bauernpferden 


I) Eine eingehende jehr lehrreiche Beichreibung ber Handichrift, welcher auch obiger Text folgt, 
bt Frhr. v. Retberg: Kulturgeſchichtliche Vriefe über ein mittelalterl. Hausbuch (Leipzig 1865). 

5, Diefe Beichnung des Hausbuchs findet ſich auch im Münchener Cod. 756, ſowie in Napol&ons 
Etudes III, Zaf. 15, Fig. 8, melde Köhler auf feiner Tafel V, Fig. 10 reproduziert hat. (Text 
bau: Illa, ©. 320.) 


270 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswifienichaftliche Werte. 


beijpannt, der Führer meift auf dem hinteren Sattelpferde. An der Vorderjeite 
des Wagens ein „Fähnlein mit Zagel* (fejtitehendem Wimpel) und dem Wappen 
des Beſitzers. In den Gallen zwijchen den drei Zeilen die Züge des Fuhvolls)), 
teils Schügen mit Armbruften oder Zuntenbücjen, teil® Wappener mit Spießen, 
Helmbarten, Streithämmern oder Beilen. Den Heereszug beſchließt die Schar 
der Reiſigen, auf den Seiten durch Mleinere Abteilungen gededt. Alle Teile der 
viergliedrigen Gleve find deutlich erfennbar: der volljtändig gewappnete Kürifjer 
mit der Lanze, der leichter bewaffnete Schüte, der Schwerttämpfer und der Kinabe®)- 
— Ein Drade, d. i. ein Streitwagen, welcher durd; mehrere Bare Hinten ange: 
ſpannter Pferde gegen den Feind gejchoben wird. Ein Büchſenwagen mit einer 
Drehbaße. Eine Karrenbüdje mit Durchfall, d. h. tiefem Lager, jo daß 
jie hinten zwijchen zwei „Zeugtrüchlin“ herabhängt, in denen Munition aufbe- 
wahrt wird. — Ein Feldlager. In der Mitte das Hauptzelt des Kaiſers. 
Den inneren Kreis der Zelte umgibt die innere Wagenburg, d. h. eine aus den 
Proviant- und Packwagen zujammengejhobene Zeile von Wagen, deren Körbe 
aus Flechtwerk bejtehen. Dann folgen nad) außen zu Zeltgafien und endlih als 
legte Wehr die aus den äußeren Marjchzeilen zujammengefahrenen Büchſenwagen, 
unterbrochen von einzelnen Karrengejhügen. — Berjchiedenes Handwerkszeug: 
Bank zum Einjpannen, Lade zum Schneiden großer Schrauben oder zum Aus- 
bohren von Geſchützrohren. Setzwage. Steigzeuge und Gliederleitern. Büchjen- 
ihirm nad jeinen einzelnen Teilen. — Bleide und Bockbüchſe. — Zmei 
große Hauptbüchſen in feften Lagern mit ihren Anjtöhen. — Büchſe mit 
Froſch nebit Sperrad und Hafpel. Wagenbüchſen mit geteiltem Blod®), 
Scyildzapfen und wirflihem Prognagel; zwei davon mit Schleppnägeln unter 
dem Nohre. — Hebebof („alter Bod“) mit Scheiben und Hajpel, wie er im 
allgemeinen erjt anfangs des 16. Ihdts. durch den Flaſchenzug („zug auf die 
neue art“) erjegt wurde. — Hebezeug mit Schraube ohne Ende. — Einfache 
Dleide. — Wagenbücdje mit Schildzapfen und Durchfall. Froſch mit doppelter 
Bewegung zur Höhen- wie zur Seitenrihtung®). 

Den Beihluß des 9. Kapitels und damit der gefamten Bilderhandichrift 
bildet eine kurze „Büchjenmeifterei”, welche mit den üblichen Ermahnungen an 
den Meijter beginnt und dann die gewöhnlichen Rezepte bringt. 

Die ſchöne Handjchrift gibt ein gutes Bild der Kriegseinrichtungen 
des lebten Viertels des 15. Shodts.; denn aus inneren Gründen 
darf man thre Entjtehung mit ziemlicher Sicherheit in die achtziger 
Jahre jegen. 

I) Ebenſo wie bei ber Anordnung bed Marlgraſen Albrecht Achilles für den Zug nach Neuß i.3. 1474. 

2) Dieje Nachbildung der von Charles VII. von frankreich i. 3. 1456 eingeführten lance garnie 
ericheint in Deutfchland erft nach den Sriegen mit Karl d. Kühnen von Burgund. Sie Täht fih aus 
den Dienftbriefen von 1480 an nachweiſen. Worher beftand die deutſche Gleve meift aus zwei Gtreit- 
baren und einem Diener mit zuſammen vier Pferden. 

2) Einen „geteilten Block“ nannte man das Gefäß, wenn ber Blod, in welchen bas Büdienrobr 
eingelaffen war, auf dem Bode fidh mittels eines Scharnierd auf unb nieber bewegen Lieb. 


4) Bemerkenswert ift es, dab unter den Darftellungen feine Wagenarmbrufte und teine Mörfer 
vorfommen. Xrauben und Delphine zeigt noch fein Mohr. 


\ 


2. Kriegswiſſenſchaftliche Bilderhandichriften. 971 


8 12. 


Noch jünger als das Waldburg-Wolfeggiche Manujfript find 
zwei biehergehörige Codices aus Heidelberg und Frankfurt a. M. 

Cod. Palat. Germ. 126 hat folgenden Titel: „Dys buch der 
ftryt vnd büchjen ward gemacht in der Vaſsnacht ald man zalt 
von Chriſti geburt 1496 jar. Dar uff jollen die Büchjenmeifter 
haben groß acht, for war“. Dieje auf einem vielgewundenen Spruc)- 
bande gejchriebene Überjchrift, umgibt die Figur eines Mannes in 
bequemer bürgerlicher Tracht mit der Beilchrift: „Philips Mönch, 
der Pfalz Büchſenmeiſter.“ — Der Inhalt des gut ausgeführten 
Buches iſt der folgende: 

Bl. 2. Anordnung von Kriegshaufen und von hinten durd) Pferde geſchobener 
Streifarren. 3—5. Maſchinen zur Wulverbereitung. 6. und 7. Eine große 
alte Steinbüchje auf ihrer Unterlage mit Hebezeug, Sattelmagen und Ladezeug. 
8—21. Allerhand mechaniſche Vorrichtungen wie Brunnen, Wagen, Brüden, 
Schöpfräder, Leitern, Krane, Göpel und Sturmbrüden. 22—29. Geſchütze in 
Laden, meijt mit Rädern und Rihthörnern, auch Streitfarren mit mehreren Heinen 
Rohren (25 eine Drehbaße; 28a eine Hafenbüchje mit Bock und eine Handbüchie 
mit Luntenhahn). 30—31. Bleiden. 32. Schöpfrad. 33. Ein Mann, der über 
Waſſer läuft. 34. Tarras (Gefhügichirm). 35. und 36. Befeitigte Plätze (Stadt 
und Burg) mit Verpfählungen vor der Mauer. 37. ift leer. 38. Angriff eines 
Schloßes. 39—41. Hebezeuge und Geſchützzubehör. 42—43, Intereſſante Dar: 
itellung eines beginnenden Gefechtes. 


Überaus prachtvoll ijt das früher dem Nate der freien Stadt 
Frankfurt gehörige „Ruft- und feuerwerd=-buych, zujamen gebracht 
von viln bewertten meijtern vnd der kunſt verjtendigen“, das ſich jebt 
in der Frankfurter Stadtbibliothek befindet. (Ms. 40.) Es zerfällt 
m 9 Bücher. 

Die erjten fünf Bücher bilden zujammen ein Lehrwerk der Feuerwerks— 
funjt. Es beginnt mit einer z. T. abgewandelten, 3. T. erweiterten Paraphraſe 
des alten Feuerwerksbuches 8 58), an das ſich zunächſt einige Lehrverſe mora- 
liſchen Inhalts, dann die Erfindung des Pulvers durd Niger Berchtholdus, die 
zwölf Fragen und eine Reihe pyrotechniicher Borjchriften jchließen, u. a.: „Meyjter 
Hans Wyderſtein, oberjt burmeijter gewejt der jtat zu norenberg, hat jonden und 
von vil ſynen meyſtern gehort: wer die allerbejten folen haben will, der nehme 
birten“. Bereitung des „Atryment3 zu burjen puluer vnd füerpfylen vnd andern 
ſtarlen fiierwerten“. Zulegt: „Ein fonjt wie man puluer lang behalten fan“ 
Es ift Raum zu weiteren Nachträgen gelafjen. 

Das 6. Bud) ift das Burjenbucd, das mit den mannigfaltigiten Formen, 
zumal an Lafeten, reich illujtriert ijt, ohne dab doch Bilder und Text in direkter 


272 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


Beziehung ftänden. Der Gegenjtand der Lehre ijt auch großenteil® dem alten 
Feuerwerksbuche [$ 58] entnommen: „Ayn jtein gerecht zu haben zu einer yglichen 
burjen, ſy ſy grois oder elein. . Ayne lere wie man Moß made. .. Keyner 
buxſen ift zu getrawen. .. Eyn houeliche konſt it dies, ob du gerne wißen 
wolts, wo du des nachts hyn jchiefeit“ . . u. j. w. Letztes Tertitüd: „Ayn 
bagel geihoj® mad alfo . . .“ — Unter den Bildern find intereflant: p. 47 das 
eines im Kreiſe drehbaren Hinterlader®, p. 51 das eines Elbogengefhüßes und 
die den Beſchluß machende Reihe von Gejhügen und großen Handbüdhjen auf 
drehbaren Geitellen. 

Das 7. Buch heißt Rüſtbuch. Es Wyingt mit jporadifchen Beijchriften 
jehr verjchiedene Segenftände: Taucherapparate, Pumpen, Waſſerräder, Brüden 
aller Art, Streitlarren, Sturmſchirme, Bleiden, Steigzeuge, Türme, Sturm-Mäuje, 
Teſtudines in wirklicher Scilfrötenform, den Wafferläufer u. dgl. m. Die Zeich- 
nungen jtimmen großenteil® mit denen des Valturius überein. 

Das 8. Buch enthält die Heymlichleidt der AJnjtrumente Es be 
handelt den Quadranten, allerlei Handwerkszeug, Schrauben jowie jefrete Rezepte 
zur Metallbehandlung. 

Das 9. Buch ift wieder ein Keuerwerfsbud. Es jpricht über die Her- 
jtellung der ?Feuerpfeile, Feuerkogeln, über Löten und Legieren, aber auch vom 
Mefien der Höhe und Breite. Es ijt offenbar unfertig. 


8 13. 


Das reichhaltigite Werk diefer Art ijt zugleich das jüngjte: das 
Kriegsbuch des Ludwig von Eybe zum Bartenftein v. 3. 1500. — 
Die Eyb find eim altfränkiſches Adelsgejchleht. Der ältere Ritter 
Ludwig, unjer® Autors Vater, von 1440 bis 1486 der treue 
Diener Albrechts Achilles, it einer der eriten Typen des deutichen 
Beamtentums!). Sein Sohn Ludwig war erjt im reichsjtädtischen, 
dann im pfälziichen Dienfte, Ipäter brandenburgischer Hauptmann auf 
dem Gebirg und Hofrichter zu Kulmbach. Bon ihm rührt die prächtige 
Foliohandjchrift her, welche aus dem Anſpachiſchen Fürftenbefige an 
die Bibliothek der Univerfität Erlangen gekommen ijt, (ms. 1390) — 
ein großes militärisches Bilderbuch mit Beilchriften. Der Text beginnt: 

„Nachdem aber nun vil meiner Gnädigen Herrn der Fürſten, auch grafen, 


freien Ritter und knecht findet, die zu adelichen Ritterlihen guten ſachen geneigt 
ind, hab ich Ludwig von Eybe zum Hartenjtein, Ritter, derzeit des durchlauch— 


1) Ludwig ftand dem hohenzollernichen Markgrafen mit Rat und Tat zur Seite, begleitete ihn 
auf dem Feldzuge gegen Karl den Kühnen und mwibmete nad Wlbrechts Tobe auch befien Söhnen 
jeinen Dienft. In hohem Alter erhielt er dad wichtige Amt eines Landrichterd am kaiſerl. Landgericht 
des Burggrafentums Nürnberg und ſchloß fein tatenreiches Leben i. 3. 1502. — Bol. Vogel: Des 
Nitterd Ludwig v. Eyb z. H. Aufzeichnungen über das kaiſerl. Landgericht zu Nürnberg. I. Abt. 1867. 





2. Kriegswiſſenſchaftliche Bilderhandichriften. 273 


tigen hochgeborenen Fürjten vnd Herrn, Herrn Bhilippien, PBialzgraffen bey 
Aheyn . . . elf Jahr gedient, dies Kriegsbuch gemadt u. von vil aus ander 
landen u. ortten zujamenbracht, eins teil® angeben, daraus ein Yeder ber- 
itendiger des friegd etwas nehmen mag. Anno XVe (1500), ond jeiner Gnaden 
vigdom (zu Amberg) 11 Jar geweit“. 

Folio 1—15 fehlen. Auf zwei unnumerierten Pergamentblättern jind 
höchſt intereſſante Darftellungen runder Bajtillen aus Flechtwert und Holz 
gegeben, deren eine ein pallifadierter Schügengraben umgibt. Bl. 16—33a 
ihildern Fechtkünſte mit Schwert, Spieß und „Degen“ (Dolcdhen). Bl. 33b 
bi 43a jtellen die Ringkunjt dar. ©. 43b „hebt ſich an ein buch nützlich und 
meifterlich zu Fechten von des Reichs Hofgeriht; da fiht man bloß, in grauen 
Röden mit Schild umd mit Kolben“. Es ijt eine ausführliche Darjtellung der 
noh näher zu erwähnenden gerihtlihen Zweifämpfe. [8 48). Die Streit: 
tartihen find mannshoch, haben am oberen und unteren Ende fuhlange Stadeln, 
die zum Stoß wie zum Niederringen des jeindlihen Scildes bemußt werden; 
einige der bejonders dargejtellten Tartjchen laufen au in große Gabeln aus. — 
8. 54561 jchildert den Kampf mit Schwert und Heiner Rumdtartiche. — 
S. 52 „hebt jidh an ein Buch von Wagenburgen zu maden“ „Mit unge: 
lahrten Leuten irreftu und ift die Wagenburg nichts nug“. Bl. 62—66b find 
dargejtellt eine freisrunde Wagenburg mit dreifahem Einſchluß, der Zug der 
Bagenburg in vier Zeilen, ein Ovallager mit doppeltem Einſchluß und ein 
Treiedlager. Die beigegebene Auseinanderjegung [$ 28] ijt vielleicht czechijchen 
Urprungs. — BI. 69—89 folgen Bilder der verjchiedenartigiten Kriegsgeräte: 
Streitwagen von z. T. ganz unmöglicher Konftruftion, Rollſchirme und andere 
„treibbar werd im jtreit an ein jpiß“, fahrbare Sturmgabeln und allerlei Heine 
Geſchütze mit jchwerfälligen Vorrichtungen zur Elevation und Deprejiion. Ferner 
Dleiden und anderes altes Wurfzeug ſowie verjchiedene Arten von Kriegsbrüden. 
— Bl. 89b zeigt den bekannten, Zuft in feinen Gürtel blajenden Waflergänger ; 
ihm folgen andere Shwimm=- und Taucderapparate z. B. 92a eine Hülle 
für den ganzen Mann mit Heinen Fenſtern vor den Augen, von dejien Kopf ein 
Schlauh ausgeht, der, über das Waſſer emporragend, Luft in die Hülle ein- 
läßt; ein um die Hüften des Tauchers geſchlungener Strid mit einem eijernen 
Haken gejtattet ihm, jich irgendwo auf dem Grunde zu befejtigen. Ferner Stiefel 
mit Luft zu füllen; Luftkifien. — Gegen Ende des erjten Hundert$ der Blätter 
eriheinen Reiter mit yeuerapparaten: Körben, Ballen und Lanzen, ſowie 
Abjperrungsmwerte: Ballijadierungen und Baltenkonjtruftionen und im Gegen- 
ja dazu Schraubmwerte zu Sprengungen von Gittern. — Mit S. 100 beginnt 
en Bühjenbud, das jih durd mehr ald 80 Tafeln fortjegt: die Geſchütze 
iind meift auf der Are dargejtellt; 104b bringt die rohe Zeichnung einer Bohr: 
majhine, 110 ein Geſchütz, welches von einem hinter ihm in der Gabel gehenden 
Bierde farrenartig vorgejchoben wird. Groß ift die Zahl der Winde- und Hebe- 
jeuge, der Göpelmwerfe und oft jehr mwunderlihen Gejchügmontierungen. Eyb 
bezeichnet diefe Sammlung jelbit mit Recht als „gute und geringe oder gar 
abenteuerlicher Zeug zu Büchſen und anderen Dingen“. — Aufs neue folgen 

Jathns, Geſchichte der Krriegswiſſenſchaften. 18 


274 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


dann Gegenjtände der Hydrotechnik: Faß-, Schiff: und Fallbrüden, Luft⸗ 
Kiien, Schwimmgürtel, Pumpen; ©. 215 ein aufjchraubbarer Stodwertsturm, 
216 eine fahrbare Brüde. — ©. 239 fängt ein neuer Abfchnitt an mit den 
Worten: „Das Buch heißt von Abenteur und du findeit darin gemalt mandı 
boflih und nutzlich jtud — kannſtu es verjtehen!“ (sic!) Es Handelt fich dabei 
um Leitern der mannigfaltigiten Art: Stangenleitern und Stridleitern , jchiefe, 
geihlofjene, ſchwebende u. j. w., dann um Steigzeug, Brechzeug, Schirme, aber audı 
wieder um Biüchjen mit ihren Schirmen und Anftöhen, ihrem Ladezeug und ihren 
Pulvertruhen jamt deren Geheimſchlüſſeln. — Eine Schlußabteilung umfaßt bier 
diejenigen Gejtalten, mit denen gerade ein Jahrhundert früher ein anderer 
fränfifcher Edelmann, Konrad Kyeſer, den Eyflus diefer militärencykflopädifchen 
Werke begonnen hatte: die großen Rittergejtalten der Blaneten. 


8 14. 


Wenn ich Eybes Werk die jüngjte der kriegswiſſenſchaftlichen 
Bilderhandichriften nannte, jo iſt dies in Bezug auf den vermutlichen 
Zeitpunkt des Arbeitsbeginnes zu verjtehen, nicht in Bezug auf die 
Beendigung. Denn e3 gibt allerdings einige Ikonographien, die, zu 
Anfang des 15. Ihdts. begonnen, auch noch im 16. Ihdt. fortgeführt 
wurden. Lud doch der faſt planloje Charakter diefer Sammlungen, 
welcher fich dem des modernen Albums vergleichen läßt, unwillkürlich 
zu jtetem Weiterjpinnen des einmal angefnüpften Fadens ein. Bei— 
jpiele jolch andauernden Sammelfleiges finden ſich zu Weimar umd 
zu Hermannjtadt. 


Im Februar 1621 bot Chriſtoffel von Waldenrodt, ein fränkijcher 
Edelmann, dem Herzoge Johann Ernit von Sachſen „ein fajt altes 
in Folio gejchriebenes und gemaltes ingenier= kunſt- umd 
wunderbuch“ zum Kaufe an, welches er angeblich i. 3. 1590 zu 
Warſchau um 100 Reichsthaler erworben hatte und welches, wie ihm 
verfichert worden, „dem Sfanderbeg gehört haben joll“. Da 
dieje Handjchrift urjprünglich wirklicd; aus dem Bejige des berühmten 
Helden der Albanejen jtamme, ift zwar unmwahrjcheinlich, doch nicht 
unmöglich; denn Georg Kajtriota lebte von 1414 bi8 1467, umd 
in dieſer Zeit ift der Kern der Sammlung entjtanden: der Kern; 
aber unzweifelhaft ift noch weit ins 16. Ihdt. daran fortgearbeitet 
worden. Vermutlich jollte des Skanderbegs großer Name den Herzog 
zum Kaufe reizen, und in der Tat erwarb Johann Ernit das merk: 
würdige Buch u. zw. für nur 5 Gulden. Gegenwärtig gehört es der 


2. Kriegswiffenichaftliche Bilderhandſchriften. 275 


großherzoglichen Bibliothek zu Weimar (cod. fol. 328)'). Es beiteht 
aus 325 Pergamentblättern und bildet eine der allervollftändigiten 
militäriſchen Ikonographien. Die Herſtellungsweiſe iſt durchweg 
gleichartig, obgleich gewiß viele Hände im Laufe der Zeit daran 
gearbeitet haben; es ſind leicht ſchattierte Umriſſe mit ſpärlichen 
Beiſchriften. 

Die Zeichnungen werden nad) und nad) immer beſſer. Bis ©. 97b beziehen 
ſie jih auf Kriegsinftrumente, Dinge des Bauweſens u. dgl. Dann folgen Dar- 
jtellungen aus dem öffentlichen und privaten Leben, die zwar zuweilen dunkel in 
ihrer Bedeutung, oft aber von hohem kulturhiſtoriſchem Intereſſe find, wie z. B. 
die von Kunſtſtücken der natürlichen Magie. BI. 151 nimmt die Darftellung der 
Kriegdgeräte, Geſchütze, Feuerwerfsförper u. dgl. wieder auf, Der die Feuerwaffen 
betreffende Teil beiteht aus mehreren Serien; die ältejten geben noch Typen des 
14. Ihdts. wieder. Bemerfenäwert jind befonders: die Wiederholung der Bockbüchſe 
aus der Kyeſer'ſchen Handjchrift und zwei Hakenbüchſen, welche General Köhler 
reproduziert hat”). — Die einigen Bildern zugefügten kurzen Erklärungen find 
deutich; die bei weiten längſte derjelben (BI. 62) ijt die Erläuterung und Be- 
ihreibung eines „heimlich verborgenen Zugs“ unter der Brüde einer Burg. 

Unter den Zeihnungen am Schluß des Buches finden fich ſämtliche Dar- 
itellungen der gedrudten Ausgaben des Balturius und des deutjchen Vegez 
wieder [$ 10). 

Durch Data gejichert iſt die überaus langjame Fertigitellung 
einer militäriichen Bilderhandjchrift im jächjiichen Nattonalmujeum zu 
Hermannstadt in Siebenbürgen. Ihr Titel lautet: „Diejes hernad) 
geichrieben funjtbuch it zujammengetragen und gerijjen worden 
durch Hanns Haafenwein auß dem Haajenhof bey Landshut im 
Bayerland. Angefangen 1417, vollendet im tar der wenigern zaal 1560.“ 
Diejer Titel rührt natürlich nicht von dem urjprünglichen Verfafjer her, 
jondern von einem Fortjeger, der die 3. Abteilung des Werkes her- 
geitellt hat, dem „Konrad Haaſen von Dornburg vom gejchlecht 
aus dem Haajenhofe bei Landshut“, welcher durch 40 Jahre an dem 
Buche weiterjchrieb, an dem alſo im ganzen 143 Jahre lang, offenbar 
mit großen Unterbrechungen, gearbeitet worden it. 


8 16. 
Gegenüber diejer reichen Fülle deutjcher Bilderhandichriften hat 
Frankreich eigentlich gar nichts Ähnliches aufzuweiien; denn ein 
1) Näheres über bie Handſchrift bei Bulpius in den „Euriofitäten der phyj.-Titerar.:artift.: 
biftorifchen Bor: und Mitwelt”. X. Bandes 4. Stüd. 1824. 


m ftriegämweien u. Sriegführung ber Ritterzeit. IIIa, ©. 32% u. 333. 
18* 


276 Das XV. Jahrhundert. TI. Allgemeine kriegswifjenichaftliche Werte. 


hiehergehöriges Manujfript Machines de guerre der Pariſer 
Nationalbibliothef (ms. franc. 1914) ift jicherlich nur Wiederholung 
einer deutjchen Vorlage. Es jtammt aus der Sammlung des Herzogs 
v. Coislin, Bischofs von Meß, und it erjt im 17. Ihdt. einer ver- 
mutlich lothringijchen Urjchrift aus der zweiten Hälfte des 15. Ihdts. 
genau nachgebildet worden. 

Die Handichrift enthält Zeichnungen der verichiedenen bouches à feu und 
affüts, alaisages des pieces, engins, chausse-trappes (Fußangeln), &chelles, 
mantelets, lances & feu u. j. w. — Eine Reihe diejer Darjtellungen hat General 
Fade im 3. Bande der Etudes sur le passe et l’avenir de l’artillerie auf 
mehreren Kupfertafeln wiedergegeben und p. 173—185 erläutert. Sie bieten für 
den in der deutichen Militärliteratur des 15. Ihdts. bewanderten Lejer nichts Neues. 


8 17. 

Nicht jo umfangreich wie die deutjche, doch von faum geringerem 
Interejje, ja in einigen Punkten jehr bedeutungsvoll iſt die ifono- 
grapbijche Literatur Italiens. 

Bon der Hand des Venetianers de Fontana!) befigt die Münchener 
Hof- und Stat3bibliothef ein aus der pfalzgräflichen Bücherei ſtammendes 
in roten Samt gebundenes Pergamentmanuffript (Ikonogr. 242), 
welches den Titel führt: Bellicorum instrumentorum 
liber cum figuris et fietivys literis conscriptus, das um 1420 
gejchrieben jein muß. Es iſt eine Sonographie ganz nad) Art 
des Bellifortis, nur von viel geringerem Umfange und weit weniger 
jorgfältig, jedoch mit Fünftleriicher Leichtigkeit ausgeführt. Das 
Mejentliche des Inhalts läßt ſich etwa unter folgende Stichworte 
ordnen: 

Fahrbarer Widder. — Igniferus instrumentus. — Gefängniſſe. — Be 
jeftigungsturm, der im Erdgeichofle mit ganz kleinen Gejhügen früheſter Kon— 
itruftion verjehen ilt. Das erjte Stodwerf verteidigen gewaltige riejenhafte 
Haken und Spiehe, die durd ein Kurbelwerk in Bewegung gejegt werden, welches 
durch die Höhe des ganzen Turmes geht. Aus dem oberen Stockwerke desjelben 
fliegen Pfeile. — Sturmleitern. — Zujammengejegte Kähne. — Wafjerwerfe. — Dar: 
jtellung eines Schlofjes, das von der Thorbefejtigung aus einen Fluß bejtreicht, 
auf dem Schiffe heranrudern ; u. zw. fcheinen es nicht Feuerkugeln jondern Raketen 
zu fein, mittel® deren der Strom unter Feuer genommen wird. Uberbhaupt 
ipielen die Raketen eine große Rolle in diefer alten Schrift, welche deutlich er- 
fennen läßt, daß ihre Benugung, ja ihre Vervolllommnung der der Geſchütze 





1) Die Entzifferung des in Ehiffern gejchriebenen Namens verbante ich ber Büte des bamaligen 
Kuftos der Hanbfchriftenabteilung der Münchener Bibl., bes Herrn Profefior Dr. Mever. 


2. Kriegswiſſenſchaftliche Bilderhandichriften. 277 


vorausging und erſt ſpäter in Verfall und Vergeſſenheit geriet. Während ſonſt 
andere Feuerwerlsbücher und Ikonographien Anweiſung geben, Tauben und Katzen 
eines belagerten Ortes zu fangen und dann die mit Feuerwerkskörpern belajteten 
Geichöpfe frei zu laffen, damit fie den Brand in ihre Heimat trügen, fonjtruiert 
de Fontana fünjtliche Vögel, Hajen und Fiiche als fliegende, rollende, ſchwimmende 
Raketen; ja er hat über dieje Brandrafeten und Torpedos jogar ein bejonderes 
Bud geichrieben, welches die Bibliothef zu Bologna bewahren joll. — Im 
übrigen finden fih im feinem Werte die gewohnten Inſtrumente der deutichen 
Stonographien: Springbrunnen, Bumpwerte, Hebezeuge, Orgeln, Masten, Kriegs— 
ihiffe, Bäder, aber auch allerlei geſpenſtiſches Blendwerk: Auferjtehende Tote, 
feurige Teufel und Laterna-magica-Bilder. (Apparentia nocturna ad terrorem 
videntium.) 

Die Überjchriften der Erläuterungen jind lateinijch, dieje jelbjt aber in Ge— 
beimjchrift gehalten. 


8 18. 


Die Nationalbibliothef in den florentiniichen Ufftzien bejigt einen 
von 1430 datierten PBapiercoder, welcher unter dem Titel Ordegni 
mecanici eine den deutjchen Bilderhandjchriften ganz entjprechende 
Sammlung von Zeichnungen mit jpärlichem lateinischen Texte enthält. 

Eingeleitet wird das Manuffript durch die Geſtalt eines Kriegers, dem Gott 
zuruft: „Defende oves meas, ex quibus te custodem eleg!“ Dann folgen 
Daritellungen von Waſſerwerken verjchiedener Art, von Hebewerken, Sturmleitern 
(fahrbare, mit Einrichtung für wechjelnde Neigungen), Kriegswagen mit Segeln, 
Heritellung eines Bergdurchitiches (Tunnel), Mühlenwerfe, Blide (mit der Über: 
ſchrift brichola), bededte Räderfahrzeuge u. dgl. m. Den Beſchluß macht eine 
Daritellung des Drahentämpfers St. Georg. 

Dieſe Handichrift, in der das militäriſche Element nur jehr 
bejcheiden auftritt, ijt offenbar die Grundlage einer anderen Jkono— 
graphie derjelben Bibliothef (No. 2401), in welcher die kriegeriſchen 
Dinge weit reicher vertreten jind. Die Zeichnungen jind hier auf 
Pergamentblättern ohne jeden Tert aneinandergereiht; erſt am 
Schluß beginnt eine jchnell wieder abreigende Abhandlung in italie- 
nicher Sprache. Abgejehen von diefem unzulänglichen Bruchjtüd 
ericheinen folgende Darjtellungen erwähnenswert: 

Hydrojtatiihe Maſchinen. Taucherweien. Berjtärfung wanfender Mauern. 
Dann p. 42 der Grundriß einer freisförmigen Befejtigung mit vier 
weitausfpringenden Rondelen, in welche die in jtarfen Abjäten gehaltenen Eingänge 
führen. Hinter der äußeren, vermutlich als Wall gedachten und elbarba genannten 
Einſchließungslinie, liegt eine doppelte Mauer, in welche nur ein Eingang führt. 
(Das Ganze erinnert an Dürers Zirkularbefeitigung.) Dann folgen: Flaſchenzüge, 


278 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswifienichaftliche Werte. 


Mühlenwerte, Minen in Felfen, Umgebung einer freisförmigen Befejtigung mit 
Wolfsgruben, Fußangeln u. dgl., große Majchinen zum Pfeilſchnellen, mißver— 
itandene Rekonſtruktionen antiter nevroballiftiicher Geſchütze, Bliden, Schiffbrüden, 
gewaffnete, bededte Ruderbote, Bombarden alter Form zum hohen Bogenjhuß, 
fleinere mit rohen Richtvorrichtungen, Zeihnungen von ſchön fanellierten Lang: 
geſchützen, die offenbar von jpäterer Hand hinzugefügt jind, und endlich Hebeliwverte. 


8 19. 


Bon hohem Intereffe ift die Jfonographie des Sienejen 
Jacopo Mariano gen. Taccola mit dem Beinamen „Archimedes“ ?). 
Die Urjchrift derjelben befindet jich in einem Sammelbande (cod. 
lat. 197) der Münchener Hof und Statsbibliothef?) 8 5). 

Es jind flüchtige, aber höchſt ausdrudsvolle Skizzen, die teild von Taccola 
jelbjt erfundene Gegenjtände, teild Maſchinen vder Waffen darjtellen, weldye ihm 
von anderen zugänglich gemacht wurden. Für die Autorichaft Marianos ent- 
jcheidet eine Notiz auf fol. 96: „1441 dominus Antonius Catelanus presbiter 
de Civita Tortose die XVa mensis Aprilis vidit hec designia ac etiam 
rotulum in quo erant machinae et tormenta antiqua designata ex manu 
mei mariani Jacobi de Senis“. Die Eintragung der Skizzen, d. h. aljo zugleid) 
da8 Sammeln des Materials, hat ungefähr ein Vierteljahrhundert lang gedauert. 
Sm Jahre 1427 3.8. jchreibt der Berfafler: heute habe er vier ingenia fertig 
gebradt: 1. im Tiber eine Brüde zu fundieren ohne das Wafler ablenten zu 
müſſen,“ 2. am Molo im Genueſer Hafen binnen kürzefter Zeit eine Mauer zu 
fundamentieren“, u. j. w. Die Erfindungen auf dem erſten Blatte werden einem 
gewifien Dragamanente de Maiolica zugeichrieben; auf fol. 80 heißt es 
in demjelben Sinne: „Bartolomeus Pasquini docuit“. Einmal gibt der 
Verfaſſer ein Geſpräch mit Pippo Brunelescdyi wieder, der ihn warnt, jeine Kon- 
jtruftionen jedermann zu zeigen, und das jcheint den Taccola in der Tat ſehr 
vorfichtig gemacht zu haben. Bevor er ein Blatt verborgte, jchrieb er eine Notiz 
darauf, um jein Urheberrecht zu wahren, 5. B. „Marianus designavit oder invenit 
die 8% mensis Decembris“, und nachdem er das Blatt zurüderhalten hatte, 
vermerfte er „vidit omnia ista in domo suae habitationis“. Auch wenn er 
dergleihen Entwürfe anderen gezeigt, pflegte er e& zu notieren, 3. ®. fol. 82 
am Rande: „9. di dicembre deno (demonstro) domino Petro de Micheglis 
de Sena in designis bombardam ad bissulam (ad ciconiam) ac ad item tunc 
dixit volebat immediate conferre cum famulo Franeisci Piceini“. Dieje An: 
gaben gewähren einen Blid in das geheimnisvolle Arbeiten der Adepten des 15. Ihdts. 


ı) Bol. über Taccola: Milaneji: Documenti per la Storia dell' Arte Senese. II, 284— 286 
(Siena 1854) und Milaneii: La Scrittura di artisti Itallani J (Uutograpbenfatfimilia). 

2) Nachdem ich die Jdentität einiger Zeichnungen des Münchener Coder mit joldhen der venetiani- 
ſchen Reinjchrift von Taccolas Wert feftgeftellt, hat Herr Profefior Dr. Meyer bei näherer Durd) 
forſchung des überaus ſchwer leöbaren Inhalts die Beweife dafür gefunden, daß man es hier mit einem 
autographen Konzept zu tun babe. 


2. Kriegswiſſenſchaftliche Bilderhandicriften. 279 


Die trefflihe Ausführung der Zeichnungen und der originale 
Charakter des Ganzen geben diefem autographen Sammelbuche ein 
hervorragendes Interejfe. Allerdings enthält es (wie ja auch Fon- 
tanas Handichrift und die vorher erwähnten Florentiner Codices) jehr 
vieles, was nicht mit dem Kriegsweſen zu tun hat, und unter dem, 
was jich wirklich darauf bezieht, iſt eine große Maſſe freier Spekulation, 
die wohl niemals handgreifliche Gejtalt angenommen, niemals praktiſche 
Berwertung gefunden hat. Es waren geiitreiche Erperimente. Die 
Figuren find mit der äußerſten Raumerjparnis durcheinander gehäuft. 
Biele davon finden jich auch im Balturius wieder 8 10] und gehören 
überhaupt zum wandernden Gute dieſer Wiſſenſchaft; viele aber 
jheinen doch auch ganz original. Die dargeitellten Geſchütze ſind 
meiſt jprachrohrartige Feuertuben, die den Namen »bombarda« oder 
»bissula« führen. 

Eine Jauszügliche Bearbeitung und Reinjchrift diefes Münchener 
Autographs, welche vielleicht erit nad) Taccolas Tode fertig gejtellt 
wurde, befindet ji) in der Marcusbibliothef zu Venedig unter dem 
Zitel: »De machinis libri decem, quod scripsit 1449%«. 
Hinzugefügt ijt die Bemerkung »Eos Paulus Santinus addita 
praefatione Bart. Colleone didicavit«!. 

Es ijt eine geordnete Wiedergabe des Wejentlichen aus Taccolas 
Sammelbud). 


Bon bejonderem Intereſſe iſt die jorgfältige Darjtellung einer Rulvermine. 
— Unter dem Bilde eines mit 3 Minenjtollen untergrabenen Hügelſchloſſes jteht 
folgende Erläuterung: „Fiant caverne per fossores penetrantes usque sub 
medium arcis. Ubi senserint strepitum pedum sub terra, ibi faciunt 
cavernam latam ad modum furni, in eam immittuntur tres aut quatuor 
vigites sursum apertos plenos pulvere bombarde; inde ab ipsis vigetibus 
ad portam caverne ducitur funiculus sulphuratus.. Qui obturata porta 
caverne lapidibus et arena ac calce, accendatur. Sic ignis pervenit ad 
vigites, et concitata flamma, arx in medio posita comburitur““. 


8 20. 

Bon demjelben Baulus Santinus, welcher dem Werke des 
Taccola in Benedig die Vorrede hinzugefügt und es dem berühmten 
venetianijchen Eondottiere Bartolommeo Eoleone gewidmet hatte, bejitzt 

1) Bol. über dad Manujfript: Balentinelli: Bibliotheca manuscripta San Marei V 


1872, p. 193 und das V. Memoire des Promis zu Saluzzos Ausg. von Giorgio Martinid Trattato 
(Zurin 1841). 


280 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswifjenichaftlihe Werte. 


die Pariſer Nationalbibliotdef einen Tractatus de re militari 
et de machinis belliecis (cod. lat. 7239), welcher als »ma- 
nuscrit de Constantinople« großen Rufes genießt. Das prachtvolle 
mit ungefähr 400 Miniaturen gejchmüdte Pergamentmanuffript 
gelangte i. 3. 1688 in Folge der Bemühungen des franzöjiichen 
Sejandten bei der Pforte, des Nenegaten Girardin, aus dem Serail 
an den Marquis von Louvois. Ein jehr jchönes Fakſimile desjelben 
ließ der Gavaliere de Saluzzo anfertigen, mit dejjen Bücherfammlung 
es in die Bibliothef des Herzogs von Genua überging (ms. 311). 
Bor dem Pariſer Original iteht von der Hand Anſe's des Billoijon!) 
vermerkt: Tractatus »Pauli Sanctini Ducensis de re militari 
et machinis bellicis eleganter ibi depictis, scriptus sub eo 
tempore quo primum in uso fuit pulvis tormentarius, hoc est 
circa 1330 vel 1340.« 

Die Bezeichnung des Verfaſſers al® Ducensis veranlaßt Promis jeine 
Heimat in Duccio, einem piemontefiichen Flecken des Sejiatales zu juchen; indes 
jind die Santini eine befannte Familie Quccas, und jo wird ftatt Ducensis wohl 
Lucensis zu lejen jein. 


Die von Villoiſon angegebenen Jahreszahlen 1330 oder 1340 
find entichteden faljch?); denn der größte Teil von Santinis 
Arbeit ijt eine Wiederholung der zehn Bücher des 
Taccola, dejjen Erfindungen allerdings mehrfach verbefjjert und mit 
mehr Klarheit auseinandergejegt jind. Die Ausführung iſt jorg- 
fältig, und jo bietet ji in Paul Santinis Werk eine Quelle 
reicher Belehrung über das ältere Kriegsmejen dar, aus welcher denn 
auch von Carpentier, VBenturi, Omodei, Promis, Reinaud et Fave 
und Napoleon III. um jo eifriger gejchöpft worden it, als diejen 
Forſchern die durchaus ebenbürtigen deutjchen Ifonographien wohl 
meift ganz unbekannt geblieben find. — Einen eigentlichen Titel hat 
das Buch nicht; die Anfänge der Berzierungen desjelben jind vor- 
handen; aber der Binnenraum iſt unausgefüllt geblieben. Der In— 
halt zerfällt in eine kurze Einleitung und in den Bilderatlas. Jene 
Einleitung bat 20 Kapitel: 


!) Bgl. Notices des Mass. de la Bibliotheque du Roi. Vol. VIII. part. 24 An 1810 
ad. no. XVI. 

2) Auch Lorebon Larchey beteiligt fich in jeinen Origines de l’artillerie frangaise (Paris 1869 „ 
an dieſem Jrrtum und ftügt feine Anficht darauf, ba er angibt, bad Wert jei nicht, wie man meine, 
einem ungar. Könige (?) jondern einem griech. Kaiſer zu Nutzen gejchrieben, wie aus ben brei legten 
Seiten hervorgebe. 


2. Kriegswiſſenſchaftliche Bilderbandicriften. 281 


De pulsione guerre. (Aufzählung der zum Kriege notwendigen Dinge.) 
De pietate ducis bactaliarım. (Mit jchönem NRitterbilde und der Devife: 
„Quod uis nolo, quod nolis volo“. Die Anforderungen an den Feldherrn 
errinnern jehr an die Leos des Taktikers M. $ 8]). De providentia ducis contra 
hostes suos. De placentia ducis contra hostes suos potentissime impotentes. 
De tempore incipiendi bellum secum astrologia. (Wer Krieg führen will, 
bedarf einen astronomum valentissimum in arte sua. Großes Bild desjelben). 
De prudentia ducis commodica armor gente tempore noctis rumpentis 
hostes suos. De pulvere et vento contra hostes. De castellanis sive 
oppidianis exsite vincendis. Qualiter dux honeste abire debet ab hostis 
suis. Intereſſante Übereinftimmung mit dem deutichen Kriegsbuche von 1530 
XVI, $ 12]). De perrogativa solis. De recupatione ducis contra inimicos 
et hostes suos. De ponte transeundo sine strepitu. De hostibus capiundis 
sine proelio. (Alles, was der Feind genießt, wird mit einem Schlafmittel verjept, 
und dann überfällt man den Schlafenden).. De vincendis imbello hostibus 
igne. (Anwendung bon Feuerpfeilen gegen Reiterei). De victoria optinienda 
cum lumigeriis ac latergeriis tempore noctis contra hostes tuos, Civitates 
roche sive castella acqueruntur in casibus istis ex quibus dux bataliarum 
debet sepe scpius sus (?) memorie collorare et sunt iste videliae. (Dabei 
eine Anweijung bombardas und cerbatanas zu jprengen). De castello defen- 
dendo cum calana et pulvere sive igne. De castellis defendendis a machinis 
frangentibus muris. De castellis defendendis cum saxis, fumo et igne. 


Nun folgt der Bilderatlas. Jedes Blatt desjelben hat eine 
laterrifche Legende in gotiſchen Lettern. Hier können natürlich nur 
einige der bemerfenswertejten Daritellungen hervorgehoben werden. 

Ritter, die auf verfehrt beicylagenen Pferden reiten. (Falſche Färte.) Ber: 
laffenes nur vom Hunde bewactes Kajtell. Bewäfjerung des Feldes oder eines 
Fiſtungsgrabens durch fommunizierende Röhren. yeldlager. (Genrebild. Saum: 
tiere für Lagerbedürfnifie). Steigzeuge: arbor ambulatoria, scala ambulatoria. 
Sturmzeug: pluteus murus frangens, vinea ambulatoris pugnans. Fluß— 
iverre aus großen jchwimmenden beweglichen Klögen. Die Verſchiedenheit der 
Bejejtigungsanlagen in Bezug auf den Flußlauf. Steigzeuge: scalae ambulatoriae 
adcendi muros et descendendi intus ad aliam partem. — Qui in Italian 
vincere desiderat, der bedarf vor allem der Schiffe mit beweglicher Yandungs- 
leiter. — Zufammenzujegende Brüden. Reiter mit Feuerjtangen oder vielmehr 
Feuerförben, deren einer an der Yanzenjpige angebradjt ijt, während der andere 
an einer Stange hängt, die vom Sattel ausgehend zwiſchen den Ohren des 
Pierdes liegt. Hebelwert (levatorius ambulatorius utilissimus). Gewichts— 
glodenuhr. Schraubhebel. Currus bombarda. (Streitfarren mit feinem Geſchütz 
und beweglichem Blendſchirm). WMannigfaltige Leiterfontruftionen z. T. von 
überaus Künjtlicher Art. Turris ambulatoria. Grohe Standichleudern: Passarinus 
alias tolleone und manganum. — Die dargejtellten Feuergeſchütze jind von 
ſehr altertümlicher Form, fünnen aber nicht Mein gewejen jein, da zu ihrer Be— 


282 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswifienichaitliche Werte. 


wegung gewaltige Hebezeuge gebraudyt werden. — Auspumpen von Waſſer 
mittels Blajebälgen. Schöpfbrunnen mit Tretrad und Göpel. Pumpen. Wahl: 
werfe, z. T. mit Pferden. Untergrabung einer Burg und deren Eprengung 
durch pulvere bombarde. Zu jdjleudernde Feuerfäfler. Aquaeducte. Angriffs 
majhinen mit Brandkörben u. dgl., Seefahrzeuge mit Sturmmwiddern. Gepanzerte 
Kagen und Hunde mit Brandjeuern. Befejtigungen auf Injeln, in Baumwipfeln 
und auf Flößen. Zugbrüden. Wolfsgruben. Sturmpfähle Kaſtell auf zwei 
verbundenen Schiffen. Laternen- und Feuer-Reiter. Drei Feuerrohre auf einem 
Maultier. euer: und Sihelwagen. Scoppetarius (Reiter mit Feuerhandrohr, 
das auf eine vom Sattel ausgehende Gabel aufgelegt wird). Flußübergänge 
auf Furten, jhwimmenden Brüden und mit Shwimmgürteln. Inſtrumente zur 
Hebung verjunfenen, Gutes. Schiff- und Haften-Brüden. Transport von Kriegs— 
material, insbejondere Büchſen, auf Maultieren und auf Schiffen. Hafen, um 
Schiffe zum Kentern zu bringen. Taucher. Sturmtürme Bleide. Endlich: 
Zwei Karten, worunter eine mit Ortönamen das Nordgebiet der Balkanhalb— 
injel umfaßt und u. a. die Bezeihnungen: Belgrado, Rufjia, Bulgaria, Kon- 
jtantinopel, Adrianopel und Sofia aufmweilt. Solimbrea, Nitopoli$ und die 
ſerbiſchen Städte find mit dem Kreuz, Gallipoli, Eno und alle bulgariihen Orte 
mit dem Halbmond verjehen. 


Überblidt man diefe Inhaltsangabe, jo zeigt ſich, daß Santini 
(abgejehen von den beigegebenen Karten) den Gegenjtänden nach abjolut 
nicht anderes bringt, als was auch die älteren oder gleichzeitigen 
deutichen Bilderhandjchriften bieten. Aber auch die Art der Behandlung 
und Ausführung diefer Gegenjtände zeigt nirgends erhebliche Xer- 
jchiedenheiten oder gar Vorzüge, und jo muß man anerfennen, dab 
Santinis Arbeit ihren großen Ruf wohl vorzugsweije dem glücklichen 
Umjtande zu verdanfen hat, daß fie in der Pariſer Nattonalbibliotbet 
aufbewahrt wird, während die vielen gleichwertigen deutichen Manu: 
jEripte in den minder befannten, Eleineren Bücherfammlungen deutjcher 
Univerjitätsjtädte verjtreut find. 


8 21. 


Auch einer der berühmtejten Befeitigungsfünjtler Italiens iſt umter 
den Sfonographen aufzuführen: Francesco di Biorgo Martini, d. b. 
Francesco, Sohn eines Giorgio, Neffe eines Meartino. 

Er ward um 1423 zu Ciena geboren. Seine erjten Arbeiten waren Stulv- 
turen am Dome zu Orvieto. Dann ftand er ald Ingenieur im Dienfte des 
Herzogs von Urbino, jpäter in dem jeiner Baterjtadt Siena, erbaute ferner in 
der Nähe) Roms die Veſte Campagnano und legte 1492 gegen die befürchtete 
Landung der Türken in Apulien Küftenbefeftigungen an. Im Alter wurde er 
Mönch und ftarb etwa um 1506. Seine militäriihen Kenntnifje erwarb er un- 


2. Kriegswiſſenſchaftliche Bilderhandſchriften. 283 


zweifelhaft am Hofe Federigos don Urbino, Gonfalonieres des Papſtes, eines der 
tapferften und friegsfundigjten Fürſten des damaligen Italiens. Wohl auf An— 
regung diejed, auch als Ingenieur befannten Feldherrn, jchrieb Francesco feine 
Abhandlungen über die Architeftur und über die Majchinen. 

Die friegsbaumifjenichaftlichen Leiſtungen des ausgezeichneten 
Sienejen werden an anderer Stelle näher gewürdigt werden [8 76]; 
hier joll jener nur im allgemeinen gedacht und ein Wort über jeine 
die Kriegsmaſchine betreffenden Arbeiten gejagt werden. 

Die wichtigſten Handjchriften jind die folgenden: 

Der Eoder 148 in der Bibliotheca del Duca di Genova zu 
Turm, welcher aus der Bibliothek des Gavaliere Saluzzo jtammt. 
Es iſt ein Originalmanuffript Francescos, und umfaßt ſowohl den 
Trattato d’architettura wie den Machinarum liber. Sehr 
jaubere jchöne Ausführung auf Pergament ; Eleine Initialen auf Gold- 
grund; Ddurchlaufender Text; unendlich viele NRandzeichnungen des 
Autors. 

Der Eoder XVII, 1.31 in der Nationalbibl. (Uffizien) zu Florenz, 
welcher aus der Magliabechiana jtammt. Ebenfalls Autograph und im 
wejentlichen gleichen Inhalts wie der Coder Saluz30-Genua. 

Der Eoder 238 der fgl. Privatbibl. zu Turin enthält nur den 
Trattato d’architettura u. zw. in einer Abjchrift aus dem 16. Ihdt. 

Der Eoder 383 derjelben Bibliothek, Pergamentblätter in grünem 
Sametbande, jind das Originalmanujfript der Abhandlung über 
die Maſchinen. ES hat feinen Titel, jondern beginnt mit folgenden 
Worten: »Ad Incelytum Principum Fredericum Urbinatum Fran- 
cisci Georgii Senensis opusculum de Architectura ipso pietum 
atque excogitatum praefatio«. 

Gleich einigen deutichen Jkonographien eröffnet auch dieje ein Bild Aleranders 
». Gr. Bon dem Inhalt verdienen hervorgehoben zu werden: — Bl. 9a drei 
Heine Büchſen früheſter Konftruftion; 9b Sturmbalten ; 10a jahrbare Schilde; 
10b Blide; 11b Hebezeug für ein jchon moderneres Langgeſchütz; 18a Büchſe 
iehr alter Form, die vor einem Anſtoß liegt und durd große Kaſten gededt wird, 
welche fie wie Schartenwangen rechts und links einjhliehen; 18b Waffen und 
Werkzeug; 25a und b Sturmleitern; 26a und b Geſchützhebezeug; 29a große 
Standjchleuder; 29b Steigzeuge; 31b auseinanderzunehmendes Ponton; 33a und 
b Bliden mit einem, bzw. zwei Gegengewichten; 34a und b Sturmzeug (Hütten 
u. dal.); 35a und b jahrbare Sturmleitern; 39a Annäherungshindernigmittel 
Bolfsgruben, Fußangeln u. dgl.); 39b Brüden; 41b Schiffbrücke; 48a Bombarde 
ſehr alter Konftruftion, die einen mächtigen Bolzen ſchießt, der faſt jo lang iſt als 


284 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


das Geihüg. An dem phallusartigen Balten jind mit Ketten zwei Kugeln be- 
fejtigt. 48b Blide; 62b lÜÜberjchreitung von Gewäſſern auf Schläuchen, Tonnen 
u. dgl. m.; 64b Steigzeuge; 668 Blide; 67b Mine und zugleich Andeutung, 
wie eine Durchtunnelung mit Hilfe der „bosola“ vorzunehmen [$ 18]; 70a Schwim: 
mende auf Luftkäſten; 70b Grundriß einer reisförmigen Feitung mit runden Boll: 
werten 8 18]; 72a Blide mit zwei Gegengemwicdhten; 72b zwei primitive Yang- 
büchjen mit ganz rohen Glevationsvorridtungen Pfoſten mit durdhgeitoßenen 
Balfen ald Auflager); 75a Grundriß einer freisförmigen Feitung, faſt wie TOb: 
75b VBiered- zeitung mit Barbacane; 76a Feitung in Rautenform mit kreis— 
fürmigen Bollwerten u. dgl. m. 

Dies Inſtrumentenbuch, das übrigens auch jehr viel nicht mili— 
täriiche Dinge enthält und einerjeits an die Florentiner Ordegni 
mecanici [$ 18], andererjeit8 an Taccolas Entwürfe erinnert 8 19], 
wurde 1. 3. 1568 von dem Herzog Guido Ubaldo Urbino dem Herzoge 
Emanuel Bhilibert von Savoyen, dem ausgezeichneten Feldherrn Karls V. 
und Philipps II., zum Geſchenk gemacht. Ein Fakſimile derjelben befindet 
jich in der Biblivthef des Herzogs von Genua (ms. 179). 

Der Eoder S. IV. 5 der Libreria communale zu Siena tt ein 
Autograph Francescos, ein Sammelbuch, das jich zu dem eben be- 
jprochenen Quriner Coder ungefähr jo verhält, wie die Münchener 
Handjchrift des Taccola zu dem Manujfripte in der Marcusbibliothef. 
Sein Inhalt erinnert im höchſten Maße an die Zeichnungen der deutjchen 
Bilderhandjchriften, wimmelt aber fajt noch mehr als diefe von Un— 
wahrjcheinlichkeiten. 

Bemertenswert jind: Bombarden aller Art mit gewaltigen Anſtößen; Leitern, 
Hebe- und Schleudermajdinen, Tonnen und Sciffbrüden, Schiffe mit Rädern. 
Andentung von Höhenmeflung und Entfernungsmeflung. 

Eine Kopie diejes jienefiichen Coder v. 3. 1837 befindet jich in der 
Bibliothek des Herzogs von Genua zu Turin (ms. 333). 


8 22. 


Von bedeutendem Wert iſt ein italienisches Bildermanujfript aus 
der zweiten Hälfte des 15. Ihdts. in der Nationalbibliothef zu Paris 
(Fonds du Roi no. 6993). Es jind Zeichnungen ohne Tert, ohne 
Titel und Datum, aber von großer Eleganz der Formen und Orna- 
mente und jener klaren, jchönen Anjchaulichkeit, welche die italientichen 
Arbeiten fat zu allen Zeiten aufgewiejen haben. 


Das M. ©. enthält 135 kolorierte Gefhüßzeichnungen, nämlich 34 jchwere 
Bombarden, 5 Kanonen mit Schildzapfen in Xaffeten, 5 Kanonen auf Rad- 


2. Kriegswifienichaftlicye Bilderhandicriften. 985 


laffeten, 25 Golumbrinen auf Gejtellen, 46 Hakenbüchſen und 1 mörferartige 
Bombarde. — Man hat es hier offenbar mit dem bildlihen Jnventare eines 
Arjenald zu tun, wie dergl. ja damals auch in Deutſchland bergejtellt wurde. 
862) General Favé hat in den Etudes III p. 170 ff. einige diefer Zeichnungen 
reproduziert. 

8 23. 

Die italienischen Künftler des 15. Ihdts. haben ſich viel mit dem 
Kriegswejen beichäftigt, und jo enthält auch ein Driginalmanujfript 
des Bonaccorjo Öhiberti, des jüngeren (geb. um 1465), welches in 
den Uffizien zu Florenz aufbewahrt wird und eine herrlich gezeichnete 
„Schule der Architektur und Plaſtik“ vorjtellt, eine Menge von mili- 
tärtichen Gegenjtänden. Manches davon ift genau in derjelben Weife 
dargejtellt wie bei Valturius. — Bemerkenswert erjcheinen: 

Eine mittelalterlihe Stadtmauer mit vorgelegter Barbacane. Eine jehr 
mertwürdige Stadtbefejtigung: Tenaillenfront mit Türmen auf den ausjpringenden 
Binkeln, während in den einjpringenden die Thore liegen. Eine Bajtille franzöfticher 
Art mit einem halbmondförmigen Brüdenfnopf vor der einen Curtine. — Kurze 
Sinterladungsbombarden ; Serpentinen auf hohen Rädern mit einer Vorrihtung, 
welde gejtattet, die das Rohr tragende Lade auf dem Lafetenſchwanze ſowohl jeit- 
wärts als auch jenfrecht zu bewegen; Handrohre (Kantenläufe), davon nur eines 
mit einem Schaft, der bis zur halben Länge des Rohres läuft; Elbogengeſchütz; 
Mörjer mit jehr langer Kammer; Serpentine mit Richthörnern auf dem Lafeten- 
ſchwanze; dergleichen auch zu dreien auf einer Lafete; Bombarde in Lade, am 
Boden mit beweglihem Sicherungsichilde für die Bedienung. (In den Laden 
iind die Gefhüge mit Seilen fejtgejhnürt; mur die Mörjer zeigen am Fluge 
Ihildzapfenartige Anjäge, mit denen fie auf dem Stuhle ruhen u. zw. anſcheinend 
jentreht. Die Bombarden haben am Boden Schraubengewinde, um in einen 
‚metallenen ?) Anjtoß verichraubt zu werden.) Hebezeug für Geihüß; Rohre, die 
mit 4 Ausjtoßladungen 4 Geſchoſſe feuern. — Großes zweigejchofjiges freisrundes 
Feſtungswerk aus Flechtwerk, wie ein ungeheuerer Bienenforb mit Schießicharten. 
— Miedriger Turm mit nevroballijtiicher Pfeilmaſchine (wie bei Valturius); 
Shußmajcine, die einen Wurfipieß dur eine mächtige, aus der Senkrechten 
tüdwärts gebogene Feder fortſchnellt (desgl.); von Ochjen gezogene Sichelwagen ; 
tahrbare Türme; Ebenhöche; fahrbare Schirme und Geſchütze dahinter; Hebel, 
um einen Mann auf die Mauer zu ſchwingen; mausjörmige Angriffsfarren, deren 
Inneres gewaltige Schrauben füllen (wie bei Valturio); Sturmleitern der ver: 
ihiedenften Art; Bliden; Teftudo; Widder; Tonnen- und Schiffbrüden; Schweins- 
läde, mit deren Hilfe Waſſer überſchwommen werden joll. 


Auch diefe Ikonographie zeigt den alten Beſtand des Kriegs— 
gerätes in dem vom Mittelalter, bezüglich von der Antike überlieferten 
Formen, mit manchem Abenteuerlichen untermijcht. Es iſt bezeichnend 


286 Das XV. Jahrhundert. TI. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


für alle diefe Werfe, daß jie Lieber die traditionellen Figuren nad) 
bilden, als unmittelbar ins volle Leben greifen und ihre Vorbilder 
auf dem Waffenplage oder auf der armierten Stadtmauer ſelbſt Juchen. 


5 24. 

Die bei weitem bedeutendfte Erjcheinung unter den Italienern 
des 15. Ihdts., welche jich mit dem Kriegsweſen beichäftigten, ijt um- 
zweifelhaft Lionardo da Vinci. — „Die ungeheueren Umriſſe von 
Lionardos Wejen wird man ewig nur von ferne ahnen fünnen!“ ruft 
Burdhardt in feiner „Cultur der Renaiſſance“, und in der Tat jteht 
man in da Vinci wohl der gewaltigjten jener wunderbar vieljeitigen 
BVerjönlichkeiten gegenüber, welche im Quattrocento und im Cinque 
cento fait auf allen Gebieten menjchlichen Wirkens Ausgezeichnetes 
geleiſtet haben. 

Lionardo ward 1452 auf dem Kaſtell Vinci geboren und lernte zu 
Florenz malen, modellieren, goldihmieden und weben, pflegte aber zugleich eifrig 
mathematische Studien jowie Mufit. Etwa um 1480 jcheint er als Ingenieur 
in den Dienjt des Sultans von Ügypten getreten und mehrere Jahre mit ted- 
nijchen Arbeiten in Syrien bejhäftigt gewejen zu fein. Dann vertaujchte er 
diejen Dienjt mit dem des Herzogs Lodovieo Sforza (il Moro) von Mailand. 
Hier gründete er eine Akademie der Wiflenjchaften, begann 1490 jeinen „Zraftat 
von Licht und Schatten“ und ſchuf zugleich jein wunderbar jhönes „Abendmahl“ 
jowie ein Neiterjtandbild des Herzogd, das jpäter von den Franzoſen zerjtört 
wurde. Daneben bejchäftigte ihn die Schiffbarmahung des Kanal? von Marte- 
jana und die Kanalijation des Ticino. Nach dem Sturzge des Herzogs lebte 
Livnardo anfangs auf feinem Landfige ganz den Studien, wandte ſich dann nad 
Florenz, um neue Lorbern als Maler zu erwerben, trat jedod) 1502 als „Ingegnere 
Generale“ in den Dienjt des Ceſar Borgia, um die Befeitigungen dieſes Füriten 
zu befichtigen, zu verbejjern und neue zu errichten, ſowie Kriegsmaſchinen zu er 
bauen. Aus dieſer Zeit dürften die meiften feiner friegswiljenichaftlihen Zeich— 
nungen herrühren. Bon 1507 bis 1511 lebte Lionardo wieder in Mailand, 
vorzugsweile mit buydraulifchen Arbeiten, Duellenbohrungen u. dgl. bejichäftigt 
Im Jahre 1514 jiedelte er nah Rom über; dod) die Abneigung des Papites 
und Michelangiolos Eiferjucht hinderten ihn an größerer künſtleriſcher Tätigkeit: 
er bejchäftigte jich vorzugsweife mit dem Problem des Fliegens und der Yuft- 
ihiffahrt, bi8 er 1517 einer Einladung Francois’ I. folgte und jeinen Wohnfig zu 
Amboije nahm, wo er zwei Jahre jpäter jtarb. 

Lionardo hinterließ feine Handzeichnungen und Manujfripte 
jeinem Freunde Francesco da Melzo. Es war ein unermeßlicher Schat, 
der jegt viele Foliobände füllt. Die Vorarbeiten für jeinen Traktat 
über die Malerei, der zuerjt eine willenjchaftliche Begründung diejer 


2. Kriegswiſſenſchaftliche Bilderhandichriften. 287 


Kunit unternimmt, aſtronomiſche und geophyſikaliſche Unterjuchungen, 
mannigfaltige Majchinen, Brüden, Schleujen, Schwimmgürtel und 
Zaucherhelme, Fallichirme und Flugvorrichtungen, Andeutungen über 
die Bewegung einer Barfe durch Dampf, die Behandlung dynamijcher 
Probleme, hydrojtatiiche Experimente, Unterfuchungen über die Natur 
des Feuers und des Lichtes, perſpektiviſche, optische und anatomijche 
Abhandlungen, architeftonijche Entwürfe und endlich eine Fülle friegs- 
techniſcher, insbejondere auch artilleriftiicher Angelegenheiten, füllen 
dieje Bände. Da Lionardo jeltjamerweife mit der linfen Hand von 
rechts nach links jchrieb, jo bieten jeine Schriften für die Entzifferung 
die denkbar größten Schwierigfeiten !). 

Die Manujfripte find nicht beifammen geblieben. Eine Anzahl derjelben 
faufte i. 3. 1610 Graf Arundel, und dieje befinden ſich jept im Britiſh Muſeum; 
andere famen in Beſitz des Lords Aſhburnham und find neuerdingd von der 
italieniijhen Regierung getauft und der Laurentianiſchen Bibliothef in Florenz 
überwiejen worden?) ; die meijten aber gelangten an die Ambrofianiiche Bibliothet 
zu Mailand. Leider wurde dieſe Hauptjammlung von den Franzojen nad) Paris 
entführt; nur der von Pompejus Aretin im 17. Yhdt. zufammengeitellte „Eoder 
Atlantieus“ blieb in der Ambrojiana zurüd. 

Der Eodice atlantico, wohl die merfwürdigjte Ikonographie 
der Welt, enthält 400 Blätter mit 1700 Entwürfen, welche ſich 
großenteils mit ganz denjelben Problemen bejchäftigen, wie all die 
übrigen Bilderhandjchriften des 15. Ihdts., aber nicht im Sinne des 
Sammlers und Kopijten, jondern in dem eines jelbitändigen denfenden 
Geiſtes, eines tiefjinnigen genialen Forſchers. 

Als Lionardo mit Zodovico Moro über feinen Eintritt in mat- 
ländiſche Dienſte verhandelte, erbot er ſich diefem Fürſten gegenüber, 
tolgende Dinge berzuitellen: 

1. Sehr leicht zu transportierende, jchnell zu jchlagende und abzuräumende 
Brüden. 2. Jnjtrumente zum Ableiten des Waflerd aus Feſtungsgräben und 
zur Herjtellung von Fallbrücken. 3. Minenanlagen. 4. Bombarden zum Schießen 
von Feuerkugeln und Rauch (alſo Mörjer). 5. Untergrabungen. 6. Offenfive 
und defenfive Streitwagen mit Artillerie ausgerüjtet, hinter denen Fußvolk ohne 
Schaden und Hindernis avanciren kann. 7. Jede Art von Geichügmaterial. 
8. Jede Art des alten Wurfzeug®: briccoli, manghani, arabucchi ed altri in- 





1) Dr. Jean Baul Richter hat in zwei Bänden eine Auswahl der Schriften Lionarbos mit 
ı22 Zafeln nad Handzeichnungen des Meifterd herausgegeben (Bonbon 1888). 

⁊) Trattato di Architettura militare e civile di Idrostatica, Geometria e Prospettiva, 
Libri di Mulini e Machine, Trattato di Fortificatione e Machine militari di Leon. da Vinct. 
Cod. membr. fol. XV, sec. Bemwunberungsmwürbige Zeichnungen ! 


288 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine triegswiilenichaftliche Werte. 


strumenti. „Je nad Erfordernis werde ich die Waffen bis ins Unendliche 
variieren“. 9. Waffen und Injtrumente für den Seetrieg, Pulver, Feuerwerk und 
Schiffe, weldhe der jchweriten Artillerie widerjtehen. 10. Hochbauten und Waſſer— 
bauten jeder Art. 


Alle dieje Dinge jind in der Tat im Codex Atlanticus vertreten. 
Die militärtich wichtigen Zeichnungen desjelben finden ſich in einem 
Fakſimile-Atlas vereinigt, welcdyer von dem Erzherzoge Rainer von 
Dfterreich dem Prinzen Ferdinand von Savoyen zum Gejchent gemacht 
wurde und den Titel führt: Disegni d’Architettura militare di 
Leonardo da Vinci, colle spiegazioni del medesimo, tratti dagli 
originali da Gius. Francois, Imp. reg. Primo Tenente e Luigi 
Ferrario.. Milano 1841. (Bibl. del Duca di Genova, no. 312). 
Die Darjtellungen jind hier in 6 Abteilungen zujammengejtellt. 

1. Pili, darde e fronde; triboli (Fußangeln), coltelli, fulminaria, ballestri 
und sbaratrona. 

2. Catapulta. Verſchiedene Schleudermajcdinen mit langem Arm, Meinem 
Löffel (darin Kugel), der durch plögliches Loslaſſen eines gewaltjam angejpannten 
bezw. aufgerollten Seiles oder durdy dad Zurüdjchnellen eines gewaltfam zurück— 
gebogenen Holzarmes in Bewegung gejegt wird. — Balista. Riejenarmbruite, 
darunter eine, deren Doppeljehne fünf Mannslängen hat. Auch Schleuderarmbruite. 

3. Attrezzi di Assedio. Sturmdächer mannigfaltigiter Konjtruftion. Leitern. 
Steigzeuge. Streitwagen mit folofialen drehbaren Sicheln bewehrt. Brüden 
aus zujammenzubindenden Hölzern. — Attrezzi castrensi. nijtrumente um 
das Anlegen der Sturmleitern zu verhindern. Befejtigung jchwerer Holztonjtruftionen 
in der Mauer. Enorme wagerehte Mübhlenflügel, durch mächtige Zahnräder 
hinter der Mauer bewegt, fegen den Wallgang und machen jeden Aufenthalt auf 
demjelben unmöglid. 

4. Archibugi e Spingardelle. Primitive Handfeuerwaffen und Orgel 
geſchütze, unter den lepteren einige jehr interefiante Konjtruftionen: rotierende 
Batterien von Bücjjenrohren, die auf dem Mantel großer Treträder in 4 bis 8 
Reihen tangential angebradt find, durd Drehung in die Schußebene gebradt und 
dann lagenweije abgefeuert werden. Drgelgejchüße, bei denen 12 Läufe von 
einem gemeinjamen foniihen Mantel umjchlojjen jind u. dgl. m. 

d. Canne di cannoni e di bombarde. Maße der Falkonen, Eolovrinen, 
Gannonen und Bombarden. Spingarde e bombarde montante Mannigfaltige 
Rihtungsvorrichtungen. (Doppellade mit Zähnen und Klemmkeil, Richthörner 
oder Schwanzitügen auf Bolzen für leichtere Gejchüge [tav. 23 und 32]. Die 
Bombarden liegen in jehweren Laden, die jedoch mit vier Rädern verjehen find, 
denen aber trogdem der mächtige Anjtoß nicht fehlt. Unter den Geſchoſſen für 
leichtere Geſchütze ericheinen noch wurfjpießartige Bolzen (tav. 32). — Mortai da 


I) Abgebildet bei Angelucci: Documenti inediti per la storia delle armi da fuoco 
Italiane. (Turin 1869). Hier finden fich auch interefjante Beiprechungen. 


2. Kriegswiſſenſchaftliche Bilderhandicriften. 289 


Bomba. Die Rihtung der Mörjer geichieht durh ein Zahnrad. Mörſer find 
bejonder® zur Berteidigung der Breche zu empfehlen; eine jolche it jtet3 unter 
einem Feuerregen zu halten. 

Bon ganz eigenartigem Intereſſe find die Angaben, welche Lionardo über 
den jog. „Architronito“, d. h. über eine Dampfkanone, macht und welche be= 
weijen, daB ihm der Gebrauch der Erpanfion des Wajjerdampfes ald bewegende 
Kraft befannt war. Wahrſcheinlich gab ihm das Vorbild des Heronsballes 
A. $ 11] Anlaß zum Entwurf des Arcditronito, den er, anjcheinend ohne jeden 
Srund, als eine Erfindung des Archimedes bezeichnet. Lionardos Beſchreibung 
der Dampffanone lautet wie folgt: „Der Arditronito ijt eine Majchine von 
jeinem Kupfer, welche mit großem Geräuſch und vieler Gewalt eijerne Kugeln 
tortichleudert und praftifche Anwendung findet (?). Ein Drittel diejes Injtrumentes 
beiteht in einer großen Majje Feuer und Kohlen. Wenn das Wajjer recht erhigt 
it, jo ſchließt man die Schraube des Gefähes, in dem es ſich befindet. Sofort 
entweicht alles Waſſer unterhalb, jteigt in den erhitten Teil der Maſchine und 
verwandelt jih in Dampf. Diejer wirft jo mächtig, daß man mit Staunen feine 
But fieht und das Geräujc hört. Die Maſchine warf eine Kugel von 1 Talent 
und 6. —“ Daß dieje Erläuterung deutlic) jei, wird wol niemand behaupten, 
und auch die beigegebenen Zeichnungen hellen jie nicht auf"). 

6. Fortificazioni. Vgl. unten $ 75. 

Auch mit Heritellung der Geſchütze und der Munition 
hat Lionardo ſich beichäftigt. 

Die Tafeln 3 und 4 des Codice Atlantico jhildern das Bohren oder viel- 
mehr Nahbohren der Kanonen. Das Injtrument, deſſen ſich Lionardo zu 
dieſem Zwecke bedient, ijt ein Eylinder, welcher der Länge nach mit Leiten von 
rehtwinfligem Querſchnitt und jcharfen Kanten bejegt ift, die in gleichen Zwiſchen— 
räumen von der halben Breite ihrer Köpfe aufgejtellt find. In dieje Leijten ijt 
nun merfwürdigerweije eine Spirale eingejchnitten, die allerdings das Rohr mit 
Zügen verjehen muß. Das in der Bearbeitung dargejtellte Rohr ift beiderſeits 
offen, aljo zur Hinterladung bejtimmt. Die vorne herausragende Bohrjtange ijt 
mit Drehhebeln verſehen). — Fünf Figuren bejichäftigen ſich mit der Her— 
tellung des Pulvers. Die eine zeigt einen Ofen für die Abdampfung der 
Zalpeterlöjung, die zweite eine Pulvermühle (Mahlgang mit zwei Steinen), die 
dritte einen Apparat zum Sublimieren des Schwefels, die vierte einen Troden= 
ofen umd die fünfte eine Mijchmajchine mit einem jchmalen um feine Are dreh— 
baren ſenkrecht aufgejtellten Stein, der die in einer Schale eingegebenen Sub- 
tanzen zermalmt und vermengt, während die Schale jih um ihre vertifale Are 
dreht ?). — An einer anderen Stelle gibt Lionardo auch ein Rezept zur Herftellung 
von griedhijhem Feuer. 


Endlich finden jich im Eodice atlantico auch einige Unterjuchungen 
über die Schteßfunjt, insbejondere über die Wirfung des Bulvers 


1) Abgebildet bei Grothe: Leonardo da Binci ald Ingenieur und Philofoph (Berlin 1874.) 
2), Ungeluccia.a. ©. °) Grothe a. a. ©. 


Jähns, Geſchichte der ſtriegswiſſenſchaften. 19 


290 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werfe. 


im Rohr, die zwar große Irrtümer und viele Dunfelheiten enthalten, 
doch interefjant find als einer der ältejten Verſuche, diefe Vorgänge 
wiljenjchaftlich zu erklären. 

Lionardod Auseinanderjegungen beziehen ſich namentlich auf den Einfluf, 
den Länge und Weite des Rohres, jowie die Stellung des Zündlochs auf die 
Kraftäußerung des Pulvers ausüben, dann auf die Urſachen des Rücklaufes und des 
ihm entiprechenden Steigen der Nateten, endlich auf die Umſtände, von denen die 
Tiefe des Eindringens der Geſchoſſe in ein Mauerwerf abhängt. Stein= und 
Bleigeſchoſſe werden hinſichtlich ihres balliftiichen Wertes verglichen; (von eifernen 
iſt dabei nicht die Rede). Flugbahn und Fluggejchwindigfeit werden erwogen, 
und da bemerkt Lionardo u. a.: „Die Kugeln der Bombarde machen eine Meile 
in 5 Beitabjchnitten . . .“ hierauf folgt eine nicht mehr deutliche Berechnung, 
als deren Nejultat er firiert, daß eine jolche Kugel in der Sekunde 110 Meter 
zurüdlege Y.“ 

8 25. 

Dies wäre eine Überficht der militärifchen Bilderhandichriften 
des 15. Ihdts.! Ihre Eigenart bejteht wejentlich darin, daß die Dar- 
jtellungen mannigfaltigiter Kriegs und Arbeitsgeräte um ihrer jelbit 
willen hingejtellt oder doch nur mit jparjamen Reimen bzgl. Beiſchriften 
begleitet, zunveilen auch (wie im deutjchen Vegez) mit fremden Terten 
ganz äußerlich verbunden werden. — Ein volles Jahrhundert Liegt 
zwijchen Konrad Kyeſer und Ludwig von Eyb, doch nicht viel wiſſen— 
ichaftliche Entwidelung. Ein ungeheuerer Stoff wird fajt ohne Kritik 
fortgeichleppt, Altes und Neues fompiltert; Dinge, die in den dar: 
geitellten Formen teil3 mißverjtanden, teil$ ganz unmöglich ind, 
werden immer wieder überliefert; denn obgleich man jie nicht begrifi 
und nicht ausführen konnte, jo imponierten jie doch. Es iſt großen 
teil8 ein ungeprüftes Erbe, das hier von Gejchlecht zu Gejchlecht 
weitergegeben wird und von dem das Wort des Fauſt gilt: „Du 
alt Geräte, das ich nicht gebraucht, du jtehjt nun Hier, weil dich mein 
Vater brauchte!“ Dft aber war auch) letteres nicht einmal der Fall, 
jondern es handelt jich um bloße Bhantafien, um „Abenteuer“. Hin 
jichtlich der Brauchbarfeit jtehen (wenn man vom Codice Atlantico 
abjieht) die alten Handjchriften den jüngeren voran; je mehr jte jich 
dent 16. Shot. nähern, um ſo krauſer breiten die phantajtiichen Ele 

1) Wal. außer ben jhon genannten Werfen auch: Bromis ın ben Memorie istoriale zu dem 
von Saluzzo herausgegebenen Trattato di Architettura de Francesco di Giorgio-Martini (Turin 


1841) — beſonders Memoria I — jowie Uzielli: Leonardo letterato e scientato im Saggio delle 
opere di L. d. Vinci (Mailand 1872). 


3. Dienjtordnungen. 291 


mente jich aus und entheben die dargejtellten Gegenjtände dem feiten 
Boden der Wirklichkeit. Dergleichen lag in der Zeitrichtung über: 
haupt: man erinnere ſich 3. B. der jeltjamen, faſt unausführbaren, 
jedenfalls höchſt unpraftischen Fahrzeuge in Burgfmairs „Triumphzug 
Maximilians!“ So mijchen ſich auch in den militärischen Sfonographien 
Erfahrung und Einbildung oft in unbefangener Kindlichfeit. Daneben 
aber quillt und jtrömt eine Fülle echten Lebens und treten uns Die 
Formen der Sriegsgeräte und Standwaffen, deren fich das 14. und 
15. Ihdt. tatjächlich bediente, Deutlich und klar entgegen, und jo nahe 
verwandt untereinander auch alle dieſe Werke jind, jo nahe, daß man 
jie auf den erjten Blick oft lediglich für Kopien ein und desjelben 
Originals Halten möchte: es jtimmt doc) feines völlig mit dem anderen 
überein; im jedem it irgend etwas Bejonderes enthalten, das dem 
anderen fehlt, und jo offenbart jich ein überfliegender Kormenreichtum, 
eine Miſchung alter und neuer Elemente, eine findliche Verehrung des 
Überlieferten neben phantajtijchem Erfindungsdrang, welche deutlich 
erfennen laſſen, daß all dies Treiben im Boden der Renaifjance 
wurzelt. Im Deutjchland wie in Italien offenbart es ſich in nahezu 
gleihen Formen; hier wie dort verjchwiltert jich einer pedantijchen 
Prlege der Tradition tief geheimnisvolles Sinnen und fühnes Hinaus— 
greifen in eine Welt wiljenjchaftlicher Technik, die man ahnte und die 
doch von dem zeitgenöjjtichen Können noch durch einen unüberbrüde 
baren Abgrund gejchieden war. Der literariiche Typus diejer Gärungs— 
periode ijt eben die Jkonographie, welche daher zu den charakteriftiichen 
Kennzeichen des Geijteslebens im 15. Ihdt. gehört. Weder vor Konrad 
Kyejer noch nad) Ludwig von Eyb tritt dergleichen in auch nur an- 
nähernder Eigenartigfeit und Fülle auf — unſere eigene Zeit, die ja 
in jo mancher Hinficht dem 15. Ihdt. ähnelt, etwa ausgenommen. 


5. Gruppe. 
Dienflordnungen. 
8 26. 

Die praktische Renaiſſance der Kriegskunſt läßt jich nad) 
drei Richtungen verfolgen: in dem Streben nach methodijcher 
Ordnung des gejamten Heerwejens, wie fie durch Einführung des 
Söldnerweſens und Erſtarkung der auf die Städte geſtützten Königs— 

19° 


292 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


macht möglich wurde und endlich jogar zum Erlaß feiter Ordonnanzen 
für dauernd aufzujtellende „ſtehende“ Truppenteile führte, dann in 
der mit einer neuen Einrichtung der Wagenburgen verbundenen 
Schöpfung eigentlicher Feldartillerie und endlich in der 
jtetig wacdjenden Bedeutung des Fußvolks. Dieſe drei 
Elemente durchdringen jich, wenn auch nad) Ort und Zeit in ver- 
ichiedener Weije, auf das Innigjte, und um diefen Zujammenhang 
richtig würdigen zu können, ift es notwendig, einige Worte über dei 
Entwidelungsgang der Taftif der Übergangszeit voraus: 
zuſchicken. 

Die Taktik des Mittelalters war die Taktik der Ritterſchaft. 
Nicht in dem Sinne, daß es jich dabei lediglich um die Taktik der 
Reiteret gehandelt hätte; das war nicht der Fall. Wohl jtand der 
Kampf zu Roß im Vordergrunde; feineswegs jedoch herrichte er allein. 
Gar nicht jelten focht auch die Ritterichaft zu Fuß; die Normannen 
waren darin borangegangen, Franzoſen und Deutjche nachgefolgt. 
Aber weder im Sattel noch zu Fuß führten die Schwergeharnijchten 
das Gefecht allein; für das einleitende Scharmütel ftanden ihnen 
Fernwaffen: Bogen und Armbrujt, ergänzend zur Seite, und das 
Fußvolk mit den blanfen Waffen bildete beim Fußgefechte die freilich oft 
ziemlich tote Hauptmafje. — Die herrjchenden taftiihen gormen 
waren für beide Arten des Kampfes, für den zu Roß wie für den 
zu Fuß, diejelben, nämlich zum Angriff der Keil, zur Ver 
teidigung der runde oder vieredige Haufen. 

Der Keil ift die uralt germanijche Angrifisform'), welche während 
des ganzen Mittelalter lebendig blieb 2). 

Der Einbrud mit einem ſolchen „Eberkopf“ beabjichtigt, den feindlichen 
Haufen mit dem eigenen zu durchreiten oder zu durchichreiten, dann im Rüden 
des Feindes Kehrt zu ſchwenken und den Gegner num von hinten ber aufs neue 
zu durchbrechen. Was Richer in diejer Hinfiht von den Kämpfen der Franken 
gegen die Normannen jagt (896 und 943 n. Ehr.), das gilt für das Reitergefecht 
der Deutjchen nod bis zu Ende des 15. Ihdts.: „Die Barbaren wurden durch— 
broden; dann machte man in ihrem Rüden Kehrt, durchritt ihre Haufen von 
neuem und dies gejhah dreimal hintereinander.“ 


') Bol. Jähns: Handb. einer Geſch. des Kriegsweſens (Leipzig 1880) ©. 438 ff. 

2) Ich teile in dieſer Hinficht die Anfiht des Generald Köhler (1886) im Gegenjahe zu ber 
von Rüftom, Delbrüd und Bürkli. Gegen Rüftoms Auffaffung babe ich mid bereits 1880 ın 
meinem Handbuch, ©. 920 audgeiprocden. 


3. Dienjtordnungen. 293 


Für den Gebraud des Keils im 13. Ihdt. find Alfons X. von Kajtilien 
und? Agidius Romanus Hafiiiche Zeugen [M. 88 28 und 19). Von den 
Stedingern heit es in der Schladht bei Altened 1234: „Hadden ohre jlacht- 
ordnung gemalet vorn ſpitz and achter breet“ "). — Im 14. Ihdt. jchildern den 
Keil als Augenzeugen ritterliher Kämpfe die Dichter: Peter der Sudenmirt 
(M.$ 32] und Meijter Ottofar. General Köhler hat überzeugend nachgewieſen, 
daß die Darjtellung der höfiſchen Dichter von der ritterlichen Fechtweiſe nur durch 
die Keilform der Schladhthaufen verjtändlihd wird. Eben dieje beherrichte aber 
auh die Angriffsweije des Fußvolkes. Wie Agathiad die Taktit der Alemanen 
bei Caſilinum 553 n. Chr. jhildert, indem er fagt, fie hätten die Form des 
griehiihen A angenommen und die Epite ihres Keiles habe dem Kopfe eines 
Ebers geähnelt, jo fochten aud) ihre Nahltommen 1339 bei Laupen im cuneus?) 
und bei Sempad) 1386 „mit dem Spitz ... alſo man zu jtrytende pfliget zu 
tunde“). Dasjelbe gilt von den Flamändern bei Rooſebeke 13824 und von 
den Lüttihern 1408 bei Othe>). In Bezug auf die Murtenſchlacht 1476 heißt 
es von den Schweizern: „Rattſchlagotten . . . . wie viel ſpitzen . . ..“) — ber 
bald nach sdem Murtenſtreite ſcheinen gerade die Schweizer zuerſt ſich von der 
teilförmigen Anordnung des Fußvolks, vermutlicd; wegen der überaus jchwierigen 
KRangierung, abgewendet zu haben und zum Gebraud vierediger Gewalthaufen 
übergegangen zu jein, alfo für Angriff und Verteidigung jih auf ein und diejelbe 
Srundform bejchränft zu haben. Die andern Deutjchen verharrten etwas länger 
bei der alten Angriffsform des Fußvolks. Das beweiſt u. a. eine Nachricht 
des italienischen Arztes Aler. Benedictus, welcher al® Augenzeuge der Zruppen- 
hau beimohnte, die Lodovico Moro 1495 bei Novara über das faijerliche Kriegs— 
volf abhielt, das ihm Georg von Ebenftein zugeführt hatte”). Benedictus jchildert 
die Ausführung eines „Spiegelmujters“, d. h. eines Übungsmanövers, wobei ſich, 
auf ein Signal hin, das Viereck plöglid zum Keile formiert habe. Diefer jei 
dann in Flügel abgejchwenft, und endlich Habe man einen Kreis, den gel, ge- 
bildet, indem die einen erjt langjam marjdierten, darauf Halt machten, während 
die andern im Lauf ihre neuen Stellungen einnahmen. — Der italienifche Kriegs 
ihriftiteller della Valle führt noch 1521 den Keil als regelrechte Formation auf 
XVL8$8]; aber im allgemeinen folgte die Infanterie aller Bölter den Schweizern 
dinfihtlich des ausſchließlichen Gebrauches vieredfiger Gewalthaufen aud) zum Angriff 
chon vor dem Beginne des 16. Ihdts. nad. — Die Reiterei blieb, in Deutjchland 
wenigitens, der Keilform länger treu. — Es gab 2 Arten der Keilordnung : die 
ine war ein einfaches Dreied, die andere, welche übrigens jhon im 12. Ihdt. 
von Saro Grammaticus als uralt erwähnt wird®), läht dem Dreied einen vier- 
‚digen Haufen folgen. Dies war die gewöhnliche Angriffsform der Neiterei des 

ı) Schuhmacher: Die Stabinger (Vremen 1865) ©. 243. 

r, Narratio de conflictu Laupensis. Gleichzeitige Duelle (Schweiz. Geſchichtsforſcher II). 

”, Jal. Twinger v. Königshofen. Gleichzeitige Chronik (Hegel, Deich. Stäbtechronifen VIII u. IX). 

+) Bericht Froiſſarts Chronique des Quatre-Valois und Chr. des Flandres. 

5) Monftrelet. Ed. Buchon, 182. 59) Bonftetten bei Ochjenbein: Urkunden zur Schlaht be» 
Rurten (Freiburg 1876), ©. 492. ) Alexander Benedictus bei Wende: Scriptores rerum 
rermanicarum (Leipzig 1767) II, 1612. 9 Historia Danica. I u. VI. 


294 TDas XV. Jahrhundert. TI. Allgemeine friegswifienichaftliche Werte. 


15. Ihdts. Co focht Albredt Achill 1450 am Weiher von Pillenreutb; io 
war die Anordnung, welche er feinem Sohne Johann 1477 für den Feldzug 
gegen den Herzog von Sagan vorjcdrieb [$ 28]; jo jtellen die Zeichnungen 
zu dem „Anfchlag über die Random zu ziehen“ 1478 das Verfahren dar, [ebd 
und jo gibt um 1480 Philipp v. Seldenecd mit allen Einzelheiten umd äußeriter 
BERG die „Feldbeſtellung“ der Reiterei 8 36). 

Für die Verteidigung tft die natürlichjte — 
unzweifelhaft die kreisförmige; denn ſie ſchließt bei dem geringſten 
Umfang den größten Inhalt ein. 

Inſtinktmäßig ſcharen ſich die wilden Roſſe zum Ringe, um den heran— 
dringenden Wölfen mit dem Schlag der Hufe zu drohen, und auch die Büffel 
wehren fi in jolden Ringen, die Hörner nad) außen. Für und Moderne, die 
wir uns eine ftrifte Verteidigung der Reiterei auf der Stelle faum vorſteler 
können, iſt es freilich widerſtrebend, Kavallerie in ſolcher Weiſe kämpfend denken 
zu ſollen, und doch iſt es für eine Reihe von Gefechten vom 11. bis 15. Ihdt. 
ausdrüdlich bezeugt). Das Fußvolk vermag man fi leichter in Ringe oder 
freisfürmige Haufen aufgejtellt zu denken; aber eine jolde Anordnung biete 
doch auch wieder jo eminente Schwierigkeiten Hinfichtlich der Nangierung, dar 
anzunehmen ijt, freisförmige Formationen feien entweder nur tumultuarijh aus 
der Marjhordnung oder von weichenden Gefechtstörpern zufammengeballt worden, 
oder man habe zunächſt jei e8 hohle, jei es volle Bierede gebildet und dann deren 
Eden abgerundet. Während des 15. Ihdts. ift die jo gebildete Mafje, der runde, 
jpießjtarrende Haufe, welchen die Landsknechte „Igel“ nannten, die allgemein 
übliche Berteidigungsftellung des Fußvolles. Fugger jcheint es im „Spiegel der 
Ehren“ als etwas ganz Bejonderes hervorzuheben, daß Markgraf Friedrich von 
Brandenburg i. 3. 1492 dem Könige Mar zu Ehren ein Feldmanöver ausführe: 
ließ, bei dem eine „gevierte Ordnung“ Fußvolls dur mehrere Reiter: 
gejhwader angegriffen mwurde®). General Köhler bemerkt hiezuf): „ES jcheint 
demnach, daß es ſich Hier um einen Berjud handelt, die jpitige Ordnung durd 
die gevierte zu erſetzen“. Dieje Anficht teile ich nicht; denn der Keil war niemalt 
eine Berteidigungsftellung; vielmehr glaube ich, e8 handelte fi um den Berjud, 
die Defenfip- Formation des Kreiſes durch eine ſolche im Viereck zu erjegen. 

Daß neben Keil und Kreis übrigens zu allen Zeiten flache wie 
tiefe VBieredshaufen, namentlich für das jtehende Gefecht, im 
Gebrauch waren, verjteht jich von jelbit. 

Die Bedeutung des Fußvolks im den feudalen Heeren fommt 
durch nichts anderes zu jo hoher Geltung, al3 durd) das Schützen 
gerecht. Während des Hundertjährigen Krieges mit Frankreich er: 
jcheinen die Archers der Engländer geradezu als das charakteriſtiſche 
Element des britiichen Heerwejens. — Indes alle dieje Erjchemungen: 


1) Bol. bie Beugnifie bei Köhler a. a. ©. IIIb, ©. 256. 
) ©. 1057. ?°) Kriegsweſen der Ritterzeit IIIb, ©. 263. 


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3. Dienjtordnungen. 295 


das Fußgefecht der Schwergerüjteten, das Ferngefecht der Bogner 
und Armbrujter, find doch im Sinne der Zeit immer nur accefjorisch, 
ind eim Beiweſen des eigentlichen Ritterfampfes, da8 man als uns 
entbehrlich hinnahm oder auch mitmachte, jedoch für nichts weniger 
erachtete, als für die grundlegende oder gar für die entjcheidende 
‚Form des Gefechte. Dies ſprach jich unverkennbar jchon in der 
Organtjation der Feudalheere aus; denn deren unterjte Einheit war 
die Gleve (lefe, Glene), d. h. der Reiterjpieß, la lance. Die 
Gleve aber bildete ein „ehrbarer” Mann, d. h. ein Schwergerüfteter 
mit jeinem Gefolge. Der mit der Lanze bewaffnete Glevener, „der 
Meiſter“, hielt em Streitroß und für die Reiſe einen Zelter; das 
Gefolge beitand urjprünglich) nur aus einem berittenen Diener; als 
dann aber jeit den Kreuzzügen die Fernwaffen an Geltung gewannen, 
verlangte man auch noch einen berittenen Schüßen und jchuf damit 
die jog. „Doppelte Gleve“, die alfo aus zwei Streitern (dem Meiſter 
und dem Schüßen) und aus dem Diener mit zujammen vier Pferden 
beftand. Ein Spießreiter, der bloß von einem Diener begleitet war, 
galt num nicht mehr als „ehrbarer Mann“, jondern nur als „Ein- 
ſpänniger“). Späterhin nahm — im Laufe des 13. Ihdts. — die 
Zahl der Schügen in manchen Gegenden noch zu, zumeilen unter 
Berzichtleiftung des Glevners auf das zweite Pferd; ja nach dem 
großen deutjchen Städtefriege (1388) wurde es in Süddeutjchland 
üblich, der Gleve außer den zum Gefecht meiſt abjitenden Schüßen 
auch noch zwei überhaupt unberittene Knechte beizugeben: einen Schügen 
und eimen Spießer. Troß dieſer allmählichen Umwandlung der Gleve 
war jedoch das infanterijtiiche Element derjelben jchon der Zahl nad) 
zu ſchwach, um nennenswerten Einfluß auf die Taktik zu gewinnen. 
Allerdings warben die Kriegsherrn neben der in den Gleven ver- 
tretenen feudalen Streitmacht auch Söldnerjcharen, die zuweilen jogar 
m überiwiegender Zahl zu Fuß auftraten; aber die treibende Kraft 
lag doch immer im den Gejchwadern der Gewappneten, in welchen jich 
diejenigen Männer zujammenfanden, die wegen ihrer Sugenderziehung, 
ihrer Lebenserfahrungen und ihrer Ausrüſtung jich jelbit und aller 
Welt als die eigentlichen und berufenen Kriegsmänner galten. Neben 


1) General Köhler in feinen ausgezeichneten Forſchungen über „Die Entwidelung bed Kriegs» 
weiens und ber Striegführung in der Ritterzeit” (ILIb, Breslau 1889) faßt dieſe Dinge 3. T. anders 
auf ; ich halte aber die Alten über diefe Frage noch nicht für geichloffen. Bol. ©. 270. Anmerf. 2. 


296 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswilienichaftliche Werte. 


dieſem Knochengerüſte des Heeres erjchienen die Söldnerjcharen faſt 
nur wie Fülle. — Wenn das anders werden follte, jo bedurfte es 
eines Kriegsvolfes, in dem der Adel (wenigjtens der Zahl nach) nur 
eine untergeordnete Rolle jpielte, und es bedurfte der Erfindung 
neuer Streitmittel, welche das Übergewicht der ſchwergerüſteten Ritter 
aufzuheben im jtande waren. — Das erſte diejer beiden Elemente 
war ein friegstüchtiges Fußvolk von Landleuten und Städtern, das 
andere waren die Feuerwaffen, zumal das Feldgeſchütz, und die 
Brüde zwijchen beiden Elementen war die Wagenburg. 

Kriegstüchtiges Fußvolk, ein „Heer der Gemeinen“, trat 
ichon während des 14. Ihdts. wiederholt und Feineswegs ohne Erfolg 
gegen Ritterheere in die Schranken. Die wejentlich zu Fuße fechtenden 
Flanderer bereiteten 1302 der franzöfiichen Chevalerie bei Kortryf eine 
furchtbare Niederlage, und diefer „Sporenjchlacht“ folgten von fieben zu 
jieben Jahren zwei andere friegeriiche Ereignifje, welche bewiejen, daß 
jich in den abgelegenen Gebieten des deutjchen Reiches, in den an Roſſen 
und Geld armen Gegenden der jüdlichen Hochgebirge und der nörd- 
lichen Marjchen, nicht nur die alte Bauernfreiheit frijcher erhalten 
hatte, als in den allen Welteinflüffen offenen Hauptländern, jondern 
daß die urwüchjige Kraft des dortigen Fußvolfes auch im jtande war, 
den gefürchteten Ritterheeren die Spibe zu bieten. Im Jahre 1315 
jiegten die Schweizer am Morgarten über den djterreichiichen, i. 3. 1332 
zu Oldenmwörden die Ditmarjchen über den norddeutjchen Adel. Bier: 
undzwanzig Jahre nad) dem Tage von Morgarten folgte dann der 
von Zaupen, und mit ihm beginnt die Blüte des eidgenöjjiichen Kriegs— 
wejens, welche aus der glüclichen Verbindung des intelligenten Bürger: 
tums mit der bäuerlichen Naturfraft hervorjproß und welche für 
Deutjchland, ja für Europa den Beginn eines neuen Lebens des 
Fußvolks bedeutet. 

In Deutſchland waren es, der Natur der Dinge nach, beſonders 
die Städte, welche die Entwickelung des Fußvolkes pflegten. Da 
aber die vorzüglichſten Gegner der Städte, ihre ritterlichen Nachbarn, 
weſentlich mit Reiterei fochten, ſo bedingten Kriegs- und Fehdezüge 
eine Geſchwindigkeit des Ortswechſels, der das Fußvolk zu genügen, 
oft nicht im ſtande war. Aus dieſem Grunde machte man es wenigſtens 
teilweiſe beritten, aber nicht auf Pferden, ſondern auf Wagen. — 
Wagenzüge waren ja den Streitern von jeher als Troß gefolgt, meiſt 


3. Dienjtordnungen. 297 


jogar in ungeheuerer Menge, und hatten, zu Wagenburgen zu: 
jammengefahren, von alters her den Truppen al3 Rüdhalt im Kampfe 
gedient. 

Als Rüdendedung und Zufluchtsort erſcheint die Wagenburg bei Leo VI. 
[M. $ 8], und iſt zu ſolchem Zwecke ſogar bereits mit Geſchützen verſehen. Die 
italieniſchen Freiſtaten folgten dieſem Vorbilde, wie das beſonders die Schlacht 
von Certomondo 1289 lehrt, und vielleicht hat Graf Philipp von Flandern, 
welcher dieſer Schlacht beiwohnte, jene Anwendung der Wagenburg in ſeine 
Heimat übertragen. Jedenfalls bildete er 1304 in der Schlacht bei Mons-en— 
Pevele aus feinen eng ineinander verſchürzten Wagen hinter der Armee eine 
dreifadhe Linie. In demjelben Jahre umgaben die Franzoſen ihre Lager bei 
Fampoux in der Nähe von Arras mit Wagen u. j. w.®). 

Seit der Berbindung des jtädtijchen Fußvolkes mit den 
Wagen traten dieje aber in eine ganz neue Bahn ihrer Ber: 
wendung. Sie wurden aus bloßen Impedimenten zu Erpediten. 
Die Königshovener Chronik berichtet z.B. zum Jahre 1332: „Under 
dem fam die gewonhait vf, daß die antwerglüte vf Wagens wurden 
ritende wanne man vßzogegte in reife (Krieg) Wann vormals gingen 
je zu fuße“. Dreihundert gewaffnete Fußgänger, welche Straßburg 
1354 dem Herzoge von Oſterreich zu Hilfe ſandte, „ritten“ zu je 
ſechſen auf einem Wagen. Und ſo findet man nun allenthalben fünf 
bis ſechs Knechte auf einem Wagen vereinigt, u. zw. ſtellen die Bilder— 
handſchriften dieſe Leute ſtets mit gemiſchter Bewaffnung dar, wobei 
die Fernwaffen (Bogen, Armbruſt und Handrohr) vorherrſchen. — 
War ſomit den Wagen, welche bisher immer nur die Rolle eines 
paſſiven Hindernismittels geſpielt hatten, eine wichtige Aufgabe im 
Bewegungskriege zugefallen, ſo lag es nahe, die Wagen auch im 
Bewegungsgefechte zu verwerten und von ihnen aus, als von 
überhöhender Stellung her, zu ſchießen. 

In den Schlachten auf dem Boverhoulder Felde (1381) und bei Roojebete 
(1382) bedienten ſich die Flamänder der fahrbaren Ribeaudequins, d. h. leichter 
mit Gejchügen bededter Karren, um ihr Heer zu umſchließen und jomit nicht 
nur durch das Hindernis, welches dieje an und für ſich darjtellten, jondern auch 
durch deren Feuerwirfung den Feind abzuhalten. In gleicher Weije dedten die 
Lütticher i. 3. 1408 ihre Flanken in der Schlacht bei Othee. 

Aber auch für die DOffenjive juchte man die Wagen nußbar 
zu machen. Man ging darauf aus, Vorrichtungen zu erjinnen, um 
Streitwagen ohne Gefährdung des Gejpannes unmittelbar an den 


1 al. Köhler a. a. O. 


298 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


Gegner heranzubringen. Diejem Bejtreben entjprangen die Erperimente 
mit Stoßwagen, welche durch Hinten angejpannte Pferde vorgejchoben 
werden jollten, Experimente, von denen fajt alle Ikonographien Ab- 
bildungen bringen. Daneben her gingen die mannigfaltigjten Kon— 
jtruftionen von Streitfarren, die, von Menjchenhand gejchoben, den 
Zwed hatten, in die mächtigen Haufen gejchlofjener Kreije oder Vierecke 
von Fußvolk oder Reiterei Breche zu legen und auf diefe Weile den 
eigenen Spiekerangriff Durch mechanische Winfelried-Taten vorzubereiten. 
— So lagen die Beziehungen zwiſchen Fußvolk und Heerwagen, als 
die Feuerwaffen höhere Bedeutung zu gewinnen anfingen. 

Das Geſchütz, welches bis gegen Ende des 14. Ihdts. lediglich 
zum Wurf oder zum hohen Bogenjchuß verwendbar gewejen war, 
hatte jeitdem durch Verlängerung der Rohre und bejjere Unterlagen 
die Fähigkeit gewonnen, dem direkten Schuffe zu dienen. Aber jeine 
Schwerfälligfeit und die Zujammenjegung der Heere, die noch vor: 
wiegend aus Neiterei beitanden, hinderte anfangs doch noch den ar: 
tilleriſtiſchen Erfolg. 

Bei Tannenberg (1410) erwies das Geſchütz fich mehr ſchädlich als nützlich: 
ja noch in der Schlacht bei Warna (1444), wo die polniſch-ungariſche Macht 
ebenfall3 aus Reiterei bejtand, konnte Hunyadi feine Artillerie nicht in der Front, 
jondern nur im Rüden des Heeres verwenden H. 

Inzwiſchen aber hatten Zahl und Bedeutung des Fußvolkes zu= 
genommen und zugleich) war das Gejchüg beweglich geworden, da 
man die Rohre einzeln oder zu mehreren auf Wagen und Karren ans 
brachte, d. 5. aljo, entweder die Heerwagen mit Artillerie ausrüjtete 
oder die bisherigen Streitfarren zu ganz eigentlichen Feldgejchügen 
umſchuf. „Wagen“ und „Geſchütz“ wurden gleichbedeutend. Wer 
seldartillerie verwendete, der verwendete eben Wagen; wer „Wagen“ 
hatte, der hatte Feldgeſchütz. Nun vollends zog man die Heer: 
wagen aus dem Hintertreffen, wo ſie als Wagenburg, als Reduit 
gedient, recht eigentlich ins Wordertreffen; nun vollends wurden jie 
zu einem gewaltigen Streitmittel. Als jolches finden wir jie denn 
auch in den Bilderhandichriften der Italiener wie der Deutjchen ; 
beiden Völkern aber war der Wagengebrauch bei weitem nicht jo 
natürlich und naheliegend, al3 den Stämmen der ojteuropätichen Ebene, 
den Slaven, bei welchen die Wagenburg oder (wie die Ruſſen es 


) Bol. Köhlera.a. ©. 


m 


3. Dienjtordnungen. 299 


nannten) die „Wanderjtadt“ (guljaigorod) von jeher eine ganz her- 
vorragende Rolle gejpielt Hat. So fam es, daß, als die Böhmen 
für ihren Glauben zu den Waffen griffen, ihr großer Feldherr Zizka 
dazu jchritt, in die Wagenburg oder (was damals eigentlich dasjelbe 
bedeutete) in die wagengetragene und wagenverjchanzte Feldartillerie 
den Schwerpunkt jeines Heeres zu verlegen. Dadurch gewann das 
hufjitiiche Heer, das ja zum größten Teil aus Fußvolk beitand, einen 
ſtarken Anhalt, der e8 widerjtandsfähig und bald jo furchtbar machte, 
daß der Schlag, den die Huffiten gegen das feudale Kriegsmejen 
führten, dies jtärfer erichütterte als alle bisherigen und für die Folge— 
zeit entjcheidend wurde. Das wichtigjte Streitmittel des emanzipterten, 
um jeine höchiten Güter fämpfenden Böhmenvolfes war die mit dem 
Fußvolk und dem Geſchütz eng verbundene, jehr mandvrierfähige 
Wagenburg. 

In der eriten Hälfte des 15. Ihdts. knüpfte fich auch die Fort— 
entwidelung des Fußvolkes vorzugsweile an die huſſitiſchen 
Einrichtungen, an den Wagenburgfampf, und ging alfo mit der 
des Geſchützweſens Hand in Hand. Aber eben bier trat bald ein 
Mipverhältnis ein. Die Kleinen Gejchüge, welche zur Armierung der 
Wagen dienten, wurden von anderen fahrbaren Feldgeichügen, von 
Kartaunen und Schlangen, zum Schweigen gebracht, denen gegenüber 
die Wagenburgen nun nicht mehr zu Halten waren. Infolgedeſſen 
löſte jich auch die Infanterie wieder von ihnen [os und verband ſich 
mit dem neuen Feldgeichüg. Die Elite des Fußvolkes wird zur 
Patrikularbedeckung der Artillerie; dieſe jelbjt gewinnt an Beweglich— 
feit. — Das erjte Fußvolk, welches ohne Wagenburg und nur mit 
geringer Artillerie, aljo wie im 14. Ihdt. lediglich auf ſich ſelbſt 
gejtellt, und doch mit großartigem Erfolge auftrat, war das der 
ihmweizerijchen Eidgenojjen in den Burgunderfriegen; die Tage 
von Granjon, Murten und Nancy machten Epoche; die eidgenöjftiche 
Fußvolkstaktik wurde im ganzen Abendlande zum Vorbilde genommen. 
Und da war es nun von großer Bedeutung, daß die Fernwaffen, 
namentlich die Feuerwaffen, bei den Schweizern nur eine untergeordnete 
Nolle ſpielten. Schildlos, doch in den Vordergliedern geharnijcht, 
führten fie mit beiden Händen den Spieß oder die Helmbarte, in 
geringerer Anzahl auch jogenannte „Kurzwehren“ ?). 





1) Bol. Bürlli: Der wahre Winlelried. Die Taltik der Urjchmeizer (Zürich 1886). 


300 Das XV. Jahrhundert, I Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


Der etwa 18 Fuß lange, jtarfe Langſpieß Hat bejonders den Zwed, 
das Fußvolk gegen den Anprall der jchweren Reiterei zu fihern. Die Mannſchaften, 
welche „die Stange hielten“, jtanden daher in den eriten Gliedern der Haufen 
und trugen den Stangharniih. Da deſſen Beichaffung koſtbar war, jo mußten 
die „Spießgefellen“ nicht nur jehr jtarfe, fondern auch einigermaßen wohlhabende 
Leute fein ; fie genojjen deshalb bejonderes Anfjehen. — Die Hauptmaſſe war 
mit der Helmbarte bewaffnet. „Helm“, eigentlid) „Halm“ heißt Stil, „Barte“ 
heißt Art; die Helmbarte ift aljo eine Stilart, welche jehr verjchiedenen Zweden 
diente. Um als Kurzſpieß gebraucht werden zu können, endete der etwa 9 Fuß 
lange Schaft mit einer ftarfen Spitze; um das Schwert zu erjegen, welches die 
Helmbarten-Männer nicht führten, war die vordere Seite mit einer Breitart ver- 
ſehen; um die Geharnifchten von den Pferden reißen zu können, war an der 
hinteren Geite ein Widerhafen angebradt, mit dem man in die Fugen der 
Ritterrüftungen eingriff. — Die Kurzwaffen waren befonders Morgenjterne 
und in der Folge für bejondere Gefechtszwede die Bidenhander (mit beiden 
Händen zu führende Langſchwerter). 


Naturgemäß wies dieſe Bewaffnung auf den Kampf in ge 
Ihlojjenen Majjen hin, und frühzeitig entwidelten die Schweizer 
die Neigung, jolche Maſſen jehr tief zu jtellen, wobei neben der 
Steigerung des Sicherheitsgefühles gegenüber den jchweren NReiter- 
gejchwadern vielleicht aud) der Einfluß des bergigen Geländes mit: 
gejpielt Hat, das ja nicht oft Gelegenheit bot, die einzelnen Körper 
eines größeren Heeres in breite Fronten auseinander zu falten. Dicjer 
legtere Umjtand hat denn auch vielleicht dazu beigetragen, die feilfürmige 
Aufjtellung, welche doch in den hinteren Gliedern jehr breit jein 
mußte, zuerjt bei den Schweizern verſchwinden und dem tiefgeitellten 
Viere weichen zu lafjen S. 293). 


Wie weit die eidgendjjiichen Einrichtungen von den andern Süd: 
deutjchen angenommen wurden, lehrt am beiten eine bisher noch 
nie gewürdigte Abhandlung aus dem letten Viertel des 15. Ihdts.: 
Philipps von Seldenet „Verzaychnus der ordenung“. [$ 36]. Bei 
aller Annäherung an das Vorbild treten dabei auch Unterjchiede 
hervor. Offenbar jpielen bei Seldenef die Schüßen eine größere 
Nolle als bei den Schweizern, wenn auch feineswegs eine jo große, 
daß fie als das treibende Element jeiner Fußvolkstaktik erjchienen. 
Auch bei ihm geht vielmehr deren Renaiſſance von der gejchlojjenen 
Kampfart mit den blanfen Waffen aus. Seldened jtellt jedoch dieje 
geichloffenen Mafjen nur ausnahmsweiſe jo tief wie die Eidgenoſſen; 
in jeiner Normalordnung jtehen jie nur ein Viertel oder (falls die 


3. Dienjtordnungen. 301 


Schügen von den Flügeln her ausgeſchwärmt find) ein Drittel jo 
tief al3 breit. Dieje Norm und damit zugleich die Gliederung der 
Heere in möglichjt viele Eleinere Haufen haben tüchtige deutjche Kriegs- 
ferner lange aufrecht zu erhalten verjucht [XVI. 89]; doch vergeb- 
(ih; auch in dieſer Hinjicht drang das jchweizerifche, hier durchaus 
nicht nachahmungswerte Betjpiel durch). 

Die jüdromanischen Völker, Italiener und Spanier, bei denen 
die Wagenburg böhmijcher Art niemals recht zur Geltung gelangt 
war, bedtenten jich doch meist der Streitfarren, um ihre Aufjtellungen 
Ihirmend zu umgeben. In Italien aber beitanden diefe gegen Ende 
des Jahrhunderts meiſt aus kleinen Gejchügen, den Cerbatanen Orſinis. 
[$ 45]. Übrigens nahmen die Italiener um die Wende des 15. und 
16. Ihdts. die eidgenöffiiche Fechtart an, wie es ſchon früher auch 
die Franzoſen getan, welche Louis XI. in Übungslagern unmittelbar 
von Schweizern drillen ließ. Am längſten bewahrten fich die Spanier 
ihre urjprüngliche Kampfart mit Rundjchild und Schwert oder Kurz- 
jpieß. Erjt während der großen Kriege in Italien gingen fie im 
zweiten Viertel des 16. Ihdts. ebenfalls zur jchweizerischen Taktik über. 


8 27. 


Es iſt vielleicht nicht ohne Bedeutung, nicht zufällig, daß Konrad 
Kyeſers Bellifortis in Böhmen gejchrieben wurde. Hier hatte ſich jeit 
Kaifer Karl IV. ein jtarfes Gefühl für jtatliche und kriegeriſche Macht 
entwidelt und jchon gegen Ende des 14. Ihdts. zu manchen praktischen 
Einrichtungen geführt, die im eigentlichen Deutjchland fehlten oder 
jelten waren. Dahin gehört bejonders die Aufjpeicherung genügenden 
Kriegsmaterials für das Aufgebot des Königreiches in wohlgeordneten 
Zeughäufern und Proviantmagazinen. Seit WenzeslausIV. lenkten num 
Stats und Kriegsweſen ganz entjchteden in die Bahnen altezechiicher 
Sonderart ein, und i. 3. 1413 jchrieb auf Wenzels Befehl fein Unter: 
fämmerer Hayef von Hodetin eine Kriegsinjtruftion gelegentlich 
eines Zugesgegen Putow von Riſenberg und Skal, in welcher jener Sonder: 
geijt bereits jtarf hervortritt. — Aber auc) in rein militärtjcher Hinficht 
iſt dieſe Neystarssj Ceské zrjzenj woyenske& sepsan& na rozkaz kräle 
Wäclawa od pana Hägka Hodetjna von bedeutendem Intereſſe!). 








1, Abdr. in der Beitichrift des Böhmiihen Muſeums I (Prag 1828), ©. 29—38. Deutſch im 
Gilb. Angers Illuſtr. Geſch. der !. f. Armee, I, ©. 112—117 (Wien 1886). 


302 Tas XV. Jahrhundert. I. Allgemeine friegswiiienichaftlihe Werte. 


Dieje Kriegsordnnung ijt die ältejte Fundgrube der czechiichen Kriegstermino- 
logie. Bemerkenswert find unter den Schußwaffen die pawezy, d. h. die großen 
Setztartſchen, und unter dem Fußvolke die Waffengattung der cepnici, d. h. 
der Flegler, welche eifenbejchlagene Drifchel führten, namentlich aber die wozy, 
d. h. die Kriegsmwagen. Bei jedem derjelben jollten 2 mit Schild und Lanze 
bewaffnete Knechte jein, unter dem Wagen ein Brett und eine Kette bangen. 
Ferner gehörten zum Wagen eine Hakenbüchſe (Mittelding zwiihen Geihüs und 
Handfeuerwaffe) jamt Zubehör, 2 Beile, 2 Schaufeln, 2 Kragen, 2 Arte, 2 Rade- 
hauen, 1 Spieß mit Hafen und Fahne jowie 1 Tarras (eine Art jpan. Reiters). 

Mit den Äxten, Beilen, Kragen, Radehauen und Schaufeln jollten beim 
„Zuge“ (Marich) Arbeiter vorausmarjcieren, um die Wege auszubeflern. 

Der Geijt religöjen Ernjtes, welcher Hayeks Kriegsartikel durch- 
dringt, erjcheint in der Kriegsordnung des Johann Sizka 
v. Triocnow, die diejer begeijterte Feldherr der Huſſiten jieben bis 
zehn Jahr jpäter dem bedrängten Ketzervolke gab, zu düjterer, doch 
hinreigender Gewaltjamfeit geiteigert!). 

Dur dieſe Kriegsordnung geht ein Zug jtrenger Asfeje, und mit mert: 
würdiger Menjchenfenntnis ijt alles berüdjichtigt, was kriegeriſche Majien ent- 
flammen und doch zugleid im Zaume halten fann. Überall wird darauf bin- 
gewiejen, daß es fi) um einen heiligen Streit handle. Die Marjhordnung 
ijt in einer bi8 dahin völlig unerhörten Weije bis in die geringjten Einzelheiten 
hinein geregelt und durch einjichtige Anordnungen gejichert, was um jo notwendiger 
war als die feßeriihen Deere nit nur aus Männern, jondern aud aus Weibern 
und Kindern bejtanden. — Den Beginn machen die vier Prager Artikel. Dann 
folgen dringende Ermahnungen zu Urdnung und Gehorjam, jtrenge Vorjchriften, 
das Lager nur nach Befehl des ältejten Hauptmanns aufzuſchlagen, zu verlafien 
oder zu verbrennen. „Bor dem Heeresaufbruche, vor einer Unternehmung oder 
Kundmahung eines Befehls, vor einem Ausfalle joll das ganze Heer zu Gott 
beten und in feinem Angejichte nieend den Leib des Herrn verehren . . . Dann 
jtellt jich das Volk, jede Schar unter ihrer Fahne in Ordnung; das Feldgejchrei 
wird verkündet und ſogleich beginnt der Marſch. Diejenige Schar, welche Befehl 
hat, an diefem Tage vorauszuziehen, bleibt bei den Fahnen und feine anderen 
dürfen ji) ihr beimengen. Much die Übrigen follen unter ihren Fahnen in Ord- 
nung fortziehen und fich nicht vermifchen, nicht aus den Haufen treten..... 
Sollten wir durch der Vorpojten und Hauptleute Nachläſſigkeit Schaden erleiden 

. jo jollen fie an Leib und Gut gejtraft werden, jie jeien gleich Fürſten 
oder Herren. Sollte uns aber Gott helfen und wir unſere Feinde jchlagen, ihre 
Schlöfjer, Veſten und Städte erorbern oder Beute im Felde machen, jo joll alles 
was dem Feinde abgenommen, es jei viel oder wenig, auf einen Haufen gebracht 


ı) Bisfas Hriegdordnnung ift vom Domherrn K. Ungern in ben Alten ber tgl. böhmijchen Ge— 
jellfchaft der Wiffenihaften für d. 3. 1790 (Wien und Prag 1791, ©. 389 ff.) verbeuticht worden. 
Ein Abdrud davon findet fih in Meynerts „Geſchichte Öſterreichs“. (Wien, 1842—1850. Bd. III, 
©. 561 f.), in Angers Geſch. der F. f. Armee. 1, ©. 119—120 (Wien 1886) und bei Gen. Köhler 
a.a.D. (III, ©. 358 f.\. 


3. Dienjtordnungen. 303 


werden. Dann mögen die dazu erwählten Ältejten aus den Herren, Rittern, 
Städtern und Bauern die Beute den Armen und Weichen nad) Billigfeit und 
Gerechtigkeit verteilen... .. Wer aber etwas eigenmädtig behält, der foll als 
ein Dieb der Güter Gottes und des Volfes an Leib und Leben gejtraft werden... .“ 
Zänterei, Händel, Lärm, VBerwundung und Todjchlag werden bei ſchweren Strajen 
verboten. Entweihung und unerlaubte Abjonderung find angeſichts des Heeres an 
Leib und Gut zu jtrafen. Würfler, Räuber, Blünderer, Säufer, Flucher, Huren und 
Hurer dürfen im Deere nicht geduldet werden. Handelt es ſich doch um einen 
Kampf um des lieben Gottes willen, für die Freiheit und Wahrheit des gütt- 
lichen Geſetzes und befonders zur Beſchützung der böhmischen und ſlaviſchen Nation. 

Bejondere Borichriften ergingen über Wahl und Befejtigung der Lagerorte 
(Berhaue, Wolfsgruben, Erdwerfe), Doc jind davon nur Bruchjtüde erhalten, 
welche Anlaß zu der Annahme gaben, Zijta habe ein eigenes Buch über Be- 
jejtigungsfunjt (de castramentatione) gejchrieben. 

Der Wagenburgen gedenkt Zizka in jeinem SHeeresgejege mit 
feinem Worte; aber gerade die Ausbildung des Kriegswagenfampfes 
wurde ihm die Grundlage jeiner durchaus rationellen Kampfweije und 
das vornehmſte Mittel, Defenfive und Offenjive auf das Zweckmäßigſte, 
ja in oft wahrhaft genialer Weiſe zu verjchmelzen ?). 


8 28. 


Die böhmijche Kriegsweiſe verbreitete jic mit großer Schnelligkeit 
über die Nachbarlande u. zw. auf dreierlei Art. Erjtlich traten viele 
Fremde, zumal Polen und galiziihe Ruſſen, unter die Fahnen mit 
dem Kelche, lernten die Huffitiiche Taktik fennen und brachten fie ihrer 
Heimat; dann aber zogen czechiiche Heerführer und Kriegsbanden ins 
Ausland, um hier entweder ald Söldner zu dienen oder das räuberijche 
Kriegsrottenleben der Hujfiten auf fremdem Boden fortzujegen; endlich 
(und dies war unzweifelhaft die wirfjamjte Propaganda) lernten die 
Feinde jelbjt im Striege von den Böhmen, würdigten den Wert ihrer 
Fechtart und eigneten ich diejelbe an. Ste waren geradezu genötigt, 
das zu tun; denn wenn fie Artillerie der Artillerie entgegenjtellen 
wollten, jo bedurften jie der Wagen u. zw. im Bordertreffen. Ver: 
fügte man aber einmal über Kriegswagen, jo war e8 nicht nur er: 
wünjcht, jondern unbedingt notwendig, mit ihnen zu mandvrieren, 
und wollte man die feindliche Wagenburg jtürmen, jo gebührte der 
Vorkampf dem Fußvolf; denn nur dies vermochte es zu leiften. So 
trat denn feit den böhmischen Kreuzfriegen in ganz Deutjichland das 

» Näheres in meiner „Geſchichte des Kriegsweſens“ (Leipzig 1880) ©. 891 ff. 


304 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


Fußvolk und mit ihm das Söldnerwejen in den Wordergrund der 
Heere u. zw. in jo enger Berbindung mit der Artillerie, d. h. mit 
der Wagenburg, daß man dies legtere Wort oft kurzweg für 
„Heer“ überhaupt gebraucht findet und daß die damals in Deutjch- 
land erlajjenen „Wagenburg-Ordnungen“ zumeiit auch „Deer- 
Ordnungen“ jind. 

Die ältefte deutjche Ordnung dieſer Art iſt diejenige, über 
welche jich die Fürjten und Stände Schlejiens 1421 auf dem Tage 
von Grottkau einigten. Sie betrifft die Ausrüftung der Wagen !). — 
Dann folgen die Gejege des Nürnberger Reichstages. 


Den Beginn madt der Entwurf des Reichsheergeſetzes von 14262. 
Diejer enthält feine taktifchen Vorſchriften; wohl aber finden fich deren, vermutlich 
auf Grund der Kriegsordnung Ziska's, in dem Heeresgeſetz vom Mai 14279, 
welches nur einige unwejentliche Bejtimmungen des Entwurfes vom vorhergehenden. 
Jahre fallen läßt und für den Fall von Streitigkeiten unter den Fürjten, Herren 
und Städten Schiedsgerichte angeordnet. — Wieder mit der Ausrüjtung der Wagen 
bejhäftigen fi die auf dem Tage von Nürnberg 1428 von den Kurfürſten 
erlajjene Verordnung) und die i. %. 1429 vom König Sigismund 
mit den jchlefiihen Fürften beratene Vorſchrift, welche er zur Nachachtung 
den deutjchen Fürjten und Städten mitteilte). Der König verlangt hier 18 Mann 
auf den Wagen, davon 6 mit Armbrujten, 2 mit Handbüchſen, 4 mit Hauen, 
4 mit Driſcheln und 2 als Fuhrleute. Zu jed Wagen joll eine Hawnice (Stein- 
büchje) mit einem Schod Steine gehören und auf einem bejonderen Wagen ge: 
fahren werden. — Das allgemeine Bild der Anforderungen an eine deutjche 
Wagenburg diejer Zeit gibt die vorzüglide Wagenburgordnung von 1430, 
melde das Nürnberger Archiv in „Alte Fragmenta von denen Gejhichten Königs 
Benceslai“ (S. I. L. 221) aufbewahrt). — Endlidy bringt die abjdhließende 
Bereinigung der Stände d. d. Nürnberg W10. März 1431 ein Heeres: 
gejeß, da& zugleich den Operationsplan für den bevorjtehenden Feldzug in Böhmen 
enthält \. Die Artifel 2 bis 8 jchreiben den Vormarſch in 7 Wagenburgen 
(Heeren) vor; Artikel 10 bejtimmt, daß die „Fußgonde . . . gli halb bußen 
und halb Armbrufte”* haben und in Haufen von 10, 100 und 1000 Mann ge— 
teilt werden jollen (11). Artikel 17 verfügt, dab die Vorhut täglich wechſeln, 
und 18, daß das Nennbanner den Mari eröffnen jolle. Wichtig jind bier auch 
die Vorfchriften über die Kriegszucht, zumal weil einige der betr. Artikel offenbar 
auf alter Überlieferung, insbejondere auf dem Heeresgeſetze Kaiſer Friedrichs 1. 


!) Script. rer. Silesiac. VI, ©. 11. 

2) Deutiche Reichstagsaften VIII, 170 Nr. 391. 9 Ebd. IX, 35 Nr. 81. * Ebd. IX, 165. 

5) Ebd. IX, 316. General Köhler bemerkt in Bezug auf biefe Berorbnung: „Aus einem 
Schreiben der Stadt Ulm an Nörblingen, dem eine Abſchrift der Verordnung beilag, erjeben wir, daß 
dieje für die Etädte neu war; denn Ulm fagt: an der ir merfen mugent, waz daz ift.” 

Bol. Würdinger im Anzar. f. Kunde d. deutich. Vorzeit. 1872, ©. 342 u. Jäahns a. a. O. 
©. 945. 7) Deutiche Reichdtagsalten IX, 537 Nr. 410, 


3. Dienjtordnungen. 305 


[M.$ 26] beruhen, während andere aus Zisfas Kriegsordnung herübergenommten fein 
dürften‘). Interefiant erſcheint auch die Bejtimmung, daß die Fürften Schöffen 
mit jich führen und ihnen einen Stroffer (Profoß) beigeben jollten. Es ift das 
der erite Anja zu einer Kriegsgerihtsordnung. 


Die Neichsgejege regten nun an zum Erlaß von Reglements 
einzelner Städte und Fürften jowie zu taftijchen Übungen mit 
der Wagenburg. Bon dahin gehörigen Aufzeichnungen find mir 
rolgende befannt geworden: 

Die Schickung von der Waynburg d. d. Marienburg 
19. April 1433. (Danziger Archiv, Schubl. 37, no. 53) 2). 

Die Forderung lautet auf 30 Wagen außer den „warpen oder Speihe- 
wayen“ und verlangt für den Wagen „10 manne und 4 oder 5 gute armbrojt 
mit ſyne pfilen im fücher und idermann eynen guten jchilt, item 4 qute lange 
lodbuchjen, zu iglicher buchjen 4 pfund pulver und 2 jchod gelote“ Gleigeſchoſſe). 
Item zu jedem Wagen „2 jchod pfile, 2 glevenyen (Spiehe), 2 jtark fethen, 1 hewe, 
I jpaten, 1 jchuffel, 1 bret czweyer guter finger dide, das da reichet an der 
breite enne jpannen von der erden“. Zu 20 Wagen gehört „eyn buchje, die eyn 
ſteyn jchujt als eyn gut haupt“. 

Die Wagenburgordnung für Frankfurt a. M. v. J. 14449), 

Die Übung mit der Waninburg zu Erfurt i. I. 1447), 

Die „Ordnung, die wir Marfgraf Albrecht (ſpäter Kurfürft 
von Brandenburg) gelegt haben vnd wöllen, daß jie von allen den 
unjeren joll gehalten werden.“ Sie jtammt aus d. 3. 1462°). 

Die Ordnung Markgraf Albrechts v. 15. Mat 1475 bzgl. 
der Einrichtung der Wagenburg im Falle eines Angriffs; ebenfalls 
im Nürnberger Archive ®). 

Die Ordnung Markgraf Albrehts v. 3. 1477, welche be- 
jonders durch die Vorfchriften über den Marjch der Wagenburg wichtig 
it. Sie bewahrt das fal. Statsarchiv zu Berlin (mappa marchica) ?). 

„Markgraf Albrechts Anjchlag über die Random zu ziehn 
mit einer Wagenburg von 300 Wagen und mit jechs Zeilen, 
an jeglicher Zeile 50 Wagen, die bis an den Furt, da man übers 
ziehen will, gehen jollen.“ Dieje Dispofition befindet jich mit mehreren 

1) gl. darüber Köhler a. a. O. III, ©. 222. 

2) Buerft mitgeteilt von General Köhler a. a. D. ©. 2%. 

>) Neujahrabl. d. Ver. f. Geich. u. Altert. Frankfurts. 1873. 

* Hartung KRammermeifters Erfurtifche Annalen in Mendend Scriptores rerum germani- 
carum, ©. 1195, wiebergegeben in Jaͤhns' Hanbbud ©. 945. 


5) Bol. Wür dinger: Striegägeihichte von Bayern II, ©. 380 (Münden 1868) u. Jähns 
a.a. D. S #7. 9) Bol. ebda. ©. 387, bagl. 948. ”) Bol. Jähns a. a. D. ©. 949. 


Jähnms, Geſchichte der Kriegswiſſenſchaften. 20 


306 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswijienihaftlice Werte. 


anderen Gefechts- und Belagerungs-Anjchlägen aus der Zeit des 
PBommernfrieges Albrecht Achills (1478 und 1479) in einem Coder 
des Kurmärkiſchen Lehnsarchivs. 

F. d. Raumer hat diejelben unter dem Titel: „Beiträge zur Geſchichte der 
Churmarf Brandenburg im 15. Ihdt.“ in dem von Leopold v. Ledebur heraus: 
gegebenen „Archiv j. Geſch-Kunde des Preuß. Staates“ I (Berlin 1830) wörtlich 
abgedrudt. — Der „Anſchlag über die Randow zu ziehn“ hat bejonderes Intereſſe 
dadurd, daß ihm ein Heiner von Raumer reproduzierter Plan beigefügt ijt. Die 
Pommern jtanden jenjeits der Randow mit dem r. Flügel an das Schloß Vier- 
raden gelehnt, das auf dem Plan in Gejtalt eine rumden grabenumgebenen 
Turms dargejtellt ijt. Bon den 6 Zeilen, die fi) aus der in aus und ein- 
ipringenden Linien gehaltenen Wagenburg auf den Fluß zu entwideln, iit das 
in der Mitte marjchierende Heer eingejchlofien. Es bejteht aus dem Hauptbanner, 
dem in feilförmiger Anordnung 2 Haufen Schügen und ein Haufe „Spigbrecher“ 
vorausgejandt find. Der Übergang gelang; denn es folgt auf ihn „Wie man 
ji auf Vierraden fürgejchlagen hat am Montag nad) Exaltationis anno 1478“; 
u. zw. geſchah der „Fürſchlag“, d. 5. die Belagerung, auf beiden Ufern der 
Randow. 


Eine rem wiſſenſchaftliche Behandlung des Gegenſtandes bietet 
endlich: Die „notdurfft ordenung vnd geſchick der wagenburck 
in ein feldt zu denen Veind vnd von denn Veindenn“, welche 
den Beginn von Philips von Seldenecks „Verzaychnus der ordi— 
nung“ bildet und etwa um 1480 gejchrieben jein dürfte. 8 36). 
Der wejentliche Inhalt diejer bisher noch nicht veröffentlichten aber 
hoch interefjanten Abhandlung it folgender: 

„Zum eriten: einen gutten wagenburdmeijter, dem man getramen 
muß vnd der weiß derjelben anfangk vnd alle zugehorung zu gebenn vnd das zu 
jagen vnd weh auch antworth vmb die frage der wagenburgk . . . zu geben. 

Ein jegliher reiiwagen zu der wagenburgf fol mit fetten gejchidt jein. 

Zu jeglihem reißwagen geboren drey redlich fnecht, zuvorderjt das der 
ein hun wol faren — vnd die zwey joln wol geupt jein mit jren wern vnd mit 
jren darjtehn vff den jätteln, auch vff den wagen wartten und helffen futteren. 

Ein jeglicher wagen jol habenn zwue jhauffeln vnd zwue hawen vnd zween 
baden oder pideln vnd zwey multerlein (?) vnd etlich vberrich ſeyle, auch ein 
oder zivenn vberich fettel, die zugericht ſein mit gurtten vnd jtegeraif. Vnd fol 
haben ein jeglicher wagen ein gut fehlein, das wol gepundt jey vnd waher 
halten möge. 

Ein jeder wagenburgd fol 16 großer venlen haben von zwut farb; rot 
vnd weiß, vmb der fichtbarlichfeit willen. Vier großer fenlein bedarf der wagen: 
burgdmeijter, die vier farb haben. An das eine gemalt jei „Hauptbuchßen“, an 
das andere „Armbroſt“, an das dritte „Helmpartten“ und an das viert „Spieh“, 
damit man dem vold vnderrichtung geben möge. 


3. Dienjtordnungen. 307 


Die Puchßen auf den wegen vnd farren find einem bejonderen 
Hauptmann zu vertrauen. — Sit ein form puchhen, die mit der wagenburgf 
genn vnd jtein jchiffen als groß ein päßkügel. Ein furm puchhen, die pley 
ſchißen als groß die eyer. Aber eine püchhen, die man nennt wagenpuchßen, der 
eine 6 centner ſchwer jey. — Bon jolhen buchßen jol man ordnen zu den (vor— 
deren?) Wagen die hafenbuchhen mit zweyen großen Buchßen als fie vorgenannt 
fein. — Zu diſem geſchoß allen fol puchhenmaijter, die mit jchihen fünnen, und 
was notturfft zu den püchhen geboren; das fol alles darzu gebradjt vnd mit den 
Büchjen führen. 

Es jollen auch etlihe hündert ſtabſchlingen gemadt vnd verordnet 
werden, damit man jtein werff, das iſt zum ſtürmen auch zum jchlagen wider 
roß vnd mann vaſt gut. — Auch etlich Hundert mit zaden vnd ringen bejcdhlagener 
flegel oder reißhel (?), die dienen zu dem jchlagen. — Nud) etlich hundert 
aaljpieß, die dienen zu den jtürm in der wagenburg. — Auch hundert 
Schaufeln, (die müſſen einem bejonderen Hauptmann untergeben fein, der die 
Berihanzungsarbeiten leitet). 

Man ſol auch einen prüden wagen haben mit balden, vehern vnd 
prittern, vnd die vorderjten wagen jollen die prüden tragen. 


Der Wagenburgdmeister hab einen redlihen Hauptmann bei ſich, 
mit dem er vber die wagenburgd vnd der notdurfft jchaffen möge. Er jol aud) 
zu zehrwägen einen antreiber haben. Vierundzwanzig redliche vnd gejchidte 
fnecht jollen injonderheit auf den Wagenburgmeiiter warten. — Er habe aud) 
zween gezimmerte galgen vnd den hencker darzu. An dem galgen fol bangen: 
ein Schwert, ein folb, ein jtrid, ein peyl vnd ein peßenn.“ (Räuber jollen geköpft, 
Diebe gehängt, Aufrührer mit Handabhauen bejtraft, Lügner mit dem Beſen oder 
in bejonders jhlimmen Fällen mit dem Kolben durch die Gaſſen der Wagenburg 
getrieben werden). — Die Führer der Wagenburg follen — und keck ſein 
und die Wege über Berg und Thal wohl kennen. 


Im allgemeinen rechnet man auf zwölftauſend Fußknechte ſechſte— 
halb ,ç hundert Wagen, auf dreitauſend Pferde GReiter) dreihundert 
Wagen. Demgemäß find die Truppen auf die Wagenburg zu verteilen. Dieſe 
jelbjt wird, je nad) der Stärke des Heeres in 8, 12 oder 14 Zeilen angeordnet. 
Hat man nur 300 Wagen, jo begnügt man fich mit 6 Zeilen. In diefem Falle 
nimmt man 45 Wagen zur erjiten, 25 zur zweiten, 15 zur dritten, wieder 15 zur 
vierten, 25 zur fünften, 45 zur jechiten Zeile, jo dab aljo die Zeilen nad) innen 
zu immer fürzer werden. Ferner formiert man zwei „Schlußflügel“ von je 15 
oder 14 Wagen; dieje fahren auf jeder Seite zu alleräußerit und jollen, „wo es 
not tut furſchlagen vnd zu jtatten fomen“, aljo gegen den Feind mandprieren, 
während jich die Wagenburg jchließt, indem von den inneren Zeilen die not- 
wendige Anzahl Wagen nad) vorn und hinten vorgejchoben wird. — In breiten 
Gegenden verdoppelt man die üblichen 8 Zeilen wohl auf 15 (ſeltſamerweiſe nicht 
auf 16). Hit aber mit der Wagenburg ein Wald zu durchichreiten, jo muß man 
jie möglichſt jhmal, doch nie enger als vierzeiligq anordnen und Leute mit Daden 
und Schaufeln vorausjenden, um den Weg zu bereiten. Sobald als möglich hat 

20* 


308 Tas XV. Nahrhundert. I, Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


man jedoch wieder in breitere Front aufzumarjchieren. Einen Wald, der weniger 
als eine halbe Tagereije breit it, umgeht man lieber. — Kommt man an Waſſer— 
läufe oder Mooje, jo muß der Wagenburgmeijter fie mit einigen jeiner Leute be- 
jehen und die beite Übergangsitelle erfunden und ob ſich auch Holz dabei findet. 
Die UÜberbrüdung gejchieht dann mit dem an Ort und Stelle vorgefundenen und 
dem auf dem Brüdenwagen mitgeführten Material. Dies legtere joll man beim 
Durchſchreiten von Wäldern und Heiden dadurd bereichern, daß man „Wellen 
oder Büchel“ (Faſchinen) heritellt, deren jegliche mit drei Winden gebunden jei, 
um jo Gräben und Moje zuzudeden. Sobald der Fluß oder die naſſe Stelle 
überjchritten und die Brüde abgehoben ijt, müſſen jich die Brüdenwagen wieder 
an die Spigen der Zeilen jegen. — Gilt es über ein Gebirg zu ziehn, jo teile 
der Wagenburgmeiiter das Fußvolk und weile jedem Wagen 10 oder 20 Mann 
zu, um ihn hinaufzufördern. „Desgl. jol man die roß in afiterjilen fahen und 
jedem wagen zwey oder drey zugeben, die beim kopf zu führen jein“. Den 
äußeren Zeilen der Wagenburg jind einige Rotten verlorener Knechte zuzuweiſen, 
die mit feuchtem Stroh und Heu viel Rauch machen, um den Feind zu bienden, 
damit er die mit der Wagenburg unternommenen Manöver nicht zu erfennen 
vermag. Am beten überjchreitet man indejjen ein Gebirge zur Nachtzeit. Dabei 
läßt man die Mannjchaft mit ihren Haden arbeiten und Flopfen, dab es flingt, 
als befejtige man die Wagenburg, während man doc über die Höhe abzicht. 
Will man lagern, jo muß der Wagenburgmeijter die Ortlichfeit genau 
prüfen, ob Holz, Waſſer und Fütterung vorhanden, ob die Räumlichkeit ausreicht 
und wie die Zugänge zur Stellung beichaffen find. Dann ijt der Raum auf die 
vorhandenen Wagen zu verteilen. „Pie mitteljten zwey zeil, darauff der plaß 
(Allarmplaß) jol werden, die jol haben 100 wegen vnd an jeder zeil 50 wegen. 
Die nächſten zwue zeil darnadı uff beider jeiten jollen auch haben 100 wegen. 
Danad) die eußerjten zwey zeil jollen haben 300 wegen vnd die jol man jtreden 
in das veldt die jechs zeil hinüber das veldt ald man wißen wil (?). Ob man 
dann darauf wolt machen acht zeil, jo brich mitten die äußer zeil vff beiden 
jeitten ab vnd für jie herfürer zu dem vorderſten banner, jo werden der zeil acht.“ 
— Das Lager joll geradlinig und geviert geräumig angelegt werden; über- 
ihiegende Wagen find durh Zujammendrängen, mangelnde durch erweiterte Ab- 
jtände auszugleichen. Wo die Gaſſen auf Lagerthore jtoßen, da jollen auf jeder 
Seite drei Wagen mit allem Zubehör bereit jtehen, um zu bindern, „daß man 
jme vber die leng die gafjen nicht abgewinne“. Jeder Zeilenführer holt vom 
Zelt des oberjten Hauptmanns Loſung und Tagesbefehl und teilt fie, joweit es 
ſich gebührt, jeiner Zeile mit. Sind während des Lagernd Wagen zum Speis- 
empfang oder anderen Zwecken zu entienden, jo haben jich daran alle Zeilen 
gleichmäßig zu beteiligen und die Lücken find auszugleihen. Mitten im Plage 
lagert allein der Fürſt, rechts von ihm jein Kämmerer mit dem nächſten Hofitate. 
Grafen, Freie, Ritter und Edle liegen an der dem Ringe nächſten Zeile, an den 
zwei äußeren Zeilen die guten Leute von der Landſchaft. Die beiten von den 
Städten jollen „an den vier ortten“ (Eden) lagern und Thor und Markt hüten. 
Diejer Markt, auf dem viel Brod und Wein feil jein muß, ijt auf beiden Zeiten 


3. Dienjtordnungen. 309 


des Lagers außerhalb desjelben anzulegen. Alles was zur Artillerie gehört ijt 
unter deren Hauptmann zu einem bejonderen Binnenlager zufammenzuhalten. 
— ill man jih „vergraben“, jo lege man den Graben drei Schritt vor die 
Wagenburg und vergejle aud den „heimblichen grabenn“ nicht, „der ojfentlich nit 
zu ertennen iſt“. 

Beim Aufbruch iſt durch die vier „hör jchreier“ bei Leib und Gut anzu- 
befehlen, daß alle Lagerfeuer zu löjchen jeien, damit fein Unglück gejchehe. Beim 
ersten Blajen wird gefüttert und getränft, beim zweiten angefpannt, beim dritten 
aufgejeiien. Der Übergang aus der Lager: in die Marfh-Ordnung gejchieht 
durch zeilenweiſen Anjchluß, bzw. „Streden“ (Aufmarih) der Wagen. — Bill 
man angeſichts des Feindes aufbreden, etwa um ein beijeres „gewarſam“ 
(Stellung) einzunehmen, jo blende man den Gegner durd Aufjtellung leerer 
Wagen und formiere dahinter die Hälfte der Wagenburg in vier Zeilen, zwijchen 
denen dann das Heer und die andere Hälfte der Wagen bindurd zieht und fo 
fort, jo daß unter allen Umjtänden eine ftehende dedende Wagenburg vorhanden 
ijt, die in jedem Augenblicke nad hinten und vorn geſchloſſen werden fann. 

„Um Streit zu pflegen“ (zum Gefecht) formiert man die Wagen- 
burg in der Bierung (d. h. quadratiich) mit drei „pläßen“. Die „puchßenswegen“ 
fommen in die äußerjten Zeilen u. zw. womöglich zwijchen je fünf Wagen immer 
einer mit Geihüg. Namentlid) aber find damit „die vier ortte“ zu bejegen. 
Beim Marihe in Feindesnähe ijt die Wagenburg von vornherein zu jchließen. 
Die Pferde der äußeren Zeile einer zum jtehenden Kampfe gerüjteten Wagenburg 
jind nad) innen zu verbringen, um die Verteidiger nicht zu hindern. Man hüte 
jihh vor zu enger Aufitellung der Wagen, da man jonjt das Geſchütz nicht bequem 
gebrauhen kann und die Büchſenmeiſter verführt werden, zu hoch zu halten, 
während jie auf die Fürbüge der Roſſe des Feindes jchießen jollen. Im Inneren 
der Wagenburg müjjen Gaſſen durd die Zeilen führen, um eine Unterjtügung 
der angegriffenen Front durd die auf den Plätzen aufgeitellten Haufen zu er: 
möglihen. — Beim Kampfe von Wagenburg gegen Wagenburg im 
freien Felde ift die rechte Flanke der feindlihen Wagenburg mit dem Geſchoß 
anzugreifen und auf diefe Weije dem Gegner Vorteil abzugewinnen, bevor das 
Volt in den Streit tritt. it das Gefechtsfeld bergig, jo jtrebe man dahin, die 
Höhen zu halten, um den angreifenden Gegner zum Steigen zu nötigen oder, 
jelbjt angreifend, mit der Wagenburg bergab vorgehn zu können. Dod) lajje man 
ſich aus jo vorteilhafter Stellung nicht leicht herausloden. — Bon einem Angriff 
mit einer feilförmig angeordneten Wagenburg, wie fie 1443 Dachßberg 
empfahl [$ 6), ſpricht Seldened gar nicht. 

Das Buh von Wagenburgen in dem Slriegsbuche des 
Ludwig von Eybe v. 3. 1500 wurde bereits erwähnt. 8 13] °). 
Es jcheint czechiichen Urjprungs zu jein; denn auch gegen Ende des 
Jahrhunderts bejchäftigte man ſich in Böhmen noch jehr eingehend 
mit dem altnationalen Kampfmittel. 


1) Näheres vgl. Jähns a. a. D. ©. 950. 


310 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


8 29. 


Einer der berühmteiten czechiichen Kriegsmänner, der Ritter 
Wenzel Wlẽek von Cenow, fahte i. 3. 1490 die Summe jeines 
milttärtichen Wiffens in einer „Zug: und Schlacht- und Lager 
Drdnung der NReiterei, des Fußvolks und der Wagen“ 
zujammen, welche er dem Könige Wladislar von Böhmen und Ungarn 
zueignete und welche als der bedeutendjte wiſſenſchaftliche Niederjchlag 
der kriegskünſtleriſchen Entwidelung der Ezechen zu betrachten ijt '). 

Wie die meijten diejer altböhmiſchen Schriftjtücte ijt auch Witefs Abhandlung 
nicht mehr in allen Punkten verjtändlich; ſie jcheint überdies in ihren einzelnen 
Teilen etwas durcheinander geworfen und nicht durchaus vollftändig zu fein; im 
großen und ganzen aber gibt fie doc eine Anſchauung der Taktif, wie jie jich 
zu Ende des 15. Ihdts. wejentlich unter hufiitiihem Einfluffe bei den Völkern des 
Oſtens herausgebildet hatte. Die Nriegsart Ziztas freilich iſt es nicht mehr, ſchon 
deshalb nicht, weil der Traktat für einen König geſchrieben ward, der über weit 
mehr ungariſche Reiterei als über böhmiſches Fußvolk gebot und weil als die zu 
betämpfenden Feinde in erſter Reihe nicht Abendländer ſondern Türken gedacht 
find. Indes wird doch auch der Kampf gegen deutſches Fußvolk erwähnt. Wltekt 
gibt zuerjt eine Anweijung, die Reiterei zu ordnen u. zw. Gejchwader in der 
Stärte von 100 bis zu der von 40000 Pferden. Danı folgt eine Ordnung des 
Fußvolks ohne Wagen. Beide Waffen jtellt Wilcet mindejtens doppelt jo tief 
als breit, ein Verfahren, das gewiß urjprünglich auf den Marſch innerhalb der 
Wagenburg berechnet war, nun aber auch beibehalten ward, wo die Truppen 
ohne Wagen auftraten, was dann allerdings Feine Berechtigung mehr bat. 
Immerhin erjcheint die Wagenburg dem Berfajier jo wichtig, daß er den König 
bittet, er möge befehlen, auf 20000 Mann jtet3 1000 Wagen zu halten. Die 
Wagenordnung, welche er entwirft, entjpricht im wejentlichen derjenigen der Zeiten 
Ziztas. Er verlangt, daß die Zahl der in den äußeren Zeilen fahrenden Wagen 
das anderthalbfacdhe der in den inneren Zeilen jei; denn er jchließt die Burg mit 
den überjtehenden Zeilen der äußeren Zeilen. — Außer den reglementarijchen 
Beitimmungen enthält Wlcels Abhandlung aucd manchen Fingerzeig bezüglich 
dejien, was gewöhnlich als „angewandte Taftif“ bezeichnet wird. Dabei wird 
großes Gewicht auf das Überhöhen mit der Wagenburg gelegt, u. zw. 
namentlich in dem Sinne, daß eine äußere Wagenzeile auf dem Höhenrande fahre, 
während die anderen Zeilen durd) den Kamm gededt blieben. Dies jcheint ein 
Hauptmoment der berühmten Geländebenutzung jeitens der Hufliten geweſen zu jein ®\. 


Was dem Wagenburgfampfe jeine hohe Bedeutung gab, das 
war, abgejehen von der Sicherung des Fußvolks gegen die Reiterei 


1) Eine (ungeordnete) Verdeutſchung in der Dfterr. milit, Beitfchrift, IV. Heft. Wien 1836. — 
Bol. Balady: Über die Kriegskunſt der Böhmen (Beitjchrift des Böhm. Mufeums. Prag 1828) unb 
Ungera.a.D.1, ©. 145 ff. 9) Näheres bei Jähns a. a. DO. ©. 896 ff. 


3. Dienftordnungen. 311 


und abgeſehen von der Einrichtung fahrender Geſchütze, jene innige 
Verbindung von Defenſive und Offenſive, die das Staunen 
der Zeitgenoſſen war und in der Geſchichte der Kriegskunſt einzig 
daſteht. 


830. 


Schon oben S. 300] wurde auf den Einfluß hingewieſen, welchen 
die Fechtart der jiegreichen Schweizer auf die taktische Anordnung des 
Fußvolkes zunächſt in Süddeutjchland, nach und nach aber in ganz 
Europa gewann. — Dazu fam nocd ein anderes Moment. Die 
jtraffe Organijation der politijchen Gemeinden der Eidgenofjenjchaft 
hatte jich auf die im Felde jtehenden Striegergemeinden übertragen, 
und dieſe wurden nun auch in organijatorijcher Hinficht das 
Vorbild der Söldnertruppen, welche Fürjten und Städte aufitellten, 
namentlich in dem jtammverwandten Deutichland. In diefem Sinne 
it die Gegenüberjtellung von „Ordnung vnd Eyd der 
Eydgenoßen“ und „Der gemainen Eyd“ zu veritehen, welche 
Seldene? in ſein Kriegsbuch aufgenommen bat und welche zugleich 
den Unterjchied erfennen läßt, der für diefe organijatorijchen Grund- 
bejtimmungen aus der Verichiedenheit des Verjonals hervorgeht; denn 
in der Schweiz handelte e8 ich um gejeßlich ausgehobene Kucchte, 
in den anderen Teilen des Reiches um frei geworbene Söldner. 

Die ordenung vnnd Der eyde der eydegenoßen vnnd 
der gemainen jchiweyger, jo fie zu veldt ziehenn oder jr Haubtleut 
jun ein veldt jchidenn. 

Unter diejer Überjchrift jtehen bei Seldened die Eide der „Haubtleute, 
Fenderichs und Vnderfenderichs“, der Eid „derer, die zu dem banner vnd fenlein 
geben jein‘, der Eid des „Schuczen-Haubtmanns“, der „aller anderen, die bevel 
haben‘, der Eid derer, die „für oder hinder die Banner vnd fenlein geordnet find, 
der Eid der „Schuczen‘ und der der Wagenmeilter. — Dieje Zujammenjtellung 
zeigt ſchon, dab die Eide jehr ins einzelne gehen, den Pflichtenfreis eines jeden 
Mannes genau umjcreiben, und dies ijt für das deutiche Landsknechtsweſen 
wieder vorbildlicd; geworden. — „Ein Haubtmann muß jchweren zum erjtenn des 
gemeinen vold& vnder jme nug vnd ere zu furteren vnd jchaden zu wenden vnd 
das vold nirgend zu verfuren noch fein zug für ſich jelbjt furzunemen on der 
reth jme zu gebenn jein wißen vnd willen, und darinnen das bejt zu thun alles 
getreulich vd ongeuerlih.” — Einige allgemeine Bejtimmungen über Manns: 


zucht, welde die Verordnung abjchliegen, jtimmen im mejentliden mit denen 
des alten Sempaderbriefes [M. $ 26) überein. 


312 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


Der gemaynen eyd, jo die furitlichen herren oder jtatt ire 
fnechte, die jie bejtellen vnd ſchicken, laßen jchweren. 

E3 wird nur der Eid der Rottmeijter, Fendrich und Knecht mitgeteilt. Pie 
Knechte find bei ihrem Eid gehalten, feine „Gemein (Ntriegägemeindever- 
jammlung) zu halten, es jei denn mit des Hauptmanns Wiſſen und Willen. 
Die Strafbejtimmungen der Artikel richten ſich vorzugsweiſe gegen Aufruhr, 
eigenwillige Unternehmungen, Raubzüge u. dgl. Wehr und Harniſch find den 
Knechten zu liefern und jollen bei der Heimkehr zurüdgegeben werden. (Beides 
wird wohl nur jelten gejchehen jein!) 

Dem Hauptmann joll man „zu jolld geben vff feine perjonn zwolif gulden 
ein monat, d. i. dreinacher jolt, vnd jeinem Knecht itij qulden den monat; xxx 
tag für ein monat geredinet. — dem Rottmeijter vnd fenderich dj gld die monat, 
ijt anderthalber jolt. — dem waybell, pfeyffer vnd trumenjchlager v qulden 
vnd einem jden gemainknecht iiij qulden einen monat.“ 

„gu acht jpießen gehört eine buße und eine heimparte“, zu Hundert 
Spießen ein Wagen (2 Streitbußen und 10 Hakenbüchſen). — Dieje Bemerkung 
iſt offenbar die jüngjte in dem von Seldened angelegten Kriegsbuche; ſie zeigt, 
gegen jeine „Ordnung der Fußknechte“ [$ 36) gehalten, eine volltommene Ver— 
änderung des Verhälniſſes der Wafjeninnerhalb des Fußvolhkes. 
In der „Ordnung“ bildeten die Helmparten die Hälfte des gefamten Fußvolks: 
Schützen und Spießer zufammen erreichen fie erjt; jet werden auf 8 Spieße nur 
je eine Helmparte und eine Büchſe gefordert; darin iſt unzweifelhaft ein ge- 
waltiger Fortſchritt der Einwirkung des jchweizeriihen Vorbildes zu erkennen! 

Einige disziplinare Bejtimmungen jchließen ab. 


Eine Heer- und Lagerordnung ganz ähnlicher Art wie Kaiſer 
‚Friedrichs I. Heergejeg von 1158 [M. 8 26] ijt die „Bejtellung des 
Heeres“, welche Kurfürjt Albrecht Achilles von Brandenburg für 
den Bommernfrieg i. 3. 1478 erließ und welche jich in dem jchon er: 
wähnten Codex des Furmärfiichen Lehnsarchives findet. [$ 28]. Sie 
enthält ſowohl Sriegsartifel als Vorjchriften über Befehlsverteilung 
und Sicherheitsdienjt. Folgendes iſt der Wortlaut: 


„tem bei Leib und Gut joll niemand feinen Freund beihädigen oder be— 
rauben oder keinerlei Unfug treiben, mit denen, die im Deere zuführen. Welcher 
darüber tut, der foll gejtraft werden, ohne Gnad mit dem Schwert, ala Raubes 
Recht if. — Item alle die Rumor anheben, die jollen gejtraft werden nad) 
Erkenntnis meines gnädigen Herrn und feiner Gnaden Räte, die Sr. Gnaden 
ungefährlich zu jich nimmt, und ein Jeder nad jeiner Gebühr. — tem wo id 
aber Rumor begeben, das doch nicht fein foll bei Verliefung der Strafe vor an- 
gezeigt jo foll niemand bei Verliefung des Leibs dem andern zulaufen, außerhalb 
der, die daran geordnet find; die jollen jcheiden und darin handeln nach Gebür 
bi8 an meinen gnäd. Herrn und Hauptleute. Denn wann das jollt jein, daß 


3. Dienjtordnungen. 313 


jedermann zulief, jo erichlügen wir alle einander; ſonſt iſt es leicht zu jteuern, 
und man ſoll niemand darin anjehn Freundſchaft oder einigerlei VBerwandnis 
dem andern, jondern einen gemeinen Nuß darin juchen, zu Nuß meinem gnäd. 
Herrn, der Herrihaft und dem Heer; und wer jich der Strafung enthielt (weigert) 
joll männigli den Hilfe tun, die dazu beichieden find, dab die jtrafen mögen 
und Ordnung halten. — tem wer da ftiehlt, der joll ohne Gnade gejtrait 
werden mit dem Strang. — tem welcher den Freunden nähme, der joll 
ohne Gnade geitraft werden nad Grfenntni® meines gnäd. Herrn oder jeiner 
(Snaden Hauptleute nad) Gejtalt der Sahen. — Item es joll niemand futtern, 
dann wie es alle Nacht beruft wird; auh nicht ausſchlagen (ausziehn) ohne 
Geſchäft meines gnäd. Herrn oder des Hauptmanns. Welcher darüber tut, dem 
will man für feinen Schaden jtehen, ob man etwas verlöre. (Mit einer Strafe 
iind dieſe Eigenmächtigkeiten aljo doch nidyt bedroht.) — tem daß man feine 
Grube im Deere graben joll, dadurd die Yeute am Reiten oder Gehen ver: 
bindert würden. — Item da man jtill fei im Deere. — Item jo 
man futtern will, joll jedermann auf das Fähnlein und Wagen warten und 
alles nach dem Fähnlein reiten, fahren und gehn, und jollen futtern, da man 
ſie hinzeigt, bei einander, unzertrennt; und ob jie an einem Ende nicht alle zu 
juttern fänden, jo joll doc) feiner heimfahren, reiten oder gehen, jie haben dann 
alle gefuttert, und ferner mit einander fahren, wo man Futterung findet, und 
jollen dann, jo fie alle gefuttert haben, in der Ordnung wieder heimziehn, al& 
ſie ausgezogen find, und foll der Nicolajttau (?) mit den Wagen und Trabanten, 


jo viel man deren jchafft, mitziehn. — tem der Futterhauptmann, dem wird 
man allewege zuordnen, davon er die Feld bejtellt (Dedung der Fouragierung) 
und die warten, das Volk zu bewahren. — tem wo man futtern will, da joll 
man allewege voraus befichtigen lajien. — Item alle Morgen, es jei in Städten 


oder im Feld, jol man ausjchiden Ainechte, den zu verwahren ijt, die da be- 
tigen alle Ding, ehe man auszieht zu futtern oder anderes, und nad) ihnen 
wieder zujperren, bis fie wiedertommen. — Item daß man Ordnung made und 
das Heer teile in 8 Teile, daß alle Tage der Teile eines das Heer 
Tag und Naht bewade in Futterung und wo es not iſt. Derſelbigen 
Teile einen lege man zu den Büchſen; damit kommt es in 8 Tagen wieder an 
einen. — Item wo man Bühjen wird legen, dab man dazu lege 1000, 
darunter 200 Reifiger mit Wagenknechten und Allem, die ſich vergraben bei den 
Büchſen; damit die Büchſen allweg bewahrt find und man nicht alle Tage ab 
darf wechieln. — tem daß niemand jage aus dem Heer oder aus den Städten, 
jonden wenn man auftrummet, daß jedermann auf den Plaß zu 
Haufen rüde, es jei in dem Heer oder in den Städten, wie jeder geordnet jei, 
jo lange daß die Hauptleute das Ping befichtigen lafjen und zu Nate werden, 
wie man tun will, daß man dann noch heem (heimlich) Geichäft handele. — Item 
zu beitellen die Sharwädter Tag und Nacht nad Notdurftl. — Item zu 
ordnen über jeglihe Zeile einen Hauptmann, der alle Nacht wihe, 
was ſich jein Zeil mindert oder mehrt oder wer Fremdes darin füme, dab den 
Yauptleuten wiße zu entdeden. — Item VBiertelmeijter zu jegen im Heer in 


314 Tas XV. Jahrhundert. I Allgemeine kriegswiijenichaftliche Werte. 


der äußeren Zeil, in jeglibem Biertel zwei, auf dak man wiſſe allwege 
Tag und Nacht, daß die Wagenburg bewahret jei. — tem alle Nacht je über 
0 Wagen ein Hein Feuer zu machen, einen Steinwurf von der Wagenburg.“ 


8 31. 


Sn dem Erlafje feſte Ordonnanzen für dauernd aufzu— 
jttellende Truppenförper gingen allen anderen Nationen die 
Franzoſen voran. 

Nach) dem jchweren Hundertjährigen Ringen Frankreichs mit Eng- 
(land jonderte König Charles VII. aus den Söldnermafien, welche 
jein Reich überjchtvemmten und deren Verjuche, über die Oftgrenze 
vorzudringen, an dem Widerjtande der deutſchen Neichsjtadt Met, 
an der Energie der jchweizeriichen Aufgebote und des elſäſſiſchen Land— 
volks gejcheitert waren, jene berittenen Ordonnanz-Kompagnien 
aus, die man, nicht mit Unrecht, als das Nejt der jtehenden Heere 
Europas bezeichnet hat. Das Original des merkfwürdigen Ediftes, 
durch welches der König vom Schlojje de Louppy aus die Or— 
gantjatton Diejer Kompagnien am 26. Mat 1445 jeititellte, findet 
jich jeltjamerweije nicht in dem grand recueil des ordonnances 
du Louvre, jondern im Britiih Mujeum (no. 11542) und iſt, joviel 
ich weiß, bisher nie volljtändig herausgegeben, wohl aber in eim- 
gehenden Auszügen wiedergegeben worden }). 

Charles VII. errichtete 15 compagnies d’ordonnance, deren jede 100 
hommes d’armes zählte, die aus den tüchtigjten Edelleuten des Königreiches 
ausgewählt waren und von 500 leichten Reitern begleitet wurden, nämlich von 
100 Bagen oder Ecuyers, 305 berittenen Schützen (archers) und 100 coutiliers 
Knappen). Eine Ordonnanztompagnie bildete aljo ein gemiſchtes Reiterregiment 
von 600 Pferden, das von einem capitaine befehligt wurde. Außerdem gab es 
an Offizieren: den lieutenant, einen enseigne, einen guidon und den marechal 
des logis. — Die Ernennung von zwei Fähnrichen (enseigne und guidon) für 
jede Nompagnie zeigt, dab man die hommes d’armes nicht mit ihren auxi- 
liaires vermijchte, daß vielmehr die ſchwere und die leichte Neiterei gejondert 
fämpfen konnten. In diefem Falle führten der capitaine und der enseigne die 
gendarmerie, d. h. chevaliers und deren Ragen; der lieutenant und der guidon 
befehligten die archers und coustilliers. 

Wie die gejamte abendländijche jchwere Reiterei hatte auch die 
der Franzojen bisher in großen Gejchwadern (en escadre), aljo im 
tiefen Maſſen, gefochten. Mit der Einrichtung der Ordonnanzfompagnten 


1) Conf. Bibl. de l’Ecole des chartes; t. III, p. 127; article de Mr. Vallet de Viriville. 


3. Dienftordnungen. 315 


ſcheint es üblich geworden zu jein, eine jehr flache, hagfürmige Auf- 
itellung (en haye) zu wählen, um auf dieje Weije die Wirkung des 
Geſchützfeuers zu vermindern. Deutjchland folgte dieſem Vorbilde nicht; 
noch gegen Ende des 15., ja noch im erjten Viertel des 16. Ihdts. 
formiert es jeine Reitergeſchwader in tiefen steilen. [$ 36 u. XVI 8 93.) 

Zwei Jahre nach Aufitellung der Ordonnanzkompagnien (9000 
Pferde) errichtete König Charles eine Fußvolfsmiliz von 16000 
Francs-Archers; aber diefe Schöpfung, für die fich auch fein 
Nachfolger Louis XI. lebhaft imterejjierte, wollte nicht gedeihen und 
janf bald wieder ins Nichts zurüd. 


Vielleicht war es diefe Erfahrung, welche den Herzog Karl den 
Kühnen von Burgund bewog, NWeiterei und Fußvolk in ein und 
demjelben Organismus zu vereinigen. Als er ſich i. 3. 1471 entſchloß, 
das franzöftiche Vorbild nachzuahmen, jeßte er jeine »ordonnance« 
nämlich aus »lances« zujammen, deren jede in ſich aus Neitern und 
Fußknechten gemijcht war. 

Zufolge der Grande ordonnance d.d. Abbeville 31. Juli 1471 
bejtand jede „Lanze“ aus 3 Neitern: dem homme d’armes, jeinem Bagen und 
einem Knappen (coustilier), und aus 6 Fußkämpfern: 3 Bogenjchügen (archers), 
einem Armbrujter (arbaletrier), einem Büchſenſchützen (couleyrinier) und einem 
Spießer (piquenaire). Auf dem Mearjche jollten übrigens die 3 Bogenſchützen 
auf Kleppern reiten, im eigentlichen Gefechte jedod) abjigen. Ein jehr detailliertes 
Reglement ordnete den gejamten Pienjtbetrieb: 6 Yanzen bildeten eine chambre, 
2 chambres eine dizaine, deren Befehlöhaber dizainier hieß. Einer diejer di- 
zainiers war zugleic) als »conducteure Führer der ganzen Abteilung ?). 

Die Miihung der Waffen, welche übrigens auch in Deutjchland 
hie und da üblich war, wo man, zumal feit dem großen Städte 
friege, (1388), dem Ritter außer reifigen Knechten zuweilen auch Fuß- 
fnechte beizugejellen pflegte [S. 295], jcheint ſich in Burgund nicht be 
währt zu haben; denn der Herzog gab fie bald wieder auf. Nur die doch 
immerhin berittenen, wenngleich zum Fußgefechte bejtimmten Bogner, 
lieg er im Verbande der Lanze; von den anderen ihr zugejellten 
‚sußfnechten aber weiß die Grande ordonnance, die er i. 3. 1473 
von der Abtei St. Marimin bei Trier erließ und die das Werf 
der burgundiſchen Heeresverfafjung abſchloß, nichts mehr. 

I) ®gl. de la Chauvelays: Les armees de Charles le Temeraire dans les deux 


Bourgognes (Faris 1879). — Das »conducteur« Karla entipricht volllommen dem italienijchen 
»condottiere«. 


316 Tas XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswijjenichaftliche Werte. 


Das „Original“ diefer grande ordonnance, weldes angeblidy nad der 
Murtenichlacht 1476 in Karls Zelt erbeutet wurde, befindet fih in der Berner 
Stadtbibl. (A. 219) und führt den Titel »Loix et ordonnances ou 
Statuz militaires de Mon Seigneur le Duc Charles, Duc et 
conte de Bourgogne etc. dez. Lan 1473. Das auf Pergament ausge- 
führte Titelbild jtellt im Mittelfelde den Herzog dar, wie er einen Ritter zum 
Chef einer jeiner Urdonnanzlompagnien erhebt, . indem er ihm Kommandojtab 
und Statuten überreiht. Dies Vorblatt mag wirflid aus der Murtenbeute ber- 
rühren; der auf Papier gejchriebene Tert dagegen fcheint eine Kopie des 16. Ihdts. 
zu fein. — Andere Eremplare der Ordonnanz befinden jih im Wiener Ardive 
[$ 32], in der Münchener Hof: und Statsbibl. (cod. gall. 18) und in der Parijer 
Nationalbibl. (ms. frang. no. 9847). —- Der Tert des Berner Exemplare ijt ab 
gedrudt in des Generals Guillaume: Historie de l’organisation militaire sous 
les ducs de Bourgogne. 


Ein Bild des Zuftandes des burgundiichen Heeres nad) diejer 
Neorgantjation hat uns einer der Gardehauptleute Karls überliefert, 
Dlivier de la Marche. Diejer tüchtige Mann war 1422 geboren 
und jtarb 1501 im Dienjte der Maria von Burgund. Er war jeinem 
Herrn, den er jeines enormen Fleißes wegen „Karl den Arbeiter“ 
nannte, treu ergeben und jchrieb während jeiner Amtsführung Denk 
würdigfeiten, welche zu den wichtigjten Quellen für die Zeit von 1453 
bis 1492 gehören und namentlich für die Gejchichte des burgundijchen 
Kriegswejens von hohem Werte find. Beſonders mitgeteilt hat daraus 
Buchon in den Chroniques et memoires sur l’histoire de France 
(Paris 1836) den »Estat de la maison de Bourgogne. 1474«!). — 
Hieraus und auf Grund einiger anderer ergänzender Nachrichten ergibt 
ſich nun nachfolgende Überjicht. 

Die oberjte Verwaltung lag in der Hand eines Hoffriegsrates unter 
dem perjönliden VBorfige des Herzogs, dem vier Ritter als vortragende Räte 
dienten, während zwei Sefretäre die jchriftlihen Ausfertigungen bejorgten. 
Ein Hoffriegsrat war Tresorier de la guerre, welchem Kriegszahlmeiſter zur Seite 
jtanden. — Die höchſte Kommandojtelle war die des Marſchalls von Burgund, 
der in Abwejenheit des Herzogs den Überbefehl führte, andernfalls die Vorhut 
führte. Als Lieutenant des Marjchalls fungierte der mardchal de l’host, der 
Feldmarſchall. 


1) Wichtig für die burgundiſche Heeresgeſchichte iſt eine Abſchriftenſammlung von Alten umd 
Ordonnanzen, welche die fgl. Bibliothef in Haag bewahrt (t. 255): Histoire militaire des Pays- 
Bas avant l’etablissement des troupes reglées. Es find 2 Bände. Der erjte beginnt mit ben 
Ordinanchier ende geboden die de stede ende Casselrie houden in orloghen und führe bis 
zu einem Erlaß Karls V. über die Lehnäfolge v. 3. 1520. Der zweite Band beginnt wieder mit bem 
I. 1411; er enthält bejonbers viel Orbonnanzen aus der Beit Karls des Kühnen, auch Stadtrechnungen 
über Ariegsunternehmungen u. bgl. m. 


3. Dienjtordnungen. 317 


Tie Yanze bejteht jegt au dem homme d’armes, jeinem Pagen und dem 
Nnappen (mit zuj. vier Pferden, da ein Saumroß hinzukam) und aus drei 
archers. Fünf Zanzen bildeten eine chambre, deren fünf eine escadre, vier 
escadres die compagnie, an deren Spige der conducteur als 101. lance jtand. 
Unter ihm befahlen die vier chefs d’escadre, deren einer als lieutenant fungierte. 

Auch das Fußvohk wurde num jelbjtändig in Kompagnien geteilt, welche 
300 Mann zählten und von einem capitaine, einem porte-enseigne und einem 
reuidon befehligt wurde. Je einer centaine jtand ein homme d’armes als 
centenier vor, und jede Hundertichaft wurde wieder in trentaines eingeteilt. 
Tas Fußvolk bejtand aus archers à pied, aus coulevriniers und piquenaires, 

Dieſe Infanterie hatte zugleich die Aufgabe, als Partikularbedeckung der 
Artillerie zu dienen, die in Karls Armee nicht nur als Belagerungstrain, 
ſondern auch als Feldgeichüß bereits eine jehr bedeutende Nolle jpielte. Die 
leichte Artillerie bejtand aus serpentines auf Wandlaffeten, die z. T. mit Nicht: 
hörnern verjehen waren. An der Spige des Geſchützweſens jtand ein Ritter als 
maistre de l’artillerie, dem ein receveur als Zahlmeijter beigegeben war, mit 
welchem wieder ein contröleur forrejpondierte. Bedienung und Führung der ein- 
zelnen Stücke war Sache der gelernten Stücdmeijter (maistres des oeuvres) und 
gewifier Edelleute, der bombardiers. 

Die Kompagniehefs waren verpflichtet, ihre Leute in den Garnijonen 
regelmäßig zu üben. Die jchwere Reiterei focht ſowohl nad) deutſcher Art im 
„Spitz“, als nad) franzöfiiher en haye. Die Schützen jaßen zum Gefechte ab, 
und die Bifentiere hatten vorzugsweiſe die Aufgabe, ihnen als Schuß zu dienen. 
Zu dem Ende marjdierten jie vor den Schüßen und bildeten unter Umjtänden 
auch hohle Kreisordnungen, welche die Schügen und deren Pferde aufnahmen. 

Falls die Heeresjtärfe es gejtattete, wurden drei Treffen gebildet: Avant- 
garde, bataille und arrieregarde, wobei jedody auf gegenjeitige Flankierung 
wie namentlich die Schlacht vor Murten zeigt) faum Rückſicht genommen ward. 

Der Sold wurde vierteljährlich gezahlt, die Verpflegung von der Mann= 
ihaft jelbjt bejorgt, die während des Friedens meijt in Gaſthäuſern Unter- 
tommen fand Auf Märjchen erhielten die Leute Uuartierbillets; Stroh und 
Heu muhte der Wirt unentgeltlich liefern, Lebensmittel und Hafer nach feſter 
Tare. Ein Tagemarſch jollte 5 bis 8 Stunden währen, jeden dritten Tag 
durfte geraitet werden. Marjchfommijjare überwacdten die Befolgung diejer Vor- 
ichriften und die Abrechnung. Das Verlajjen der Fahne auf dem Marche wurde 
mit achttägigem Soldabzuge, vor dem Feinde mit dem Tode bejtrait. 


Die burgumdiichen Heeresbeitimmungen jind von hohem Intereſſe, 
weil jie für die Organtjation faſt aller europätichen Armeen unmittelbar 
oder mittelbar zum Vorbilde geworden find. 


8 32. 


Die nahe Verbindung, in welche Kaiſer Marimilian I. durch 
jene Gemahlin, Karls des Kühnen Tochter, mit Burgund trat, ließ 


318 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine friegswilienichaftliche Werke. 


ihn begreiflicherweije den in dieſem Lande zuerjt methodijch geordneten 
Verhältnifjen des „Kriegsjtates“ bejondere Aufmerkſamkeit jchenfen. 
Die für den Erzherzog angefertigte Abjchrift der großen burgundijchen 
Ordonnanz von 1473 befindet jich noch jet im Wiener Archive’). 

Vielleicht Hat der Kaiſer jich mit weitausjchauenden Plänen für 
eine grundlegende Organijation jeines Heerweſens getragen; perfekt 
geworden it aber nur die Einrichtung geregelter Reitergejchwader 
durch die Inftruftion über Aufitellung von 100 Kyrißern in 
des Kaiſers und Neiches Sold, die Mar am 24. Mat 1493 
einem Schreiben beifügte, durch welches er jeinen Rat Ulrih von 
Weisbriach zum Hauptmann über eine Anzahl Kyriger und Ein- 
pännige annimmt. 

Die Originalurkunde befindet ſich im Archive der f. f. Hoffanzlei zu Wien. 
Ein Abdrud unter dem Titel „Das erite Küraſſierregiment in Djterreich“ iteht in 
Kaltenbaeck's Kalender un. * 1849 und in Meynerts „Geſch. des Kriegs— 
weſens der öſterr. Monarchie IL, S. 12 ff. (Wien 1854) ?). 

Unter einem „Kyrißer“ — man einen ritterlich gewappneten Lanzen— 
reiter, geradeſo wie man unter einem „Harniſch“ (corselet) einen Spießer zu 
Fuß veritand. — Nach der Inſtruktion jollten nun von den 100 aufzujtellenden 
Kyrißern je 25 unter einem Hauptmann jtehen. Jeder Kyrißer hatte jich „ielb- 
jieben“ zu halten, d. h. er jollte haben: 1 Knappen, groß und jtarf genug, 
um in drei Jahren Trabant zu werden, zwei Pferde und 1 Marſtaller, 
1 leihten Büchſenſchützen und 2Nnedte, welche Einröjier und wie andere ge 
rüstet find mit Reisſpieß, Hundskappe, leichtem Hauptharniſch (wälſcher Schalern, die 
am Sattel hangt). Außerdem joll jeder Kyriier einen jungen Edelmann haben 
mit einem ledernen Tärtichlein, Hinter- und Borderteil, Blehhandichuhen, unter den 
Adhjeln einen Panzerfled auf die Juppen genäht und Behäng von Panzerringen. 
Endlich hält jeder Kyrißer im eigenen Solde noch einen Trabanten mit Border 
teil und Helmparte, weldyer nebjt dem Marjtaller dreier Roſſe warten bilit. 

„Wird ein Plaß unter den Kinechten leer, jo jteigt ein Kinappe zum Tra- 
banten, ein Trabant zum Marjtaller, ein Marjtaller zum Einjpännigen (Knechte) auf.“ 

Neben den 25 Gleven (denn jo muß man die Kyrißer mit ihrem Gerolge 
nennen) unterjtehen nun jedem Hauptmanne noch 200 guter einjpänniger 
Knechte, von denen je vier einen Trabanteıt (in faijerlihem Solde) haben, 
der ihnen die Roſſe wartet. 

Als Offiziere jtanden jedem Hauptmann zur Seite: ein Fähnrich, der zu- 
gleich jein Lieutenant war und den großen Fahnen verwahrte, und einRennfähnrid, 
der das Nennfähnlein verwahrte und zugleich die 200 jelbjtändigen Knechte führte. 


1) Bol. Ehmel: Aftenftüde u. Briefe zur Geſch. d. Haufes Habsburg im Zeitalter Marimilians ] 
(8b. I, ©. 62 u. 82). 

2) Auszüge in der N. milit. Zeitichrift (Wien 1812, Heft IX) und in Angers „II. Geid. 
der ?. f. Armee I, ©. 179 (Wien 1886). 


3. Dienftordnungen. 319 


Die Stärke jeder der vier Fahnen betrug alfo: 1 Hauptmann, 1 Fähnrich, 
1 Rennfähnrid, 23 Kyrißer, 26 junge Edelleute, 52 Knechte, 26 Maritaller, 
265 Trabanten, 26 Knappen, 26 Büchſenſchützen, 200 Einjpännige und deren 
50 Trabanten, zujammen 458 Köpfe, alle vier Fahnen aljo 1832 Köpfe. — 
Ein gemeinjhaftliher Vorgejegter für alle vier Fahnen wird nicht erwähnt. 

„Beim Reiten und Ziehen“, aljo während des Marſches hat der Renn- 
fähnrich, obgleich er Befehlshaber der 200 jelbitändigen Einjpännigen ijt, nicht mit 
diejen zu marjchieren, jondern als Führer der Vorhut (Rennfahne), mit den jungen 
Edelleuten der Kyrißer vorauszureiten. Dann folgen die Kyrißer mit ihren Knechten, 
Zrabanten und Knappen und endlicd) folgen die 200 jelbjtändigen Einjpännigen. 

Über die Gefechtstaktik iſt nichts gejagt; aber es ijt anzunehmen, dad; 
im Kampfe der Nennfähnrich die 26 jungen Edelleute, welche beim Marjche die 
Nennfahne bildeten, mit den ihm injtruftionsgemäß unterjtellten 200 Einfpännigen 
als leichte Kavallerie ebenjo unter jeinem Kommando vereinigte, wie in der alt: 
franzöſiſchen Ordonnanz lieutenant und guidon unter dem ihrigen die archers 
und coustilliers S. 314). 

Bon der Mannſchaft der Gleven fohten vermutlich die Büchjenjchügen 
und die mit der Helmparte ausgerüjteten Trabanten zu Fuße. Doch aud) dieje, 
wenigjtens die legteren, waren beritten. Denn da der berittene Knappe zum Tra— 
banten befördert wird, jo fann diejer unmöglich ein zu Fuß gehender Nicht: 
jtreitbarer gewejen jein!). Nichtjtreitbare enthält die Gleve überhaupt nicht. Die 
Edelfnaben dürfen unter feinen Umjtänden als jolche bezeichnet werden; denn 
ie bilden die Rennfahne. Wenn Kaltenbaeck die Zahl der Nichtlombattanten 
auf 208 beredynet, jo fann er damit nur die Nnappen und Marjtaller meinen; 
fegtere aber jtehen hierardyiich wieder höher als die Trabanten, und jo ijt nicht 
einzujehen, wie er zu feiner Annahme fommt. 

Für das Fußvolk hat Marimilian eine entjprechende „In— 
itruftton“ nicht erlafjen, jo warme und nimmer müde Teilnahme er 
auch Jeinen Landsfnechten widmete. Ihr Brauch und ihre Sayungen, 
die Jich anfangs innerhalb der Gemeinden jelbjt entwidelten, wurden 
aber doc) bald durch die VBorjchriften der Kriegsherrn bedingt 8 30) 
und endlich in den „Ämterbüchern“ feitgehalten, welche um die Wende 
des erjten umd zweiten Drittels des 16. Ihdts. auffamen. [XVI. $ 19.] 


S 33. 

Die italienijche Heerbildung des ausgehenden 15. Ihdts. 
ipiegelt jich in der Heerordnung, welche Hector III. Manfredi, 
Herr von Faenza, im Januar 1492 veröffentlichte ?). Sie lehrt, 
daß auch für die Appeninenhalbinjel die Zeit der Kondottieren vorüber 


1) Es gibt gleichzeitige Bilder ſolcher reitenden Hellebardiere. Bgl. Jähns: Atlas zur Geſch. des 
Ariegamejend. Taf. 78, Rig. 4. ?) Abgedrudt bei Nicotti: Storin delle compagnie di ventura in 
Italia (Zurin 1846). Bgl. Steger: Geſch. Franz Sforzas und ber ital. Condottieri (Leipzig 1865). 


320 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


war. Dazu hatten verjchiedene Umjtände beigetragen: zunächit dic 
vierzigjährige Ruhe in Italien vom Frieden von Lodi bis zum Feld— 
zuge Charles VIIL., dann aber auch der Tod der berühmtejten Banden- 
führer, wie Francesco Sforza, Jacopo und Francesco Piccinino, 
Bartolomeo Colleoni, Roberto und Sighismondo Malateita, und 
vieler anderer. Während ein Jahrhundert früher die Kriegsbanden 
nach Tauſenden gezählt hatten, wurden fie num klein; hundert, hundert- 
fünfzig Lanzen galten ſchon für einen jtattlichen Haufen. Infolgedefjen 
wurde es den Fürſten leichter, unmittelbar die einzelnen Söldner 
(lancie spezzate e provigigionati) anzumwerben und ihnen jelbjt- 
gewählte Anführer zu geben, jowie jtrengere Zucht zu handhaben. 
Dies ſpricht jich in der Kriegsordnung von Faenza deutlich aus. 

Es ift den Söldnern unterjagt, die Auszahlung des ganzen Soldes aui 
einmal, oder doppelten Sold vder Entjihädigung für verlorene Pferde zu fordern. 
Die Strafen find jtreng. Niemand darf die Stadt ohne Urlaub und ohne Büra 
ichaft für die Rückkehr verlajjen; wer über Urlaub bleibt, verliert den Sol». 
Sehr ſchwere Strafen bedrohen Verſchwörung und Aufſtand; wer andere zum 
Ausreißen verführt, muß jterben. Auch bei Ablauf der Vertragszeit hat jeder io 
lange in der Stadt zu verbleiben, bis der öffentliche Ausruf erfolgt. Gläubiger 
von Söldnern werden aus dem zurüdgehaltenen Solde befriedigt. Nicht eber 
dürfen die Abzudanfenden gehen, bis fie geſchworen haben, nit gegen den 
Fürſten zu dienen. Wer fich früher entfernt, wird verbannt und als Berräter 
ausgerufen, und fein Bürge hat dem Statsſchatze den Sold zurüdzuzablen, den 
der Entwichene empfangen. 

Die Reiter wurden nah Yanzen angeworben, deren jede aus dem 
Korporal, 1 Reiter und 1 Knecht bejtand. Der Sold einer Yanze betrug monatlich 
12 Goldgulden (gegen 50 Tir.). Fußſoldaten wurden nah Rotten ange 
nommen, die außer dem ‚Führer aus 2 Ktorporalen, 2 Gefreiten, 10 Armbrujitern 
und 9 Mann mit blanten Waffen bejtand, wozu nod der jog. „tote Haufen“ 
fam, d. bh. die Diener, denen jedoch der Sold wie Streitbaren bezahlt ward. 
Diejer betrug für den Mann drei Goldgulden. Jedermann verpflichtete jich auf 
8 Monate, auf die eriten 4 fejt, worauf der Bertrag, wenn der Fürſt nict 
fündigte, für weitere 4 Monat fortdauerte. In allen Rectsfällen und Strafjachen 
entjchieden befondere, vom Fürjten ernannte Richter. Über jede Bejatung wurden 
genaue Liſten geführt. 


4. Gruppe. 
Lehrſchriften. 
834. 
In der erſten Hälfte des 15. Ihdts. treten in Deutſchland noch 
feine militärijchen Lehrichriften auf, die einen allgememeren Charafter 


4. Lehrſchriften. 321 


hätten; die didaktiſchen Arbeiten verfolgen lediglich fachwiljenjchaftliche 
Zwede; e8 jind Fechtbücher, TFeuerwerfsbücher u. dgl., von denen 
jpäter die Rede jein wird. Nur eine briefliche Injtruftion ver: 
dient Erwähnung, welche Herzog Ludwig der Bärtige von Bayern- 
Ingoljtadt an jeinen Sohn richtete, als dieſer i. 3. 1428 einige 
niederbayerijche Edelleute, insbejondere die Zengern, befehdete. Dieje 
Inſtruktion, welche Baader im Anzeiger für Kunde der deutjchen 
Vorzeit (1872. ©. 165) mitgeteilt hat, befindet jich vermutlich im 
bayer. Statsarchive zu München. Der Herzog jchreibt jeinem Sohne: 

„Der krieg werdet dich lernen, wie du den treiben jolt; aucd die kriegslewt 
vnd dein haubtlewt werdent dir wol jagen, was notdurft ijt. Sunder drew 
dingk bat mir oft wol geraten: — Daß erjt: Wer wol chriegen wil, der acht 
umb gut kuntſchaft, vnd vil vnd menigerlai; doch jolt du jn nicht getrawen, das 
du jn jagejt, was willen du habejt zutun auf ir huntihaft. — Das ander, 
das du vil lewt oft frageit, waz man zutun hab, und iedlichen bejunder. (Daz 
tu nimmer, dad es ainer von dem andern noch vil lewt hören). Albeg nim 
eines ieden anjlag in gejchrift bejunder, wie er es vor jm hab, das er es ennden 
well; vnd ſitze dan alain vber fie all, und nim daraus ainen, ziween oder drei, 
die zuennden jein, vnd die enndt dann nad rat, dem du getramweit. — Das 
dritt: Halt all dein ſach in großer geheim vnd getraw deins kriegslewten als 
du miynndſt mügeit, waz du willen zutun habſt. Dann ob du dein gejellen 
taillen jullejt oder beieinander ligen, da chan ich dir nit aus geraten; wann du 
jolt Deinen chrieg oft verferen, zwen tag, drei oder vier all beieinander, drei tag 
oder vier don einander tailen. Nymer ſolt du deinen chrieg ainerlai treiben, 
jondern in der wochen oder in ainem monet drei jtund oder vier jtund verferen 
ond oft halden laßen vnd mwolreitend knecht ausjchiden, ob jie vnnſer veind er- 
greiffen mügen“. 

Als Hauptlehren diejer Kriegsmwersheit erjcheinen aljo: gute Kund— 
ſchaft; genaues Erwägen jedes Ratjchlages, aber umverbrüchliches Ge: 
heimbalten des erwählten Plans nicht nur vor Kundjchaftern, jondern 
auch vor den eigenen Kriegsräten; häufiger Wechjel der Kriegsart: 
bald vereintes, bald getrenntes Vorgehen. 


8 35. 


Wenn man von den Bilderhandichriften abjieht, jo iſt die erite 
deutiche encyflopädijche Arbeit über das Kriegsweien 
ein anonymes Kriegsbuch, das ungefähr vom Jahre 1450 jtammt. 
Ein Exemplar desjelben befindet fich in der Wiener Hofbibliothef 
(no. 2952), ein zweites in der Bibliothek der Artillerie und Ingenieur— 
Edule zu Charlottenburg (C. no. 1671). Der Inhalt jeßt fich zus 

Jäyns, Geichichte der Kriegewiſſenſchaften. 21 


322 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine friegswiijenichaftliche Werte. 


jammen aus dem alten Feuerwerksbuch, das jpäter zu würdigen jein 
wird 8 58], einer Abhandlung über Befejtigungsfunft, von der das: 
jelbe gilt [$ 71], und einer jolchen über Taktik, auf welche bier ein- 
zugehen it. 

Der Abjhnitt über die Befeftigung und der über Taktik 
bilden eigentlih ein zujammengeböriges Ganzes von 12 Kapiteln, das in dem 
Charlottenburger Eremplar in Kurſivſchrift gehalten ijt, während das Feuerwerks— 
buch Steiljcrift von abwechjelnd jchwarzer und roter Farbe zeigt. — Major 
Toll hat zu Ende des Wiener Eremplars die Jahreszahl 1457 gefunden; id 
habe jie ebenjowenig zu entdeden vermocht wie der General Köhler edenfalls 
ſtammt die Abhandlung über die Taftit nod) aus der Zeit vor 1460, da jpäter 
jo einfache Verhältnifje, wie der Verfafler fie im Auge bat, faum noch vortommen. 
— Das Wiener Cremplar jcheint das jüngere zu jein; es ijt zumeilen breiter 
im Ausdrude ala das Charlottenburger. Lebteres wurde übrigens erjt 1882 für 
die Artilleriefhule erworben u. zw. aus Augsburg. — In der Wiener Handichrift 
hat auch das Feuerwerksbuch einige teils vorausgejandte, teil angebängte 
Zufäge, die dem Charlottenburger Manujfripte fehlen: über Pulverbereitung, 
über Anfertigung von Klötzen und namentlich eine interejiante Anweijung über 
das Schießen mit Handfeuerwaflen, welde unten [$ 64] vollitändig mitgeteilt 
werden fol. Diejem Wiener oder ift auch eine Heine kriegswiſſenſchaftliche 
Bilderhandſchrift, jowie das geheime Jagdbuh Marimilians J. an- 
gebunden, welches den Titel „Bon des hir; wandlung“ führt und von des Kaijers 
eigener Hand geſchrieben ijt. 

Die beiden Kapitel, welche die taftijchen Anweiſungen Diejes 
Kriegsbuches enthalten, find von hohem Werte dadurch, daß fie die 
ältejten taktischen VBorjchriften überliefern, welche wir überhaupt in 
deutjcher Sprache beſitzen. General Köhler hat bereitS darauf hin— 
gewiejen, dat allerdings vom großen Striege dabei nicht die Rede, 
daß es vielmehr ausjchließlich die Fehde jei, welche dem Verfaſſer 
vorjchwebe!). Es it das ein Zug, den dies Kriegsbuch mit der 
brieflichen Injtruftion Herzog Ludwigs des Bärtigen teilt. Hinjichtlich 
des Fleinen Krieges aber bezeichnet Köhler die Angaben des 
Anonymus mit Necht als klaſſiſch. 

Das 1. der beiden taktischen Kapitel iſt überjchrieben: Wie man 
jn Eriegen ordnung vnd geſchickt jn ainem velde jol machen. 
(Das Wiener Eremplar fügt Hinzu: „ains Flaines zügs dz gar gut 
it). Das andere Kapitel hat den Titel: Hienach tat gejchrieben 


1) töhler: Eine Handſchriſt über Kriegskunſt aus der Mitte des 15. Ihdts. (Unzeiger für die 
Kunde der deutjchen Vorzeit, 1870, ©. 6, 37, 73 und 113). — Die beiden erften Abſchnitte diejeil 
lehrreichen Aufjages bieten eine erläuternde, Beiprehung der Wiener Handſchrift (welche Köhler allein 
fannte), die beiden anderen einen Abdrud der zwölf Kapitel derielben, welche dem Feuerwerksbuche folgen, 


4. Lehrichriften. 323 


ainß großenn Rayjigenn Zeugs ordnung vnd geſchickt (wider 
an andern großen gezug) jnn atmen feld zu machen. 

Von Wagenburg und Geihüg jieht der Verfaſſer in jeinem für kleinere 
Verhältnijje beitimmten Aufſatze ab. Er jegt auseinander, wie die Ritterjchaft 
joht „e das ufferjtund mit den buchjen vnd wagenburgen ze jtriten“, und er 
meint, da dieſe Art auch jetzt noch angemefien je. Zu Fuße habe man ge- 
wöhnlich eine feilförmige Ordnung gemadt, den „Spitz“, im erſten Gliede 3, 
im zweiten 5, im dritten 7, und jo immer gliederweije um zwei Mann zu- 
nehmend „bis ſy genug ijt“. Dann jei es darauf angefommen, den eigenen 
Spitz unzertrennt zu halten, dagegen den des Gegners zu durchbrechen, und wer 
das vermodt, der habe den Sieg davon getragen. 

Das Kapitel über die Reitertaftif, das lebte des ganzen Buches, zeigt 
in den beiden vorhandenen Eremplaren einige wejentliche Verjchiedenheiten und 
ijt überdies in dem Berliner Coder unvolljtändig. Der Berfaffer, der gewih jelbjt 
ein Ritter war, teilt jeine Neiterei in Schützen und Spießer ein. In dem 
Wiener Eremplare werden außerdem auch nocd Abteilungen von reifigen Leuten 
unterjchieden, die nur mit dem Schwerte fehten; davon ift in der vermutlid) 
älteren Berliner Redaktion nicht die Nede. Der Fürſt oder Herr foll „etlich der 
ba erzüglichiten jpießen . . . für fich gegen den finden ordnen; die jullent ſich 
auch jo ſy aller nächſt mügent, zefamen halten vmb das man jy nit ze ring zer- 
trennen müge; nachdem jol der fürjt oder herre mit finem fenlin zunächit fomen 
vnd nah jm der gang zug“. — Wenn man zur Erflärung die jonjt erhaltenen 
Nadırichten über die Fechtordnung der deutichen Ritterjchaft heranzieht, heilt dies, 
daß vor dem Banner her ein Spik von Spießen trabte, hinter dem ſich dann 
ein vierediger Haufe mit Schwertern anſetzte. Beide zujammen bildeten den Ge- 
walthaufen. Vor diefem her zogen als Vorhut die „verlorenen Schüßen“, be- 
rittene Armbrujter. Links von ihnen trabte ein Meiner Haufe von Spießern, 
welcher dem Feinde „under die jchilt“, d. h. in die rechte Flanke rennen follte. 
Rechts aber wurden die verlorenen Schüten von einem Haufen Schwerterreiter 
jefundiert. Jeder Haufe hatte jeinen eigenen Hauptmann. Die Schügen leiteten 
das Gefecht ein, indem jie ihren Bolzenhagel derart verteilten, daß immer eine 
Gruppe ſchoß, während die andere ihre Armbrufte jpannte und fertig machte. 
Hatten jie genügend gewirkt, jo erfolgte der Schod, u. zw. von allen Haufen 
zugleih „röſchlich vnd fluds miteinander“. Die drei Haufen der Vorhut bleiben 
aud dann zu Pferde wenn der Gewalthaufen etwa abgejejjen ficht, falls irgend 
das Gelände es fordert. Der Verfaſſer macht auf die Bedeutung der Boden- 
beichaffenheit mit Einjicht aufmerkſam. 


8 36. 
Bon hoher Friegswiljenjchaftlicher Bedeutung iſt eine bisher nod) 
niemals gewürdigte Handjchrift der großherzoglichen Bibliothek zu 
Carlsruhe (ms. Durlach) 18), welche mehrere militärische Schriften 


enthält. Das Bud), ein Holzband mit Lederrüden, durchweg von 
21* 


324 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswifjenichajtliche Werte. 


demjelben jtarfen Papier erfüllt, iſt offenbar von vornherein dazu 
bejtimmt gewejen, nach und nach Abjchriften Eriegswiljenjchaftlicher 
Abhandlungen aufzunehmen; denn es eröffnet jich mit einer jchönen 
Handichrift des deutſchen Vegez von Ludwig Hohenwang [8 2', 
welche die Blätter 1 bi3 77a einnimmt, und es jchließt mit den 63 
Figurentafeln ab, die auch der gedrucdten Verdeutjchung des Vegez 


beigegeben find und die hier in farbigen Handzeichnungen die Blätter 


123a bis 155a füllen. Der zwijchen dieſen antiken, bzgl. ikono— 
graphiichen Bejtandteilen des Kriegsbuchs befindliche Raum tt nun 
allmählich nahezu voll gejchrieben worden. An den Text des Vegez 


reiht jich, ebenfalls jehr jchön, wenn auch ohne Verzierungen ge 
ichrieben, eine „Notdurfft, ordenung vnnd geſchick der wagen 


burd“ (BI. 78a bis 87a), über welchen Titel jpäter eine fräftigere Hand 
die Überfchrift geſetzt hat: „Philips von Seldenned verzaychnus der 
ordenung“, was ſich vermutlich auf den Gejamtinhalt des Buches 
beziehen joll, joweit er nicht zum deutichen Vegez gehört. Gleichfalls 
noch von funjtgeübtem Schreiber rührt die nächjte Eintragung ber: 
„Die Ordenung vnd der eyde der eydegenoßenn vnnd der 
gemeinen jchiweyger, jo fie zu veldt ziehenn oder jr Haubleut zu ein 
veldt ſchicken“. (BI. 87b bis 91a). — Nun aber fommt eine rohere 
Hand, wahrjcheinlich die des Beſitzers jelbit, deren Eintragungen 
offenbar durch vieljährige Paujen unterbrochen worden find; denn 
die Schriftzüge haben zuleßt einen anderen, greijenhaften Anjtrich. 
Zuerſt eingetragen it von Ddiefer Hand „Der gemayn eyd, jo 
die furjtlichen Herren oder ſtatt jrn knechten, die fie be 
jtallen vnd jchiden, lagen ſchweren“. (BI. 91b bis 93b). — Hierauf 


beginnt eine Abhandlung mit den Worten: „Nun will ich Philips‘ 


von Seldened meynen junen vnd erben zu erinderung vff jre ver: 
begerung eine ordnung der fusknecht zu machen jchreyben“. (BI. 94a 
bis 96a). Nach vier Blättern hebt dann eine größere Inſtruktion in 
Briefform folgendermaßen an: „Friedrich von Seldened, nachdem du 
deim bruder (Hanjen) gejchrieben vnd begert, dir von mir als deim 
vatter bericht zu nemen, dir not jey zu wißen, ein felt zu be 
ftellen... wie es dan in diejer landtartt der gebrauch iſt, will ich 
dich berichten.“ (BI. 101a bis 116a). 

Über die Perſönlichkeit des Verfaſſers habe ich bisher nicht® er- 
fahren fünnen. Was die Zeit der Abfaſſung anlangt, jo läßt ſich aus 


4. Lehrichriften. 325 


inneren Gründen (vgl. unten Seite 332) für die leßte, jüngjte Abhandlung das 
Jahr 1480 als jpätejter Termin fejtitellen. — Die Seldenecks waren ein altes 
fränkiſches Adelsgejchlecht, eines Stammes mit den Küchenmeiſtern von Norten= 
berg. Sie bejahen als Lehen der pfälziihen Kurfürften das Reichserbküchen— 
meifteramt und jtarben gegen Ende des 16. Ihdts. aus. Die jept blühenden 
Seldenel3 entjtammen einer morganatiichen Ehe ded Markgrafen Wilhelm Ludwig 
von Baden (F 1780). 

Ob die Wagenburgordnung Phil. v. Seldenef zum Ver— 
fajjer hat, erjcheint mir zweifelhaft. Ihr Inhalt wurde bereits mit- 
geteilt. [5 28). Vermutlich iſt jie ebenjo überliefertes Gut wie der 
deutſche Vegez, und dasjelbe dürfte von der Ordnung der Eid» 
genoſſen und der Gemeinen Knete gelten, deren an anderer 
Stelle gedacht worden iſt. [$ 30). Bon Seldened jelbjt rühren da- 
gegen unzweifelhaft die „Ordnung der Fußknecht zu einem 
Feldſchlagen“ und die „Feldbeſtellung“ Her, welche in eine 
Ordnung der Reiteret und in eine Abhandlung über die höhere Taftif 
zerfällt. Dieſe Dinge find es, welche es hier zu bejprechen gilt. 

A. Eine ordenung der fusknecht zu einem feldt- 


ihlagenn jn einem flachenn oder breitenn felde. 

1. „Eine gefirde ordenung, die jol aljo jein: Zihen 1000 knecht im 
felt, jo geburt ſich 100 Mann in ein glitt (eins minder oder mer; dann es jol 
almwegen je ein glitt ungerade jein.) . . . “ Beim „Ziehen“ richtet ſich die Zahl 
der Glieder nad) der Stärke der vorhandenen Mannſchaft. So marjdieren 3. B. 
500 Mann mit 5 Mann im Gliede, 1000 mit 9 oder 11, falld es der Weg er: 
laubt. U. zw. zieht die Hälfte der Schüßen voraus; dann folgt die Hälfte der 
Spiehe; dann fommen alle Helmparten, in ihrer Mitte das Banner; hieran reiht 
jih die zweite Hälfte der Spieße und endlich die der Schügen an. „Vnd war 
ein gejchrey fomt, jo jol man die zween theyll der ſpies nebeneinander führen (?) 
vnd die heimpartten vnd panir mitten dortinjtoßen vnd die vorderen jchuczen jol 
man aud; da vornen behaltenn vnd vff die linde jeytten jtellen, die hinderen 
ſchuczen auch aljo, vnd fo ijt die ordenung gleih am gang gemacht, wie 
vor ſteht:“ 

| 


Helm: O parten 





Fig. 1. 


Dieje „gevierte Ordnung“ Seldeneds ijt jeine Normaljtellung. 
Sie ijt keineswegs dasjelbe, was im 16. Shot. unter „gevierter Ord— 


326 Tas XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


nung“ verjtanden wird, nämlich fein Quadrat, weder ein jolches nad) 
der Zahl der Mannſchaft, noch ein ſolches Hinfichtlic) des eingenom 
menen Raumes (aljo weder „Manns“= noch „Lands“-Quadrat), ſondern 
ein Nechted. Denn da Seldenef bei 1000 Mann in jedes Glied 
100 Mann jtellt, jo erhält er nur 10 Glieder, und wenn man (wie 
üblich) auf den Mann in der Front 3 Fuß, im der Tiefe TYe Fur 
rechnet, jo ergibt jich ein Nechtek von 300 Fuß Front und 75 Fuß 
Tiefe, d. 5. eine Aufitellung, welche viermal jo breit als tief üt. 
Dem entjpricht auch Seldeneds Zeichnung. — Das Fußvolk jest ſich 
aus vier Waffen zujammen: Spießer, Helmparten, Schügen und (tie 
aus weiteren Angaben hervorgeht) einigen Kurzwehren. Als Feld: 
zeichen dienen ein Banner und mehrere Fähnlein. Dieje jtehen m- 
mitten des von den Helmparten gebildeten Zentrums der Ordnung; 
weiter nach außen folgen die Spießer, und die ‘Flügel werden von 
den Schüten eingenommen. Lebtere find offenbar zum zerjtreuten 
Gefechte beitimmt, und im Fall fie zu deſſen Durchführung ihre 
Plätze auf den Flügeln verlaffen haben, werden dieje von den Spiekern 
gejichert, deren Bewaffnung jie zu einer jolchen Aufgabe bejonders 
geeignet erjcheinen lafjen mußte. — Sn Seldeneds Zeichnung nehmen 
Spießer und Schüßen zujammen nur ebenjoviel Raum ein als Die 
Helmparten, welche jomit al3 die Hauptwaffe erjcheinen; doch muß 
es auch zu jeiner Zeit nicht jelten gewejen jein, daß die 
Zahl der Schügen bei weitem die normalmäßige Stärke 
überjtieg; denn er gibt für dieſen Fall zwei bejondere 
Vorſchriften, je nachdem der Überihug an Schützen jehr groß 
oder minder bedeutend wäre. 

2. Hott man dan vill jhuczen, jo mag man halb jpieher und halb 
ichuczen neben einander jtellen, doch die ſchuczen vff die linken jeytten. Wo 
aber der jchuczen nit als vill ift als die ſpiß, jo mag man die mindern v. jo 
vill gelider machen, al® man mag vnd die armbrujt: oder bogenjchuczen dor 
vnder mijhen oder do mitten hinein ‚allein tun; vnd war das geſchieht, jo jol 
man die banir vnd jenlein freimitten dor eintun. Vnd ein fenlein jun vorzud 
vff das zihend (10.) gelit; zu der nachhut auch aljo, vnd vor die banir drew (3) 
gelit mit helmpartten und auch drew dorhinder und uff der jchuczen jeytten ein 
flügel mit ſpiſen ........ (unleſerlich) . . . Vm die banir einige gelider 
mit kurezen wehren, vnd darnach die vberigenn helmparthenn allerwegen im 
anderen oder drittenn glitt (darnach man jr vill oder wenig hott); darnach die 


ſpies vnd ſchuczen theylenn bis ſie alle vertheyltt vnd verglichen werden. Alſo 
iſt die ordnung beſchloſſen.“ 


4. Lehrichriften. 327 


Dieje allerdings nicht eben klare Auseinanderjegung erläutert 
Seldened durch eine Figur, welche jene Meinung bejjfer verdeutlicht. 


(‚Figur 2.) 














Spießer Bei (2.) 

o eventuell 
unb auch oO = Fähnlein 
Schügen- O = Banner. 






Helmparten 





beimifhung 







Spießer · 
flügel 


Fig. 2 u. 3. Fig. 4. 





3. Wo aber nit jo vill ſchuczen weren, jo jol man die ordenung mit 
ſpießen vnd heimpartenn ganz machen vnd aus den jchuczen zween hauffen machen 
vnd den einen hauffen dar voraus vff die lindenn jeytten neben die jpies jtellen 
vnd do hindern den anderen thehll vff die rechte jeytten (Fig. 3). 

Hier iſt aljo die Hauptmafje des Fußvolks (Spieße und Helm— 
parten gemijcht) nicht flach, jondern jehr tief aufgeitellt, allerdings, 
wie aus einer jpäteren Bemerkung hervorgeht, zu dem Zwecke, nad) 
zwei Seiten Front machen zu fönnen. Unter dieſer VBorausjegung 
itehen die Flügel der Spießer und Schüßen, welche auf den Flanken 
angehängt jind, immer links der Hauptmafje des Fußvolks u. zw. 
jo, daß die Spiekerflügel, nachdem die Schügen ausgejchwärmt jind, 
den gemijchten Haupthaufen gegen jede Flankenbedrohung, fie fomme 
von rechts oder links, durch eine Bewegung aus der Tiefe zu jichern 
vermögen. 

Dem entiprechend heißt es: „Daß man jich nicht mer bedorffe vmbkehren, 
jo find die jchuczen allwegenn vff der linden jeytten und jollen die jpies allwegen 
vfigericht jein bi8 man jiehet, wo man jie will angreyfienn. Bnd wenn man jie 
angrenfit do vornen am hauffen, jo legen fie die jpis nieder (fällen fie) vor dem 
banir, vnd die hinderen jollen ir ſpis vffrecht haben vnd pleyben. Vnd jo man 
fie dan do binden angriff, jo feren fie ſich vmb vnd die hinderen jpis niderge- 
loßen vnd die vorderen jpies wider vffgehoben.“ 


328 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


4. „Finden fusfnehteinen vorteyll im felt: waher, graben, berg 
oder holez, jo jind die jpißer (verjchrieben, muß der Figur nad „helmparten“ 
heißen) vff die rechte, die jchuczen vff die linke jeytten nemen, jo lang als die 
ordnung ijt, vnd vff der jchuczen ſeytte gegen die banir ein Flügel mit jpihen 
vff die kureſt gewer, damit fie jich allerwege mögen ...?... vnd jr jchuczen 
möglichjt deden mit den jpißen.“ (Figur 4.) 

In dieſer, das Gelände berückjichtigenden Vorſchrift iſt Leider 
nicht angegeben, mit welcher Seite jich die Ordnung an das ungang- 
bare Gelände anlehnen joll, und auch jonjt wird nicht Klar, welche 
Vorteile etwa von derjelben erwartet werden. 

Hinfichtlich der anderen Waffen fügt Seldened folgende Be 
merfungen hinzu: 

„Hott man dan ein vebergejhucz (Feuergeihüg) vnd will das verborgen 
juren, jo muß man es in der ordenung enmitten vor dem baner furen; das 
dünft mic) auc das beit jeyn. Wan man aber das geſchucz nit verborgenn 
furen will, jo joll e8 auch vff der jchuczen jeytten fein.“ 

„Ist dann ein reijiger Zugf (Reiterei) do, der fan fich jelbjt woll ordnen 
dornach das feldt ift oder der plak vnd die ordenung allwegen behalten. Ob des 
volds minder oder mer ijt, jollen die hauptleut alliwegen die Zall vberſchlagen, das 
jie wißen mit den glidern in der ordnung zu fomen, des jie mogen bejchließen.“ 


B. Feldbeſtellung der Reiterei. 


Wann der Zug ins Feld kommt, jo ift das erite dejien, der „das feld: 
bejtellen“, d. h. die digziplinaren und taktiihen Anordnungen treffen jol, daß 
er die Kriegsleute auffordert, Ordnung zu halten, gehorjam zu fein und alle 
Streitigfeiten zu vertagen. Das muß jehr höflich gejchehen, zumal wenn „erlich 
leut“, d. h. Edelleute höheren Ranges, im Haufen find. „Lieben herren 
freunde und gejellen u. f. w.“ Dann ijt dem dazu erwählten Manne das Banner 
zu überreichen und anzuempfehlen und damit zugleid; Anerkennung und Beijpiel 
zu geben. Der ebrlide Mann wird fich bejcyeiden des Banners weigern und 
meinen, es jeien bejjere Yeute da; aber e8 muß ihm dann höflich gejagt werden, 
daß es bei jeiner Wahl bleibe. Er fann nun das Banner fliegen lafjen oder es 
um den Spieß gewidelt tragen, wie man will. Dann werden die Leute mit 
Namen aufgerufen, um ji an das Banner rechts, links, vorn und im Rüden 
anzureihen und jo Glieder zu bilden, derart, dab das Glied, in welchem das 
Banner jelbjt Hält, die Grundlage des ganzen Haufens wird. Dieſer aber wird 
im Keil geordnet. Die Glieder vor dem Banner heißen „der Spig“, und in 
diefem jollen „allwegen die fedmutigjten fein vnd mit pferd vnd harnaſch am 
bejten gerüft; dan an diejelben leytt vill vnd ift aud am fordlidhiten und aud 
am erlichſten.“ Im engiten Sinne wird unter „Spitz“ jogar nur das erjte Glied 
verjtanden. Hat man taujend Pferde ohne die Schügen, jo fommen in das erite 
Glied fieben Reiter und find fieben Glieder vor das Banner zu jepen. Jedes 
lied vor wie nad) dem Banner joll zwei Gewappnete mehr haben als das vor: 


4. Lehrichriften. 329 


hergehende. Überjteigt die Zahl der Pferde taujend, jo bilde man entweder 
mehrere Saufen oder verbreitere den Spiß (nehme neun oder elf Pferde ins erite 
lied) und hänge mehr Glieder hinter dem Banner an. Es iſt durchaus not- 
wendig, dal der Haufe von vorne nad) hinten jtetig breiter werde und eine fejte 
„reine und ſchickliche“ Gejtalt behalte „und ſich fein langer vnformlicher zagell“ 
bilde. „Der hinderen glider yelichs mus zweyer gewopneter mer habenn glei) 
nacheinander wie es von der jpiß her angefangen ijt. Alwegen das nedjt glit 
binder dem banner zweyer meher dann bei dem banner, dornad aber das nedjt 
glit zweyer mer dan das erjt vor jm; aljo mad) e8 vom anfang bis zum hindert 
glid hinaus,“ 

Hat man 200 Pferde zu ordnen, jo find in die Spitz (das erjte Glied) fünf 
zu nehmen und mit dem Banner (d. h. einjchl. des Bannergliedes) vier Glieder 
zu maden (dann folgen nocd acht oder neun lieder nach), — Bei nur 100 
Pferden ordnet man drei in das erite Glied und jtellt das Banner ins vierte Glied. 

Reicht die Zahl der Edlen nit aus, um alle Glieder hinter dem Banner 
mit jolden zu bejegen, jo nehme man redliche Knechte, die jtarf beritten find und 
guten Harnajh haben. — Hit ein Fürjt im Feld, der feinen Befehl hat oder 
haben will, der ijt aufs nädjite hinter da8 Banner zu ordnen. 

Die eldbejtellung der Haufen ijt eine jehr mühjame und langwierige 
Arbeit, deren jich der oberjte Hauptmann nur für den einen derjelben unterziehen 
jol, damit nicht zu viel Zeit verloren geht. Die anderen Daufen, welde etwa 
noch aufgejtellt werden, Nennfähnlein, Brennfähnlein u. j. w. find in 
gleiher Weije wie der Haupthaufe von redlihen und gejchidten Leuten einzu— 
richten, denen der oberjte Hauptmann vertraut. — Ueber alle Schützen ijt ein 
gemeinjchaftliher Befehlshaber zu jegen, welcher für jede der zwei oder drei Ab— 
teilungen derjelben einen Hauptmann bejtellt. Auch den Knaben gebe man 
einen bejonderen Hauptmann u. zw. einen Edlen. Dieſem find einige erfahrene 
Knechte zuzugejellen; denn es geſchieht nicht jelten, daß bei ſchlecht beaufjichtigten 
Knaben zuerjt die Flucht einreißt. „Ein yglider Hauptmann, es jei zum banner, 
fenlein, ſchuczen oder anderjt, der Hott jeiner Hauptmannſchaft vnd befelchs ere, 
vnd man adt ja, das er jo gejhicdt vnd redlich jey, das er ſolch jeine haupt- 
mannſchafft und befelle wiße und fund ausrichten. Dorumb jo tuet man jglichen 
bejtellen vff jein Hauptmann zu warten.“ 

Wenn jo das Feld bejtellt ift, muß den Haufen abermals Höflih und ein— 
dringlich die Pflicht des Gehorjams ans Herz gelegt und ihnen die allgemeine 
Kriegdabfiht mitgeteilt werden. Dann find Zeihen, Gejchrei und Loſung mit- 
zuteilen. Als „Zeichen“ wird Eichenlaub empfohlen, ala Gejchrei „Burgund“, als 
Loſung „Unjere liebe Frau“, ald heimliche Lofer „der tegen oder das ſchwertt“. 

Beim NReijen (d. h. auf dem Marjche) hüte man fich vor faljcher Sicher- 
heit. Es ijt ratjam, feine Ordnung immer jo zu halten, als ob man jtet3 des 
Feindes gewärtig jein müſſe. „Veracht nichts; dan aus verachtung kumpt ſchand 
vnd ſchaden.“ Mancher ward geſchlagen eh er nur zu ſeiner wehr kam, das aber 
iſt ſchmählich. Auch wenn man einmal nicht in der Ordnung reitet, muß doch 
jedermann unter allen Umſtänden die Ordnung kennen und wiſſen, wo ſein 


330 Das XV. Jahrhundert. T. Allgemeine friegswijienichaftlihe Werte. 


Plag it, wenn der Ruf „In die Ordnung !* erihallt. — Um Zeit auf dem Felde 
zu jparen, tut man gut, die Ordnung jchon in der Herberge mit Muße aufzu— 
zeichnen und jedes Mannes Namen an die Stelle zu jchreiben, wo er jtehen joll. Dies 
Verzeichnis nimmt der Hauptmann, der dad Feld bejtellt und richtet jih danadı. 
Es find die Yeute zu beitimmen, weldhe voraus, neben und nad 
traben follen, um den Zug zu fihern, Örtlichfeiten abzujuchen und den Haupt: 
leuten Bejcheid zu geben. Iſt ein Nennfähnlein vorhanden, jo reitet dies 
vor dem Zuge, die Schügen für gewöhnlich rechts desjelben, doc, nad) des Orts 
und der Umſtände Gelegenheit auch wohl dahinter oder davor. Die Knaben 
jollen, weil das wohlanjtändig und höflich ift, beim Marjche vor der Ordnung und 
dem Zeuge (d. 5. dem Haufen der Neifigen) reiten, während jie ji im Gefecht 
dem Haufen hinten anzujchliegen haben. Indes gilt anderwärts der Brauch), daß 
jeder Reiter jeinen Knaben unmittelbar vor ſich reiten läht, damit im Fall plöß- 
lihen Angriff3 jeder jeinen Sauptharniih und Spieß ohne Beſchwerung und 
großes Gejchrei fchnell erhalten fünne. Aber wenn dann die inaben „aus dem 
zeug ruden jollen“ geht es leicht „gar gräuglichen“ zu. Freilich entjteht auch 
oft, wenn die Knaben geſchloſſen vorausrüden und von den Edlen und Knechten 
zum Wappnen gerufen werden, große Verwirrung. Da will jeder der erite bei 
jeinem Seren jein. Zuweilen aber reitet auch je eim Ainappe, jowohl während 
des Marſches ald während des Gefechtes, unmittelbar hinter jedem Deren und 
wartet dejien aud) im Kampfe jelbjt. Das wird gelobt aber auch getadelt. 


Wenn man des Feindes gewahr wird, jo ift er von dem, der das 
Feld bejtellt, oder redlichen Mannen zu „beſehen“. Seine Macht, Geichiet (taktiiche 
Anordnung) und Ordnung find zu erfunden; es ijt fejtzuftellen, wie viel Haufen 
er gebildet, wie ſtark jeder derjelben jei und in welder Anordnung diejelben 
ziehen. Wenn jo einer den andern „bejichtigt“ gehört viel Geſchicklichkeit und 
Sorge dazu, dag Richtige zu erkennen. Darum iſt es am beiten, der oberite 
Hauptmann unterzieht ſich diejer Aufgabe felbit. 

So man dann treffen (angreifen) will, jo follen jih die Xnaben 
hinter dem Haufen halten und aufichauen, ob einer abgejtochen oder jonjt jeines 
Pierdes verlujtig werde. Einen joldhen haben jie aus ihren eigenen Reihen wieder 
beritten zu madhen. Die Schützen jollen ſich rechts des Haufens halten, einen 
Steinwurf weit entfernt oder weiter und ein wenig vorwärts des Haufen®. Wenn 
dann die gegneriichen reiſigen Haufen einander jchier berühren, jo jollen die 
Schügen „vberzwerd“ (von der Flanke ber) Hinter der Feinde Banner einjegen, 
um den Spit von dem Teil des Haufens hinter dem Banner abzudrängen. Ge- 
lingt den Schüten das, jo jollen fie um den Rüden des Feindes herum fich von 
links ber gegen da8 Banner wenden, um dejien Umgebung zu „entjdiden”. 

Was nun den reijigen Zeug betrifft, jo ijt diejer in der jhon erläuterten 
Keilform zu ordnen. Die Schügen find in jeinen Haufen niemals aufzunehmen, 
jelbjt bei eiligem Rückzuge nicht; „dan fie fonnen dor in nüchts jchaffen; ſie 
jrren jich jelb8 vnd ander.“ Much der befehlsführende Fürjt vder Kriegs— 
bauptmann gehört nicht in den Haufen; ihm ijt vielmehr ein bejonderes Ge— 
jinde zuzumeijen, das er nad) Gefallen ordnen mag und mit dem er am beiten 


4. Lehrjchriften. 331 


ſeitwärts-rückwärts des großen Haufens hält u. zw. ſo, daß er einen guten Über: 
blict über den Gang „des jchlagens“ hat, um, für den Fall, daß fein Heer aus 
mehreren Haufen bejteht, deren Zuſammenwirken beobachten und beeinflußen zu 
fünnen. Befehle, welde er den .einzelnen Hauptleuten zujendet: warn und wo 
jie treffen (angreifen) jollen, find immer durd) wohlbefannte Männer zu jenden, 
damit fie Gehorjam finden und Irrtümer und Entſchuldigungen ausgejchlofien 
bleiben. Hält er es für angemejjen, jo mag der oberjte Hauptmann aucd jelbit 
mit jeinem Gejinde in das Gefecht eingreifen; immer aber habe er acht darauf, 
dab niemand ſich dem Kampf entziehe und feine Flucht einreiße. Geſchieht das, 
jo werfe er jelbjt fich ihr entgegen. Zweckmäßig ſei es, bei dem Gefinde des 
Feldhauptmanns nod) ein zweites, verhülltes Hauptbanner zu führen; jinfe dann 
das fliegende Banner des Haufens, oder reiße es der Feind an fich, jo laſſe zum 
Erjag der Fürſt das jeine fliegen. 

Den Reiſigen ijt and Herz zu legen, daß wenn fie nad gelungenem 
Angriff den Feind durhbroden Haben, ſich jedermann gleich wieder „vff 
die rechten handt in die feindt wende [val. ©. 292] vnd veglicher tue als ein 
gutter gejell“, aljo nicht auf Beute ausgehe. — Kommt e8 zur Verfolgung, jo 
werfe man die Schüßen voraus; wird man gejagt, jo laſſe man fie hinter ſich. Bei 
jolhem Jagen fommt alles darauf an, dab man immer wieder Sammelpuntte 
ihafft: Fähnlein oder Spieße, auf die man einen Hut oder eine Binde jtedt. 
An ſolchem Zeichen ſchare man die Verfolger oder Flüchtigen, bis fie einen regel- 
mäßigen Spit bilden, an den jid dann weitere Glieder anjchliegen mögen. Bei 
fleineren Abteilungen ift das jogar in der Bewegung möglich, ohne durch Halten 
Zeit zu verlieren. So geordnet, mag man aufs neue angreifen, und jeder, der 
durch des Gegners Haufen dringt, muß, wie vorher, dem Feinde mit einer 
Seitenwendung den Rüden abzugewinnen ſuchen und wieder dreinichlagen, nicht 
aber blind drauflogreiten. U. zw. jollen die durchgebrochenen Neifigen Heinerer 
Abteilungen von etwa 50 bis 60 Pferden ſich links wenden, weil das jchneller 
geht (?); die durchgebrocdhenen größeren Abteilungen dagegen mögen ſich rechts 
wenden; „dan ein großer Hauf muß ſich jamithaft wenden“ (und im allgemeinen 
galt e8 immer für bejjer, dem Feinde die line Seite abzugewinnen, was durd) 
die Rechtsſchwenkung geſchah). 

„Thet vns dan der Allmechtig die gnad, daß wir mit den feinden ſchuffen 
den ſig vnd das felt behilten vnd reiſig hab gewönnen, ſo ſol vnſer liebe frawe 
das beſt pferd ſein vnd des lieben ritter ſant Jorg der beſt harniſch, den haupt— 
leuten in aller recht (?) vnd dornach ein gleiche beutt.“ Hieran ſchließt ſich 
eine weitläufige, ſchwer verſtändliche Auseinanderſetzung über Beuterecht, auf 
die hier nicht eingegangen werden ſoll). 


O. Anweijung zur Taftif größerer Abteilungen. 
Der zweite Teil von Seldeneds Schreiben an feinen Sohn führt die Über: 
ihrift: „Weldtbejtellung vnd Schicklichkeit, jo jie zu meiner zeit 


1) Die Reihenfolge der Abſätze des obigen Tertes iſt in einigen Punkten geändert, um das 
Bujanmeugehörige zu nähern und dadurch zugleich das Verſtändnis zu erleichtern. 








332 Das XV. Jahrhundert. I Allgemeine kriegswifienihaftliche Werte. 


in Behem, Bolann vnd Preujenn vnd zuletjt in Oſterrych ge 
braudt worden.“ — „In diejer land art“ (d. h. in unferer ſüdweſtdeutſchen 
Heimat) jo beginnt der Verfaſſer, iſt eS nie gebraucht worden und auch in den 
genannten öjtlichen Yändern jeit fünfzig Jahren faum mehr. Es leben wohl 
nur wenig oder gar feine mehr, die bei jolhen Ordnungen gewejen jind. Ich 
habs aud) nicht gejehen aber davon reden hören, und ich will es mitteilen; 
denn obgleich jich die meijten diejer Ordnungen nur mit großer Truppenjtärte 
beritellen lafjen, wie jie dem Sohne nicht zur Verfügung jteht, jo läht manches 
davon ſich doch wohl verwerten, und überdies ijt ed dem Sohn gut, Dinge zu 
wijjen, die nur wenigen befannt find, „jo went man, du jeyjt weyſer vnd geupter, 
dan du bijt.“ 

Wenn man dor den Feinden hält und mit ihnen treffen will, io 
gehört es fich, „ein dapfer vnd trojtlich wort zu thun“ vom oberjten Hauptmann 
und vom Hauptmann jeder Rotte. „Lieben herren vnd freundt; ich getram dem 
almechtigen got vnd bin ganz vngezweyfelt, der almedtig werd vns gnad vnd 
jid wider vnſer feindt geben; dan ich jehe jo manden hochgebornen edlen furiten, 
graven, herren, ritter vnd knecht mit jolchen erlicdden redlihen dapferen vnd 
feden gemudt, das id) an jorg ſehe, jglicher werd jein leip gegen den feinden 
nit jparen jondern erlichenn fechtenn, da durch der ſick vnſer werd u. j. w.“ Jeder: 
mann joll fünf Paternojter, drei Avemaria und einen Glauben beten. 

Bo groß Bolt ijt, empfiehlt es fih, viele Haufen und viel Treffen 
gegen den Feind zu führen, zumal gegen dejien „großen Haufen“, damit diejer 
jchon in Jrrung und Ungejchid fomme, bevor er mit unjerem großen Haufen 
zufammenjtößt. Zu dem Ende ordne man links des eigenen Spipes eine jtarke 
Abteilung von Schüßen, die im Augenblid, da der Feind angreift, gegen jeine 
rechte Seite und unter feine Spieße ſchießt, auf ihn einjprengt, auf die Spiehe 
ichlägt und womöglid in feine Spige eindringt. Solde Schügen heißen „Ber: 
lorene Sch üßen“, und fie verdienen den Namen; denn ihr Gefecht zwiſchen 
den beiden Haufen ijt in hohem Maße gefahrvoll. — „Gar vill beier wer es, 
das die verlorne jchuczen alle hetten handbuchſen vnd damit fundten und mit 
qutter vernunfft vff der feindt ſpitzen abſchießen. Kanſtu merden: was die treffen, 
man oder ros, das es darnider ging vnd vngezweyfelt deines widertheyls jpi; 
wird domit getrennt. Aber gar heimlich; muß man jold bejtellung halten, das 
die feindt oder niemann deßen weyſt wird“, 

Bilde eine Spieerabteilung von 20 bis 40 guten redlihen Gejellen und 
jtelle ſie rechts deines eigenen Spikes oder auch, zurüdgehalten, neben dem 
Haufen etwa in Höhe des Banners auf u. zw. in der Weife, dab der Feind 
nicht leicht zu erfennen vermag, wie neben dem Haufen noch eine Sonderabteilung 
bereit jei. Haben dann die verlorenen Schützen getroffen, jo werfe fich diefe 
Abteilung von der anderen Seite her auf des Feindes Spitz. Eine ſolche Ab- 
teilung nennt man „die vnder den jchilt gerent“ ; denn ihr Treffen ijt dem Feind 
auf der linken Seite, da der Schild hangt und kein Wehr. — Womöglich lät 
man jolchen, die als „Borjtatt“ unter den Schild gerennt haben, nod) eine Ab- 
teilung zur Unterjtügung folgen. Überdies formiert man lints jeines eigenen 


4. Lehrſchriften. 333 


Haufens ein Geſchwader, um einem etwaigen Flankenangriffe der feindlihen Schüßen 
entgegenzutreten. Dieje beiden Abteilungen heist man „flug“ oder „Flügel“. 

it es wahrjcheinlich, daß der Gegner ſich ebenfalls der verlorenen Schügen, 
derer, die unter den Schild rennen, und der Flügel bedienen werde, jo verdoppele 
man womöglich die Zahl diejer jelbjtändigen Abteilungen. 

Soldye Ordnungen find gut und dienen zum Sieg; denn der Feind wird 
weich und zerrüttet, bevor er zum Hauptitoß fommt. „Wo vill geordneter hauffen 
jeind, do mühen ſich auch vill leut weren; dan do groß hauffen vnd jchlagen 
jeind, do wird gewonnen vnd verloren und in denjelben hauffen bleiben alwegen 
vill leut, der feiner fein wer thu, auch kein jtreych empfehe; dorumb jo 
müßen die das jhlagen gemwynnen, die do vorn vnd am ortt (auf 
den Eden) jeindt vnd antreffen, die mühen es vollbringen“. 

Bon größter Wirkung ijt ed, wenn man dem Feind inden Rüden 
fallen fann; denn hinten ijt jeder große Haufe unverjorgt, und es find da 
die mindejt guten Leute eingereidt. Zu dem Zweck empfiehlt es ſich, einen 
Hinterhalt zu legen; der in dem Augenblide eingreift, wo vorn der Kampf 
entbrannt iſt. Läßt fich das nicht machen, jo halte man hinter dem eigenen 
Haupthaufen einen Mleineren zurüd, der ſich zu der Zeit, da fih die großen 
Haufen treffen, jeitwärts herauszieht und dem Feinde mit ſtarkem Geſchrei 
in den Rüden fällt. Das bringt meiſt äußerjte Verwirrung hervor und entjchict 
des Gegners Trdnung. Gegen etiwaiges gleiches Verfahren des Feindes diene 
eine zweite jpiegbewehrte Abteilung hinter dem eigenen Haupthaufen. Eine jolde 
fann auc einem etwa durcdhgebrochenen Feinde geſchloſſen und friſch entgegen 
treten und jie am Rüden oder Flankenangriff hindern, vermag auch der Flucht 
des eigenen Haupthaufens zu jteuern. — Ein ſolches Berfahren iſt zu 
Roh wie zu Fuß anzumenden; aber es ijt ein Geheimnis, von dem Philipp 
v. Seldeneck nur jeinen Söhnen Hans und Friedrid Hunde geben mag. „Ic 
bin dabei gewejen, das jold) geihid gemacht ijt worden; aber diegmals fein 
ihlagen geichehen.“ 

Einige medizinijhe Vorſchriften für Mari) und andere Anjtreng- 
ungen jchließen das überaus interefiante Buch ab. 


8 37. 


Die letzte reindeutjche didaktische Schrift über Kriegswejen, welche 
bier zu erwähnen bleibt, it ein ſehr merkwürdiges Lehrgedicht, nämlic) 
die „Lere, jo Kayjer Marimilian in jeiner erjten jugent 
gemacht vnnd durch eyn trefjlichen erfarn man feiner 
friegsräth jm zugeitellt tit“. 

Würdinger (Kriegsgeich. v. Bayern II. S. 376) nennt dies Lehrgedicht die 
Einleitung zur Kriegsordnung des Markgrafen Albrecht Achilles von Branden— 
burg v. J. 1474, vermag ſich aber nicht mehr zu erinnern, wo er diejelbe als 
jolhe aufgefunden habe. — Gedrudt ward die „Lere“ zuerit im Verein mit 
Überfegungen von rontin und Onejander zu Mainz 1524 und 1532 [XVI, 83). 


334 Das XV, Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


Das Lehrgedicht it einem weilen Alten in den Mund gelegt, 
welcher den jungen König unterrichtet und ermahnt. Der erite Teil 
der Lehre it allgemem moraliichen Inhalts; ihr Anfang lautet 
wie folgt: 

„Durdlaudtigjter Edler Fürſt! Wie joll dem zu herrſchen anjtahn, 
Thu betrachten, was du bijt und wirft. | Der jich jelb nit regiern fan! 
Wie magjt du Gott bedanken immer mer | Des jad) ijt zu herrſchen nit wol gejtelt, 
Der vnzalbarlich glüd, gut vnd ehr, Der nichts thut als das jm wol gefelt. 
Sp er dir au gnaden verleihen that Das wirt feynem für tugent geacht, 
Und für ander menſchen erhöht hat, Der auff niemandts dann jich ſelbs acht. 
Als ein Fürft über fein vold zu berrichen. | Thu alles, das du wilt in der welt, 
O herr, herr, nit laß in dir erlefchen So das niemandt dann dir gefelt, 
Gott's forcht, lieb, treiv und gerechtigkeit, | So ijt es alles umbjonjt vnd neüt 
Wahrheit, milde vnd barmberzigleit ... (nidhtig) ..... .“ 





Später geht der Lehrer auf das fürjtliche Amt der Kriegführung 
ein, wobei er zunächjt von der jittlichen Weltjtellung des 
Krieges jpricdt: 


„Kriegen ijt große ſorgfeltigkeit, | Es jei dann, das Dein zu behalten, 
Darzu villerley mie vnd arbeyt Da weer dich flucks vnd la Gott 
Mit lauffen, wachen, reiten frühe vnd jpat, | walten, 


Vnd weil niemandt, wie es zulegt gerat. | der das bös Vnrecht zu ftraffen, 
Wiuil meynjt du, daß friegen ond reyjen | Da jpar nit mie, gut noch waffen. 
Mac) armer leut wittwen vnd weyjen? Solch krieg fein Gott nit zu vnmut, 
Es geiteht vil leut, gut vnd gelt, Da man niemandts gewalt nod) unrecht 
Vnd darzu Gott größlich misfelt; thut.“ 





Und nun kommen Anweiſungen über Kriegsbedari. 





„Vnd zuvor in dem jtud gedenf mein: | — Du muſt haben vil Teut zu fuß vud rof, 
Wer kriegen will, do muB groß gelt jein; | Desgleidhen vil puchſen, pulfer vnd ge- 
Dann vnder großen hauffen friegsleut | ſchoß, 

Hilft wenig gelt ſo vil als neut. Mancherlei kugel vnd puchſenſtain, 
Es will niemandts mer kriegen vmbſunſt, Darzu vil roß, wegen groß vnd klein, 
Zu erlangen gnad, ehr vnd gunſt Bil hawen, ſchauffeln und ander geſchirr. 
Oder den gemeynen nutz zu fördern, Wegweiſer, damit fie nit werden irr. — 
Als man vor zeiten that bei den | Uber das geſchoß muß jein voran 
Römern. Ein vnerjchrodner, gejhidter hauptmann, 
Man findt jeßt unter hundert mit | Zeugmeijter, büchſenmeiſter vnd vil knecht. 
einen, Die heben, graben, tragen, krums und 
Der nit lieber zehn jöld hat denn keinen, | ſchlecht; 


Vnd kan er ſeinen herrn nit betriegen, Damit ſie als die narren vnd blinden 
So bedünkt jn, er mög nichts erkriegen. Nit vberfallen werden von den finden. 


4. Lehrſchriften. 335 


Ber fih von feinem geſchoß lat jagen, | In des feindes heer hab gut fundichafit: 
Mus haben den jpott wie andrezagen... | Sparnit fleiß noch gelt zufolcher botichaft, 


Mit dem allen ijt es mit genug, Dan ed mag fumen in einer jtundt, 
Daß du Hajt leut, geſchoß gelt mit jug; | Daß alles zwiefach herwieder kumbt ... 
Sie müßen auch darzu tauglid) jein, Wilt du, daß dein anjchlag wol gerat, 


Damit jie dich nit bringen umb das dein. | So halt jn heymlich in deinem rat!... 
Dann, welcher mit bajen hundt will Bor zeitten wos das ein groß lob 


faben, | vnd ehr, 
Mag wol jo viel jchaden ald nuß em= | Wer fein feindt lie fommen zu gleicher 
pfaben. weer; 





— Mit all dein kriegsvolck ſchaffſftdu neut, Ihm wardt abgeſagt bey guter zeit, 
Du habſt dann fromm vnd geſchickt | Die hielt man für gut ritterlich leut. 


hauptleut, Jetzund iſt der nit ein guter hauptmann, 
Den mag man gut vnd ehr vertrawen Der ſein feindt nit mit vortheyl 
Vnd auff ire anſchleg bawen, ſchlahen kann. 
Die dich nit leychen vnd betriegen Jetzt wirt gelobt vnd gerumbt 
Vnd umb deins ſelbs eygen gut kriegen, in kriegen, 
Als jetzt geſchicht vilmal in der welt, Der ſein feindt kann vnd weyß 
Damit bekummen fie gut vnd gelt... zu betriegen.“ 


Aus diefen legten Worten Fingt offenbar die Sehnjucht nach der guten 
alten Ritterzeit deutlich hervor, die allerdings jo, wie fie den Menjchen des 
15. Ihdts. vor der Seele jtand, nie dageweien war. Mar’ mächtig vorwärts 
treibende Zeit trug doch ein Janushaupt, und es ijt das eine Antlip desjelben, 
das rückwärts gewendete, welches uns hier mit biederer Treuherzigfeit anjchaut; 
aber glei) darauf blidt das andere hervor und rät, fich in die neue Art 
zu ſchicken. 

Nun folgen Disziplinarvorjchriften: die Mannjchaft joll 
in guter Ordnung, Zucht und Furcht erhalten, QTagdiebe und böje 
Buben jollen geitraft und fortgeichiett werden. Dann aber wendet 
der Lehrer jich der Betrachtung der Feldſchlacht zu: 

Wilt du did im feldt in ein jchlaht | Dann das glüdsrad ift mißlich und gar 


geben, rundt, 
So wad) de platz vnd der gegend | Mag jich offt umbferen in einer jtundt. — 
eben ; 
Iſt's möglich, erfunde des feindts macht, Dein feldt geſchütz orden zu voran; 
Vnd jn mit nichte jpar noch veradt. Hab die leut, die wihen mit umzugan ; 
Dann verachtens hat mannid) her umb- Es iſt den feindten erger dann gifft, 
bracht Zuvor wo man recht vnder ſie trifft. 


Darum biß in dem allezeit wol bedacht. Es iſt kein erſchröckener Ding auff erdt, 
Nimb war, kanſt du den platz ſo finden, Da hilft kein weer, harnaſch noch pferdt. 
Daß man dich nit angreifen mag hinden. — Iſt deines reiſigen zeugs nit 
Dein vorteil vbergib nit leichtlich; | zu lüßel, 

Keins künftigen glücs vberhebe dih; | So verorden ein theil zum jcharmüßel. 





336 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


Die andern laß dann Hinfür brechen Es ſchickt fich zu zeiten nit übel, 
Bnd vor dem fußzeug rennen undstehen; | Daß man heuffen madıt,haihendieflügel. 
Dann fie mügen leiden mannichen ftoß, | Man mag fie auch wol teilen in zween 


Haben fie gut harnaſch vnd ro. bauffen 
Es jeindt auch vnter jnen vil edelleut, | Und jie beyd dem feindt zu jchaden laßen 
Die böſer hertz haben als ſonſt ſchlecht lauffen. 
leuti); Es iſt im feldt gar ein glückliche ſtundt, 
Wiewol einem jeglichen zu vertrawen, | Soeinhauffdemandern zurecht hilf kumpt. 
Noch iſt mer auf den adel zu bawen. Orden die ding mit deiner hauptleut rat, 
Jr fodern vnd nachlomen eer wirdt bes Daß dir vnd jnen der feindt nit jchadt. 
tracht, Wann man fumpt zuderrechten jchlacht, 
Darauf der jchleht wenig bamwet und | Berman dein volt, hab dein jelb3 adıt. 
acht. — Ob die deinen würden liegen nieder, 
Laß dir deine Ordnung machen beiguterzeit | Das magjt du hernach bringen herwieder. 





Beſſer iſt geharrt, denn übereilt im jtreit- 
Zu forderten gliedern laß auserlejen ?), 
Die freydig vnd mer im frieg jein gee | Du magjt ir mer als eyne geben. 

weſen. Solt dir aber etwas mislingen im ſtreit, 
Dann darnad) ich die förderjten halten | So hätten die deinen böſe zeit; 

und jtehn, Würdeſt du umblommen oder fterben: 
Demnad) richten jich die zu hinderjt gehn. | Wär manchem landt vnd leut verderben! 
Beitehn die fodern wol vnd Ritterlich, Fürſten, an den vil vnd groß gelegen, 


Denn dir ijt nit an eyner ſchlacht ge- 
legen; 





So fechten die hindern dejto fedlid); Sollen ſich nit fo liderlich geben 
Dann der erjten treffen, ſchlahen vnd jherz | Mit jrem leib in ſolch jorgfeltigfeit; 
Iſt beyderthail Hoffnung vnd herz. — Dann daraus fompt vil not vnd übel zeit“. 


Dieje Weisheit ift nicht gerade auf fruchtbaren Boden gefallen. Das Gedicht 
predigt die weile Zurüdhaltung des fürjtlichen Feldherrn, und doch bat ſich 
niemand lieber und leidenjchaftliher ins Kampfgewühl gejtürzt als War, der 
legte Ritter. Man denfe nur an die erjte Schlacht auf Guinegatte! — Intereſſant 
find die Vorjchriften über da8 Verhalten bei Gewinn oder Berluit 
der Schladt: 

„Ob der feindt würd weichen oder fliehen, ı Vnd du der ſchlacht möchſt Haben nachthayl 
Lak jm mit guter ordnung nachziehen; | Schem dich nit, zu fürkommen vnheil; 
Nit lab dein vold die ordnung zer | Zeuch wider zurüd an gemijie jtell. 


trennen; Gott geb es; jag ein jeder, was er wöll. 
Lab jm nur eplich heuffen nacdhrennen; | Nit wag leichtlich dich vnd dein leut durch 
Ob fie fi) wider würden umleren, rum noch zorn. 
Da du dic) möchtſt am jchaden weeren. | Biß wol bedacht: mag's heut nit jein, 
Ob aber ſich vordem begeb, fo gejcheh es morn. 
Daß der feindt jterfer im feldt leg Vnd magjt du mit wider zurud feren, 


1, „Böfe” heißt bier lampfluftig, „Ichlecht” foviel wie gering. Schon zwei Jahrzehnte nad 
Veröffentlichung des Lehrgebichtes jcheint „bös“ aber nicht mehr in diefem inne verftanden zu fein; 
denn man findet den Vers abgeändert: „Die (edelleut) feindt gemein mer gewandt zum fireit”. 

2) Yet ift, nachdem Artillerie und Reiterei beiprochen worben, vom Fußvolke die Rebe. 


4. Lehrichriften. 337 


So bedent, wie du dic ſunſt magjt | Bis dir fomt rettung oder entihüttung. 


weeren; | (Entjag.) 
Mit graben, verzeinen brauch alt und ; Darzu die wagenpurg waren gut, 
jung Die man vorzeiten hat in Hut.“ 


Treffend iſt die allgemeine Bemerkung: 
„Mankannnitalledingratenvorder Zeit; | Es ijt nit allweg gut zu langer rath, 
Man muß auch tun, darnad) es fich ergeit. | Man kompt zu zeitten vil zu jpat.“ 

Nur ungern wendet fich der Lehrdichter dem Belagerungs- 
friege zu; auch hier wirft er einen bedauernden Blick auf die Vor— 
zeit, in der, feiner allerdings irrtümlichen Meinung nad), die Feld— 
ichlacht faſt ausschließlich geherricht und jchnelle Entjcheidung herbeis 
gerührt habe. 

„Es iſt auch nit alls an der ſchlacht —Was man von dem ſtegreyff jtürmen will, 


gelegen; Das thu in eill, geheim vnd jtill. 
Man mus fich jegt gar jeltzam frieg | Vnd darzu weih ich fein beier rath, 

geben. ' Denn wer verjtandt vnd gute kund— 
Vorzeiten ftund der fünig herz vnd macht ihafft hat. 
Im feldt auff ritterliche that und ſchlacht, ... Hab acht, damit du dich befleiht, 


Damit nit ſouil landt würden verheert | Daß du zuvor die weer zereiht 

Und die armen leut verderbt vnd zerjtört. Mit deim geſchutz, fewerwerckh vnd pleiden; 

Da erkant man ritterlich herz vnd hand; Nöt ſie, das nit mögen leiden. 

Man focht da nit hinder der mawer Auff der mawern dein Handtgeſchütz 
vnd wand. Treibs von jren ſtenden, bringt großen 

Aber man hat ein andern ſinn erdacht, nütz. — 

Vnd ſouil ſtarker ſchloß vnd ſtätt gemacht, Hab all deins zeug jelber gut acht, 

Daß man ſie daraus mit mue bringen mag; Daß nit die leittern zu kurz gemacht 

Dahinter iſt ſicher beherzt vnd zag. Werden; damit verſaumpt wird vil; 

Es ſteht gar oft vnder der großen mawer Koſt leut vnd gut, wers merken will. — 

Ein anmächtiger böſer verzagter bawer, Gibt dir nun Gott die gnad des ſigs, 

Der eynem nit dörfft ein böß Wort geben, Daß du im ſturm obligſt 

Stilt eynm ritterlichen mann ſein leben; Vnd gewaltig wirſt des ſchloß oder ſtatt: 

Vnd mit großer arbeit, koſt und ſchaden | Wer da nit weerhafft in der tat 

Mag man den jchelm faum herausjagen. | Erwürgt wirt, den tu verjchonen, 

— Schloß vnd ſtätt beleger bei jeiner zeit; | Es jein weib, find oder mannen !!) 

Dann der winter darzırfein fürdernußgeit. | Vergeuß nit vnſchuldig blut; 

Nimb zuvor war die gegent umb die jtatt, | Dann das bringt gar jelten qut. 

Was mawern, thürn vnd graben das } Dann wo erbarmung jcheint bei gewalt, 
rumb gabt; Des Lob vnd ehr wirt gewonlid alt. — 

Zug auff der waherfluß gelegenheit, In allen dingen gib Gott die ehr, 

Ob jie fein grundlos, jchmal oder breit. | Von dem kompt glüd vnd der jig her.” 





— — — — 


1) Dieſer ſüddeutſche Keim gefiel in der Folge nicht mehr. Der Vers lautet 16555: „Wer ſich 
mit weret, den thu man verichonen ; e8 fein mweib, finder oder mannsperſonen“. 


Jähns, Geſchichte der Kriegswiſſenſchaften. 22 


338 Das XV, Nahrhundert. I. Allgemeine friegswifjenichaftliche Werke. 


Den Beſchluß der „Lehre“ macht eine bemerkenswerte, warme 
Empfehlung des Studiums der alten Kriegsichriftiteller. 


„Roc eins rath ich mit trewen, | Iren titel vnd gejchlecht gezirt, 

Volge du mir, wirt did) nit gerewen: Das ir nit mer vergejien wird. 

Mit fleiß jo lies der alten that — Den volg man nad; das iſt mein 
Ir mannlid handlung, eer und jtat, leer, 

Damit fie jn vnd jrem jtammen Sp wedjt dein lob, glud, jig vnd 
Haben gejtifft ewigen namen, eer! 


Diejer Empfehlung der Alten entiprechend, erichten, wie jchon 
erwähnt ward, die „Lere“ zuerit als dritter Teil eines Kriegsbuchs, 
deffen vorhergehende Teile Berdeutichungen Frontins und Onejanders 
bringen. Das Gedicht jcheint jehr gefallen zu haben; denn es wird 
wiederholt abgedrudt (3. B. in dem 1534 und 1552 bei Egenolph 
verlegten Handbuche [XVI. S 16]), und es findet auch noch in die 
nambaftejten Sriegsbücher der zweiten Hälfte des folgenden Jahr: 
hunderts Aufnahme: jo bet Herzog Albrecht von Preußen und bei 
Frönsperger. [XVI. 8 23 und $ 32]. — Erwägt man die Doppel- 
jeitigfeit der Empfindung des Poems: Klage um das dahinjcheidende 
Nittertum neben entjchloffenem Ergreifen der Wirklichkeit, jo erjcheint 
e3 fait wie ein Denkmal des Geiſtes Marimilians jelbit. 
Könnte man diejen doch mit gleichem Nechte wie den „legten Ritter“ 
den „erjten Soldaten“ nennen. In jeiner ganzen Lebensführung tritt 
dieje Doppelnatur hervor. Der Fürjt, der jeine höchjte Ehre in 
virtuojer Darlegung perjönlicher Kampftüchtigfeit auf dem Turnier— 
plage jucht [S$ 53), iſt zugleich der Förderer, wenn nicht der Schöpfer 
des modernen deutjchen Fußvolks, zieht mit dem Landsfnechtsipiehe 
auf der Schulter zu Fuß in Köln ein und verjchmäht es nicht, Sold 
und Zijchgeld von der englischen Krone anzunehmen. Der Fühne 
Gamsjäger, der ſtolz darauf it, Armbruft wie Handbogen mit un: 
vergleichlicher Meiiterichaft zu führen, ift doch der erite Fürſt, 
welcher den „Stahl“, d. h. die Armbruft, zu gunſten des Feuerrohrs 
von der Mujterung und damit aus dem Kreiſe der amtlich anerfannten 
Kriegswaffen ausjchlieit, und tut fich als einer der fenntnisreichiten, 
ja leidenjchaftlichiten Artilleriiten hervor. — Unzweifelhaft verdankt 
das deutjche Kriegsweſen den Anregungen des oft weitblidenden Katjers 
nicht wenig; jeine organiſatoriſchen Verſuche wurden z. T. bereits be 
ſprochen 8 32] oder werden es noch [X VI, 8 74], und die artillerijttiche 


4. Lehrichriiten. 339 


Geite jeiner Tätigkeit iſt ebenfalls noch näher zu beleuchten [S 66]; aber 
durchgreifende Erfolge vermochte Max doch nur in bejchränftem Maße 
zu erreichen, weil der jchwerfällige Apparat der Neichskriegsverfaflung 
wie der des diterreichtiichen Ständewejens es unmöglich machten, 
grumdjägliche Reformen auf Me Dauer durchzuführen, und wohl aud) 
deshalb, weil die Doppelnatur dieſes „Romantifers auf dem Throne“ 
ihn, wie auf jo vielen anderen Gebieten, jo auch auf dem des Kriegs— 
wejens, an folgerechter Durchführung unternommener Pläne gehindert 
hat. Mit bemerfenswerter Selbjtkritif äußert ſich Maximilian hierüber 
in jeinem Memorienbuche folgendermaßen: »Rex in Rebus bellicis 
multo plus audivit quam vidit. Etiam plus attemplavit quam 
fecit; quia fortuna (vult?) —« 
S 38. 

Seit der mit den Sreuzzügen beginnenden zweiten Periode des 
Mittelalter8 war die Bedeutung Franfreichs für humane Bildung 
und Literatur hoch geitiegen. Der burgundiiche Hof verpflanzte dieje 
Tendenzen nach den Niederlanden, welche überdies jelbjt durch die 
Kreuzzüge, insbejondere durch die dynaſtiſche Verbindung Flanderns 
mit Byzanz, jtärfere Anregungen gleicher Art empfangen hatten, als 
das binnenländiiche deutſche Neih. Von hier aus verbreitete die 
Strömung ſich jchnell über Niederdeutjchland, namentlich an den 
Unter-Rhein. Das von außen Eingeführte verſchmolz mit inländischen 
Stoffe, mit inländischer Art zu einem neuen ſchönen Ganzen, und 
zumal die Herzöge von Gleve wetteiferten mit ihren burgundiichen 
Bettern in literariichen Bejtrebungen und bibliographiichem Luxus ?). — 
Dieſer Dinge gilt es eingedenf zu jein, wenn man die wohlgeordnete, 
echt wiſſenſchaftliche Form jenes Kriegsbuchs bewundert, welches „der 
durchleuchtige hochgeborne Herr und Fürſt, Herr Philipp, Herzog 
zu Eleve, Graf von der Mark, Herr zu Winnental und zu Raven— 
jtein“, verfaßt hat. 

Diejer reihbegabte Fürjt, um 1460 von Beatrix v. Coimbra geboren, waltete 
ichon 1478 als burgundijcher Statthalter von VBalenciennes und bewährte ſich in 
den flandrijchen Kriegen des Erzherzog Marimilian gegen die Franzoſen 
als treffliher Führer. Insbeſondere zeichnete er ji bei der Belagerung von 


ı) Ihre Bücherihäge find völlig zeritreut worden. Gin Teil derjelben gelangte infolge der 
Bermäblung Sibyllend von Eleve mit dem Hurfürften Johann Friedrich (1527) nad Sachſen und findet 


ih jest in Dresden, Jena und Gorha. 
D)# 


340 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


Benloo aus, und gleich) darauf nötigte er als oberjter Feldhauptmann des bur= 
gundijch-öfterreichiichen Heeres die aufrührerifchen Liütticher mit ebenjoviel ÜÜber- 
legung als Entjchiedenheit zur Unterwerfung. In der Folge jedod) trat er in 
dad Lager der Gegner Marimiliand und behauptete jih lange Zeit zu Brüſſel 
mit Geſchick gegen Herzog Albrecht von Sachſen. Als endlich Dfterreih-Burgund 
mit Frankreich Friede ſchloß, zog der reich begüterte Philipp abenteuerlujtig an 
der Spite einer Schar meiſt franzöfifcher Edelleute den Benetianern zu Hilfe 
gegen die Osmanen. Ein auf Gephalonia unternommener Handſtreich ſchlug 
jedoh fehl; ein Orkan warf den Herzog an die calabrijche Küſte. Er kehrte 
beim, trat in franzöfiichen Dienst, fungierte jeit 1499 als Gouverneur von Genua 
und wurde duc de Nevers, »premier exemple d’un 6tranger, créé duc et 
pair«. (Boltaire.) 

Bei der Thronbefteigung Louis X. i. 3. 1498 hatte Bhilipp 
dem neugekrönten Herrn eine von ihm verfaßte »Description de 
la forme et de la maniere de fonduire le faict de la 
guerre« überreicht. Später, wahrjcheinlich 1506, als Erzherzog 
Karl Herr der Niederlande wurde, widmete Philipp auch dieſem 
Fürſten jein Werf u. zw. ebenfalls in franzöjiicher Sprache, offenbar 
in der Abjicht, durch diefe Huldigung ſich mit dem Haufe Ofterreich 
auszujöhnen, das eben mit jenem Karl zu jo univerlaler Größe 
emporjtieg. — Philipp jtarb 1527. 

Über den Verbleib de8 Widmungseremplars an Loui® XII. weiß 
ih nichts. VBielleiht war es das fchöne im St. Omer gefundene Manuifript, 
welches um 1840 dem General Bardin zu Paris gehörte. Ein minder wohler- 
baltenes bejigt die franzöfiiche Nationalbibl. (No. 4653); diefem ijt ein livre du secret 
de l’artillerie et de canonerie angehängt. [$ 60.] Das dem Erzherzoge über- 
reichte Exemplar befindet ſich mit noch fünf anderen Kopien in der Wiener 
Hofbibl. (No. 10899— 10902, 10949, 10981). Wahrjcheinlih aus Philipps eigenem 
Bejige ftammt das der Bibliothek zu Jena gehörige Eremplar. Die kal. Bibliothet 
in Hag bejigt ein jchönes franzöfiihes Manuftript aus den erjten Jahren des 
16. Ihdts. (t. 314), über welches der Marquis de Chajteler in den M&moires 
de l’acad&mie de Bruxelles (t. IV, p. 33) gehandelt hat. 


In der Widmung an den Erzherzog, welche überjchrieben iſt »Qui a emu 
l'aucteur à escripre ce traict6« bemerft Philipp »cognoissant que d’orese- 
nauant ie deuiens vieil, parquoy ie crains que la puissance de vous pou- 
uoir faire service, dont i'ay le coeur et vouloir, ne me faille.... jay 
mené le mestier de la guerre desma ieunesse jusques à ceste heure: la 
ou j'ay veu beaucoup de gents de bien, sages et vertueux & la conduicte 
des armes, lesquels i'ay mis peine de regarder et aprendre les choses, que 
je leur ay veu faire; non pas que i’aye retenu la dixiesme partie; mais 
tant peu qu’il m'en est peu demeurer en memoire, veuil bien mettre peine 
de vous rediger par escript, ainsi que pour une briefue instruction de 


4. Lehrichriften. 341 


toutes manieres de guerroyer .... par consideration que ma vie ne peult 
estre de si longue durde, que pour vous servir en ces choses ici . ..« 
Das flingt wie die Rede eines alten Mannes, und Frönsberger überſetzt dem- 
gemäß auch „Nacddem ich nunmehr zu einem fchweren Alter fomme“ u. ſ. w. 
Bar Philipp aber wirklich um 1460 geboren, jo zählte er 1506 doc) erit 46 Jahr. 
Vielleicht übereihhte er den Traktat erjt zu Achen bei der Kaijerfrönung i. 3. 1519; 
vielleiht war er aud) früher geboren, als man anzunehmen pflegt. 


Sehr bald jchon wurde Philipps Werf verdeutjcht. Die 
handjchriftlichen Uberjegungen führen den Titel: „Kurtzer bericht der für- 
nembjten Mittel, Wege vnd Ordnung von frieg zu land und waßer... 
Gemacht durch ... Herrn Bhilippjen, Herkogen von Cleff... vnd 
dem... Garlen V. zu anfang jeiner Regierung gegeben. Aus dem 
‚sranzöjiichen in das Teutſch gebracht“. — ES erijtieren mehrere 
Manujfripte der Verdeutjchung. 

Bemerkenswert ijt der aus Herzog Philipps eigenem Befige herrührende 
Sammelcoder der herzogl. Bibl. zu Gotha und mehr nod) das Prachtexemplar 
aus anſpachiſchem Fürſtenbeſitz in Erlangen (ms. 1620)9. ber die Münchener 
Codices bavar. 1682 fol. und 2879 qu. hat Mone im „Anzeiger für Kunde des 
deutſchen Mittelalters“ 1839 S. 113 berichtet. Die handſchriftliche Verdeutſchung 
in einem Sammetbande des Berliner Zeughauſes (ms. 11) von 1550 iſt offenbar 
zum Drud vorbereitet und auf Jlluftrierung angelegt; doch befinden ſich an Stelle 
der Zeihnungen nur Zettel mit Angabe des darzujtellenden Gegenjtandes. Andere 
deutſche Manujfripte bewahren die Bibliotheten zu Dresden (E. 117), zu Heidel- 
berg (cod. palat. 132 v. 3. 1566) u. zu Caſſel, 


Gedrucdt wurde das Werk erit lange nach Philipps Tode u. zw. 
unter dem Xitel »Instruction de toutes manieres de guerroyer 
tant par terre que par mer et choses y servantes. (Paris 1558) ?). 
Eine zweite Auflage erichten 1583, eine dritte fünf Jahre jpäter. 

Deutjch iſt der Traftat, jeinem wejentlihen Inhalte nad in der „Kriegs— 
Regierung“ des Grafen v. Solms wiedergegeben. [XVI. $ 22.] Der Graf zog 
diefe Form der Verarbeitung des Inhalts in fein eigenes Buch vor, um „dem 
löblichen vnd verjtändigen Kriegsfürſten fein ehr vnd arbeit jelber zu laſſen“ und 
damit man erfenne, daß „die hohen jtende, als die Fürjten, folder ehrlicher, 
manliher jahen vnd Regierung jich angenommen vnd bejlihen haben... Vnd 
wiewol ſich diefe borgundifche Ktriegsordnung ... .. mit vnſer Teutſchen nit aller- 
dings vergleicht, jo ijt fie doch nit zu verachten.” — Einen leider jchlechten 
Auszug hat Fröndperger in den II. Teil feines „Kriegsbuchs“ aufgenommen. 


1) Sieben prachtvolle Miniaturgemälde veranihaulichen : Den ſtriegsrat, eine Belagerung (Stadt 
mit feinen ftumpfmwinfligen Baftionen und z. T. zurüdgebogenen SHurtinen), einen Heeretzug, eine nad 
mittelalterlicher Urt befeftigte Stadt, bie Erjtürmung einer Breſche, eine Schladht und eine Seeſchlacht. 

7, Ein Eremplar in der gl. Bibliothel zu Berlin (H. v. 28020. 89). 


342 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


[XVI 8 32.] Derjelbe beweijt, wie jo vieles andere, daß Fröngperger gar feinen 
Sinn für die Unterjcheidung des Wejentlihen vom Unweſentlichen hatte. 


Philipps Kriegsordnung zerfällt in zwei Hauptabjchnitte, den 
über den Landfrieg und den über den Seefrieg. Der erjtere zählt 
68 Paragraphen in 7 Kapiteln und bat folgenden Inhalt!) 

1. „Bon den Rattſchlegen der Kriegshandlungen. Urjadhen da- 
rumb man friegen mag. Bon den gebotten in einem veldleger ?).“ Es wird viel Nach— 
drud auf die Bejchaffung der nötigen Geldmittel gelegt, „dan durch mangl von 
der Bezallung geſchicht offt will vbels“. Zu den Beratungen über den Krieg joll 
man feine Geijtlihen, Doktoren und Juriften zuziehen. — 2. Bom Beueld des 
Conneſtabels oder Oberjten Beldthauptmanns. Ambt des Obriften Marſchalckhs 
(mareschal de l’host, bei Fronsperger: Feldmarſchall), des Obriſten Quattier— 
maiſters (mareschal des logis) und des Obriſten Prouoſen (preuost des mare- 
schaulx). — 3. Vom Leger (Heer). Wie man es verfamlen fol. In was ort 
man es aufrihten jol. Von den Lojamentern im Leger. Ordnung ainem leger 
zuuerrudhen vnnd vber landt zuziehn“ (nach den Vorjchriften Karls des Kühnen, 
der das alles jelbjt geleitet und den Dlivier de la Marche darum „Karl den 
Arbeiter” genannt habe.) „Ordnung des geſchütz und wegenn vnd wie man mit dem 
leger vber veldt ziehen mueh. Wie man vber die mwafler ziehen fol. Wie man 
in mweitten vnd fchmalen land ziehen fol. Wie man ſich halten mueß, wan im 
andern (neuen) lager ijt. Wie man die wacht (le guet) im leger bejegen jol. 
Wie fih im lerman (Allarm) zu halten. Bon des Obriſten Marſchalckhs Rath. 
(Kriegsgericht deg mareschal de l'host). Vom Beueld des Obriſten Prouoſen. 
Bon der Prouandt (viures pour l’'bost), Vom Übriften Zeugmaijter im Leger 
(maistre de l’artillerie),. Bon dem Beueld; im Generall (de faire visitation 
sur les officiers. Der Fürſt oder jeine Vertrauten jollen jich überzeugen, daß 
das Befohlene aud) wirklich geichieht), — 4 Von ainer Belegerung. (le 
siege devant une ville) Bon der Zujhangung vnd von ainer Statt oder 
Fleckhen zu beſchießen. (Comment on doibt faire aproches par tranchis ou 
mandes pour estre sur.) Bon der Schang vor ainer Statt. Von dem Aus— 
fallen derer, die in der Stadt fein. Bon Prügfhen, die man für ain Statt vber 
die Wafjer maht (um die etwa durd einen Fluß getrennten Teile des Ein- 
ichliegung&heeres zu verbinden). Von andern Zujchangungen, die man nit vil 
braucht KKatzenn vnd Kraniche vnd andere von Holg Injtrumente, die mich vor 
nit nutzlich dundhen des gejhüg halben, das man heutigs tags gepraudt.) Won 
ainer Statt zu pnndergraben. Bon der Schang Roellanndt, (maniere de prendre 
villes par un tranchis roullant, d. h. Bon der Erdwalze, welche Karl v. Burgund 
vor Neuß angewendet habe.) Bon im Felſen zu hawen vnd auf wajler zu 
ihangen. Waſſer aus dem Graben zu ziehen und ihn auszufüllen. Vom Sturm. 


ı) Ich folge dem Wortlaut des Berliner Zeughaus-Eremplares von 1550, vergleiche es mit 
Frönspergers Text und füge je nad) Umftänden charakteriftiiche Ausdrücke des franzöfiihen Originals 
zum Bergleiche hinzu. 

2) „Zeger” bedeutet hier, twie noch heute im Holländiſchen, „Heer“. 


4. Lehrſchriften. 343 


Wie man jich halten joll beim Anlauf. (I’ordre qu'on doibt auoir a assaillir.) 
Wie man ji halten joll, jo ain Statt oder Fledhen mit Sturm gewunnen wurdt. 
Bon der Peutt und Lojament in der Statt. Bon dem leger aufzebrechen (des- 
logement),. — 5. Bon der Schlacht, nachdem das Land offenn, zwüngenn 
oder in ainer laufen ift. Wie man dem Ktriegsvoldh, warn es zur jhladjt fompt, 
zujprechen joll. Bon der Wegen vnd geihuß ordnung zu der Schlaht. Von des 
fuesvolckhs Schladtordnung. Bon der Schladhtordnung im Treffen. — 6. Bon 
der Bejagung. Wadt in der Statt. Bon den ausfpechern vnd Kundtichafitern. 
Auf die beuth zu ziehen vnd vmbaujtraiffen vnd ander anforg (De faire courses 
devant les villes des ennemis mettre embusches, dresser emprinses pour 
surprendre villes.) Wie man ain Statt oder Fleckhen haimlich einjchleichen vnd 
einnehmen joll. (La fagon pour prendre place ou ville d’emblee.) — 7. Wie 
man jic halten joll wan man belagert württ. Wie man das geſchütz 
in der jtatt, jo die veindt Hinzufchangen verwarn joll und von auff ſy zu ſchießen. 
Bon der Wacht in der Statt, die belegert ij. (Du guet. Dazu der bejondere 
Abſchnitt: De ne dire parolles vilaines aux ennemis et de ne parlementer 
auec eulx sans commendement.) Wie man fi vor vndergraben huetten joll. 
Bon etliche jterdhe der Statt in der noth. (Frönsperger fagt „in der nacht.“ 
Darnach jcheint es, als ob er überhaupt gar nicht jelbjtändig überjegt, jondern 
ſchlecht abgeichrieben hat.) Wie man fi halten joll wann die veindt den fturm 
anlaufien. (Remedes contre les tranchis roullants, bastilles et autres telles 
choses etc.) 


Das zweite Bud) handelt in ähnlichem Umfange vom Kriege 
auf Dem Meere — Dann folgt ein Anhang, welcher eine Koſten— 
berechnung für den monatlichen Aufwand einer Artillerie bringt, die 
aus 4 Doppelfartaunen (Bafilisfen), 12 Kartaunen (Nachtigallen), 
4 Doppeljchlangen (Singerin), 8 Mitteljchlangen (Quartana) und 24 
Falkanetlein beſteht!). Endlich folgt der „Bejchluß in des tichters 
Namen“, der jich wieder an denjelben Fürſten wendet, dem das 
Werf überreicht worden, welcher im franzöfischen Terte durchweg mit 
»monseigneur«, im deutjchen mit „Durchleuchtiger Fürſt vnd Herr“ 
angeredet wird. 

Von bejonderem Intereſſe it der taftijche Abjchnitt, aus 
dem deshalb hier einige Mitterlungen folgen mögen: 

»Si vous auez peu de gents et que ce soit plain pais, mettez vostre 
artillerie en rang tout deuant... et qu'ils ayent les pionniers 
deuant eulx pour leur faire le chemin .... Il fault aussi auoir deux 
bons chiefs pour mener vostre autre carroy, lequel doibt marcher en 
deux bandes; les carrois doibuent marcher l'un apres l'autre si pres qu’il 


1) In dem Erlanger Manujfript befindet ſich auch biefer Anſchlag. Das Berliner Zeughaus: 
Eremplar legt dabei, wie ausdrüdlich bemerkt wird, die i. I. 1550 gültigen Preife zu Grunde. 


344 Tas XV. Jahrhundert. I Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


est possible: et doibt le premier carroy de la bande qui sera à la main 
gauche ioindre & la derniere piece d’artillerie, et l’autre bande de carroy 
doibt cheminer a la main droicte, si loing d’icelle que est à la gauche... 
que toute la bataille (que ie vous deuiseray cy apres) puisse passer et 
la rencontrer ses ennemis ... Est ce que l'artillerie soit pres assez des 
ennemis pour batre: le carroy se doibt arrester et l’artillerie desatteler et 
faire son debwir de tirer et debuez auoir mis l’ordre de voz gents plus 
d'un iect d’arc en derriere de vostre carroy .... et qui veult, pourroit partir 
Vartillerie en deux et en mettre la moyti& au bout du carroy, et est à la 
main droicte, de telle sorte que i’ay diet à la main gauche, et entre les 
deux bandes de ladicte artillerie laisser l’entree que i'ay dicte dessus. 
(d. h. zwijchen dem rechten und linken Artillerieflügel, von denen erjterer rechts 
rüdwärts, leßterer linf3 vorwärts der in zwei Zeilen rangierten Wagenburg auf- 
gefahren iſt, verbleibt der für das Vorgehn der Truppen notwendige Raum, 
derjelbe, um welden die beiden Zeilen der Wagenburg voneinander abitehen.) — 
Der Berfajier geht nun zur Rangierung der Truppen über. — Premiere- 
ment debuez mettre vos pietons en ordre selon le nombre que vous 
auez: c'est à scavoir premierement 50 on 60 couples, que |lon apelle com - 
paignons perdus, qui vont deuant sans ordre, et apr&s debuez mettre 
4 rangees de picques et puis 2 range&s de halebardes et une en- 
seigne auec eulx, et puis apres plusieurs rangdes de picques, selon 
que vous en aurez, iusques pres de la moytie. Et puis mettrez tous ces 
remanants de vos enseignes et halebardes au milieu et mettrez le 
remanant de vos picques apres en ordre comme les premiers. Et quand 
se viendra à quatre rang6ees pres des derniers il y doibt pareillement 
auoir deux rang6des de halebardes auec une enseigne et 4 rangees de 
picques apres. Les halebardes, qui sont au milieu dudiet host (Daufe) de 
pietons, doibuent estre couuertes de cost& de 3 a 4 picques d’espes. 


Au coste gauche desdicts pietons, en la mesme ordre qu’ils sont, 
debuez auoir vos gents de traict en 4 de front, tout de long vos auants 
dicts pietons iusques aux derniers; et s'ils estoient plus de 4 de large, il 
ne seroit pas bon; car les picques qui sont de costez pour les soutenir 
ne seroient pas longues assez pour les soustenir contre choc de leur enne- 
mis. (Die Schügen jollen ſich alfo in der Bedrängnis unter die Spiehe des 
großen Haufens flüchten und darum nur 4 Mann breit jtehen.) 

Et au cost& droict de vos dicts pietons debuez mettre vos cheuau- 
cheurs, à scavoir 20 hommes d’armes de front et tousiours 20 ou plus, 
selon le nombre que vous auez, et derriere eulx tous les coustelliers et 
autres gents de defense qui ne sont pas hommes d’armes. Et vous fault 
retenir encores un nombre d’hommes d’armes, que vous metterez deux & 
deux, qui se ioindront au dehors des derniers 20 hommes d’armes, qui 
coureont d'un coste ces demy lances et coustelliers, et d’autre cost 
seront couuerts de leurs pietons. — Üeste diete ordonnance de cheuau- 
cheurs doibt marcher ioignant les pietons au cost& droict d’iceulx et ne 


4. Lehrichriften. 345 


doibuent point se auancer si avant que la premiere rangee des pietons.... 
Et pourtant sont ils mis si en derriere, que pour auoir autant de course, 
qu'il ya de la ou ils sont iusques au premier rang de leurs pietons, la ou 
ils doibuent rencontrer, quand et quand et non plustot l’un que lautre. 

Et les gents de traict à cheual debuez mettre derriere vostre 
artillerie est si ladicte artillerie estoit mise en deux bandes deburiez mettre 
lesdicts gens de traict à la main droicte. 

... Cest ordre mise derriere tout le carroy n'est pas sans raison. 
Car premierement quand vostre artillerie commence à tirer, vous debuez 
entendre que aussi feront voz ennemis et que alors vous serez plus loing 
de leur artillerie, qu’ils ne sont de la vostre: parquoy n’auront point si 
beau vous batre que vous eulx: et aussi que quand gents commencent à 
marcher pour combattre, ne doibuent iamais arrester jusques au chocquer. 
Et pour ce conseille, que vous soyez hors de vostre carroy derriere et que 
vous marchez si apoinct, que vous puissiez venir trouver vos ennemis 
entre le bout de vostre carroy, qui est ä la droicte main et l’artillerie et 
en ce faisant sera force à voz ennemis de planner deuant vostre artillerie 
pour venir & vous, et aura vostre artillerie beau batre à sa volunte. Et 
sils sont plus puissants que vous et leur ordre plus au large que la vostre, 
touueront & vostre main droicte vostre carroy: parquoy ne pourrez com- 
batre que autant de gents que vous estes de front et de voz ennemis qui 
seront plus, fauldra qu'ils se mettent en desroy. Et debuez auoir 
deux capitaines au derriere de vostre carroy, pour faict à faict que vous 
entrez dedans, clorre et redoubler vostre carroy, affin que ne puissiez 
auoir affaire que à l'entrée de vostre carroy, là ou vous combatez ... 
aussi que nuls de vos gents ne puissent fuyr que par la ou ils combatent: 
parquoi ils valent mieulx.« 


Überfchaut man die Normaljchlacht Philipps, jo zeigt fich, daß 
dee Wagenburg in ihr immer noch eine bedeutende Rolle jpielt. 
Nicht zwar in dem Sinne, da von ihr jelbjt aus geftritten wird, 
wohl aber in dem einer beweglichen Dedung der Flanken und des 
Rüdens. Auch jetzt jind noch Pioniere und Gejchüge mit der Wagen- 
burg verbunden; allerdings nicht mehr derart, daß die Geſchütze auf 
den Wagen ruhen; aber fie gehen diejen vorauf. Gedeckt werden jie 
durch die rückwärts folgenden Schügen, u. zw. links durch jolche zu Fu, 
rechts durch berittene. Um die Länge der Wagenburgzetlen ijt die 
diesjeitige Artillerie den FFeindeshaufen näher als die des Gegners 
unjeren Haufen (vorausgejeßt, daß der Feind nicht ebenjo angeordnet 
it, wie wir jelbjt). Abgejehen von den auf den Flügeln agierenden 
Shügen ijt die gejamte Mafje des Heeres in nur zwei Haupt— 
haufen geteilt: Fußvolk und Reiterei. Das Fußvolk bildet einen host, 


346 Tas XV, Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werfe. 


der abwechjelnd aus Spiegen und Helmparten zujammengejegt iſt, 
doc) jo, daß auf allen Seiten mehrere Glieder Spieher die notwendige 
Sicherheit gegen den Schock gewähren. Über das Verhältnis von 
Breite und Tiefe der Aufitellung iſt nichts vorgeichrieben. Hundert 
bis hundertundzwanzig verlorene Knechte gehen parweije dem Gemalt- 
haufen voraus. — Die Neiterei hat im eriten Gliede 20 Reiſige, in 
den folgenden ebenjoviel oder mehr (ein Reſt der Keilform). Die 
leichten Reiter jchliegen fich den Neifigen an, werden aljo, außer den 
Schüßen, nicht jelbjtändig verwendet. Nach links hin deckt den Reiter— 
haufen der des Fußvolks, nach rechts Hin ein in tiefer Anordnung | 
gebildeter Flügel von Neifigen, der, aufmarjchterend die Flanke fichert. 
Auffallend it jchon dies faſt ängſtliche Seitendeden, befremdend aber 
geradezu die Borjchrift, daß die Neiterei ich derart zurückzuhalten habe, 
dat ihr Schod in der Höhe des eriten Gliedes des Fußvolkshaufens 
ende. — Nicht minder vorjichtig gedacht ilt die Art des Gelamtver- 
fahrens. Man joll den Feind beranfommen laſſen und ihm nur jo- 
weit entgegengehen, dab man an der Stelle mit ihm zujammentrifit, 
wo die Hörner der Wagenburg an die vorgejchobene Artillerie ans 
jtoßen, welche den Gegner während jeines Anmarjches fortgeſetzt beſchießt. 
Sobald jich die Haufen zwiſchen den Zeilen der Wagenburg befinden, 
joll diejfe nach Hinten geſchloſſen werden, damit nicht nur die Flanken, 
Jondern auch der Nücden des Heeres durch die Fahrzeuge gededt, wie 
die Flucht verhindert wäre. Bewegt jich das Gefecht vorwärts, jo 
hat die Wagenburg damit Schritt zu halten. Dieje joll zugleich die 
breitere Front eines ftarf überlegenen Gegners brechen und die Über- 
flügelung unjchädlich machen. — Herzog Philipp bemerft über dieie 
Schlachtordnung: »J'ay combatu de ceste sorte a beaucoup plus 
grande puissance de gents que ie n’estoye... et en beau pais 
plain, et m'a Dieu donne la victoire et m'en suis trouue bien: 
et me semble que c'est le plus seur combat, que lon scauroit 
faire: toutesfois, il ne plaist par à chacun, pource qu'ils ne 
peuuent pas combatre ou fuir à leur volunte; mais de ma part 
le trouue bon et seur ainsile — Nur andeutend geht er auf andere 
Schlahtordnungen ein. Falls man englijche archiers habe, jo möge 
man in die Neihe der »pels« (Sturmpfähle) einige kleine Geſchütze 
»orgues« einjtellen. Bet jehr bedeutender Heeresjtärfe, die jih nur 
ſchwierig in je einen Haufen Reiter und Fußvolk zujammenfatjen laſſe, 


4. Lehrichriften. 347 


ohne Verwirrung herbeizuführen, möge man das Heer in auantgarde, 
bataille und arrieregarde gliedern. Dabei ordne man die Reiter: 
haufen a la facon d’Allemaigne im Spitz, jchtebe die Artillerie noch 
vor die Avantgarde vor und lafje immer ein Treffen das andere 
debordieren. »Je ne vous scauroy plus que dire touchant l’ordre 
de la bataille; car j'en ay veu, leu et ouy parler de tant de 
sortes plus hasardeuses et moins subtiles que male. 

Auch vom Belagerungsfriege handelt der Berfaffer mit 
Einficht und Verjtändnis. 

Anſchaulich jchildert er die verjchiedenen Arten der Zuſchanzung, d. 5. der 
Angriffsarbeiten, und wiederholt warnt er den Verteidiger vor den jo beliebten 
Ausfällen. „Alle ausfell fein geferlic, vmb deswillen, das ein Heiner verlurjt 
von irem voldh innen groß vnd ain großer verlurjt den veinden Hein iſt.“ — Auf 
den Belagerungsfrieg und auf die kurzen, aber wichtigen Außerungen des Herzogs 
bzw. der Verſtärkung mittelalterlidyer Stadtbefejtigungen wird an anderer Stelle 
näher einzugeben jein 8 77). 

Herzog Philipps Kriegsbuch hat einen lediglich praktischen Zweck, 
erreicht diejen aber durchaus. Es it jehr knapp gehalten, zuweilen 
jogar aphorijtiich; einige Dunkelheiten würden vermutlich verjchwinden, 
wenn die Zeichnungen, welche offenbar urjprünglic) zu der Schrift 
gehörten, beigefügt wären. Das Erfreulichite aber bleibt die Un: 
mittelbarfeit der Auffaffung, welche nicht zurückiteht gegen die in 
Seldenecks „Berzaichnus der Ordenung“; bejtändig hat der Lejende 
die Empfindung, einem kundigen wohlverjuchten Fachmanne zuzuhören. 

Philipps Description tjt die erſte militärische Schrift, welche ein 
Deutjcher in franzöjiicher Sprache abgefaßt hat — leider aber nicht 
zugleich die legte. Iſt doch eine Reihe bedeutender kriegswiſſenſchaft— 
licher Werfe deutjcher Verfaſſer bis auf Friedrich d. Gr. Hin in fran- 
zöſiſcher Zunge geichrieben worden. 


8 39. 


Aus dem eigentlichen Frankreich jind nur drei allgemein kriegs— 
wijtenjchaftliche Werke des 15. Ihdts. aufzuführen. Urheber des erjten, 
bedeutenditen, tjt eine Dame, Urheber des zweiten ein Unbefannter; 
als Verfaſſer des dritten endlich gilt ein König. Alle drei aber find 
durch ein geijtige® Band verbunden; denn jämtlich gehen fie von 
Begetius aus. — Das erjte ijt der Livre des faits d’armes 
et de cheualerie der Ehriftine de Pifan. 


348 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


Dieje ausgezeichnete Schriftitellerin wurde um 1365 zu Venedig geboren, 
wo Tomajo, ihr Vater, der aus Piſan in den Bolognejer Alpen jtammte, Rat 
der Republik war. Als Ehriftine 5 Jahre zählte, folgte ihr Vater einem Rufe 
Charles V., des Gelehrten an den franzöfifchen Hof, an dem aud) die Tochter erzogen 
und faum fünfzehnjährig einem jungen Edelmanne, Etienne de Gajtell, vermählt 
wurde. Das Glück des Pares war von furzer Dauer: König Charles jtarb; 
Tomaſo fiel in Ungnade und Armut; bald darauf jtarben auch er und Etienne. Die 
2djährige mit drei Kindern zurüdbleibende Chrijtine widmete fih nun, durch die 
ungewöhnlic) reihen Bücherfammlungen ihres Vaters und ihres Gatten unterjtügt, 
den Studien. Sie begann zuerjt mit ſog. Dictiez, d. h. Heinen Dichtungen 
Iyrijcher und epifcher Gattung, und machte damit entjchiedenes Süd. Insbeſondere 
erwarb fie die Freundjchaft des Grafen von Salisbury. Diejer, der große Günſtling 
König Richards, führte Chriftinens Sohn nad) England, um ihn mit dem eigenen 
Spröfling erziehen zu lafjen. Aber Richard wurde von Henry von Lancafter 
entthront und Salisbury fiel auf dem Schaffot. Chrijtinen blieb jedod die Gunſt 
des englijchen Hofes; denn Henry hatte unter Salisburys Papieren Dichtungen 
gefunden, welche die jchöne Frau dem Grafen zugejandt und welche den König 
jo gefejielt hatten, daß er die lebhaftejten Verſuche machte, die berühmte Witwe 
an jeinen Hof zu ziehen. Auch der Herzog von Mailand machte ihr ähnliche 
Anträge; fie aber wollte Frankreich nicht verlajjen, rief aud) ihren Sohn aus 
England zurüd und gab ihn an den Hof des Herzogs Philipp von Burgund, 
in dejjen Auftrage fie das Leben des alten Gönners ihres Vaters, Charles V., 
zu jchreiben begann. Kaum war jedoch das erite Bud) diejes Werkes vollendet, jo 
itarb Philipp; Chrijtinens Sohn verlor feine Hofjtelle, und die gelehrte Dame, 
welche damals jchon 15 Bände herausgegeben hatte, welcher jedoch dieje literariichen 
Arbeiten ebenjowenig wie die Gunjt der Großen Geld und Gut eingetragen 
hatten, befand fich in peinlicher Lage, da fie aud) ihre alte Mutter und arme Ber: 
wandte zu erhalten hatte. Im Jahre 1411 gab ihr der König eine Sratififation 
von 200 Livres. Ihre Tochter zog fi in das Klofter von Poißy zurüd. Wann 
Chriſtine ftarb ijt unbefannt. — Ein merfwürdiges Frauenleben des 15. Ihdts.! 


Schon Ehriftinens Livre des faitset desbonnes moe- 
urs du sage roi Charles V., das um 1405 vollendet wurde, 
enthält, zumal in jeinem zweiten Teile, eine Menge friegswitjenjchaft- 
(ich intereffanter Angaben). Durchaus methodiich behandelt jind dieje 
Dinge aber, u. zw. in emer für eine Frau geradezu bewunderungs- 
würdigen Weije, in dem Livre des faicts d’armes et de 
cheualerie, welches die Nationalbibliothef zu Parts (Fonds frang. 
no. 603) und in zwei Exemplaren die burgundiiche Bibliothek zu 
Brüſſel (ms. 9010 und 10476) in jchön gejchriebenen, reich mit 





1) Abgekürzt wiedergegeben in Xebeufs: Dissertation sur l’'histoire de Paris I1I, p. 81—389, 
volftändig in Betitots M&moires V und VI und bei Budon I, p. 210 sq. 


4. Lehrichriften. 349 


Miniaturen verzierten Eremplaren bejigen!). Ein drittes Eremplar 
der Bibliothek de Bourgogne (10205) führt Chriftinens Namen nicht, 
it aber im weſentlichen identisch mit den andern. — Dies etiva aus 
dem Sahre 1410 jtammende Werf (die 1408 gejchlagene Tongerer 
Schlacht wird noch darin erwähnt) zerfällt in vier Teile. — Der erſte 
handelt von der maniere que dourent roys et princes 
du faict de leurs guerres et batailles selon l’ordre des 
livres ditz et exemples des preux conquerents du monde. Der 
zweite redet selon Frontin des cautelles d’armes, que il 
appelle stratagemes, de l’ordre et maniere de combatre et 
deffendre chasteaulx et villes selon Vegece et autres 
aucteurs et de donuer bataille en fleuues et en mer. Der 
dritte Teil jpriht du droit d’armes selon les lois et droit 
escript umd der vierte vom droit d’armes en fait de sauf- 
conduit, detreves, de marque et puis de champ de bataille. 

Der 1. Teil beginnt mit einem Prologe, in welchem jich Chrijtine (xpine) 
wegen ihres Unternehmens entichuldigt: »Moy non mie par arrogance ou par 
folle presomption, mais admonest& de vraie affection et bon desir du bien 
des nobles hommes en l’oflice d’armes suis ennorte apr&es mes autres 
oeuvres passdes à parler en ce present livre du tr&s honnöte office d’armes 
et de cheualerie«. Dann jegt die Verfafjerin auseinander, dab gerechte Kriege 
erlaubt jeien und behandelt im wejentlichen folgende Gegenjtände: Kriegsgründe. 
Worauf ein Fürſt bei Kriegsbeginn fein Augenmerk zu richten hat. Warum er 
nicht jelbjt den Zug führen und fi den Wechjelfällen des Glücks ausjegen foll. 
Über die Anforderungen, die an einen Connejtable zu jtellen find. Waffenübungen 
der Alten. Haltung der berühmtejten Kriegsfürjten. Heeresaufbringung (nad) 
Vegez). Pflichten des Führers. Belagerung und SHeereszug. (Flußübergänge 
und Verpflegung) und andere Kriegsvorjchriften nad) Vegetius. — Rekapitulation. 

Der 2. Teil beginnt mit den Stratagematen, bejonders denen des 
Scipio, des duc Marius, Julius, Perikles, Pyrrhus, Lentulus, Fabius Marimus, 
und jpricht etwas eingehender von den Lakedämoniern, Cäſar, Bompejus u. j. w. 
Dann handelt Chriſtine ausführlic (und hier liegt der Hervorragende Wert ihres 
Werkes und der bei weiten bejte und jelbitändigjte Kern desjelben) vom Städte- 
triege: wie Städte zu erbauen, zu bejegen, zu verproviantieren und auszurüjten. 
Vie Feitungen anzugreifen (bejonders interefjant: Ordenance de mettre siege 
et ce qu'il y convient pour assaillir tres forte place selon le temps de 
present ... . les pouldres et autres estoffes ... Les manteaulx.... Les 
Abillemens (Ausrüjtungsgegenjtände), Pierres des canons, Abillemens pour 








1) Das Brüffeler Exemplar 9010 ift mit einem Manuſtript des Arbre des batailles zufammen: 
gebunden und flanımt aus dem Beſitze des Grafen Charles de Chimay, Chevalierd be Croy. 


350 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


assaillir par mure . . . Les engins convenables ainsi que Vegece en fait 
dassault et de defendre chateaulx et villes selon Vegere. 

In der Einleitung des 3. Teiles jagt Chrijtine, daß ihr geraten worden 
jei, von dem Arbre des batailles zu pflüden [M. $ 21). Ein Bild jtellt 
dar, wie Chriſtine, die ein kräftiges Gartenmejler in der Hand hat, neben dem 
beratenden maistre unter jenem literariijhen Schlahtenbaume jteht, in defien 
Zweigen blaue Rittergejtalten fümpfen. Es folgt dann ein Zwiegejpräc mit 
dem Meijter, das den Hauptinhalt des Werkes Bonnors refapituliert. Cinige 
Punkte, die ſchon in legterem höchſt merkwürdig berühren, werden von Chrijtine 
noch jchärfer hervorgehoben; 3. B.: »Si ung estudiant anglois estoit trouvez 
es estudes de Paris on semblablement d’autre terre ennemie: si il pouvoit 
estre pris et mis a reancon?e Die Berfafjerin entjcyeidet, man jolle ihm nul 
grief ne desplaisir maden. 

Der 4. Teil behandelt, ebenfalls in yorm eines Dialoges mit dem Meijter 
und gleichfall® genau nach Bonnors Borbilde, die Fragen des feudalen Stat 
und Völkerrecht es, fowie die des Duelld. — Das Wert jchließt mit den Worten: 
»Ce livre nouvel comprent tous les acteurs qui ont traittie de l’art, in- 
dustrie et cautelles de guerre. Car en toutes batailles seulent plus donner 
vicetoire, sens et usage darmes que force ne multitude de gens mal en- 
seignes. Item en la doctrine darmes et trouve quantite de choses qui 
ont mestier au commun prouflit. Item qui desire paix si aprenge par art 
dobtenir victoire, car nul chose necessaire a cellui quil pense que lui 
puisse vaincre.e Dieje Bemerfungen zeugen von einer jehr reifen Auffafjung 
ſowohl des Wejens der Kriegstunjt als der politifchen Bedeutung des Krieges. 

Nahezu achtzig Jahre vergingen, bevor Ehrijtinens Werf gedrudt 
wurde. Es geichahb unter dem Titel L'’art de cheualerie 
selon Vegece, traictE de la maniere que les princes doiuent 
tenir au faict de leurs guerres et batailles. (Paris 1488). Diejer 
Titel nennt die Berfafferin nicht, wohl aber den Vegez, und das tt 
der Grund, weshalb man oft auf den Irrtum trifft: der Livre des 
faicts d’armes jei lediglich eine franzöftiche Bearbeitung der Epitoma. 
Dat dies feineswegs der Fall ijt, wird bereits die Inhaltsübersicht 
gezeigt Haben: nicht nur Frontin iſt neben Vegez eingehend benußt, 
jondern mehr noch Bonnor, und in den den Belagerungsfrieg 
behandelnden Abjchnitten ihres Werkes iſt Chrijtine jogar meiſt ganz 
jelbjtändig. 

Am interejlantejten find die Anſchläge für die Belagerung einer bedeutenden, 
am Meere oder an einem großen Strome gelegenen Stadt, u. zw. nach den 
Mitteilungen bochgejtellter Kriegsleute. Offenbar beziehen jie ji auf einen 
wirklichen Kriegsfall, vermutlid” auf die 1377 und 1406 geplante Belagerung 
von Galaid. Die Gejchüge jind als „große“ und „Heine“ Kanonen bezeichnet; 
auch für die legteren werden Steine als Gejchofie genannt; da aber aud 53000 Rip. 








4. Lehrichriften. 351 


Blei aufgeführt werden, um Kugeln daraus zu gießen, wird wohl ein Teil der 
feinen Kanonen aus Lotbüchjen bejtanden haben. Die Zahl der Geſchütze war 
248, davon 36 Bombarden, welche hundert- bis fünfhundertpfündige Steine 
warfen. Ein bejonders vertrauenswürdiges Ktanon, der Monfort, war mit 150 
dreihundertpfündigen Steinkugeln ausgerüjtet. Die andern großen Geſchütze 
baben nur 120, die Heinen 300 Kugeln, und außerdem wurden 600 erjt zur 
Hälfte behauene Steine mitgenommen. Man erkennt, welde Bedeutung die 
‚seuerartillerie bereit8 Hatte und wie jorgfältig man ſie zu einer großen Inter: 
nehmung vorbereitete. — In andern Punkten folgt die Berfajierin dem Vegez, fo in 
Bezug auf die vignes (vineae), die bei ihr ganz diefelben Abmeſſungen haben 
wie bei dem Römer, die Chriſtine jedoc vorzugsweije zum Untergraben der Mauern 
beftimmt. Auch bei Bejhreibung des Minenangriffs hält fie ſich durchaus, mehr 
ald Egidio Kolonna [M. $ 19), an Vegez. Sie jchildert auch den pluteus, 
einen fahrbaren Schirm der Alten, der oft in den Ikonographien des 15. Ihdts. 
dargeftellt ift, verbreitet jich eingehend über die zum Sturme notwendigen Leitern, 
über die zum Angriffe erforderlichen Armbrujte und bringt überhaupt eine Menge 
der wichtigiten und belehrenditen Einzelheiten. Dennoch verzichte ich auf weitere 
Auszüge, weil die interefjantejten Stellen leicht zugänglich wiedergegeben find in 
Louis Napoleons Etudes sur le passe et l’avenir de l’artillerie. (I p. 17. 
25. 28. 29. 38. 43. 45. II p. 3. 8. 13. 14. 20. 28. 30. 37. 47. 63. 64. 69. 71. 
DI p. 126. 127.) 

Ein Jahr nah dem franzöſiſchen Drude erjchien bereits eine engliſche 
Überjegung : A book of Christine of Pyse drawn out of Vegecius de re 
militari, translated from French into English by the command of Henry VII 
by W. Caxton (Rejtminjter 1489). Der eigentlihe Titel lautet: The fait of 
armes and chyvalrye. — Whiche translacyon was fynysshed the viij day 
of juyll the said yere and enprynted the xiiij day of juyll next following«. 
Das Buch ijt überaus ſelten; e8 wurde zulegt für 336 Piund St. verfauft. 


Ein Beitgenofje Ehrijtinens war der berühmte Marjchall Jean 
le Meingre de Boucicout, der den Beinamen le philosophe d’armes 
führte. So tief er aber auch über die Kriegsangelegenheiten nachge- 
daht haben mag: die Ergebniffe feiner Meditationen find für die 
Wiſſenſchaft verloren; denn er hat nichts Schriftliches hinterlaſſen; 
auch die interejjanten Denfwürdigfeiten, welche ein Zeitgenofje des 
Marichalls verfaßte und Godefroy unter dem Titel »Livre des faitz 
de Jean Bouciquaut« herausgab (Paris 1620) laſſen uns im jener 
Hmficht im Stiche. 

S 40. 

In die Zeit der jchweriten Kämpfe Frankreichs mit England, 
etwa in das Jahr 1425, fällt die Entjtehung einer Abhandlung über 
»La maniere selon l’usance du temps pnt (present) de 


352 Tas XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


arrangier ost en champ pour combattre«e, deren Hand: 
ſchrift die Nationalbibliothef zu Parts bewahrt. (Fonds franc. 
no. 7076). — Der wejentliche Inhalt lautet wie folgt '): 

»Comme "Vegece mette plusieurs exemples et manieres darrangier 
ost Heer) en bataille (si comme dit sera cy-apr&s) lesquelles peut-estre sont 
en aucunes manieres differentes des ordonnances du temps pr6sent; la 
cause est par aventure pour ce que commundment se combattoient adonc 
les gens plus à cheval qu’ä pied, et autre si comme il ne soit quelcongue 
chose et ordre des humains qui par espace de temps ne se mue et change, 
me semble bon toucher en brief des ordonnances communes du 
temps present, si que comme assez est scu de ceux qui armes exercent. 
— C'est à scavoir faire son avantgarde de longue étendue de gens 
d’armes arrangdes omnement serr&s ensemble, et que l'un ne passe l’autre, 
les meilleurs et les plus élus au premier front; les mar&chaux avec eux 
empres les etendarts et bannieres; et fait-on-esles (Flügel) aux costes, devant 
esquelles est le trait, tant cannonniers comme arbalestiers et archiers 
arrangies. (Die Ähnlichkeit diefer Anordnung mit der Philipps von Cleve ſpringt 
in die Augen!) Apres la premiere bataille vient la grosse bataille, oü 
toute la force des gens d’armes est mise, arrang6es tous par les ordres de 
leurs chevetains (Hauptleute), leurs bannieres et enseignes levees. — Le 
connestable fait crier sous paine du chief que nul ne se desroutte, et 
dient aucuns, que se quantite de gent commune y a, que on doit 
diicelle gent efforcier les esles des cotes par beaux rens par derriere le 
trait, et que commis soient à bons chevetains; et aussi les mettre au de 
vant de la grosse bataille si que se fuir veuillent que les gens d’armes 
de apres les en gardessent. (Man jicht, wie nebenſächlich und mißtrauiſch 
hier das Kommunalfußvolf betradytet wird!) Au milieu de la grosse bataille 
est mise le prince de lost (im Gegenjaß zu der viel weijeren Anordnung 
bei Seldened), la principale banniere devant soy, en laquelle est le regard 
de la bataille.... — Apres vient la tierce bataille, que l'on dit arriere 
garde, laquelle est ordonnee, et par derriere icelle sont les varlets des 
chevaux qui aident les autres si besoing est ... et ils font estache (Ber: 
pfählung), que par derriere on ne viengne envahir la bataille.... Si 
assez y a gens d’armes et si on se doubte que par la (b. h. von hinten ber) 
venissent les ennemis ... il faut faire une autre bataille qui le 
dos a tourne& vers les dites batailles... 

Et conseillent aucuns experts d’armes (quoique cette die maniere 
d’arrangier ost soit la plus commune) que quand il avient, que l'on n’a 
une trop grant quantit& de gens de commune mais plus de bons gens 
d’armes, que toute l'’assemble&e soit mise en une seule bataille 
sans avantgarde ne arrieregarde fors les esles. (Dieje waren aljo un- 
erläßlich.) . . - 

1) Ausnahmsweiſe citiere ich bier nicht nad der Handſchrift felbft, jondern folge dem Auszuge, 
welchen Favé in feiner Histoire et tactique des trois armes gibt (Lütti 1850). 


m 


4. Lehrichriften. 3553 


Nachdem der Berfafjer dann von den Schladhtordnungen des Vegez gehandelt 
hat, erwähnt er die verjchiedenen engins et cautelles pour rompre les batailles, 
d. h. der Streitfarren und der ribaudequins, die teils durch Menfchen, teils 
durch Stiere oder Pferde gegen den Feind vorgejchoben wurden -[S. 297). 

Die Abhandlung it interejjant, weil jie für ‚Frankreich die einzige 
ihrer Art im 15. Ihdt. it; aber jie jteht an Klarheit und Genauig- 
feit gegen die Darlegungen des deutjchen Anonymus, Seldenecks und 
des Herzogs von Eleve doch zurüd. 


Ss 4l. 

Das dritte franzöſiſche Werk, welches bier zu nennen, der 
Rozier de guerre, dejjen einzelne Lehrjäge teils als Rojen, teils 
al3 Knoſpen bezeichnet find, ijt von vielumftrittenem Urjprung. Ge 
wöhnlich wird König Louis XI. als Verfaffer des Buches genannt, 
oder man nimmt Doch, wie de Barante in jeiner Hist. des ducs de 
Bourgogne (Paris 1820) an, daß es unter den Augen jenes Fürjten 
gejchrieben jei par de bons et notables hommes non seulement 
doctes mais propre A la garde et defense d'un royaume. Wieder 
nach anderen joll der Rozier auf Befehl Karls des Kühnen zur 
Ergänzung der Trierer Ordonnanz von 1473 verfaßt worden jein. 
Bon alledem it nichts bewiejen; aber es tjt allerdings wahrjcheinlich, 
daß das Buch der Anregung Louis XI. jeine Entjtehung verdanft ; 
denn man findet darin den Gedanken jerner Inftitution der Francs- 
archers und erfährt, daß der König die Abjicht hegte, eine Grande 
Phalange von 40000 Mann zu errichten, welche in vier Lieutenances 
geteilt werden jollte. Der Befehlsbereich eines Lieutenant jollte dann 
wieder in zehn Vicariats zerfallen, jedes Vicariat in zehn Capitaineries 
zu zehn Dizaines, jo daß der unterjte Befehlshaber, der Dizienier, 
10 Gensd’armes fommandierte. Als Grund gegen den Einfluß 
Louis' XI. auf die Abfafjung des Rozier könnte man geltend machen, 
dad dies Werk den Gebrauch fremder Soldtruppen tadelt, während 
Louis ich tatſächlich nur inmitten feiner schottischen Garde jicher 
fühlte und zehntauſend Schweizer in jeinen Sold nahm. Indeſſen 
fommt es ja jehr häufig vor, daß die gelebte Praris der gepredigten 
Theorie nicht entipricht. Das Buch dürfte um 1480 gejchrieben jein. 

Die Nationalbibliothet zu Paris bejitt jechs Handſchriften des 
Werfes (Fonds Franc. 442. 1238. 1239. 1240. 1965. 4986). Es 
führt den Titel »Le Rosier des guerres, contenant plusieurs bons 

Jahns, Geichichte der Kriegswiſſenſchaften. 23 


354 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine friegswifjenichaftlihe Werte. 


conclusions et advertissements pour la garde deffense et gou- 
vernement du Royaume« und zerfällt in 9 Kapitel, welche folgenden 
Inhalt haben: 


Le 1. chap. est le prologue touchant les causes de ce Rosier. — 
Le 2. chap. contient trois parraphes du monde, de la mort et de lame. 
— Le 3. touchant lestat et propriete des Roys et des princes; avec ung 
paraffe de Justice et un paraffe du bien commun. — 4. Des chevaliers 
ordonnez pour la garde du bien commun et quelx gens on y doit eslire, 
avec plusieurs paraffes de ce qui ensuit: des signes de fort chevalier; des 
exhortations que le prince doit faire quant il veut aller en guerre; des 
signes du saige chevalier; des choses qui sont necessaires et qui con- 
viennent aux chevaliers et gens de guerre. (Dies Ktapitel ift im wejentlichen 
eine Neproduftion der entſprechenden Abjchnitte des Begetius.) — 5. Des choses 
qui convennient au prince, avec paraffe: comme il peut ordonner ses 
gens pour en avoir prestement a toute heure et tel nombre quil luy plaire. 
(In diefem Kapitel wird der bereit? auseinandergejegte Plan der Grande pha- 
lange entwidelt.) — 6. Comment lost doit estre conduit; avec 
paraffes: Ce que lon doit considerer avant bataille; comment on doit con- 
duire son host savvement; de Renger un bataille; comment le prince 
savua de quoy les ennemis sont plus fors que luy; quant on doit assaillir 
ses ennemys; des Regles de batailles, de fuyte; de bataille par mer. 
(Dies Kapitel iſt wieder durdaus von Begetius injpiriert. Wie diefer rät auch 
der Rozier, dem Feinde ja nicht den Weg zur Flucht zu verlegen.) Damit endet 
der militärische Teil des Buches, der aljo eigentlid nur die Kapitel 4, 5 und 6 
umfaßt. — Le 7. chap. est des choses que le prince doit faire et con- 
diderer en sa seigneurie. — Le 8. est preparatif au ix. — Le 9. chap. 
Par le roy notre souverainn seigneur Loys XI de ce nom, filz du Roy 
deffunct de noble memoire Charles VII .... contenant cronique abregee 
du Royaume de France et daucuns autres Royaumes, depuis les premiers 
Roys de France, insignes au couronnement du Roy, fait pour monsieur 
le dauphin Charles son filz. — Dies neunte Kapitel ijt ein Reſumé der 
Chroniques de Saint-Denis. Daß der König jelbjt e& verfaßt habe, iſt wohl 
cum grano salis zu verjtehen; wahrjcheinlih aber iſt es in der Tat, daß es 
zum Unterrichte des Dauphins, des fpäteren Charles VIII. ercerpiert worden iſt, 
und da® mag dann auch wohl von den früheren Abjchnitten in gleicher Weiſe 
gelten. Dies hiſtoriſche Kapitel endet mit der Nachricht von der Geburt des 
Tauphins i. 3. 1470. 


So wenig Selbjtändigeg der Rozier in jeinen militärtichen Kapiteln 
nun auch bringt — faft alles, was jich nicht auf Louis' admintitrative 
Pläne bezieht, jtammt tatjächlich aus dem Vegetius — jo interejjant 
iſt er doch als fulturhiitoriiches Denkmal. Schon dieſe Herrichaft Der 
Antike it an ſich bemerkenswert; dann aber gibt das Bud auch 


4. Lehrichriften. 355 


den beiten Schlüfjel für die franzöfiiche Kriegskunftiprache des 
15. Ihdts. 

Nod kommen die Worte armée und officiers nicht vor. Der Ausdrud 
ost bezeichnet wie das deutſche „LXeger“ ſowohl Heer al® Lager; der baron ijt 
ein Führer der Gewappneten (Ritter), der duc ein Feldherr. Noch immer ijt die 
Rede von den engins d’artillerie, von den vitailles und dem vitaillement, 
Tas Wort bataille bedeutet ſowohl Heerkörper ald Schladt. Ein ouvrage 
batailleux ijt ein kriegswiſſenſchaftliches Wert. 

Gedrudt wurde das Buch zuerjt 1522 u. zw. noch mit gottjchen 
Xettern unter dem Titel: Le Rozier historial de France, 
contenant deux Roziers: — Le premier rozier contient 
plusieurs belles Rozes et boutons de instruction et beaulx en- 
seignemens pour Roys, Princes, Cheualiers, Cappitaines et gens 
de guerre, comme ils se doiuent maintenir, gouuerner et con- 
duyre pour mener ostz et bataille contre leurs ennemys tant 
par mer que par terre. — Le second Rozier, autrement Croni- 
ques abregees, contient plusieurs belles roses et boutons extraictz 
et issus de la maison de France et de Angleterre tant en ligne 
directe que collateralle; paraillement Dallemaigne, Espaigne, 
Escoce, Sicille, Flandres et autres tant des royaulmes chrestiens 


que des infideles. 

Auf der zweiten Seite des Buches iſt dargejtellt, wie dasjelbe dem Könige 
überreicht wird. Das Bild wird von einem Gedichte begleitet, deſſen Schluß: 
verje lauten: 

De par l'humble et obeyssant subiect 
Dont le nom est en reproche ny siet 
Car qui appoint les lettres en assiet 
Trouver le peult sil ne faut à son gect. 


Aus den Wörtern »en reproche ny siete als Anagramm haben Ya Croir 
du Maine und Gabr. Naude den Namen Etienne Bordier, andere Pierre 
Cheniſot entziffert, wobei es allerdings auch noc zweifelhaft bleibt, ob damit 
der beauftragte Verfaſſer oder der Buchdruder benannt ift ). 

Eine zweite in manchen Einzelheiten abweichende Ausgabe erjchien ſechs 
Jahre jpäter zu Paris ald Rozier ou Epithome historial de France, 
diuise en trois partis. Cine abgefürzte Edition veranjtaltete der Präfident 
V’Espagne (Paris 1616). Auf Grund der letzteren hat Ziegler im Anhange 
jeiner Überſetzung der Arte della guerra des Madiavelli eine Verdeutſchung 
der interejlantejten Teile der militäriichen Kapitel des Noziers geboten. Karls— 
ruhe 1833.) 


1) Bgl. über die Ausgaben und Handſchriften: Paris: Les manuscrits francais de la Bibl. 
du Roi. T. IV, p. 116 sq. 
23° 


356 Tas XV. Nahrhundert. I. Allgemeine friegewifienichaftliche Werte. 


Zwei burgundiiche Arbeiten des 15. Ihdts. von geringerem In— 
terejje bejigt die Manujfriptbibliothef de Bourgogne. Die eine (Brüfjel 
no. 18210) führt den Titel: La Salade par Antonio de la Sale. 

Die Arbeit ijt dem Herzoge von Galabrien gewidmet und jteht, obgleich 
franzöſiſch geichrieben, doch offenbar unter italieniijhem Einfluß. Sie gleicht in 
vielen Stüden der in $ 42 zu beipredhenden Abhandlung des Aretinus. Der Ver— 
fajier war Burgunder, hatte aber Italien beſucht, wurde 1428 Landrichter zu 
Arles und dann Erzieher Louis IU., Grafen von Anjou und Provence jowie 
Königs von Eicilien. Er iſt wejentlih Dichter und jein Werk verfolgt den Zwechk, 
die Ritterſchaft fittlih zu heben und zu bilden. Es erſchien faſt ein Jahrhundert 
nad) jeiner Niederjchrift im Prud. (Paris 1521, 1527.) 

Das zweite Werk (Brüfjel 11124) ift der Livre de Chevalerie 
von ©. de Eharny. 

Es ijt ähnlichen Inhalts. Nach einer poetifhen Einleitung werden die 
verichiedenften Fragen aufgeworfen, welche jich auf ritterliches Leben und Waffen— 
dienjt beziehen. Zuweilen berühren diefe Fragen, welche jtet8 mit den Worten 
»Charni demande« eingeleitet werden, wirflid; militärifiche Gegenjtände; 3. B. 
Wie ſich 100 Gensdarmes verhalten jollen anderen gleich gut Gerüjteten gegenüber, 
oder Wie man fih in einer belagerten Stadt verhalten joll; aber es fommt 
nichts dabei heraus; der Verfaſſer bleibt in allgemeinen Redensarten jteden. 

8 42. 

Nicht reich, aber doch auch nicht jo arm wie die friegswifjenjchaft- 
liche Literatur Frankreichs im 15. IHdt. tft diejenige der Jtaliener. — 
Welch hohen Rang dieje der Friegsfünftleriichen Tätigkeit zuwieſen, 
wie eng jie diejelbe mit dem humaniſtiſchen Ideal in Beziehung brachten, 
zeigen bejonders die Schriften des gelehrten Lionardo Bruni. 

Bruni, nad) jeiner Baterjtadt Arezzo gewöhnlich Aretinns genannt, ward 
1370 geboren. Obgleich niedriger Herkunft nahm er bereits 1405 am päpjtlichen 
Hofe die Stellung als secretarius brevium ein, und von 1427—1444 fungierte 
er als Kanzler der Nepublit Florenz, der Herrin feiner VBaterjtadt. 

Wohl als Teil eines größeren Werkes über Moraldisziplin und 
zugleich als Unterweifung für einen vornehmen Jüngling iſt die Ab: 
handlung De re militari ad Raynaldum Albicium, equitem 
Florentinum, aufzufafjen, von der die Bibliothek zu Siena drei, die 
Baticana (1043 lat. p. 209 ff.) und die fol. Bibliothek zu Dresden 
(E. 374) je em Exemplar bejigt '). 

ı) Das eine der Eienefer Manuftripte (20 BI. in einem Pergamentcodeg H. IV, 28) ift ein 
Ralimpfeft und vermutlich Autograph Bruni, Das Dresdener Manufkript gehört einem Sammel 
coder an, der u. a. auch eine zweite die Doftorfrage behandelnde Echrift von Kataldinus a. bem 


Jahre 1431 enthält. Cie ift weit leidenichaftlicher al& die des Bruni, dabei pedantifch und mit über- 
mäßigem Citatenaufſwand geichrieben. 


4. Lehrichriften. 357 


Im Mittelalter nahmen befanntlid die Doktoren den ritterlihen Rang in 
Anipruch, wobei freilich äußerer Widerjpruch und innerer Zweifel nicht ausblieben, 
und demgemäß zählt diefe Angelegenheit im 15. Ihdt. zu denjenigen, welche mit 
Borliebe behandelt wurden. Zu den Schriften jolcher Art gehört der Traftat 
De militia et jurisprudentia des Blondus Flavius h, und nicht 
minder der bier in Frage jtehende Liber militaris des Brunus; denn er be= 
handelt im wejentlichen den Wert der modernen militia, »que dignitatis honoris- 
que loco prestantibus viris tribui solete, Brunus mweijt der Ritterwürde die 
Bedeutung zu, daß fie einen Sammelplag jeder menſchlichen Tüchtigkeit bilde, 
und vermittelt zwijchen ihr und den Anſprüchen der Willenjchaft, wobei er aber 
auch jehr jorgfältig und genau auf das Rittertum der Waffen eingeht ?.. Die 
Schrift jtellt daher Äußerungen ver Alten (Blaton, Arhidamos, Phileas der 
Karthager) über Kriegsweſen und Kriegskunſt zujammen und gibt einen kurzen 
Überbfid der römischen Kriegsverfaffung von Romulus bi8 Marius, wobei die 
Zeiten allerdings jehr durcheinander geworfen werden. Gedrudt ijt der de militia 
libellus hinter Migl. Maccioni Observ. in Jus feudale. 


Noch bezeichnender iſt die in italienischer Sprache abgefahte 
Rede, mit welcher Bruni dem Capitano di guerra Niccolo di 
Tolentino den Kommandojtab übergab. Sie findet ich in der 
Dresdener Bibliothek (cod. ms. O. 44. fol. 1—4) und wurde von 


Otto Ed. Schmidt verdeutjcht °). 

Nahdem Bruni glei) zu Anfang ausgeſprochen, daß die Kriegskunſt die 
wichtigjte und höchſtzuachtende Tätigkeit jei, bemerft er, vermutlich in bewuhtem 
Gegenjage zu dem Ciceronianiihen Worte: »Cedant arma togae, concedat 
laurea laudie : „Der größte Philojoph weicht dem großen Feldheren. Im Ernite 
dart man PBlato nicht mit Alexander, Ariſtoteles nicht mit Cäſar vergleichen. 
Denn auf der Umſicht und Tatkraft eines guten Feldherrn beruhen Heil und 
Errettung des States! Leben und Freiheit, alles Teuerjte und Höchſte, läßt ſich 
nur mit den Waffen behaupten. Sicherlich hätte es Rom weniger genußt, wenn 
Plato in feinen Mauern geboren worden wäre jtatt des Marcus Furius Camillus, 
deſſen Lijt und Stärke die Stadt den galliichen Eroberern entriß. Und wäre es 
für Jtalien ein Gewinn gewejen, wenn es den Ariſtoteles zu feinen Söhnen 
gezählt hätte jtatt des Cajus Marius, welcher die zur Unterjohung Italiens 
heranziehenden wilden Bölfer der Cimbern und Teutonen niederjchmetterte und 
vertilgte!?“ 

843. 

Papſt Nikolaus V. bejchäftigte jich mit dem Plane eines Türfen- 
zuges und beauftragte den edlen Milanejen Lampo Birago mit dem 

1) Bol. über diefen Traltat: „Serapeum“, 15. Bd. 1854. 

”) Bgl. Herjhel im Serapeum. 17. Bd. (Leipzig 1856). 


+) Val. Schmidt: Gian⸗Francesco Poggio Bracciolini. Ein Lebensbild. (Zeitihrift f. allg. 
Geſchichte, Kultur-, Literatur: und Kunſtgeſchichte 1886). 


358 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


Entwurfe desjelben, den diefer um 1454 verfaßte. Die Schrift, von 
der ich ein Eremplar in der fgl. PBrivatbibliothef zu Turin befindet 
(ms. 350), führt den Titel: Ad Nicolaum quintum pontificem 
maximum strategicon adversus Turcos. 

Der Verfaſſer ift fein Kriegsverftändiger und das Bud militäriih nicht 
hervorragend. Bemerkenswert erjcheint, daß Birago in einem Bergleihe zwiichen 
dem Luntengewehre der Janitjcheren und dem Handbogen letzterem unbedingt 
den Vorzug gibt. — Näheres über das Strategifton bei Promis: Della vita 


e delle opere degli italiani scrittori di artigleria, architettura e meccanica 
militare; 1250—1560. (Zurin 1842.) 


8.44. 


Die bedeutendjte Arbeit eines Italiener diejer Zeit jind des 
Dalturius De re militari libri XI. 


Roberto VBalturio wurde um 1413 zu Rimini geboren und widmete 
fih unter Leitung jeines Bater8 Cicco di Jacopo de’ Balturi den Wiſſenſchaften. 
Im Jahre 1446 war Noberto apoftoliiher Sekretär in Rom; jpäter aber trat 
er in den Hofdienjt de Ghismondo Pandolfo Malatejta, Herrn von Rimini, der 
wie jo viele damalige Fürften Jtaliens zugleich Condottiere und Friedensfürſt, 
brutaler Tyrann und feinfinniger Mäcen war). Auf Anregung diejes Mannes 
ihrieb Valturio jein Werf, das er nad) langer Arbeit etwa um 1460 vollendete. 

Die gewöhnliche Angabe: das Werk datiere von 1445, ijt falſch, ebenſo wie 
die Behauptung, dat Balturio an dem Bau des berühmten Gajtello Sigismundo 
Anteil gehabt habe, der i. J. 1446 vollendet wurde; denn damals war er nod 
Sefretär der Kurie. Aber auch die Notiz Battgalinis, Valturio habe die zwölf 
Bücher 1453 vollendet, ijt unmwahrjcheinlich, weil Roberto zuerjt mit einer Yebens- 
bejchreibung jeines Herrn bejchäftigt wurde. 

Dem hohen Rufe von Balturios Werk entſpricht die Zahl und Schönheit 
der Ausjtattung der vorhandenen Handijchriften, deren ji in Rom, Florenz, 
Modena, Turin (Bibl. des Königs und Bibl. des Herzogs von Genua) in Paris, 
Lauſanne, Münden und Dresden finden. Am jchönjten find die in Modena und 
Dresden. Der herrlidhe Dresdener Coder (Cimelie), in Jtalien auf feinjtem Ber 
gament geichrieben, jtammt aus dem Bejite des ungarischen Königs Matthias 
Gorvinus und wurde von Friedrich Auguſt II. erworben. Das Manujfript ent: 
hält nahezu 100 Miniaturgemälde jowie pracdhtvolle Verzierungen und Initialen. 
Sehr ſchön ift auch die Münchener Pergamenthandſchrift (cod. lat. 23467). Die— 
jenige des Herzogs von Genua (ms. 308) ijt minder präcdtig i. J. 1466 zu 
Benedig hergejtellt worden. Der Handjchrift der Kgl. Privatbibl. zu Turin (ms. 371) 
fehlt das 12. Buch, und die ziemlich flüchtig gezeichneten Figuren find nur leicht 


1) Bol. Priarte: Un condottiere au 15 siécle. Etudes sur les lettres et les arts a la 
conr des Malatesta d’aprös les papiers d’etat des archives d’Italie. Orne de 200 dessins. 
(Paris 1882). — Pandolſo ftarb 1468. 


4. Lehrſchriften. 359 


angelegt. In dem einen der beiden Barijer Exemplare (Nr. 7236 und 7237) 
ind die Zeichnungen von Pajti, dem »mirificus artifex« hergejtellt. 

In dem Buche, welches zugleich dem Lebensberufe wie den anti- 
quarischen Neigungen des Malatejta jchmeicheln jollte, wird dieſer, 
dem eigentlich nur der Titel eines Signor zufam, doch, dem Hoftone 
jener Zeit entjprechend, al® rex und imperator angeredet und all 
jein Tun als föniglich und heldenhaft bezeichnet. — Valturio jcherzt, 
daß er, obgleich er niemals verwundet worden, über das Kriegsweſen 
ichreibe; in der Tat genoſſen die Gelehrten damals vor den Kriegs— 
leuten den Borzug, ſich wegen ihrer Kenntnis der alten Sprachen 
über die Theorie der Kriegskunjt unterrichten zu können, die ja ledig: 
{ih in den Werfen der Antife vorlag. Daher jind denn auch Vals 
turios libri XII gan; aus den Autoren des Altertums gearbeitet. 
Ber jedem Buche werden im Inder die benußten Schriftjteller ange- 
rührt: vor allem Vegez, dann Cäſar, Ammianus Marcellinus, Dionys 
von Halicarnaß u. a., Doch auch einige Kirchenväter. Diejen Quellen 
entjprechend iſt das antike Kriegsweſen eingehend behandelt und mit 
allerhand nebenjächlichen Erfurjen vermijcht, während die neuere Zeit 
nur gelegentlich berührt wird und noch am bejten in der reichen Aus— 
jtattung mit bildlichen Darftellungen zur Geltung fommt, durch welche 
das Werk ſich wie ein Übergang von den Ikonographien zu den 
Zehrjchriften darjtellt. — Die zwölf Bücher ordnen jich folgender: 
maßen: 

Die Eröffnung bildet ein elenchus oder index rerum. Dieſem folgt 
die Widmung ad magnanimum et illustrissimum Heroem, Sigismundum 
Pandulphum Malatestam, splendidissimum Ariminensium Regem ac Im- 
peratorem semper invietum. Dann beginnen die zwölf Bücher: 1. Von der 
eriten und zweiten Quelle der Kriegskunſt; von weldhen Bölfern fie den 
Uriprung nahm und woher ihr Name Was die Kriegskunſt jei und in welche 
Teile jie nad) der Lehre des Iphikrates zerfalle. Bon der Notwendigkeit 
wiijjenihaftlider Bildung behufs rationeller Kriegführung. 
„Das hatte Philippos wohl bedacht, als er jeinem zum Feldherrn zu bildenden 
Sohne den großen Ariftoteles zum Lehrer gab.“ Als andere Beijpiele werden 
Timotheus, Epameinondas, Fyrrhos, Mithridates, Scipivo, Cäſar, Auguftus u. a. 
aufgeführt und endlich der Übergang zu Pandulfus gefunden, wobei namentlich 
deſſen Berdienjte um die Bibliothef zu Rimini hervorgehoben werden und eine 
Schilderung des Kaſtells von Rimini erfolgt. — 2. Vier Kapitel über den 
Nugen, welden Philojophie und Geſchichte, Beredjamkeit, Poejie, 
Muſik und Mathematif für den Feldherrn haben. »Dux enim 
studere debet litteris; philosophiae et historiarum cognitioni; eloquentiae; 


N en Ne m inne U Lu mo mn nu Sn Zn m nn mu 


360 Das XV. Jahrdundert. I. Allgemeine tkriegswiſſenſchaftliche Werte. 


poetis; musicae; arithmeticae et geometriae; astronomiae et etiam arti, 
si qua est, perquirendorum fatorum; legibus ; medicinae ; gymnasticae et 
equestri exereitationi. Plurimas quoque animae necnon corporis virtutes 
inesse duci necesse este. „Sehr große Feldherrn haben ihre Gejchichte jelbit 
geſchrieben!“ — 3. Bon der Witrologie und der Wahrjagung. — 4. Über 
Gejeggebung, Heilkunſt, Kriegs: und Leibesübungen und von der Muße 
der Kriegsleute. — 5. Bon den vier Kardinaltugenden und welde der 
großen Feldheren ji in ihnen bejonders hervorgetan. Bon jolden Kriegslehren. 
welche die Griechen Stratagemata nannten. — 6. Publiziſtiſche Ge 
jihtspunfte: Berechtigung zum Kriege, Ankündigung desjelben, Verpflichtung 
zu Bündnifien, Waffenftillitand, Friedensverträge, Vereidigung; „denn ein Krieger 
ijt niemand, er habe denn zuvor dem Führer den Treufchwur geleijtet“. Aus: 
hebung und Remontierung. Wahl des Feldern. Marſch- und Gejechtstaftif 
der Alten. — 7. Bon Tagen übler Borbedeutung (>»Seu recte, seu 
perperam, id fiat!«) Wahl! des Schladhtjeldes, Rekognoszierung des 
Feindes. NKajtramentation. Verhandlungen mit dem Feinde. Was nad ver: 
lorener, was nad) gewonnener Schlaht zu tun. „Dem Geſchlagenen goldne 
Brüden bauen!" — 8. Vokabularium lateinijcher Kriegsausdrüde, das Bor: 
bild des Glofjjars in Hohenwangs deutjchem VBegez [S 2], dod weit ausführlicher. 
— 9. Was ift der Krieg und woher jtammen die in demjelben üblichen Be- 
zeihnungen? — Belleidung und Bewaffnung der Ulten und Neueren. 
Abgeſehen von drei früher gegebenen geometrijhen Figuren (Elevationsfejtitellung 
für die Armbruft, Waſſeruhr und Sonnentreis) jowie von der Abbildung eines 
Zeltes beginnen in diefem Buche die bildlihen Darjtelungen. — 11. Bom 
Seetriege und vom Sciffsbau. Die Winde. Von der Nautik. Bon See 
ſchlachten. Bon den Mitteln, Ströme zu überfchreiten. Brüdenbauten. Taucher: 
wejen. Waflerläufer. — 12. Bon den Fahnen, Triumphen und Ehren 
der Krieger. 

Der Wert von Balturius’ Werk liegt, joweit nicht das Altertum, 
jondern die Zeit des Verfaſſers jelbjt in Frage fommt, durchaus m 
dem Atlas, welcher unmittelbar darauf von Hohenwang übernommen 
und bereit eingehend gewürdigt wurde [S 10). 

Nur wenige Figuren find nicht in den deutjchen Vegez übergegangen: ein 
einfacher Bogen, ein Fallgatter, eine Hape zum gededten Heranbringen von Leuten 
an ein Feitungsthor, eine Ebenhöche, ähnlid wie ‚Fig. F bei Hohenwang, dod 
auch fähig, jchräg geitellt zu werden. Ein in einem Zimmerwerf aufgehängter 
Mauerbreder. Fahnen. Turm mit Windfahne. Wafjerfahrzeuge, die mit Ruder: 
rädern, bzw. mit Schrauben (!) fortbewegt werden jollen. Aus einzelnen Käjten 
zujammenzujeßende gededte Schiffe Ein Schwimmer auf einer Holzplante. 
Zujammenfafjung von Tonnen ald Brüdenträger. 

Es iſt ein Beweis von der Bedeutung, welche die Zeitgenojjen 
den zwölf Büchern Balturios beimaßen, daß dies Werf als das 
erite aller Kriegsbücher gedrudt wurde. Ebert erklärt die 


4. Lehrſchriften. 361 


Veronejer Ausgabe von 1472 jogar für den ältejten aller italienijchen 
Drude. Sie iſt jehr jelten!). Die zweite Ausgabe erjchten zu Verona 
1482, bzgl. 1483 2); jpätere famen 1532 und 1535 zu Paris heraus. 
— Überjegt wurde das Werk ins Italienische von Roberto di 
Arragontia di San Severmo al® Opera de facti e precepti 
militari dilo excellente missier Rob. Valturio (Verona 1433) ?) 
und ins Franzöſiſche von dem Lyoneſen Loys Meigret als Les 
douze livres de Robert Valturin touchant la discipline militaire. 
(Baris 1554) *). — Die wichtigjten Stellen und wichtigiten Figuren 
hat Favé ım II. Bande von Louis Napoleons Etudes reproduziert. 
(5. 199 ff.). 

Die Fülle der Figuren beweilt, dat Valturio der militärtjchen 
Technik bejondere Aufmerkjamfeit zumwendete, und in der Tat jcheint 
er nicht nur philologiiche, jondern auch phyfifaliiche Studien betrieben 
zu haben; das Muſeo von Urbino bewahrt mehrere Majchinenzeic)- 
nungen von feiner Hand. Aber die Aufnahme von Dingen wie Die 
mirabilis machina oder die machina arabica in jeinen Atlas be 
weiſt doch, daß es ihm durchaus an Kritik mangelte. Das lag freilich 
in der Zeit, und weder er jelbjt, noch die Meitlebenden jcheinen es 
bemerkt zu haben. Indeſſen auch jeine Schilderung des von dem 
Malatejta zu Rimint erbauten feſten Schloſſes jpricht jehr deutlich da— 
für, dat Valturio feine fachmänniſche Bildung bejaß; ſie iſt jo unklar, 
dar fie auch durch die erhaltenen Schaumünzen de Pajtis’, welche 
das Caſtell darjtellen, nur teilwetje verjtändlich wird’). — Jedenfalls 
erfreute jich Noberto großen Rufes, und jeine Verbindungen reichten 
weit. Etienne Baluze hat ein Schreiben veröffentlicht %), welches 


1) Eremplare u. a. im Kupferftichfabinet zu Berlin (Nr. 2651), in der kgl. Öffentl. Bibliothek 
zu Dresden, in der großherzogl. Bibl. zu Weimar, in der Bibl. Hauslab, jett Liechtenftein zu Wien, 
m der BibL des Herzogs von Genua zu Turin. — Die 82 trefflihen von Matteo Pati, einem 
Freunde Balturios, gearbeiteten Holzjchnitte entſprechen durchaus den Zeichnungen der Hanbichriften ; es 
find ſchwungvolle Konture ohne Scattierung, welche als erite Kunſterzeugniſſe diejer Art in einem 
datierten italienifhen Drude Bewunderung verdienen, 

», Ein Eremplar in der pl. Bibl. zu Berlin (H, u. 9700), zwei im Berliner Zeughauſe 
(A. 1 u. 2). — Die Holzſchnitte weichen hier und in den Überfegungen in Einzelheiten, doch nicht 
weientiich ab. 

2) Nah Dibdin (tom III 517) wäre Ramujio, der Herausgeber der zweiten Auflage, aud) 
der Üiberjeger ‚In vulgar‘. Gin Eremplar in der f. k. Hofbibl. zu Wien. 

*) Erpir. in der Generalftab3bibl. zu Berlin (B. 2439) und in der des dortigen Zeughauſes (A. 19). 

5) Bgl. Friedländer: Roberto de Balturi, Zeitichriit f. Wiſſenſch. u. Geſch. des Krieges. 
(Berlin 1850, Heft 2.) 

s) Miscellan. L. VII. (Barid 1673—1715) vol. IV. 


362 Das XV. Jahrhundert. L Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


Balturio 1463 an den Sultan Mahomed II. richtete, um diejem die 
Zwölf Bücher zu überreichen und zugleich jeinen Freund de Paſtis 
al3 Borträtmaler zu empfehlen. Auch Bandulfs Nachfolger bewahrten 
dem Gelehrten ihre Gunjt, und wie naiv auch vieles it, das er 
gejagt und gezeichnet: einigermaßen verdient er doch das Lob, welches 
ıhm em Freund am Schluß der Editio princeps jeines Werfes 
Ipendet: 


Prisca haec, Valturi, si tempora nacta fuissent, 
Militiae ferres praemia magna tuae, 

Teque Palatini cepissent culmina Phoebi 
Roberte, aetatis gloria prima tuae. 

Aeternos igitur vives cultissimus annos 
Militiae verusque rex paterque simul. 


Man muß dabei freilich den Ton der Zeit in Anjchlag bringen! 
Als Valturio, 70 Jahre alt, jtarb, gedachte die Grabjchrift in der 
Kirche San Francesco jeiner ausdrüclich als des Mannes, „qui de 
re militari libros XII ad Sigismundum Pan. Mal. accuratissime 
scripsit«. 


845. 


Faſt zwei Jahrzehnte nach Balturio trat ein ausgezeichneter 
Italiener mit einer Arbeit auf, die bei weitem nicht jo berühmt üt, 
wie die „Zwölf Bücher“ jenes Gelehrten, doch weit höhere praftiiche 
Bedeutung hat. Drfo degli Drfini, Herzog von Ascoli und Graf 
von Nola, der einem römtjchen Haufe entjtammte und den Krieg 
unter Francesco Sforza gelernt hatte, jchrieb eine Abhandlung, die 
man gewöhnlich) als Trattato del governo e exercitio 
della militia bezeichnet und die ſich in der Pariſer Nationalbibl. 
befindet. (M. S. ital. 958). Es iſt ein jehr jchön in Antiquabuch— 
jtaben gejchriebenes Manujfript ohne Titel, mit einer aus Neapel 
vom 2. Jan. 1477 datierten Widmung an S. R.M. (©. kgl. Mai.) 
Das Buch beginnt mit folgenden Worten: 

»] principi che hanno gratia di Dio governare deveno mectere studio 
et dare omne opera possibile che li exereitii per li soi subditi se facciano 
con rasone .... Et se in tucte le cose se deve usare diligentia ınulto 
maiore bisogna ne la militia; per che li errori che se commetteno ne li 


altri exercitiji non offendono lo stato del Principe per directum come 
quello della militia. 


4. Lehrſchriften. 363 


Orſos Werk gewährt bejonders dadurch großes Intereſſe, daß 
es ein vollkommenes Bild der Zujammenjegung eines italientichen 
Heeres im legten Viertel des 15. Ihdts. entrollt. 


„Nehmen wir,“ jagt Orſo, „eine Armee von ungefähr 20000 Mann an; 
jie wird zujammengejegt jein aus 12000 Pferden, 6000 Fußgängern, 500 Schanz— 
arbeitern, 50 jchweren Artilleriesfyahrzeugen, die von hundert Par Ochjen mit 
100 Bedienungsmannjcaften gezogen werden, 100 anderen Fahrzeugen, welde 
200 Gerbatane (feine Kanonen) aufnehmen und von 400 Pferden gezogen 
werden. Ferner 100 Mann als Schreiber, Sekretäre und Offiziere im Gefolge 
des Hofes. — Die 12000 Pierde werden gebildet aus 2000 Lanzen und 1000 
Armbruftihügen. 1000 Lanzen jind zu 6 Pferden und das andere Taufend zu 
5 Pferden gerechnet. Von den berittenen Armbruftihügen bejteht ein Drittel 
aus Pienern und das andere Drittel aus Pagen. Der Diener trägt ebenfalls 
Armbrujt und Küraß; der Page führt das Gepäd mit einer Borratd-Armbruit. 
— Unter den 6000 Infanteriſten jind 1000 Armbrujter, von denen einige auf 
dem Gepädwagen eine große Armbruft und den Küraß haben; 500 find Arke— 
bujiere (scopettieri), von denen eine gewiſſe Zahl eine Heine Gerbatana führt, 
die zwiſchen dem Schiopetto und der Gerbatane jteht, und die man zum Schiehen 
auf eine Gabel jtügt. Wenn man vom Feinde entfernt iſt, fann man fie auf 
dem Wagen transportieren. Der Reſt der Infanterie ift mit allerlei Handwaffen 
bewehrt. — Die 50 jchweren Fahrzeuge mit 100 Ktanonieren und den 100 Paar 
Ochſen werden unter der Yeitung des Artillerie-Führers wie folgt verteilt: — 
Zwei Bombarden, deren erite eine 300 pfündige Steinfugel, die andere eine 
200 pfündige ſchießt. Das größere Gejhüg wird von 8 Par Ochjen, das andere 
von 5 Paren gezogen. Die 48 übrigen Wagen, mit zwei oder nur einem Par 
Ochſen beipannt, dienen zum Transporte dev Rahmen, der Unterlagen der Bom— 
barde, des Pulvers, der Steine, der Eijenteile, der Echüffe und aller übrigen 
nötigen Etüde, worunter 4 Blajebälge. — Die 200 feinen Fahrzeuge nehmen 
200 Gerbatane auf: 100 große und 100 mittlere. Sie find mit großen Leder: 
ihirmen nad) Art der Seßtartjchen verjehen, um jowohl die Stüde ſelbſt als die 
Schützen zu deden. Dieje Cerbatane jollen untereinander gleiches Kaliber und 
aleiches Gewicht haben. Zu jedem Fahrzeuge gehören zwei Mann und zwei 
Pferde, die voreinander in die Gabel geſpannt werden.“ 


Nach diefem Anschlag überwog die Neiterei das Fußvolk damals 
in außerordentlicher Weije: jene war doppelt jo jtark als dies, und 
die Artillerie bejtand aus wenigen, übermäßig ſchweren Bombarden 
und einer Menge Eleiner Cerbatanen, die jo leicht waren, daß man 
ſie faum zur Artillerie rechnen kann!). — Orſo geht in jeinen An— 
gaben nicht jelten bis in die genauejten Details; aber er verliert jich 





1) Diejelben Extreme zeigen fi in ben Mitteilungen über Wrtillerie, welche Francesco bi 
Giorgio Martini in feinem Werke von der Architeltur madıt [3 76). Bol. Promis a. a. O. und bie 
Auszüge in Napoleons „„Etudes‘‘; I p. 96 und III p. 198. 


364 Das XV. Jahrhundert. I Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. | 


nicht darin; er wei wohl, dab in alledem feine Sicherheit des Steg 
liege, daß diejer vielmehr nur durch die Harmonie und das glüdlıd 
Zuſammenwirken aller Teile des Heeres verbürgt ſei. Darüber jpri 
er jich deutlich aus: 

»Le defensione di stati et victorie non consisteno singularmente 
bono Capitanio, ne per bono exercito, ne per multitudine, ne per fo | 
de campo, ne per rechecza, ne per denari, ne per ornamento de gente 
darme, ne per cautela et multe altre rasune et exempli se potteriano narrart 
per comprobatione de questo, che per non essere piu proxilo se tacend 
per che assai per che sia statu dicto et como in uno corpo perfecto in 
sua natura li bisognia. Lo intellecto, li sensi et li membri particulari . . 
Ma tucti li membri insiemi uniti, luno serve ad altro et fanno lo corpo 
utile et ben governato da lo intellecto se fa lo homo perfecto in sus 
natura et similimente in omne governo bisognia multe conrespondentie et 
maxime ne la Milicia«. 


8 46. 


Auch einen PBrälaten hat man den italienischen Kriegsjchriftitellern 
dieſer Zeit zuzugejellen: den Francesco Patrizio, Biſchof von 
Gaeta, einen Sienejen, der daher oft auch ala Francesco Sannete 
citiert wird. Er verdankt jeinen Ruf zwei Werfen, einem de in- 
stitutione rei publicae (ca. 1470) und einem de regno 
et regis institutione (ca. 1482). 


‚Bon den neun Büchern des erjteren bringt das dritte: conscribendorum 
tironum excubiarumque exercendarum rationes ab antiquis repetitas; da? 
achte erläutert munienda urbis, das neunte belli} parandi rationes. Alles 
das jind freilih nur Wiederholungen antifer Weisheit. — In dem zweiten Werte 
gibt das jiebente Buch eine genaue Bejchreibung der »Bombarda« vom Anfang 
des Guſſes bis zum Augenblid des Abfeuerns. Patrizio bezeichnet die Geſchütze 
als instrumenta bellica quae fulminum tonitrumque instar .... firmissimos 
quosque muros latissimaque moenia in ruinas scissa . ... decutiunt. 

Die Werke Patrizios erjchienen unter folgenden Titeln: 1. De institutione 
reipublicae libri novem. (Paris 1518, 1520, 1534). — 2. Enneas de regno 
et regis institutione. (Paris 1519, 1585.) — Ein Auszug über das die Bom- 
barde betreffende Kapitel findet ji bei Venturi: Dell’ origine e dei primi pro- 
gressi dell’ artigleria (Mailand 1815). 


847. 


Ein Zeitgenofje Batrizios war Antonio Lornazzano, der am 
Hofe des Francesco Sforza lebte. Geijtlicher Dichter von Haufe aus, 
bejtimmte ihn der Umgang mit dem berühmten venetiantichen Con: 


4. Lehrichriften. 365 


Dottiere Bart. Colleoni, jeine eier auch der Kriegskunſt zuzuwenden 
und zunächſt VBalturios Zwölf Bücher in italienische Verſe zu bringen. 
Dieje Paraphraje erichten 1493 zu Venedig ald Opera bellissima 
del arte militar und ift mehrfach neu aufgelegt worden, am bejten 
su Slorenz 1520. Dann aber jchrieb er jelbit eine Abhandlung de la 
integrita de la militare arte, welche er dem Herkules von 
Eſte, Herzoge von Ferrara, zueignete und deren Handjchrift zu Parma 
aufbewahrt wird. Auch diefen Traftat goß Cornazzano in Reime um 
und veröffentlichte jein Kriegslehrgedicht als Opera nova in terza 
rima la qual tratta de modo regendi, de motu fortunae, de 
integritate rei militaris, et qui in re militari imperatores ex- 
celluerint. (Bejaro 1507, Benedig 1570, Florenz 1520, Biacenza 1536). 

Das Wert beweift, dab Cornazzano nicht eben viel bei Eolleoni gelernt hat. 
Recht Hat er indefien im wejentlichen, wenn er die Handfeuerwaflen von den 
arogen Geihügen ableitet und dies in jeiner allegorijierenden Art folgendermahen 
ausdrüdt: „So wurde Mutter bombarda erſchaffen und gebar zwei Kinder: 
schiopetto und spingarda.* — Die vielen Auflagen des Lehrgedichtes beweijen, 
dab es Glüd bei den Zeitgenofien machte. Suarez de Figueroa übertrug es 
unter dem Titel »Reglas de la milizia«e in fajtilianijche Berje. Das Manujfript 
diejer Überſetzung befindet jid) in der Bücherſammlung des Escoriald; gedrudt 
wurde fie 1558 zu Venedig. 

Bemerkenswert iſt in Patrizios wie in Cornazzanos Werken Die 
Nichtung auf die politiiche Stellung des Krieges, auf die Wechjel- 
wirfung zwijchen Stats- und Kriegsweſen. 


366 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte. 


II. &apifel. 
Fachwillenfchaffliche Werke. 


l. Gruppe. 


hofekunſt. 

Eine niederſächſiſche zu Kaſſel aufbewahrte Handſchrift, welche 
die ſieben freien Künſte aufzählt, nennt als ſiebente die Hofe— 
kunſt. Zu denen, welche dieſe Kunſt ausüben, gehören vor allem 
die „vechter, ſchermer, renger, ſprenger, ryter, ſtecher, ſchutzen u. dgl.“). 
— Auf dieſem Boden alſo berührt ſich merkwürdigerweiſe zuallererſt 
das Kriegsweſen mit den im Mittelalter herausgebildeten Künſten und 
Wiſſenſchaften. — Die literariſchen Denkmale der „Hofekunſt“ be— 
ſtehen, abgeſehen von den mehr hiſtoriſch gehaltenen Berichten über 
öffentliche Preis: und Wettſchießen, in den Fecht-und Turnier: 
büchern. Dieſe gehören nun zwar nur anhangsweiſe zur Kriegs— 
wiſſenſchaft; aber im 15. Ihdt. gewähren ſie doch ein ſo eigenartiges 
Intereſſe und überliefern ſo manchen Zug des Kriegsweſens, der ſich 
kaum an anderer Stelle wiederfinden dürfte, daß ihnen doch hier 
einiger Raum zugebilligt werden muß. Dabei iſt denn auch derjenigen 
Werke zu gedenken, welche ſich mit Pferdezucht und Reitkunſt 
beſchäftigen. 


8 48. 


Im 12. und 13. Ihdt. nannten die Deutſchen das Fechten mit 
Schwert und Schild: „Ihirmen“, d. h. deden, parieren, und es 
jpricht für den alten Auf deutjcher Fechtkunit, daß das italienijche 
scherma, das jpantjche esgrima, das franzöjiiche escrime für „Fecht— 
funjt“ eben von jenem deutjchen „jchirmen“ abgeleitet it. Der Fecht⸗ 
fehrer hieß „Schirmmeifter“, der Schüler „Schirmknabe“. Um die 
Wende des 14. und 15. Ihdts. jcheinen ich öffentliche Fechtſchulen 
in Deutjchland herausgebildet zu haben; Nürnberg bejaß deren i. J. 
1426 nicht weniger als drei; jpäter wurden auch eigene Fechthäuſer 
erbaut, 3. B. in Nürnberg und in Breslau. Großenteils gehörten 





1) Bal. über dieſe Hanbichrift den Aufia von Erecelius im Anzeiger für die unbe der 
deutichen Vorzeit. N. F. 1856. ©. 273 u. 308. 


X 


1. Hofekunſt. 367 


die Fechter dem Stande der freigeborenen ſtädtiſchen Handwerker an, 
die auch auf der Wanderſchaft ihre Waffen bei ſich trugen, um ge— 
legentlich durch ein Schaufechten einen Zehrpfennig zu verdienen; 
daher das „Fechten der Handwerksburſchen“. Neben ihnen erſcheinen 
Studenten und Schreiber. Sie zeigten u. a. i. J. 1397 auf dem 
Reichstage zu Frankfurt ihre Künſte, und dieſe Stadt blieb ſeitdem 
der Hauptſitz der Fechter; hier erfreuten ſie ſich beſonderer Gerechtſame. 
Im Laufe des 15. Ihdts. bildeten ſich dann mehrere Fechtervereine. 
Der ältejte derjelben war wohl die St. Marcusbrüderjchaft vom 
Löwenberge zu Frankfurt a. M., welche namentlich zur Herbſtmeſſe 
großen Zulauf jolcher Männer hatte, die Fechtſchulen errichten wollten; 
denn niemand gewann Geltung, der nicht von den „Meijtern des 
Schwertes“ in öffentlichem Gefecht mit dem Hauptmann und vier 
Meijtern geprüft worden war. Beſtand der Anwärter die Probe, jo 
empfing er gegen 2 Goldgulden den Meifterjchlag und die „Haimlich- 
keit“, d. h. die Kenntnis gewiljer Kunjtgriffe, umd durfte nun im 
ganzen Neiche die Fechtkunſt lehren, wobei er meijt, gleich den fahren- 
den Ärzten, von Ort zu Ort zog. Im Jahre 1487 erflärte Kaijer 
‚sriedrich III. die Marrbrüder für zünftig, und mehrfach iſt ihr Privi- 
legium erneuert worden, zuleßt i. 3. 1579. Indes entjtanden neben 
ihnen noch andere „freie“ sechtervereine, deren berühmtejter der der 
„Freifechter von der Feder zum Greifenflau“ war. Ihr Patron 
war St. Beit, und dementjprechend jaß ihr Hauptmann zu Prag, wo 
die Lade, d. h. das Archiv der SFreifechter aufbewahrt wurde. Übrigens 
wurde auch diefe böhmiſche Schule in der Folge privilegiert, hielt 
gleichen Brauch mit den Marcusbrüdern, verbot diejelben „jchlimmen 
Stöße“, bzgl. „Sauhiebe“, und beiden Gejellichaften, denen noch 
Rudolf II. i. 3. 1607 ein eigenes Wappen verlieh, galt als größte 
Auszeichnung die Würde eines „Meijters vom langen Schwerte“. 
Die Blütezeit der Fechtichulen (nicht die der betreffenden Literatur) 
fällt ins 16. Ihdt.; damals glänzten bejonders die Schulen zu Nürn- 
berg, Augsburg, Breslau und Prag; der dreigigjährige Krieg tat 
ihnen großen Abbruch, doch hielten fie jich z. T. bis 1740). 


1) Jahn und Eifelen: Die Deutihe Turnkunſt (Berlin 1816), Bader im Anzeiger für 
die unbe der beutichen Borzeit, XII 1865, ©. 462, dann Scheibdler in Erſch' und Gruber Enchflopäbie 
und endlih Egerton Eaftle: Schools and masters of Fence from the Middle ages to the 
18. century (2ondon 1885). 





368 Tas XV. Jahrhundert. I. Fachwiſſenſchaftliche Werte. 


849. 


Das ältejte Lehrbuch der Fechtkunſt, das uns überblieben, jcheint 
eine Dresdener Pergamenthandjchrift (C. 487) aus der erjten Hälfte 
des 15. Ihdts. zu jein, welche den Titel führt: „Hie hebt jih an die 
Ritterlih Kunſt deß langen jchwerts. In Sant Forgen 
namen höbt an die kunſt des fechtens, die gedicht vnd gemacht hat 
oh. Kiechtenawer". Diejer, „an großer maijter“, hatte, wie aus 
der Einleitung hervorgeht, den beiten Teil jeines Werkes urjprünglich 
„mit verborgenen vnd verdedten Worten gejchriben, darum daz Die 
funjt nitt gemain jolt werden, vnd diejelbigen verborgenen Wortt 
hatt maifter Sigmund, ain ringed, derzyt des fürjten rulbrecht 
(Ruprecht III., 1398 — 1410), pfalczgraven bei Rin jchirmaiiter, 
glojieret“. 

Ein zweites Eremplar von Liechtenauers „Kampfbuch” bewahrt die II. Gruppe 
der funjthiftoriihen Sammlungen des N. H. Kaiferhaujes zu Wien (ebemal. 
Ambrajer Sig. Nr. 57), ein drittes, im 16. Ihdt. gejchriebenes, die Kal. Bibt. 
zu Dresden (C. 487), ein viertes, etwas abweihendes, das Germaniihe Muſeum 
zu Nürnberg in einem Sammelcoder (3327), welder auch noch Abhandlungen 
über Feuerwerkerei, Ajtrologie, Medizin und allerlei Technik enthält. Alle dieje 
Handichriften find leider jchwer lejerlid; und überdies oft unverftändlic. 

Liechtenauers Werk bildet nun den Grundſtamm einer Reihe 
anderer FFechtbücher des 15. Shots. Das ältejte diefer Sammelwerfe 
dürfte eine Handjchrift der Gothaer Bibliothef jein (chart. no. 558 
fol.), die von 1443 jtammt und von Bl. 35 an „Maijter Liechten- 
amwers chunjt des langen Swerts“ enthält. 

Ebenjo beginnt der von 1462 datierte vatifanische Goder Nr. 1449 mit 
des Liehtenawers Fechter Khunſt . . . des eriten mit dem langen jwert, 
darnach mit der glefen vnd mit dem ſwert zu roß, darnach mit dem kurczen 
jwert zu champf . . . So hat er diejelbig chunſt igleich bejunder lagen ſchreiben 
mit verborgen und verdadten Worten... . um der leichtiertigen ſchirmmaiſter 
willen, dye jrr khunſt gering wegen“ N). 

Sleichzeitigen Urjprungs wie die vatikaniſche Handjchrift it ein 
Fechtbuch, welches der Meiſter Baul Kal für die Herzoge Ludwig 
und Georg von Niederbayern angefertigt hat und welches ſich in der 
Hof: und Statsbibliothef zu München befindet (cod. germ. 1507). 

Auch dies Fechtbuch beginnt gerade wie die jchon erwähnte Liechtenauer- 
Handichrift im Sammelbande 3327 des Germaniihen Mujeums zu Nürnberg, 


1) Bgl. den Uufiag Frommanns im Anzeiger f. d. Kunde der deutichen Vorzeit 1853. 
*, Ein Kopie im German. Mufeum zu Nürnberg. 


1. Hofetunit. 369 


mit den Worten: „Hye hebt fid) an die funjt, dDieliehtenawer mitjeiner 
geſellſchafft gemadt vnd gebraudt hat in aller ritterlichen wer, daz 
jm gott genädig jei!“ 

Aus allen diejen Schriften läßt jich doch fein deutliches Bild 
der Kunſt gewinnen; oder es bedürfte dazu jehr eingehender Forſchungen 
von jpeziell Sachverjtändigen. Nur einige Punkte jeien hervorgehoben. 

Liechtenauer eröffnet jein Buch mit eimer Aufforderung an die 


Jugend: 
Jungk ritter leere So wechſt dein eere! 
Gott lieb haben | Vnd leer khunſt, die dich czivet 
Frawen ze eere, | Vnd in friegen zu eeren hoffiret... 


Dann jtellt er in dem Abjchnitte: „Das it eyn gemein Leer 
des ſwerts“ die Hauptregeln für das Schwertfechten zus 
jammen‘, wobei er mit den Kunjtausdrüden für Diebe, Finten und 
Dedungen beginnt, ohne jie jedoch gemügend zu erklären. 

Insbejondere werden vier „Leger“ (Auslagen) unterſchieden: 


Vier leger alleyn, Ochs, Plug, Alber, 
Davon belt vnnd fleucht die gemein: Bon Tag dir mit ummer (?) 


Neben diefen Bezeichnungen der Yeger fommen übrigens aud) andere vor: 
für Ochs „Hochort“, für Alber „Dangendort“, für Tag die „Eijerne Pforte“ 
oder „Zwier“. Dieje eijerne Pforte jcheint der nürnbergiſche Coder 3227 für die 
beite Auslage zu erflären ; denn da heißt e8 unter der Überſchrift: „Das ift von 
der eyſerynen pforten: Die get nu an mit rechte das aller pejte gefechte!“, worauf 
verihiedene Hiebe unter Namen wie „Noterzunge, Krawthacke, Wedermeifter“ 
u. dgl. gelehrt werden. Dieje Ausdrüde hatten allgemeine Geltung. Hans Sad)s 
no jagt in jeinem „Fechtſpruch“ (Folivausgabe der Werte I, 307): „Die Kunjt 
häft in vier läger flug : Aiber, Tag, Ochs und den Plug“, und jpricht vom „zornhaw, 
kumpharm, zwerchhaw, ſchillerhaw, ſcheitlerhaw, Wunderverjagung, nachreifen, Über— 
lauf, Durchwechſel u. j. w. Nur ſehr wenig Fechtkunſtausdrücke, wie „mutiren“ 
und „durpliren“ haben fremden Urjprung. — Den Borjchriften für das Schwert- 
iechten zu Fuß folgen die für den Shwertfampf zu Roß, ebenfall® kurze, 
meiſt rätjelhafte Neimmorte. Der Anfang lautet: 


Dein jper beridt. | Dein end im abjchnelle 
Gegenreiten mac) ze nicht; Hawe drein, nicht zucke 
ab es enpfalle. von ſchayden linf zu im rude. 


Nun folgt (bei Kal) das Ringen zu Roß, der Kampf des 
unberittenen Spießers gegen den Speerreiter, der Kampf 
mit Spieß und Schwert zu Fuß, der Schwerterfampf Ge: 
wappneter zu Fuß (längite Bilderfolge) und der Kampf mit Aren 

Jähns, Geichichte der Kriegewiſſenſchaften. 24 


370 Das XV, Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werke. 


(Luzernerhämmern). Den Beichluß des 1. Buches machen die Dar: 
ſtellungen gerichtlicher Zweikämpfe. 

Auf dieſe den Rechtsgebräuchen angehörenden Kämpfe kann hier nicht 
eingegangen werden. Nur darauf ſei aufmerkſam gemacht, daß bei den Kämpfen 
mit Schild und Kolbe der Schild ſelbſt als Trutzwaffe gebraucht wurde: 
es iſt das ein Langjchild, deſſen Schmaljeiten in jehr lange Spigen auslaufen 
und dejlen Langjeiten mit jpornartigen oder jiheljörmigen Klingen bejegt jind. 
Zum „Kolbengerichte“ erichienen die Gegner in enganliegenden grauen Gewändern, 
welche den ganzen Körper einichließlich des Hauptes gleihmähig bededten, Hände 
und Fühe jedoch nadt ließen, jo dal die Fechter unjern Eijenfehrern überrajchend 
ähnlidy jahen. Die Bilder zeigen, daß der Unterliegende den tötlichen Streich 
meist nicht mit dem Kolben jondern mit einer der Scildjpigen empfängt. — 
Überaus jeltiam (unjerm Gebiete aber natürlich vollends fremd) find die geridt- 
lichen Zweitämpfe zwijchen Wann und Weib, die jtets in dieſen Fechtbüchern 
veranjchaulicht werden H. 

Nach den gerichtlichen Zweifämpfen wird der Kampf unge 
wappneter, nur mit fleinen Rundjchildchen geihügter Schwert: 
jehter zu Fuß, dann der Schwerterfampf ganz „bloßer“, 
alſo auch unbejchildeter Männer, hierauf das Fechten mit „Biden- 
handern“, das mit einjchneidigen Schwertern (Säbeln) und 
das mit „Degen“ (langen Dolchen) geichildert. Den Beſchluß 
macht das Ringen zu Fuß. 

Wieviel von diejen Dingen auf Liechtenauer jelbjt zurüdzuführen 
ist, wieviel jeine „Geſellſchaft“ ausgebildet hat, muß dahingejtellt 
bleiben. Die Namen der hervorragenden Glieder der legteren 
ſind uns übrigens aufbewahrt. 

Das Fehtbucd des Germaniſchen Muſeums (32278) nennt in jeinem An- 
hange als namhafte Meijter: Hanfa Pfaffe donbringer, Andreas Jude, 
Joſt v. d. Nyijen und Niklas Prewß. — Raul Kal führt an der Spike 
jeines Fechtbuchs auf: „Peter von Tantzk (Danzig), Yampredt von Praa, 
Andree Ligniker, Sigmund Amring, Martin Hundsjeldt, Phylips 
Berger, Reter Wildigaus von Glatz, Hand Spindler von Znaym, Hans 
Seydenfaden von Erfurt, Jacob Lignitzer der Bruder, Hanmann von 
Nürnberg, Hans Pägnützer, VBirgily von Krakau, Dietrihd Degenvechter 
von Braunjchweig, Ott Jud, der der Herren von Öjterreich Ringer geweſen iſt, 
der edel und veſt Stettner, der ein maiſter der maiſter aller ſchüller geweſen 
iſt, vnd ich maiſter Pauls Kal, ain merer der kunſt, bin ſein ſchuler geweſen. 
Dat im got genädig ſey vor in allen!“ 





1) Bgl. über dieſe Rechtsgebräuche u. A. Würdinger: Beiträge zur Geſchichte des Kamp’: 
rechts in Bayern (Oberbayer. Archiv Bb. 36 und auch ſeparat, München 1877). — Siehe auch die 
Anmerkung ©. 373. 


1. Hofehunit. 371 


Bier Schriften diejer Meijter jind dem vatikaniſchen Eremplar 
von Liechtenauers Fechtbuch angehängt, nämlich): 

Maiſter Andres kunſt, genannt der Liegniger: Das furcz 
jwert zw gewappneter hant zu geleicher ritterlicher Were. (Im 
ungebundener Rede). 


Maijter Martins hundtfelg funjt mit dem furczen jwert 
zu Kampf jn harnajch aus vier Huten. — Desjelben Fechten mit 
dem degen. — Desjelben kunſt zu roß mit der glefen vnd 
mit dem jwert. 

Die Ringen, die jo gejaß Hat maijter Dtt, der hochgeboren 
fürjten von Dfterreich ringer. „In allen ringen jüllen jein drew 
ding: das erſt iſt kunſt, das andere iſt jchnelligchait, das dritt iſt 
rechte anlegung der jterf“. 

Peter von Dandgs zu Ingelitat Glojje und Auslegung 
über den Tert der Kunſt, den Liechtenawer mit ver- 
dadten worten gejeßt hat. 


8 50. 


Eine eigentümliche Stellung nimmt Hans Bartliebs Kampfbuch 
ein, das in den dreißiger Jahren gejchrieben jein dürfte und in eine 
bereits bejprochene Skonographie Aufnahme gefunden hat. [$ 7]. Es 
iſt fein eigentliches Fechtbuch, jondern eine Onomatomantia, d.h. 
eine Lehre der Kunjt, den Namen des Kämpfers und den Tag des 
Kampfes in eine dem Aberglauben der Zeit entiprechende Überein— 
jtimmung zu bringen. Der Anfang der Schrift wird genügen, fie zu 
charafterifieren. Ste beginnt: 


„Alle kunſt des Sigs ijt an dem Tag, der einem ytlichen namen zugehort. 
Wißet auch, daz die hohen maijter alle gemeiniglid) die namen geteylt haben in 
zwei teyle: den erjten vnſer Frawen namen Marie zugehort, den andern teyle 
janct Jorgen. Alſo weßen name vnjer Frawe zugehort, den heyßen jie vnier 
Frawen bruder, vnd welcher an janct Forgen teyle jtet, den heyßen jie ſanct 
Jorgen bruder. Darauf wit: vnjer Frawen bruder haben drey Tage (Dienstag, 
Donnerstag, Sonnabend) in yglicher wochen ganczen ſygk vnd den Suntag nach— 
mittag; jo haben janct Jörgen bruder auch drey Tag (Montag, Mittwoch, reis 
tag) ganczen ſygk vnd den Suntag vormittage . . .“ 

Ein höchſt fompliziertes, ajtrologiichen Berechnungen gleichendes Berfahren 
lehrt dann, zu welder Stunde Ausforderung und Gefecht bei gewillen Namen 
jtattzufinden habe, wobei jogar auf die Namen der die Derausforderung Über— 

24* 


372 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte. 


bringenden Rüdfiht genommen wird, da auch dieje nicht ohne Einfluß auf den 
Ausgang des Kampfes jeien u. dgl. m. 


851. 

Wahrjcheinlich einige Jahrzehnte jünger als Liechtenauer und jeine 
Sejellichaft jind zwei Meijter, von denen uns Werfe überblieben jind, 
deren Namen aber in den oben erwähnten Verzeichniſſen nicht auf 
geführt find: Hans Thalhofer und Peter Falfner. 

Hans Thalhofer jcheint nächſt Liechtenauer der bedeutendite 
deutjche Fechtmeiiter des 15. Ihdts. geweſen zu jein und Hat wie 
dieſer an der Spige einer großen Schule gejtanden. Sein Fechtbuch 
ift in mehreren Exemplaren erhalten. 

Zwei derjelben bejigt die herzogl. Bibliothef in Gotha (chart. Nr. 558 
vom Jahre 1443 und membr. 114 v. %. 1467), zwei andere die Hof: und 
Statsbibliothef zu München (cod. icon. 394 und 395). Ein Eremplar im ver 
Ambrajer-Sammlung zu Wien (Nr. 55) ift von Michel Rotwyler gezeichnet. 
Das Eremplar des Kupferitichfabinets in Berlin (H. s. 125) ijt mangelhaft 
erhalten und faljd) gebunden. Auf ©. 63 diejes Eremplars, das aud) den Kampf 
mit „Driſcheln“ enthält, jteht: „David vnd Buppelin vom jtain, gebruder, die 
hand die kunſt, duy in dijem buch jtat, gelernet von Hanſen Dallofer.“ — Faſt 
alle Eodices find mit demjelben Wappen gejchmücdt: zwei gefreuzte, durch eine 
Krone geitedte, Schwerter. 

In der älteren gothaiſchen Handſchrift von Thalhofers Fechtbucd von 1443 heißt 
es: „Dis buch hat angeben Hans Thalhoffer vnd gejtanden zu malen“. In dem 
um ſechs Jahre jüngeren Wiener Coder lautet dieje Stelle: „Das Buch ijt maijter 
Hanjen Tallhöfers, und der ift jelber gejtanden mit jeinem Lybe biß daß man 
das buch nah jm gemacht hat.“ Der yechtmeijter verfaßte aljo jein Bud in 
der Weije, daß er dem Zeichner Modell jtand und dem Schreiber diftierte. 

Die ältere gothaiſche Handichrift bringt S.5—11 Übungen mit dem Schwerte. 
Dann folgt Hartliebs Schrift von der Tagmwählerei in etwas abgefürzter 
Geſtalt. Mit ©. 35 beginnt Liechtenawers „Kunſt des langen Schwertes.” 
Ihr reiht jih (S. 52—99) eine Darjtellung des gerihtlihen Zweikampfs 
mit Stechſchild und Kolbe an, nocd ausführlicher als diejenige Pauls Kal, und 
ihr folgt die nicht minder genaue Schilderung eines Kampfes auf Leben und 
Tod, den zwei Gewappnete in gejchlojienen Schranken (en champ 
clos) zu Fuß ausfechten. (S. 114— 147). Daran ſchließen fih Kämpfe Geharniſchter 
mit Streitärten und Dolchen. Auf ©. 222 beginnt dann „die maß zu 
allen Ryngen, die gemacht hat Ott, der eyn tauffter Jud ijt gewejen.“ Aller: 
hand Zeichnungen von Rüjftgegenftänden beenden das Bud). 

Die jüngere gothaiſche Handichrift enthält nicht wie die vorhergehende allge: 
meine Anweiſungen zu den verjchiedenen Kämpfen, jondern die Zeichnungen mannig- 
jaltigiter Nampfitellungen, neben denen die Kunſtausdrücke für den betreffenden 


1. Hofekunſt. 373 


Ausfall, die dargejtellte Dedung u. dgl. ftehen: Uberhaw, underhaw, ſtutzhaw, 
wechielhaw u. j. w. Nicht jelten reimen ſich diefe Zujcriften: 
Der freihow vom Tadı, | Link gen rechten, 
daraus das Halsfahen mach! | das muß ftarde vechten! 


Die Darjtellungen zeigen, dai man dem Gegner das Schwert zu nehmen 
ſuchte, daß man ihn mit dem Fuße jtieß, daß man bejtrebt war, ihn zu faſſen 
und niederzumwerfen, furz, daß man gerne mit dem Fechten das Ningen verband. 
Zumeilen padte man gar dad Schwert an der Klinge und jtieß dem Gegner das 
Gefäß ins Geficht oder führte mit dem Knopf einen „Mortſchlag“. — Auch diejes 
Danujfript bringt den Nitterfampf in gejchlojienen Schranken jowie das Kolben— 
gericht mit dem Stechſchild u. zw. ſowohl nach „frenkeſchen“ als nad) „ſchwebiſchen 
Rechten“ Damit „hat das Schildvechten ain end. Das vns got allen kummer 
wend!“ — ©. 169 heit e8 dann: „Hie facht an der Tegen Dolchfechten). Got 
wöll vnſer aller pflegen!“ — ©. 221 „facht an das meher. Got wöll vnſer nit 
vergegen!“ Dies birjchfängerartige Meſſer iſt der uralte Sachs, das einichneidige 
Kurzſchwert. Neben ihm führten die Fechter zuweilen auch den Budeller (bouclier), 
d. h. einen Heinen Rundichild. — Auf act Seiten wird das Gottesurteil zwijchen 
Mann und Weib dargejtellt. — Dann folgen Kämpfe zu Roß mit dem Schwert 
auf Hieb und Stich (S. 249 bis 266), umd endlich wird auf vier Blättern gezeigt, 
wie jich ein Armbrufter gegen Lanzenreiter verteidigen Fünne. 

Benau ſetzt Thalhofer das Verhältnis des yechtmeifters zum Kämpfer aus— 
einander, bis zu dem Augenblid, da dieſer „gelert ift vnd in den ſchranken fol 
gen.“ — Abbildungen von Waffen, Rüft- und Werf-Zeugen ſchließen das Buch ab. 

Noch eingehender als in den Gothaer Codices find in den Münchener und 
dem Wiener die gerihtlihen Zweitämpfe behandelt. Deren hatten jtatt= 
zufinden in Fällen von „Mort, verraternuß, feßerey, trülos an finem herrn, 
janfnüs in jtriten oder ſumfft (2), valich, nogogt an jungframwen oder frawen“ N). 


Verwandten Inhalts wie die Thalhoferichen Handjchriften it 
das Werft Peter Falfners: „Künſte zu ritterlicher Wehr“, 
das in der II. Gruppe der kunſthiſtoriſchen Sammlungen des A. 9. 
Karierhaufes zu Wien (Ambrajer Sammlung Nr. 54) aufbewahrt wird. 


8 52. 

Außer den Werfen benannter Verfaſſer enthalten die Beitände 
der Büchereien noch manche anonyme Fechtbücher des 15. Ihdts. 
Hier jeien nur noch drei Gothaer und eine Berliner Handichrift 
erwähnt. 





ı) Die Literatur über die gerichtlichen Zweilämpfe knüpft übrigens meift an die gothaiſchen 
&remplare Thalbofers an. Bgl. Dreyer: Sammlung vermifchter Abhandlungen zur Erläuterung 
der deutſchen Rechte und Altertümer (Roitod 1754, I). — Schlidtegroll: Xalhofer, Beitrag zur 
Literatur ber gerichtlichen Bweitämpfe (Mürnberg 1817). — Udert: Fechtkunſt (Beiträge zur Älteren 
Literatur oder Merkwürdigkeiten der berzogl. Bibl. zu Gotha, III, Leipzig 1838). 





374 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte. 


Gotha (mbr. 109) enthält Darjtellungen des ritterlichen Zwei 
kampfs auf Tod und Leben. 

Gotha (mbr. 115) jtellt in 64 Bildern den Fechtunterricht dar, 
den ein sacerdos (Priejter) jenem clientulus (Schüler) erteilt. 

Gotha (chart. B. 1021) eröffnet jich mit einer bemerfenswerten 
Allegorie der Fechtkunft. 

Eine Menjchhengeitalt, die in der Rechten ein bloßes Schwert hält, hat einen 
Adlertopf (Scharfblid), an Stelle des Herzens das Bild eines Löwen (Mut) und 
Hirſchfüße (Schnelligteit). 

Berlin (ms. germ. qu. 16) bringt unter dem Titel Gladia- 
toria jchöne farbige Darjtellungen mit furzem Text. 

Drei Abjchnitte behandeln den Kampij Schwergewappneter in den 
Scranten, u. zw. „12 jtudh des jpieh zum ſtich vnd ſchuß; 50 ſtuckh des 
ſwerts jamt den brücen“ (Baraden) und „36 jtudh des Degens“ (Dolds). — 
Zwei Abjchnitte bejchäftigen jih mit den geridhtlihen Zweikämpfen im 
grauen Gewand, nämlich „DS jtudh mit dem langen jchilt und den jwerten umd 
5 mit dem langen jchilt und dem folben“, wobei auch der Kampf mit den Schilden 
jelbjt zur Darftellung kommt. — Dann folgen je 1 Stüd mit dem „pudler“ 
(bouclier) und dem Schwert, mit dem Mejjer und dem „vngriſchen 
ſchilt“ d. h. mit dem einjchneidigen jpigen aber breiten Kurzſchwerte und einem 
Schmaljhild, deſſen Fuß eine lange Spige bewehrt, und ein Stüd „mit den 
langen“ — Den Beihluß machen „T jtudh des haltens vnd tötens 
wenn einer niedergeworffen iſt“. 


g 53. 


Fallen die FFechtbücher vorwiegend den Kampf zu Fuß ins Auge, 
jo jteht dagegen in den QTurnierbüchern der Neiterfampf im 
VBordergrunde. Und da tjt in erjter Reihe zu nennen des Königs 
Rene von Anjou Forme et maniere coment ung tournoy 
doist estre entreprins, ein Werf, das der ritterliche Fürſt wohl 
um die Mitte des Jahrhunderts jeinem treschier et soeul frere 
germain widmete und das die QTurniergebräuche Frankreichs in um— 
faſſender Werje zur Darjtellung bringt. 

Handſchrift im der fal. öffentlichen Bibliothek zu Dresden (S.O.58), 
um 1467 in den Niederlanden hergejtellt. Wundervolle Miniaturmalereien be: 
gleiten den Tert und find bejonders wegen der genauen Wiedergabe der Waffen 
jehr bemerkenswert. — Ausgabe von Champohlion-Figeage und Dubois: 
Les tournois du Roi Rene (Paris 1826) '). 


ı) Val. Quatrebarbes' Gefamtausg. der Werte Renés (Paris 1826) und Qecon de la 
Marde: Le roi Rene (Paris 1875). 


1. Hofekunſt. 375 


Wiederholt wurden die Taten einzelner Turnierhelden 
Gegenſtand farbenreicher Schilderungen und Ddichteriicher Prachtdar- 
jtellungen. Dergleichen liegt in der kgl. Bibliothek zu Berlin in 
dem Turnierbuch Heinrichs des Mittleren von Braunjchweig (1468 
bis 1532) vor (lib. pict. A. 2), in der Münchener Hof- und Stats- 
bibliothef in dem Turnier- und Wappenbuch des Ritters Konrad 
Srünenberger, in dem des Marx Walther (1477— 1489), 
\owie in der Beichreibung der fünf Qurniere, welche, faſt gleichzeitig, 
Sıgmund von Gebjattel, gen. Rad, durchfochten hat. Da beim 
16. Ihdt. auf dieſe Dinge nicht mehr eingegangen werden fann, jo 
jei hier vorgreifend noch des herrlichen Turnierbuhs Herzogs 
Wilhelms IV. von Bayern gedacht, deſſen Origimal ebenfalls 
die Münchener Bibliothef bewahrt. ES bezieht jich auf die Jahre 
1510— 1545 und wurde 1817—1328 zu München herausgegeben. 

Die Zeihnungen find in Farbenjteindrud von Theobald und Clemens 
Senefelder nacgebildet. Der erflärende Tert, welcher eine recht gute Gejchichte 
de& Turnierwejens enthält, rührt von Friedr. v. Schlihtegroll und Dr. Kief— 
baber ber. 

Andere Bibliotheken enthalten noch mehr dergleichen; doch darf 
darauf hier nur eben hingewiejen werden. Eines diejer Helden ijt je— 
doc) ausführlicher zu gedenken, nämlich des Kaijers Mlarimilian J., 
8 37], deſſen begeijterte Hingabe an alle ritterlichen Künſte welt 
befannt iſt. In Bezug auf ihn kommen zwei Werke in Betracht: der 
Weiß-Kunig und der Freydal. 

Der Weiß-Kunig. Eine Erzählung von den Taten Mari- 
milians I. von Marr Treigjauerwein nad) deſſen Angaben zujammen- 
getragen (1514), iſt der projatiche Zwillingsbruder des poetijch- 
phantaftiichen „Teuerdank“. 

Mehrere Abſchriften desjelben hatten jich zu Ambras erhalten; i. 3. 1755 
wurde das Werk (mit den Abdrüden der in Graz wieder aufgefundenen Holzitüde 
Hans Burgkmayers und Schäufeleins) von Kurz böck zu Wien herausgegeben !), 
und neuerdings erfolgt ein Abdrud desjelben im 6. und 7. Bande des Jahrbuchs 
der Kunſtſammlungen des djterreichiichen Kaiferhaujes (1886 und 1887). 

Bon hervorragendem Interefje iſt im II. Teile des Weih-funigs 
die Darjtellung der wiljenschaftlichen und ritterlichen Ausbildung 
Marimilians, derzufolge ihm fein Zweig damaliger Bildung unbekannt 
geblieben ijt. Insbejondere wird ausgeführt „wie der Jung weiß 


— 


I) Bol. Frhr. R. v. Liliencron: Der Weißkunig (Hiftor. Tajchenbuch 1873). 


376 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte. 


funig bett die aigenſchafft, daß er in den Ritterjpilen 
ainen yeden übertreffen wollt“, und indem die verjchtedenen 
Nitterjpiele durchgegangen werden, ergibt jich ein lebendiges Bild von 
der Bewaffnung und dem Waffengebrauche des 15. Ihdts. 


„Der Jung weiß kunig lernt mit dem hbanndtpogen zu Rob vnd zu 
fueß ſchießen“, u. zw. ſowohl „auf hußäriſch“ (ungariſch), als mit dem englijchen 
Bogen. Lepteren habe er jo mächtig zu führen verjtanden, daß er „ainen hulgein 
ſchafft, der fain eijen gehabt hat, durch ain did lerchain holg, das dan jonderlid 
hert vnd drey ziwerchfinger did gewejen iſt, geichoßen“. (Dies iſt num freilic 
unglaublid; aber ähnliche Leiftungen werden bei jeder einzelnen Waffenübung 
erwähnt; wie es ſich denn auch von jelbjt verjteht, daß der weil; funig jedesmal 
alle Mitjtreiter überwindet.) — Ferner lernte Mar mit „den burnein Arme 
prujt vnd mit den ftahlin pogen (Stahlbogen) jchießen jowie „mayſterlichen 
Ploß zu fehten (ungewappnet) mit jwertern, jtangen, furczen vnd langen 
Degen, Landtsknechtoſpießen, Drijcheln, meßern vnd Tilitz (Dolch)“. Nicht minder 
verjtand er es, „zu fueh in der Behamifhen pavejen (Gochſchild) und zu Rob 
in dem huſariſchen Tärtjchlein mit dem langl, mit dem Sebel, mit der Mordt- 
badn vnd mit der wurfhadn zu fechten. — Danach lernte er „im harnaſch 
gewappnet zu fehten vnd anfennglichen zu fueß im alſpieß vnd in der 
heimparten und danadı zu Roß mit dem Neitjwert vnd mit dem furczen Reit 
degen, aud) mit dem folben vnd Raißſpieß, vnd warde darynnen gar maijterlichen 
vnd au in Teutichen vnd Welſchen Stehen vnubertreffenlichen.“ 


Das glänzende Denkmal von Maximilians Qurnierlujt iſt der 
Freydal, deſſen Origmal ji in der Ambrajer Sammlung befindet 
und der neuerdings in vollendet jchöner Wiedergabe von dem E. f. 
Oberitfämmerer Grafen Erenneville und dem Hofrat Quirin von 
Leitner herausgegeben worden it. (Wien 1882). — Freydal 
ichildert in 224 Abbildungen 64 jog. „Zurnierhöfe“, d. h. Ritter— 
ipiele; ein bejonderes, von Mar eigenhändig forrigiertes Verzeichnis 
von 13 Folioblättern nennt die Namen der Damen, vor denen, umd 
die der Herren, mit denen der Kaiſer „gerennt, gejtochen, gekämpft 
und gemummt“, und da die vortrefflichen Zeichnungen alles mit 
großer Genauigkeit darjtellen, jo entrollt der Freydal ein vollfom- 
menes Bild aller Arten von Ritterjpielen, die gegen Ende des 15. Ihdts. 


üblich waren. 

Mit dem Niedergange des mittelalterlihen Rittertums neigte ſich in der 
zweiten Hälfte des 15. Ihdts. auch das Turnierwejen Deutjchlands dem Verfalle 
zu. Der maßgebende Einfluß, den die vier großen Turniergejellichaften 





1) Herr v. Leitner, ber gelehrte Schagmeifter der Hofburg, hat bem Werke eine ausgezeichnete 
Einleitung vorangeichidt, deren höchſt Iehrreicher Auseinanderiegung ich oben weſentlich folge. 


1. Hofetunit. 377 


aus den „vier Landen“: Bayern, Schwaben, Franken und am Rhein, biäher 
geübt, erlojh. Der Turnierhof, welchen die rheiniſche Nitterihaft auf Sonntag 
nach Lichtmeß 1487 gen Worms berief, war der lette der vier Lande. Die Pflege 
des Turnierwejend ging auf die einzelnen Fürſten über, und unter diejfen nahm 
Marimilian die erjte Stelle ein. Er ſah den wahren Wert der Kampfipiele 
in der Entwidelung jittlicher und förperlicher Tüchtigleit. Durch jein eigenes 
Beijpiel ſuchte er die laue Ritterjchaft wieder für das Turnier zu begeijtern, erfand 
neue Formen desjelben, führte die burgundiicden Waffenjpiele ein, behielt aber 
immer das Wejen derjelben, die Borbereitung und Erziehung für den Ernſtkampf, 
feit im Auge. Und wenn aus jeinen Einridtungen auch allerdings die geſamten 
jpäteren QTurniergebräuche hervorgegangen find, jo war er perjönlich doc immer 
bejtrebt, alle die nur auf theatraliichen Effekt berechneten Künſteleien, wie ſie in 
den QTurnierbüchern des 16. Ihdts. jo grell hervortreten, vom TQTurnierplaße wie 
vom Turnierzeuge fern zu halten. 

Die Kampfjtüde des Freydal find unter vier Hauptgattungen 
aejondert: Nennen, Stehen, Turniere und Kämpfe. 

Das Rennen geihieht zu Roß in voller Stehrüftung. Gewöhnlich war 
es ein „Sejchiftrennen“, bei welchem die Ritter des Gegners Tartjche an einer be— 
itimmten Stelle derart zu treffen juchten, dab die „aufgeſchifteten“ Holzteile der: 
jelben sich löjten und body über die Köpfe der Nenner abjprangen. Statt der 
Tartiche wandte man aud Scheiben an, und unterjchied demgemäß „Geſchift— 
tartichenrennen“ und „ejchiiticheibenrennen“. Wurde nicht nur Tartiche oder 
Scheibe zeriplittert, jondern der Gegner auch „abgeitodhen“, um jo bejier! — 
Eben darauf, den Gegner über den Schweif jeines Roſſes abzujtoßen, fam es 
nun bei dem „Schweif- oder Scharfrennen“ durchaus an. — Eine bejondere Art 
war das „Bundrennen, luſtig zu Sehen, aber jorgflid zu thun“; denn hierbei 
waren nicht, wie bei den anderen Nennen, Hals und Kinn des Nenners durd) 
einen eifernen „Bart“ gededt, jondern nur durd die vorgehängte Tartſche. — 
Beim „Angezogen Nennen“ war die Tartiche mittels einer Schraube an die 
Rennbruſt feit angezogen, jo daß der die Tartjche treffende Stoß unmittelbar den 
Reiter ſelbſt mittraf und aljo das Abrennen erleichtert, mindeſtens jedenfalld der 
Nennipieß gebrochen wurde. — Das „Krönl“ bejtand darin, daß der eine Gegner 
im Rennzeuge, der andere im Stechzeuge erichien, doch jo, daß der Nenner eine 
Stechjtange mit Krönl, der Stecher dagegen einen Rennſpieß führte. 

Beim Stehen unterjhied man das „deutjche“ und das „welche Geitech“ ; 
beim deutjchen wieder drei Unterarten. Zum deutichen „Hohenzeuggeſtech“ jahen 
die Steher in hohen verfchlojienen Sätteln, die das Abjtechen verhinderten ; hier 
fam es nur darauf an, die mächtigen Stechſtangen an einander zu bredien. — 
Bei dem „gemeinen deutichen Gejtech“ galt es dagegen, dur einen fräftigen 
Stoß mit dem Krönl auf die Tartſche des Gegners dieſen abzujtechen. Gleiches 
bezwedte das deutſche „Geſtech im Beinharniſche“. — Beim „welichen Stechen“ 
waren die Gegner durch Schranfen getrennt, jo dab die Roſſe nicht aufeinander 
prallen konnten. Die Stecher ritten an, indem fie einander die linfe Seite zu- 
wandten und ftachen über den „Zaun“. Dabei war ein Derabitechen des Gegners 


378 Das XV. Nahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte. 


nur ſchwer möglich, weil die Ritter in dem mit hoher Nücdenlehne verjehenen 
„Kirißſattel“ ſaßen; es erfolgte wohl nur dann, wenn das Roß infolge der 
Wucht des Stoßes jtürzte oder ſich überjchlug. 

„Nennen“ und „Stechen“ unterjcheiden ſich aljo, wie jhon aus dieſen Aus: 
einanderjepungen hervorgeht, nicht ſowohl durd) die Art der Aufgaben und der 
Ausführung, als durd die Ausrüftung der Kämpfer. Der „Rennzeug“ iſt minder 
ihwer als der „Stechzeug“. Den Kopf des Nenners dedt der „Rennhut“ in 
Form der gewöhnlichen Schallern, den des Stechers der gewaltige „Stechhelm“, 
und demgemäß ift auch die übrige Ausjtattung verjchieden, wobei aber immer 
darauf Bedacht genommen it, die große Yajt der Rüſtung von den Schultern des 
Reiters möglichjt auf den Sattel abzuleiten. 

Zum „Turniere“ trugen die Ritter einen „ganzen Kiriß“, d. h. den Harniſch 
in eben der Gejtalt, wie er jener Zeit von den Neifigen im Felde gebraucht 
wurde, wobei indejjen auch noch einzelne Verſtärkungen angebraht zu werden 
pjlegten, jo dab der „Turnerszeug“ nicht völlig mit dem Feldzeug identifch war. 
Die Känpfer brachen die „Reißſpieß“ jtatt der jchwereren „Renn- oder Stecdhitangen“, 
fämpften auch vom Sattel aus mit den Schwertern, und in diefem Zeuge kam es 
auch noc zum Kampf von Schar gegen Schar, jo dab das Turnier im Gegenſatz 
zum Nennen und Stehen als die unmittelbare Kriegsvorübung erjcheint. Offenbar 
iſt das „Iurnier“ gleichbedeutend mit dem „Feldrennen“, welches Marimilian 
in jeinem bandjchriftlichen Entwurfe zum Freydal erwähnt, weldyes jedod in dem 
ausgeführten Bilderwerfe nicht vorfommt, während das „Turnier“ wieder in dem 
oben erwähnten Namensverzeichnifje nicht aufgeführt wird. (Vgl. 8. K. Hof: 
bibliothef zu Wien, ms. 2835.) 

Unter „Kampf“ furzweg veritand man das Fuhturnier. Noch um die 
Mitte des 15. Ihdts. zählte diefes nicht zu den üblichen rittermäßigen Kampf— 
ipielen. Zu Fuß zu fämpfen, zumal mit „Inechtijchen“ Waffen, widerſprach dem 
Brauch. Dies Borurteil durchbrach Marimilian, dem die Erfolge der Schweizer 
Elſaſſer und Yothringer gegenüber Karl dem Kühnen das Auge geöffnet hatten für den 
Wert eines tüchtigen Fußvolkes. Er, der jo großen und erfolgreichen Anteil nahm an 
der Schöpfung der „Landsknechte“ als eines nationalen Fußvolkes und dem jo viel 
daran lag, die Abneigung des Adels, in die Reihen diejer Knechte einzutreten, zu 
bejeitigen, erfannte es als ein qutes Mittel für diefen Zwed, den Kampf zu Fuß 
in den Turnierbrauc einzuführen. Für ſolchen Kampf trug man Rüftungen, die 
jih eng an die Modetracdht der Yandafnechte oder auch der Hofherren anſchloſſen: 
jogar das Anbringen jteifer, rodartiger, abjtedbarer Schöße verjhmähte man 
nicht. Man foht mit dem Schwerte, der Cordolatſch (coltellaceio d. bh. der 
böhmijche, „Dujeghe* genannte Säbel) dem Degen (d. h. Dolch), dem Fauit: 
hammer, dem Kolben, der Belmbarte, der Eouje, dem Alſpieß, dem Schefflin 
(Wurfipieß), der Stange und dem Driſchel. 

Marimilian durchdrang das Wejen der Kampfipiele in allen 
Einzelheiten und erwies ſich dabei nicht mur als preiswerter Turnier: 
held, jondern auch als vorzüglicher Harnijchmeister und Plattnerei: 


1. Hojetunit. 379 


verjtändiger, wenn er gleich den rein äußerlichen Nebendingen nicht 
jenen Wert beimaß, den die zünftigen Harniſchmeiſter jener Zeit mit 
geheimnisvoller Wichtigtuerei zu erhalten bejtrebt waren. Auch im 
Weiß-Kunig wird hervorgehoben, daß nicht nur der Gebrauch der 
Roſſe und Waffen, jondern auc) deren Eigenjchaften und Erzeugungs- 
werfen Gegenjtände der Aufmerkſamkeit Marimilians gewejen jeien. 
Die Beurteilung der Rojje für bejtimmte Gebrauchszwede, die Art 
des für jedes Tier geeigneten „piß“ (Gebifjes), die „plattnerey vnd 
harnajchmaijterey verjtand er durchaus“, und bejonders „Eunjtlich 
was er mit der Artalerey vnd ſetzt vil gedänndh auf das geihuß“. 


8 54. 


In den von Martmiltan eingeführten Fußkämpfen der Nitter: 
ichaft berührt jich der hochadelige Turnierplag mit dem mehr bürger: 
lichen Fechtboden, zugleich aber auch mit dem von Schranken ums 
friedeten Raume des gerichtlichen oder ehrengerichtlichen Zweikampfes. 
— Ber der Menge von Kämpfen, die zu Glimpf und Schimpf durch- 
tochten wurden, ergab jich bald die Notwendigkeit formaler Bejtim- 
mungen und Sampfregeln. Nirgends vielleicht waren die Zweifämpfe 
häufiger als in Neapel, und dort galt als höchite Autorität in allen 
das Duell betreffenden Punkten der berühmte Lehnsrechtslehrer 
Paris del Pozzo (de Puteo oder du Buy), welcher, 1413 zu 
Sajtellamare geboren, als Generalauditor und Reichsverweſer Königs 
Alfonſo fungierte und 1493 jtarb. Um der unaufhörlichen Anfragen 
überhoben zu werden, jchrieb er den erjten Duellcodex, welcher 
unter dem Titel Libellus de re militari, ubi est tota materia 
duelli seu singularis certaminis i. 3. 1471 und bald darauf ebenda 
in italienischer Strache al® Libro de re militare in materno com- 
posta herausgegeben wurde. 

Spätere Ausgaben wieder lateinisch unter verjchiedenen Titeln und mit 
anderen verwandten Schriften, wie z. B. Yignanos Traftat de bello [M. $ 20), 
in einem noch gotijch gedrudten titellojen Sammelwerke zu Mailand 1506; dann 
ala Tractatus elegans et copiosus de re militari zu Mailand 1515, zu Neapel 
1518 und 1521, zu Lyon 1534 und zu Venedig 1536 und 1540. 

Das Werk iſt dem Kaiſer Friedrich III. gewidmet und gliedert 
ih in der zweiten neapolitanischen Ausgabe wie folgt: 

Den Beginn madt ein Prologo, in dem bei einem Wettitreite zwiſchen 
einem Krieger und einem Gelehrten der erjtere die Würde der Waffen und der 


380 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte. 


disciplina et arte militare warm vertritt. — Dann folgen neun Bücher 
1. Dela iustitia dele singulari Battaglie, duelli chiamati quale se fanno tra 
cavalieri per dare Iudicio deli occurenti cas. — 2. Dela electione delo 
loca dela battaglia. — 3. Del guagio de battaglia et prima dela giornata 
desputata al combatteree — 4. Dela electione dell arme. — 5. Deli 
campiuni quale se danno nela battaglia per cavalieri che de ragio ne ponno 
dare campiuni. — 6. Quante cause se provenire ad guagio de battaglia. — 


— 


7. Dela nobilita de cavalieri che veneno ad battaglia. — 8. Deli casi 
succedentono alle particulare battaglie et deli parti deli combattanti. — 
9. De quilli que sono renduti per presoni in duello et data fede de an- 
dareno ad requesta deli vincituri. 


Welchen Anklang Pozzos Arbeit fand, geht daraus hervor, daß ihr wejent: 
liher Inhalt dem Traltate della Valles über die Kriegskunſt [XVI. $ 8) 
als viertes Bud angehängt wurde und mit demjelben ins Franzöſiſche über: 
jegt worden ijt, während eine jpanijche Ülberjegung des Driginals als Libro 
llamado batalla de dos i. J. 1544 zu Sevilla erjchien. 

In Deutichland bejchränfte man fich auf Satzungen, welche für 
bejtimmte NRitterjpiele verabredet wurden. Dahn gehört namentlich 
die Heilbronner Turnierodnung von 1485, die Lochner ın 
den „Zeugnijfen über das deutjche Mittelalter“ herausgegeben hat. 
(Nürnberg 1837—1850. II. ©. 245 ff.). 


8 50. 

Die hippologiſche Literatur beiteht lediglich in volks— 
tümlichen Wiedergaben der Irrrerergıxa der Konjtantinijchen Ency- 
flopädie. [M. 8 9]. Eine Handjchrift diefer Art, die aus einer Bücherei 
des deutjchen Ordens jtammt, findet ſich in der kgl. Bibliothek zu 
Berlin (ms. boruss. fol. 213, p. 88 ff.). Sie führt den Titel: 
Pferde ergeneye, ein buchelein, das uns gemacht hat meijter 
Albrecht, kaiſer Friedrichs (II.) marjchtaller von Conjtantinopolen 
aus Friechen. Die haben deje funjt verjucht an den roßen. [M. $ 33). 

Bearbeitungen diejer Schrift ſind folgende Drude: 

Wie man pferd argneienvnd erfennen ſol. a c. d.). 

Propertees and medeynes for a horse. (s. 1. c. d.)?). 

Pierdarzneibüchlein (Augsburg 1494) }). 

Das Büchlein jaget von bewerter Erteney der Pferde. 
li 2 1), 


!) Banzer: Annales typographiei I u. III. 


1. Hofekunſt. 381 


Hippopronia, d. i. gründliche vnd ausführliche Beichreybung 
von Art vnd Eygenjchafft derer Pferdt, durch Albrecht von Kon— 
jtantinopel, weyland des Römijchen Kayjers Friedrich geweſener Hof- 
ſchmidt und Marjtaller, jetzo aber durch einen fürtrefflichen Liebhaber 
der Neuterey an Tag geben. 1612). 

Der „fürtrefflihe Liebhaber” ijt der Frankfurter Wild. Hofmann, der 
das alte Driginal ſehr entjtellt, in barbarifhem Deutſch und abjchredender Aus— 
jtattung herausgab. 


Ein handjchriftliches Roßarzneibuch der fgl. Bibl. zu Dresden 
aus dem 15. Shot. (C. 311) bringt auch Anleitungen zum Täuſchen 
beim Pferdehandel. 

3. B. „Welch rozz treg iſt vnnd wan man es verlawffen wil, jo gib jm 
wenn cezo trinken auf ein virtel ader mer, jo wirt es frolich vnd rejch.“ 

S 56. 

Mit dem Zurnierwejen jteht die Heroldswiſſenſchaft (Heraldik) 
im nächiter Beziehung, aus welcher jich allmählich als Hauptſtück die 
Wappenkunde (»blason« vom altjächjiichen blas — Glanz, Ruhm) 
entwicelte. Das erjte Buch über diejen Gegenjtand jchrieb wohl 
um 1350 der berühmte Juriſt Bartolus de Saroferrato [M. 8 21]: 
den Liber de insigniis et armis (gedr. in dejjen Tract. varii, 
Benedig 1472), und bald folgten andere, namentlich franzöfiiche 
Autoren, nah. Man liebte es, die Erfindung der Wappen an die 
erhabenjten Namen des Altertums anzufnüpfen, und jo beginnt z. B. 
der dem 15. Ihdt. angehörige Livre des Blasons der Berner 
Stadtbibliothef (607,2) mit folgenden Worten: 

»Le tres noble et tres puissant Roy Alixandre pour exercer le nom 
et vaillance de ses chiefs et gouverneurs et dautres vaillant hommes vic- 
torieus combatans afin quilz cussent plus noble vouloir et courage sur 
leurs ennemis, ordonna par la houte deliberation de soy et de son conseil 
et en special de tres noble docteur en philosophe nomme Aristote, de 
donner aux chiefs, seigneurs et autres de sa compaignie enseignes, plames 


et pennonse . . . und hieraus jowie aus den Abzeichen an den cottes darmes 
der Mafedonier entwidelt ji dann das Wappenweſen. 


Dieje Andeutungen müſſen hier genügen, da weiteres Eingehen 
auf das Thema aus dem Rahmen unſeres Gegenitandes hinaus— 
führen würde. 

9 1) Ein Exemplar in der hippologiſchen Bibl. weil. des Ghrt. Beuth, welche mit dem geſamten 


Nachlaß dieſes berühmten Technikers ſeltſamerweiſe in den Beſitz der Banafademie übergegangen iſt und 
ich jetzt im Schinkelmuſeum des Polytechnikums zu Charlottenburg befindet. 


382 Das XV. Jahrhundert. I. Fachwiſſenſchaftliche Werte. 


2. Gruppe. 
Seuerwerkerei und Büchſenmaächerei. 


S 57. 

Um die Wende des 14. und 15. Ihdts. beginnt eine vege ar: 
tilleriftiiche Literatur in Deutjchland, wie jie jonjt fein Volk des da 
maligen Europas aufzuweilen hatte. Den erjten Jahren des 15. Ihdts 
gehört wohl das „Streyd-Bud von Pixen, Kriegsrüftung 
Sturmzeug und Fewrwerckh“ an, welches die Ambrajer Samm- 
fung (no. 52) bewahrt und welches dort als aus dem 14. Jhdt. ber: 
rührend bezeichnet it. Es beginnt mit einer gereimten Einleitung, 
die hier, nur wenig gefürzt, wiedergegeben werden ſoll. 

In nomine patris et filii et spiritus sancti. Amen! 
Ein news gedicht heb ih an ' tue dich fainer chunſt aufgegogen, 
wie bumbardia fadht an die mer dan halb jey erlogen ... 





vnd wie pufchjenwercdy von erjt ijt ers | Haimleich chunſt tue nyemandt fund, 
dacht ' pehalcz pei dir zu aller jtund. — 

vnd was hunjt damit wirt volpracht. ..“ Wie jih ein maiſter jol balden 

Das nachgeſchriben dicht ift new Will er mit eren alten: 

man praudt jogar zu fainer trew (?) ) Hab got lieb vor alln dingen, 

Bumbardia ijt ſy genant; | jo dan dir nymer mislingen; 

den maijtern iſt iv chunjt pechant.... jwer nit vil pen got, 


in fuegt dem ritter vnd dem chnecht; | jo mwirjtu nicht der welt fpot. 

in ijt waidenleich vnd gerecht | Er fol auch befint zu aller jtund 
vnd behalt maniger jteten er | vnd trag einen warhaften mund; 
vnd ijt auch offt der herren wer ... | er jol jih auch frunckchleichen zieh, 





Ich wais an irer fug vnd vngefug; poes geſelſchafft ſol er fliehn: 

ſy gehört gar in chainen phlueg (Fluch) er ſol ſich hueten vor trunkenhait, 
noch zu chainem glukh in dem land; das im der wein tue chaind laid. 

ſy pringet er vnd verſchmächet ſchand. Du jolt got fürderleich vor augen ban 
Wer fi) difer chunſt annymbt dann ein ander raijig man, 

vnd dann nicht darnach jynnt, wann wenn du mit der chunſt vmbgait 
das er derjelben chunſt tue wie gar du dann bon jrewden lait. 
jo Im vnd ir gehöret zue, du halt dich mandlich zu aller zeit 
der pringt ſich ſelb vnd ander lewt wann großer troſt an ſolichen maiſtern 
vmb er, guet vnd vmb die hewt ... leit! 
Maniger tuet ji) aus großer dingen, — tem wann du Zewg wilt maden. 
was er chunſt well volpringen, jo huet did vor dijen ſachen: 

vnd warn jchimpf zu ernjt gat — wein, pbeffer, viſch vnd chnofleich, 

wie pald er jein vergeiien hat. herte ayr vnd ſwebel zaich: 

Drum lieber frewudt volige mir, baden, ſchreplin machen 


ein trewen rat will ich geben dir: prießet dir churzleich das lachen. 





2. Feuerwerkerei und Büchſenmacherei. 383 


Zieh aud), wann du die pufchjen wiltladen, | Er jol alles das dyunnen ordnyren wol 


Das ſy dir tue chainen jchaden ; das zu banntwerden vnd facze ge= 
auch jolt du friſch erlich nießen; | boren jol; 
gejotten waſſer laß dich nit verdrießen; | was jtet vnd vejten nicht mugen ent- 
gepraten hojt vnd fewchtre trandh pern 

ift dir guet nad) meinem gedanfd. — | mujt jy an chunſtu gar gewern: 

Dis ijt dir nit für mer quet | an tarrajen, fürpawn vnd an grabır; 
warın das es dir ein vermanung tuet; | chunjt an zimerberich muejtu habn; 
doch du dije regel wol behalt, dur jolt auch chunnen jublimiren 


jo madjtu der chunſt halb werden alt. | mit jeperiern vnd confortiern; 
Doch wildu dir jelber behalden er, doc wer es alles enwicht: 





jo muejt der hunjt wijjen mer. hieteſtu der chunſte nicht, 

Tu muejt wißen drew ding, ſo zu dem jhießen gehört, 

die zur chunſt natturfftig find: dein lob wirt pald zerjtört. 

zuerjt jol er chunnen jchreibn vnd leſen, Ehannjtu fein aber nicht vberall, 

oder er möcht hart ain guet matjter wejen; | jo gedenndh doc, das es dir geuall 

er ſol auch alles das chunnen ordineren, | vnd leren jy altag mer vnd mer, 

jo zu den pufchjen jol gehören jo pehebjt leib, gutt vnd er. 

von erjt auf vnez an das end; Wildu der chunſt mer habn, jo jued) 

er jol auch jein damit behend. Im dritten capitel im anderen puech; 

Doch wer das alles aus wann chain haimlich chunſt ijt bie 

er funde dann menjurarum tragma vnd geichrieben ; 
pondus. das gröfijt ijt pnderwegen peliben. 


Überihaut man dies Einleitungsgedicht, jo wird zumächit betont, daß es 
jelbjt und das dazu gehörige Buch, das ganze „dicht“, neu jei. Dann wird 
hervorgehoben, daß die Bühjenmeijterei Segen wie Unſegen jtiften 
tönne, aljo feinen lud) verdiene. Es mag ihr damals wohl noch oft geflucht 
worden jein, und die Meijter der Kunſt wurden gewiß noch immer vom Bolf als 
eine Art Schwarzfünjtler betrachtet. Um jo jtärferen Nachdruck legt das Gedicht 
auf ihre Lebensführung: auf Gottesfurdht und Frömmigkeit als Grund 
lage aller guten Xeiftungen. Daß der Umgang mit dem „Zeug“, zumal mit den 
Chemikalien, bedenklich und leicht gejundheitsihädlich jei, wird anerfannt und den 
Meijtern deshalb eine bejondere Diät vorgejchrieben, insbejondere vor Truntenheit 
gewarnt. Unter den Anforderungen, die an einen Meiſter zu jtellen, ſteht Leſen 
und Schreiben bezeichnenderweije oben an: ein Beweis, daß ein bedeutender 
Teil der KHumftüberlieferung ſchon damals jchriftlic) feitgelegt war. Ferner joll 
der Meijter jowohl der Büchjen als aud des gejamten älteren Belager— 
ung3gerätes walten, ja jogar Fejtungsbauten herjtellen fünnen. Dod) 
die genüge noch nit: die Hauptjache bleibe, daß er ſchießen fünne, und vers 
möge er das auch nicht gar gut, jo müſſe er jich bejtändig üben, es bejjer zu 
lenen. Wolle er mehr wifjen, als hier geboten werde, jo jolle er im 2. Buche 
im 3. Kapitel nachſchlagen — vermutlich eine verdedte Anjpielung auf höhere 
Einweihung nad bejonderen Xeijtungen; bier, in dem vorliegenden Bude 
werde nichts Heimliches mitgeteilt; das Wichtigite jeiverihwiegen. 


384 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte. 


An die Einleitung reiht jich die Gejhichte der Erfindung, 
welche in der befannten Werje vorgetragen wird. Site hebt an: 


Es war ein maijter, hieß niger percchtold, 
der was der jiwarczen chunſt gar hold. 


Und nun beginnt ein Gemiſch von profaischen Anweilungen und 
mannigfaltigen Darjtellungen von Waffen und Werkzeugen, welches 
teil8 den Charakter eines Rezeptbuches, teils den einer Sfono- 
graphie hat, wie deren bereit3 jo viele gejchildert worden find. 
Im großen und ganzen lafjen jich die Dinge unter 73 verichiedene 
Punkte ordnen, welche der Neihe nach aufgeführt werden jollen. 


1. Die jhon erwähnte Gejchichte der Erfindung. 2. Alfo joltu jalliter fiedn. 
3. Wie man quet puluer madt: 3 phunt jaliter, 1 p. jwebel, Ya p. lindentol. 
Dazu geringe Beimiſchungen von Salpertii und Kampher, der in Wein gejotten 
it. 4 Blatt mit Darjtellungen von jech® Geſchützen ältejter Konftruftion und 
verjhiedenen Elevationsvorrichtungen im Charakter des Münchener Eoder 600, 
ohne Text. 5. Der pejt jherm, den yemant gehaben mag .. . ijt genannt ain 
müß (Maus). 6. Min jturm (Feuerlanze mit brennenden Zeug). 7. Drei Ge- 
ihüße wie ad 4. 8. Feuerpfeil. 9. Schießen der fewerftangen (ohne Zeichnung. 
10. Wie Fewrkuglen zu machen. 11. Zwölf Feine Büchfen wie ad 4, darunter 
aber auch ganz befremdliche Dinge, z. B. die Verbindung einer großen Stand- 
ichnepperpfeilmajchine [$ 10, Atl. des deutjchen Begez. O.) mit einer Büchſe 
12. Zwölf Darjtellungen von „faczen, die man zu den mawren tribt vnd man 
die gräben zuefüllet“. 13. Zeichnung einer nevroballiftiihen Standjdhleuder, 
ohne Tert. 14. Mittel um den Ort des Untergrabens feitzujtellen (aufjpringende 
Würfel u. dgl.) 15. Auf billige Weiſe Feuer in die Stadt zu jchießen. (Die 
Steinfugeln werden im Kalkofen glühend gemacht.) 16. Kapen und Tauben als 
reuereinjchlepper. 17. Mittel gegen das AZufrieren des Graben! (Man über: 
dedt ihn mit einem Netz — „Garn“ — das in eine Miihung von Honig, DI 
und „parumjafit“ (?) geträntt it). 18. Darjtellung einer Bleide ohne Tert. 
19. Gatter, Kagen, Zinnen, Sturmleitern und drei gepanzerte Schiffe, davon eins 
mit langem Sporn, eins mit Enterhafen, eins mit zwei Meinen Gejchügen. 
20. Haten und Wehren für Schirme umd Kagen. 

21. Zwelifjtufh jindzemwijjeneinemieglihen purjenmaiiter: 
I. Ob fewr oder lufft den jtein treibt. TI. Was zur NWulverbereitung gehört. 
III. Wie man ordentlich laden joll. IV. Kenntnis des Gewichts der Ladung. 
V. Vie die Klotz fein jollen. VI. Wie die Steine in die Büchſe zu legen. 
VII. Wie die „chewl“ (Seile) jein jollen. VIII Wie die Büchſen liegen jollen, 
hoch oder tief. IX. Kraft und Stärke des Pulvers; Unterjchied von Pulver und 
Kinollen. X. Wie man den Stein verfhoppen fol. XI. Wie man die Büchſe 
zünden joll. XII. Wie man daraus zurecht zielgemäß jchießen joll. 

22. Wildu ain chloezpukchſen laden gar hofleich, da du aus ſcheuſt zeben 
oder zwelif ſchuß ains ladens. 23. Einen jtreihenden ſchuß auf dem land 


2. Feuerwerkerei und Büchfenmacherei. 385 


oder dem wazer zu tuen. Der jtain tut ober hundert Sprung vnd doc nicht 
boh. 24. Das find die newe form der newen putchſen vnd find pefier 
dann die alten, wann es gehöret allerlay jtain darein, jy jein chlain oder groß. 
25. Hageljhuß. 26. Einen Ygel zu ſchießen. 27. Beihießung eines Turms. 
Er joll auf einem Drittel jeiner Höhe gefaßt werden (von oben oder von unten 
gerechnet?) 28. Brechverteidigungsmittel: feueriger Wurfjtod, Sturmfah, Sturm— 
pfeile.. 29. Leitern. 30. Armbrujtipanner. 31. Seilzeugwerk zur Verbindung 
über den Graben. 32. Leuchtkugeln (mit Spießglas). 33. Langbrennende Luder 
(Lunte). 34. Bulvermine. 35. Sprengung eines Thors mit Hilfe von Pulver, 
das mit „pewl pech“ zujammengefnetet ijt. 36. Giftige Dunjtlugeln. „Dieje 
chunſt ijt guet, fie iſt aber nicht gotleich.“ 37. Schußfichere Schirme (um eine 
Tonne oder Walze drehbar, jo daß jie vor dem Schuße weichen). 38. Wie man 
aus einer für ein Zentnergejhoß bejtimmten Büdhje 5 Ztr. oder 
auch einen Hagel ſchießen fann. 39. Ein Loffel. 40. Ein Snabel 
(Kate mit Sturmfallbrüde),. 41. Fahrbarer Schirm in Mausform. 42. Fahr: 
barer Schirm mit Büchje, die einen 23 Schuh langen eijenbejhhlagenen Bolzen 
gegen die Mauer ſchießen fol. 43. Heritellung von Salpeter und Salar: 
moniaf. 44. Wuerffj:pufhjen von holg. 45. Ein „amet“ (?). Es iſt ein 
aufihraubbarer Turm. 46. Ein hölzernes Türſchloß. 47. Borrihtung zum Ab- 
iprengen von Thorjclößern. 48. Sprengen einer Bücje. 49. Ladeißen. 
50. Allerdand Steigeijen. 51. Salpeter zu maden. Dieſer und der Schwefel 
yüjjen vereint den Stein treiben, „wann jaliter ijt chalt vnd jwebel hikig; das 
jind duo contraria vnd mügn mit ainander nod) anainander nit jain.“ 52. Geil: 
falle zum Menjchenfang. 53. Duadrant oder Medracz von Holz, Kupfer oder 
Mefiing. 54. Turmiprengung mittel3 Pulvers, das in einen hohlen Stamm ge- 
laden ijt (petardenartig). 55. Einen überlauten Schuß zu tun. 56. Herjtellung 
von allerlei Feuerwerksſätzen, verjchiedenfarbigem Pulver, Wiederbringung vers 
dorbenen Pulvers, Salpeterproben u. dal. 57. Fahrbare „weih“, Hebebäume 
zum Aufheben der Thore und Edjteine. 58. Standarmbrujte und Bliden. 59. Re— 
zepte zu bejonderen Bulvern. 60. Bücjiengerüfte, darunter eines, wie das im 
Münchener Eod. 600, wo auf dem einem Sciffscompas ähnlichen Gerüſt 6 bis 7 
Rohre radienförmig im Kreiſe liegen. 61. Allerhand Sturmzeug. 62. Anſchießen 
einer neuen Büchje (wie im Mindener Cod. 600). 63. Schirme und Hagen. 
64. Gebrauch des Duadranten. 65. Berjchiedene Vorrichtungen zur Gejchüß- 
erhöhung: Richtſchraube, Richtrad, Gegengewidte. 66. Hebezeuge. 67. Unvoll- 
tändige Skizze eines „reyswagens“. 68. Streitgar (Karre). 69. Verſchiedene 
Berfzeuge. 70. „Bagelpufchje”, welche ein Bündel „pheile“ jchießt. 71. „Not- 
beifer“, das find allerlei jonderbare Verbindungen von Katzen mit Geſchützen, 
jowie andere jeltjame Aptierungen älterer Formen zu pyrotechniſchen Zweden, 
jogar ein eiferner Mann in ritterlicher Nüftung, der mit Pulver und „Sciffern“ 
gefüllt ift. 72. Büchjen follen beim Faflen nicht mit Eifen, jondern mit Seilen 
gebunden werden; denn nicht jene, wohl aber dieje hindern die Teile eines 
Ipringenden Rohrs am Auseinanderfliegen. 73. Mannigfade, z. T. unverjtänd- 
liche Rezepte und phantajtiiche Figuren. 
Yähns, Geichichte der Keriegswiſſenſchaften. 25 


386 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte. 


Einige diejer Punkte verdienen noch eine bejondere Erläuterung. 

Zu 3. Die Pulvermijhung it ärmer an Salpeter wie die de Cod. 60) 
in Münden [S. 230]. — Zu 13 und zu 39. Dieje Schleudermajcinen find Mangen 
oder Rutten, welche in ihrer Einrihtung dem Onager des Vegez entjpraden 
— Zu 21. Diefe zwölf Stüd werden wenig jpäter, allerdings in einigen Punkten 
abgeändert, unter der Bezeihnung „die zwölf Büchjenmeijterfragen“, da: 
artillerijtiihe Schibolet des 15. Ihdts. — Zu 22. Dieje Klotzbüchſen find die 
Nachfolger der Feuerlanzen oder Römerkerzen mit ihren untereinander angebradıten 
Ausjtoßladungen [vgl. ©. 223 u. 234]. — Zu 23. Es ijt das der fpäter jog.„® öll:-* 
oder „KRoll-Schuß“, der endlid zum Nicochet weiterentiwidelt wurde. — Zu 
24. Die Zeichnung jtellt als alte Form der Büchſe eine cylindriihe Kammer: 
büchfe dar, deren Vorhaus ungefähr jo lang fit wie die Kammer; als new: 
Form ift ein koniſches Rohr dargeitellt, bei dem ſich alio die Kammer 
gewiſſermaßen ohne Abjag in das Vorhaus fortjegt, jo daß das Geſchütz tuben- 
oder fprachrohrartig ericheint. Der Berf. legt großen Wert auf dieje „newe Liit“ 
und verjpottet jogar den Niger Bertoldus, der 


„unter andern dingen von Meijtern, die da fih hand underwun- 
mocht nit zu wegen bringen, von angend vntz an das ende [den 
die kunſt, die num ijt Funden in damit werdent bebende. 


Der Vorteil diejer Form bejtand darin, daß fie Steine verſchiedenſten Kalibers 
aufnehmen konnte, und dem entſpricht es, daß der Tert angibt: bei den neuen 
Büchfen jei der Stein nicht mehr mit einem Klogen zu „verjpiezen“, jondern mit 
dider Aſche (äjcher der didh jey) oder mit gebranntem Lehm. Dies erleichterte 
natürlich das Laden jehr, und unter den bildlichen Daritellungen von Geſchützen, die 
ji) in den Handſchriften aus der erjten Hälfte des 15. Ihdts. finden, überwiegen 
daher diejenigen koniſcher Rohre ganz entjchieden. Dennoch hat die neue Form 
ji) faum bis über die Mitte des 15. Ihdts. hinaus erhalten, weil ſich bald ergab, 
daß die Wirkung der koniſchen Rohre ganz ungleihmähig und jomit völlia 
unberechyenbar war. Schon die Redaktion des Feuerwerksbuches von 1445 behandelt 
die Kegelform als abgetan. — Zu 25. Der Hagelſchuß wird im Münchener 
Cod. 600 noch nicht erwähnt, wobei allerdings zu bedenken ijt, daß er unvollendet 
vorliegt. Nach Angabe unjeres Ambrajer Codex lagen die Meinen Dageliteine, 
in najje Ajche gebettet, in einer Dolzkugel. — Zu 27. Verwandt ijt der Ygel. 
Hier bejteht der Hagel aus „eijernen Schiffern“, d. 5. rautenförmigen Eijenjtüden, 
und befindet jich in einem gußeifernen oder irdenen „chnoph“ (Kugel) u. zw. ein: 
gelagert in träges Pulver. „Wann er an jein jtat chumpt, jo zeripringt er vnd 
tuet großen jchaden“. Während aljo beim Hagel mehr auf eine kartätſchſchuß 
artige Wirkung gerechnet ift, wird beim Igel eine Art Shrapnelſchuß beabfihtigt. 
Freilich ift die Gefhohzündung nicht erklärt. Die Erläuterung fährt fort: „Du 
follt did) aber gar wol huetten; wann die gluenden Schifferjtain find gar 
misling zu jchießen; du jolt aljo ain puckchſen darzue haben, die ziwiefalt jen, 
das ain tail geladen mit jchiffer, das ander fol jein geladen mit ainem jtain“. 
Die Zeichnung jtellt zwei mit dem Bodenſtück aneinandergefügte fonifche Rohre 
dar. Es ijt nicht einzujehen, wie diefe Sache gemeint if. — Zu 34. Die unter: 





2. Feuerwerferei und Büchſenmacherei. 


irdiihe Bulvermine wird „ain chlafter tief mit puluer und mit chloczen (Blei- 
fugeln) geladen vnd mit jtainen zugefüllt . . vnd wann die chacz (des VBelagerers) 
darauff fümmt oder volfh, jo zund das lueder an, jo wurfft das die ftain durd) 
die chaczn und zerprecht“. Dieje frühe Bejchreibung einer Mine ift jehr interejlant. 
— 3u 38. Um aus einer für Ztr.Gefhoß beftimmten Bühfed Ztr. 
zu Schießen, ladet man das „Ror“, d. h. die Kammer voll; in das „vorgehews 
des pumbarcz“, aljo in den jonjt zur Aufnahme des Geſchoſſes bejtimmten vor- 
deren Teil des Geſchützes, wird ein Klog geladen und an der Mündung abgejägt. 
Dann macht man „ain hulgen pumbart von einem chlain vas für die pufchjen“ 
und legt in diejes Faß den 5 Ztr. ſchweren Stein. Auf diefe Weife mag man 
auch einen großen Hagel ſchießen. — Zu 42. Aus hiſtoriſchen Nachrichten erhellt 
gleichfalls, daß man aus Steinbücjen gewaltige Bolzen bis zu zwei Ztr. Ge— 
wicht ſchoß u. zw. zum Bredhelegen, weil man fürdhtete, daß die Steinfugeln an 
der Mauer zerichellen möchten. — Zu 44. Die Hölzerne Wurfbüchſe iſt eine 
Handgranate „voll jchifferjtein“. Sie beiteht aus zwei Halbfugeln, umd der 
Hagel ijt in Pulver eingebettet. Auch bier ift über die Zündung nichts mit- 
geteilt. Vielleicht gehörte die bezügliche Kunde zu den am Schlufje der gereimten 
Einleitung angedeuteten Geheimnifjen. — Zu 49. Während im Miünd. Cod. 600 die 
Ladung nad) der Länge der Büchſe abgeteilt wird, ging man, wohl nod) vor 
Ausgang des 14. Ihdts., dazu über, die Bulverladung nad dem Kugel- 
gewichte zu bemefjen. Die Ambrajer Handichrift zeigt, daß man dann aud) 
jofort dahin fam, Lademaße „Ladeißen“, Ladejchaufeln herzuitellen, welche, mit 
Rulver gefüllt und abgejtrichen, das betreffende Ouantum ohne Abwiegen ein 
für allemal enthielten. „Ladeißen ijt peßer dann ein wag, warn es iſt behender ; 
man graift in das puluer damit vnd aljo ladt man allezeit glei die pukchſen“. 


Nahe verwandt dem od. 52 der Ambrajer Sammlung it der 
Cod. 67 derjelben, der ungefähr v. 3. 1410 ſtammt, jedenfalls nicht 
viel älter ijt, weil er auf den Appenzeller Krieg anjpielt, welcher 1408 
beendet wurde. Eine Abjchrift diejes Manuffripts, die einige Jahr: 
zehnte jünger zu ſein jcheint, befindet jich in der fgl. Bibliothek zu 
Berlin als Anhang eines Exemplars von Thom. Lirers 1486 zu 
Ulm gedrudten ſchwäbiſchen Ehronif. (Incunab. 10117a). Der Titel 
it „Buchßen werkch“; die Handichrift enthält ungefähr 1200 Reim— 
verje, Doch feine Zeichnungen. 


Das Gedicht, welches allerdings weniger von poetiihem als techniichem und 
hiſtoriſchem Intereſſe ijt, beginnt: 


In nomine domine amen! ' wie bülfer und buchen ijt erdadht 
Ich vahe an in gotte® namen von erſte ung an das end volbracht. 
Ain niuw gedidt ob ich fan Es war ain maijter von friechen land 
wie buchen werd) vahet an Niger Berchtoldus ijt er genant ... 


25% 


388 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte. 


Nach der in hergebradter Weiſe gejchriebenen Schilderung der Erfindumg 
fährt der Meiiter fort: 

Alle jtud von den büchhen 

Lan ich dich hienach wiſſen 


Du vindeſt, wie fich ein maifter halten jo! 
Das er vejte und jtät behabet wol 


die geichriben jtand in dijem buch Und jo mit gezug umgäut 
wilt du jy gern lejen jo jud) wie er den ain wyſe bäut 
Du vindeit frum und jchlecht | wie er das bülfer machen jol . . . 


Guttes böjes und gerecht der maijter bedarf glüdes wol 
der mit diejer kunſt umgon jol ... 
Büchſenwerch ijt fie genant. 
Nun folgt ein Preis der Kunjt und eine Darlegung ihrer Leijtungen, ſowie 
der fittlihen Anforderungen, die an einen Büchjenmeijter zu jtellen feien, und der 
Kenntniſſe, die er bejigen müſſe. 


Alfo joll ji ain maijter halten | Er jol fidy Halten jpat und fru 
will er mit eren alten. | das m der wyn fain laides tu . .. 
Hab gott lieb vor allen Dingen | Bil trinten und baden 


jo mag dir nit mijjelingen .. mag dir wol gejchaden. 

Bor dem Einatmen des Dunjtes von altem Pulver jolle der Meiſter jich 
hüten und beim Feuern jeine Stellung mit großem Bedachte nehmen. — Bei 
Aufzählung der an einen Meijter zu jtellenden wiljenicaftlihen Anforderungen 
ift der offenbar als Vorlage dienende Tert des Ambrajer Coder 52 mehrfach 
mißverſtanden. 

Den Beginn der eigentlichen Lehrvorſchriften bilden 17 weſentlich 
pyrotechniſche Kapitel: 

Von Salbeter, von dem ſchwebel, von den kolen; wie man ſalbeder ſieden 
ſol; Wiltu ſalbeter lutern; Wiltu den beſten ſalbeter han; wie du gut ſchwebel 
machen ſolt; Wiltu gut kol machen; Wiltu machen gemengten zeug. Von dem 
beiten bülfer; von jalpeatica; von der gewicht; von guten fürpfilen. Wiltu ain 
turn niederihießen. Ob du belegen bijt (Leuchtlugeln zur Aufflärung des Geländes 
vor der Feſtungh. Von gutem buljer (dauerhaft aud in Feuchtigkeit, Bon 
fünem bulfer (farbigem Pulver). 

Dann wendet das Gedicht ſich den „Matjterfragen“ zu. Es 
jind Hier nur zehn und 3. T. andere wie in dem Ambrajer Cod. 52. 
1. Ob für den jtain müge tragen uß 6. Ob der jtain lind oder hertlich 


oder der tünjt der dauon gait. er jol liegen an dem Flop. 
2, Ob jalbeter oder jhwebel habe die fraft T. Wie man ain buch jol heben 
den jtain zu treiben uß der büchſen. das ſy lige wol und eben. 
3. Wieviel bulfers ainen jtain 8. Ob man das bulfer aljo geb 
gewerffen mag von ainem Pfund, | in fnollen in die buchs fol laden. 
4, Wieviel bulfersmanindiebuhstunfol. | 9. Wie man den jtain jölle veritopfen. 
5. By welcherlaige holt man die Hoß | 10. Ob das bulfer nit wäre qut 


jol bilden und wie man dann erdädhte 
die den jtain mügent traiben. das man das uß der büchſe brächte. 


2. Feuerwerkerei und Büchſenmacherei. 389 


Es iſt hierbei zu bemerken: zu 4. daß die Büchje höchſtens ein Drittel voll 
geladen werden darf, weil man fonjt Gefahr läuft, daß fie jpringt. — Zu 5. Albern- 
holz. — Zu 6. der Stein foll verbifjet werden. — Zu 7. „So leg jy auf das 
halbe mit, nit tiefer den ains halmes brait“, d. h. das Rohr joll um eine 
Kleinigkeit tiefer in die Holzunterlage eingebettet werden als die Hälfte feines 
Durchmeijers beträgt. — Zu 8. Am beten mijcht man lofes und Knollenpulver. 
„Nimm 23 bulfer fnollen, Us loſes“, die Knollen Hinten im Pulverjad. — Zu 9. 
Das Verſchoppen ijt nicht unbedingt nötig, doc) für die Sicherheit des Schiehens beſſer. 

An die Büchjenmeifterfragen reihen jich dann folgende, vorzugs- 
weile der Gejhügbedienung gewidmete 19 Kapitel: 

Wie man die büchs ſoll zerſchießen. (Man ladet mit 3 Sorten Pulvers 
von verjchiedener Stärke, das z. T. nah ijt, füllt Quedfilber ins Waid- (Zünd-) 
Loch und wählt einen jpigen büchenen Klo und verbeiht den Stein jehr feit.) 
— Weliche buchs bas jchießet, die wyter oder enger, fürger oder lenger. (Am 
beiten jind die über 6 Klotz langen engen Büchſen und die, welche einen Zentner 
ſchießen, „two man jy in rechter höhe leit“.) — Bon guten Schirmen. — Wie ſich 
ein buchs jelber anzündt. (Mit Hilfe einer Zündſchnur von getränftem Filz.) — 
Vie man mit Wafler ſchüßt. („Das Waſſer“ ift eine jprengölartige Zuſammen— 
jepung.) — Wie man oleum benedictum madt. — Wie fer die buch jchiejen fol. 
(Eine Büchſe von 7 Klotz Länge joll dreißig Hundert Schritt tragen, die eine mehr, 
die andere minder, je nachdem das Pulver it.) — Wie man fürspfil machen jol. 
— Bon den fürn fuglen. — Bie man die ftang jchiefen fol. (Die 30 bis 40 
Fuß langen Stangen werden vor den Stein gelegt.) — Bon dem Werffitod. (Feuer: 
lanze mit verjchiedenen Ausstoßladungen.) — Bon fchwebelfergen. — Von gutem 
zunder. — Bon den Moßbücdjen. (Es werden nad) und nad) 11 Klotz ausge— 
itoßen.) — Wie man verbrennt ein pfal unter dem waher. (Mit Oleum bene- 
dietum.) — Von wahertergen: „Und brünnt im tiefen waßer drin, vnd ijt doch 
fain nüßer fin“. — Vom heimlichen ſchieſen. (Um den Schall des Schufjes zu ver- 
mindern, jhlägt man Leim und Hopfen vor das Pulver.) — Wie man dir fain 
haus verbrennen mag. (Man bejtreicht die Dächer mit einer Miſchung von Kalt, 
Kuhmiſt und Aiche.) — Wiltu wol leren ſchieſen. (Man muB die Büchje und das 
Pulver jowie die Gewichtöverhältnifie von Stein und Pulver kennen, Klöße von 
einerlei Gewicht haben, die ganz gleihmäßig geichnitten find, genau laden, dafür 
forgen, daß beide Räder gleich hoch jtehen und endlich den Quadranten liebhaben 
und jtudieren.) 


Den Beſchluß machen 6 Anweiſungen, die ſich teils auf Pulver: 
bereitung, teils auf Gejchügbedienung beziehen. 


Wie man bulfer jhaidet. — Wie jalbeter lang were. — Bon gutem jal- 
beter. — Wie man jalbeter jol ofen. — Wo du zenacht hin jchiejeft. (Man 


ummidelt den Stein mit einem Luder, das mit Schwefel und Pulver eingerieben 
it; dann vermag man den feurigen Aufſchlag leicht zu erfennen.) — Schießen mit 
glühenden Kugeln (im Kalkofen geglühte Steine). „Dis iſt vnkoſtlich vnd doc 
qut; nieman waiſt wie we dz tut“. Deo gracias. 


390 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte. 


8 58. 


Wenn in dem eben erwähnten Gedichte der Mönch Berthold ganz 
im Gegenfa zu der jonjtigen Überlieferung „ain maifter von friechen- 
land“ genannt wird, jo liegt da, wie jchon früher [S. 225] erwähnt, 
eine Verwechjelung oder Vermiſchung mit Marchus Graecus vor [M.$6), 
dejjen Andenken eben um jene Zeit wieder lebendig ward. Letzteres 
[ehrt ein vom Anfange des 15. Ihdts. herrührender Papiercoder des 
German. Muſeums zu Nürnberg (1481a). Diejes aus 48 Fleinen 
Dftavblättern bejtehende Manuſkript führt den Titel: „Feuerwerks— 
fünfte und Büchjenmeijterei“, der jedoch nicht original iſt. — 
Den Eingang macht das Liber ignium des Marcus Graecus in 
einer von den Pariſer Manujfripten mehrfach abweichenden Faſſung!). 
Dann folgt das alsbald ſ8 59] näher zu bejprechende Feuerwerksbuch 
u. zw. zweimal, zuerjt in jeiner ältejten, von der Wende des 14. 
und 15. Shots. herrührenden Gejtalt und dann in der Faſſung, wie 
es jich, etwa um 1425, definitiv feitgejtellt hat, wenn auch in etwas 
ungewöhnlicher Reihenfolge. 

Das Nürnberger Manujfript beginnt: »Hic invenies spe- 
cies ignium a marco greco conscripte quore virtutis 
et eflicacia ad comburendos castris (? hostes) tam in mare quam 
in terra ut in plurimum eflicax invenitur«. (sic!) 

Unter diejer Überſchrift folgt auf BI. 2 bis 12a eine Reihe lateinijcher Bor: 
ichriften zur Bereitung brennender Flüfligkeiten, unauslöjchlicher "Feuer oder ſolchen 
Feuers, das ſich durch den Regen entzündet, immerwährend brennenden Lichtes, 
brennenden Weing, griechiichen Feuers u. dgl. m. Hie und da jteht eine deutich 
geichriebene Stelle dazwijchen oder am Rande. — Bis dahin folgt die Handſchrift 
offenbar lediglich der mehr oder minder direft auf Marcus Graecus zurüdführenden 
Tradition). 

Bon Bl. 12a an beginnen in deutjcher Sprache andere pyro— 
technijche Anweiſungen, die einen vorwiegend artilleriftiichen Charafter 
tragen, aljo von der FFeuerwerferet himüberführen zur Büchſen— 
meiſterei. 

Von den Büchſen, von Salpeter, von Bereitung und Behandlung des 
Schießpulvers und vom Schießen. Bon Bl. 28a beginnen die Abſchnitte öfter 





1) Auch in einer anderen alten Handichrift des Germ. Mufeums (3227a), weldhe Liechtenamers 
Fechttunſt enthält [$ 49), find die erjten Blätter einem höchft altertümlichen liber ignium gewidmet, 
cuis virtus et efficacia ad comburendo tam in mari quam in terra. Da handeln BI. 114 bis 
13a vom Härten des Eiſens, Stahl, Steind u. ſ. mw. in beutfcher und latein. Spradye. Der Anfang 
lautet: „Nu fpricht meifter allaym, das dy erite herte ift allermeift in taldem waßer.“ 


2. Feuerwerkerei und Büchſenmacherei. 391 


mit: „ES ward ein Maifter der kunt gefragt“ und auf S. 33a heilt es: „Dieje 
funjt Hat ein Maijter gefunden, der hieß maijter Berchtold u. j. w.“ Am wichtigſten 
aber jind die auf BI. 44 beginnenden zwölf Fragen, die mit der Wendung ein= 
geleitet werden: „ES tut ein Maijter zwelf frag“. 


Mit diefem Terte befinden wir uns auf dem Boden des deutjchen 
„Feuerwerksbuches“, das im nächjten Baragraphen bejprochen werden 
joll. Hier jei nur auf einen Bafjus hingewieſen, welcher von bejonderem 
Snterejje in Bezug auf Die Verhältniſſe des Rohrs zum Durd)- 
mejler des Gejchojjes jowie der Ladung zum Gewichte 
desjelben ijt und welcher zugleich injofern merkwürdig erjcheint, als 
für Kammer wie Flug lediglich die Eylindergejtalt ind Auge gefaßt, 
die fonische Form [©. 386] aljo ignoriert wird. Es heißt nämlic): 

„Wilt du dir ain jtainbuchjen heißen machen, ſy jei groß oder clein, jo 
hai dir zween jtain machen in der groß, als du mwolleit, das die puchs werd 
ihießen vnd wenn die zween jtain gehamwen werden, jo leg die zween jtain für 
einander, das einer den andern rür, jo heiß dir dann das ror, da da pulver ein— 
gehört Kammer), eben als lankch machen, als die jtain jind baid, vnd das vorhaus vor 
dem ror, do der jtain inn ſoll liegen, anderttalb jtains land) vnd den poden hinder 
dem zündloch aines halben jtains dikch; das ijt einer iglidhen jtainbuchjen ge— 
rechtigkeit, ond das vor nicht mehr vaße dann je zu zehen pfunden jber des jtains 
ein pfund pulvers.” 


Durch diefe Ausernanderjegung jind alle Ausmaße bejtimmt, 
auch die der Sammer, da man dieje (wie erhaltene Stüde lehren) 
jtet3 Ys jo weit als lang machte; ihre Weite betrug aljo ?s des 
Kugeldurchmeſſers. 


General Köhler hat darauf hingewieſen, daß die i. J. 1411 zu Braunſchweig 
gegoſſene „Donrebuße“, die berühmte „faule Mette“, genau der eben mitgeteilten 
Vorſchrift gemäß, hergeſtellt war. Die Länge betrug 4 Kugeldurchmeſſer oder 
2457 m, der Boden hatte e, die Kammer 2, der Flug 1!/2 Kaliber. Die Ladung 
diejes Monſtergeſchützes war 32 kg Pulver; doch vermochte die Kammer 54, kg 
zu faſſen. — Köhler fommt audy zu dem Ergebniffe, daß die Haufnige der 
Huflitenfriege in ihren Proportionen durchaus den in der Nürnberger Handſchrift 
gegebenen Anweijungen für Steinbücjen entſprach. Die Haufnigen lagen zu 
mehreren unbefleidet auf eigenen Bichjenwagen, auf deren jtarfen Holzbühnen 
lie mit eifernen Bändern befejtigt waren !). 


Übrigens waren dieſe Proportionen bereits im Begriffe, zu ver: 
alten. Schon der Ambrajer Eod. 67 ſpricht von 6 und 7 Klotz 
langen Büchſen und jchreibt den langen Büchjen die größere Trag- 





!ı) Köhler: Kriegäweien und Sriegführung der Nitterzeit IIIa (Breslau 1887). 


392 Das XV. Jahrhundert. II. Fadywifienichaftliche Werte. 


weite zu. E83 ijt das der Anfang jener Entwidelung, die zu den 
langen dünnen „Schlangen“ führt. Aber auch da, wo dieje Ten- 
denz nicht vorliegt und die Büchjen im wejentlichen den alten Charakter 
bewahren, wird doch der Flug verlängert. Dies lehrt z.B. die Feder: 
zeichnung des Durchjchnitts einer Steinbüchje in einem Manuſkripte 
des German. Muſ. v. 3. 1428. (Nr. 24, 347)}). 

Die Länge der Kammer beträgt auch bier noch zwei, die des Vorhaufes aber 
drei Kugeldurchmeſſer; die Dicke des Stoßbodens it Y/s Kaliber. Die Zeichnung 
befindet fih am Sclufje der Handichrift, welche unter medizinifhen Traftaten 
auch eine Anweifung zur Salpeterbereitung enthält, wobei die Ajche zur Erzeugung, 
nicht zur Reinigung des Salpeters vorgejhlagen wird. 


8 59. 

Aus den teilweile oder ganz gereimten LZehrjchriften für Büchien- 
meijter, wie jie in den Ambrajer Codices 52 und 67 vorliegen, hat 
jid) daS berühmte „Feuerwerksbuch“ des 15. Ihdts. entwidelt, 
dejjen joeben bereits andeutend gedacht worden ijt. [$ 58]. Ein vor- 
züglicher Kenner ſüddeutſchen Kriegsweſens, Oberjtlt. Joſ. Würdinger, 
bringt das Feuerwerfsbuch mit dem Namen Abrahams von Mem- 
mingen in Verbindung, eines ausgezeichneten Büchſenmeiſters, der 
i. 3. 1410 für Herzog Friedrich von Tirol ein Feuerwerksbuch ver- 
faßte.2). Ob dies vielleicht der Cod. 52 von Ambras, ob es eine 
der Faſſungen des profaischen TFeuerwerksbuches ist, muß bis auf 
weiteres dahingejtellt bleiben. Genug, daß das Feuerwerksbuch jich 
als eine das gejamte damalige artilleriftiiche Wiffen umfajjende Samm- 
fung älterer und neuerer Überlieferungen darjtellt und kurze Zeit 
nach jeiner Entjtehung bereitS in zahlreichen Abjchriften über ganz 
Deutjchland und Frankreich verbreitet war und in hohem Anjehen 
Itand ?). Kein zweites vor Erfindung der Buchdruderfunit gejchriebenes 
kriegswiſſenſchaftliches Werk findet jich noch jegt jo häufig in den 
Bibliotheken als dies alte „FFeuerwerfsbuch“. Und es tritt da nicht nur 
jelbjtändig auf, jondern mindeſtens ebenjo oft als Einleitung oder 
Anhang allgemeiner Werfe über das Kriegswejen oder als Bejtand- 
teil von Sammelcodiced. Dem entipricht es, daß es auch zuerjt von 
allen Artilleriebüchern gedruckt worden it, freilich erjt zwölf Jahr: 





ı) Köhler: Kriegsweien und Kriegführung der Ritterzeit IIIa, Taf. III, Fig. 8 (Breslau 1887). 
2) Handfchriftl. Notiz Würdingersd im God. 719 bes German. Muſeums. 
3) Bgl. Würdingers „Hriegsgeih. von Bayern u. f. w.” II, ©. 341 und 397 (München 1868). 


2. Feuerwerkerei und Büchſenmacherei. 393 


zehnte mach jeiner Entjtehung, nämlich als Anhang des deutjchen 
Vegetius in dejjen Ausgabe von 1529. [XVI. 8 4 und $ 40]. Aber 
obgleich jein Inhalt jchon damals größtenteils veraltet war, jo ging 
er doch, nur wenig gekürzt und geändert, auch in die Striegsbücher 
des 16. Ihdts. über; ja manches daraus findet jich im der Artillerie- 
Iteratur bi8 zu Ende des 17. Shots. 


Die ältejte datierte Handfchrift enthält Cod. germ. 4902 der Mündener 
Hof: und Stats-Bibliothek, welche Konr. Kauder aus Schongau 1429 fopiert hat; 
leider ift fie ein Bruchjtüd. Vollſtändig ift ein oder von 1430, welcher zu den 
aus Rom zurüdgegebenen Handichriften der Heidelberger Bibliothek gehört 
(c. pal. germ. 787) [$ 4). Das Manuffript der Wiener Hofbibliothef 
von 1437 (Mr. 3062) iſt das erite, welches unter den datierten Handſchriften eine 
lange Reihe mannigfaltiger Darjtellungen von Gejhügen und Kriegsgeräten als 
Anhang bringt [$ 7). Ein ähnlidyes Eremplar von 1445, welches einjt der 
Bibliothek v. d. Horjt gehörte, hat Hoyer im Anhange zu jeiner „Sejchichte 
der Kriegskunſt“ (II, 2 S. 1107—1147) jeinem wejentlihen Inhalte nad) abge- 
drudt. Ob und wo das Original nod) erijtiert, habe ich nicht feitzuftellen vermodht. 
Das Germaniſche Mujeum bewahrt ein datiertes Eremplar von 1452. Die 
Jahreszahl 1453 trägt die Handichrift, welche einem Sammelbande des Kriegs: 
arhivs im Berliner großen Generaljtabe angehört [$ 7). Es folgt ihr 
ein Anhang unter dem Titel: „Das find die fewr, die maijter Achilles Thobor 
geſchrieben hat“: Anweiſungen zur Bereitung ungewöhnlicher, 3. T. wohl gar 
fabelhafter ?yeuerarten, die vermutlich byzantinijche Rezepte in mehr oder minder 
unverjtandener Weiſe wiederholen. Bon 1454 jtammt eine Handſchrift in der 
Bibliothek des Zeughaujes zu Berlin (m 1), die jich 1594 im Bejike 
des Barons Chriſt. von Woltenjtein befand. Es ijt das inhaltreichſte aller mir 
befannten Eremplare. Aus d. J. 1517 befigt die fgl. Bibliothef zu Dresden 
ein Eremplar. 

Unter den undatierten Handfhriften des Feuerwerksbuchs, ja vielleicht unter 
allen itberlieferten Abjchriften die ältejten, jind wohl die „Feuerwerkskünſte umd 
Bücdjjenmeifterei” des Germanijhen Mujeums (cod. 1481a) [$ 58) und die 
des zweiten Bellifortiscoder in Göttingen (ms. phil. 64) [$ 4]. Xeptere iſt 
jehr volljtändig und jtimmt großenteil® mit dem Drud im deutjchen Vegez von 
1529 überein. Ferner find zu nennen: eine föftliche, jehr alte Abjchrift der 
Bibliothef Hauslab-Liehtenjtein GRoßau zu Wien), welcher ein pyro= 
tehniiches Nezeptbuh und ein vorzüglider Bilderatlad angehängt find; dann 
das jchöne Mept. math. 4 Wr. 14 der Yandes bibliothet zu Kajjel und 
das ms. 2 der Berliner Zeughausbibliothef, weldes älter ald Wr. 1 
derjelben Bibliothek ijt, aus 70 Blättern beigeht, aber leider am Schluß ver- 
jtümmelt ift; weiter in derjelben Bücherſammlung ms. 18, ungefähr aus derjelben 
Zeit (etwa 1420) und ehemals in dem Befite des Hanns Otten v. Üchterdingen. 
Die Faſſung diejer Handichrift weicht vielfah von dem gewöhnlichen Texte ab. 
Sehr alt erjcheint der Cod 1597 der Leipziger Univerfitätsbibliotbel, 


394 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte. 


der nach der bis zu den „Zwölf ragen“ rot gejchriebenen Einleitung 78 Para— 
graphen enthält. Merkwürdig ijt das niederdeutjche Eremplar der fgl. Bi- 
bliovthef zu Berlin (ms. germ. 4 Wr. 867), das den Titel führt: „Kunſt 
pußenpuluer to malen, bußen to jcheten, biyden vnd ander jchleudigfeit“. Als 
Berfertiger diefer Handichrift, welche 139 Kapitel zählt, nennt fih Hans Schulten. 
Dann ijt der Aufnahme des Feuerwerksbuches in das anonyme Kriegsbud von 
ca. 1450 in Wien und Charlottenburg zu gedenfen [$ 35], jowie der etwas 
erweiterten Faſſung des Feuerwerksbuches im cod. ms. Wr. 2987 der Wiener 
Hofbibliothet, welche den Titel führt: „Die kunjt der puchſen, wie man die 
bereyten fol, handeln und ordiniren mit jrer zugehorungen als dan die meijter 
mit bejonderen fragen vnderjtehend geben“. Diejelbe Bücherſammlung bejigt eine 
jpäte prachtvolle Kopie (Nr. 10895), welche eine gereimte Einleitung, viele Tert: 
vermehrungen und farbige Darjtellungen von Gejhügen, Feuerwerlen und Wert 
zeugen enthält. Alter und plumper find die Zeichnungen, welde dem God. 719 
der Münchener Hof- und Statsbibliothef angehängt find. Im oder 734 derjelben 
Bibliothek Hat ein benannter Künjtler, Dans Formſchneider, jeine lehrreichen 
Darjtellungen unmittelbar in Verbindung zu dem alten Terte gejegt 8 62]. 
Das Feuerwerksbuch hat im Laufe des eriten Viertels des 15. 
Shots. eine jtete Bervolljtändigung erfahren und tjt endlich, etwa um 
1425, zu einem vorläufigen Abjchluß gelangt — nicht eigentlich zur 
Abrundung; denn die Nachträge find feineswegs immer an gehöriger 
Stelle eingefügt worden. Um die Mitte des Jahrhunderts machte Tich 
dann abermals das Streben geltend, das alte Buch durch Einſchübe 
und Anhänge zu vermehren, teils (wie in dem Eremplar Nr. 1 des 
Berliner Zeughaujes) durch VBorjchriften über den Guß der Gejchüge, 
teils durch pyrotechniiche Rezepte, teil® durch) Hinzufügung eines 
Bilderatlafjes. Immerhin läßt jich überall die urjprüngliche Dis: 
pojttton erfennen: der Verf. will zuerjt die einzelnen Elemente des 
Pulvers, dann dies jelbjt in jeinen verjchiedenen Zujammenjegungen, 
darauf die Bedienung der Gejchüge, einige bejondere Gejchoffe, Die 
Schußarten und endlich gewilje Feuerwerkskörper jchildern. Aber das 
Konzept iſt verichoben. In den eriten Teil find jchon Kapitel ge 
raten, die nach hinten gehören, und durch das ganze Buch laufen in 
allen Abjchriften immer wieder Anweifungen aus der Lehre vom 
Salpeter und Pulver. Dieje Unordnung, welche jämtlichen Codices an- 
haftet, findet jich nicht überall in derjelben Reihenfolge, und jo darf 
man vermuten, daß jolche Rezepte urjprünglich einzeln auf Zettel 
gejchrieben waren, die von den Redaktoren mit größerer oder geringerer 
Einjicht in das Original oder im eine auch jchon anderweitig ver: 
dorbene Kopie eingejchaltet worden find. — Bei dem gleich folgenden 


2. Feuerwerkerei und Büchfenmacherei. 395 


Auszuge des Feuerwerksbuches jchliege ich mich im großen und ganzen 
der Anordnung des Stoffs in dem jehr vollitändigen Eremplare des 
Berliner Kriegsarhivs an unter Zuhilfenahme des nur ein Jahr 
jüngeren, noch reicheren God. 1 des Berliner Zeughaujes. Nur in 
der Einleitung weiche ich von dem Codex des Kriegsarchivs ab, weil 
diefer gerade hier eine jonjt ungewöhnliche Reihenfolge aufweiſt. — 
Die ungehörigen Emjchaltungen jind durch edige Klammern um die 
an faljcher Stelle jtehenden Titel angedeutet. 

In der Geitalt, in welcher das Feuerwerksbuch am häufigiten 
vorfommt, beginnt es mit einem Hinweiſe auf die Notwendigkeit 
treuer Diener, insbejondere guter Büchjenmeiiter. 

„Welcher Fürjt, Graffe, ritter, knecht oder jtäte bejorgent vor iren feinden 
beligert und benot werden in ſchloßen, veiten oder jtäten, den ijt zu voraus ain 
bedürfit, das ſy Haben Diener, die als frum vnd vejt lüt jein, das fie durch 
eren willen Sel, ere, leib, leben vnd qut vnd was in got ye verlihen en gien 
iren feinten daritreden vnd wagen, en das ſy flihen .. . .. Bejunders qut 
büchſſen maijter vnd jhügen, damit fie ſich behelfen mögen, vnd wan das 
it, das man von püchßen maijtern gut großen trojt nümpt, jo ift ein yeglich 
furſt, herr, ritter oder fnecht vnd jtet bedurffent, das püchjenmaijter qut maijter 
iind vnd alle die öl vnd pulfer qut beraiten fünnen vnd auch andere jtüd, die 
nüg vnd gut jind zu dem piüchienpulfer, zu fewrpfeilen, zu fewrfugeln, die 
man wirft (aus Bleiden u. dgl. Wurfzeug) zu fewrkugelln, die man auf der püchhen 
iheuft, und zu andern jewerberden vnd die in diejem buch, das da haißet das 
jeurberdbud harnach gejchriben jten.“ 

Dann folgen die „Zwölf Büchjenmeijterfragen“ [vgl. ©. 384 
u. 388], eine fatechismusartige Injtruftton, welche, nur ganz wenig und 
langjam abwandelnd, durch anderthalb Jahrhunderte den Kern des 
artilleriftijchen Willens überliefert hat. Noch 1619 ericheint jie 
in ihrer alten Form in dem von de Bry herausgegebenen „Kunit- 
büchlen von Gejchüß und Feuerwerk“. Dieje „Zwölf Fragen“ find 
Erfennungszeichen der Kundigen und Grundformeln der Zunfttradition 
der Büchjenmeijter. Ste lauten: 

1. Ob das fewr den jtain aus der pühhen treib oder der dunit, 
der von dem fjewr gat. — Nu jprechent etliche, das fewr hab die frafft den jtain 
zu treiben; Ich ſprich aber, der dunjt habe die frafit. Eremplum. Ein Beyipel. 
Nym ein pfunt guten puluers vnd tu es in ain jennig (?) weinfah vnd vermach 
es wohl, das fain dunjt dovon fumen müg, dan zu dem widloch, da du es ans 
zündejt, jo iſt das puluer ze hant verprunnen und pricht der dunjt das vaß. 

2. Ob jalpeter oder jwebel die krafft hab, den jtain zu treiben. 
— Sprich ich: die pede! Dan wan das puluer entzindet wirt in der pichien, jo 


396 Das XV. Jahrhundert. I. Fachwiſſenſchaftliche Werte. 


ift der ſwebel aljo hitzig vnd der Salpeter aljo kalt, das die felten die bit nicht 
geleiden mag, nod) die big die felten. Wan kelt und big find zwai widerwertige 
ding; aljo mag ir yetweders das ander nicht geleiden, vnd ijt doch aind on das 
ander nicht nüß zu dem puluer zu brauchen. 


3. Ob lutzel puluer belder ein pidhjen pred oder weiter ſchieß, 
aljo ob man die püchſen fult pis an den Floß. — Da jprid ih: wen man 
die püchjen fült pis an den Moß, jo mag das vnd Sicht (?) nicht weite haben, 
den ſchuß zu volbringen pis das das fewer ain tail hinter ſich aufprint vnd das 
puluer den flog aufichleht. Iſt aber die pichs den drittail pis an den vierden 
geladen, jo mag das puluer gemeindlichen ains mals prinnen vnd mag der dunit 
jein krafft volbringen vnd jchewjt weiter vnd pricht die püchß vil ee dan von 
dem, der fie fült mit gejtoßem puluer biß an den flog"). 


4. Ob ein linder Floß von lindenholk den ftain paß treib oder 
von berttem hol als aihen vnd pücdein, als vil maijter prüfent vnd 
ob diejelben flog fur oder lang, dürr oder grün jein jollen. — 
Sprid ih: die hierten Mog fint nicht gut, wan darumb, jy jint ze hert und laßen 
fich nit treiben pis auf jein jtat, vnd behelt den dunft vil paß dan die berten 
og. Item: der Mob fol nit lenger fein, dan er prait jey®). Die pejten dürren 
Hoß, die man gehaben mag, die machet man aus dürrem erlen holtz; aber die 
allerpeiten grienen flog macdet man aus birdenholg alsbald ald von dem jtam 
gehawen wirt. 

5. Ob der jtain fer (ferner, weiter) gang, jo er hirt lig. — Sprich 
ih: ye berten der jtain lig, Ye berter er gang, aljo das er gar wol verjtoppt 
jey, das der dunſt davon nit gangen müg, jo wirt der dunſt jtard vnd jchemit 
weit vnd bert. 


6. Ob die pißen, da man den jtain mit verpißet, von linden 
oder von hertem holtz füllen fein. — Sprich ich: welcher jtain gerecht in 
die püchhen gehört vnd er nit mer weiten dan er bedarff vnd er getrang ligen 
mus, jo joltu in verpißen mit dünnen berten pißen von aichen holtz; ijt aber 
der jtain etwas ze clain, das er nicht aljo getrangt ligt, jo joltu in verpihen 
mit dünnen pißen von dürrem linden holt ®). 

7. Ob diejelben pißen dün oder did jein füllen. — Sprid ic, 
das diejelben pißen did oder dünn jein jollen %) von dürrem holg; aber wan du 
den jtain damit verpißezt, jo joltu den pihen mit einem jchroteijen an dem jtain 
abhowen, alſo da& die pißen nicht für den ftain gangen. 


8. Warmit man den ftain verfhoppen jülle, das der dumit 
nit do von gien müg. — Sprid id: nym wachs vnd wechſe ein tuch damit 
vnd thu (dreh) es ainfad zu ainem ſail vnd ſchopp das mit einem guten ſchopp— 
eyien zwijchen den jtain vnd die büchjen, jo fert er ferr. 





1) Bgl. M. 8 30 (BI. 7b des Münchener Coder 600). 2) Ebd. BI. 5a. 
2) Nach anderer Lesart „mit tannenen bißen“. 
*, Alſo je nach Umftänden, dem Spielraum gemäh. 


2. Feuerwerlerei und Büchjenmacherei. 397 


9. Od ein pühh weiter jheih don zweyerley puluer dan von 
ainerlay. — Wenn du die püchien ladejt und ſchießen wilt, jo lug, das habejt 
zwapyerley puluer vnd das du gut puluer an den boden legeit und das pöſt da= 
rauf. So jdewit du weiter dan mit ainem; wan das tut die widerwertigfeit 
paider puluer. 


10. Ob der ftain den flog anrieren jol oder nit. — Sprid) ic: der 
itain jol hert an dem Hoß ligen. Du jolt flog nemen vnd in mit ainem tuch 
bewinden vnd jolt den Floß vnter ougen brennen das tail, das gegen den jtain 
gehört, umb das, das er hert wert, vnd lad den jtain hert daran vnd verpiß und 
verihopp den wol ?). 

11. Ob das puluer jey zu tuen in die püchſen fnollenpuluer 
oder gejtoßen puluer. — Sprich ih: Des fnollenpuluers zwei pfunt mer tun, 
dan gejtoßenen puluers dru pfunt getun möchten. Aber du jolt das fnollenpuluer 
beraiten vnd maden, als in dijem puch hernach geſchrieben jtot. 

12. Wie jwären jtain ain pfunt puluers mit feiner frafit ge 
werjfen mug vnd was jein redht trag ſey. — Sprich id: ain puchß jey 
groß oder Hein, jo jolt alweg ain pfunt puluers ain neunpfündigen ftain treiben. 
Sit aber der jtain nymme jo vil, gat auch des puluers ab. 


Dabei ijt num bemerkenswert, daß, während die älteren Codices die 
6. und 7. Frage in der oben mitgeteilten Faſſung enthalten, der 
Coder von 1445 und die meijten jüngeren?) eine nicht unmwichtige 
Fortentwickelung der dort enthaltenen Vorschriften aufweifen. Denn 
es heißt da: 


6. „Ob man den Stein verbyßen ſolle oder nit? — Sprid ich, diewyle die 
Buchen vor dem pulverjaf als furk waren, wenn der jtein dar in geladen wart, 
das er ein wenig für die Buchs gieng, zu den zyten vnd zu denjelben Buchen, 
was bedurfft, das man den jtein verbißet. Aber zu den Buchen, die man 
vegunt hat (1445), die die langen Ror haben vor dem pulverjad, jo die Buchs 
eingeladen wirt mit pulver vnd mit jtein, da bedarff der jtein nichts denn us— 
ihoppens.* — 7. „Warumb der jtein in den langen Buchßen nit verpißens be= 
durfien? — Spridh id) darumb: Welhe Buchs ain langes Ror hat vor dem 
pulverjat vnd die Buchs gegoßen ift, das ſy vor dem Moglod nit mer wyt in 
hat, denn ze vordrijt daran, jo muß der jtain von not wegen getrang vnd glid) 
ligen vnd auch glich ußfarn vnd bedarff feins verpißens.“ 

Hier zeigt ſich die alte, dem 14. Ihdt. entſtammende Form der Büchſen— 
meilterfragen abgeitreift. Das neue Gejhüßmaterial mit verhältnismäßig langen 
Rohren vor dem Pulverjad [$ 58], das aus Metall in einem Stüd gegojien 
wurde, erlaubte bereitö eine vereinfachte Ladeweiſe, madıte das Verfeilen des Ge— 
ihofjes überjlüflig. 





!) Bol. M. 830 (BI, 5a des Münchener Codex 600). 
*) Nicht alle, 3. ®. nicht das Eremplar des Generalftabs von 1453, auch nicht der Anhang bes 
deutichen Vegez von 1529, wohl aber u. a. dad Manuffript Nr. 1 des Berl. Beughaufes von 1454. 


398 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte, 


Den Zwölf Fragen folgt eine furze Gejchichte der Erfindung 
des Pulvers und des Büchſenſchießens!. 

„Diſe kunſt hat funden ain maifter, hie Niger Berhtoldus. Wnd in 
gewejen ain nYygermanticus vnd iſt auch mit großer Alchymye umbgangen 
Sunder als diejelben maijter mit großen koftlichen vnd hoflichen ſachen umbgand 
mit jilber vnd mit gold und mit den ſyben metallen, alfo das diejelben maifter 
Silber vnd gold von dem andern geſchmid funnen jchaiden, vnd von kojtliden | 
jfarwen, jo jy machent. Alſo wolt derjelb maijter Berchtold ain goldfarw brennen. 
zu derjelben farw gehört: Salpeter, Swebel, Bly vnd öl. Vnd wenne er die 
ftudf in ain fuppfrin ding pradt. Vnd den hafen wol vermadet ald man aud 
tun muß vnd in yber das für tett. Albald er warm ward, jo brady der bafer 
jo als gar ze vil jtuden. Er ließ im aud maden gang goßen fuppfrin hafen 
vnd verjchlug die mit ainem yſinnnagel. Vnd wenne der dunjt nit darvon 
fommen mocht, jo prad er, vnd täten die ftud großen ſchaden. Aljo tett der 
borgenannte maijter Berchtold das ply vnd öl davon vnd legt fol darzu, vnd lieh; 
im ain Buchs gießen (!) vnd verjucht, ob man jtein damit geſchießen mödht. Wan 
es im vormals türn zeriorffen bett. Alſo vand er dieje kunſt vnd befert in 
etwas. Er nam darzu Salpeter vnd Swebel glid vnd fol ettwas minder. Um 
aljo iſt diefelbe kunſt jydmalen jo gar genau geurjucht vnd funden worden, das 
ſy an Buchen vnd an Pulver vaſt gebeiert ift worden, al® ir bie nah an 
dieſem Buch wol verjten werdent.“ 

Hieran schließen jih VBerhaltungsmaßregeln für die Büchſen 
meister ?), welche mit den Worten eingeleitet werden: „Dyſe ftud 


gehören einem yden Buchjenmaijter“. 

Dunjt und Dampf des Bulvers jchaden dem Haupte, dem Derzen und 
namentlid der Leber. Man dürfe nicht nüchtern damit umgehen und habe ſich 
bejonders vor dem Weine zu hüten. Der Meijter joll leichte und gelinde Speiſen 
genießen; denn wenn er viel mit dem Zeuge (Pulver und Feuerwertsjäge, um 
gehe, befomme er leicht das Getwang und mühe morgens und abends vil nießen 
Bor Eſſig und Eiern jowie vor harten und trodenen Speiſen ſolle er jih hüten, 
fünne dagegen genießen, was falt und feucht iſt. — Mehr noch als ander: 
Ktriegsleute habe der Büchſenmeiſter Gott zu fürdten; da er jeinen größten Feind 
immer unter Händen habe. Er jolle bejcheiden, redlich und unverzagt jein, ehrba: 
in Worten und Werfen und jich namentlich vor der Trunftenheit hüten. Notwendig 
jei es, daß er jchreiben fünne, jonjt vermöge er nicht alle Stücde der großen 
Kunjt zu behalten. 


Und num beginnt das eigentliche Feuerwerksbuch. 
Vie man Salpeter ziehen fol. Wie man ihn läutern jol. [Wie mar 
das weit jchiehend Pulver maht. Wie man gut Pulver madt. Wie man ver 


1) Nicht in allen Codices, aber 5. B. in ber Rebaltion von 1445. In andern Eremplarır 
fteht diefer Bericht nad) der Beſprechung von Salpeter, Schwefel und Stohle vor ben eigentlichen Bulver 
rezepten; jo in dem Gober bed Berliner Kriegsarchivs. *) Nicht in allen Redaktionen. Im ober de 
Berl. Kriegsarchivs folgt diefer Abichnitt 3. B. nach den Vorjchriften über die Bebienung ber Geichüt⸗ 





2. Feuerwerkerei und Büchjenmacherei. 399 


dorben pulver wieder bringen joll. Wie man bös (verdorben) Pulver von ein- 
ander fcheidet.] [Wie man gute Feuerfugeln macht, die man aus der Büchſe 
ſchießt. [Wie man einen jchredlihen Schuß tun joll, daß der Stein über hundert 
Sprünge tut. (Göllſchuß).) Wie man Salpeter ziehen joll, daß er viel befjer 
wachje ald an den Mauern. Welche Spezies (Beimiihungen) Büchjenpulver 
ihnell und jtart maden.] Wie man Salpeter gerecht fiedet und läutert. [Wie 
man ein gar meijterlich jtart und jchnell Büchſenpulver maden fol. Wie man 
noch ein beßer und jtärfer Bulver machen jol.)] Wie man Salpeter, der nicht 
genügend geläutert ijt, gerecht macht. Welcher Salpeter der kräftigjte jei. [Wie 
man für jegliche Büchſe, fie jei fein oder groß, die Steine hauen joll, daß jie 
gerecht werden. Welche Spezies die Kohle vor dem Ver erben ſchütze, Wie man 
verdorbenen Salpeter läutern joll. [Wie man den Zeug ftoßen joll. Wie man 
jede Büchſe mit Pulver, Kloß und Stein laden jol. Wie man Buchjenflogen 
machen joll.) Wie man Salz von Salpeter jcheiden fol. Wie man den beiten 
Salpeter machen jol. Wie man Mauerjalpeter läutern jol. Wie man den Sal- 
peter nach dem Sieden zum Stehen bringt. Wie man den wilden Salpeter aus 
den Bergen reinigt. — Wie man Schwefel bereiten joll, daß er zu Pulver 
und Feuerwerk kräftig und hisig wird. Welch Schwefel der bejte jei. — Wie 
man die bejte Kohle madt. — Ein gemein qut Bulver von drei Stüden. 
Wie man das allerbejte Pulver machen jol. Wie man gut Kinollenpulver und 
gute Schwefelferzen macht. Wie man Pulver von einander jcheiden joll und ver- 
dorbnes wiederbringt. [Welche Natur der Salpeter hat und welder der bejte 
it. Wie man gut Salpetrica madht, um Pulver zu fchnellen (kräftigen). Sal- 
peter an Mauern zu ziehen. Wie man Salarmoniat läutern und bereiten joll.) 
Gute und höflihe Kunſt, wie ein Meifter nachts ſchießen joll und wiſſen mag, 
wohin er geichofien Hab. Wie man einen Turm bejdiehen jol. — [Wie man 
gutes weißes, rotes, blaues und gelbes Pulver macht. Wie man gute Feuer: 
pieile madt. Wie man gut Buchjenflop madt. Wie man einen überlauten 
Shui tut. Wie man einen jiheren Schuß tut. Welhe Büchſe am weitejten 
ſchießt. Wie die Büchje am beiten liegt. Wie man eine Büchſe brechen kann. 
Wie man eine Büchfe laden und anzünden foll, jo daß man ohne Schaden davon 
fommt. Wie du dich vor der Büchje hüten ſollſt, wenn du bejorgjt, jie breche. 
Wie man Hand» und Tarresbüchjen laden joll, Wie man quten Zinnt (Zünd— 
ſchnur) ſieden ſoll. Wie man gute Pulverkugeln maden jol, Wie man ver- 
borgen Feuer machen joll, das erſt nad mehren Tagen entjlammt. [Xlehre, 
Salpeter zu faufen, der von Venedig gefommen, daß man nicht betrogen werde. 
Vie man Salniter kaufen jol. Wie man gut Schwefelöl maden fol. Wie das 
beite Oleum compofitum zu maden. Wie böjes Pulver wiederzubringen.)] Wie 
man Stangen oder Pfeile aus der Büchſe ſchießen fol. Wie man einen Hagel 
hießen fol. Wie man „jmerling“ ſchießen jol, Wie man Hauspfeile (Bolzen 
von Standarmbruiten) aus einer Büchje jchießt. Wie man Smerling mit dem 
Stein oder mit Hauspfeilen zujammen aus einer Büchje jchießt. Wie man einen 
Igel ſchießen joll unter das Boll, Wie man gewiß und gewähr aus der Büchje 
zu ichiegen lernt. Wie man aus Büchjen, die ein faljches Zielmaß haben, geredjt 


400 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte. 


und gewiß ſchießen joll. Feuerfugeln aus der Büchſe zu ſchießen. Wie man 
eine Büchſe auslaſſen joll, die lang gelegen iſt und nicht auslafjen will. Wie 
weit man mit gemeinem, wie weit mit jtarfem Pulver ſchießen mag. Daß man 
famerbuchjen nicht trauen jol, Wie man viel Klogen aus einer Büchſe mit 
einem Schuſſe ſchießen ſoll, jo daß jeglicher Klo jein bejonder Klopfen tut und 
do nur einmal angezündet wird. [Wie man einen Pfahl im Waſſer anbrennen 
mag.] Wie man aus einer Büchſe gewiß jchießen fol, Wie man Feuerſteine 
mit einer Bleide in eine Bejte werfen joll. [Wie man gute Feuerpfeile machen 
jol.)] Wie man jid) des Sturms erwehren fol. Wie man eine glühende Kugel 
aus einer Büchje jchießen joll, in Holzwerk, das fie anzündet. 

Wie man Geſchütz gießen fol. Wie aus der Kelle zu jchmelzen und 
zu gießen. Wie man Eiſen und Eifenfeilfpäne gießt. Wie man Eijen aus dem 
Erz gießen joll. (Berl. Zghs. Cod. 1.) 

„Wenn das iſt, das ettwa veintſchafft hat, vie chlain die veıntichafit 
ift, dennoch jol ji ein ydman bejorgen vnd jein veind fürchten“. (Ebenda und 
in Hoyers Handichrift von 1445 unter der Überfchrift „Trewer Rat“ ) Vorſchriften, 
wie man ſich vor Überfall zu wehren und dem etwaigen Einbrecdyer, der durch 
Untergraben die Feſte zu gewinnen jucht, mit Arjenit-Giftkugeln entgegenzu: 
treten habe. 

Wie man macht, dab ſich Wafler entzünde Wie man gut Sprengpulver 
beritelle. Wie man Sceidewafjer madıt, um Gold und Silber zu jcheiden. [ie 
man guten Schwefel madt.) Wie man ein Wafjer machen jol, damit Alerander 
das Land Agarranorum verbrannt. Wie man Gonfortet joll machen, das zu 
allem Feuerwerk dient Wie man ein fliegendes Feuer maden joll (das Colo— 
phonium-Rezept des Marhus Graecus). Wie man Feuer machen joll, das der 
Regen entzündet. Wie man ein jtarkes Feuerpulver macht. [Wie man verjuchen 
joll, ob Salniter qut geläutert jei. Wie man Salpeter läutern joll, der roh ab- 
genommen it. Wie man ein gemein Pulver madt, wie ein beſſeres, wie ein 
noch jtärferes.] Wie man guten Zunder maden jol. Wie man Eijen Härtet. 
Wie man den eijernen Teil eines Hauspfeils härten joll. 

Der jahliche Inhalt des Feuerwerfsbuches jtimmt 3. T. 
mit dem des Münchener Bildercoder Nr. 600 [M. 8 37] überein, 
bringt aber doch auch jehr viel neues. — Bemerfenswert ericheinen 
bejonders folgende Bunte: 

1. Das Pulver. 

Salpeter it ein Salz und heißt „nad Latin jtainjalg“; er ift von Natur 
„talt und truden in quarto gradu”. Der bejte ijt der glattgezapfte. Die Kauf: 
leute betrügen jehr damit und verderben die Ware mit Kocjalz und Alaun. 
Den aus Venedig eingeführten joll man genau in derjelben Weije prüfen, wie 
im Coder 600 Bl. 1 vorgejchrieben ijt. Geläuterten Salpeter nennt das Feuer— 
werksbuch gewöhnlich „Salniter“. — Lebendigen Schwefel hält der Berfalier 
für den beiten. Die Vorſchrift über Herjtellung guter Kohle ijt diejelbe wie 
die auf BI. 3a des Münchener Bildercoder. Die beiten Kohlen zu Zündpulver 


2. Feuerwerkerei und Büchſenmacherei. 401 


bereitet der Verfaſſer aber, indem er ein verjchlifienes, reingewaſchenes, jedod) 
nicht gejtärktes Tijchlafen in irdenem Gejchirr verbrennt und joviel wie möglich) 
den Dampf darin zu erhalten juht. „Dis fol ijt vber alles kol.“ 

Das Schießpulver jtellt der Verſaſſer in drei Hauptmifchungen ber, 
indem er zu je 2 Pd. Schwefel und 1 Pfd. Kohle entweder 4, 5 oder 6 Bir. 
Salpeter jegt. Die Stärke des Pulvers beruhte alfo auf der Maſſe des Sal- 
peters. — Knollenpulver wird bereitet indem das gewöhnliche Staubpulver 
mit Ejjig angefeuchtet und dann zujammengeballt und getrodnet wird. Dies 
sinollenpulver it nocd fein „gekörntes“ Pulver; es jtellt vielmehr erjt einen 
vorbereitenden Schritt dazu dar. Ein Verſuch, die beſſere Wirkung des Knollenpulvers 
zu erklären, wird nicht gemadyt. — Die Verjtärtung des Pulvers durch Salpatrifa 
und Salarmoniaf tennt das Bud) wie Bl. 2a des Münchener Eoder 600. — Das 
Gleiche gilt von der Anfertigung verjchiedenfarbigen Pulvers. — Unter mehreren 
Verfahrungsarten, verdorbenes Pulver „wiederzubringen“ führt das Feuerwerks— 
buh auch die Vorſchrift von BI. da des Münchener Bildercoder auf, will aber 
zum Anfeuchten Salpeter und Salpertifa zu gleihen Teilen in gebranntem Wein 
aelöjt verwenden. 

2. Die Verbrennungs=-Theorie. 

Diefe iſt jehr primitiver und naiver Art: „Der Salpeter mag, wann ihn 
die big ergriffet, nicht da beliben von der großen feltin wegen, jo er an jm hat. 
Der Smwebel ift von natur haiß vnd truden vnd enpfahet gern das füer. Das 
Kol behept (hegt) aber das fer. So mag denn der Salpeter by der hi nitt 
beliben. Alſo iſt es auch vmb das fedjilber vnd vmb etlich ſtuck mer, die fain 
füer geliden mugen. —“ Die Wirkung des Pulvers wird alfo in der Feind— 
jeligfeit jeiner Elemente geſucht: Salpeter und Schwefel fünnen einander wegen 
ver VBerjchiedenartigkeit ihres Charakter& nicht ertragen ; der Salpeter drängt deshalb 
hinaus. Ja nod) mehr: es ijt gut, mit zwei Sorten von Pulver zu laden, weil 
dad Gute immer des Befjeren Feind it. Man entzündet gewifjermaßen einen 
Wetteifer zwiſchen den beiden Sorten und die eine beeifert ſich die andere hinaus- 
zuwerfen. — Eine Theorie des Neides, die jo recht echt deutſch iſt! — Übrigens 
zeigt fich doc injofern ein Fortjchritt der Theorie, dab, während der Münchener 
Goder die Wirkung des Pulvers in der „rechten Brunjt und Kraft des Feuers“ 
jucht, die erjte der Zwölf Fragen den „Dunſt“ als das treibende Agens betrachtet. 
Das Erperiment, welches dieje Annahme beweiſen joll, ijt freilich keineswegs 
einleuchtend [S. 39). 

3. Der Geſchützguß. 

„Hyenach steht gejchriben wie man gyeßen jol vnd jormen .“ — „Wildu 
gyeßen puchſen oder ander dind, jo mach die form als jy jein ſchulen und jeß ſy 
in die erd vnd lab ſy darinnen jteen als lang bis plaben lohenn heraus gett, 
vnd wann du binein lugeit, das es inwendig gar rott jey vnd fain lohenn mer 
herausgehe, jo hat es jein genug; jo ſetz die fjiwrm dann aus der erd heraus 


1) Ich teile dieje Stelle wörtlich nach dem God. 1 bed Berliner Zeughauſes mit, weil jie, meines 
Wiſſens, die einzige ift, weldye den Geſchützguß um bie Mitte des 15. Ihdts. behandelt. 


Jähns, Geſchichte der Kriegswiſſenſchaften. 26 


402 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte. 


vnd laß ſy langjam erhalten; jo ijt ſy berait zum gyeßen, und grab ſy dan in 
die erden jamb ain glodenfwrm vnd tamme es gar wol zue, das nichts Pollt 
hineinfal. — Alſo gerujtu Handtbuchſen und alles Haines dinck. — Willdu 
furm machen zu großen jtainpuchjen, jo leg nad) der leng vier eyſens plech, ein 
auf ydlicher jeytten und lab die zway gegeneinander oben für die furm geen, 
vnd ydlichs jol ain vieredet loc, haben aines flainen vingers groß. Vnd das 
die pledy zwaier vinger prait jein vnd all& land all die furm, vnd leg an die 
furm vier eyſenn raif vnd mac) denn zu dem chern (Kern) ein qut vieredat yſinn 
vnd vmbwind das wid eyjinn mit einem vierfachen zwirnsfaden oder mit banf- 
werdhb vnd das vmbwindecet jey von zwirnfaden nicht jere aneinander, jo gat 
das ferneyfin gern heraus. Vnd mad inn das ferneyfin ein gut vierdödundt loc 
als die pleh, vnd mad) denn ain vierddunds eyinen rigl, der durch die Löcher 
mög gen, vnd je dann den fern in die furm vnd jtob das riglen dadurd, das 
er weder auf noch nyd muge, vnd veit jn dan gar wol mit vier neglen; vnd die 
neglen jullen innmwendig größer jein wenn außen. Wildu aber nicht mit negeln, 
jo mache ain Rayfl mit ainem eijen drat, als weit er hineinmag, vnd mad) vier 
badlein daran, vnd jeg dann die gerintmaß (Kternmafie?) ein, vnd nymm dan 
ain zwiefachen dratt vnd leg den an die baden vnd verdree es von außen vber 
einen eyfenen rigl oder cheyl, ains als vejt alS das ander vnd nymm dann die 
genntmah (?) heraus vnd je den poden ein vnd vermachs gar wol vnd eydt 
(heize) die furm aucd wol, ydlichs bejunder. Das jol vor gejchehen jein, vnd 
allererjt jeß den poden ein, als vor gejchreben jteht, vnd pindt zue der vnd berait 
die furm zujame als es jein jchol vnd lug mit fleis das die furm berait jei, das 
der nicht weich noch die gerntmaß vnd grab jy dann in die erden vnd bewahre 
die furm, das nicht einfall, und geus! — Merd wol, was du gyeßen wilt von 
großen jtuden, das mühen allein in die erden graben vnd woll vertemmen vnd 
das die furm fallt jeindt vnd wol geeytet. (Scheint fich zu widerjpredhen !) Vnd 
was du aber von Mainen dingen gyeßen wilt vnd ſcharf gefallen jchol, das jet 
nur junjt auf die erden vnd geuß es aljo.“ 

E3 geht hieraus hervor, daß große Geſchütze über einen Stern, Heine jedoch 
ohne einen ſolchen gegofien wurden, aljo ausgebohrt werden mußten. Welche 
Beitandteile zum Guß genommen wurden, geht hieraus nicht hervor; indes weiß 
man aus geichichtlichen Mitteilungen, daß für den Erzguß Kupfer und Zinn 
jowie etwas Blei in anfangs jehr wecjelnden Mijchungen verwendet wurden. 
Deutſchland jtand im Metallguß ganzer Stüde einzig da. Daß aber au Eiſenguß 
“ausgeübt wurde, lehrt das Feuerwerksbuch ausdrücklich. 

4. Die Form der Geſchütze. 

Über diefen Punkt bietet das Buch jehr wenig. Biel Mißverſtändniſſe find 
dem Umjtande entjprungen, daß der Ausdrud „ror“, welcher im 14. Ihdt. die 
Kammer im Gegenjage zum Bumbart, zum Fluge, bezeichnete, im Feuerwerks— 
buche jowohl in diefem Sinne als aud in dem von Geſchütz überhaupt gebraucht 
wird, jo daß oft jchwer erkennbar, was gemeint ijt. Im Sinne von „Geſchütz“ 
jteht der Ausdrud in folgendem Paſſus: „Sprich ich, welde buchs ror hätt, da 
das ror fünf clöger lang ijt, die buchjen find die beiten; wann die hırgen 


2. Feuerwerterei und Büchjenmacherei. 403 


(weiten) vor mögent nyndert hin in die wytin jchießen; aber die langen (engen) 
ror jchiehen wyt“ N). — Das Rohr joll in weiches Lindenholz gelagert und hinten 
mit einem Polſter von weichem Blei verjehen jein; es muß nur um eines Halmes 
Breite unterhalb der Seelenare eingelagert werden. Streng zu beachten ijt, daß 
die Büchfe in vollem Geichgewichte jtehe, ein Rad jo hoch wie das andere. Üüber 
die weitere Montierung und namentlich über die verjchiedenen Arten der Gejchüge 
iſt im Texte nichts gejagt; doc läht jich auf Grund der nicht wenigen der Feuer— 
wertsbücher beigegebenen Atlanten jowie aus anderen Zeichnungen [8 62] an der 
Hand der hijtoriihen Daten ein Bild davon gewinnen ?). 

Dan unterfhied Stein= und Xoth= (Blei-) Büchſen, und von beiden 
Hauptarten wieder große, mittlere und Meine Kaliber, deren Rohre verjchiedene 
Längen hatten. Bei Feſtſtellung der Yänge ging man vom Kugeldurchmeſſer aus. 
Man hatte erfannt, daß längere Rohre größere Tragweiten erzielten und ver: 
längerte demgemäh namentlid die Yothbüchjen ; ferner hatte man die Wirkung des 
Pulvers injoweit würdigen lernen, da man allmählid das Bodenftüd mehr und 
mehr verjtärkte. In der Folge, etwa jeit 1440, verjüngte man die Rohre nad) vorn. 

Unter den Steinbüdjen nahmen den eriten Rang ein die kurzweg ſo— 
genannten „großen Büchſen“ oder Bombarden, d. h. diejenigen, welde 
Geſchoſſe von mindejtens 1 Ztr. Gewicht jchofien. Schon vor Ablauf des 14. Yhdts. 
wurden Geſchütze jolcher Art in gewaltigen Abmefjungen vor Burgen verwendet. Bei 
einem Zuge gegen Hattenjtein 1393 werden Büchſen erwähnt, weldhe 6 bis 8 Ztr. 
Stein jchofien. Sie wurden anfangs meijt aus Eijen, namentlich) Schmiedeeifen, 
bergejtellt, oft in der Weije, dab das Rohr aus zuſammengeſchweißten Stäben 
über einen Dorn gejchmiedet und nad dem Grfalten mit heiß aufgetriebenen 
Ringen verjtärft wurde. Nicht jelten goß man die Geſchütze in mehreren Stüden, 
welche zufammengejchraubt werden mußten. Dod wurden in Deutjchland ſchon 
anfangs des 15. Ihdts. Bronzerohre von ganz bejtimmten Proportionen bis zu 
300 Ztr. Gewidt in einem Stüd gegojien. Teutichland bat immer eine be- 
iondere Vorliebe für die großen Steinbüchjen gehabt. Vom Jahre 1393 bemerkt 
die Limburger Ehronif: „Da gingen die großen boßen an, der man numme ge— 
ſehen enhatte vf ertrih von folder große vnd joldher werde“, und noch um die 
Wende des 15. und 16. Fhdts. wendete Marimilian I. derartigen großen Büchſen 
jeine Neigung und Sorgfalt zu. Es jind meijt jog. „Xegitüde“, die nur in 
wagerechter Lage gebraucht werden konnten und mit mächtigen „Anjtößen“ gegen 
den Rückſtoß verjehen wurden. — Die mittleren Steinbücdjen umfahten die 
Kaliber von 100 bis zu 25 Pd. hinab. Steine, jo „groß al® ein Haupt“ galten 
noch als Geſchoſſe Fleiner Steinbüchſen. Mittlere wie Feine Steinbücjen 
zerfielen wieder in kurze und lange. Erſtere nannte man Steinbüchjen im engeren 
Zinne oder mit einem ezechiſchen Kunſtausdrucke, der während der Huſſitenkriege 
auffam, „Haufnigen“. In Frankreich bezeichnete man fie (im Gegenjage zu den 
großen Büchſen), den bombardes, al® grosses canons oder auch furzweg als 





1) Bol. damit die Auseinanderfegung ©. 391. 
2) Ich folge bier vorzugsweije den trefflichen Unterjuchungen des Generale Köhler: Sriegs« 
weien und Striegführung der Ritterzeit IIIa (Breslau 1887). 


26* 


404 Dad XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte. 


canons, gab aber dort dieje Kurzgeſchütze (courteaus) iiberhaupt frühzeitig au, | 
u. zw. auf Jahrhunderte hinaus. Die langen Steinbücdjen bezeichnete man als 


„Kammerbüchſen“ oder (falld die Kammer beweglih war) aud als „Wögler" 
(frzſ. »veuglaire«e),. Aus Diejen langen Steinbücjen mittleren und kleinen 
Kalibers find dann die jpäteren „Kanonen“ hervorgegangen wie aus den kurzen 
Formen die „Daubigen“. 


Gleich den Steinbüchjen zerfielen aucd die Yoth= oder Klog-Büdhjen! 
je nad) der Größe in drei Gattungen. Große Lothbüchſen find diejenigen 
Kammerbücjen oder Vögler, welche nicht Steine jondern „Klotzer“ oder „Gelote”, 
d. h. Bleikugeln ſchoſſen, u. zw. von der Größe eines Taubeneis bis zu 15 Pid 
Gewicht. Sie bilden aljo den Übergang zu den Steinbüchjen, und aus ihnen 
ging das Gejchleht der „Kartaunen“ hervor. Die mittleren Lothbüchſen 
wurden frühzeitig in ziemlicher Länge hergejtellt ; aus ihnen entwidelte jich jeit der 
Mitte des 15. Ihdts. das Geſchlecht der „Schlangen“ (couleuvrines, serpentines) 


Um eben dieje Zeit nehmen Kartaunen und Schlangen eiferne Kugeln an, jo daß 
feitdem das Bleigefjhoß nur für die dritte Gattung der Lothbüchſen, nämlich für 


die Fleinjten Klotzbüchſen, insbejondere für die Handfeuerwaften im Ge— 
braud) blieb. 





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Außer den bier gegebenen Bezeichnungen verſchiedener Büchfenarten fommen 


noch manche andere vor, für welche die Art der Ausſtattung und des Wr 
brauches mahgebend war. Terrasbüchſen, Schirmbüchien, Wagenbüchſen, Nenn 
büchſen, Jagdbüchſen, Ribalde Ribaudequins) u. j. w. Unter „Zerrasbüdien“ 
werden jolche Büchjen verjtanden, welde vom Walle (Terrafie) aus oder in den 
die Thore bejtreichenden Bollwerten gebraucht wurden. Es waren das teils lange 
Stein-Kammerbüchſen oder Vögler, teils große Lothbüchſen (jog. Schirmbüchien 
und daher ijt der Ausdrud „Terrasbüchſe“ oft überhaupt im Sinne eines mittleren 
Kalibers gebraudt. Eine Wagen- oder Karren-Büchſe konnte ebenjoqut 
eine Steinbüchje Fleineren Kalibers als eine lange Lothbüchſe fein. 

In den dreißiger und vierziger Jahren des 15. Ihdts. bemühte man ſich 
Geſchütze für den hoben Bogenwurf zu fonjtruieren. Man fam dabe 
zunächſt (wegen der levationsjchwierigfeiten) darauf, den Flug ſenkrecht 
zu jtellen und die Kammer im rechten Winfel dazu wageredht anzujegen. E— 
iind das die jo befremdlich dreinichauenden Elbogen= oder Winkelhaken— 
Geſchütze (code). Dann erjt erjcheint die ganz kurze Bombarde, der Bölleı 
oder Mörjer. Dieſem und der Haubitze verblieb der Stein ala Geſchoß. 


Die koniſche Form der Geſchützrohre, welche zu Anfang des 15. Ihts 
auftam [$ 57), war eine vorübergehende Erjicheinung, von der jich daher aud nın 
wenige Eremplare erhalten haben. Sie hatten ſich bald als unpraftiich erwieſen 
— Die beweglidhen Kammern der jog. „Bögler“ kennzeichnen dieje als how: 
entwidelte Hinterladergejhüte. Sie hatten den Borteil, daß man für gejchwindes 
Schießen eine größere Anzahl fertig geladener Kammern bereit halten fonnte, die 


) früher bezeichnete der Ausdruck „Klotzbüchſe“ den römertergenartigen Mebrlader [M. & 35 


2. Feuerwerkerei und Büchjenmaderei. 405: 


nur eingejegt zu werden brauchten, und außerdem gejtatteten fie, mit verjchieden 
itarten Ladungen zu ſchießen, da man jie beliebig zu vergrößern vermochte. 
Bei einigen Formen konnte aud die Kugel von hinten eingejeßt werden. Dieje 
Vögler waren übrigens keineswegs nur fleinere Geſchütze; es gab Kammern 
von 38 Pd. Gewicht für Vögler. Der Verſchluß der Kammer erfolgte 
durch einen eijernen Keil, der gewöhnlich Hinter dem Boden der eingejegten 
Kammer durd) Ausschnitte in dem Blod der Lande oder ded Kammergehäuſes 
feſtgeſteckt wurde. 

Mit den langen mittelgroßen Lothbüchſen war man zum direkten 
Schuſſe übergegangen, und bald wurden jie, obgleich fie meist unter der Be- 
zeihnung „Terraßbüchſen“ vortommen, das beliebtejte Feldgeſchütz. Seit 
etwa 1430 erjcheinen fie und die Haufnigen gejondert auf Karren oder befonderen 
Lafetten. Sie waren mit einem Richthorn verjehen, in deilen Köcher der Schwanz 
der Lade mitteld eines Bolzens für eine bejtimmte Erhöhung fejtgejtellt wurde. 
Die Heineren Kaliber lagen unmittelbar auf Rädern, die mittleren auf Wagen 
und Karren. 

5. Die Geſchoſſe. 

Über die gewöhnlichen Kugeln von Stein, Blei und Eijen it 
bereitS gelegentlich der Gejchütarten geiprochen worden. Die Anwendung eijerner 
Kugeln war in Ftalien früher üblid als in Deutſchland. Bier bemerkt noch i. J. 
1454 der Cod. 1 des Berliner Zeughaufes: „Wildu jchyehen mit eyſenen chugeln, 
jo vmbgyeh jie vor mit pley als groß als ſy fein füllen. — Wildu gut pley 
hugel maden, jo mad ſy leng dann jy düd find.“ Das wären alſo Langgeſchoſſe! 
Zum Brecelegen umſchloß man die Steintugeln jpäter mit eifernen Kreuzen, 
damit fie nicht zerichellten. Früher bediente man ſich zu gleichem Zwecke gern 
großer Bolzen bis zum Gewichte von 200 Pfund (carreaux oder quarraux). 
Das Feuerwerksbuch jagt darüber: „Wiltu jtangen oder pfil v8 buchſen jchiehen, 
jo lade die buchs die dru teil mit pulver ond mad einen linden flog vs laym 
(Lehm) . . . . Bnd ſpitz die ftangen als jy für den klotzen geboren in das ror 
d. b. ftede die Stange mit dem Ende in den Lehmklotz). Vnd flag obenan (an 
der Mündung) ein hulgin weyten (eine Scheibe) zwijchen die buchs vnd die jtangen 
ſo daß dieje alfo durch die Mitte einer falibermäßigen Scheibe führte). Vnd 
mad ein jtul (Gejtell vor der Mündung), der ſich las Hoc) oder nyder treiben. 
Ind leg die jtangen darauff, das ſy der buchs gleidhlag (in ihrer Richtung). 
So mag denne die ftange glid von der buchen gehn.” — Seit Vergrößerung der 
Steinbüchjen, welche die Anwendung relativ geringerer Yadungen gejtattete und 
damit die Gefahr des Zerjchellens der Steinkugeln minderte, traten die Bolzen 
in den Hintergrund, dag Gewicht der Kugel erjeßte den Verlujt an Gejchwindigtfeit. 
— Als Brandgefchofie dienten Feuerfugeln, Feuerpfeile und glühende Kugeln. 
Die Steigerung des Haliberd der Steinbichjen fam dem Werfen der Feuer— 
tugeln jehr zu jtatten und fie wurden bei den Belagerungen oft in großem 
Mapitabe benugt. Unter den Vorſchriften für ihre Herjtellung iſt eine der be- 
merfenöwertejten diejenige des vom Anfang des 15. Ihdts. herrührenden Cop. 
1481a des Germanifhen Mujeumsd. Um die „burfkugel“ zu maden, wird das 


406 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte. 


Rulver mit Branntwein genegt, damit es fich beiler „pollen“ läßt; dann wird 
es zur Kugel geformt, dieſe in ein Luder gelegt und das Ganze fejt mit einem 
eifernen Brandfreuz umgeben. Nun erhält das Geſchoß einen Überzug von 
Schwefel und wird auf Halbteil mit einem Pfriem durchſtoßen. Dahinein kommt 
Duedfilber und dann der Zünder, und jobald diejer in Brand geſetzt it, muß 
die Kugel jofort geworfen werden, damit jie dem Schügen nicht „den Hals ab- 
ſtoß“. Man mag aud) fauftgroße „eyjenin knollen“ in die Kugel tun, „jo tottes du 
dejter mer leutt.“ — Die Entzündung einer Feuerkugel beim Schießen aus Büchſen 
geichab, indem man den, Ladung und Geſchoß trennenden, Klotz dDurchbohrte, um jo das 
euer durhichlagen zu lafien. — Bon Feuerpfeilen werden drei Arten be 
ſprochen; einige entzündeten ji von jelbjt, andere wurden vor dem Abſchießen 
angejtedt. — Über das Glühendmachen der Steintugeln in Saltöfen 
geben jchon die Reim-Handicriften der Ambrajer-Sammlung Nachrichten [S 57. 
Für die betreffende Behandlung eijerner Kugeln bringt der Cod. 1 des 
Berliner Zeughaujes folgende Anweijung: „Nym ein gutten pleypuchjen, d. i. ein 
tarraspüchjen, die ein chugl jcheuft y größer ye peher, vnd haik dir machen ain 
eyjen chugl, die nor gar gerecht in dy puchien jey, vnd laß ſy wol ausglüben, 
das ſy weys werd, vnd tue dor ainen veuchten hadern hinein vnd tue dann die 
hugl mit ain zanger oder mit ain chlupper in die puchjen vnd zünd bald an.” 

Mit den Steinbüchjen führte jih der Hagel als Geſchoß ein, welcher aus 
Kiejeljteinen bejtand. Das Feuerwerksbuch fragt: „Wie man Hagel jchiehen joll? 
Mache einen harten Klotz, halb jo kurz als er breit ijt und lade ihn gleich in 
die Büchje; lade vier Steine an den Kloß jo, dab jie ihn nicht anrühren und 
ihlage „wolgeberten“ Leim dazu, der mit porrx, mit Viol, mit Salz und mit 
Ruppillenjaft wol gebert ift, und jtoß dann viel Steine in Größe der Gier 
hinein, dab die Büchſe voll werde, und made ſie mit dem obigen Leim zu, und 
ſchlag alles mit einem Treiber jejt aufeinander“. — Der Berliner Zeughauscoder 
Nr. 1 erwähnt neben dem Schießen von Hagel auch das von Smerling, obne 
daß recht Far wird, worin der Unterjchied beſteht. „Schmerlinge“ find Heine 
Lerchenfalten. (Bgl. den jpäteren Ausdrud „NRebhühnermörjer”.) — „Einen 
Igel zu ſchießen, lade die Büchje ſtark mit einem Klotz und laß dir ein Eijen: 
bledy vor den Klotz machen, von gleicher Breite mit ihm; dann nimm jo viele 
Eifenjtüde, als du verichießen willjt und lade jie hart an das Blech, das vor 
dem Kloge ijt. — Mehr Klötze aus einer Bühje zu ſchießen, dak 
jeder jeinen eignen Knall gebe, und doch nur einmal anzıw 
zünden: Tue foviel Pulver in die Büchſe, als einer der Klöge lang ift, ſchlag 
den Kloß (der von Eifen oder Blei it) auf dies Pulver, dann wieder io viel 
Pulver und wieder ein Klo bis die Büchje voll it. Durch jeden Klotz läuft ein 
Blechröhrlein, dab das Feuer von dem einen zum andern kommen fann. Die Yücer 
jollen jo groß jein als eine Spindelipige ; dadurd) wird Pulver gelaſſen und eine 
Schwefelkerze hineingejtedt. Zündet man es an, jo klappt einer nad) dem andern 
heraus“. — Um bei Nacht mit Leuchtkugeln zu jchiehen, zerläßt man 10 Fi». 
Harz, 1 Bid. Unjchlitt, taucht den Stein hinein und wirft ihn dann in Schieh- 
pulver, das daran hängen bleibt. Mit diefem Stein wird geichofien. 


2. Feuerwerkerei und Büchſenmacherei. 407 


b. Geſchützbedienung. 


Die älteren Abjchriften des Feuerwerksbuches jchildern die Ladeweiſe 
nod ganz in derjelben Art wie der Münchener Eod. 600, nur die Abmejjung 
der Ladung nad Fünfteln der Rohrlänge tritt in den Hintergrund gegen den 
Vergleih mit dem Kugelgewicht; auch wird der ehemals zwijchen Klog und Pulver 
vorgefchriebene freie Raum meist nicht mehr verlangt: ein Zeichen, daß das 
Fulver beifer wurde. Es wird davor gewarnt, den Klotz vor das „ror“, d. h. 
vor die Kammer vorjtehen zu laſſen. Daß das Berfeilen (verpißen) der Stein 
hıgel allmählich aufhörte, habe ich jhon oben S. 397 Beſprechung der Büchſenmeiſter— 
fragen erwähnt. Um die Mitte des 15. Ihdts. fcheint man aber aud das Ver: 
ipunden der Kammer aufgegeben zu haben. Die aus diejer Zeit über- 
bliebenen genauen Berzeichnifie des Ladezeugs führen keine „Klötze“ (Ladepfropfen) 
mehr auf, jondern an ihrer Stelle „Spiegel“ (flache Sceiben), und dem ent- 
iprehend ſind auch die zum Verſpunden nötigen Eintreiber und Schlegel aus den 
Liſten verſchwunden. Übrigens wurde ſogar ſchon ohne Spiegel geladen. Cod. 1 
des Berliner Zeughauſes lehrt über das „Laden der Hand- und Tarrasbüchſen“: 
„sit das die puchs ain abſatz hat, jo fülle ſye mit dem puluer alls ferr als der 
abſatz iſt; aber das ſy anen (ohne) abſatz hat, ſo füll ſy bas auff das vierd oder 
funfft thayl. Wan du ſy gar hart laden wild, ſo ſlag dann die chugl hinein 
pis auff das puluer vnd ſcheuß“. 


Wenn die Büchſe losgebrannt werden ſoll, ſo ſtößt der Meiſter 
einen Pfriemen durch das Weydloch bis auf den Boden durch das Pulver. Dann 
nimmt er das pulvis currasive, das er bei ſich haben muß, ſchüttet es dem 
Piriemen nad und füllt dag Weydloch damit an. „Dies Loßpulver ijt jehr heiß 
und ſcharf und entzündet das andere Bulver jehr geihwind . . . Aber oben auf 
das Zündpulver jollit du träges Pulver legen, damit du davon fommen kannſt.“ 


Der Zeughaus-Codex Nr. 1 lehrt au, wie mit falſchgegoſſenen 
Bühjen rihtig zu [hießen jei: „Laß dir ain holz machen von einem be— 
hennten tyjchler, das in der puchjen pulverjad gerad einleg vnd nad dem liniall 
oder dem gerechticheut geleich jy, vnd jtoß das in den puluerjad, das es hinten 
annjtehe vnd vorn geleich ſey. So nym ain zirdl vnd jeß den gleich auf dag 
holz, daS du die puchs danad) gleich abzwedeit, jo ſcheußt gleich“. 


„Willſt du einen jhredenden Schuß tun, daß der Stein über 
hundert Sprüng tut, fo nimm Schreeg-PBapier (?) und leim das auf: 
einander, jo groß der Klog jein joll, und jchlage den Klog nicht auf das Pulver 
und auch nicht ganz in das Rohr der Büchfe hinein, und lade den Stein vor 
den Klotz, verbiß ihn und verihopp ihn jo, daß die Büchſe nicht über den Stein 
binausragt, jo tut er nach dem Abfeuern über hundert Sprünge. — Willſt du 
ihnell einen Turm niederjhießen, jo mußt du einen guten Quadranten 
haben und die Menjur verjtehen. Zwei Mannshöhe über der Erde mußt du 
alle Schüffe auf eine Stelle des Turms bringen. Die Steine, die du ladejt, jollit 
du mit guten eifernen Reifen freuzweije binden. Dies wird den Turm bald 
niederwerfen.“ 


408 Da® XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte. 


T. Feuerwerfäförper. 

Eine Münchener Abjchrift des Feuerwerksbuches (cod. germ. 399) bringt 
auf BI. 13a die jehr intereflante Darftellung einer Rakete u. zw. mit beige- 
jchriebenen Erflärungen, die jedoch 3. T. in Ehiffern abgefaßt find. — Der ge 
wöhnliche Tert des Feuerwerksbuchs lehrt wie folgt „Fliegendes Feuer“ zu 
bereiten: „Nim ain tail colophonia, d. i. kriechiſch Harz, und zwai tail lebendigs 
Swebel vnd dru tail Salniter; das rib alles gar klain, vnd rib es darnadı mit 
ain wenig linfatöl oder loröl, das es darinnen zergehe vnd werde als ain fon- 
fect, vnd tu das in ain aichin Rore, die lang jye vnd zund es an vnd blas in 
das Ror, jo fert es, wohin du das Ror fereft und verbrennt, was es begriffet“. 

Das Feuerwerksbuch jchließt in der alten Leipziger Handjchrift 
mit folgender moralischer Betrachtung: 

„Alter an (ohne) weyfheit, weifheit an werd, hoffart an reichtum, reichtum 
an err, gewalt an genadt, adel an dugent, herrichafft an lant, jtett an geridt, 
volf an zucht, jugend an fordt, frawen an ſcham, geyftlid ordnung an fryd, dy 
czelb elff ftuc, bringen der werlt ongelud. Ich Hoff!“ 


S 60. 

Es ijt bezeichnend für die Achtung, im welcher die deutſche 
Büchjenmeifterei jchon im 15. Ihdt. ftand, daß das Feuerwerks— 
buch jehr frühzeitig ins Franzöſiſche übertragen wurde. Oberſt 
Fave, der Adjutant Napoleons III., jagt im 3. Bande der Etudes 
sur le passe et l’avenir de l’artillerie (p. 138) unter der Über- 
ichrift: »Le plus ancien traite d’artilleriee: — »C’est à la pre- 
miere moiti6 du XV. siecle que parait remonter le plus ancien 
trait6 d’artillerie, qui nous soit parvenu. Il est contenu dans 
un msct. de la bibliothöque imperiale (no. 4653) ayant pour 
titre: Le livre du secret de l’artillerie et de canon- 
neriee. — Offenbar hält Fave dies Werf für em franzöftiches 
Original; aber es ift eine einfache Überjegung des alten deutjchen 
Feuerwerksbuches. 

Die Abweichungen, welche hie und da vorkommen ſind ſehr gering; am 
bemerkenswerteſten iſt vielleicht der Umſtand, daß die „Zwölf Fragen“ auf elf 
beſchränkt ſind. Die erſte der „Zwölf Fragen“ ſei hier beiſpielsweiſe franzöſiſch 
mitgeteilt: »La première question est assavoir si le feu qu'on mect dedans 
une bombarde, canon ou aultre baston de canonnerye bonte et faict saillir 
la pierre du diet baston ou si la vapeur yssue du feu a cette vertu et 
puissance. Mais l’auteur dit que c’est la vapeur qui sault du feu, et 


donne cette exemple. Prenez une livre de bonne pouldre, laquelle mectez 
dans une vaisseau devant une tonne de vin qui soit tellement et si bien 


2. Feuerwerkerei und Büchſenmacherei. 409 


estoupp& que nulle vapeur n'en ysse sinon par ung petit pertuis qui y 
sera faict, par lequel vous boutterez la feu au dict vaisseau, mectez-y le 
feu, incontinant et soudainement il s’alumera en la dicte pouldre et la 
vapeur qui yssera du dict feu rompera le dict vaisseau et non pas le feu«. 

Gedruckt wurde diefe Übertragung des Feuerwerksbuches unter dem Titel: 
»Petit traict& contenant plusieurs artifices de feu, tres-utile pour l’estat 
de canonnerie, recueilly d’un vieil livre escrit à la main et nouvellement 
mis en lumiere«, ald Anhang eines 1561 zu Paris herausgegebenen Livre de 
canonnerie et artifice de feu. Der Traftat hat nur Heine Änderungen erfahren, 
um ihn etwas zu verjüngen, und die Einleitung ijt an die Spitze des Gefamt- 
werkes gejtellt worden. 

Die Überjegung einer verbejferten und verkürzten Umarbeitung 
Des Feuerwerksbuches war unter dem Titel Livre de l’operation 
du feu dem dem Könige Louis XII. gewidmeten Eremplare des 
Art de la guerre Herzogs Philipp von Eleve [S. 340] angehängt; 
in den verjchiedenen Verdeutjchungen desjelben ift jie aber begreiflicher- 
weiſe fortgelafjen worden; man bejaß ja bei uns das Original. 


8 61. 


Die erjte bedeutende jelbitändige Arbeit jeit dem Entjtehen des 
alten Feuerwerfsbuches it die ti. 3. 1471 von Martin Mercz ver: 
faßte „Kunjt aus Büchjen zu jchießen“, von der ſich ein Eremplar 
von 1471 in der Bibliothek des F. Z. M. von Hauslab zu Wien be 
findet (m. 8. 3)?), während ein zweites von 1475 in der Hof und 
Stat3bibliothef zu München aufbewahrt wird ?). — Mercz (Mers, 
Merz) war ein von jeinen Zeitgenofjen hochgeitellter pfälziicher Meiſter. 

Titel und Einleitung fallen zujammen und lauten in dem Münchener Coder: 
„Hie hebt fih an ain bewerte warhafte funjt, die aus den pürcjen 
zu ſchießen faft enttlih wol dient. Wer die, wie hernach gejchrieben, 
thut anjehn, der mag an zweiffl dejter getröjtlih vnd fröhlich mit den pürcjen 
handeln, ſich auch ed gänzlich darauf verlaßen; wann dardurd all maß der 
ezile zu vinden ift, all abſchuß abzulegen vnd all ſchuß aus ieglicher leger- 
buchien zu empfahen .. ..“ 

Merk arbeitete bereit3 auf mathematijcher Grundlage, von der aus er be- 
jonders das Zielen zum Gegenjtande einer etwas breitjpurigen mit vielen 
Zeichnungen verjehenen, doc keineswegs Marverjtändlichen Darjtellung machte. 
Zum Richten hatte man ſich urfprünglich des jog. „Orundbrettes“ bedient, d. h. 


ı) Jetzt Bibl. bes Fürften Liechtenftein (Roßau). Hier geht Merk’ Abhandlung eine Abſchrift des 
Freuerwerlöbudes voraus und ein Anhang über fFeuerwerferei ſchließt auch wieder ab. 

7, Es ift das ein Sammelband, der in feinem erften Teile Abbıldungen von Büchſen und Ktriegs⸗ 
gerät, im zweiten das Feuerwerksbuch, im dritten endlich (S. 60—101) des Merk’ Schießkunſt bringt. 


410 Das XV, Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte. 


eines in zwölf gleiche Teile geteilten Vierteltreifes, der mit dem einen langen 
Schenkel auf die innere Fläche des Rohrs gelegt ward und jo zur Beitimmung 
der Höhenrichtung diente. Das Inſtrument war ımförmlid und jchwer zu band- 
haben, und jo trat allmählich an jeine Stelle der i. J. 1450 von Purbach er: 
fundene Quadrant, der in Heineren Abmejiungen aus Metall hergejtellt wurde, 
Stala und Bleilot aufwies und zugleich vermittelit feines Fußes und des darin 
befindlichen Viſierloches zur Bejtimmung der Mittellinie des Rohrs und jomit zu 
genauerem Richten geeignet war. Mercz widmet der Bejchreibung des Quadranten 
einen ganzen Abjchnitt. Aber er fennt und erläutert jogar bereits ausführlich 
einen Gejhügaufjag und deſſen Gebrauch, ohne dab er jedod mit diejem 
Inſtrumente Anklang fand; denn auch im 16. Ihdt. noch wird faſt ausſchließlich 
der Duadrant beim Richten verwendet. — Mercz gibt Anweifung, Kernmah und 
Mitte der Büchſe zu finden und bietet Jeihnungen der Schußlinien: 
„Mit diejer Rißen anzeigung thujt du aus allen bürcjen ire tragweite zu den 
czilen, d. i.: den geftredten ſchuß (direft), den furczen ſchuß (Wurf), 
und den vngeraden ſchuß (Mollen, Göllſchuß)“. Außerdem bejpridt Mercz 
auch noch den Prellſchuß, indem er auseinanderjegt, wie er bei Geroldseck 
„mit einer nothpüchſen vbered jchießend die palas treffen möge“. — Die Ab- 
handlung jchliegt mit den Worten: „Vnd ich Martin Mercz in den nachgeſchrieben 
tzwain Jarn nad) Xge geburt taujend vierhundert im LXX vnd LXXI jarı . 
hab ic; Hundert XXVIJ tunnen pulver aus großem werd ſelbſt verſchoßen, 
ſolche vorgejchriebne funft mit gantzem fleiß gemujtert vnd durchgründt ..... Vnd 
ee vor vil mer ſolche kunſt vberal in mir jelbjt gemujtert hab vnd mir gank 
auff Wißenſchafft gebn hab. Doch jej imm gott am letsten gelobt. amen.“ — 
Diefe Bemerkung zeigt wie ausgebreitet Mercz’ Praris war, und dem entjiprady 
jein Ruf: Herzog Ludwig von Landshut jandte 1475 jeinen Zeugmeifter nach 
Amberg, um bei Mercz die Kunſt zu lernen „mit dem großen werd jeuer zu 
werffen“. 

Zu Amberg an der Stadtpfarre iſt des Meiſters Grabmal noch 


erhalten . 

Bedeckten Hauptes, das rechte Auge mit einer Blende verklebt, ſteht er in 
einem verbrämten Oberrocke mit geſchlitzten Armeln betend auf einem Kanonen— 
rohre. Das Wappenſchild rechts zeigt einen Baſilisken, das links ein Geſchütz, 
deſſen Lafette weſentlich denen in Maximilians J. Zeugbuch gleicht). Auf dem 
Stein rechts der Figur ſtehen einige lobende lateiniſche Hexameter, links aber 
folgende Worte: Anno domini 1501 jar am tage vitalis iſt verſchieden der erber 
maijter Martin Mercz, Büchjenmaijter, in der kunſt mathematica, Büchſenſchießens, 
vor andere berühmt, der fein herz vnd wergf allweg zu aufnemen der Pfalz vor 
andere Fürſtenthumb bis an fein end gejegt vnd getrewlid gedient. Des Tele 
Gott genedig vnd barmherzig ſeyl“ — Es ift das wohl das ältejte Denkmal, 

ı) Abbildung und genaue Beichreibung des Denkmals in Eſſenweins Quellen zur Geſchichte 
ber Feuerwaffen ©. 57. 

2) Würdinger jchreibt dem Merk die Erfindung ber Wanbdlaffete zu; das Geihüg im Wappen 
aber ift mit einer Blocklafette dargeftellt. 


2. Feuerwerkerei und Büchjenmacherei. 411 


das einem Artilleriften nicht nur in Deutſchland jondern überhaupt in der Welt 
geſetzt worden tt. 


S 62. 

Dies jind die wichtigiten Werke der artilleriitiichen Literatur des 
15. Ihdts. Was jonjt noch vorhanden it, läßt jich in zwei Gruppen 
jcheiden: die eine bildet den Übergang der Bilderhandichriften zu den 
eigentlichen Artilleriebüchern ; die andere jet ſich wejentlich aus pyro- 
technischen Rezepten zujammen und berührt jich mit den Schriften 
über Alchymie und Medizin. 

Unter denjenigen Werfen, welche den Übergang von den frieg& 
wiſſenſchaftlichen Ikonographien zu den Artilleriebüchern 
herſtellen, wären nicht wenige der früher erwähnten Handſchriften 
des Feuerwerksbuches aufzuführen. 8 59). 

Eine Sammlung vortrefflicher Gejhüsgdarjtellungen mit Bei— 
jchriften von der Hand Hans Formfchneiders (dev 1440 Bürger 
in Nürnberg wurde) bejigt in dem cod. germ. 734 die Hof- und Stats- 
bibliothef zu München u. zw. in unmittelbarer Verbindung mit 
dem alten Feuerwerfsbuche !). Die Beweggründe, welche den Forms 
jchneider zur Heritellung diejes Werkes veranlaßten, jegt er in der 
Zueignung desjelben an einen Herrn Wagmeijter folgendermaßen aus— 


einander: 

„stem lieber her wagmeijter: dije ſtück hab ich eud) gemacht mer auff fürs 
drung ewer gnedigen herren dan von dez gel wegen; darumb bitt ich euch 
freuntlihen vnd fleihiglihen mit ganczem ernit, Jr wölt eud) dije jtüd empfohlen 
lagen jein vnd im rechter guter hut Halten, als ich jie gehalten hab in meiner 
hut wol xxx jar in nürnberg. Man tu euch dan darvmb aud) qutte gnüg, aber 
ombjunjt anzuhenken jult ir nit tun; auch halt ich euch zu weiß darzu, daz ich 
hoff vnd traw, daz ir ſy halt in maßen als ich jy dan gehalten hab biäher.. . 
Johannes Formjneider, Bücjenmeijter und gutter abenteurer.“ *) 

Das Werk bringt übrigens auch ein Rezept von Martinus Mercz 
und einen Schlüffel zu deſſen Geheimjchrift. 

Unmittelbar auf Martin Mercz jcheint der Codex M. S. 4 der 
Bibl. Hauslab-Liechtenjtein in Wien zurückzuführen, der "betitelt tt 
„Artillerie Zeug. 1479". 

Der Charakter der Zeichnungen ift demjenigen der Zeichnungen von Mercz’ 
Schießkunſt in derjelben Bibliothef engjt verwandt und das Papier hat dasjelbe 





1) Das Feuerwerlksbuch füllt den Eoder bis ©. 59, Formſchneiders Zeichnungen bis ©. 151. 
*) „Abenteuerer” = einer ber jeltjame, gewagte und gefährliche Dinge (hier Feuerwerle) an— 
richtet. Val. Grimm, Wörterbuch I, 27. 


412 Das XV. Jahrhundert. IL. Fachwiſſenſchaftliche Werte. 


Waſſerzeichen. Vielleicht gehörten beide Handichriften urjprünglic zufammen und 
jind erjt von einem jpäteren Beſitzer getrennt und jelbjtändig gebunden worden !). 

Es jind kolorierte Handzeichnungen ohne Tert, die von ſehr geübter, ja 
fünjtlerifcher Hand hergejtellt find. Sie jtellen dar: Doppelhaken auf eigentiimlich 
fonjtruiertem Hatenbod. Handbüchſe mit Abjehen und Fliege (Bifier und Kom). 
Feldgeſchütze und Orgelbüchſen (darumter auch jolche zum Kreuzfeuer), teild auf 
zweirädrigem Gejtell mit Wagendeichjel, teils aufgeproßt. Geſchütze auf Blöcken 
und Drehrahmen mit mannigfaltigen Borrihtungen, um unabhängig vom Gejtell 
Erhöhungswintel und Seitenrihtung zu ändern. Mörjer mit der Inſchrift: 
„Bespafian Ano 1479 Jar“, und dem bayeriihen Wappen. Hebezeuge. Anjtöhe, 
d. h. Hemmvorrichtungen (Verpfählungen und Sandkajten) um den Rüdjtoß auf— 
zubalten, da man wähnte, dab der Rüdjtoß der Treffſicherheit empfindlich jchade. 
Beweglihe Sturmhütten für Büchſen. Blendungen (Schlagthore) für Batterie= 
geihüg. Sturmzeug und Ballifadenbreder. Leitern und anderes Steigzeug. 
Kugelleeren, Munition, Zwei befejtigte Schlöffer, darunter einen Burgjtall primi= 
tiofter Form), Vorrichtung zum Überbrücden, Brecheifen u. dgl. 

Nahe verwandt tjt eine Heidelberger Handichrift (cod. pal. 
germ. 130): „Der Gezewg mit jeiner Zugehorunge Sc 
Vlreuch Beßniger zu landshut vnderjtande den in ordnung gebracht. 
Wan, wa vnd und wie auch der jovil der jeyen flarlichen wihen 
hiebernach auff das kurziſt begriffen aufgemerft hab“. — Sehr viel 
beſſer als der arge Stil diejer UÜberjchrift find die vortrefflichen 
farbigen Darjtellungen. 

Die auf dem Titelblatte dargejtellte „Dawbtpuchje“ trägt die Bezeichnung 
1489, und aus diejem Jahre jtammt vermutlich auch die Handſchrift, welche 
offenbar ein Zeughaus-Inventar, eine Art kurz raijonnierender 
und illuftrierter Katalog ilt. Die Abmefjungen der Urbilder ſcheinen in 
ziemlich genauer Verjüngung wiedergegeben zu jein. — Folgendes bildet den 
Inhalt: 

„Modlirung (Kaliber). Mueter (Lade, Lafete). Wallger und Wagpaum 
(achtedige und runde Hebebäume und Walzen). Zug dem Zewg gehornde. (Hebe— 
zeug). Zugjail. Hagken-Ladzewg. Formitod, darüber ain ladung vnd Spiegel 
gemacht iſt. Spiegel. — Wolgeruft Wagen (Sattelwagen). Radſchuch. — Mörier. 
Fewrpüchſen auf ain Wagen. Staintugeln zu vorgemelten großen und Heinen 
puchjen. — Win Schlangen vnd zwo Tarraſpuchs. VI Streitwagen zu hagfen- 
puchjen. Drai Streitwagen (mit 4 bis 6 mittelgroßen Rohren). VII Streit: 
farren Stainpüchſl auflign (Feldgeſchütze leichten Kalibers) VI Streittarren Bley: 
puchſen. Hawen (Haden, Geſchützzubehör). — Gefaßt podhpüchien (kleines Kaliber). 
Ledig Pockhpüchſen. Hagtnpuchſn (noch ohne Luntenhahn). Handtpuchſen, jo im 
kaſten ſein (geſchäftete Feuerrohre ohne Haken). Alte Handtpuchſe.“ Dieſe 

1) Bol. Schneider: Die Bibl. ©. Erz. des Feldzeugmeiſters Ritter v. Hauslab (Mitteilungen 


des t. k. Urtillerie-Eomites. Wien 1868). 
2) Reproduziert von Würbinger im Artitel „Burg“ des Boten’ihen Leritons II, ©. 155. 


2. Feuerwerkerei und Biüchienmacherei. 413 


ältejten Formen find cylindrijche mit einem Meinen vorjtehenden Kopfe verjehene 
Rohre: 6 bis 8 Zoll lang und 1 Zoll did. In einer hinten um das Rohr ge= 
legten jtarten Blechbüchſe jtedt ein vierfantiger nah hinten ji) verjüngender 
Stiel, der dreimal jo lang ijt als das Rohr. Bon joldyen urtümlichen Handbüchſen 
unterſcheiden ſich die ältejten der bier dargejtellten Hafenbichjen nur dadurd), daß 
jie größeres Kaliber und demgemäh einen Hafen zum Auflegen und zum Brechen 
des Rüdjtoßes hatten. Nach dem eijernen Stil, mit welchem dieje „ledigen Rod: 
oder Hagken-Puchſen“ gewöhnlich verfehen waren, wurden fie wohl auch, im Gegen— 
laß zu den gejchäfteten Nohren jüngerer Konitruftion, kurzweg „Stilhaten“ genannt. 

An diefe Darjtellung der Waffen fchließt fich diejenige der Munition und 
einiger anderer Dinge: — „Was vor Saliter, Swebel, Bed im fajten ift. Was von 
vbergoßen kugln, befchlahende kugln, auch Mopn im kaſten find. Vbergoßn kugln. 
Eyſen ſhlahund kegl (eylinderförmige Geſchoſſe, die oben unten und in der Mitte 
mit Stacheln bejegt und offenbar mit Hagel gefüllt find) — Alt Klopn (würfel- 
jörmig), New Hopn (dögl. aber Hleiner zu Hakenbüchſen) ). — Hulpeinladung 
(hölzerne Kartufhen, Patronen). Meßein Scheybn, jo nicht in zugen jein und 
floben, jo nicht fcheyben haben (?). Was von bereytem fewrwerch, jpießen, töpffen, 
pfeyle, gſchifftn, vngſchifften eyſn im faften fein. Was von hawn im zemwgfajten 
ift“. Ketten, Drifchel, Leitern, Wagen, Schlöffer u. dgl. m. 


Überjichten von Materialbeitänden, wie diejer „Gezewg“ 
Beßnitzers finden fich mehrfach vor; jie ſowie die Nechnungen vieler 
Städte dienen unzweifelhaft wejentlic) dazu, das Artilleriewejen des 
15. Ihdts. jeinem ganzen Umfange nach fennen zu lernen. Da jie 
jedoch im allgemeinen weder durch Darjtellungen noch durch Be— 
jprechungen erläutert jind, jo mangelt ihnen der wiljenjchaftliche 
Eharafter, der ihre Aufnahme in dies Werk rechtfertigen würde, umd 
es muß genügen, ganz allgemein auf einige der intereſſanteſten hin— 
zuweiſen. 

Zeughaus-Inventar, Muſeriebuch u. ſ. w. von Braun— 
ſchweig, abgedruckt in den Chroniken der deutſchen Städte. Ausgabe 
Hegel. VI. 

Inventar der Feuerwaffen der Stadt Münden a. d. Weſer 
von 1461 (fol. 66 des Stadtbuchs, saec. XIV—XV]). 


3) Diefe würfelförmigen Klotzen, welche weder Geſchoſſe noch Spiegel fein können, find 
vermutlih Gilenterne zu Bleikugeln. Daß ſolche zumeilen fubij waren, wird u. a. bei der Be— 
ichießung von Eitta di Caftello im Kirchenftate erwähnt (1474), indem ein gleichzeitiger Autor die dazu 
gebrauchten Bleitugeln folgendermaßen beichreibt: »Serpentinarum pilae sunt plumbeae librarum 
XV ponderis, intra plumbum vero frustum inest chalybis quadrati, quo obstantia quae- 
eunque validius demoliantur. (Additiones Florentinae ad Rev. Ital. script. vol. II, p. 701.) 
Richt kubiſch ſondern Tugelförmig find dagegen die Eifenferne, welche der Cod. ı bes Berliner Zeug— 
hauſes erwähnt (vgl. ©. 405 „Geſchoſſe 





414 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte. 


Nürnberger Inventar von 1462 von Konr. Gürtler. 

Berdffentliht von Baader als 5. Beilage jeines Aufjapes über Nürn— 
bergs Stadtviertel und deren Bewaffnung im 32. Jahresbericht des hiſtor. Vereins 
von Mittelfranken. 1864. Auszüglich wiedergegeben von Eifenwein in feinen 
„Quellen zur Geſchichte der Feuerwaffen“. 

Augsburger Inventar von 1463 von Hans Gojjenbrott, 
Handſchrift („Schüge* Nr. 137 F.) im Stadtarchiv zu Augsburg. 


8 63. 

Bon Rezeptbüchern jeien bier, beijpielsweije, zwei genannt. 

Das eine führt den Titel: „Mannigerlay hubjchfait von 
jalpeter, von purenpulver, vnd ander chunſt der puchjenmaijter und 
von geſchoßen vnd fewerpfeilen vnd etliche arzney auch darein begriffen.“ 

E3 jtammt wohl aus den ftiebziger Jahren des 15. Ihdts. und befindet 
jih in einem alchymiſtiſchen Sammelcoder der Studienbibliothef zu Salzburg 
(ms. V. 2 B. 23/1). 

Das andere enthält ein Sammelcoder der Gothaer Bibl. 
(cod. chart. A. 563). 

Es bringt eine Menge abergläubijcher Wundervorjchriften; u. a. fügt es 
der an den Büchjenmeifter gerichteten Warnung vor Trunfenbeit auch ein Rezept 
gegen den Katzenjammer bei. 


S 64. 

Über die Entwidelung der Handfeuerwaffen findet ich in 
den friegswiffenichaftlichen Arbeiten des 15. Ihdts. nur wenig S. 413]. 
In diefer Hinficht iſt man wejentlich auf die Prüfung der überfom- 
menen Stüde angewiefen!). Die ältejten erhaltenen Handrohre 
jind aus Bronze gegojjen. Eins derart aus den Jahren 1400 bis 
1420 befindet jich in der Sammlung Blell auf Tüngen bei Wormditt. 
Der achtkantige Lauf iſt 44 cm lang und hat ein Kaliber von 1,: cm 
und auf der oberen Seite ein Zündloch, zu dejjen Schug ein dreh— 
barer Decdel dient. Demnächjt ging man dazu über, den Zauf aus 
Eijen zu jchmieden und ihn mit einem hölzernen Schafte zu ver: 
jeben, der den Lauf auf jeiner unteren Seite zur Hälfte umichlof 
und rücwärts gewöhnlich in einen vierfantigen Bloc ausging, um 
die Waffe vom Gefichte des Schüßen zu entfernen und fie gegen die 


I) Bgl. Oberjt Tbierbad: Die geichichtl. Entwidelung der Handieuerwaffen (Dresden 18386). 


2. Feuerwerkerei und Büchjenmacherei. 415 


Schulter jtemmen oder auf diefe auflegen zu fünnen. Da die Ent- 
zündung des Schujjes mit der Yunte aus freier Hand den Schützen 
binderte, beim Abfeuern das Ziel im Auge zu behalten, jo erfand 
man, um 1450 etwa, den Hahn, d. h. man befejtigte an der Pfannen— 
jeite der Waffe ein drehbares, hafenartiges Eiſenſtück, in dejjen Längs— 
ihlig die Zunte geflemmt wurde. In der Folge verlängerte man den 
Fuß des Hahns, um ihn als Hebel (Abzug) zum Neigen des Hahnkopfs 
nad) der Panne brauchbar zu machen, eine Einrichtung, welche bereits 
bet der Armbrust üblich war. Ein weiterer FFortichritt beſtand darin, 
dab man eine Feder anbrachte, welche es ermöglichte, dem Hahne in der 
Stellung vor der Pfanne einen Halt zu geben und ihn Hinderte, von 
jelbit auf die Pfanne zu fallen. So entitand allmählich, wohl von 
1450 bis 1460, das Luntenſchloß, d. h. eine Vorrichtung, welche 
den Luntenhahn mit jeinem Zubehöre auf einem Schloßbleche ver: 
eınigte, welches zuweilen auch die Pfanne jelbjt aufnahm, die meift mit 
einem drehbaren Dedel zu verjchließen war. Den Abzug bildete ein 
langer Hebel, der rücwärts bis unter den Kolben reichte. An der 
Panne der Kriegsgemwehre befand ſich ein hoher, das Auge des 
Schützen jichernder Feuerſchirm. Seit 1460 ungefähr wurde der 
jeitherige Verjchluß des Laufs, nämlich ein rotwarm eingetriebener Seil, 
duch die Schwanzjchraube erjegt, welche eine bejjere Reinigung 
der Waffe ermöglichte und die Befejtigung des Laufs im Schaft ver: 
ſtärkte. Im einer Bohrung an der unteren Seite des leßteren wurde 
der hölzerne Ladeſtock untergebracht. — Dieje Handfeuerwaffe wird 
in Deutjchland als „Hafen“ bezeichnet, vermutlich von dem hafen-- 
förmigen Hahn, in den die Lunte eingefneipt war, wonac die Waffe 
in den Niederlanden »Knipbusse« genannt wird '). In großen Ab- 
mejlungen diente jie vorzugsweiſe zur Verteidigung feiter Pläße, in 
Hleineren, al8 „Halbhafen, Handrohr, Handbüchſe, Arfebuje“, 
für den Feldgebrauch. In diefem Falle ſchoß fie 2—2 "sr Lot Blei 
und wog etwa 10 Pfund. 


I) Annales rer. in Holl. gest. beim Jahr 1481 in Matthaei analect. I, 398 u. a.a.D. — 
Gewöhnlih nimmt man an, die Bezeichnung „Halen”“ rühre von einem Anja ber, ber bei den größeren 
Kalibern dem Laufe angeſchweißt war und beim Schießen zur Brechung des Nüdftoßes in ber Mauer 
eingehalt wurde. Da aber auch bie Heinen Kaliber, melde jenen Anſatß nicht hatten, Hatenbüdien 
genannt wurden, jo ift die oben gegebene Erklärung wahrſcheinlicher. Dem gegenüber ift allerdings 
darauf hinzumeijen, dab Behniger [S. 412) auch Büchſen ohne Luntenhahns al „Hagknpuchſen“ an: 
ſpricht aber vielleicht war bereits zu feiner Zeit (1489) die urjprüngliche Bedeutung verdunkelt. 





416 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte. 


Sehr merkwürdig it es, daß die ältejte Nachricht über das 
Berfahren beim Schießen mit Handfeuerwaffen, welde 
jih in einem etwa aus d. 3. 1450 ſtammenden, jchon beiprochenen 
Wiener Coder [$ 35] als Anhang des Feuerwerksbuches findet, nicht nur 
das Luntenjchloß nicht Fennt, jondern daß aus diejer Nachricht Hervor- 
geht, daß zwar das Gewehr mit beiden Händen gefaßt wurde und daß dic 
Lage der beiden Daumen des Schügen Korn, Viſier und Aufjag er- 
jegen jollten, daß aber dann der Schüte nicht jelbit losbrannte, 
jondern daß dies ein zweiter Mann tat. Dies Verfahren tft jo 
altertümlic), daß man annehmen muß, die betreffende Anweiſung 
ſtamme wohl noch aus dem 14. Ihdt. und ihre Abjchrift jer nur zufällig 
mit dem Coder aus der Mitte des 15. Ihdts. verbunden worden. 
Sie lautet wie folgt: 

„Wie man aus Handbüchjen jchießen joll zu einem Ziel oder zu Bögeln 
oder zu Tieren oder zu anderen Saden, das ihm nicht zu weit ijt, daß er es 
treffen mag und nicht fehlt. — Wer das will, muß in der Geometrie als viel 
gelernt haben und die Inſtrumente haben, dadurd er wiſſen mag, wie weit es 
dahin fei, wohin er ſchießen will, und ob es nicht zu weit ſei.“ (Alſo dijtanz- 
ſchätzen mit Hilfe geometrijcher Jnftrumente?!) „Dann jollft du die Büchje laden 
als recht, und da der Daum vornan auf dem Stab joll liegen, dahin mad ein 
Pünttel, daß du allweg wißeſt dahin zu greifen. Im Felde richt ein Ziel auf 
mit einem Punkt in der Mitte, den du auf 300 Schritte oder weiter jeben 
tannit. Stell did) dann vom Ziel zuerit 16 Schritt ab, ſchlag die Büchs an 
zum Schießen, leg den Daumen der vorderen Hand auf das gemadıte Pünttel 
des Stabs und mit der hinteren Hand greif zuhinterjt an den Stab auf ein 
auch dahin gemachtes Pünktel und halt auf den Mittelpuntt des Zield. Laß 
die Bühs anzünden, und wenn du empfindejt, daß fie Hinter jich ſtößt, 
jo widerheb nicht zu jtarf; doc halt den Stab in der vorderen Hand feſt und 
damit laß die vordere Hand, alfo den Stab darinnen haltend, gegen die 
hintere Hand gehen, und laß den Stab durd die hintere Hand hinter ſich aus- 
ichlieffen.. Tuſt du ihm aljo, jo magjt du die Büchs nit entrüften , du triffir 
aud das Ziel oder jhieht ihm gar nahe. Und von dem hinteren Pünftel mad 
aber (mals) ein Pünktel dreier Finger breit herfür, lad die Büchs aber, jteb: 
10 Schritt weiter denn zuvor, greif mit der vorderen Hand auf das border: 
Tünftel wie vor und mit der hinteren Hand auf das zweitgemachte Rünttel 
und laß die Büchs anzünden. — So viel als du weiter bift geitanden denn 
zuvor und mit der hinteren Sand herfür beßer haft gegriffen und ſoviel 
fürzer Stab und Büchs von deinem Auge jürauß ift denn vor, 
jo viel höher wird die Büchs vornan aufgehebt und ſchießt 
auch ſoviel dejto weiter“. 


1) ®. h. Rohr und Stab werden nicht voneinanberreißen. 


2. Feuerwerkerei und Büchjenmacherei. 417 


Sehr langjam nur gewannen die Dandfeuerwaffen Eingang 
in den Heeren. Unter den 80000 Mann, welche 1427 das huſſi— 
tiſche Böhmen überzogen, befanden ſich nicht mehr als 200 Handbüchjen, 
bet dem Zuge der Brandenburger 1429 gegen Stettin unter 1000 Mann 
zu Fuß 50 Büchjenichügen. Die Leiftungsfähigfeit der Dandfeuer- 
waffen war eben noch ganz gering. Die Durchſchlagskraft ihrer Ge— 
ſchoſſe übertraf die der Armbruftbolzen nicht allzujehr, und während 
ein geübter engliücher Bogner in der Minute zwölf Pfeile jandte, 
dürfte ein Feuerſchütz jchwerlich mehr als einmal vierteljtündlich ſchuß— 
fertig gewejen jein. Dennoch nahm die Zahl der Handfeuerwaffen 
allmählich zu; anfangs wohl mehr des moralischen Eindrucks als der 
praftiichen Wirfung wegen; aber jchon Philipp von Seldened 8 36] 
ichlägt doch auch dieje jehr Hoch an. 


8 65. 

Die Summe der waffentechnijchen Entwidelung des 15. Ihdts. 
ziehen die von Kaiſer Marimilian I. herrührenden oder veranlaßten 
Aufzeichnungen und Schriften, die allerdings teilweije jchon dem 16. 
Ihdt. angehören, deren Objekte jedoch naturgemäß zumeiſt im 15. Ihdt. 
bergejtellt waren und die daher noch an diejer Stelle zu bejprechen 
jind. — Bon der Freude Marimilians an der Führung der Hand— 
waffen berichten Freydal und Weisfunig [S 53); mit Recht aber hebt 
Treigjauerwein hervor, daß der Weiskunig „aud gar funjtlich 
was mit der Artollerie*. — Er jagt von ihm: 

„Vnd ald Er in die Regierung vnd zu jeinem rechten Alter fam, da richtet 
Er in jeinen funigreichen vil große Zewgbeujer auf zu jeiner frieg notturfft 
vnd erdacht wunderperlid Newe geihug, die ich nun zum tail anzaigen mil. 
Nemlich er hat medtige große Hauptſtuck gießen laßen mit einer newen kunſt 
in den pulverjeden: etliche haben jtain vnd eijen, etliche haben nichts anders 
dann Eijen von vil zenten gejchoßen. Er bat auch ain bejonder gejchuß in ver— 
porgener hınjt vnd gleicher größ gießen laßen vnd hat diejelben puchjen genennt 
die Scharfen mäßen, die haben nichts anders dann Eijen gejchoßen, vnd 
tain Maur hat vor demjelben gejchuß bejteen mugen, vnd wo Er mit frieg in 
ain veindtland zogen iſt, hat er dasſelb geſchütz albeg mit gefuert durch täle vnd 
pber berg, vnd wo er jich mit demjelben geſchutz für ain Stoß oder Stat gelegert, 
die hat Er in furgn tagen, vnd nemlichen in etlichen jtunden, zum Sturm ge— 
ihoßen. Er hat aud) ein ander new mitlmähig geihuß erdacht vnd gießen laßen 
ond genennt Nadhtigaln, Singerin und dorntal (= Dornhäher), vnd 
haben auch nichts anders geichoßen dann Eyſen. Dasjelbe geihuß bat er aud) 

Zähne, Geſchichte der Kriegswiſſenſchaften. 27 


418 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte. 


mit Ime gefuert in alle frieg vnd jtreit, vnd welchem dasjelbe geihug ijt fumen 
fur fein hauß, dem haben ſie gejungen aljo ain graufamlid gejang, daß fainer 
demjelben gejang widerjteen hat mugen. Vnd Er hat jeglichem geihüg zu jeiner 
maß vnd zu mer wurdung feiner New erdadhten kunſt ainen beſondern vnd Newen 
form gebn laßen. Mer hat Er ain befonder haimlich geſchutz erdacht, das Eyſen 
jtangen geſchoßen vnd vil jchaden in den ftreiten under dem vold gethan 
bat; aber dasjelb geſchutz hat er nit offenbaren wellen laßen. Berer hat er 
erfunden vnd gang Eiſzin purn jchmiden vnd in das gang Eyßn den ror 
poren laßen. TDiejelben Eiſzin purn haben die andere Eifzin purn, die auf 
den fern gejchmidt jein worden, wie dann nod) der gebrauch it, weit ubertroffen, 
vnd aus etlichen urſachen hat Er diejelb New kunſt nit volkumenlichen eröffnen 
wellen. Diſer weiß funig bat die purn, genannt die fortannen, die vor 
zeiten mit großer Mue auf dem Ertrid;) mit anjeßen gejchoßen jein worden, auf 
wägen mit Neter dermaßen zurichten laßen, daß man diejelben fortannen auf 
denjelben mwägen abgejhoßen vnd darzu darauf uber land gefuert hat. — In— 
jonderheit het Ich vil zu Schreiben von dem fewrſchießen vnd von dem fewr— 
wert vnd von dem klainen baglgejhüg, die Er von Newem erdadt bat; 
aber befer ift, ich la dasfelb vnderwegen; nemlichen aus der Vrſach, jo der 
funig jelbs diejelben funjt verporgen hat; warum wolt davon Meldung thun. 
Bnd ain jeder mag mir in warhait glauben, daß Ich von jeinem Newen geſchut 
nit den hundertiſten tail beſchraib . . . 

Was in dieſer Lobrede dem Kaiſer perſönlich zugeſchrieben wird, 
iſt der Geſamtertrag der artilleriſtiſchen Entwickelung des 15. Ihdts., 
an der Maximilian ſein Anteil keineswegs verkümmert werden ſoll. 
Die Einſchränkung der Steinmunition auf die allmählich außer Ge— 
brauch kommenden ungeheueren „Hauptſtuck“, der Vollguß eiſerner 
Geſchütze, die Einführung der Kartaunen, d. h. der ſchweren, doch 
auf der Achſe fahrbaren Feldgeſchütze — alles das ſind wichtige 
Kennzeichen des artilleriſtiſchen Fortſchritts gegen Ende des 15. Ihdts. 
Freilich läßt Treitzſauerwein es auch an Wunderlichkeiten nicht fehlen: 
das Schießen mit Eiſenſtangen mag ja den Kaiſer beſchäftigt haben; 
erfunden hat er es nicht; denn das Schießen mit Bolzen und Pfeilen 
aus Büchſen iſt uralt, älter vielleicht als das Schießen mit Kugeln, 
kam jedoch als unzweckmäßig frühzeitig ab S. 405). 

Auch die aus den Jahren 1502 und 1505 bis 1508 herrührenden 
Gedenfbüchlein Marimilians (f. £. Ambrajer Sammlung und Hof- 
bibliothek zu Wien) legen Zeugnis ab von des Kaiſers emfiger Be- 
ſchäftigung mit dem Waffen: und Zeughauswejen. Da heißt es z. B.: 

„Der Nunig fol nymermer hießen mit feinem armbrojt, daz zu ſchwach 
it, zu went, wo der polez nit im Dral geht; denn der polcz oder geſchoß jchlecht 
ſich, vnd iſt wider die natur, denn ed nymant trifft... Der Kunig jol in yedes 


2. Feuerwerkerei und Büchſenmacherei. 419 


Zeughaus vj (öl) Zymer fägen machen . . . In Inſprug jol fun. Mt. das 
Gieſen Reformieren lafen; dan man nimmt zuniel maderlon... Sun. 
Mt. jolt iije (300) Spieh in dl laßen Syden... Kun. Mt. jol die 
wagenroß (Borjpann) durch die Land paß (befier) bejtellen dann vor zu dem 
geſchütz“ — Mud die Brehmwirfung des Geſchützes würdigt er für be= 
ſtimmte Einzelfälle. So heißt es: „Das Slos Presburg hat oben an der 
Mawerdiden XVII ſchuch; Bnden ‘ist die Mawr hol vnd hat Pogen gejchloßen. 
Dean jol das ſlos vnden anjchiehen, jo geen die fugeln durch vnd durd.“ — 
Dab Mar, gleih andern Büchjenmeijtern [S. 401), aud den Prellihuß 
fannte, lehrt jeine Anweilung „wie man bei Beieljtein (im Puſterthale) mit einer 
Notbuchje übered jchießend die Küche treffen könne“. — Großes Vergnügen be= 
reitete es dem Kaiſer, möglichit originelle Namen und Inſchriften für 
jeine Büchſen zu erfinden. So bringt das Gedenfbuc unter der Überjchrift 
„Artillerie“ u. a. als Namen für „Hauptſtücke“: Hurnaßin, Buraßerin, Humſerin, 
Nar, Nerrin, Kerrenin. Eine „Notbüchſen“ will er Binfhen heißen, die „Not— 
jchlangen“ Hyrngrillen u. j. w., und zu jeder will er einen Reim jchreiben. 
Noch i. J. 1516 verlangte Mar von dem gelehrten Peutinger, daß er ihm die 
Namen von 100 merfwürdigen Frauen mitteile, um damit jeine „Metzen“ zu 
taufen '). — Albr. Dürers „Ehrenpforte“ Marimilians ftellt den Kaijer inmitten 
jeiner Gejchüge vor einem großen Hebezeuge jtehend dar und erläutert das Bild 
durch folgende Berje: 
„Er hat das grewlichit geihüß erdadt, | Man jchagt in pillic für ein heilt; 

Mit großer fojt Buwegen 'pracht, Dann er gu ritterlicher that 

Damit manch Schloß in grundt gefellt. | Sich allegeit gefüdert hat.“ 


S 66. 

Das praftiiche Ergebnis von Marimilians artilleriitiichem Wirken 
und Walten, jein ordnender Geift, jein erfinderiicher Stun, jein gemüt- 
voller Humor — alles das jpiegelt jich in den Zeughausbüchern 
wieder, welche auf jein Geheiß angefertigt wurden und 3. T. Kunſt— 
werfe hohen Ranges jind. 

Die wichtigjten dieſer Zeugbücher find diejenigen, welche Bar— 
tholomäus Freysleben (Freinsleben), fgl. Hauszeugmeiiter zu Inns— 
brud, zujammengejtellt und der Nürnberger Maler Albr. Glodendon 
illujtriert hat. Die Aufnahme Freyslebens war nicht nur eine gelegent- 
liche, etwa durch bevorjtehenden Krieg veranlaßte Reviſion, jondern 
das Inventar jollte ein Gejamtbild der Ausrüjtung des deutjchen 
Reiches, insbei. der öjterr. Erblande, gewähren und injofern eine 
wijjenjchaftliche Unterlage für weitere jyjtematische Ergänzung und 
Bervolllommnung des vorhandenen Beitandes darbieten. 


1) Bgl. Herberger: Beutinger in feinem Berhältnifie zu Sailer Marimilian (Augsburg 1851). 
24” 


420 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte. 


E3 find drei nur wenig voneinander abweichende Erenplare diejes groß— 
artigen Werkes vorhanden: eines in der K. K. Hofbibliothef zu Wien (Nr. 10824), 
eines in der II. Abteilung der Sammlung der Kunſtſchätze des A. 9. Kaiſer— 
hauſes ebendort (Ambrajer Sammlung Nr. 53) und ein drittes in der Hof- umd 
Statsbibliothet zu Münden (Cod. iconogr. 222). 

Der Titel lautet: „ISnventarij vnd was die No. fo. Met. 
von allerley zewg von newem erdacdht, angebenn vnd Durch 
Barth. Freybleben, die zeit jeiner Mit. oberjtem Hauszewgmeijter, hat 
machen laßen. Auch was von zewg in alten jtetten vnnd jloßen im 
jeiner Mt. Erblandenn it, den bemelter zerugmeijter beritten, eygentlich 
bejichtigt vnd aufgejchriben hat“. 

Der Inhalt gliedert ſich in 3 Teile: 1. Vorrede und „der alt 
Inventartj, jo von Kayſer Friedrich III. und Ertherzogf Sigismunds 
bliben jem. Was die f. Mt. von newe hat angeben vnd machen 
lagen. Zeughausbeſtände der Graffichafft Tyrol (Innsbrud, Sig— 
mundsfron u. ſ. w.). — 2. Zeughausbejtände in Djterreich (insbeſ. 
Wien), Steyr vnd Embs, Krain (Ofterwib), Gräß vnd Niterrich (Görz). 
Sloßer in Kerndten. — 3. Zeughausbeitand in Schwaben, Preykgau 
(Breiſach und Lindau), Elſaß, Swarkwald vnd Suntgau. 

Die Eremplare der Hofbibliothefen in Wien und München jtehen jich unter: 
einander ganz nahe. Jedes hat nur einen Band, und nur der „alt Inventarj“ 
und Marimilians neue Erfindungen find illuftriert. Dafür aber bezieht ſich 
das nicht illujtrierte Sejamtinventar auch auf alle bereijten jeiten Pläge. Es 
jind PBapiercodices. — Das dreibändige Bergamenteremplar der Ambrajer Samm- 
lung jtellt dagegen cdarakterijtiiche Stüde der oben in Klammern bervorgehobenen 
wichtigiten Zeughäuſer der verjchiedenen Lande dar, wobei natürlich großenteile 
diejelben Zeichnungen, weldye die beiden anderen Eremplare enthalten, wieder: 
holt werden. 

Die Vorrede preilt es, daß weder Cäſar, Pompejus, Scipio 
und Konjtantin noch auch Karl der Große oder Friedrich Rotbart 
ähnliches Feldzeug und Gejchüß bejefjen hätten und gibt die Ein- 
tetlung des Werkes. — Der „alt Inventarj“, der das von Erz 
berzog Sigmund und Kaiſer Friedrich III. überfommene Material 
jchildert, und nicht mmder die Mafje der Zeughausbeitände in den 
verjchtedenen Ländern, welche Freysleben v. 3. 1500 bis 1510 feit- 
geitellt, zeigt große Mannigfaltigfeit der Formen, wie fie ſich i 
15. Ihdt. entwicelt hatten, als Willfür und Zufall, Übertreibimgs- 
jucht und Laune der einzelnen Kriegsherrn, Städte und Zeugmeiſter 
jich behaglich breit machten und man jich gegenjeitig durch Maſſen— 


2. Feuerwerkerei und Büchjenmadherei. 421 


baftigfeit und Seltjamfeit zu überbieten juchte. „Was fun. Maj. 
bat angeben und machen laßen“ bringt dagegen das im Sinne 
der Vereinfachung und methodiichen Ordnung von Martmilian 
entivorfene Gejchügiyiten, welches unverfennbar einen Fortſchritt der 
Artilleriewiſſenſchaft befundet. 

Für die Art der Behandlung jet hier eine jpeziellere Inhalts: 
angabe der das Innsbruder Zeughaus betreffenden Abteilung des 
Eremplars der Ambrajer Sammlung zur Erläuterung gegeben. Es 
iſt eine Art artilleritiichen Albums mit Geichügbildniffen, die von 
Reimſprüchen begleitet find, welche mit föjtlichen Initialen beginnen. 
Der Anfang lautet: 

Hie vecht jih das erſt zwghaws an, | Für gejchuz darin groß vnd Hain 
Tas Kaiſer Marimilian Auch andres, was man möchte jein 
Hat gmacht zu Inniprud in der Stad, | Nottdurfftig zu eim zug in’s veld 
Vnd folgt hernach was jein gnad hat | Mer dan in eim Haus in der Weldt. 

1. Hauptbücdjen: Der alt Adler von Tyrol. Dy Keyferin von Kriegiſch— 
Weihenburg. Der Welhauf von Djterreih. Der Pfauenſchwantz Erzherzog Sig: 
munds Das Einhorn von Beyern. Die Syren von Görtz. Das Weible im 
Haus. Frau Dumbjerin vonn Gennjpühl. Der Kerauf v. d. Anprud. Der 
Leopard v. Wilten. Jungfrau Buelerin. Die jhöne PBuelerin. Das Zybrenndel 
von Landshut. Die Hyrengrille von Rotenberg. — 2. Megen: Die jhön Sydonia, 
Rolyrena, Medea, Helena, Semiramis, Bantefilea, Dido, Tyjbe. — 3. Bajilisfen: 
u. a. Steinpod, Grocodill, Purrhindurch und Schnurrhindurd. — 4. Mörjer: 
Hummel, Fink, Stiglig, Gümpl, Jochvogl u. j. w. — Eine Geſchützart, welche 
vielfach vorfommt, die Dorndrell (aud „Dorntal, Dorndruel“ u. a.) heißt 
nach dem jetzt als „Dornhäher“ bezeichneten Raubvogel. Es find mittelgroße 
turze Geichüge, mit Bloclafetten, die auf einem Borderwagen ruhen. Huherlich 
unterjcheiden jie fih in feiner Weife von den in andern Zeughäuſern (3. B. 
Breijah) als „Ierras“ oder aud als „Haufnitzen“ angejprodenen Gejchügen. 

Die beigefügten Reime beziehen fich jowohl auf Eigennamen von Geſchützen 
ald auf ganze Geſchützarten, 3. B. 

Fin meyl erraich ich woll | Darumb Schnurrhbindurd nennt 
eins Herrn veindt, wan nichs tun joll ; man mid); 
| Bor mir mues es als trennen jich. 








oder 
Wir beißen die Mitteljlangen; | Du mirjt vns nit entlauffen. 
Yas dir nit nad) vnns verlanngen; Konig Marimilian hat vns erichaffen ; 
Vnſer iſt ain großer Hauffen, Wan wir ſchreyen fo tut es krachen. 
Bei den Hagelbüchſen ſteht: 
Auf einem Streytwagen farn wir hin; | Aus bevelch Konig maximilian; 
Ju Scarmüßeln jteht vnſer jun. (Hott fuegs, das wir mit ern beitan ! 





422 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte. 


Die von Maximilian ſelbſt bejchafften Geſchütze ordnen 
jich in folgende 4 Hauptarten: 

1. Hauptbüdfen. Sie jind in derjelben Weije wie früher fonjtruiert, 
liegen wie zu alter Zeit in einer „Yade” auf dem Roſte vor einem, den Rüdlauf 
verhindernden „Anſtoße“ („anjag“ nennt es der Weiskunig), ſchießen aber (im 
Gegenſatz zu Treigjauerweins Angabe) durchweg eijerne Kugeln. 

2. Karthaunen, dünnere und längere (5 bis 8,5 Kaliber lange) Rohre 
nämlich Scharffmegen, Nadtigaln, lanng Korthonen, kurtz Korthonen und Not: 
puchjen, welche jämtlich Eifen jchießen, ſowie Birtelpuchien, welche die fürzeiten 
Rohre haben und Stein jchießen. 

3. Schlangen von 20 bis 40 Ktalibern Länge. Bejonders lange werden 
als Wurm oder Bajilist bezeichnet, andere als lange Schlangen, Mittelichlangen, 
Kammerjchlangen u. j. w. „Geſchwinndt Gammerjlanngen“ jind Binterlader. — 
Schlangen jind auch die „Dagelbüchjen“, melde ſelbſechs auf Streitfarren liegen 
und den Übergang zu den Handfeuerwaffen bilden. — Andererjeits wird der 
Ausdrud „Hagelbüchſen“ aucd angewandt auf die 

4. Haufnigen oder „Terras“, bzgl. „Dorndrell“, verhältnismäßig furze 
und am Stoßboden jehr jtarfe Gejchüße, welche S. 404 näher gejchildert worden 
jind. Sie bilden den Übergang zur legten Hauptgattung der Marimilianiicen 
Geſchütze: 

5. Mörſer. Dieſe ruhen z. T. in Schießgerüſten, welche Erhöhung nur 
durch untergeſchobene Keile erlauben; teils lagern ſie mit Schildzapfen in modernen 
Geſtellen. 

Die Lafeten ſind meiſt ſchwarz, das Eiſenwerk rot angeſtrichen, wie dies 
im Mittelalter allgemein üblich war. 


Eine vollſtändige Ausgabe eines dieſer Zeughausbücher iſt noch 
nicht veranſtaltet worden; indeſſen enthalten Eſſenweins „Quellen zur 
Geſchichte der Feuerwaffen“ 26 fakſimilierte Darſtellungen daraus, 
welche beſonders intereſſante Formen genau wiedergeben. (Leipzig 1877). 


$ 67. 

Außer diefem allgemeinen Freyslebenjchen Inventarium entitanden 
nun eine Anzahl 3. T. ebenfalls prachtvoll hergeitellter Beſtand— 
verzeichnijje einzelner Zeughäuſer. 

Köſtlich ausgeitattet jind zwei libereinjtimmende Inventare des 
Wiener Zeugbaujes: »Machinae bellicae Maximiliani Imp. 
et Sigismundi Archiducum Austriae«e. (8. K. Hofbibl. Ser. 10815 
und 10816). Es jind jchöne Darstellungen in Waflerfarben mit 
furzen Beijchriften. 

Inhalt: Haubtbüchſen. Scharfe mezzen. Mittel Stangen. Geſchmitte 
Gamerjlangen (3 jeitwärts nebeneinander auf einem Wagen). Schermpudien. 


| 


2. Feuerwerkerei und Büchjenmacherei. 423 


(Dinter beweglichen Holzwänden, die 3. T. mit Seitenflügeln verjehen jind.) 
Dvadranten. Lanng Stanngen. Hagelpuchſen. (Haubigen). Verſchiedene Wiege- 
vorridtungen. Winden. Fußeiſen. Sättel. Hanndtpuchſen, gefaßt und ungefaßt. 
Haußpfeil (Armbruftbolzen). FeuerwerfSmaterial. Schmiedezeug. Hagfenpuchien. 
Helmparten. Handtwerfäzewg. Streytların. Viertelpuchſen. Schauffelpuchſen. 
Mörjer zum fewrwerdb. Hebezeug. Streitfarrn (Orgelgefhüge). Paveſen vnd 
Tartſchen. Sturmhewbl. Berhutten vnd zelt. Raißſpieß. Behemiſch Drifchel. 
Frigauler Spieh. 

Die auf Erzherzog Sigismund zurüdführenden Gejhügformen find die bei 
weitem altertüümlicheren, liegen in Laden und haben lange Anjtöße. — Das 
Gremplar Nr. 10816 ift in Kleinigkeiten reicher. Es enthält u. a. noch „Stahlrn 
pogen vnd hurrn Armbrujt“. — Um Ende beider Eremplare ijt eine uralte Stab— 
eifenbüchje von großen Dimenjionen dargejtellt. 


8 68. 


Aus den letten Lebensjahren Marimilians jtammt ein „In— 
ventari des zewghaus zu Injprugg 1515“, das nicht mehr 
von FFreysleben, jondern von Michl Dtt [XVI. $ 12] und Hans 
Kugler aufgenommen wurde und im „Ferdinandeum“ zu Innsbruck 


aufbewahrt wird. Das Zeughaus enthielt: 

13 goßen Hauptjtud (darunter 1 geihraufft Hptjt. gen. Wedh auf; 1 new 
geichifft Hptit. mit goßinen Hampen, gen. der Purhindurch; 1 Hain new Hptit. 
gen. die Puelerin, gefaßt auf Räder. — 3 goßen Sharimegen (7 auf Rädern). 
1 Nachtigal (a. R.). 1 Baſiliſcht. 9 Singerinen (auf Rädern). I Notjlangen 
(a.R. Eine hat feine Zapfen, ijt alt), 2 Haufnitz (a. R). 3 Dorndruel (a. R.). 
28 Veltjlangl (a. R.). 2 halbe Slangen oder Tarras (gefaßt auf Rädern). 
2 große goßen Hagelbuchſen jo fugeln mit jtangen ſchießen. 20 Stainpuren 
(teild a. R., teild auf Pöckl). 7 Camerpucjen mit je 2 Camern. 6 Streupuchien 
(Orgelgejhüge auf Karren mit 6—15 Rohren). 16 Schauflpuchjen (von Meſſing 
mit 3—5 Rohren). 469 meßing Hackenpuchſen, poß vnd gut, furz vnd lang. 
1662 meßing Handtpuchſen. 11 goßen Mörjer groß vnd Main. — 13 eijern 
notjlangen, gut und bös. 5 eiſern ſtainbüchſen. 5 eifern Beldjlängel. 147 eijern 
Gamerpuren mit 2 Camern und außerdem 233 vbrig eijern Gamern. 1125 eyin 
Hackenpuchſn. 665 eyjn Handtpuchin. 28 Streytwagen mit Camerjlangen. Eyſen-, 
Bley: und Stain-Kugeln. Püchſn modl (u. a. 15 Marmeljtainmodl zu Hacken 
vnd Handtbüchſen). Zindtjtrid. Kupfrinkeßel. Pulver, Salniter und Swebel. 
Red. Fewerwerckh. — 1125 Tartjchen, darunter 17 Pafeſen, 156 verjilberte große 
Tragtartſchen, 2 dergl. vergoldet; 178 veriilberte Heine Iragtartichen; 60 Arme 
tartihl oder Pugkler. — 3381 Hellepart. 31527 Fußknechtsſpieß. 11438 Fueß— 
tnechtsſpießeiſen. 2504 Raßſpießſchafft. 600 Scheflin Stempl (?) 151 alte Reyt- 
iwert. — 310 Fußknechtstrabs. — 588 Hyrnhewble. — 19 Roßſtyrnen. — 207 
Mordthafgen. 341 Wurfpfeyl. 160 Trüjchel (Dreſchflegel) mit eyſen Spitzen 
beichlagen. 13 Friauler Spieß, alt Schweinſpieß und Alſpieß. 154 Stalin 


424 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte. 


Pogen, gefaht auf niederländifch; dergl. 20 auf teutjch und 54 ungefaßt. — 
Pfeile. — 4657 Flitſchen. — Hauspfeil, geichifft vnd ungeichifft. — 41319 Lem: 
eyſen (Fubangeln). Ferner: Wagen, Eifenwert, Seilwerk, Zelte, Heerhütten, 
42 Büchjenwagen u. j. w. 

Dies Inventar gibt einen vollfommenen Überblid des Waffen: 
wejens, mit dem Süddeutjchland aus dem 15. in das 16. Ihdt. über: 
ging. Wer damit die Einzelheiten anderer Aufnahmen des Innsbruder 
Zeughaujes vergleichen will, den verweiſe ih auf Ballin-Grob-: 
mann: Was die Zeughäujer in Innsbruck 1493 enthielten. (Tiroler 
Bote 1877. No. 178. Exrtrabeilage) und Wiener Jahrbücher der 
Literatur. (47. Bd. Anzgbl. ©. 77 und 48. Bd. Anzgbl. ©. 58). 

Endlih made ih auf die Zeughausbücher der Beite 
Hohenjalzburg aufmerfjam, welche jich im Archiv der Landes 
regterung zu Salzburg befinden, u. zw. überfichtlich zujammengeitellt 
in dem dort aufbewahrten Nachlafle des Dr. Spapgenegger. 

$ 69. 

Außerhalb Deutichlands hat fich feinerlei jelbitändige artillertitiiche 
Literatur während des 15. Ihdts. entwidelt. Nur anhangsweiſe tt 
des Polydoro Dergilio zu gedenken, dejien de inventoribus 
rerum libri VIII et de prodigiis libri IIl, welche 1499 zu 
Venedig erjchienen, den eriten Berjuch einer Gejchichte der Erfindungen 
daritellen. Vergilio handelt auch von den militärischen Erfindungen, 
und wenngleich; dabei mancher Irrtum unterläuft (wie er dem Die 
Erfindung der Feuerwaffen erit für das Jahr 1386 anjegt), jo it 
jein Werf doch wichtig geworden, weil dasjelbe bis zum Jahre 1726 
in nicht weniger als 55 verjchtedenen Ausgaben in allen Sprachen 
Europas erichienen und für die vulgären Anjchauungen langehin maß— 
gebend geblieben ist. Verdeutſcht wurde es zuerit von Tatius Alpinus. 
(Augsburg 1537) 1). 

5. Gruppe. 
Befeſtigungskunde. 
870. 

Schriften über Fortifikation aus der erſten Hälfte des 15. Ihdts. 
ſind nicht bekannt. Indeſſen exiſtieren mehrere Inſtruktionen über 
fortifikatoriſche und artilleriſtiſche Armierung aus dieſer 


I Vgl. Bedmann: Beitrag zur Geſch. der Erfindungen III (Leipzig 1792) ©. 564. 


3. Befejtigungsfunde. 425 


Zeit. Da diejelben jedoch feinen wiljenjchaftlichen Charakter tragen, 
vielmehr lediglich gelegentliche VBorjchriften ad hoc find, jo muß ic) 
mich begnügen, auf einige derjelben hinzuweiſen. 

1425. Die Stadt Würzburg in der eyll zu bejejtigen. (Mones 
Anzgr. f. Hunde des dtſch. Mittelalter. I, S. 93—1833). 

1430. Ordnung, ob man die Stat Nürnberg belegert, wie 
man jih darinnen halten ſal. (M. S. des German. Muf. 23628). Abgedr. im 
Anzgr. }. d. Hunde der dtſch. Vorzeit. 1871. No. 6 u. 7.) 

Einige allgemeine, aber jehr unzulänglihe Angaben über die Aus- 
rujtung befejtigter Pläße enthält das „Der treue Rathgeber“ überjchriebene 
Kapitel des Feuerwerksbuches von 1445. [858 ©. 400.) 

sv. 

Die ältefte deutiche Schrift über Befeſtigungskunſt und 
(menn man von den in die Bücher des Egidio Colonna, des Joh. 
de Garlanda, der Ehrijtine de Pilan und des Marino Sanuto ein- 
geitreuten fortififatorischen Einzelheiten abjieht) überhaupt die erite 
mittelalterliche Abhandlung über dies Thema find die zehn der Be 
feſtigungskunde gewidmeten Kapitel des anonymen Kriegsbuches 
von 1450 [8 35). Ihre Überjchriften lauten '): 

1. Wie man ain hoch vejt ſchloß puwen fol. — 2. Wie man ain nider berg 
ſchloß pumwen jol. 3. Wie man ain vejten Siz jn der Ebne joll pawen. 4. Welt 
ain man aber in ain möß (Mood, Sumpf) pauwen. 5. Wie man ain jchloß jol 
bewaren für werffen. 6. Wie man ain Schloß bewaren fol für jteygen. T. Wie 
man ain ſchloß für Ablauffen (Überfall) jol verwaren. 8. Wie ain man jol 
thun, das er jein geſchloß deito geruwtter müg behaltenn. 9. Wamit vnd wie 
ſich ain man ee er bejegen (belagert) wird vnd aud in einem bejäh (siege) jehen 
joll, das er ſich feiner veind dejter lenger aufhalten müg. 10. Wie jich ainer 
haften jol vnd fürjehen, der maint ain jtat oder vejt ze beligern vnd notten. 

Wie der taktiiche Teil des anonymen Kriegsbuches nicht den 
großen Krieg, jondern die Fehde ins Auge faßt, jo Ddiejer fortififa= 
torijche nicht die Befeitigung einer Stadt, jondern die einer Burg ?). 
Und zwar handelt es jich dabei nicht nur um die Sicherheit nad) 
wirklich ausgebrochenem Kriege, jondern auch um all die Vorkehrungen, 
die täglich, ja jtündlich in jenen friedlojen Zeiten zu treffen waren, um 
eine Burg vor Überfall zu behüten. 

Der Berfafler unterfcheidet Burgen auf höheren und niederen Bergen und 
Burgen in der Ebene mit trodenen oder najjen Gräben. — Bei Bergſchlöſſern 

1) Ich citiere hier nad) dem Charlottenburger Manuffripte. (ArtillSchul⸗Bibl. C. Nr. 1671.) 

*, Bol. Köhler: Anzeiger f. d. M. d. d. Vorzeit 1870 ©. 6, 37, 73, 113. 


426 Das XV. Jahrhundert. I. Fachwiſſenſchaftliche Werte. 


fucht er die Ningmauer dem direften Schuffe dadurch möglichjt zu entziehen, daß 
er fie etwas vom Höhenrande zurüdrüdt, „auf das man die mur vor dem berge 
nit geſchießen muge“. Um auch die inneren Bauten dem direkten Schuſſe weniger 
auszuſetzen, will er jie verfenfen, indem man „onder jich in den berg breche und 
darnider pumwe“. Auch auf das VBorterrain richtet jich dag Augenmerk des Ver: 
faſſers: günjtig gelegene Teile des Abhangs, die ſich ohme Schwierigkeit mit dem 
Zwinger in Verbindung bringen laffen, jollen durd) jtarfe Mauern eingefaßt und 
mit Büchfen bejegt werden, um den Abhang zu bejtreichen. — Tritt in diejen 
Anmweifungen offenbar eine jehr jachgemäße VBerüdfihtigung der neuen Artillerie 
hervor, fo find doch die Elemente, aus denen die Bergfejte zujammengejegt er: 


icheint, nod) ganz die alten. Bor die Ringmauer wird ein Zwinger gelegt, der 


nicht immer ummauert zu jein braucht, jondern aud mit Planfen vder einem 
hohen jtarfen Zaun umfangen werden fann. Innerhalb der Ringmauer liegen 


Kapelle, Türnig Wohnhaus) u. a., namentlich Keller, Kornkäſten (Getreideböden), | 


Pfijterei, Küche, Marjtall, Schmiede u. j. w. Ziſternen jollen jo angelegt werden, 
daß das Regenwaſſer der Dächer hineinläuft, und ſie jollen unten weiter jein als 
oben, damit fie nicht leicht durd hineingeworfene Gegenjtände ausgefüllt werden. 
It die „Hofitatt“ (d. h. der Bauplag) groß genug, jo mag man vor das Thor: 
haus nod einen „Vorhof“ legen, deſſen Pforte jedoch nicht direft auf das Haupt: 
thor zuführen darf. Entweder das Thorhaus oder ein befonderer Turm muB die 
übrigen „Gemecher“ (Gebäude) überragen. Die Mauer ijt mit einem umlaufenden 
Wehrgange zu verjehen und außerdem mit Erfern (jur Wacht und zur vertifalen 
Beitreihung). Zum Thore joll von der einen Seite ein Fahrweg, von der andern 
ein jchmaler NReitweg führen. Der Fahrweg ijt halbwegs durd einen Graben zu 
durchſchneiden und die Brücde über diefen (eine Schlagbrüde) durch ein Thorbaus 
zu deden, das mit dem Borbofe der Burg in gededter Verbindung jteht. — Bei 
Burganlagen auf niederen Höhen bleibt nichts übrig, als angejicht® 
jeindlicher Artillerie die „Behufung“, d. 5. das Wohnhaus von vornherein preis- 
zugeben, dafür aber Ringmauer und Thorhäufer jo jtarf wie möglich berzujtellen 
und alle Mittel anzuwenden, jie zu halten. — Burgen in der Ebene jimd 
mit einem doppelten Graben zu verjehen, einem vor der Ringmauer und einem 
vor dem Zwinger. Der legtere muß da, wo etwa noch Wirtihaftsgebäude oder 
eine Schenfe außerhalb des Zwinger: gewünjcht werden, auch diefe Anlagen mit 
umjchließen. Die Gräben find je nad) Umjtänden troden oder naß.- Eriteren- 
falls jind fie durch „gut vermauerte ligende hutweren mit Scießlöchern“ zu 
jihern, d. h. aljo durch Ktaponnieren, die auch jonjt zu diejer Zeit oft erwähnt 
werden. Burgen in der Ebene jollen nidıt hohe aber dide Mauern erhalten, 
und namentlich muß der alles überhöhende Hauptturm „von grund off bis 
pnder das dad) gelich did vnd als veſt ſyn, daß er jtarfen büchjen wideriteben 
muge“. Über den Grundrii des Turmes wird nichts gejagt. Das Burghaus 
joll an den „Orten“, d. h. an den Eden turmartige Vorjprünge haben, die 
jich auch zwifchen den Eden wiederholen können. (Form der Pariſer Baitille). 
Außer vom Wehrgang joll es auch noch durch Scharten mit Büchſen und Arm: 
brujt verteidigt werden, und dasjelbe gilt von der Mauer. Trodene Gräben jind 


3. Befejtigungstunde. 427 


zu füttern und die aus ihnen gewonnene Erde nad) außen zu werfen und jo 
eine Anjchüttung (Glacis) herzuitellen, welche da8 Burghaus dedt „dab man es 
nit nider mag gejchießen“. „Der grab“ joll auch „yber den zwinger geen“, d. h. 
auch diejer joll durd; den Aufwurf der Grabenerde gededt werden. Der Gedanke 
eines „gededten Weges“ hinter dieſem wird noch nicht ausgejprochen. — Naſſe 
Gräben jind bei Froſt leicht zu überjchreiten; um dies zu hindern, wird empfohlen, 
jobald ji eine dünne Eisdecke gebildet habe, Wafler aus dem Graben abzulajien, 
u. zw. jo viel, daß zwijchen jener Kruſte und dem Wajjerjpiegel ein freier Raum 
von etwa 3° Höhe bleibe; dann gefriere das Wajler nicht und die dünne Dede 
trage doch feinen geharnihten Mann. — Wolle man ji in einem Sumpfe ans 
jtedeln, jo erridte man den Bau auf einem Roſt von Erlenholz, dejien Härte 
und Widerjtandsfähigkeit im Wafler nur zunehme. 

Um Gebäude gegen den Wurf jhmwerer Steine zu fihern, jollen jie 
mit gefunden Balten bededt, mit Boden bejchüttet und endlich mit einer Reijig- 
ihicht belegt werden. Hat man Urjache, niedere Bogenmwürfe zu fürchten, die eine 
Band treffen fünnen, jo ift dieje mit Balfen zu blenden. 

Um fih vor dem gewaltjamen Angriff, insbejondere vor der Leiter— 
erjteigung zu fihern, werden viele Mittel angegeben. Der Zwinger iſt durd 
Dornheden und Wachthunde zu ſchützen. Unter den Zinnen der Mauer jollen 
ihwere, loje Steine auf ſchwanken Gerten liegen; berührt die einer mit jeinem 
Steigzeug, jo jtürzen ihm die Blöde entgegen. Yängs des Mauerfußes find 
Yähmeijen (Fußangeln) anzubringen. 

Sehr eingehend jind die Vorjchriften über den Thorwachtdienſt, der vor 
Überfall jichern joll. Das jtrengjte Zeremoniell hat hier den Zwed, den Wächtern 
die äußerſte, argwöhniſche Vorficht durd) das Pienjtreglement zur zweiten Natur 
werden zu lafien. Niemals darf das Äußere und das innere Thor gleichzeitig 
geöffnet werden"). 

Zur Bejapung gehören auch Handwerker. Sorgjam ijt für die nötige 
Ausjtattung mit Yebensmitteln, Waffen, Feuerwerksmaterial (insbejondere »petro- 
leum«) zu jorgen. Bezüglich der Artillerie ijt es interejjant, daß der Verf. 
viel Wert auf die Anwendung der „Böller“, d. h. der fleinen Mörjer, legt, welche 
eben damals in Gebrauch famen. Sie warfen Steine, und daher erklärt es fich, 
da der Autor meint: „denn etwan vil wirft, die köſtent nit jovil ald ain ainiger 
bubjenihu mit yſin oder plyin (eiferne oder bleierne) Klögen“. Die Erwähnung 
der eifernen Kugeln an diejer Stelle ijt merkwürdig; ihrer wird jonit um dieje Zeit 
in Deutichland noch faum gedacht‘), jogar noch nicht in dem Nürnberger Inventar 
von 1462 8 62). Jedenfalls handelt es jich hier nur um fleinere Kaliber, vor— 
nehmlih Terrasbüdhjen, von denen die Wiener Handichrift auch eine Abbildung 
gibt. Schlangen und Kartaunen erwähnt der Verfafler nicht. Außer den Böllern 
warfen mit Steinen nur noch die „buchen biüchjen“, die lediglich zum Bejtreichen 


1) Diefen Teil der Hanbichrift, der ihm aus Wien mitgeteilt war, hat General Krieg v. Hoch⸗ 
telden in jeiner Geſch. der Militär-Architeftur veröffentlicht. Er findet fich wieder in meinem Hand» 
bude ©. 682. 

) Nur bedingungsmweijfe in dem Feuerwerksbuch dv. 1454 S. 405). 


428 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werke. 


der Gräben dienten. Solche „hulgin bücjen“ fommen aud nod im 16. Ihe: 
zu Nebenzweden vielfad vor. „Springend und jchlahend werffkugeln“, alic 
Sprenggeichofie , veritand man aus den Böllern noch nicht zu werfen; zu diejem 
Zwede bediente man jich noch der alten „werfiitöd“, d. 5. der Bleiden. — Yur 
fortififatorijhden Armierung gebört es, dab die leichtgebauten, hochge 
legenen Teile der Häujer abgetragen werden, damit fie, zerichoflen, die Beſatzune 
nicht bejchädigen. Wo die Ringmauer dem direften Schuß ausgejegt ift, da ſol 
binter ihr ein „geſchut terraß“, d. h. ein angejchütteter Erdwall aufgeführt werden 
Wenn der Berg Gelegenheit dazu bietet, jo ſoll man auch proviforifche Auhen- 
iwerfe, „polwerd“ d. h. Bohlenwerke, vor demjelben anlegen, von denen aus da 
Feind zuerit zu bekämpfen jei. Die Bollwerfe müfjen aber mit der Burg in 
Verbindung gejept werden. 

Das furze, den Belagerer betreffende Kapitel bringt jeltjamer Weije acı 
feine Anweijungen für den fürmlidhen Angrifi, jondern enthält nur Ermahnungen. 
ja auf der Hut zu fein, daß man nicht von außen ber durd ein Entjagforps 
undermutet angegriffen werde. 


Überblickt man den Inhalt diefer zehn Kapitel, jo erkennt man, 
troß der nur auf die Burgvertetdigung und den kleinen Srieg ac 
richteten Haltung derjelben, bereits namhafte Einwirkungen, welce 
die neue Artillerie auf den Burgenbau, bzgl. auf die Verſtärkung 
älterer Anlagen ausübte. Noch herricht der Mauerbau zwar durchaus; 
denn noch it der Brechſchuß nicht jehr zu fürchten ?); immerhin jtrebt 
der Verfaſſer aber doch ſchon danach, jein Mauerwerk dem direkten 
Schufje zu entziehen und (wo dies nicht möglich it) es zu verftärfen, 
indem er einen „terraß“ anjchüttet. Auch bei Einrichtung vorgejchobener 
Werke wird auf den Mauerbau verzichtet und der Holzbau, das Boll 
werf, empfohlen ?). Sehr merkwürdig iſt die Anlage von Kaponnieren, 
um den Feind mit „gerwalt der buchjen“ aus dem Graben zu ver 
treiben. Daß es dem Autor auch nicht an richtiger artillerijtijcher 
Würdigung des Geländes fehlt, erhellt bejonders daraus, daß er 
diejenigen Punkte des BVBorterrains, welche dem Angreifer günittae 
Gelegenheit zur Geichügaufitellung bieten, „abſchlaiffen“ laſſen, alſo 
Korrekturen im Terrain vornehmen lafjen will. 


1) Die großen Kaliber bedienten ſich ja noch der Steinkugeln, die höchſtens zur Berftärtung mi! 
eifernen Ringen umgürtet wurden, ober der Stangenpfeile zum Brechſchuß. 

2) Ein interefjante® Bild einer ſolchen Holzburg bringt die jhon erwähnte Münchener Zlono- 
graphie cod. lat. 197 [85]. Es ift ein aus Balfen gezimmertes Bollwerf (bastille), deſſen unteres 
Geſchoß Leine erfennbare Verteidigung bat. liber diefem Erdgeſchoß erheben fi 3 Stodwerke, dere 
jebeö etwas gegen ba& untere zurüdgezogen und durch einige Geſchütze verteidigt ift, die aus engem 
Scharten weit hervorſchauen. Das Ganze überragen drei Maftbäume, welche ein brüdenartige® wierte: 
Stockwerk verbindet und melde ganz oben mit Mafttörben verjehen find. 


3. Befejtigungstunde. 429 


S 72. 

Der Traftat des Anonymus it nicht nur die ältejte deutjche . 
zujammenhangende Abhandlung über Berejtigungsfunit, welche ung 
erhalten iſt, jondern zugleich die einzige Arbeit dieſer Art, welche 
wejentlich von den alten Bedürfnijfen ausgeht und jich nur jo weit, 
wie eben unumgänglich notwendig, den durch das Feuergeichüg ge: 
gegebenen meuen Bedingungen anbequemt. Alle wifjenjchaftlichen 
Werfe, die von num am gejchrieben werden, gehen von emer anderen 
Grundlage aus. Die Neuentwidelung aber vollzog ſich, wie das in 
der Natur der Sache lag, ſowohl praftijch als theoretisch, nicht an 
der Befejtigung der Burgen, jondern an der der Städte. 

Das Auftreten der Feuergeichüge hatte das Syſtem der Fortifi— 
fation, welches während des 14. Ihdts. in methodiſcher Gejchlofien- 
heit bejtanden hatte, erjchüttert, und jeit der Mitte des 15. Shots. 
hatte der Gedanfe an die Artilleriewirkung angefangen, bejtimmend 
auf die Tätigkeit der Kriegsbaumeiſter einzuwirken. Man begann, 
die alten Städte neu zu befeitigen, und erkannte als das zu löjende 
Problem: bei Aufrechterhaltung voller Sicherheit gegen Leitererjteigung 
doch eine rajante Gejchügwirfung zu ermöglichen. Wenn man das 
letztere wollte, jo konnte von vorzugsweier Aufjtellung des Geſchützes 
auf den Türmen, wie das bisher Sitte geweien, nicht mehr die Rede 
jein; der Wehrgang der Mauer aber war zu jchmal, um größeren 
Kalibern Raum zu bieten. Nun vermochte man die Mauerfrone nicht 
einfacher zu verbreitern, als indem man Erde anjchüttete und jo einen 
Wallgang Hinter der Mauer jchuf, von dem aus das Gejchüg feuern 
fonnte. Eine jolhe „Schütte* ließ zugleich einen Teil der Sicher: 
heit wiedergewinnen, welche die Mauer allein, gegenüber der Gewalt 
des neuen Geſchützes, nicht mehr darbot, und darım nannten Die 
sranzojen das Anjchütten eines jolchen Walles »remparer«, d. h. 
parer à nouveau, wovon dann das Hauptivort rempart (Wall) 
gebildet wurde. 

So ſehr eine jolche Anordnung aber auch im rein fortiftfatortjchen 
Sinne befriedigen mochte, jo wenig genügte ſie Doch dem Artilleriften ; 
denn das auf der Höhe des Wallganges jtehende Gejchüg hatte Feine 
Möglichkeit, auf nähere Abjtände rajant zu wirken, und gerade darauf 
fam jehr viel an. Daher wendete man denn, weit häufiger als die 
innere Schütte, eine äußere an: den jog. „Niederwall“ oder (wie 


430 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte. 


man es mit einem antifen Ausdrude nannte) die fossae brachia '). 
Das geſchah durch Ausgejtaltung des bisherigen Ziwingers: man 
legte vor der ihn nach außen abjchliegenden niederen Mauer oder 
Berpfählung einen tiefen Graben an, füllte den Zwingerraum jelbit 
aber bis zur Höhe jenes Aupenabjchluffes mit Erde und jchur jo 
eine äußere Schütte, von der man num vorzugsweile die Geſchütz— 
verteidigung ausgehen ließ. Die Außenmauer oder der Pfahlzaun 
des Zwingers bildete aljo jegt die Esfarpe des Grabens, und Der 
Niederwall (fausse braie) wurde von der Hauptmauer überhöht. — 
Es dauerte nicht lange, jo ſetzte man jolche Niederwälle mit flan- 
fierenden Werfen in Verbindung, die aber, wie ja der oft auch 
nur durch ein Pfahlwerk bekleidete Wall jelbit, nicht in Stem, jondern 
in Holz (Bohlen), Hürden und Erde fonjtruiert und demgemäß Bolen- 
werf (ital. baluardo, franzöj. boulevard) oder Bajtei (ital. bastia, 
bastione, franzöſ. bastille) genannt wurden ?). Solche Anlagen traten 
oft auch an Stelle alter Thorhöfe (Barbigäne). 

Eine dritte Art der Verjtärfung ummauerter Pläße durch Erd» 
und Holzbauten beitand darin, die „Schütte“ weder unmittelbar an 
Die Mauer zu lehnen, noch jie vor diejelbe hinauszuſchieben, vielmehr 
Wall und Graben Hinter die alte Hauptumfafjung zu legen. Für 
dieſe Art der Anlage jpricht jich 3. B. Philipp von Eleve aus. 8 77]. 
Er will nichts von den Wällen wiſſen, die jich unmittelbar an Die 
Mauer lehnen; „denn“ jo meint er „wenn die Mauer fiel, habe ıdı 
jtets den Wall mitjtürzen jehen“. Der Herzog jchlägt daher vor, 
die zur Gejchügaufitellung bejtimmte Schütte von der Mauer abzu— 
rüden, ihr durch ein Fachwerk von Balken möglichjt große eigene 
Standfejtigfeit zu verleihen und zwijchen ihr und der Mauer emen 
breiten Graben auszubeben, jo daß, wenn in die Mauer Breche gelegt 
jet, dem Feinde eine zweite Enceinte von Erde, Holz und Faſchinen 


1) Livius und Sueton braucden das Wort. -»Brachia+ bedeutet die Vorberarme, bzgl. bie 
Scheren ber Krebſe und Elorpione. Fossae brachia ift aljo eigentlich direft mit „Grabenſchere“ zu 
überſetzen. 

I) Bastoue (bäton) iſt „Stock“; »bastire- (bätir) heißt bauen, d. b. urſprünglich wohl „Holz 
ftügen errichten”. — Bolenwerle und Stodbauten beißen ſolche Werke alſo nach dem hölzernen Gerippe, 
das ihre Konſtruktion zuſammenhielt. Beide Ausdrücke, „Nolwerk“ wie Baſtion“, ſind erſt im 
15. Ihdt. zu allgemeiner Geltung gekommen. Zwar fand Littr& das Wort »bastio- ſchon in einem 
provencalifhen Zolument von 1238; aber erit ım Sriege zwiſchen den Engländern und Franzoien, 
zumal vor Orleans (1428) mwurben die »bastilles« weltbefannt. Seitdem warb ihr Rame aud in 
„Baftei” verbeuticht. (Übrigens bedeutet auch unſer „Baft“ mundartlich „Holz“ .) 


3. Befejtigungstunde. 431 


gegenüberitehe. Es iſt mir feine Befejtigung befannt, bei welcher 
diefer Vorjchlag Philipps in vollem Umfange zur Ausführung ge: 
bracht worden wäre; wohl aber werden mehrfach VBerjtärfungsbauten 
erwähnt, bei denen zwijchen der alten Mauer und dem Neuwall ein 
mehr oder minder jchmaler Naum, der ſog. „Lauf“ verblieb. In 
diefjem Falle bedurfte der Nemvall ganz entjchieden einer Heritellung 
als Bohlenwerf um jenfrecht errichtet werden zu können. 
8 73. 

Bon der Art und Weiſe wie die Bollwerfe oder Bajteien, 
d.h. die aus Boden, Balken und Reiſig zujammengejegten Kriegs: 
bauten, hergeitellt wurden, unterrichtet uns em deutſches Schriftchen 
in dem Cod. Palat. germ. 562, welcher, inneren und äußeren Gründen 
zufolge, im legten Viertel des 15. Ihdts. geichrieben jein muß?). 

Das Manuffript ijt in einen altertümlichen Schweinslederumjchlag ein- 
geheftet, der die halbverwijchte Auffchrift trägt: „Zu buchßen vnd bumen“. 
=. 1 bis 5b enthält das uns hier intereflierende Opusculum über den Bajteibau. 
Dann folgen viele unnumerierte Blätter. Mit Bl. 6 beginnt ein „Feuerbuch“, 
das bis ©. 12b ſechsundzwanzig deutjche Anweiſungen zur Herjtellung von Pulver 
und Feuerwerk enthält. Ahnen jchliegen ſich bis S. 50 Nezepte ärztlichen, magischen 
und erotiihen Charakters an. Auf ©. 51 beginnt der Berfaffer eine artilleriftifche 
Vorſchrift über das „ladenn einer puchjenn mit pfeylenn“; aber ſie reißt nad) 
4 „Zeilen ab, und den Beſchluß des Buches bildet ein Neimgejpräd; mit einem 
„leben Weybe“. 

Das Werfchen über den Bajteibau bejteht aus einer furzen 
Einleitung und vier Tafeln Zeichnungen mit emigen erläuternden 
Worten ?). Die Einleitung lautet: 

„So man ein jtat oder ſchloß vmb machen will, die da vejt joll werden, 
der nem dye mujter im anfangk vmb dye tor der pajteyn. Darnad) mit lange 
ihuten. Darnad; mit einem perg. Darnach wieder mit einer jchutt. Darnach 
wieder mit einer pajtey umb ein jtat oder vmb ein ſchloß. Den anfand joll 
man anheben mit wajen zwifach auf einander vnd jol hinder den wajen erden 
ihuten, vnd joll auf die erden vnd wajen wellen legen, die wellen jollen hinten 
und forn gepunden jein, vnd hinter der ſchut joll ein großer zaun fein mit zwi— 
fachem punttwergf, forn in zaun hinten in die jchut, vnd dye ſchieſlöcher jollen 
gancz aichen jein nach der leng durch jchut foren eng, hinten (d. h. innen) weht. 
Das bewer ih Hanns jhermer“. 


1) Dies merkwürdige Heidelberger M. ©. iſt bisher ganz unbefannt gewejen. 
2) Eingeihoben find mitten in den Text ber fortififatoriichen Abhandlung zwei Zeichnungen 
von Streitwagen und einige Angaben über die Verteilung derfelben in der Wagenburg. 


432 Das XV. Nahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte. 


Man kann nicht behaupten, daß ſich Hans Schermer in dieier 
Auseinanderjegung deutlich ausgedrüdt habe, und auch ſeine rohen 
Zeichnungen mit ihren jpärlichen Erläuterungen glänzen feineswegs 
durch Klarheit. Er verjucht, Grundrig und Aufriß zu vereinigen, 
aber nicht etwa im Sinne der Hlavalterperjpeftive, jondern in wunder: 
licher, höchjt infonjequenter Weiſe. Die erite Tafel gibt eine Art 
Geſamtanſicht dejjen, was man jpäter eine fortififatoriiche „Front“ 
nannte, d. 5. eines Abjchnittes der Enceinte von einer Baſtei zur 
anderen. Unter dem mittleren Teile derjelben (alfo unter dem, welcher 
jpäter Kurtine hieß) jteht: 

„Daß ijt ein ſchwt von einer pajteyn zw der anden, oben ain jchrenden auf 
der ſchwd, auch ein Igl vmb dye ſchwd. tem zwiſchen der peden pajteyn gehort 
ein perg, darauf man das leger vmb ein jtat wer(if) mit den puchjen auf dem perg.“ 

Unter der einen Baſtei jteht: 

„stem das iſt ein paitenn, die bat vnden xxxv ſchuch, dye jchießlöcher 
durhauß, vnd der zeun all vier mit puntwerd vnd ein Igl vmb dy paſtey oben.“ 

Die zweite Tafel bringt die Speztaldaritellung einer ein: 
zelnen Baſtei. 

„sten das tjt ein pajteyn mit vier wer auf einander, als da jtet mit vier 
zen innen als mit puntwerf vnd ain Igl als er oben jtett.“ 

Die beiden anderen Tafeln bringen Einzelheiten; am wichtigjten 
it die Darjtellung zweier „schieffenfter in ein pajtey“, von denen 
das eine xxx, das andere xx oder xxx Ichuch lang tt. Sonſt find 
noch „Igel“ und „Steden“ zum Bundwerk abgebildet. 

Das Bild, welches jich bei näherer Prüfung aus Schermers 
Zeichnungen und Bemerkungen ergibt, iſt nun folgendes: — Der 
Grundriß jener Feitung it ein Polygon, an dejjen Eden mäßig 
vorjpringende halbrunde Baſteien vermutlich zugleich als Ihorbefeiti- 
gungen dienen. Zwiſchen den Bajteren dehnen jich die „Schuten“ 
(die Kurtinen) aus, in deren Mitte jich je ein „Berg“ (Kurtinen— 
favalier) erhebt, von dem die Fernfeuerwirfung vorzugsweile ausgehen 
joll. Der Graben, welcher vor diefer Umfaſſung Liegt, it nicht be 
fleidet. Nach innen it die ganze Befeitigung durch einen jtarfen 
Zaun abgejchlofjen. — Zwiſchen der Esfarpe und dem Fuße des 
Wulles findet jich eine breite Berme mit Igel (Fraiſe). Von der 
Berme erheben fich die mit Wajen (Najen) bededten Erdjchutten 
in janfter Anlage, die Baſteien dagegen zu gleicher Höhe wie die 
Schutten als jenfrechte Bauten in Bundwerf, d. 5. in Holz, Raſen, 


2. Befejtigungstunde. . 433 


Erde, Falchinen und Flechtwerk, deren gemijchte Anwendung (Rojt- 
und Schlüfjelbildung von jtarfen Hölzern) eben den Bertifalbau er- 
möglichen ſoll. Diejer aber ift durch die für die Bajteren disponierten 
Hohlräume bedingt. Jede Bajter weiit nämlich vier „Wer“, d. 5. 
vier Reihen „Schießlöcher” für Gejchüge übereinander auf, jede Neihe 
zu vier bis fünf Scharten. Und zwar liegt die unterjte Reihe diejer 
mit Eichenbohlen getäfelten Scharten im Horizonte, welcher mit der 
Höhenlage der äußeren Berme und des Bajteihofes zujammenfällt ; 
die zweite Neihe liegt im Niveau einer etwa 10 Fuß höher ange 
brachten inneren Berme; zur dritten Reihe vermögen die Gejchüge 
nur durch Hebewerke (wie deren die gleichzeitigen Jkonographien ja 
häufig daritellen), die Bedienungsmannjchaften nur auf Leitern zu 
gelangen. Die vierte Schartenreihe liegt in einer auf den Wallgang 
aufgejegten jtarfen Brujtwehr. Wohl nur bei den beiden oberen 
Reihen iſt die Einrichtung flanfierender Scharten möglich; bei 
den unteren hindert die Böſchung der Schutten. Übrigens erjcheint 
der Ausdrud „Scharte“ für diefe Schieglöcher gar nicht geeignet; 
es jind vielmehr Galerien oder Kajematten, welche den ganzen Baſtei— 
förper von innen nach außen durchjegen, nad) außen hin aber an 
Höhe und Breite abnehmen. In ihnen jtehen die Gejchüge jamt der 
Bedienungsmannjchaft, und zu ebener Erde dienen fie offenbar auch 
als Thorwege, zu denen vor einer oder der anderen Bajter eine 
Schlagbrüde über den Graben führt. Da hierin natürlich eine große 
Gefahr für die Sturmfreiheit liegt, jo werden die beiden unteren 
Reihen der Schieglöcher, jobald fte nicht armiert find, gejchlojjen, 
u. zw. in höchjt ungewöhnlicher, dafür freilich um fo joliderer Weije: 
nämlich nicht durch Laden oder Schartenthore, jondern durch unge 
heuere „Schieffeniter* (Schiebefeniter), welche die ganze Galerie 
„durchaus“, d. h. von innen nach augen volljtändig ausfüllen und aus 
mächtigem Stammbolz bejtehen. Ihre Länge beträgt im unterjten Stod- 
werf 30, im folgenden 20 bis 30 Fuß. Dieje befremdliche Einrichtung er: 
scheint um jo jeltjamer, als die unteren Gejchügjtände doch vorzugsweiſe 
für den Nahfampf in Frage fommen, das Heran= oder Herausrollen 
der „Schiebefenjter“ wie die artilleriitiiche Armierung der eigenartigen 
Kafematten aber jedenfall® nicht unbedeutenden Zeitaufwand erfordert?). 





1, Ich gedente, ein Fakſimile bes Heidelberger Manuifriptes und den Verſuch meiner Relonftruftion 
demnächſt zu veröffentlichen. 
Jahns, Geihichte der Kriegswiſſenſchaften. 28 


434 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte. 


In mancher Hinjicht erinnern die Baſteien Schermers an die 
mehrgeſchoſſigen bienenkorbartigen Feitungswerfe aus Flechtwerk, von 
denen wenig jpäter Ghiberti eine Zeichnung entwarf. [$ 23.) Ans 
gaben über die Herjtellung des Bundwerkes fehlen bei Schermer. Nur 
ein Steden und ein doppel T-fürmiges Holz finden ſich dargejtellt; 
indejjen erfennt man, daß es fich um eine ganz gleichartige Technit 
handelt, wie fie della Valle 1517 in jeinem »Vallo« unter der Über: 
jchrift »Modo de fare uno Bastiono tondo per defendere con le soe 
chiaue et casemratte et canonniere« auseimanderjeßt. [XVI. 8 107.) 


8 74. 


Anders als in Deutjchland entwidelte die Militärarchitekftur 
fih auf italiſchem Boden, wo zwei diesjeitS der Alpen minder 
mächtige Elemente beftimmenden Einfluß übten: die Überlieferung 
der Antike und die Schönbaufunft. — Für den erjten dieſer beiden 
Impulje zeugt namentlich die Arbeit eines der merfwürdigjten Uni— 
verjalgenies des Quattrocento, die Schrift de re aedificatoria 
von Leonbattiſta Alberti (1404—1472). 

In diejem gelehrten Werke bildet die Abhandlung über das Kriegsbaumejen 
nur einen untergeordneten Abjchnitt, und dieſer jteht durchaus unter den Zeichen 
des Vitruvius und des Vegetius; die Verbindung mit dem wirflihen Leben iſt 
jehr loder. — Das Wert erſchien erſt nach dem Tode des Verfaſſers, 1485 zu 
Florenz. Die erjte Übertragung ind Italieniſche fam 1550 heraus, die legte, 
welcher die Noten Orſinis angehängt find, 1804 zu Perugia. Eine franzöjiice 
Uberjegung wurde 1553 zu Paris veröffentlicht. 

Bon fünftleriichem Gejichtspunfte ging Antonio Filarete aus, 
ein 1400 zu Rom geborener }Florentiner, der durch den Bau des 
schönen Dspedale grande in Mailand hohen Ruhm gewann. Cr 
widmete i. 3. 1464 dem WBietro dei Medici einen Trattato di 
Architettura, welchen die Libreria Magltabechiana in den Uffizien 
zu Florenz bejigt (no. 30 alla cl. XVII !). 

Es ijt eine allgemeine Darjtellung der Baufunjt in 25 Abjchnitten, deren 
einer von der Militärarditeltur handelt. Die antilen Elemente herrſchen aud 
bier vor, jedoch nicht unbedingt; dagegen handelt es ſich vielfach um faum aus 
führbare Projekte, und manche brauchbaren Vorſchriften werden von einer Maſſe 
unnüger Einzelheiten erdrüdt. 





1) Ein zweite® Manujfript in ber Bibl. bes Marcheſe Triulzi zu Mailand ; eine ſchöne Facſi 
milefopie von Chirici a. d. J. 1882 in der Bibl. des Herzogd von Genua zu Turin (Nr 292). 


3. Befeſtigungskunde. 435 


Die Schönbaumeijter Italiens waren faſt alle auch zugleich 
Kriegsbaumeifter. Filipo Brunelesco (1370—1450), der Schöpfer 
der weltberühmten Domfuppel zu Florenz, entwarf 1406 den Plan 
der Citadelle von Pija, baute 1429 das Schloß zu Mailand und 
1442 fir Alejandro Sforza die Befeitigung von Peſaro. — Donato 
Bramante, der Fürſt der italienischen Baufünjtler (1444—1514), 
hat Anteil an der Herjtellung der Feitung vor Porta Giovia zu 
Matland, jowie an der Berjtärfung der Werfe Bolognas, Mirandolas 
und Roms. Dont verjichert!), Bramante jei der Verfafjer eines Modo 
di fortificare in drei Büchern; doch iſt dies Werk verjchollen. — 
An den Feitungsbauten in Florenz und Rom war auch Michel 
Angelo Buonarotti beteiligt (1475—1564), und jo ließen jich 
noch viele Namen nennen; doch nur auf zwei derjelben tjt hier, ihrer 
literariſchen Tätigfeit wegen, näher einzugehen: auf Lionardo da 
Vinci und auf Francesco di Giorgo-Martini, deren beider als 
militärtjcher Ikonographen bereit3 gedacht worden it. 


8 75. 


Die fortififatoriichen Äußerungen Lionardos da Dinci [8 24] 
ſind jehr zerjtreut. 

In dem Eodice atlantico finden ſich einige LiniensTraces, welche 
Lionardo für den Herzog von Mailand entworfen hatte: ein Viereck mit Rundelen 
und ziemlidy weit vorgejhobenem halbfreisförmigen Raveline, ein anderes Viered 
mit Rundelen auf den Eden, einer feinen Plattform in der Mitte der Kurtine 
und einem näher gelegenen dreiedigen NRavelin, endlich ein Grundriß mit vier- 
edigen Bolwerfen. — Hinfichtlic des Navelins bemerkt Lionardo: „Das NRavelin 
it der Feitung Schild und muß von diejer jo verteidigt werden, wie es jeinerjeits 
die Feitung jhügt. Je weiter es von diejer entfernt liegt, dejto mehr ijt es 
Seitenſchüſſen bloßgejtellt. Der Feind wird in den Zaufgräben und am Fuße 
des Glacis Stellung nehmen und mit jeinen Feuerſchlünden das Ravelin zerjtören. 
Daher müſſen Ravelin und Glacis vom Feſtungsgeſchütz frei beftrichen werden, 
und um den etwa vom Angreifer unternommenen Minenbauten entgegenzutreten, 
ind im Umkreiſe jeder Feſtung, deren Höhenlage es gejtattet, viele tiefe Keller 
(Kontreminen) anzulegen“. — Außerdem bringt der Codice atlantico die Pianta 
d’una fortezza con quattro recinti altrettanti fossi ed all sterno poligoni 
con torri (Vieredige Bajtillen mit abgejonderten Edtürmen); ferner: eine kreis— 
förmige Befejtigung mit vorgejhobenen Halbfreistürmen, dreien ji überhöhenden 
fajemattierten Wällen, deren Hohlräume ſich auch nach innen mit Scharten öffnen, 


1) La Libraria. (Venedig 1550). 
98° 


436 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte. 


und in deren Mitte fi ein mächtiger Donjon erhebt; endlich ijt einer wahren 
Bolygonalbefejtigung zu gedenken, in deren Winfelpunften ji) gewaltige Hoch— 
batterien erheben. — Mehrere Zeichnungen beziehen ſich auf Minenanlagen. 

Aus einem der Pariſer Manujfripte hat Benturi folgende Betrachtung 
mitgeteilt): „Da heutzutage die Artillerie um drei Viertel an Kraft und Stärte 
zugenommen hat, jo muß man aud) die Widerjtandsfähigfeit der Mauern um 
drei Viertel verjtärten. Zu dem Ende find nad) jedem zehnten Schritte Strebe- 
pfeiler zu errichten, und der Raum zwifchen ihnen ijt mit Erde auszufüllen. Wach 
innen muß die Stärke der Pfeiler zunehmen, damit jie die Erde aufrecht zu er— 
halten vermögen, auch wenn die Mauer zerjtört jein jollte*. 


8 76. 


Francescos di Giorgio Martini Abhandlung über die Be- 
feſtigungskunſt it durch vier Jahrhunderte fait unbeachtet geblieben. 
Dann erjchien fie 1841 zu Turin als Trattato di Architettura 
civile e militare di Fr. d. G. M., architetto Senese del secolo 
XV. Oro per la prima volta pubblicato per cura del Carv. 
Cesare Saluzzo con dissertazioni e note per servire alla storia 
militare italiana. [$ 21). 

Der Generallieutenant Saluzzo, militärijcher Erzieher des Königs Viltor 
Emanuel und des Herzogd von Genua, war Großmeiſter der ſardiniſchen Artillerie 
und einer der frühejten und ausgezeichnetiten Kenner des älteren Kriegsweſens. 
Ihm verdanft man die Herſtellung der herrlichen Faklſimilia der militärischen 
Eodices Italiens, welche jich jeßt in der Bibliothef Genova zu Turin befinden. 
Unterjtügt wurde er bei Herausgabe von Francescos Werf durch den gelehrten 
Arciteften Bromis, welcher den Tert durch eine Reihe von Memorie istoriale 
begleitete, die eine Überſicht des Lebens und der Arbeiten der italieniſchen In— 
genieure von 1285 bis 1560 bieten, ſowie eine Abhandlung über den Urſprung 
der Baſtione und der Pulverminen. — Das prachtvoll ausgeſtattete Foliowert 
beſteht aus zwei Bänden Text und einem Atlas. Der erſte Band enthält die Lebens— 
geſchichte Francescos und ſeinen Tractat, der zweite die geſchichtlichen Denkwürdig— 
teiten. Der Atlas bringt nur die fortifikatoriſchen Entwürfe Francescos, von 
allen andern Darſtellungen ſeiner großen Ikonographie lediglich die eine von 
Mine und Tunnel (Nr. 383 in dem Exemplar der Kgl. Privatbibliothet zu Turin). 


Das Studium des Werkes lehrt, day Francesco eine große Zahl 
von Kombinationen verjucht hat, um den Forderungen guter Nah— 
verteidigung zu gemügen. 

Alle jeine Entwürfe zeigen die Neigung, überaus weit vor= und zurüds 
ipringende Linien zu gewinnen. Der untere Teil feiner Mauern hat eine janite 

I!) Essai sur les ouvrages physico-mathem. de Leonardo. p. 44. (Citat bei ®en. » Lt. 
v. Minutoli: Leonardo da Vinci als Ktriegskünſtler. Zeitſchrift für Kunſt, Wiflenih. und Geſch. bes 
Krieged. Bd. 68, 1846.) 


3. Befejtigungstunde. 437 


Böſchung bis zum Bordftein, von dem die fenfrechte Bruftwehr anhebt. Bei 
Konjtruftion der Mauer find alle jemals befannt gewordenen Berjtärtungsmittel 
berüdjihtigt; es finden ſich ſogar Türme, deren Außenſeite mit pyramidalen Er: 
höhungen bejegt find, zu dem Zwecke, den Flug der anſchlagenden Kugel im 
legten Augenblide zu winkeln und dadurd ihre Durchſchlagskraft zu ſchwächen, 
was bei jteinernen Geſchoſſen wohl Erfolg haben mochte. — Ausgebreitete An— 
wendung macht Francesco von den capanati, den Streicdywehren im Graben. 
Er bringt jie namentlid) in der Mitte langer Kurtinen an u. zw. am Fuße der 
Escarpe; doch fommen fie auch vor ausfpringenden Winkeln und am Fuße der 
Gontreedcarpe vor. — Die Erdanjhüttungen find hinter der Curtine meijt jehr 
ihmal, breiter an den ausjpringenden Winkeln, den NRondelen und Bajteien. 
In diefen Teilen bededen fie häufig zwei gewölbte mit Scharten verjehene Stod-= 
werte. Die Brujtwehr bejteht immer aus Stein, weil Francesco jtet3 Machieuli 
Gießlöcher zur Vertifalbejtreihung) anwendet. 


Die Veröffentlihung von Francescos Werf hat in dem vierziger 
Jahren unjeres Jahrhunderts großes Aufjehen gemacht. ES war das 
erjtemal, daß der Befeitigungsfunit des 15. Ihdts. wiljenjchaftlich 
nahegetreten wurde, und die gejchichtlichen Denkwürdigfeiten des Promis 
erregten mit Recht ganz ungewöhnliche Teilnahme. In einem Punkte 
ſchoß freilich Promis über das Ziel hinaus. Er fand in einem Ans 
bange von Francescos Traftat, der jich in dem Exemplar der Maglia- 
becchtana und nur in diejem befindet, auc) einige Zeichnungen, welche 
ihm Anlaß gaben, den Francesco für den Erfinder jowohl der 
Zenaillenbefejtigung als des Bajtionärtraces zu erklären. 


Eine diejer Figuren ftellt ein Viered mit vier Eck- und Mittelbafteien dar. 
Diefe Bajteien gehören zu den „langgejtielten“, die, durch fofferartige Bauten 
mit dem Hauptwall verbunden, möglichjt weit ind Vorterrain binausgejchoben 
wurden. Dergleihen fommen, bald mit halbfreisförmigem, bald mit ogivalem, 
bald mit dreiedigem Abſchluß allenthalben im 15. Ihdt. vor; hier ift der Abſchluß 
dreiedig, und demgemäß erinnern die Bafteien an Bajtione im modernen Sinne, 
an die »baluardie der Staliener. Ihre Facen find freilich) jo kurz, daß deren 
Wirfung auf das Vorterrain nur überaus gering fein könnte, und ſchon aus 
diefem Grunde darf man jene Heinen Vorbauten nicht als moderne VBajtione an— 
ſprechen; es find »puntoni«, wie jo viele gleichartige italienijche Anlagen. — 
Eine andere Figur zeigt ein Fünfeck, von defjen Kurtinen jeltfam geformte 
Saillants ausgehn; der kofferartige Schmalwall, welcher an den Hauptwall anjegt, 
erweitert jih nad) außen hin nämlicd) zu einem dreiedigen Werke, deſſen Spike 
jedoch abgejhnitten und durch ein kreisförmiges Bolmwerf (torreone) erjegt ijt. — 
Einige Grundrifie haben eine gewiſſe Ähnlichkeit mit der Gefamtanlage des 
Bajtionärtraces, wobei jedoch die Bajteien oft nicht die edige, jondern eine fon: 
vere Gejtalt haben. Die Kurtine ijt zuweilen gebrochen, nad) der Mitte zurück— 
gezogen oder konkav geführt. Die Thore dedt ein Meines dreiediges Ravelin. 


438 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte. 


Obgleich die Zeichnungen diejes Anhangs feine Silbe Erläuterung 
haben, jchreibt Promis jie doch mit Bejtimmtheit dem Francesco di 
San Giorgio-Martini zu und datiert jie v. 3. 1500. Für beiwiejen 
kann das durchaus nicht gelten; aber jelbit angenommen, es jei richtig, 
jo darf man darum den Francesco noch feineswegs für den „Erfinder“ 
der Tenaille, des Bajtions oder gar des Bajtionärtraces erklären, 
u. zw. aus dem einfachen Grunde, weil dieje fortififatorijchen 
Elemente überhaupt nicht erfunden, jondern ganz allmählid 
erwachjen jind. — Gegenüber dem müjjigen Streite über die „Er: 
findung“ der Bajtione bemerkte jchon vor mehr als 100 Jahren 
Bapacino d’Antont?), daß Tenaille wie Bajtion von der Redanform 
abzuleiten jeien, die ihrerjeitS davon herrühre, daß man bisweilen die 
Türme überef in die Mauer gejtellt habe. Die Vorzüge einer jolchen 
Anordnung aber hat bereits ein Bierteljahrtaujend vor Chriſtus Philon 
auseinandergejegt und demgemäß auch den Bau fünfediger Türme 
empfohlen. [A. $ 12]. Nicht minder waren jich die Römer bewußt, 
daß die Wirkung der Schieß- und Schleudermajchinen gegen jchräg 
gejtellte Mauerflächen geringer jei als gegen jolche, die der Flugbahn 
des Gejchofjes rechtiwinklig gegenüber jtehen, und daher wendeten jie 
da, wo der Angreifer auf das Vorgehen in bejtimmter Richtung an: 
gewieſen war, vielfach fünfedige Türme in den Mauergürteln an; 
wie deren denn noch jetzt, z. B. in dem Prätorianerlager zu Rom 
und in den alten Umfafjungen von Ardea und Como, erhalten jind. 
Als dann im Quattrocento Italien die antifen Traditionen neu be 
febte, geſchah es auch in diefer Hinficht, u. zw. nicht ohne Über: 
treibung; die übereck gejtellten Mauertürme oder vorgejchobene Turm: 
bauten von fünfedigem Grundriß (puntoni) wurden geradezu eine 
typiiche Form der italienischen Militärarchitektur. — Nördlich der 
Alpen dagegen, wo man nicht jo jehr von der Überlieferung abhing 
und Daher freier urteilte, jah man ein, daß das breite Gelände vor 
einer Stadtbefeitigung dem Angreifer falt immer mehrere Punkte 
zum Aufjtellen jenes Schießzeugs bot, und beließ daher den Mauer: 
türmen meiſt die runde oder vieredige Geitalt. Wohl aber gab man 
ſeit dem 13. Ihdt. den Haupttürmen der Burgen, den Bergfrieden, 
gern einen Grundriß von dreis bzgl. fünfediger Form oder baute jie 
als übereck gejtellte VBierede; denn vor diejen Türmen war das An- 


I) Archittetura militare (Turin 1778). 


3. Befeſtigungskunde. 439 


griffsjeld gewöhnlich derart bejchränft, daß die Schrägitellung der 
Turmfronten wirklich Nußen gemwährte!). — Dieje verjchiedene Ent- 
wicelung jenjeit8 und diesſeits der Alpen führte dann zu weiterem 
Auseinandergehen. Als es fich darum handelte, flanfierende Ge 
ihüsgaufjtellungen vor die Mauergürtel vorzujchieben, gab man in 
Deutjchland jolchen Werfen die hergebrachte abgerundete Form der 
Mauertürme und Thorburgen und führte fie meijt al3 Holz und Erd» 
bauten, d. h. als „Bolwerfe“ oder „Bajteien“ aus?). In Italien das 
gegen baute man jie überwiegend aus Stein und gab ihnen die Form des 
Redans oder des Fünfecks. Es find aber lediglich Flankierungswerfe; mit 
der Wirkung nach außen haben jie noch gar nichtS zu tun; dieje fällt 
vielmehr den Batterien zu, welche in der Mitte der Kurtinen auf 
Erdanjchüttungen angelegt werden, deren Name »piatta forma« ur- 
jprünglich gleichbedeutend it mit „Geſchützbettung“. Dieje Platt- 
formen oder KHurtinenfavaliere, von denen aus die Feitungsartillerte 
ins Vorterrain fchlagen joll, entjprechen jomit volljtändig den „Bergen“ 
auf der Schutte inmitten der beiden Bajteien einer Front Hans 
Schermers, jo daß aljo zwijchen deffen Bauweiſe und der jog. „alt 
italienischen Manier“ eigentlich gar fein Unterjchied beſteht. Beide 
itellen fich vielmehr als eine den mitteleuropätichen Völkern gemeinjame, 
aus den Verhältniffen herausgewachjene Befejtigungsweije dar, die eben— 
jomwenig jemand „erfunden“ hat wie die fünfedige Grundform der 
Bajtione. Die Gliederung der Front Schermers ijt überdies uns 
zweifelhaft um mindejtens zwanzig Jahre Älter als die verwandten 
Grundriſſe in den apofryphen Zeichnungen Francescos. 


8 77. 


Auffallend iſt es, daß feinerlei franzöjiiche Arbeiten über Be 
feſtigungskunſt aus dem 15. Ihdt. zu erijtieren jcheinen, wenn man 
nicht Die betr. Abjchnitte aus Herzog Philipps von Eleve Instruction 
8 38] als franzöfiich in Anjchlag bringen will. Dieje bringen aller: 
dings jowohl für die eigentliche Fortififation wie für den Belagerungs- 
frieg höchſt wertvolle Fingerzeige. — In eriterer Hinſicht erjcheinen 

1) Einen beſonders inftruftiven Bau bdiefer Art, den „hohen Turm“ zu Nedarbiichofsheim hat 
Oberft v. Cohauſen im Anzeiger für die Hunde der deutichen Vorzeit 1865, ©. 223 beiproden. 

2) Übrigens kommen auch dergl. Bauten in Stein vor; 3. B. bie jhöne „Notwer” vor dem 


Severinäthore zu Köln, welche 1469 erbaut wurde. Hier erheben fich über dem aus einem Quadrate 
und einem Halbfreife gebildeten Grunbriffe drei Gewölbſtockwerle und eine Geichügplatte übereinander. 


440 Das XV. Jahrhundert. U. Fachwiſſenſchaftliche Werte. 


bejonders Philipps Bemerfungen über das Remparieren alter 
Befejtigungen bemerkenswert. 

Der Herzog erweift fich (wie ſchon $ 72 erwähnt) durchaus unzufrieden mit den- 
jenigen Schütten (rampars), welche ſich unmittelbar an die Mauer anlehnten; 
denn der Sturz der legteren zöge den der Schütte nad) und made die Breche 
weit zugänglicher als jie ohne den Zujammenhang von Mauer und Wall fein 
würde. >J'ay veu tousiours tomber le rampar auec quand lon bat la 
muraille et y faisoit beaucoup meilleur monter.e Diejer Übelftand war 
jedod zu Philipps Zeit von noch höherer Bedeutung als jpäterhin; denn damals 
galten gerade die legten Augenblide der Verteidigung für diejenigen, in welden 
ſich die höchſte Defenſivkraft entfalte. Philipp jchlägt deshalb vor, den zur Ge— 
ihügaufjtellung bejtimmten Wall nicht an die Mauer zu lehnen, diefe vielmehr 
von vornherein auf eine mäßige Höhe abzutragen, weil die hohen Steinmafien 
doch nur dazu dienten, den eigenen Graben auszufüllen, wenn man der feindlichen 
Artillerie da8 Abtämmen überlaffe. Dann aber lege man 15 bis 16 Fuß hinter 
der erniedrigten Mauer un rampar de bois et de terre an, der zugleich den 
Raum zur Aufjtellung eigener Batterien biete. Wo es nicht möglich fei, eine 
derartige Anordnung längs der ganzen Umfafjung zu treffen, da verfahre man 
in diefem Sinne wenigjtens an den zumeijt gefährdeten Stellen u. zw. in der Art, 
dab der Holz und Erdbau ſich ald halbmondförmiger Abfchnitt an die minder 
ausgejegten Teile der alten Ringmauer anſchließe. 

Über den Belagerungskrieg der Übergangszeit vom Mittelalter 
zur Neuzeit bieten der deutjche Anonymus und Chrijtine de Bilan 
wertvolle Angaben [$ 71 u. $ 39]. Für die moderneren Verhältnifje 
iſt Philipp von Eleve der erſte Schriftiteller, und was er bietet, it 
zugleich von ungewöhnlicher Fülle und Deutlichkeit. 

Philipp zuerjt gibt ein Bild von den Gejamtbedingungen einer Bejagung. 
Er rät dem Fürjten dringend ab, ſich jelbit in einen befejtigten Pla einſchließen zu 
lajien. Er joll einen fühnen und Hugen Befehlshaber ernennen, und diejem, falle 
er noch feine Belagerung durchgemacht, einen Mann an die Seite jtellen, der 
das erlebt hat. Die Hauptjache jei, die Bejapung bei gutem Mute zu erhalten 
und vor Meuterei zu bewahren. Grgebene, höher gejtellte Leute müßten dabei 
mit dem Beifpiele der Hingebung und rajtlofen Tätigkeit vorangehen, und der 
Befehlshaber dürfe es nicht jchenen, eintretenden Falls durch jofortige Tötung 
Widerfpänjtiger zu jchreden, ohne lange jurijtiihe Ceremonien. »Je crois que 
Dieu ne vous scauroit point de mauuais gre: car de deux maulx il faut 
eviter le plus grand«. — Demnächſt fomme es auf gehörige Verpflegung an, 
deren Verteilung jehr genau zu regeln, am beiten nad Zehntichaften durchzuführen 
jei u. zw. nicht nur in Bezug auf die Garnifon jondern auch binfihtli der 
Einwohner. Auf Grund der Zahl der vorhandenen Zehntſchaften habe die Ber- 
proviantierung zu erfolgen. Mittelloje Leute ohne VBürgerredt und Grundeigentum 
weile man am bejten vor Beginn der Belagerung aus. — Sorgfältig jei der Be- 
itand der Artillerie und der Werfftätten zu unterſuchen, bezw. zu ergänzen. — 


3. Befeſtigungskunde. 441 


Die Umfafjung, in Abjchnitte geteilt, deren Verteidigung bejtimmten Quartieren 
überwiejen iſt, wird von deren Befehlähabern aud) fortifitatoriih und artille- 
riftiich armiert. Dabei ijt aber eine Generalreferve au milieu de vostre ville 
zurüdzubalten. Bor jedem Haufe hat man eine Waſſerkufe bereit zu jtellen 
und das Feuerlöſchungswerk von vornherein genau zu ordnen. — Große Auf: 
merffamteit ijt dem Wacdtdienjte zu widmen. Die Thorwachen (10 bis 12 Mann) 
find derart anzuordnen, daß. niemand weiß, an weldhem Tage er die Wade an 
einem gewifjen Thore haben werde. Liegen vor den Thoren bouleuerts und Nieder- 
wälle (douues) vor den Mauern, jo find auch diefe mit Wachen zu bejegen, doc) 
nicht denjelben Befehlshabern zu unterjtellen wie die Thore. Einer hat fid) gegen 
den andern abzuſchließen; einer hat den andern zu überwachen; car lon y a 
autrefois trouu& de grand tromperie. Bei Tage ijt auf dem höchſten Kirch— 
turm ein Lugauspoſten einzurichten; mit Sonnenuntergang findet Thorſchluß 
jtatt und beginnt eifriger NRondengang. Jede Thor muß fünf verjchiedene 
Schlüſſel haben, die ſich in ebenjoviel verjchiedenen Händen befinden. Zwiſchen 
den Thoren und dem Rathaus (Kommandantur) müflen bejtändig Glodenzeichen 
gewechjelt werden, die den Chef der Nachtwache mit der gejamten Stadtumfafjung 
in Beziehung halten. Außerhalb der Stadt haben Scleichpatrullen auf jede 
verdädtige Annäherung zu achten. Sorgfältig ijt auch auf die etiva vorhandenen 
Flußeintritte und auf die im Strom liegenden Fahrzeuge eine nie nachlaſſende 
Aufmerkſamkeit zu richten. Ein clerce du guet (Wachtſchreiber) hat über den 
Pojtendienjt genau Bud, zu führen; man muß in jedem Augenblid wifjen, wer 
an einer bejtimmten Stelle Schildwadt jteht. Am beiten lojt man die Poſten 
en petits rollets aus, damit ſich niemand beflagen fann und jeder Verrat ver- 
hütet wird. — Auch ein guter Spiondienft iſt einzurichten, der beſonders die 
Nachbarorte berüdfichtigen muß; dabei darf man das Geld nicht jparen. Streif- 
züge haben die Spione zu fontrollieren und ihre Nachrichten zu ergänzen. Am 
beiten refognoszieren freilich einzelne Offiziere (officiers d’armes) die Nachbarſchaft: 
fühne Männer, für die man leichte Brüden, Lederſchiffchen, Stridleitern und 
anderes Steigzeug (eschellements) bereit halten muß. Landleute jind in der 
näheren Umgebung des bedrohten Plaßes nicht zu dulden; unter ihnen findet 
der Feind immer Helfer. 

Letztere Mapregeln wird aud ein Angreifer zu treffen haben, welcher es 
unternimmt, fi einer Feſtung durch Handjtreich zu bemädhtigen (prendre 
d’emblee). Dazu gehört die genauejte Kenntnis der Ortlichkeit und des Dienit- 
betrieb3 in der Feſtung. Immer handelt es jid um den Grabenübergang und 
um die Leitererjteigung unter Benugung all der mannigfaltigen Werkzeuge, welche 
die Bilderhandichriften für ſolche Zwecke fo reichlih nachmweifen und deren Ans 
wendung der Steigmeijter (maistre eschelleur) leitet. Das Unternehmen wird 
in Zehntichaften durchgeführt, alfo nie viel auf einmal eingejegt, jeder Erfolg 
aber durch raſchen Nachſchub gefichert. Sind die Mauern erjtiegen, jo gilt es 
das Aufbrechen eines Thores und womöglich gleichzeitig die Beſchlagnahme des 
Allarmplages der Bejapung, um deren Vereinigung zu hindern. — Meijt wird 
der gewaltjame Angriff jih mit dem Überfalle paren; jedoch Heineren Plätzen 


442 Das XV. Jahrhundert. I. Fachwiſſenſchaftliche Werte. 


gegenüber, welche nad) mittelalterlicher Weije befejtigt und armiert find, darf man 
(wie Charles VIII. in Italien) wohl auch ganz offen mit einem bloßen unge 
dedten Artillerieangriff vorgehen, indem man mit grobem Gejhüt die 
feinen Feuerwaffen der Bejagung zum Schweigen bringt, mit leiten Kalibern 
aus großer Nähe die Mauern und Türme von den Berteidigern reinigt umd 
endlich den Sturm der Breche oder die Leitererjteigung wagt, ohne ſich irgend wie 
jelbjt fejt eingenijtet zu haben. Einen jolhen Angriff nennt Philipp >& la facon 
de France«. — Muß man auf ein derartiges Verfahren verzichten, jo fommt 
es zum förmlikhen Angriff, zureigentlihen Belagerung (siege), bei der 
man aus dem wohlbefejtigten Lager, durch Zufhanzungen (aproches) gededt, 
methodiſch gegen die Fejtung vorgeht, während große Batterien das Geſchütz 
der Wälle befämpfen und Breche zu legen verjuchen. Solcher grosses bateries 
rihtet man wenigjtend zwei bis drei vor jeder Feſtung ein und bejegt jie mit 
7 canons, 2 grosses coulouurines, 4 coul. moyennes und 12 faulcons. jede 
„Kanone“ wird während der Belagerung mindeſtens 40 Schüfje abzugeben haben, 
ein anderes Gejhüg je nad) Umjtänden. Es ijt eine genaue Feuerordnung inne 
zu halten, »que l’un des canons ne tire point, que tous les autres ne soient 
prests pour tirer tous ensemble«. Die Falken haben ein ununterbrochenes 
euer zu unterhalten jo lange der Tag währt, und auch nachts jollen fie nicht 
ganz verjtummen, zumal wenn bereit3 Breche gelegt ijt. In diejem Falle jind 
die leichteren Gejhüge jo nahe als möglich an diejelbe heranzuführen und haben 
jie bejtändig unter dem Schuß zu halten, um etwaige Wiederheritellungsarbeiten 
zu hindern (que lon ne face rempars). — Die Zujhanzungen gehen von 
den Batterien aus und werden entweder als Yaufgräben (tranchis) oder, wo das 
wegen jeljigen, bezw. najjen Untergrundes nicht möglich ift, mittels Schanzförben 
(mandes sans fonds) hergejtellt. Ihre Führung hat unter jteter Dedungsrüdjicht 
(par discretion) gegen die Türme und Boulevert? der Feſtung jtattzufinden; 
aber fie müfjen genügende Breite für bequemen Verkehr aud) der leichteren Ge: 
ihüße haben. Womöglich führt man einen Laufgraben gegen ein jedes Thor 
und errichtet diefem gegenüber einen Boulevert von übereinander getürmten 
Schanztörben jo hoch wie möglid, um die Bejtreihung der Zujhanzung zu 
hindern und Ausfällen gegenüber als taktifher Stüßpunft zu dienen. Die Arbeiten 
werden durd) jtarfe Tranchenwachen (guets de tranchis) gejichert, welche in jeit- 
lihen Abzweigungen der Laufgräben lagern. Won den Boulevert3 jchreitet man, 
falls fein najjer Graben vorhanden ijt, mit den aproches bis auf den Grund 
des trockenen Grabens (douue) vor!), indem man ſich gegen die dort etwa vor: 
handenen Caponnieren (moyneaux) — die Überjeger nennen fie „Meifentajten“, 
andere franzöfifche Schriftiteller »maisonettes«, die Jtaliener »capanati oder case 
matte« — mit Schanzlörben oder Erdaufwürfen fidhert. Bat der angegriffene 
Platz einen najjen Graben, jo fommt es darauf an, denjelben entweder troden 
zu legen oder ihn zu überbrüden. Erſteres fann, wo fein jteter Zufluß ijt, durd 
Ausihöpfen gejchehen, indem man Mühlen mit Schöpfrädern erbaut, welche das 


ı, Douve bedeutet jowohl Graben wie ®rabenrand (Daube); Eleve braucht den Ausdrud für 
den trodenen Graben wie für den Niederwall. 


3. Befejtigungstunde. 443 


Waſſer in Nebengräben werfen, die vorher anzulegen jind; findet aber Zufluß 
jtatt, jo iſt dieſer durch Holzdammbauten abzujcneiden (barriceques de bois), in 
deren Herjtellung die Holländer und Seeländer Meijter find. Zur Überbrüdung 
eignen ſich bejonders gut die fahrbaren Tonnenbrüden, welde man gegenüber 
der Brede in den Laufgräben bereit hält und auf dad Waſſer bringt, während 
die Breche mit ihrer Umgebung unter überwältigendem Feuer gehalten wird. 
(Bon all diefen Angriffsmitteln geben die Ikonographien reichlich Darjtellungen.) 
— Die zum Sturm bejtimmte Mannſchaft iſt der Breche jo nah wie möglid) 
bereit zu halten und, jobald dieje gangbar erjcheint, loszulaſſen; dabei muß die 
große Batterie zu feuern aufhören, um nicht die eigenen Leute zu treffen; die 
Falten dagegen ſchießen bejtändig auf die Breche bis jie im Beſitze der Unjern 
iſt. Gut iſt e8, an mehreren Stellen zugleich zu jtürmen. Wird der Sturm ab» 
gewiejen, jo folgt leicht ein Ausfall als Gegenſtoß, und um diefem zu begegnen, 
halte man gute und jtarfe Neiterjcharen in Bereitichaft. — Außer dem förmlichen 
Angriff mit Laufgräben nennt Philipp noch den mit den alten engins faicts de 
bois, von dem er jedoch nicht wiſſen will, à cause de l’artillerie qui court 
auiourdhuy et que ceulx de la ville pourroient auoir. Ferner beipricht er 
den Angriff mit Minen u. zw. jowohl denjenigen, welcher durd) unterirdijche 
Hänge Eintritt in die Stadt zu ermöglichen jucht, als den, welcher durch Unter: 
grabung der Mauern, deren Sturz herbeiführen will. Den erjteren erflärt er für 
le plus perilleux combat du monde, parquoy ie conseilleroye de ne s'y 
point amuser. Den Angriff mit Sprengminen erwähnt er nicht. Endlich ge— 
denft der Herzog noch des tranchis roulland, d. h. der Erdwalze, die er 
jedoch nur vom Hörenjagen fenne. Sie joll in ununterbrochener Arbeit jtetig an 
die Feſtung herangeführt werden, ununterbroden an Höhe zunehmen, den Graben 
ausfüllen und endlich bis zur Mauerhöhe geführt werden, worauf der Sturm 
über die Rampe erfolgt. 


Philipps Darjtellung vom Feſtungskriege it die Grundlage, von 
der die Betrachtung aller einjchlägigen Momente im 16. Ihdt. aus- 
gehen muß; denn jie fennzeichnet den Höhepunkt, welchen das 15. Ihdt. 
auf diefem Gebtete überhaupt erreicht hat. 


Dierfes Buch. 


Das jechzehnte Jahrhundert. 


a — 


Dierfes Buch. 


Das jechzehnte Jahrhundert. 


Viertes Buch. 
Das ſechzehnte Jahrhundert. 


I. Kapitel. 
Allgemeine kriegswiſſenſchaftlliche Werke. 
l. Gruppe. 


Die Bearbeitung der antiken Überlieferung. 


S1. 

Die Einwirfung der Alten auf die militärischen Anjchauungen 
jtand auch im 16. Ihdt. noch wejentlich) unter dem Zeichen der 
Veteres de re militari scriptores. [A. 83; XV. 83. 
Aber wenn auch die drei Matadore Vegez, Alian und Frontin 
das friegswifjenjchaftliche Denken, joweit e8 überhaupt jene Impulſe 
von der antifen Tradition empfing, in erjter Reihe beherrichten, jo 
traten doch mehr und mehr andere Geifter des Altertums neben ie: 
Oneſander, Polyäan, Bolybius und namentlich Cäjar. Immerhin er- 
[ebte das kanoniſche Corpus noch eine große Reihe von Auflagen. 

Spärlih it die Eimwirfung der Autoren der vorfaijer- 
lihen Zeit, die fich ja fajt ausjchlieglich der griechiichen Sprache 
bedient hatten. Zwar erjchten 1540 eine Ausgabe der Xenophon— 
tiichen Anabajis mit Vorrede Melanchthons zu Schwäb. Hall, nachdem 
ihon 1516 zu Florenz eine Gefamtausgabe der Werfe verjucht worden 
war, die viel zu wünjchen übrig ließ; aber dieſe Arbeiten haben 
ſchwerlich militärijche Kreije berührt. Auch die lateinijche Übertragung 
der Lehre Herons vom Geichügbau (Venedig 1572) hat gewiß nur 
antiquarischen Intereſſen gedient; denn bei der leidenjchaftlichen Hin— 
gabe an die Förderung der modernen Artillerie vermochte ein Zurück— 


448 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine friegswiiienichaftliche Werte. 


gehen auf die nevroballiitiichen Majchinen der Alten den Fachmännern 
jicherlich faum die flüchtigite Teilnahme abzugewinnen. — Etwas 
fräftiger wurde der Einfluß des Polybios. Schon 1529 gab Las 
caris zu Venedig die für die Kriegskunſt wichtigiten Kapitel in latein. 
Sprache heraus, und bald wurden diejelben auch ins Italieniſche 
überjegt. Im Jahre 1530 veranjtaltete Objopveus eine Gejamtaus- 
gabe des griechiichen Tertes mit PVerottis Übertragung. Dann aber 
widmete Guilielmus Xylander dem Pfalzgrafen Iohann Cafimir zu 
Heidelberg jeine treffliche mit Karten und Holzſchnitten geſchmückte 
Berdeutjchung der „Römiſchen Hiftorien des Weifiiten, Warhaff- 
tigjten vnd hochberhümpten Gejchichtsichreibers Polybii“ (Bajel 1574) }). 
Die volle Bedeutung diejes Autors für die Kriegsfunft fam jedoch erit 
jeit des Kipfius Werf de militia Romana (Leyden 1596) weiteren 
Kreiien zum Bewußtſein 8 34). 


82. 

Bon bejonderer Bedeutung erjcheint es, daß im 16. Ihdt. zum 
eritenmale das Studium Cäſars in den Vordergrund tritt. Zu 
den wärmſten Bewunderern des großen Julius gehörte Kaiſer Karl V., 
vielleicht der erite, welcher Kommentare zu den Kommentaren jchrieb, 
indem er jein Handeremplar mit einer Menge von Randbemerkungen 
verjah. Auf diejes Herrichers Beranlafjung jandte Fernando Gon- 
zaga, Vizefünig von Neapel, eine wiljenjchaftliche Mifjion nach Frank— 
reich, um die Lager Cäſars feſtzuſtellen. 

Die 40 Pläne, weldye die Mitglieder der Kommifjion aufgenommen und zu 
denen auch der von Aliſe gehörte, find in die 1575 veranftaltete Edition des Jakob 
Strada aufgenommen worden. 

Im Sahre 1507 erjchten unter dem Titel „Julius, der erit 
Römiſch Kayjer von feinem Kriegen vß dem Latin in Tütjch bracht“ 
zu Straßburg die erjte VBerdeutjchung der Kommentare, Damals anonym; 
doch jchon i. 3. 1508 brachte eine zweite Ausgabe den Namen des 
Überfjegers: Ringmann Philefius. Im Jahre 1530 drudte Joh. 
Schöffer eine dritte, 1532 Ivo Schöffer eine vierte Auflage zu Mainz. 

Letztere intereffante Ausgabe führt den Titel: „Caji Julii Cäfaris, des 
grogmächtigsten erjten Römijchen Keyſers Hiftor vom Gallier vnd von dem der 
Römer Burgerifchen Krieg, jo er jelbjt beſchrieben vnd durch jondere große manbent 
feiner ritterlichen tugent geführt hat. Dem rechten waren Latein nad) von nevem 





ı) Ein Exemplar im Beſitze bes Verfaſſers. 


1. Die Bearbeitung der antiken Überlieferung. 449 


befichtigt, an vielen orten gebefiert, au, jo vormals außgelaffen, wieder hinzu 
getan.“ — Am Schluß jteht: „Mein bucher zu latein jchrib id, Philefius Hat 
geteutjcht mich.“ — Die Überjegung iſt mit guten, doc äußerſt naiven Holzjchnitten 
geziert, auf denen die Legionare als Landsknechte erjcheinen und auf denen die 
Kanonen eine große Rolle jpielen ®). 

Zu Brügge edierte Hub. Golt 1563: »Jul. Caesar s. historiae 
imperatorum caesarumque Roman. Acc. Caesaris vita et res 
gestae«, In Frankfurt a. M. erjchienen bei Corvinus 1575 Opera 
C. J. Caesaris quae extant. 

Die leptere Ausg. Hat dann Borhorn bei den Elzevierd in Leiden 1635 
noh einmal herausgegeben. Es ijt der alte Corvinſche Drud; nur die erjten 
6 Blätter, welche Boxhorns »Tabulae topogr. et imagines praecip. machinarum 
bellicarum, quarum apud Caesarem mentio est« enthalten, jind neu. 

Wichtiger für das militärische Verjtändnis Cäjars, wohl auch in 
Deutjchland, wurden die Arbeiten einiger Italiener und Franzoſen. 
Schon Mora bemühte jich in jeinem dem Ottavio Farneje gewidmeten 
Buche »Il soldato« (Venedig 1570) die Schlachtordnungen Cäjars 
und des Pompejus als unmittelbare Vorbilder für die eigene Zeit 
darzustellen 2). Zwölf Jahre jpäter veröffentlichte Fra Lelio Bran- 
caccio zu Venedig feine bedeutende Abhandlung »Della vera dis- 
ciplina et arte militare sopra i commentari de Giulio Cesare 
da lui ridotte in compendio per commoditä de soldati«. Hier 
redet ein begeijterter und verjtändnisvoller Verehrer. Ihm ift »Cesare 
unico e solo maöstro che fu e sarä& sempre della guerra sin’ 
a gli ultimi seculi del mondo«. Wie vor ihm Machiavelli 8 7], 
jo will auch Brancaccio die Italiener wieder zu Römern machen, 
indem er ihren Fürjten an dem Bilde des Heros die Würde und 
Hoheit echten Feldherrntums nachweiſt. In einfichtsvoller Weije jpricht 
er vom Wejen der Legion und legt dann Cäjars Kommentare einer 
jorgfältigen Unterjuchung über die Kriegskunft zu Grunde. 

Eine zweite Auflage mit etwas verändertem Titel erſchien zu Venedig 1585, 
eine dritte i. %. 1626. Eine Verdeutfhung bot Neumayr von Ramsla 
XVII $ 30] in einer Sammelüberjegung italienifher Autoren: „Zween Kriegs— 
discurs des Brancatii und des Herzogs Francisci zu Urbin und dann 4 Bücher 
von der Kriegskunſt von Savorgnani” (Frankfurt a. M. 1620) ®). 


1) Herzogl. Bibl. zu Gotha. *) Kal. Bibl. zu Berlin (H. u. 15670). 

2) Brancacciod Handſchrift in der Kgl. Privatbibl. zu Turin (ms. 365). Ausg. d. 1685 in 
der Bibl. der Friegsalademie zu Berlin (D. 4100). Ausg. dv. 1682 in der Bücherei bes Berliner Zeug: 
hauſes (K. 29). Newmayrs Verdeutſchung in der Stabtbibl. zu Kranffurt a. M. (milit. 7) und in 
der Bibl. bes Berfaffers. 

Zähne, Geſchichte der Kriegswifienichaften. 29 


450 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


Zu Paris erjchien 1558 Cesar renouvele par des obser- 
vations de St.-Gabriel Symeon und ein Jahr jpäter des Petrus 
Ramus (de la Ramee) Traftat De Caesaris militia. Dieſe 
wertvolle lateinijche Abhandlung des berühmten professeur royal en 
eloquence et en philosophie überjeßte P. Poiſſon, Sieur de la 
Bodiniere, ins Franzöſche unter dem Titel: Trait de l’art militaire 
ou usance de guerre de Jules César, avec petites annotations. 
(Paris 1583). Weit jpäter, 55 Jahre nach Abjafjung des Originals, 
erschien auch eine Verdeutſchung desjelben: „Julius Cäſar 
vom Kriegswejen. In eine gewijje Ordnung und überjichtliche 
Hauptijtüde zufammengezogen und erjtlicd; durch Petrus Ramum vor 
etlichen Jahren (!) in latein. Sprache bejchrieben; jet newlich aber 
verteutjcht durch G. C. B. Z. D.“ (Amberg 1614)}). 

Da die Anordnung dieſes Werkes charakteriſtiſch für die Auffaſſung der Zeit 
it, jo möge Hier die Inhalts-UÜberſicht folgen: 

Von der Werbung. Vom Zubehör. Von der Zugordnung. Wie über 
Ströme und Wafjer zu ziehen. Vom Lagerfchlagen. Übung im Geben und 
Laufen. Vom Treffen und Angriff. Von Gelegenheit des Orted. Bon Schladt- 
ordnung. Wie dem Kriegsvolke zuzujpredien. Bon der Schladht Cäſars mit den 
Schweigern. Desgleihen mit den Nerviern. Bon der Pharjaliihen Schlacht 
Bon der Schladht von Munda. Belägerung der Städt. Belägerumgen von 
Avaricum, Urellodunum. Bon den Schäden, jo Cäjar bei Gergovia und Dyrrhachium 
erlitten. Wie man jid) aus belägerten Städten zur Gegenwehr jtellt; namentlich 
von dem Obrijten Leutenant Cicero. Bon Belägerung Alexias. Bon Schladten 
zu Waffe. Bon den Sciffjtreiten bei Vannes und in Engelland. Belägerung 
Marfilias und Ulerandrias. — Hottomanni Auslegung etlicher Kriegswerkzeuge 


83. 

Neger als die Beichäftigung mit den alten Autoren der hellenijch- 
römischen Vorzeit war die mit den Kriegsichriftitellern des 
fatjerlihen Roms. 

„Titi Liuij, dei aller redtiprechiten vnnd hochberümptejten 
geichichtjchreibers Römiſche Hiſtorien“ erjchienen in einer Verdeutjchuna 
von Carbachius und Micyllus 1533 bei Schöffer zu Mainz und 
ebenda in einer Neuausgabe 1546. 


Die zahlreichen intereffanten Holzichnitte jtellen die Alten in der Tradıt des 
16. Ihdts. dar und lafien die Nömer mit Feuergejhüß gegen ihre Feinde ziehen 


1) Vehörbenbibliotbel zu Deſſau. 


1. Die Bearbeitung der antiten Überlieferung. 451 


Das Werk Vitruvs wurde von Giocondo herausgegeben 
(Benedig 1511, Florenz 1522) und |1548 von Walther Reiff deutjch 
bearbeitet. [8 114]. Eine gediegene italienische Überjegung veranftaltete 
Barbaro (Venedig 1556 ff.). — Mit befonderem Interejje aber wendete 
man jich Frontin, Onejander und Alian zu. Ein Kriegsbuch, welches 
1524 und 1532 zu Mainz herausgegeben wurde, defjen jchon einmal 
Erwähnung geihah S. 333] und dejjen noch weiter zu gedenfen jein 
wird [$ 13], brachte „Die vier Bücher Serti, Julij Frontini, des 
conjularischen Mannes von den guten Räthen vnd ritterlichen an- 
jchlegen der guten Hauptleut“, jowie „Onerander von den Kriegs— 
bandlungen vnd Rathen der hocherfahren guten hauptleut jampt jren 
zugeordneten“ ?,., Wie populär Frontin war, beweilt der Umjtand, 
daß Motjchidler die „Kriegsränke“ in deutjche Neime brachte und 
außerdem noch drei projaiiche Verdeutſchungen erjchienen: die des 
faijerlichen Boeten Marcus Tatius, welche in Frönspergers großes 
Kriegsbuch aufgenommen wurde [8 32], eine zweite, die unter dem 
Titel „Frontini Sriegspractica, d. i. artliche und gejchwinde Griffe 
der Römer“ zu Frankfurt a. M. 1578 erjchien, und eine dritte, welche 
Schöffer zu Mainz i. 3. 1582 veröffentlichte. — Auch die franzöjiiche 
Übertragung des Petit: Les ruses et cautelles de Guerre (Paris 
1514) jcheint in Deutjchland vielfach Lejer gefunden zu haben, während 
Blaije’S de Vigeneres Arbeit über Onejander [A. $ 50], die erit 
1605 herausgegeben wurde, feinen Einfluß üben konnte. 

Hlian, der durch feine Aufnahme in die Veteres de re militari 
scriptores von vornherem eine bevorzugte Stellung unter den antiken 
Autoren einnahm (er war der einzige Grieche der kanoniſchen Samm- 
lung!) wurde jegt nicht nur in der Urſprache herausgegeben (von 
Robortelli 1552 und von dem Zürcher Geßner 1556), jondern 
noch früher verdeutjcht. Die Übertragung fand nach der Lateinischen 
Verſion des Theod. Gaza von Thejjalonich jtatt und wurde 1524 
zu Köln gedrudt. 

Polyän ward zwar noc) nicht ins Deutjche, jedoch dreimal 
ins Lateiniſche überjegt und dadurch dem allgemeinen Verſtändnis 
weſentlich genähert: von Vulteius (Bajel 1549), von Mutont 
(Venedig 1552) und von Cajaubonus (Leyden 1589). Der Geijt 





ı) Die Holzſchnitte find diefelben wie die Mainzer EAjar-Ausgabe. Das jeltene Buch befigt 
u. a bie Kal. Bibl. zu Berlin (W. o. 2416). 
23° 


452 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


der Zeit kam der Kriegsliftsliteratur, wie jie die Alten in Frontins 
und Polyäns Werfen hervorgebracht, namentlich gegen Ende des 
16. Ihdt3., mit wahrer Kongenialität entgegen. 


84. 

Die dominierende Stellung in der Militärliteratur nimmt noch 
immer Vegetius ein. Der deutſche Vegez des 15. Ihdts. XV. 
8 2], erſchien, nicht eigentlich in zweiter Auflage, ſondern in neuer 
Geſtalt, 36 Jahre nach Hohenwangs Arbeit unter dem Titel: Flavii 
Vegetii Renati vier Bucher der Rytterſchaft. Zu dem allerdurchleuch- 
tigiften geoßmächtigiten furjten und bern, bern Marimilian Romtjchen 
Keyier u. j. mw. gejchriben, mit mancherleyen geryiten, bolwerdenn 
vnd gebewen ...“ Erfurt 1511, durch Hans Knappen ?). 

Die UÜberjegung, deren Urheber man nicht kennt, iſt eine neue, bei der in= 
defien Hohenwangs Berdeutihung offenbar zu Nate gezogen wurde. Die Zahl 
der Holzjchnitte ijt auf 121 vermehrt, indem auf die älteren Jlonographien zurüd= 
gegriffen wurde. Das 5. Blatt der zum I. Buche gehörigen Abbildungen zeigt 
die gute Darjtellung eines Heinen Feldgeſchützes, welche in den jpäteren Aus- 
gaben fehlt. Die „bolwerde“, die „zu kryegsleuffen gehörig“, hier nebjt anderen 
„gebewen mit yren mojtern vnd figuren verzeychnet“ find, ftellen wirklich „Bohlen= 
werfe* im eigentlichjten Wortjinn dar. 

Im Jahre 1529 gab Stainer zu Augsburg einen Nachdrud des 
Erfurter Vegez „zu Kaifer Marimilians löblicher gedächtnus“ heraus 
„mit einem zuſatz von Büchſen geſchoß, Puluer, Fewrwerck. 
Wie man jich darmit aus einer Stadt, Feſte oder Schloß jo von 
Feynden belägert wär, erretten, auch jich der Feind damit erwören 
möchte“ ?). 

Der „Zuſatz“ ift nicht® anderes als ein Abdrud des alten Büdjen- 
meijter- und Feuerwerksbuches [XV, $ 59], welder, abgejehen von ge= 
ringen Änderungen und Weglafjungen, wörtlid mit der Handſchrift von 1445 
übereinjtimmt, die Hoyer im Anhange zu jeiner „Geſchichte der Kriegskunſt“ aus— 
züglich wiedergegeben hat. — Die Holzfchnitte diefer Augsburger Ausgabe jind 
diefelben wie die des Erfurter Begez von 1511, doch in der Ausführung geringer. 


Eine neue Ausgabe veranjtaltete Stainer i. 3. 1534 °). 


1) Eremplar in ber tgl. Öffentl. Bibl, zu Dresden und im Beſitze des Bert. — Bon den Holy 
ichnitten gibt e8 noch einen jpäteren, beionderen Abbrud ohne Titel und Text, in dem bie Abbildungen 
auf bie Zahl von 195 (auf 98 BL.) gebracht ift. Doc find die neu Hinzugelommenen Holzjchnitte weit 
ſchlechter als die alten. 

2) Diefe Ausgabe ift minder jelten als die vorigen. Exemplare zu Berlin in der ſegl. Bibl. 
(H. w. 4000). °) Exemplar im Bejige des Berfaflers. 


1. Die Bearbeitung der antiten Überlieferung. 453 


Hier find die Holzſchnitte noch „mit etlichen figuren gemehret und gebehert“ 
und nicht mehr, wie in der erjten Augsburger und in der Erfurter Ausgabe, in 
den Tert eingefchoben, jondern, wie einjt bei Hohenmwang, im Anhange zu einem 
jelbjtändigen Atlafje formiert. Diefer führt den Titel: „Augenjheinlihe anzangung 
durch conterfecte figuren von allen gebewen, Bolwerden, gerüften als Klagen, 
Antreyben, Zyehthürn, Streitwägen, Schießzeugen, Wyndtwägen, Fewrpfeylen, 
Fußeyſen, Waherzeugen, Widern, Steyglaytern, Schöpffzeugen, Vberwerffenden 
prugfen, Sturmzeugen, Kugeln, Schlingen, Balzeugen, Prechzeugen, Grabzeugen 
vnd anderen. Wie die alten gebraucht, jo in diefen vier büchern Vegetii gedacht 
wirdt.“ Das legtere ijt nur mit großer Einſchränkung als richtig anzuerkennen. 
— Der „Zufag vom Büchſengeſchoß“ fehlt der Ausgabe von 1534.| 


Diejer deutjche Vegez ift das rechte Symbol der Kriegswiſſen— 
ihaft um die Wende des 15. und 16. Ihdts. Er bringt die drei 
Hauptrichtungen derjelben klar, doch auch völlig unvermittelt, zum 
Ausdrud; nämlich erſtens die althergebrachte Bewunderung der antiken 
res militaris, welche hier ohne jede Abwandlung einfach wieder: 
gegeben wird, zweitens den das 15. Shot. beherrichenden ifonographi- 
hen Sammeltrieb, der e3 nicht verjagen fann, wenigſtens einen Teil 
der die alten Bilderhandichriften füllenden, oft jo jeltfamen Dar- 
jtellungen jauber in Holz zu jchneiden, und endlich drittens das jtarfe 
artilleristijche Intereffe der Zeit, das aber auch nur in ganz rezeptivem 
und jcholaftiichem Sinne befriedigt wird, indem die Ausgabe von 1529 
en unendlich oft abgeichriebenes, bereits ein Jahrhundert altes Feuer— 
werksbuch zum Abdrud bringt. 

Aus dem deutjchen Begez, bezw. aus dem Valturius [XV 8 44] haben jid) 
die den alten lonographien entitammenden Zeihnungen dann in die Parijer 
Ausgabe der Veteres de re militari scriptores des Buddäus (1535 und 1553) 
übertragen und aus diejer wieder in deren franzöfifche Überjegung, welche Volkier 
1536 beforgte. Ein Teil jener Bilder fand jogar nod) in die Vegezausgaben des 
Stewechius Aufnahme. (1569 bis 1607.) — In wie fpäter Zeit jene ikono— 
graphifche Tendenz übrigens noc bei bedeutenden Männern lebendig war, lehrt 
u. a. der Umſtand, daß zu Ende des 16. Ihdts. ein Fürſt wie Johann von 
Naffau [8 38] die Vegezverdeutfhung von 1529 eigenhändig durd ein „Rüft- 
vnd fewerckbuch“ vermehrte, welches Variationen des alten Feuerwerkbuches 
ſowie illuminierte Handzeichnungen der verſchiedenartigſten Kriegsgeräte enthält, 
von denen manche allerdings der Zeit Johanns angehören, nicht wenige aber 
noch auf die phantaſtiſchen Formen der Frühzeit des 15. Ihdts. unmittelbar 
zurückzuführen find ?). 





') ſgl. Bibl. zu Berlin (ms. germ. fol. 94) gez. »Qua patet orbis. Maurice, Comte de 
Nassau. Eine alte Beamtennotiz bezeugt die Selbftichrift des Grafen Johann. 


454 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


Bon den byzantiniſchen Milttärjchriftitellern wurde der Kaiſer 
Zeo VI. durch eine 1554 zu Bafel erjchienene lateiniſche Überjegung 
weiteren Kreiſen befannt und it offenbar in mancher Hinficht von 
Einfluß gewejen, zumal was die allgemeinen jtrategijchen Maximen 
betrifft. Dieje Einwirkung jteigerte jich, als Pigafetti die Inſtitute 
1586 zu Venedig auch in italienischer Sprache herausgab. Seitdem 
findet man bei den meijten italienischen Militärautoren die Spuren 
des Bafileus. 


2. Gruppe. 
Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht bei Pavia. 1525. 


85. 

Zwei Hauptftrömungen laffen jich in der kriegswiſſenſchaftlichen 
Bewegung des 16. Ihdts., zumal in deſſen eriter Hälfte, deutlich 
unterjcheiden. Die eine läuft in jenem gewohnten Bette antiquariicher 
Unterfuchung und Reproduktion weiter, das jeit den Tagen des Egidius 
Romanus bejtändig, wenn nicht vertieft jo Doch verbreitert worden 
war. Die andere geht ihre eigenen Wege, die Wege der Praris und 
Selbſtbeobachtung, die Wege, in welche jchon Chrijtine de Piſan ge 
wiejen und auf denen zulegt Philipp v. Cleve ein jo jchönes Rejultat 
gewonnen hatte. Dieje zweite Strömung wird allmählich die ftärfere. 
Das Zeitalter gelangt aber zu jeiner höchjten wifjenfchaftlichen Leiſtung 
durch) das Zujammenmünden beider Ströme in dem mächtigen Geifte 
des Machiavelli. In Deutjchland laufen fie lange unvermittelt neben 
einander her, und das Bejte, was unjern Vaterlandsgenofjen gelingt, 
erreichen fie auf dem Wege treuer Darjtellung der fie jelbjt umgebenden 
Berhältniffe, insbejondere derer der Administration, Artillerie umd 
Fortififatton, während das taktische Element nur geringe wiſſenſchaft— 
liche Förderung fand. 


86. 

Den deutjchen Bearbeitungen des Vegetius jtehen nach Inhalt 
und Zeit jehr nahe des Marescalci Thurii Institutionum rei- 
publicae militaris ac civilis libri novem, welche 1515 zu 
Roſtock erjchienen. — Nicolas Marſchalck war um die Mitte des 
15. Ihdts. in Thüringen geboren und lebte von 1507 bis zu jeinem 


2. Die allgemeine Literatur bis zur, Schladht bei Pavia 1525. 455 


i. 3. 1525 erfolgten Tode als Rat des Herzogs von Mecdlenburg 
und Lehrer der Gejchichte und Jurisprudenz zu Roſtock, wo er in feinem 
eigenen Hauje eine Druckerei bejaß, in der auch die Injtitutionen her- 
gejtellt wurden ?). 

Das 1. Bud, handelt von der Definition des Krieges und dem antifen Kriegs- 
wejen; das 2. geht auf Einzelnheiten der römiſchen Kriegsaltertümer ein; das 
3. jpricht von den Stratagematen, dem Belagerungsfriege und der Kajtramentation, 
das 4. von Adel und Ritterihaft, das 5. von den Aufgaben der Fürſten und 
Feldherrn, insbejondere den Anforderungen, die in Hinſicht auf den Charakter 
an jie zu jtellen jeien. (Kaifer Leo!) Im 6. Bude wird das Städtewejen ſowohl 
nad der Seite der Verfaſſung als der baulichen Einrichtungen u. zw. ganz 
wejentlih im Sinne römijcher Tradition behandelt. Das 7. Bud ſpricht von 
den Spielen der Alten, das 8. von den Waffen, den Rüſt- und Werfzeugen, und 
das 9. endlic vom Schiffsweſen und dem Seekriege. — Zwifchen dem 8. und dem 
9. Buche jind 22 Holzjchnittafeln mit gegen 100 Heinen Darjtellungen eingefügt, 
welche den Inhalt des 8. Buches ganz und gar im Sinne der militärifchen Bilder: 
Encyflopädien des 15. Ihdts. illujtrieren. Großenteils jcheinen dieſe Holzjchnitte 
dem Balturius entlehnt zu jein; doch begegnet hie und da auch etwas Neues, 
wie z. B. das Richten eines Mörjeg und eines leichten Feldſtücks, ſowie ein 
Wendegeſchütz eigenartiger Konjtruftion, das jpäter in Solms’ „Kriegsregierung“ 
wieder erjcheint [$ 22). 

Alles in allem jtellt jich das Werf Marichalds, L. L. ac Canonum 
Doctoris, doch nur als Kompilation eines Gelehrten dar, welcher unter 
vielen anderen Dingen auc) einmal das Kriegswejen jeiner Bearbeitung 
unterzogen hatte, dabei aber fich weit mehr von Excerpten aus One 
jander, Vegez und Leo dem Taftifer leiten ließ, als daß er aus dem 
vollen, in jo reicher Entwidelung begriffenen Leben jeiner eigenen 
Zeit geichöpft hätte. — Im Italien hatte man das Altertum bereits 
mit anderen Augen anjehen lernen. 


87. 

Die moderne Weltauffafjung, in welche noch unjere eigene Gene- 
ration hineingeboren it, hat in Italien ihr Gepräge erhalten u. zw. 
imfolge der Wechjelwirfung zwijchen ftarfem angeborenen Naturgefühl 
und verjtändnisvoller Bejchäftigung mit der Antife. Aus diejer Wechjel- 
wirfung ging die Renaijjance hervor, die Wiedergeburt der Künſte 
und Wiffenjchaften, welche fich als Übertragung antifer Formen — 

1) Das Wert ift jelten. In Berlin befinden ſich 2 Eremplare: eins in ber Kgl. Bibliothet 


‘F. 6081), ein® in ber Bücherei bed Zeughauſes (A. 4). In Wien beſitzt es die Bibliothel Hauslab- 
Liechtenſtein. 


456 Das XVI. Jahrhundert, I, Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


Kunſt- wie Denkformen — auf die Lebenselemente einer neuen Welt 
darftellt. Überall wo dieje Verbindung fruchtbar wird, da ijt ihr 
Erzeugnis feineswegs Kopie, jelbit da nicht, wo die Nachbildner eine 
jolche beabjichtigten ; vielmehr entiteht etwas Neues, etwas Eigenartiges; 
aber das Maß der Dinge, ihr Kanon, bleibt die Antike. 


Der vornehmite Vertreter der Nenaifjfance auf dem Gebiete der 
Kriegswiſſenſchaft und überhaupt einer der hervorragenditen militärt- 
ichen Klaffifer iſt Miccold Machiavelli, welcher zu Florenz 1469, 
aljo in demjelben Jahre geboren wurde, da Lorenzo Magnifico dei 
Medici jeine Herrichaft antrat. Er war der Sproß eines edlen tos— 
fanischen Gejchlechtes und ein begeijterter Jünger des Altertums. 
Dieje Abjtammung, dieje Bildung bejtimmten jein Weſen. 

Etwa 30 Jahre alt (Savonarola war eben den Feuertod geitorben), wurde 
Madiavelli segretario dei Dieci, d. 5. Sekretär der „Zehn“, welche die innere 
Verwaltung der Republik und die Leitung des Kriegsweſens bejorgten; doch aud 
in auswärtigen, oft jehr ſchwierigen Angelegenheiten verwendete man den Mugen 
und gewandten Mann; nicht weniger als 23mal übernahm er diplomatijche 
Miffionen innerhalb und außerhalb Italiens. — Der Gedanke, die Unabhängigfeit 
Italien wieder herzuftellen, bewegte damals alle edlen und mutvollen Geijter 
der Halbinjel, feinen jedod) tiefer und mächtiger als Machiavell. Niemand erkannte 
mit mehr Sicherheit die Urſache der politijchen Krankheit des Vaterlandes und die 
notwendigen Heilmittel. Ihm war es deutlich, daß die Erſchlaffung der Tapferkeit 
und der Mannszucht des italienischen Volkes gleichzeitig Urjache und Folge ver: 
fehrter Wehreinrichtungen war, nämlich des Gebraucdhes gemieteter Söldnerſcharen 
unter gejinnungslofen Condottieren, die aus der Kriegführung ein Gewerbe 
machten; er erfannte, daß die Wiederheritellung des VBaterlandes nur möglich jei 
auf Grund der Bildung vollstümlicher Wehrkraft. Einer jolden wendete Machiavell 
die volle Energie feiner theoretifchen wie praftiichen Wirfjamfeit zu. Wir haben 
e3 hier im Grunde genommen nur mit der erjteren zu tun. 


Seine fünf Hauptwerfe jind (abgejehen von den Dichtungen) 
die Sieben Bücher über die Kriegskunſt (dell’ arte della guerra), 
das Buch vom Fürjten (il principe), die Reden über Livius (discorsi), 
welche jeine Statstheorie enthalten, die Sammlung jeiner Gejandichafts- 
berichte (legazioni) und die Gejchichte von Florenz (storie fiorentini). 

I sette libri dell’ arte della guerra entitanden infolge 
von Gejprächen, die i. 3. 1515 in den Gärten des Cojimo Rucellai 
zwijchen diejem, Zenobi Buondelmontt, Battilta della Valle, Luigi 
Alamanni, Machiavelli und Yabrizio Colonna geführt wurden, als 


2. Die allgemeine Literatur bis zur Schlaht bei Pavia 1525. 457 


legterer, ein ausgezeichneter fFeldherr, nach Beendigung des lombardi- 
ſchen Krieges Florenz bejuchte. Endgültig abgejchlojjen wurde das 
Werk jedoch faum vor 1519, und es erjchien zuerjt unter dem Titel 
»Libro dell’ arte della guerra« im Auguſt 1521 zu Florenz. 

Das 1. der fieben Bücher Handelt von der Aufbringung der Heere und der 
Aushebung der Mannjchaft, da8 2. von der Bewaffnung und Übung des Fuß— 
volf3. Das 3. und 4. Bud find der Betradtung der Schladhtordnung im all 
gemeinen und unter bejonderen Berhältnifjen gewidmet, ſprechen vom Verhalten 
während der Schlaht und erörtern die Gründe zur Schladt. Im 5. Buche wird 
vom Marjche und der Marjchficherung, im 6. vom Lager und deſſen Anordnung 
fowie von den Militärftrafen und dem Kundichafterwejen gehandelt. Das 7. Bud 
bejpricht FHortififation und Belagerungskrieg. Dieje beiden legten Bücher jchließen 
mit allgemeinen jtrategiijhen Ratſchlägen und Kriegsmaximen. 

Bon den antiten Kriegsichriftitellern jcheint am eingehendjten Polybios be- 
nugt zu jein; daran reihen ſich Cäſar, Vegez und Frontin. Nur jparjam ijt 
Alian herangezogen. — Beijpiele bringt Madiavell nicht viel, doc) wählt er jie 
gut: meijt aus der römijchen, jeltener aus neuerer Kriegsgeſchichte; neben Cäſar 
iſt in dieſer Hinſicht beſonders Livius verwertet. In der Anordnung des Werkes 
zeigt ſich eine unverlennbare Anlehnung an Vegez. 

Wenn man der großen Bedeutung der militärwiſſenſchaftlichen 
Anregungen Machiavellis gerecht werden will, ſo iſt es ratſam, die— 
ſelben nach den beiden Gefichtspunften „Deeresaufbringung“ und 
„militärijche Technik“ zu jondern. 

Robert von Mohl bezeichnet Maciavelli als den erſten Mann jeit Arijtoteles, 
welcher die inneren Gründe der hiſtoriſchen oder zeitgenöfliichen Tatjachen aufzuſuchen 
bejtrebt war, als den erjten, der aus den Einzelerjcheinungen auf die allgemeinen 
Urſachen ſchloß und jo zu einer Erfahrungslehre gelangte, welche ihn die Be— 
dingungen des gejhichtlichen Lebens unter ganz neuen Gejichtspunften anſchauen 
ließ. Dies gilt aud von den militärpolitifhen Ideen Madiavelliß; jie 
zeigen ihn als einen die Zeitgenofjen hoch überragenden Geiſt. 

Wie Clauſewitz betrachtet auch Machiavell den Krieg als Werk 
zeug der Bolitif, und demgemäß erjcheint ihm ein tüchttges Heer 
als Borbedingung jeder tüchtigen Politif. Won der Untüchtigfeit der 
Söldnerheere aber it er tief durchdrungen, und jo wendet er jich 
denn mit warmer Begeijterung dem Gedanken des Volksheeres zu. 
In drei Werfen jehr verjchtedener Richtung verfündigt Machiavelli 
die reine Lehre von der allgemeinen Wehrpflicht: in dem be 
berüchtigten Principe, in den republifantjc gejtimmten Discorsi und 
in den Sette libri dell' arte della guerra. — Gleich in der Wid- 
mung diejer 7 Bücher an Lorenzo Strozzi, ja in deren eritem Satze, 


458 Tas XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswifienjchaftliche Werte. 


tritt er dem herrjchenden Irrtum entgegen, daß Bürgertum und 
Kriegertum unverträglich jeien. Nirgends finde man mehr Eintracht 
und auf Notwendigkeit begründete Liebe als zwijchen den Bürgern 
und Sriegern des Altertums, und um zu zeigen, auf welche Weile 
dies zugleich natürliche und ideale Verhältnis wieder herzujtellen jei, 
babe er die jieben Bücher gejchrieben. 

Antiten Vorbildern folgend, iſt da8 Werk in Geſprächsform gehalten, indem 
es den Schauplag wie die Perjonen jenes glüdfihen Zufammenfeins v. J. 1516 
in den Orti Oricellarii ald Rahmen fejthält. Nur daß Machiavelli jich ſelbſt nicht 
nennt, vielmehr den Colonna in den Mittelpunft rüdt und ihn zum Träger der 
enticheidenden Ideen mad. 

Nach heiterem Male lagert die Gejellihaft im Schatten jeltener Bäume, 
von denen Rucellai bemerkt, da fein Vater fie „nad; Angabe der Alten“ gepflanzt. 
„Ad“, ruft da Colonna aus, „wie viel beffer hätten unſere Väter doch gehandelt, 
wenn fie den Alten ftatt im Lurus vielmehr in Kraft und Geiftesftärfe nad: 
geeifert hätten, wenn fie nidyt nachgeahmt, was jene im Schatten verbargen, 
fondern was fie in offener Sonne getan!“ Damit ijt das Grundthema der Ge 
ſpräche angejchlagen, deren fieben Bücher durchweg das römijhe Kriegs— 
wejen als Borbild, das italienifhe als NAusartung einander 
gegenüberjtellen. »I miei Romani ... mentre che furono savj e buoni mai 
non permessero che i lori cittadini pigliassino questo esercizio per loro 
arte«. (A. d.g. I) Mit der eindringlichen Beredjamkeit der Begeijterung be: 
müht fi Machiavelli, feine Landsleute emporzureigen aus der wollüftigen 
Üppigfeit, in der fie jich gefielen, und ihre Seelen zu erfüllen mit dem Ideale 
nationaler Wiedergeburt. Der erjte und letzte Gedanke des Fürſten aber, der dies 
deal verwirklichen wolle, müfle eine vollitändige militärische Reorganifation ſein. 
Alle bewaffneten Propheten hätten gejiegt, während (wie Savonarolas Beifpiel Lehre) 
die unbewaffneten zu Grunde gingen. Und nun legt er die Gründe der von den 
Nachbarn fo furchtbar ausgebeuteten kriegerifchen Schwäche Italien dar. Schnei— 
dende Beihelhiebe treffen das handwerksmäßige Condottierentum, die Käuflic- 
feit, die Unzupverläffigfeit der Söldner. »Le mercenarie armi et 
ausiliari sono inutile e periculose ....; perch& le sono disunite, ambitiose, 
senza disciplina, infideli, gagliarde tra gli amici, tra i nimici vili, non 
hanno timore di Dio, non fede con gli uomini«. (Principe 12; conf. Dis 
corsi I 43; Provisione per la fanteria, Proemio.) — »Quale periculo porti 
quel principe o quella repubblica che si vale della milizia ausiliaria e 
mercenarie«. (Disc. II 20) »La rovina d'Italia non & ora causata da 
altra cosa che per essere in spazio di molti anni riposatasi in su le armi 
mercenarie.« (Princ. 12; conf. 13, 24 und Lett. a Vettori, 26. Aug. 1513.) 
Dieje Renommijten, welche durd ihre großen Schnurrbärte und durch die Flüche, 
mit denen fie ihre Reden verbrämten, Furcht einjagen wollten, das feien gar 
feine wahren Krieger. (Anklang an den miles gloriosus.) Die beiten Heerführer 
Griehenlands und Roms jeien zugleich deren befte Bürger gewejen. Nicht ohne 


2. Die allgemeine Literatur bi! zur Schlacht bei Pavia 1525. 459 


enthuſiaſtiſche Verkennung mancher geſchichtlichen Verhältniſſe, doch durchdrungen 
von der Überzeugung, die Wahrheit zu ſagen, ruft Machiavelli die großen Ge— 
ftalten der Bergangenheit empor und zeigt, wie die Scipionen, wie Marius und 
Cäjar mit der lebendigen Volkskraft Italiens alle jene Völker befiegt hätten, die 
num umgefehrt Italien unterjochten. Auf dieje lebendige Vollskraft komme es 
an! Jede verlorene Schlacht vermindere ein Söldnerheer in außerordentlicher 
Weiſe, weil habgierige Mietlinge immer dem Sieger zujtrömten, während ein ge: 
ihlagenes Boltäheer fich beim Rüdzuge jeinen Hilfsquellen nähere und in den 
Daheimgebliebenen jeine natürliche Verſtärlung finde. Vergeblich werde man ver- 
ſuchen, die Banden der Söldner zu verbefiern. Solche Leute müßten ja räuberiſch, 
betrügerijch und gewalttätig jein, weil ihr Handwerk fie im Frieden nicht ernähre. 
Sie feien genötigt, entweder den Krieg zu verewigen vder die Kriegszeit derart 
anszunugen, daß fie im Frieden von der Beute jchwelgen fünnten. Er erinnert 
daran, wie nad) dem erjten punifchen Kriege die farthagijchen Söldner ji empörten 
und gegen die Regierung einen Feldzug eröffneten, gefährlicher als der eben mit 
Rom durchfohhtene Krieg. Wie anderd die Römer! Wie edel jener Attilius 
Requlus, der ſoweit davon entfernt war, den Krieg als Mittel zum Erwerbe zu 
beraten, daß er, dem nach jchönjten Erfolgen in Afrita königliche Schäge zu 
Füßen lagen, den Senat um Erlaubnis bat, heimtehren zu dürfen, weil er höre, 
daß die Tagelöhner feine Äcker vernahläfjigten. Dem karthagiſchen Söldnertum 
entiprehe das italieniſche. Dadurch, dab Italien fajt ganz in die Bände der 
Kirhe und einiger Republifen gefallen ſei und dort die Priejter, hier die Bürger 
ih der Waffen entwöhnten, fingen fie an, der Söldner zu bedürfen. „Der erite, 
der ſolchem Kriegsdienſte Anſehen verjchaffte, war Alberigo von Como; aus defien 
Schule gingen dann Braccio und Sforza hervor, welche zu ihrer Zeit Schiedsherrn 
Italiens waren und von denen legterer den Herzogsſtuhl von Mailand bejtieg. 
Nach diejen kamen alle anderen, weldhe bis auf unſere Zeit jene Heere geführt, 
und dad Ende ihrer Heldentaten war, dab Italien von Charles VIII. durchzogen, 
von Louis XII. geplündert, von Fernando gemißhandelt und von den Schweizern 
geihändet wurde“ "). 

Man muß gejtehen, die Entrüjtung Maciavelld über die Condottieren ijt 
begreiflic) genug. Zu oft Hatte ihn der Augenjchein von ihrer volllommenen 
Unzuverläfligfeit überzeugt, um an ihr Beftehen noch irgend eine nationale Hoff- 
nung zu fmüpfen. „Bei welchem Gott“, jo ruft er grimmig aus, „joll id) fie 
ihwören laſſen? Bei dem, den jie anbeten, oder bei dem, den jie läjtern? Wen 
fie anbeten, weiß ich nicht; den kenn’ ich wohl, den ſie läjtern!* Unter den Zeit: 
genojjen hätten nur noch die deutichen Städte und deren Bünde, vor allem die 
Eidgenojjenjchaft rationelle Wehrverfaſſungen. »Svizzeri i quali soli dell’ antica 
milizia ritengono alcun ombra« (A. d. g. II). »Svizzeri i quali oggi sono 
quelli soli popoli che vivono, e quanto alla religione e quanto agli ordini 
militari, secondi gli antichie. (Discorsei I 12.) »Stettero Roma e Sparti 


ı) Charles VIII. ſcherzte: Mit der Ktreide der Furierſchützen habe er Italien erobert. Freilich: 
jeine Eroberung ward auch wie eine Kreideinſchrift ausgelöiht. — „Man unterzeichne ſich mit einem 
Tröpihen Blut!... Blut ift ein ganz beionderer Saft.“ 


460 Das XVIL Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswifienichaftliche Werte. 


molti secoli armate e libere. I Svizzeri sono armatissimi e liberissimi«. 
(Prince. XII; Cf. Princ. X; Rapporto di cose della Magna; Discorsi II 19.) 
Die Venetianer hätten, Machiavellis Anficht nad), eine Univerjalmonardie gründen 
fönnen, wenn fie die Weißheit, die in den meijten ihrer Einrichtungen bervortrat, 
auch in Bezug auf ihre Kriegäverfafiung bewährt hätten. Waren fie doch ur: 
jprünglic ein bewaffnetes Bolf, freilich ein feefahrended. Als aber die Zeit ge 
fommen war, zuerjt zur Verteidigung Vicenzas, den Landfrieg zu führen, da 
nahmen fie, jtatt ihre Bürger gegen den Feind zu enden, den Markgrafen von 
Mantua mit jeinen Scharen in Sold; fie verboten jpäter ſogar gejeglih, dab ein 
venetianijcher Nobile Waffen auf der Terra Ferma trage, und durch dieſe unbeil- 
volle Maßregel, welche der Sorge vor dem Ührgeize ihrer Patrizier entjprang, 
ſchadeten fi die Venetianer unermeßlich: jie famen in Abhängigkeit von den 
Fremden. Und mit fcharfem Blick erjpäht Machiavelli auch die Achillesferſe der 
jonft jo mächtigen franzöfiihen Monardie. Er erinnert daran, wie König 
Charles VII., nad) Vertreibung der Engländer, die Notwendigkeit erfannt babe, 
fi) mit eigenen Waffen zu ſchützen und wie diefer Überzeugung die jtehende 
Reitertruppe der Ordonnanz-Gendarmerie und die Yandwehr der Francd-Archers 
entjprungen ſeien. Louis XI. aber, von demfelben Geijte bejeelt, wie die italiſchen 
Lokaltyrannen, habe die Landiwehr verfümmern lafjen; er zuerjt habe die Schweizer 
in Sold genommen und diefen, nicht fich jelbit zu Anſehen verholfen. Seine 
Nachfolger hätten dem Übel nicht Einhalt getan, und nun jei die ſchwer bewaffnete 
Adelsreiterei Frankreichs an ein fremdes Bolt gefefielt, ohne das fie weder fiegen 
zu können glaube, nod in der Tat zu fiegen vermöge. Die Kriegsmadt Frank— 
reichs jei aljo gemifcht, teils eigen, teild gemietet, bejjer als einfache Söldner, 
doch weit jchlechter als ein Nationalheer; denn fie jei abhängig von den tyremden. 
Sp beginne furzfichtige Klugheit der Menſchen ein Verfahren, das für den Augen- 
blick wohlſchmecke und daher das Gift nicht erkennen laſſe, das e8 enthalte, das 
aber fähig jei, den ganzen Organismus zu zerjtören. Und doc) ſei diefes Gift 
nicht unbefannt gewejen: wenn man dem Verfall des römijchen Reiches nachſinne. 
jo werde man deſſen Anfang in der Unflugheit finden, die Gothen in Sold zu 
nehmen; denn jeitdem erjchlafften die Sehnen Roms; die Kraft ward von ibm 
genommen, und die germanijchen Heerkönige erhoben ihr Haupt. Darum .erinnere 
man ji, daß nichts fo ſchwankend und unbeftändig ſei, als eine Macht, die nicht 
in eigener Kraft gegründet ijt. 

Wie joll denn nun aber ein Heerwejen eingerichtet werden ? 

Gewiſſe Theoretifer, meint Machiavelli, welche für den Krieg Borjchriften 
gaben, hätten begehrt, daß man nur Mannjchaften aus gemäßigten Zonen ein- 
reihe; denn die heißen Länder erzeugten Muge, doch nicht mutige Menjchen, die 
falten Länder mutige, doch nicht Huge. „Dieje Anweifung taugt jedoch lediglich 
für einen Fürſten, der die ganze Welt beherrjcht; ich dagegen jage: man bebe 
die Soldaten im eigenen Lande aus, unbefümmert, ob es heiß jei, falt oder ge— 
mäßigt. Es ift wahrer als jede andere Wahrheit, dab, wo ed Menjchen, dod 
feine Soldaten gibt, der Fehler am Fürften liegt und nicht an der Lage dei 
Landes oder dem Himmelsſtriche. Tullus Hoftilius fand, als er nah einem 


2. Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht von Pavia 1525. 461 


vierzigjährigen Frieden den römijchen Thron bejtieg, nicht einen Mann, der je im 
Kriege gewejen wäre. Dennod fam es ihm, als er zu Felde ziehen wollte, nicht 
in den Sinn, etwa Samniter, Tosfaner oder andere friegägewohnte Völker zu 
mieten, jondern er erzog die Römer zu Soldaten. So handelt ein weijer Fürſt! 
Nur im eigenen Lande fteht die Auswahl der Brauchbaren frei; von Fremden 
muß man ji) mit den Freiwilligen, den Söldnern begnügen, und das find jelten 
andere als der Auswurf der Geſellſchaft, Arbeitsjcheue und Entehrte, Ausfchweifende 
und Gottloje, deren Sitten der Mannszucht eines edlen, wahren Heeres fpotten. 
Ein König, welcher ficher regieren will, muß jeine-Truppen aus Leuten bilden, 
die fich aus Liebe zu ihm bei Kriegszeiten willig einftellen, noch lieber jedody beim 
Friedensihluß nad Haufe gehen. Solche Leute jind aber nur die Bürger 
des Vaterlandes. Dieje treten weder ganz wider Willen, nod 
auch vollfommen freiwillig unter die Waffen; es ift der Geijt 
des großen Banzen, der jie zu den Fahnen führt; mehr als die 
Drohung vor Strafe wirft die Ehrfurdt vor dem Gejeg, und jo entjteht eine 
heiljame Wirkung von Zwang und Freiheit, welche die Unzufriedenheit 
in enge Grenzen einſchließt. »Perd si debbe prendere una via di mezzo, dove 
non sia n& tutta forza, nè tutta volontä, ma siano tirati da uno rispetto 
ch'egli abbiano al Principe, dove essi temano piü lo degno di quello che 
la presente pena«. (Art. d l. g. I) »Perch® non si puö avere nè 
piü fidi ne piü veri nè migliori soldati (Princ., 26). Was nun die 
Auswahl betrifft, jo iſt eine richtige Beurteilung des Cinzelnen allerdings 
ſehr jchwierig, und diejer Umjtand, nicht minder aber die Gerechtigkeit, läßt es 
am zwedmäßigiten erjcheinen, daß die gejamte junge Mannjchaft bewaffnet und 
geübt werde, joweit fie ehrlih und tüchtig iſt. »E che in lui sia onestä e 
vergogna, altrimenti si elegge un instrumento di scandalo ed un principio 
di corruzione«. (A. d. g. I.) Eine unerträglide Lajt wird das niemals fein; 
denn jie hat ſich darauf zu bejchränfen, die einmal Ausgebildeten an den Ruhe— 
tagen des geichäftlihen Lebens zu gemeinfamen Übungen zu verfammeln. Für 
die Jugend jind ſolche Übungen ein wahres Vergnügen, und auch den älteren 
Bürgern werden jie erfrifchend fein. Weld) eine Schule für das Volt, wenn es 
feine Feiertage, jtatt im Müßiggang bei jhimpflichen Schwelgereien, nun auf dem 
Baffenplage verlebt, um Geijt und Störper zu heben und zu jtählen! »E sempre 
ne’ giorni oziosi si eserciterebbero« (A. d. g. II.). Und wenn aud) Opfer ge= 
bracht werden müfjen, jo ijt eine Nationalbewaffnung joldhe wohl wert. Denn 
ohne deren Schuß geht die bejte Berfafjung gerade jo zu Grunde, wie die prunk— 
vollen Säle eines Königsſchloſſes, wenn fie, obgleich leuchtend in Goldſchmuck und 
Juwelenpracht, des ſchirmenden Daches entbehrten, das all den Glanz vor Sturm 
und Regen jhüßt. 

Ganz ungegründet jei die Furcht, daß eine jolche Kandesbewaffnung den Stat 
umftürzen werde. So wenig als dieje Wehrmannſchaft jemals den Frieden jtören 
werde, um Krieg zu führen, jo wenig werde fie fich gegen die Regierung wenden. 
Die Waffen, welche das Gejeg den Bürgern in die Hand gab, leijteten vielmehr 
diefem jelbjt jtetS die beiten Dienſte, und die Staten, welche ſich auf fie gejtügt, 


462 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


blieben am längiten unbefledt von Knechtſchaft. Nom lebte mit jeiner bewaffneten 
Bürgerihaft vierhundert, Sparta gar achthundert Jahre in Freiheit. Geübt 
freilich muß die Wehrmannjchaft jein, zumal fie feltener im Felde liegen wird als 
Söldner. Fit fie jedoch geübt, jo fann man ſich aud) auf fie verlafien. Als 
Camillus gegen die Tosfaner 309, erjchrad jein Heer beim Anblid der gewaltigen 
Übermacht des Feindes. Er aber jagte ihnen nur das Eine: „ES tue ein jeder, 
was er gelernt hat und gewöhnt ijt“ (Quod quisque dicit aut consuevit, 
faciat!), und er jchlug den Feind“. 

Dies jind die Grundanjchauungen Machiavellis von der allge 
meinen Wehrpflicht, wie er jie im erjten Buche jeiner „Kriegskunſt“ 
oder in zeritreuten Kapiteln des Principe und der Erörterungen über 
Livius entwidelt. Was diejen Gedanken einen ganz bejonderen Wert 
verleiht, ijt der Umstand, daß diejelben ein Ergebnis nicht nur der 
wifjenjchaftlichen Unterjuchung find, jondern auch das eines ausge 
übten Verſuches. Wohl it der Statsjefretär jelbit der Meinung, 
daß eine Wehreimrichtung, wie er fie empfiehlt, nur von jolchen 
Fürſten leicht ins Werk gejegt werden könne, welche im jtande jeten, 
in ihren Landen ein Heer von 15 bi8 20 Tauſend Jünglingen aus- 
zuheben, während es für jchwächere Staten außerordentlich jchwierig 
jet; dennoch aber hat er wirklich mit allem Feuer jeines Charakters 
und der vollen Energie der Überzeugung eine volfstümliche Wehr: 
verfaffung im Florenz eingeführt und durchgejegt. Er jpielt in der 
»Arte della guerra« darauf an. 

YFabricio Colonna äußert da: „Wenn id ein ganz neues Heer zu bilden 
hätte, jo würde ich die Leute von 17 bis 40 Jahren nehmen; wenn es aber 
einmal völlig gebildet wäre, jo würde ich) nur immer die 17jährigen neu aus 
heben“. — „Ahr würdet aljo“, bemerft ihm Coſimo Nucellai, „eine Einrichtung 
berjtellen, welche unjerer eigenen jehr ähnlich ift“. — „Gewiß“, erwidert Colonna, 
„das ijt mein Gedanke. Freilich wirde ich das Heer ganz anders bewaffnen, 
befehligen, üben und ordnen!“ — „hr billigt aljo unjere Einrichtung?“ — 
„Warum joll id fie verdammen?“ — „Weil jie viele verjtändige Männer von 
jeher getadelt haben“. Nun aber wird Colonna-Macdiavelli zornig. „ES iſt ein 
Widerjpruch“, ruft er aus, „wenn Ihr jagt, daß ein verjtändiger Mann die Ein- 
rihtung tadelt; man würde einem ſolchen wahrhaft Unrecht tun, wenn man ihn 
verjtändig nennte!“ Nucellai will beſchwichtigen und wendet ein, dab die unglüd- 
lichen Ergebnifje, weldje die Ordonnanz immer geliefert habe, dazu ziwängen, uns 
günjtig über fie zu urteilen; und da bricht Colonna kurz ab mit der bezeichnenden 
Bemerkung: „Hütet eu, daß die Schuld, die ihr der Einrichtung beimeßt, nicht 
vielmehr die eure jei!“ 

Es iſt Machiavellis eigene Ordonnanz, deren Berteidigung er 
dem Fabricio in den Mund legt, und man verjteht Die Abfertigung 


2. Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht bei Pavia 1525. 463 


Rucellais volltommen, wenn man aus den t. J. 1857 von Caneſtrini 
veröffentlichten Dokumenten erjieht, welche bemunderungswürdige Geduld 
und Sorgfalt der Statsjefretär jeinen militärtjchen Organtjationen 
widmete. Denn auch nachdem er den Gonfaloniere Soderint von der 
Notwendigkeit der Milizeinrichtung überzeugt hatte, jtellten jich der 
Ausführung immer neue Schwierigkeiten entgegen, vor allem durch 
diejenigen, welche fürchteten, Soderint wolle oder fünne fich mit Hilfe 
jener Miliz zum Tyrannen machen. Man fing daher mit einem jehr 
fleinen Verjuche der neuen Meilitärverfaffung an, in der Hoffnung, 
daß die Bürger ſich dadurd) von ihrer Nütlichfeit überzeugen und 
gejegliche Maßregeln zu dauernder Einführung der Volkswehr ge 
nehmigen wirden. Und jo gejchah es in der Tat. Sobald Machia— 
vellt die Emmilligung des Gonfaloniere erlangt hatte, machte er jich 
im Dezember 1505 auf, um Toskana zu durchwandern und Die 
Mannjchaft zu den Fahnen zu jchreiben. Die ausgehobenen Truppen 
geftelen in Florenz; täglich gewann die Miliz an Volkstümlichkeit, 
und gewiß jprach der Kardinal Soderint die Anficht vieler aus, als 
er am 15. Dezember 1506 an Machiavelli jchrieb: „Es jcheint uns 
wahrlich), daß dieſe Ordinanza sit a Deo; denn ununterbrochen ge 
winnt ſie, troß aller Böswilligfeit, an Boden“. Seit langer Zeit, 
fügt er hinzu, habe die Republik nichts jo Ehrenvolles unternommen, 
und dies verdanfe man Machtavelli !). 

Wir bejiten eime Schrift des Statsjefretärd, La cagione 
della Ordinanza, welche die bei dieſem eriten Verſuche befolgten 
und jpäter zum Geſetz erhobenen Grundjäge darlegt. 

Das Autograph gehört zu den »Carte del Machiavellie und trägt von 
feiner Hand auf dem Umſchlage die Bemerkung: »1512. La cagione della 
Ördinanza, dove la si trove et quel che bisagna fare. Post res per- 
ditase. Dieje Überjchrift ijt offenbar jpäter, nämlich zu der Zeit gefchrieben, da 
die Republif und mit ihr die Wehrverfafjung gejtürzt war ?). 

Machiavellis Entwurf zur Bildung der Bolfswehr zu 
Fuß (Provisione per le fanterie), datiert von 1506, der zur Bil: 
dung der Reiterei (Provisione per le milizie a cavallo) von 
1511. Beide jind von Machtavelli verfaßt, doch namens des Rates 


i) Bgl. Billari: Niccolö Machiavelli e i suol tempi (Florenz 1877—82). Deutih von 
Hausler (Rubolftabt 1878— 1883). 

2) Buerft 1868 von Ghinaffi, dann 1872 von d'Ancon a veröffentlicht. Wieder abgebrudt 
bei Billaria.a. ©. 


464 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


erlaffen. Die Verordnung verpflichtet alle Bürger, welche tauglich 
befunden würden, ausnahmslos zum Waffendienjte. Eine aus Den 
angejehenjten Männern gebildete Erſatzkommiſſion teilt das Land im 
Bataillonsbezirfe und bildet unter Beihilfe der Bezirfsvoriteher Fähn- 
fein, die in den Waffen geübt und verpflichtet werden, dem Aufgebot 
zu folgen ?). 

Daß eine jolde Einrichtung, welche alle bisherigen Gebräuche völlig umzu— 
wandeln unternahm, Weigerungen und Widerjprüche hervorrief, verjteht ji von 
ſelbſt. Manche Gemeinden widerjegten ji) der Neuerung entſchieden und ver= 
warfen jede Vorkehrung für eine allgemeine Landesverteidigung. Der Statsjefretär 
redete ihnen in feinen Briefen ebenjo Flug als edel zu. — Ja jeine Hingebung 
an die Sache der allgemeinen Wehrpflicht war jo groß, dab er ſich jogar zu prin= 
zipiellen Zugejtändniffen herbeiließ, die ihm höchſt fchmerzlich fein mußten. In 
der Cagione della Ordinanza hatte er es für ganz ſelbſtverſtändlich erflärt, da 
der Führer des Volksheeres ein Florentiner fei. ALS ſich die Bürgerſchaft jedoch 
nicht zu entjchliegen vermochte, einem der ihrigen jo großen Einfluß auf die be= 
wafinete Macht einzuräumen, verjtand Maciavelli ſich dazu, einen Condottiere 
als Führer derjelben zu empfehlen, um wenigjtens die Miliz jelbit zu retten ®). 
Unermüdlich durdeilte er das Gebiet der Republik, beſchaffte Waffen, muſterte 
Mannſchaft, jendete taufende von Briefen und bat die Behörden, ihn ja nicht 
bon den Lagern und den Truppen abzuberufen. Bon alle dem durfte er weder 
als Statsjefretär nod) als Schriftiteller irgend welchen perjönlihen Vorteil er- 
warten; jein einziger Beweggrund war vielmehr jener nur allzufeltene Patriotis— 
mus, der ihn mit der Hoffnung erfüllte, zunächit Florenz, dann aber ganz 
Italien wieder waffentühtig und dadurd frei und einig zu machen. Denn 
dies ijt jein Ziel. „Niemals“, jo ruft er aus, „war ein Land glücklich und groß, 
wenn es nicht einer Republik oder einem Füriten gebordte, ala z. B. 
Frankreich“. Daher jchlägt er auc die Macht Frankreichs höher an, wie diejenige 
Deutſchlands. Denn „wenn der Kaiſer Truppen und Geld verlangt, jo bezahlen 
ihn die Deutjchen mit Reichdtagen“. 

Aber Machiavelli faßte kaum auf der erjten Stufe jeines hoch- 
jtrebenden politischen Planes feiten Fuß. Er erreichte die allgemeine 
Wehrhaftigfeit des florentinischen Bolfes nur in bejcheidenem Um— 
fange, und noch waren die neuen Einrichtungen nicht in Fleiſch und 
Blut übergegangen, als der Zujammenjtoß mit der „Heiligen Liga“ 
erfolgte. Soderini jah fich gezwungen, abzudanfen. Die Medicäer 
fehrten zurüd. Alle Gejege, welche jeit ihrer Vertreibung erlafjen, 
wurden für nichtig erklärt, und Machtavelli, abgejegt, gefangen, der 

!) Due provisione per istituire militie nationale. Auerft abgebrudt in der Ausgabe der 


Werte Machiavellis von 1782. Deutſch von Ziegler in deſſen Überjegung derſelben III, ©. 199 u. 216 
(Karlörube 1835). ) Consulto e parere per l’elezione del comandante della fanteria (ebenda). 


2. Die allgemeine Literatur bis zur Schlaht bei Pavia 1525. 465 


‚Folter unterworfen und verbannt, jah ſich von jeder Teilnahme am 
öffentlichen Leben ausgejchloffen. In ergreifenden, an Battifta Soderini 
gerichteten Terzinen klagt er das Glüd an: 

„Sabjt du wohl je, wie ein Adler zu den Wolfen emporjtieg, gepeinigt von 
Hunger und Faſten? Wie er eine Schildkröte mit emporhob, um fie im Sturze 
zu zerſchmettern und dann an ihrem Fleiſche ſich zu legen? So reiht Fortuna 
einen Mann empor, nicht, daß er oben bleibe — nein! Um ſich an jeinem Sturz 
zu weiden und daß er jamm’re über jeinen Fall!“ 

Die Untätigfeit war Machtavelli umerträglich; er trat zu den 
Herrichenden in Beziehung; die Medict beauftragten ihn mit der 
Geichichtsichreibung von Florenz und ernannten ihn in den Ausſchuß 
für das Befeftigungswejen. Dies machte ihn nun den Popularen 
jehr verdächtig, und als im Frühling 1527, nad) Roms Erjtürmung 
durch des Katjers Heer, die Medicäer abermals vertrieben wurden, 
jah Machiavelli fi) von allen Ämtern ausgeichloffen. Nur wenige 
Wochen nach diefem Umſchwung jtarb er, verfannt und gejchmäht. 
Aber als Florenz dann zwei Jahre jpäter dem Belagerungsheere 
Karls V. einen elfmonatlichen ruhmvollen Widerjtand leijtete, wirkte 
die von Machiavelli unternommene Volksbewaffnung noch fräftig 
nah. Einer jeiner Söhne, Ludovico, fiel da bei einem Ausfall mit 
der Fahne in der Hand. Endlich mußte die Stadt dem Gonzaga 
die Thore Öffnen und den Herricherjtuhl der Medicäer aufs neue auf 
richten, und jeitdem ging die allgemeine Wehrpflicht unter. Immerhin 
blieb die Erinnerung an jie bejtehen; im dem Heereseinrichtungen der 
toskaniſchen Herricher des 17. Ihdts. begegnet man entjchiedenen Ans 
flängen an die Gedanken des großen Statsjefretärd. Zunächſt aber 
triumphierte in ganz Europa das Söldnerwejen; auc) die ein Jahr: 
hundert jpäter von deutjchen Fürjten unternommenen Verjuche einer 
Wiederaufrichtung der Volksbewaffnung jchlugen völlig fehl, und es 
bedurfte fait eines Bierteljahrtaujends, bis Machivellis Idee Körper 
gewann und endlich in unjern norddeutichen Marken Wurzel jchlug. 


In den der militärijchen Techntf gemwidmeten Abjchnitten 
der Arte della guerra tritt der echte Charakter der Renaiſſance in- 
iofern deutlich hervor, al3 die darin niedergelegten Anfichten und 
Vorichläge eine untrennbare Verbindung jcharfer unmittelbarer Beob- 
achtung und antifer Neminiszenzen find. Bald waltet das eine, bald 
das andere Element vor. — Meachiavellis Anfichten über die Taktik 

Zähne, Geſchichte der Kriegswiſſenſchaften. 30 


466 Das XVIL Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


der drei Waffen werden "in dem Stapitel über die „Truppenkunde“ 
dargelegt werden; hier jollen nur die allgemeineren Verhältniſſe zur 
Sprache fommen. 

Mit großem Nachdruck behandelt Machiavelli die Angelegenheiten 
der Mannszucht. 

Ihrer Disziplin vornehmlich verdankten die Römer ihre Erfolge. Die 
Truppen jollen im Laufen, Schwimmen und Schießen jorgfältig u. zw. jtet3 in 
der Kriegsrüjtung geübt werden. Auf höchſtens 10 Mann rechnet Machiavelli 
einen Unterbefehlähaber. Er legt alle Vorteile der Gliederung und Unter- 
iheidungszeichen dar, jpricht beinahe den Gedanken der Uniformierung aus und 
eifert außerordentlich gegen den Mißbrauch zu vieler Diener und Pierde. 


Die gewöhnlihe Größe der Heere Roms, nämlich 25 bis 
30 Tauſend Mann, erklärt Machiavelli für das zwedmäßigite Vorbild. 


Mit einer jolhen Armee könne man nicht gezwungen werden, zu jchlagen, 
während jie ausreiche, aud) einen weit überlegenen Feind zu geichlofjener Haltung 
zu nötigen, ein Zuftand, den fein großes Heer lange zu ertragen vermöge, ohne 
ji) aufzureiben. Teile der Gegner jedoch jein übergroßes Heer, um leben zu 
fönnen, fo verliere er den Vorteil der Zahl und fünne einzeln gejchlagen werden. 
— (Diejer Aberglaube, daß ein Heer „zu groß“ fein fünne, hat lange geherricht: 
erjt die neueſte Zeit hat ihn vernichtet). 


Bom Feldherrn verlangt Machiavelli Kenntnis der Landes- 
funde und der Statijtif des Kriegsjchauplages: das aljo, was man 


„imperatoriſche“ Kenntnijfe nennen fönnte. 

An der Seite des oberjten Führers ftehe ein Generaljtab, bei deſſen 
Auswahl nicht nur die Rückſicht auf Klugheit und Kenntnifje, jondern aucd die 
auf den Charakter maßgebend jein müſſe. Dieſem Stabe falle neben allgemeiner 
Beratung des Feldherrn vorzüglicd die Sorge für das Nachrichten und Karten- 
wejen, ſowie für die Verpflegung, anheim. Schon im Frieden fei übrigens ein 
Nacdjrichtendienjt über Land und Leute der mutmaßlichen Gegner einzurichten. 
Spione fünnten in Krieg und Frieden gute Dienjte leiten; das Beſte aber werde 
der Feldherr immer durch tüchtige Führer vorausgejandter Reitergejhwader er- 
fahren. (Alles hoch modern!) 


Machiavellis jtrategiihe Vorjchriften zeugen von ganz 
bejonderem Tafte und einem für jene Zeit überrajchend freien Blicke. 


Das 4. Bud) der Arte della guerra enthält Regeln, wie man jidh vor, 
während und nah der Shladht zu benehmen habe, und alle An- 
weijungen find durch gejchichtlihe Beijpiele erläutert. — Nur der Kampf ge 
ordneter Maſſen bringe Entideidung. Diejer alſo fei unter allen Umijtänden jo: 
wohl in der Verteidigung als beim Angriff anzuftreben. Erfahrung lehre, daß 
e3 jelten möglid) jei, dem Feinde auf allen Punkten der Front überlegen ent: 
gegenzutreten, daß es aber andererjeit3 auch meijt genüge, wenn nur ein Teil 


2. Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht bei Pavia 1525. 467 


der Front recht augenſcheinlich geſchlagen jei; denn das reihe die Übrigen fort. 
Daher jei es Aufgabe des Führers, da, wo er ſchwach jei, wenigjtens jtart zu 
jcheinen, mit der wirfliden Stärke jedod) des Gegners ſchwache Seite anzupaden 
und zu vernichten. Zu dem Ende bedürfe man vor allen Dingen eines wohl 
vorbereiteten Reſerveſyſtems. Und zwar jei ein Teil des Heeres hinter der 
ganzen Front derart zu verteilen, daß er Berjtärkungen für die Einzelaufgaben 
ermögliche (Spezialrejerven) ; ein anderer Teil aber jei, dem gewählten Angriffspunfte 
gegenüber, für den entjcheidenden Stoß zurüdzuhalten. (Generalrejerve). Die 
Überflügelung will Macjiavelli nur bei bedeutender Überlegenheit anwenden ; 
auch der Verteidiger joll aus Beforgnis vor Überflügelung feine Front nicht zu 
ſehr ausdehnen, jondern lieber einen Flügel anlehnen und fi nad) der Tiefe 
formieren. — Normaljhlahtordnungen ließen fih wegen der Mannig— 
faltigfeit der möglichen Verhältniſſe nicht fejtitellen; aber die reglementarijchen 
Formen jollten jo gejchmeidig jein, daß das Heer ſich jeder Lage leicht anbequemen 
tönne. — Ein Sieg jei mit der größten Entjhiedenheit zu verfolgen, wie das 
Cäſar tat, „der dem fliehenden Feinde mit noch mächtigerem Ungejtüm nachiegte, 
al3 er den noch unverjehrten angegriffen hatte“. — Nach verlorener Schladt 
jei vor allen Dingen die gejtörte Ordnung wieder herzujtellen, was nur in einiger 
Entfernung von der Waljtatt möglich jei, weshalb ſich der erzentrifche Rückzug 
empfehle. — „Notwendigkeit“, jo ſchließt dad Buch, „iſt das fräftigite und ficherjte 
Mittel, um die Krieger zu hartnädigem Kampfe zu bewegen. Selbjtvertrauen 
und Liebe zum Feldherrn oder zum Vaterlande jteigern die Ausdauer. Selbſt— 
vertrauen erweden gute Waffen, tüchtige Schlahtordnung, friſche Siege und Feld: 
herrnruhm; Baterlandsliebe liegt in der Natur; Liebe zum Feldherrn erzeugen dejjen 
Wobhltaten, mehr aber noch jeine Tapferkeit. Die Notwendigkeit zu jchlagen, fann ver— 
ihieden jein; am jtärfiten wirft die, welche dich zwingt, zu jiegen oder zu jterben !“ 

Das 5. Buch bejpriht den Marſch in Feindesland, der für gefähr- 
licher erflärt wird, als die Schladt. Nach dem Mujter der Alten joll zur Auf: 
Härung leichte Reiterei vorausziehen ; in bedrängter Yage möge das ganze Heer 
ein Biered bilden, das Gepäd in der Mitte; jo jei es vor allen tumultuarifchen An— 
griffen empörter Einwohner fiher. „Sie werden mit Lärm und Gejchrei gewaltige 
Anläufe maden, doc nicht herantommen, Möpjen gleidy um einen Bullenbeiher“. 


Machiavellis Lageranlagen find wejentlich römiſch: Quadrate 
mit Rundelen an den Ecken, welche die Poſitionsartillerie aufnehmen. 

Ahnlicher Lager haben ſich in der Folge tatſächlich manche Feldherrn bedient, 
z. B. Moritz von Oranien. 

Scharfſinnig und eigenartig ſind Machiavellis Gedanken über das 
Befeſtigungsweſen, auf die an anderem Orte näher eingegangen 
werden ſoll. [$ 108). 

Die Regole generali, welche Machiavelli amt Schluſſe ſeines 
7. Buches gibt, jtimmen fajt wörtlic;) mit den Regulae bellorum 
generales des PVegetius überein. [A. 8 38). 


30* 


468 Das XVI. Jahrhundert. J. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


Neu und bemerfendwert find u. a. die folgenden: „Männer, Eifen, Geld 
und Brod find il nervo della guerra. Aber die erften find am wichtigiten ; 
denn Männer und Eifen finden die beiden andern; Geld und Brod jedoch finden 
night Männer und Eijen“. — „Schwer ijt es, plöglichen Unfällen abzubelien, 
leicht vorausbedachten“. — „Im Gefechte jelbjt - ändert niemals die anfängliche 
Beitimmung eines Heeresteiles, wenn ihr nicht Unordnung hervorrufen wollt“. 

Übrigens find in Machiavellis ganzem Werke eine Fülle von Sentenzen 
und Marimen zerftreut, die oft geijtreicher und treffender find, als die von Be- 
getius übernommenen. Nicht wenigen ift anzumerken, daß fie ein Ergebnis des 
Studiums Cäſars find; jo den imperatoriichen Süßen: „Stets hat der Feldherr 
auf Mittel zu finnen, des Feindes Streitkräfte zu ſchwächen, jei es auf jtrategi=- 
ihem, ſei e8 auf politifchem Wege“. — „Überaus wichtig ift e8, den Charakter 
des feindlichen Feldheren und feiner Umgebung richtig zu würdigen“. — Zumeilen 
fcheinen die Geiſter des Vegez und des Cäſar fid um die Seele des Florentiners 
zu jtreiten. So wiederholt Madiavell den vegetiihen Sag: „Beſſer iſt es, den 
Feind durch Hunger (aljfo für gewöhnlich durd; Manöver des Heinen Krieges) zu 
befiegen, al& durch da8 Schwert; denn der Sieg, den dies verleiht, hangt mehr 
vom Glück ab, ald von Tiüchtigkeit“. Den Sap des Vegetius: „Gute Feldberrn 
liefern Schlachten nur dann, wenn Notwendigkeit jie dazu zwingt oder die Ge— 
legenheit jehr günftig iſt“ — erläutert der Statsjefretär dahin, daß die Not- 
wendigfeit vorhanden jei, wenn man, nicht jchlagend, jich jedenfalls verloren jebe, 
wenn aljo etwa das Heer drohe, wegen Mangels an Nahrung, bzgl. an Gel», 
auseinanderzugehen, oder wenn der Feind Verjtärfungen erwarte. Günſtige Ge— 
legenheiten könnten durch Bejchaffenheit und Stärke der eigenen Streitmittel, durch 
deren Anordnung und durd) dag Gelände geboten werden. Wer in jolhen Fällen 
das Glück nicht verjuche, der made einen unverzeihlichen Fehler. — Echt vegetiich 
flingt der Sag: „Die Mehrzahl Huger Feldherrn hat lieber dem Anfalle des 
Feindes widerjtanden, als jelbjt angegriffen ; denn unangetajteten dichtgejchlojienen 
Scharen fällt e8 nicht jchwer, auch einen witenden Anprall auszuhalten; abge- 
wiejene Wut dagegen verwandelt fich leicht in Feigheit“. Docd weit abweichend 
von jolcher jpätrömischen Doktrin, ja ganz cäfarijch lautet e8, wenn Maciavelli 
wiederholt „eine allgemeine Feldjchlaht die Hauptjache des Krieges“ nennt (l’im- 
portanza della guerra), den Zweck, für den man Deere bilde (il fino a che si 
ordinano gli esereiti), und wenn er erflärt, daß demjenigen, der dem Feinde 
eine entjcheidende Schlacht gut zu liefern wiſſe, andere ‚Fehler der Kriegführung 
bingeben künnten, daß jedoch der, welder jonjt in allen Zweigen der Kriegskunſt 
geichiet, aber unfähig jei, eine Schlaht zu gewinnen, niemals den Krieg zu 
glüdlihem Ende führen werde; „denn eine Hauptihladt, die du ge 
winnſt, hebt die Folgen aller Fehler auf, die du anderweitig begangen 
haben magjt“. (Perche una giornata, che tu vinza, cancella ogni altra tua 
mala azione), _ 

Alles in allem ergibt jich, daß Machtavelli, der durch jein be 
geiitertes Eintreten für den Gedanken der allgememen Wehrpflicht als 
wahrhaft prophetiicher Gert und als eimer der größten Denker auf 


2. Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht bei Pavia 1525. 469 


dem Gebiete des Kriegsverfaflungswejens erjcheint, auch die militärtjche 
Technik in einer für feine Zeit unerhörten Klarheit überjchaute; und 
es ijt ein neuer, ich möchte jagen „pſychologiſcher“ Beweis für die 
nahe Verwandtichaft von Statsfunjt und Kriegskunſt, daß der Be 
gründer des modernen Statsrechts zugleich der erſte militärijche 
Klaſſiker der Neuzeit iſt. 


Handjchriftliche Bruchjtüde der Arte della guerra bewahrt 
die Nationalbibl. zu Florenz in den Uffizien (cod. 1451, cl. VII). 
Ebendort finden ſich auch die eriten beiden Editionen, welche in 
der Vaterjtadt Machiavell3 1521 und 1529 erjchtenen. — Wie lebhaft 
der Gedanke der allgemeinen Wehrpflicht auf weitere Kreije wirkte, 
lehrt u. a. ein vatifanisches Manujfript (Lat. 5350) »Alcuni dis- 
corsi dell arte della guerra, fatti da Missere ... 1521«!). 

Dieſe Schrift will den Urfprung des Rittertums darlegen, die Abweichungen 
von dem Kriegsweſen der Alten erläutern und zeigen, wie fich ein Kriegsmann 
in Friedenszeiten zu verhalten und vorzubilden habe. Der Verfaſſer fpricht ſich 
warm für die VBolfsbewaflnung aus und bemerft u. a.: »Io non penso che 


solo i soldati (d. h. hier Söldner) habbin’ & essere accesi alla virtü, ma 
tutti gli homini ancora!... 


Die Florentiner Ausgabe von 1529 erlebte Machiavell nicht mehr. 

Seitdem erjchienen die „Sieben Bücher“ während des 16. Ihdts. zu Venedig: 
1530, 1537, 1540, 1541, 1546, 1550, 1554 und 1587; doch gibt e8 aud eine 
Florentiner Ausgabe von 1551. — Dieſe große Zahl von Auflagen lehrt, wie 
lebhaft das Intereſſe für Macdiavellis Wert war; die Jahreszahlen derjelben 
beweifen aber zugleih, daß dies nterejie in der zweiten Hälfte des Jahr— 
hunderts nadılieh. 

Bon den Ausländern bemächtigten fich zuerjt die Spanier der 
Arte della guerra, freilich in recht jeltjamer Form. 

Zu Balencia erſchien nämlich 1536, gotifch gedrudt, ein Tratado de Re 
militari, hecho a manera de dialogo, que passo entre los illustrissimos 
Sefores Don Gongalo Fernandez de Cordoua, llamado Gran Capitan, Du- 
que de Sessa, y Don Pedro Manrique de Lara, Duque de Naraja. En el 
qual se contienen muchos exemplos de grandes Principes y Selores y ex- 


cellentes auisos y figuras de guerra muy prouehoso para Caualleros, Capi. 
tanes y Soldados ?). 


') Der Rame ift jo did überftridhen, daß er völlig unlejerlich geworben. Statt 1521 fteht tat» 
ſächlich 1421 da; doch ift dies ganz ungmeifelhaft ein Schreibfehler. Das Manuffript (24 Seiten) ift 
unvollenbete Reinſchrift. 

9) Dieie ſehr jeltene Bublifation findet fich in einem Miſchbande der Stabtbibl. zu Frankfurt a. M. 
«Hisp. 21). 


ATO Das XVI Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


Dies in Geſprächform gejchriebene, in 7 Bücher eingeteilte Werk, iſt nichts 
anderes als eine Überjegung von Machiavellis sette libre dell’ arte della guerra. 
Nur die redenden Perſonen find verändert. An Stelle des Fabricio Colonna ijt 
Goncalo de Cordova, der Gran Capitan, an Stelle all der andern von Madia= 
velli eingeführten Teilnehmer, ift der Herzog Pedro be Lara getreten. Damit 
ihien dem überſetzer wahrſcheinlich die Sache original⸗ ſpaniſch genug geworden 
zu ſein, um die Bezeichnung des Werkes als einer Übertragung aus dem Italieni— 
ſchen entraten zu können. Sogar die Zuſchrift Machiavellis an Lorenzo Strozzi 
ift getreulic ing Cajtilianifche übertragen und al muy Magnifico sennor Diego 
de Vargas de Caruajal adrefjiert, und bier, aber audy nur hier, ijt eine ver= 
ihämte Hindeutung auf des großen Florentiners Anteil an dem Bude einge- 
flodhten, indem der Widmende jagt: »y copilar el presente tratado imitando 
a muchos autores antiguos y modernos, siguiendo mas que a los otros el 
parecer de Machavello: por que imita el a Vejecio...«e Das ijt allerdings 
eine naive Auffafjung der Sahlage! Auf dem Titel iſt der Name des Quaſi— 
Berfaflers nicht genannt, wohl aber in der Überſchrift des zweiten Buches. Es 
ift Diego de Salazar, der in talien unter dem Gran Capitan gefodhten und 
dem man aud) eine Überfegung von Appians römischer Geſchichte verdantt. 
Almirante nennt in feiner großen Bibliografia militar de Espaha (Madrid 1876) 
Salazars Tratado »un verdadero jalon en la literatura militar de Espana«. 
Es jcheint ihm entgangen zu fein, daß es fid eben lediglid um eine Über: 
jegung handelt. — Eine 2. Auflage erjhien zu Brüfjel 1590). 

Den Franzofen wurde Machiavellis Werk zunächjt nicht durch 
eine Überjegung, jondern durch eine Verarbeitung vermittelt, welche 
den Titel führt: Instruction sur le faict de la guerre, extraites 
des livres de Polybe, Frontin, Vegece, Cornazani, Maclıavel 
et plusieurs autres bons auteurs (Paris) [$ 36). Dann erjt folgte 
Charriers Traduction d’Onozandre, de Frontin, de Modeste, 
d’Elien et de Machiavel. (Paris 1546). 

Die Zufammenftellung mit Namen fanonijcher Autoren der Antite beweiſt 
am beften, daß Madiavelli von den Franzoſen durchaus als Klaſſiker betrachtet 
wurde. — Später erjchienen noch Übertragungen ins Franzöſiſche 1664 zu Rouen 
und 1693 zu Amjterdam. 

In engliſcher Sprache wurden die sette libri zu London 1588 
veröffentlicht. Im Jahre 1600 erjchten zu Straßburg eine Übertragung 
ins Yateinijche, und jeltiamerweife wurde aus diejer u. zw. erit 
i. 3. 1623 die Arte della guerra zu Miümpelgardt, wo damals 


1, In der Bibl. der Kriegsalademie zu Berlin (D. 578) und in ber bortigen Kgl. Bibl. (H. u. 9730). 
— Vermutlich ift au) ber Arte y suplimento Re militar, ben ber honbre darmas Franz. 
de Bebroja i. 3. 1541 zu Neapel veröffentlicht hat, nur eine Paraphraſe von Madjiavellis Bert; 
die Inhaltsangabe läßt darauf ſchließen. Geſehen habe ich das überaus jeltene Bud nicht. Es be 
findet fih in der Bibl. des Don Pascual Eavall zu Saragofla. 





2. Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht bei Pavia 1525. 471 


eine Militärjchule bejtanden zu haben jcheint, ins Deutjche über: 
tragen. Die Verdeutjchung führt den Titel: „NE. Machiavellis jieben 
Bücher von der Kriegskunft, aus dem Lateiniſchen“. 


Kaifer Karl V. hatte den Madjiavell al jeinen Lehrer in der Kriegskunſt 
gepriejen; man erfährt aud, daß die Oranier, daß Guſtav Adolf jein Werf 
gefannt und geihäßt; aber unverkennbar tritt e8 doch im 17. Ihdt. in den 
Hintergrund. Schon der leichtfertige, aber in militärifhen Dingen jonjt überaus 
urteilsfähige Brantöme hatte es in jeinen Memoiren (1600) zu diöfreditieren 
verſucht; jpäter wendete ji Folard in jeiner Histoire de Polybe (1727) wie 
gegen jede Autorität leidenschaftlich gegen Macdiavelli, und auch Friedrich d. Gr. 
ift ihm in feinem »Anti-Macchiavel ou essai critique sur le prince de 
Macchiavel« (Haag 1740) begreiflicherweife nicht gerecht geworden. In Bezug 
auf die Aufjtellung von Nationaltruppen äußert Friedrih: „Ich bin jo überzeugt 
wie Macdiavelli jelbjt, dab ein Stat von fremden Söldnern jchlecht bedient wird 
und da die im Lande anjäffigen Krieger fie an Treue und Mut weit übertreffen. 
Aber wenn ein Reich nicht jo viel Menſchen hervorbringt, ald man für das Heer 
bedarf und als der Krieg verbraudt, jo ijt man genötigt, zu fremden Söldnern 
jeine BZufluht zu nehmen. Und dann gibt es auch Mittel, um die meijten 
Schwierigkeiten, welche Maciavell rügt, zu bejeitigen. Man mijcht die Fremden 
unter die Einheimijchen und achtet bejonders darauf, jene nicht zahlreicher werden 
zu laſſen, al& die Inländer . . . Ein nordiſcher Fürſt“, jo jchließt der Kronprinz 
mit beredhtigtem Stolze, „befigt eine ſolche gemiſchte Armee, und er ijt troßdem 
mächtig und furchtbar genug“. (Anti-Macchiavel. XIJ). 

Der Marſchall von Sachſen hat Madiavell offenbar fehr genau ges 
fannt und in jeinen »Röveries militaires« (1757) aud) eingehend benußt; doch 
er erwähnt ihn nicht. Friedrichs d. Gr. Freund, Graf Algarotti, beſchäftigte 
fih jorgfältig mit Machiavelli; dod) jeine XX Lettere sopra la scienza militare 
del segretario fiorentino (Venedig 1759) jind reich an Mißverſtändniſſeny. In 
jeder Hinſicht verkehrt iſt z. B. Algarottis Behauptung: „die Defenſivflanke gegen 
die öſterreichiſche Kavallerie” in Friedrichs II. erfter Schlacht jei eine „Nahahmung 
von Machiavellis Schlahtordnung“ gemwejen. 


Wejentlihes und Unweſentliches verwecjelnd, beihuldigt Joly de Mai: 
jeroyY in jeinem Cours de Tactique (1761) den ?Florentiner der Ungenauigkeit 
und mander Irrtümer im einzelnen. Böllig unzutreffend iſt das Urteil, das der 
Prinz von Ligne im Catalogue raisonne (1805) über Madiavell äußert: 
»Il y a bien de l'’esprit; s’il n’y a point autre chose. Heureux celui qui 
etant ne Soldat, joint A cela autant de finesse«e. Das heit den großen 
Italiener wahrlidy verfennen! Denn feineswegs in Fineſſen, fondern in der be- 
geijterten Überzeugung und der rücdjichtslojen Deutlichfeit jeines Vortrags liegt 
deſſen dauernder Wert! 


ı) Mit XX Discorsi militari als »Opere militari« noch einmal abgedrudt im 4. Bande der 
geiammelten Werfe Algarottis (Benedig 1791—179). 


472 Das XVI Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werke. 


Unter den jpäteren Ausgaben der Arte della guerra jind die mai— 
ländiihen von 1798 und bejonders die von 1811 erwähnenswert. Ausgezeichnet 
ift die VBerdeutihung von Ziegler, welche den 3. Band von deſſen Über- 
tragung der Werfe Macdiavelld bildet Karlsruhe 1833) und welcder eine Reihe 
wertvoller Beilagen angehängt jind. 

Biemlid eingehende Würdigung ließ Carrion-Nijas in jeinem Essai 
sur l’histoire générale de l’art militaire (Paris 1824) dem Werte angedeiben, 
ohne doc) der Bedeutung desjelben, namentlich Hinjichtlih der organijatoriichen 
Fragen, auch nur einigermaßen gerecht zu werden. Dies lettere habe endlich ich 
jelbjt in einem Bortrage: „Machiavelli und der Gedanke der allgemeinen Wehr- 
pflicht“ verfudt, den ich die Ehre hatte, am 26. Februar 1876 in Gegenwart 
Sr. Majejtät des Kaiſers Wilhelm I. dem Wiflenjhaftlihen Verein in Berlin zu 
halten ). — Seitdem ijt Villaris großartige Monographie »Machiavelli e i 
suoi tempi« erjdienen (Florenz 1877—1882) und von Heusler verdeuticht worden 
(Rudoljtadt 1878—1883), ein Werk erjten Ranges, das den großen Florentiner 
auch in militärischer Hinſicht ins rechte Licht ftellt, und auf Grumd deſſen 
Pr.tt. Karl Endres in der Milit. Gej. zu München feinen lejenswerten Vor: 
trag „Macdiavelli als Militärjchriftiteller* gehalten hat. (München 1884) ?). 


88. 

Die echt nationalen Leiftungen eines Volkes jind auch allemal 
diejenigen, welche internationale, weltgejchichtliche Bedeutung haben. 
Das bewährt Machiavellis Werk. Durch und durch italienisch, ja 
3. T. jogar von lokalen Einflüſſen bejtimmt, it es doch zugleich die 
untverjellite Zeiltung, welche das 16. Ihdt. auf dem Gebiete Der 
Kriegswiſſenſchaft hervorgebracht Hat. Alles andere jteht, namentlic) 
gerade in Italien jelbjt, tief unter den sette libri. Das gewöhnliche 
Niveau fennzeichnet ein anderes Buch, das in demjelben Jahre 1521 
erichten, wie das Werk des großen Florentiners, nämlich de8 Giam— 
battijta della Dalle di Venafro Traftat: Vallo (d. i. Ber: 
teidigungswerf), libro contenente appertenentie ad capitani, re- 
tenere et fortificare una citta con bastioni, con novi artifici de 
fuoco aggionti . . . et de diverse sorte polvere, et de expugnare 
una citta con ponti, scale, argani, tombe, trenciere, artegliarie, 








1) Abdrud in der Köln. Ztg. April 1877 Nr. 108, 110, 112 u. 115. Bgl. außerdem: Jäbns: 
Madjiavelli als militäriiher Techniker (Grenzboten, 24. März 1881). — Siehe ferner den Abſchnitt 
über Machiavelli bei Gebelin: Quid rei militaris doctrina renascentibus litteris antiquitati 
debuerit (Bordeaur 1881) und Endres: Madiavelli ald Militärjchriftfteller (Milit. Literaturgeitung 
Nr. 4, April 1884). 

2) Über die Macjiavelli-Literatur vgl. v. Mohl: Geſch. u. Literatur der Statswifienichaften III 
Erlangen 1858). 


2. Die allgemeine Literatur bis zur Schladht bei Pavia 1525. 473 


cave, dare avizamenti... fare ordinanze battaglioni, et ponti 
de disfida.... opera molto utile con la experientia de la arte 
ımilitare. (Neapel). 

Der Berfajjer der Heinen Schrift, welche diejen weitläufigen Titel trägt, 
war ein Neapolitaner im Dienſte der della Novere, der 1516 drei Monate lang 
die Stadt San Leo gegen die Truppen des Papjtes verteidigt hatte. Was della 
Balle im Dienjte feiner Herrn, zumal in dem des berühmten venetianifchen 
Condottiere Francesco Maria von Urbino gelernt, das hat er in jener Abhand- 
lung niederlegen wollen. Iffenbar bejah er feinen Anflug Yöherer Bildung ; 
denn zu einer Zeit, da die italienische Sprache ihre fchönjten Blüten trieb, jchrieb 
er ein abjcheuliches, oft faum verjtändliches Kauderwälih. Doch er fcheint dem 
Bedürfnis gewijjer niederer Kreiſe entiprochen zu haben; denn von 1521 bis 1562 
erſchienen mindejtend 12 Auflagen des »Valloc!). Eine franzöſiſche Über- 
jegung fam 1529 zu Lyon heraus”); eine kritiflofe jpanijche Bearbeitung des 
»Vallo«e bildet den eriten Teil von des Don Diego de Alaba y Biamont 
Werk EI perfeto Capitan (Madrid 1590)9), und eine teilweiſe Verdeutſchung 
wurde nod im 17. Ihdt. dem Publitum in der 1620 zu Frankfurt a. M. heraus- 
gegebenen „Kriegs- und Archeley-Kunſt“ geboten. [XVII a. $ 46]*). 

Die Schrift zerfällt m 3 Bücher. — Das 1. handelt von Be 
jagung, Befeitigung und Verteidigung einer Stadt, das 2. von deren 
Angriff, das 3. von der Infanterie. Einigen Ausgaben iſt als 4. Buch 
noch der wejentliche Inhalt von de Puteos Abhandlung über das 
Duell [XV. $ 54] angehängt, ohne den Berfaffer zu nennen. 

Das 1. Buch redet zunächſt vom Anführer, feinem Wiſſen und feiner Kleidung. 
(Dieje jol jhwarzsweißsrot jein; denn jchwarz bedeute Feſtigkeit und Verſchwiegen— 
beit, weiß Integrität und Freundlichkeit, rot Strenge und Schlahtenmut). Dann 
wendet das Bud) ſich zu den Obliegenheiten eines Kommandanten im „Fall der 
Belagerung und insbejondere zu den Mitteln, die Stadtmauer durch »Bastioni«, 
d. h. dur Hilfsbauten von Erde, Faſchinen und Holz zu verjtärten. Weiterhin 
wird von den pyrotechnijchen Verteidigungsmitteln gehandelt, wobei die eigent- 
lien ?yeuerwertäförper, zumal die alten Fenerlanzen, den Kanonen an Wirkſam— 
feit nahezu gleihgeadhtet zu jein jcheinen. Intereſſant jind die Konjtruftionen 
von Wafjeruhren und Anweiſungen zur Geheimjchrift und zur Telegraphie. 

Das dem Belagerungstriege gewidmete 2. Buch joll an anderer Stelle ge— 
würdigt werden. [$ 107]. 

Das 3. Buch jpricht zuerit von der Mannjcaftsformation des Fußvolks, 
ihildert die Anordnung gevierter Haufen von 100 bis 1000 Mann mit und ohne 
Artillerie und verjchiedene Gefechtöformen: in Gejtalt eine® Skorpion, mit 


1) Eine Auflage von 1529 in der Bibl. der Berliner Striegsafademie, eine von 1591 im Berl. 
Zeughauſe (A. 7), eine von 1589 in meinem eigenen Beſitz 

2) In der Bücherei des Berliner Zeughauſes (A. 6). 9 In ber Herzog. Bibl. zu Wolfenbüttel. 

+) In der Bibl. der Berliner Kriegsalademie (D. 4550). 


474 Das XVI Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


Flügeln, in 2 oder 3 Halbmonden, im Keil, im Dreied u. j. w. — Der größte 
Zeil diefer taftiihen Phantafien ijt in Wirklichleit gewiß niemald angewendet 
worden; die eigentlich praftiihen Formen aber werden in der Folge noch näher 
zu würdigen fein. [$ 80). 


89. 


Von weit höherem Gejichtspunfte als della Valles Werk geht 
der Berfafjer einer Abhandlung aus, deren Handichrift ſich in der 
berzoglichen Bibliothek zu Gotha (Friedensitein, chart. fol. 574) be 
findet und deren Titel folgendermaßen lautet: „Irewer Rath vnd 
Bedenden Eines Alten wol verfuchten und Erfahrnen Krieges— 
mans, Wie jich ein König oder Fürft Im anfang in Krieg richten 
und verhalten, Auch wie man vorjichtiglich vnd ordentlich die Regiment 
Reuter vnd Knechte jampt der Ardaley vnd Schlachtordnung anjtellen 
vnd führen, Wie man auch einen Ahnjchlag vber einen Herren der 
faft mechtigk ift, machen So wol auch für Stedte fich lägern vnd 
wie man eine Stadt mit guter Ordnung behalten jolle“. 


Leider ift der Verfaſſer nicht genannt; aber es bedürfte faum der Erwähnung 
desjelben (S. 28 der Handſchrift), daß Kaiſer Mar I. ihm perjönliche Befehle ge: 
geben, um zu erfennen, daß man es mit einem bochitehenden, weitjchauenden 
Manne zu tun hat. Auch datiert ijt die Schrift nicht; da jedoch die legte Kriegs— 
unternehmung, von der nod) die Rede, der Zug Nafjaus und Sidingens nad 
Frankreich ift, jo dürfte man faum irren, wenn man ihren Abſchluß in das Jahr 
1522 jtellt. 

Das Bud) beginnt mit „Rath und Bedenden“, daß man ſich wohl hüten 
jolle, um einer Meinen Urſach, Hoffart oder Nutzens willen einen Krieg anzu: 
fangen, daß man aber, wenn dem Kriege nicht auszumeichen fei, ihn auch mit 
ganzer Kraft führen möge. „Man fol fi aber mit fleiß hütten, dab man feinen 
ihlichten Edelmann, wie gejchiet oder geübt er auch ſey, zu einem oberjten 
Hauptmann ermwehle. Denn es wil fi nit leiden, daß Graffen, Ritter vnd 
Herren vnder Befeldy eines Edelmannes Ihre Leibe und guth darjtreden vnd alſo 
Hein geacht werden follen“. Jlluftriert wird das durch ein „Erempel vom Vogel“ 
(Zaunkönig). Bor geteiltem Oberbefehl wird lebhaft gewarnt und beijpiels- 
weiſe auf Kaiſer Karls eriten Krieg und die gemeinjame Unternehmung des 
Grafen v. Nafjau und Franzens v. Sidingen hingewiefen. — Der oberfte Haubt- 
mann müjje unbedingtes Befehlsredht über alle Ämter haben und das Recht be 
jigen, „alle Berjohnen daran er gebrechen findet, zu vprlauben“. — Der Aus: 
einanderjegung über Wejen und Pflichten des Feldherrn folgen die 20 „Artidel 
de8 Eides der Kriegsleutte“. — Daran jchließt fi) die „Ordnung 
eines zugs“. — Begen einen mächtigen Feind verlangt der Verfafjer 10000 
Fußknechte und 1500 reifige Pferdt „und ziemblich feldtgeihoh“. Das Heer zer: 


2. Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht bei Pavia 1525. 475 


jällt in drei Teile. Voran zieht dad „Renfeenlein“ (Borhut), in Stärke von 
400 Pferden zum „fürzvgck“ mit entſprechendem Feldgefhüg und 2000 Knechten 5. F. 
Darnad) folgt das Gros, Dies befteht aus dem „gewaltigen Geſchoß“ (Korps— 
Artillerie), dem „gewaltigen Hauffen 3. F.“, der gemeinen Munition, dem „faulen 
Haufen“ (Proviant, Troß) und dem „gewaltigen Reifigen Zeug“ (Reſerve— 
Kavallerie). Den Beſchluß des Heeres, das in der angegebenen Reihenfolge zu 
marjchieren hat, bildet der „Nachzvgk“: 2000 Knechte mit angemeſſenem Geſchütz 
und entiprechender Reiterei. — An Artillerie gehören zu diefem Zuge: 4 Scharf: 
mezen, 6 gute Kartaunen, 6 gemeine Kartaunen, 2 Steinbüchſen, 3 gute Mörfer, 
1 gute Feuerbüchſe, 6 gute Notjchlangen, 10 gute halbe Schlangen, 16 alten, 
200 gute Hakenbüchſen, alle® mit feinem vollftändigen Zubehör an Munition, 
Beipannung, Wagen u. ſ. w. Ferner 3 Brüden, Fahrzeuge mit Nejerverädern 
und Radbeitandteilen, 14 Sturmleitern, 1 Schmit, 8 Zimmerleut, 12 Seile, 
100 guter Strid, 400 Pfennig-Strid, Brechzeug, Schaufeln, Haden, Pechpfannen, 
Schwejelring, Windlichter, Laternen u. f. w. — Von diefer Artillerie gehen mit 
dem „gewaltigen Zuge” (dem Gro8): erjt 4 Schlänglein, dann die Brüden und 
unter bejonderer Bedeckung die großen Büchſen mit nötigjtem Zubehör. Die— 
jenigen Munitions- und Vorratswagen, welde nicht für den nächiten -Bedarf 
bejtimmt find, folgen dem Gemwalthaufen ala 2. Staffel. Vor: wie Nachhut find 
je nad Umjtänden, zumal unter Berüdjichtigung des Geländes, mit Geſchütz 
auszujtatten. 

Bor belagerten Plätzen ift der Artillerieparf dur Einfriedigung mit 
Seilen und Ketten gegen plößlichen Anlauf zu fihern. Die Schanzen (Batterien) 
ind durch Schanzkörbe zu deden und fein Unberufener darf jie betreten. Man 
hüte ji vor unnügem Schießen und überlege die Munitionsverteilung gar wohl; 
„denn die Welt ift gar vorteilich worden“. 

Im Gefecht it die breite Ordnung der tiefen vorzuziehen, und mit 
vielen Meinen Haufen läßt ſich mehr ausrichten als mit wenigen großen. Bes 
jonder& wirkungsvoll ijt der Gebrauch des zerjtreuten Gefechtes (lauffer 
vnd anhang). Wer über 10000 Dann Fußvolls verfügt, der nehme 6000 in 
den gewaltigen Haufen und jtelle den dreimal jo breit als lang (tief). 
„Alſo vil ein ordnung breitter ift wider die andere, aljo weit bricht man in die 
jeitten ein vnd faht die jchmale ordnung zwiſchen die arm“. Mag dann aud 
die jhmale Ordnung mächtiger an Volk fein, „wenn man ir in jeitten fümpt, 
jo ijt jie verloren; denn es mühen doch die förderſten 5 oder 6 Glieder die Schladht 
gewinnen oder verlieren ehr mehr Leut zu der Arbeit fommen fünnen .. .) 
darum fo laßt euch von den breitten ordnungen niemals (ab=)reden. Es hats 
mir Kayjer Marimilianus, Gottjeliger, auch alzeit beuolhen, der doc ein vor— 
nemblicher Kriegsmann war“. Es iſt das ganz im Sinne Seldeneds S. 333]. 

Dreihundert Knete und etliche gute Büchſenſchützen werden unter 2 Gejellen 
‚Unterführern) dem Haufen als „Lauffer“ angehängt; fie jtürzen im Augen— 

1) Das erinnert lebhaft an die Worte in Marimilians „Lehr* [XV. 8 37]: 

Denn der erften Treffen ſchlahen vnd jcherz 
Iſt bayder thayl hoffnung und herz. 


476 Das XVI Jahrhundert. I. Allgemeine friegswifienihaftlihe Werte. 


blide des Angriffs rechts und linfs aus der Tiefe vor und werfen ſich jofort auf 
das feindliche Geſchütz, womöglich bevor e8 zum Schuh fommt. Dies „zerjtreute 
Bold“ entzieht ſich durch jeine geihwinden Bewegungen den Schlägen geſchloſſener 
Haufen und ijt weniger leicht durch das Handgefhügß zu treffen. Hinter dem 
Gewalthaufen folgt noch ein dritter Anhang von 500 Knechten, der ſich im ent- 
icheidenden Augenblid auf eine der Flanken des Gegners wirft, was ſtets große 
Wirfung tut. ()) Dem Gewalthaufen, welcher aljo mit feinen 3 Anhängen 68300 
Mann jtark it, geht der „Verlorene Haufen“, die Avantgarde, voraus, welche 
3200 Mann zählt. Davon jind 3000 Mann in einem breiten Haufen geordnet, 
200 Läufer gehen auf den Flügeln vor. Der verlorene Haufe greift des Gegner: 
Vorhut an; aber der Gewalthaufe wartet den Verlauf dieſes Gefechtes nicht ab, 
jondern bleibt im Vormarjche und greift, jobald er. heranfommt, rechts oder links 
der Avantgarde ein. „Das bricht den feindten den half ... Dieje orönung 
mit den lauffern vnd anheng ijt ein verborgen Ding, do nit ein 
gemeiner Braud ijt“. 

Der Reifige Zeug (Kavallerie) von 1500 Pierden ſoll in 3 Haufen ge 
gliedert werden, zwei zu je 600 und einer zu 300 Pferden. Bei dem leßteren 
ſoll der Oberjtfeldhauptmann bleiben. Die beiden großen Haufen zerfallen in je 
3 Fühnlein zu 200 Pferden, welche als Angriffsitaffeln dienen; die 300 Pferde 
des Oberſtfeldhauptmanns bilden eine ©eneralreferve, mit der er perjönlid 
da „trifft“, wo die Not am größten oder die Schlaht „am gewinnlichſten“ üit. 
„Und foll jich nicht daran fehren, daß man jagt, er jey im Treffen der Legt 
geweſen.“ — Offenbar ijt der Angriff der Reiterei mwejentlid) nur wieder gegen 
Neiterei gedacht. Auch hier gibt der Verfaffer der breiten Ordnung den Vorzug: 
„Ih halte viel Hauffen und breitte Ordnung vor guth, dab viel 
leute zum treffen vnd wehren fommen mögen vnd binden, fornen vnd uffen 
jeitten die Feinde angegriffen werden... sKehret euch weder an Sonne nod 
Windt vnd zuget dem Feinde ſtracks vnder augen, wie du ihm ankommen biit. 
Wiewol der windt vom gejhüß zuweilen einen blenden mag, es vergeht bald: 
vnd mwirdt feiner aljo blindt von der Sonnen nody vom mindte werden, 
daß er nicht einen großen hauffen leutte jehn könnt!“ — Die Anordnung der 
Reiterei und des Gejhüges in der Schlacht hat durchaus nach Umjtänden zu 
geichehen, namentlich nad) denen des Feldes, „darinnen man begriffen it“, umd 
„nach des gegentheils, des feindes ordnung“. Dit der Gegner an Reiterei über: 
legen, jo joll man gegen dieſe das Geſchütz wirken laſſen, andernfalld wähle 
dies das Fußvolk zum Ziel. Womöglich verteile man Reiterei und Gejihüg auf 
die Flügel. 

Im Lager hüte man ji vor Überfall, der immer ihimpflih ist. — Feite 
Städte, die man einzunehmen geringe Ausſicht hat, verjuche man nicht auszu— 
hungern, damit verliert man nur Zeit; ergibt die Berennung, dab der Platz zu 
ſtark ift, jo ziehe man getroft wieder ab. (Das Verbeißen auf ausfichtSloje Be 
fagerungen war ein Hauptfehler der Zeit, der bei der Schwierigkeit, die damaligen 
Heere lange zujammenzubalten, doppelt jhädlich wirkte.) — Der Belagerte jorge 
durch jtrenge Quartierordnung für eine wohlgegliederte Verteidigung. 


2. Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht bei Pavia 15%. 477 


Der „Trewe Rath“ iſt eme wahrhaft ausgezeichnete Schrift, 
welche in taktiſcher Hinficht jogar diejenige des Machiavelli noch über: 
trifft, weil die gegebenen Vorſchriften durchaus mit den wirflichen 
Verhältniſſen rechnen und lebendiger perjönlicher Erfahrung entjprungen 
ind. Ganz bejonders bemerkenswert jind die Anweijungen über 
den Gebrauch des Fußvolks. 

Die gegenfeitige Flankendeckung der vorgehenden drei Haufen entjpricht der 
aud von Maciavelli gepriejenen jchweizeriihen Fechtweije, und „dag verborgen 
Ding“, d. h. die „Ordnung mit lauffern vnd anheng“, zeigt den Verfafler auf 
der Höhe der Technik. Das Zurüdhalten einer Rejerve für den entjcheidenden 
Schlag, ihr Vorziehen aus der Tiefe und ihre Verwendung auf des Gegners 
Flanke ift ganz vorzüglich gedadht und mahnt jowohl.an die „Flügel“ in Kaiſer 
Marimilians „Lehre“ als namentlid aud; an Frundsbergs Manöver bei PBavia, 
wo er mit dem einen zurüdgehaltenen Regimente unter Marr Sittich von Embs 
die Schwarzen Fahnen der geächteten Landsknechte im franzöfifchen Solde „wie 
mit einer Zange anpadte“. Angeſichts diejer wirklich wunderbaren Ähnlichkeit 
des Verfahrens bei Pavia mit der Vorjchriit des „Irewen Raths“, möchte man 
faft Frundsberg, der ja auc dem Kaiſer Mar perſönlich nahe geitanden, jelbjt 
für den Berfajier unjerer Schrift halten. Wie dem auch ſei: jedenfall3 offenbart 
ih in ihr der reidye Geiſt eines vielgeprüften tüchtigen Feldhauptmanns, der 
aber doch, trog der Vollreife jeiner Erfahrung, jo bejcheiden it, daß er am 
Schlufje um Verzeihung bittet, wenn er irgendwo zu viel gejagt haben jolle: 
„denn es ijt ein guter Rath und Wahrnemung vnd nicht ein geboth.“ — Leider 
lehrt die Kriegsgeſchichte, daß die vortrefflihen taftifchen Direktive des treuen Rats 
den meijten Zeitgenofjen „ein verborgen Ding“ geblieben find; namentlich wurden 
die Vorteile einer Verbreiterung der Front ſowie der einer Erhöhung der Beweglich- 
feit durch Aufjtellung vieler kleinerer taftiiher Einheiten, nur von Wenigen be- 
griffen. Nach wie vor beherrichten die übermäßig großen und tiefen vieredigen 
Sewalthaufen alle Schlachtfelder des 16. Ihdts. 

Im Drud wurde der „Irewe Rath“ erjt jehr jpät, nämlich 1588 von 
einem gewiſſen Wingenberger, mit einem Anhange herausgegeben u. zw. 
ımter dem Titel: „Bejhreibung einer Kriegsordnung zu Roß vnd 
Fueß ſamt der Artalarey. Bon einem Wolgeborenen Edlen Herren vnd 
wolerfahrenen Obrijten, welcher jeinen trewen Rath etlihen hohen PBotentaten, 
io ihn darumb erjucht, jchriftlich mitgeteilt hat. DVergleihen vor niemals in 
Drud ausgangen, fein furg, verjtendtlich, deutlich vnd far.” (Dresden 1588)". — 
Daniel Wingenberger war „Hurfürftl. jäch]. gewejener Rojtbereitter”. Der Anhang 
beiteht in der Kriegsbejtallung Kaijer Karla V. von 1543 nebjt dem Malefiz= und 
Langeſpießrecht. — Intereſſant find die im Titel gegebenen Andeutungen über die 
Entjtehung des „Irewen Raths“, die jehr wahricheinlich Klingen; die Epitheta, mit 
denen Winpenberger den Berfafjer bezeichnet, würden alle auf Frundsberg pajjen. 


1) Exemplare in der Gothaer Bibl. und in der des Berliner Zeughauſes (A. 29). 


478 Das XVI Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


8 10. 


Früher gedruct als der „Trewe Rath“ und vermutlich wie diejer 
anfangs der zwanziger Jahre gejchrieben it Hans Buftetters „Ernit- 
liher Bericht, wie ſich aine Frumme Oberfayt Vor, In vnd Nach 
den gefärlichjten Kriegsnöten mit klugem Vortayl zu ungezwegfelten 
Sieg löblichen vben vnd halten joll“. Dies jehr jeltene Buch erjchten 
1532 bet Stayner zu Augsburg). 


Die Heine Schrift, „ainem Fürnämen Radt des Hlg. Rychs Stadt Augs— 
burg“ gewidmet, ijt nur 26 Blätter ſtark und demgemäß begreiflicherweije jehr 
allgemein gehalten. Der VBerfajjer war wohl fein Kriegsmann; denn ofienbar 
haben ihm zuweilen antite Vorbilder vorgeleuchtet, und deren Benugung lag den 
praftijchen Kriegsleuten jenes Zeitalter meijt fern. Aber Bujtetter hat jeinen 
Stoff doc auch jelbjtändig durchdacht, fennt den Krieg mindeſtens aus eigener 
Anſchauung und war daher wohl im jtande, eine zwar nicht bedeutende, doch 
recht charakteriftiiche Arbeit zu liefern, deren Anordnung allerdings viel zu wün- 
ſchen übrig läßt. — Folgendes find die Stihtworte des Jnhaltes :) 

Bon erretung der erlangten herrſchafft. Erwägung des Kriegs. Geerführen. 
Eigenjchafften eines Oberjten. Ampt- vnd beuelhslüte. Gemainen huffens 
mufterung. Bejoldung. Bejtelung vnd Artidel. Ubung der Veldtſchlachten. 
Feſtinen. Wachten. Prafannd. Argwennige jtätten. Guldwerbung. Waher ge: 
präft Wafjermangel). Ußfall. Anſchläg. Entjhüttung (Entſatz). Wiederkerung 
verlorner ſtett. Trewloß dück (Empörung). Belegerung der ſtetten vnd gelenden. 
Spänigkeit der Belegerung. (Bei Zweifel und Zwieſpalt im Kriegsrat ſoll das 
Los entſcheiden, welche Stadt zu belagern ſei). Vßraytzung ſins Winde. Vom 
Sturm. Sprachhaltung. Betrügliches jnnämen. (Kriegslijt), Späher, Verrätter 
vnd Veltflüchtige. Gehaymnus vnd ſtiligkayt der zungen. Brafandt. Vffgebung 
der Stetten. Vom Ayd. Nachburſchafft vnd frundſchafft. Des Fürſten leger. 
Schantzen. Myttery. Bon Hilff. Von der Vind leger. Mär vnd geſchry.— 
Denkzeichen (Memoriale). Erfarung des finds gehymnus. Botſchafft. Abraytzung 
der vindenn. Zertrennung der vindenn. Giſeln. Ordnung des veldtzugs. Kund— 
ſchafft. Kindtfang (Überfall). Kryden (Loſung, Schlachtruf). Bewaffnung. Vorzug. 
Cluſen vnd Engwege. Schlacht. Zyt. Platz. Hurnwaybl. Bevelchslüt. Ringe— 
pferd (leichte Reiterei). Kürißer. Veldtgeſchütz. (Hat der Feind mehr Artillerie 
als man ſelbſt, jo ſoll man ihn „im platzregen vnd dickem nachtnäbel vberfallen“). 
Schlachtordnung. Angriff. Abgzug oder flucht. Vßleſchung des vnfalls. Er— 
legung der Flüchtigen. Sigliche Behutſamkayt. Vertuſchung des erlittnen Schadens. 
Rach. Beſtätung der Wankelmütigen. Plätzblünderung. Gefangene. Endliche 
Summe des Sigs. Vrlob. 





1) Ich fenne nur das eine Exemplar im Germaniſchen Muſeum zu Nürnberg (Nr. 786). Ignaz 
Peters, welcher ben „Bericht“ neuerdings wieber abgebrudt hat (Bonn 1887) ſtützt fich dabei auf ein 
Eremplar der Dresdener Bibl. und auf eins der Bibl, des F. f. Infant.Regts. Prinz Georg von 
Sachſen zu Piſek. 


2. Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht bei Pavia 1525. 479 


Das Bud) redet aus einem treuherzig biederen, jchweizeriih anmutenden 
Tone, der um fo mehr hervortritt, ald es in auffallend altertümlicher Weije, in 
einer Miihung allemanijcher und ſchwäbiſcher Dialeftformen und mit jehr ver- 
worrener Orthographie gejchrieben if, Ganz bejonderen Nahdrud legt Verfaſſer 
auf die moralifchen und pſychologiſchen Momente der Heerführung. Die technijchen 
Vorſchriften find, obgleich das taktiihe Element jo viel Raum beanjprudt, im 
ganzen genommen, recht unbedeutend. Beijpielsweije führe ich den Abſchnitt über 
„Srönung des veldzugs“ an: 

„Der Fierer fol beueldy) und kuntſchaffter, vom Fürſten, allayt empfahen, 
wo auß er den huffen fieren jol. Ain yeder beuelchßman jn funders fines amptg 
pflägen, die ringen pferd jöllend aud) ſampt empfangnen kuntichafiteren alle windel 
ergründen, vnnd wo der vind geferlihe Haymlifayt übt, dem fürjten Yylendt ver- 
funden, Wie wydt aber der vindt von jm zücht, jol er doch die knecht allweg jhn 
rechter glidmaß, jtyffer ordnung, bewarter hut, zu bayden jitten mit den jchügen 
vnnd ſchweren pferden, den troß jn die mitte, aljo bezwingen, wo der vind här flug, 
das er ſy allenthalbenn beſchloßen vinde, und mit gejpöt vffs minjt enwychen muß“. 

Frönsperger hat Buſtetters „Bericht“ in feine Werke aufgenom- 
men [$ 32], u. 3m. als Anhang in feine „Fünf Büchek von Kriegs— 
vegiment vnd Ordnung“; in das große Kriegsbuch (1566 ff.) hat er 
ihn, jprachlich umgejtaltet doch fajt unverfürzt, an verjchiedene Stellen 
verteilt. Seiner jchlechten Gewohnheit nach nennt er den Verfajjer 
nirgends, ſodaß man ihn jelbjt für denjelben halten muß. Wie hoch 
er aber den Bericht jchägt, zeigt das Motto, welches er ihm in den 
„Fünf Büchern“ voranjchidt : 

„Gliebt euch der Teutihen glüd vnd Ehr 
Wägt, wagt, bejteht nichts on dieje Lehr!“ 


811. 


Tiefer als Bujtetters Schriftchen wurzeln im Studium der Antike 
die De re militari libri II Jacobi comitis Purliliarum. 
Das Tateinijch abgefaßte Büchlein tt dem Erzherzoge Ferdinand, 
jpäterem Könige von Böhmen und Ungarn, gewidmet, in welchem 
der Verfafjer die vorzüglichjte Hoffnung des Abendlandes gegenüber 
der Türfengefahr erblidt. Die Annahme der Dedifation jeitens des 
Erzherzogs datiert aus Innsbrud vom 15. März 1525, und in diejem 


Sahre iſt das Werk wohl auch zuerſt gedruct worden. 

Die ältejte Ausgabe, welche ich kenne, ijt die von Straßburg 1527), die 
auf dem Titel ausdrücklich als Wiederholung einer früheren gekennzeichnet it. 
Die von 1525 datierte Zuſchrift des Erzberzogs iſt in dieje Straßburger Aus: 


1) gl. Bibl. zu Berlin (H. u. 9715). 


480 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


gabe nicht aufgenommen, findet fi) aber in einer venetianifchen Ausgabe von 
1530). Jedenfall® muß das Buch zum erftenmale vor dem Jahre 1526 gedrudt 
worden ſein; denn in jenem Jahre, dem der Schladht von Mohacz, wurde Ferdinand 
König don Ungarn und Böhmen, konnte alfo nicht mehr nur als jpanijcher Prinz 
angeredet werden, wie es in der Dedilation geichieht?). 

Der Autor meint: jo manche gelehrte Leute hätten vom Kriegs 
wejen gejchrieben, immer aber nur vom Amte des Feldherrn und den 
Pflichten der Mannjchaft, nicht eigentlich von dem, was im Felde 
Nuten und Schaden bringe. Auf dies doch jo wichtige Gebiet habe fich 
nur Frontin eingelaffen. Dieje Lücke wolle num er, der Comes, füllen. 

Man jolle dem Berfafjer nicht entgegenhalten, daß es unmöglich jei, ange— 
jicht® der unendlichen Berjchiedenheit der Kriegslagen Lehren und Regeln aufzu— 
jtellen; geichehe doc, nichts, für das nicht in der Vergangenheit ein Analogon 
aufzufinden jei. Die Dinge lägen ganz ähnlich wie in der jurijtiihen Praris, 
wo die Sapungen, nad) denen Recht gejprocdhen werde, fid) doch auch nur dur 
Bergleich mit nahe verwandten früheren Vorgängen ergäben. — Der Traftat 
trägt ein vorwfegend gelehrtes Gepräge und ijt weſentlich aus vegetiihen und 
leoniſchen Reminiszenzen zujammengearbeitet, nimmt aber doch oftmald auch auf 
die eigene Zeit Bezug, und nidt jelten hört man Nachklänge des italienischen 
Eondottieretums heraus. — Es find furzgefahte, bunt aneinandergereihte Para— 
graphen. 3. B. folgen unmittelbar aufeinander: — Bom Gleihmut des Feld- 
bern. Wie eine Stadt zu ftürmen. Was zu tun, wenn des TFeindes Heer 
größer als das eigene. Es bringt einem Oberjten Schmad), wenn er im Sommer 
nicht zu Felde zieht. Welche Ortlichkeit zum Schlachtfelde zu wählen. Von der 
Kleidung eines Heerführers u. j. wm. — Intereſſant ift e8, daß der Autor rät, den 
Deutichen und Franzojen gegenüber den Krieg in die Länge zu ziehen. Beide 
Bölter jeien gewaltig im Angriff, hätten aber enorme Bedürfniffe und infolge- 
defien feine Ausdauer. Es ijt wohl da8 Studium der Antife, da8 den Grafen 
von Burlilien davon überzeugt hat, daß es beſſer jei, mit den eigenen Untertanen 
jtatt mit Söldnern Krieg zu führen. Darin jtimmt er durchaus mit Machiavelli 
überein; ja er behauptet (freilich irrtümlich), eS jei das die Meinung der ganzen 
Welt mit Ausnahme der reihen Benetianer. Bejonders die Bejagungstruppen 
jeien jtet3 aus Ortsangehörigen, u. zw. wo möglich aus den edeljten und mwohl- 
habenditen Angejeflenen zu bilden; denn dieje jeien durd) Intereſſe und Ehre 
gebunden, die ihnen anvertraute Landſchaft oder Stadt zu hüten ®). 


Auch dieje Schrift erfreute jich langdauernder Anerkennung. 
Zu Paris erihien 1543 eine dem Herzoge v. Orleans gewidmete fran- 
zöſiſche UÜberſetzung: Le guidon des gens de guerre, faict et compos& par 


1) Bücherei ded Berliner Zeughaufes (A. 10). 

2) Der Verf. muß damals jchon ein alter Herr geweſen jein; denn man befigt von ihm eine 
1492 von Gerard. de Flandria gebrudte Abhandlung De liberorum educatione. 

2) Ein merkwürdiges Beiipiel dafür ift bie berühmte Belagerung von Siena 1555 an befien 
Verteidigung unter Montluc 4 Bataillond von Damen ſchanzend und fechtendb teilnahmen. 


2. Die allgemeine Literatur big zur Schlacht bei Pavia 1525. 481 


Michel d’Amboise, escuyer, seigneur de Chevillon, dict l’esclave for- 
tune. Sie gilt in Frankreich bis Heutzutage als eine Driginalarbeit, wurde als 
L'art et guidon de la guerre 1552 zu Paris neu aufgelegt und ijt jüngjt wieder 
als eine Schrift d'Amboiſes unter den Rublilationen des Journal de la Librairie 
militaire der franzöfiichen Armee dargeboten worden. (Paris 1878). — Eine 
Verdeutjhung gab Petrus Marcadus 1595 zu Lauingen heraus H. 


g 12. 


Nächſt Machiavellis Werk und dem „Trewen Rathe“ iſt wohl 
die intereflanteite friegswiljenjchaftliche Arbeit des erſten Viertels des 
16. Ihdts. eine Deutjche Kriegsordnung, die jedoch nad) Inhalt 
und Stoffanordnung feineswegs den sette libri, jondern weit mehr 
dem Traftate des della Valle ähnelt. Wie in der Folge nachgewiejen 
werden wird, ijt die Kriegsordnung um 1524 gejchrieben worden 
die Ältejte Faffung aber, in der fie vorliegt, iſt eine als „Adels- und 
Kriegsbuch“ bezeichnete Papierhandſchrift der kgl. öffentlichen Bibliothek 
zu Dresden (ms. C. 94b), die aus d. 3. 1526 jtammt ?). Von ihren 
127 Blatt füllt 45 eine Einleitung, welche den Charakter einer 
Flugſchrift trägt, indem jie mit vednerischem Feuer von den Schäden 
der Zeit, namentlich von dem militärischen Berfalle des Neiches |pricht 
und Mittel ſucht, jolchen Übeln zu begegnen. 

Bejonders empört ift der Verfajjer über das VBordringen der Türken in 
Europa. „Warumb aber vnſer altfördern jo treg gewejen, dab dem Turckhiſchen 
Hund der ſchwantz jo weit vber das nejt hinausgewachſen iſt vnd ungeſtutzt be= 
lieben, das hat zween vrjuch“: nämlich das jelbjtiihe Darauflosleben und die 
leidige Uneinigfeit der Chriftenheit, zumal der Deutſchen. Der Autor will nun 
die Mittel zur Reorganijation der Wehrverfaffung durch Sekularijation der geijt- 
lien Stifter gewinnen, indem er deren Einkünfte für Kriegsbedürfniſſe ver: 
wendet und auf ihrem Grund und Boden in den alten PBfründenjtellen ritterliche 
Männer auferzieht, die einen neuen Georgenorden bilden. An Stelle des Dom- 
probſts jeßte er einen Feldmarſchalk, an die des Dechanten einen oberjten Haupt 
mann der Fußknechte, an die des Kuſtos einen Feldzeugmeijter und an die des 
Scholajticus einen Oberjten Qutinant. Die andern Chorherren oder Mönche 
werden durch Nitterbrüder erfegt. Darum rühmt der Autor den legten Hoch— 
meifter des deutjchen Ordens, der (1525) „das ſchwartz dunkel Creuß, jo außen 
an dem mantel, hingelegt, vnd das rot pluetfarbereug Chriſti inwendig in jein 
Herg gejhmiegt“. Wenn an die Stelle der geiftlihen Hierarchie eine militärische 





ı) Die franzöfiiche Ubertragung von 1552 und die Verdeutſchung von 1595 finden ſich in der 
berzogl. Bibliothel zu Wolfenbüttel. 

%, Das Datum 1526 ergibt ſich mit Sicherheit daraus, daß in der Einleitung als gleichzeitig 
von dem Abichlufje desjenigen Bünbniffes geiprochen wird, welches in ber folge ala die ſog. „Heilige 
Liga* belannt wurde. 


Jähns, Geſchichte der Kriegswiſſenſchaften. 31 


482 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


gejegt und deren Stellen, wie es jich gebühre, mit deutjchen Edelleuten bejegt 
würden, jo werde der Adel auch wieder zu höherer Geltung gelangen, während 
er zur Beit durd den Glanz und die Üppigkeit der Bürger und Kaufleute ganz 
verdunfelt jei. Niemand fünne jept den Edelmann an der Tracht erfennen, und 
darum empfiehlt er den Fürjten, Grafen, Freiherrn und gemeinen Edlen als 
„Liberey“ und Rangabzeichen goldene Schaumünzen auf der Brujt zu tragen, zu 
denen er Zeichnungen mitteilt. Auch die verjchiedenen Kriegsämter jollen 
ſich durch folde Ehrenmünzen unterjheiden: in der des Oberjten Feldhauptmanns 
mögen zwei gefreuzte Kommandojtäbe jtehen, in der des Oberjten Lieutenant: 
ein jolher Stab. Der Landsfnehtsobrijt führe zwei gefreuzte Hellebarden, der 
Feldmarſchalk zwei gekreuzte Schwerter und der Zeugmeijter zwei gefreuzte Schlüflel. 

Mit BI. 47 beginnt dann das eigentliche Kriegsbud, das in 
drei Haupt-, Tittel“ zerfällt: 1. Regiment vnd jtat der ſchloß, da 
man jich verjicht fur zu legern. 2. Regiment vnd jtat der arteloria 
jambt aller mundicion. 3. Regiment vnd jtat der fußknecht jambt 
jrem artickl brief... vnd von der gerayjigen Regiment, vnd wie 
ans aus dem andern fleujt und ye ains dem andern die Hand beut, 
auch ains on das ander nit vil frucht wirdhen mag. — Daran ſchließt 
jich ein Anhang. Diejer behandelt die Pflichten und Rechte, nament- 
(ich die Bejoldungs- und Beute-Anjprüche der verjchiedenen Kriegsämter. 

Einen weiteren Anhang vom Feuerwerk enthält eine mit dem Dresdener 
Manuffripte vielleicht gleichaltrige Papierhandichrift der Bücherei des Berliner 
Beughaujes (ms. 5), der dagegen die militärpolitijhe Einleitung fehlt). In 
einer dritten alten Handſchrift, welche der Bibliothef des FZM. v. Hauslab 
angehörte ?), findet ſich der Feuerwerksabſchnitt ebenfalls; aber dafür iſt nicht nur 
die Einleitung, jondern auch der dritte Hauptabjchnitt weggelajien. Alle drei 
Hauptabjchnitte, doch weder Feuerwerksbuch noch Einleitung enthält die treffliche 
Handichrift der Kandesbibliothef zu Kaſſel (ms. math. fol. 18), alö deren Be- 
iger Wylh. Schwab, Büchſenmſtr. zu Wertheym, mit der Jahrzabl 1531 
eingejchrieben ift. Ähnlich it ein Eremplar der k. f. Hofbibliothef zu Wien. 
(Nr. 10940. I.) 

Gedrudt wurde das Werk ganz überemjtimmend mit dem 
Dresdener Manuſkripte, doch unter Bejeitigung der flugjchriftartigen 
Einleitung mit dem Titel: „Kriegsordnung“?). 


1) Eine andere Handjchrift des Zeugbauſes (ms. 6) enthält noch eine Kopie des 2. Haupttitels 
„Regiment und Stat der Artelarey“. Auch der Abſchnitt von den Fußknechten war vorhanden, ift 
aber ausgejchnitten. An dies Fragment reiht fi Hanns Gamenturs Feuerwerlsbuch [8 48). 

*) Diefelbe ift mit einem Augsburger M. ©. von 1548 zujammengebundben. Der fFeuerwerts- 
abichnitt beginnt mit den Worten: „Nun folgen gewaltige ſtuckh vom fewrwerdh*. (Bel. Schneider: 
„Bufammenftellung und Inhaltsangabe der artilleriftiihen Schriften und Werke in der Bibliotbet 
©. Erz. des Herrn Fß8M. Ritter v. Hauslab.” Mitteilungen über Gegenftände ber Artillerie und 
ſtriegswiſſenſchaft, herausgegeben v. k. k. Artillerie-tomite, Wien 1868). 

3) Dieje große Seltenheit befigt die herzogl. Bibliothef zu Gotha (Friebenftein). 


2. Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht bei Pavia 1525. 483 


Ort und Jahr find nicht angegeben, weder bei der eriten Ausgabe noch bei 
den nädjtfolgenden, weldhe den Titel führen: „Krieg ordnung new ge 
macht. Bon Bejagung der Schlößer, was darzu gehört vnd tröftlich iſt. Artikel— 
brieff der Krieghleut jampt derjelbigen Eyde. Wievil vnd was leut darzu zu 
prauchen; Ordnung vnd Regiment der Artalerey oder geſchütz, des friegsraths, 
der wacht vnd was Eerlid oder nit in Bejaßungen gehandelt werden mag. Bon 
allen gejchlehten der püchſen und jren wägen . . . jamt einem naduolgenden 
Regiment eined gewaltigen Feldtzugs . . . faſt dienjtlich in friegsleuffen“ H. 
Der Wortlaut diefer Ausgaben weicht von dem der Edit. princeps nur ganz 
unbedeutend ab. Man darf annehmen da der erjte Drud des Werkes um 1527, 
der zweite um 1529 erſchien. 

Die erite dDatierte Ausgabe ift diejenige, welche Michael Blum 
1554 zu Leipzig veranjtaltete. — Übrigens wurde das Buch zu einer 
Zeit, da es längjt gedrudt war, auch noch abgejchrieben, und jo be 
ſitzt z. B. die fol. Bibliothek zu Berlin ein prachtvolles Bergament- 
manujfript der Kriegsordnung von 1542. 

Dieje Handichrift (ms. Germ. fol. 5) ijt betitelt: „Unterricht vnd angeig 
dieß Buchs zu Kriegsjahen vnd NRegimenten, einem jeden Kriegsherrn, der Krieg 
brauchen fol oder muß, jehr nug vnd notturfft. Auch allen Kriegsleuten ein 
guts Regijter vnd Memorial, Kriegsordnung vnd Regiment dardurd leichtlich 
anzustellen vnd zu erhalten. Wird in drey untterjchiedlihe teil verfahet vnd 
ausgeteilt. Vnd welder herr friegen fol vnd muß vnd dei benötigt ijt vnd 
durch fein mittel dei erjparen fann, dieweil feiner nit lenger Fried haben mag, 
dann jein nachbawr will, jo muß man friegen vmb guts Friedens willen vnd 
aus der not ein tugent machen“ Das Manuffript ijt koſtbar ausgejtattet und 
mit berrlihen Miniaturbildern der vornehmiten Kriegsämter geihmüdt. In der 
Säuleneinfafjung des zweiten Bildes jteht die Jahrzahl 1542. 

Dies Manuffript rührt jedenfall aus Brandenburg. Fürſtenbeſitz her; dafür 
zeugt der mächtige rote Adler auf dem erjten Blatte. Vielleicht war es ein 
Ehrengejchenf Kaiſer Karls V., deſſen Bildnis als „Oberfeldhauptmann” das 
Buch eröffnet, vielleiht audy gehörte es dem Markgrafen Albredt, Herzog von 
Preußen, der dieje alte Kriegsordnung wenig verändert in fein großes militärijches 
Compendium aufgenommen hat [$ 23]. — Eine minder jorgfältig ausgeführte 
Kopie, der jedoch die legten ſechs Kapitel fehlen, bejigt die Berliner Bibliothek 
in dem Bergament-Manujfript Germ. fol. 6. — Bon beiden Handſchriften gab 
G. F.(riedländer) zuerſt Nachricht (Ztſch. j. K.W. u. Geſch. d. Krieges. 70 Bd. 
Berl. 1847); er wußte aber nicht, daß fie gedrudt jeien. — Ebenfalls von 1542 





I) Bwei Eremplare in ber fol. Bibl. zu Berlin (W. o. 2816 u. 2824), beide in Sammelbänben, 
deren einer nur Schriften a. d. 3. 1529 enthält. — Ein Eremplar im Beige bes Verfaflers. — Zwei 
Eremplare befigt die Bücherei des Berliner Beughaufes. Das eine (A. 9 in FI. 4) trägt burdaus ben 
Eharalter des Egenolph'ſchen VBerlaged. Auf feinem Xitelblatt ift mit Tinte vermerfi: »Pro Jacobo 
Sehulthais Constannensi emptus hic liber Basiliae 12 Rappis, à servatore (!) nostro nato 1538. « 
Die andere Ausgabe (fl. #01.) ift etwa 30 Jahr jünger und befindet fich in einem Sammelbanbe (B. 782), 
deſſen Hauptinhalt dad Werk des Rivius |$ 42] bildet. 

31* 


484 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


ftammt eine gleich betitelte Abjichrift der Wiener Hofbibl. (Nr. 10929 II), die 
als Anhang eine Bearbeitung des jpäter 8 24] zu erwähnenden „Rathſchlagks“ 
zum Türfenfriege bringt. 

Der Inhalt des für die deutjche Kriegswiſſenſchaft hochwichtigen, 
in mancher Hinficht geradezu grundlegenden Werkes iſt folgender: 

Das erite Buch jept zunächſt „die fünff weſentlichen ſtück“ einer 
Beſatzung auseinander. Dieje find: gute fejte Lage des Orts, gehöriger Vorrat 
an Geihüg und Munition, entſprechende Ausrüftung mit Verpflegung, Ausficht 
auf Entjag und endlich „romme vnd notuefte Leute. Dann wo das nit, jo 
wer Crijam vnd Tauff aller verloren... Es feindt gewonlidhen inn allen Be- 
jagungen dreierley fecten der menfjchen vnd haben doc Sechs namen, das jeindt 
Adel vnd reutter, fußknecht vnd des hauß gewonlichen ehalten, handtwerder und 
pawren. — 2. Was der Beſatzung die tröftlichijt zuuerjicht ijt. Der 
principal oder kriegsherr der bejagung ſol jelbs eygner perfon im Schloß nit 
bleiben... ber jeiner liebjten vnd nechſt gejipten freund ainer oder mer: der 
fün, der Batter, die ram oder vnerzogen find; das macht der befagung ein ber; 
vnd trojt. So mag fich der Principal bewerben, jo er draußen ijt, leib, eer vnd 
gut zu retten, die jeinen vnd ander eerlich friegsleut zu behalten“. Nun folgt 
eine Darlegung der nötigen Lebensmittel und der Armierung. Da heißt es u.a. 
„Es ijt gut, daß man aud) die zimmer oder holgwerd der höchjten gepew abpred); 
es fompt offt, daß die jpreifjel den weichprunnen vnſauber geben (auf grobe Art 
Weihwaſſer jprengen), jo von dem ſchießen vmb ſich wirfft“ ). — 3. Artidel: 
brieff mit ferrerem inhalt, dann hierinn in difer Copey vnnd form begriffen 
it. — 4. Der Eydt. — 5. Wievil der nottürfftigen perjon in ain 
befagung gehören“. Nämlih: Köche, Mepger, Küfer, Pfiiter (Bäder), die 
darzu das Mülwerck künnen, Schneider, Schuhmacher, Schmied, Schloffer, Schreiner 
und Zimmerleute mit dem nötigen Gerät. — 6. „Weibsperjonen, jo in einer 
yeden Bejagung von nöten jeindt“. „Außer Näherinen und Kirantenpflegerinen 
jollen aud) „ziwo oder drei Frawen“ bejoldet werden, „die yedermanns weyb jeindt“ ; 
derhalben joll man fain eyfferung haben. Es joll auch der Hauptmann denjelben 
armen weibern gleichen vertrag, ſchutz und ſchirm halten, und fainer gedenken, daß 
er jie allain haben wolt. Es ijt unrecht welcher ein gemain einzeinen will ; darumb 
jollen fie ain zymlich frawengelt nemen, tags zween creuger“ 2), — 7. Ordnung, 
wie es mit dem geſchütz gehalten werden joll“; d. h. Einrichtung des 
Dienjtbetriebes, an deſſen Spige der Püchſenmaiſter jteht. Der Mauergürtel (die 
Leginen) ijt dabei in Abjchnitte geteilt, die ihre ganz bejtimmte Bemannung 
haben. — 8. „Wie man den Ktriegsrath bejegen joll”. — 9. „Wie man 


1) Un biefer Stelle fteht in der Dresdener Handidhrift: „Erempel, Frantzen von Sicking jeliger 
geſchah auch alio*, wozu der Gothaer Drud noch hinzufügt: „dem Gott genab!* In der Berliner 
Pergamenthandſchrift ſteht: „Exremplum, als Frantzen von Gidingen geſchach.“ Die jpäteren Ausgaben 
lafien diejen Hinweis zum Xeil fort. 

9) Diefer Paſſus ift in der Dresdener Handichrift durdhftrichen ; in der der Sammlung Hauslab 
fehlt er; während ihn das Berliner M. ©. und der Gothaer Drud, jomwie auch die jpäteren Auflagen 
enthalten. 


2. Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht bei Pavia 1525. 485 


die Wacht beſetzen ſoll“, eine ausführliche und lehrreihe Inſtruktion. — 
10. „Wo man aus getrangter not aufigeben müjt. Wie das mit Eeren 
gejchehen mög oder nit“. Als Iegitime Gründe für die Übergabe des fejten 
Platzes gelten: Mangel an Leuten, Proviant, Munition oder Geld (!), Ausbleiben 
des Entjages, jowie daß der „Schelm oder Peitilenz under fie käme“. — 11. Wie 
man mit Eerren abziehen joll, daß der Kriegsherr jeine Kriegsleut der Eeren nit 
ihelten mag“. Nach Auseinanderjegung ehrenhafter Kapitulationsbedingungen 
beißt es weiter: „So die thädingen (Taiding, gütlicher Vertrag) von den Feinden 
nit anzunemen ijt, jo mag dann das glüd ferrer verſuchen“. Dem entſprechend 
wird geraten, Geſchütz und Borräte zu zeritören und nun „inn einer großen jtill 
binauszuziehn . . . vnd follen fainen Lerman machen, es begebe ſich dann, daß 
die Schiltwacht laut wird, alddann joll der Trummenjchlager trojtlid ein Lerman 
ihlagen, vnd mit einhelligem gejchrei: Her, Her! Stich todt, jtich todt! (dem 
Landsknechtsſchlachtrufe) jo fellt die wacht dohin dem Läger zu... Dent follen 
ſie nit nachfolgen, bald wieder ein jtill machen vnd hinweg tracdhten, vnd der 
Trummenjchlager joll ye bei der weil mit Heinen jtreichlin die trummel rüren, 
jo mügen die verlauffen knecht ſich demjelben widerumb nachrichten hinwegzu— 
fommen . . . So ſolichs gejcdieht, jo wißendt dannoc die Feind nit, ob die im 
Schloß jeindt ausgefallen vnd wider hineingewichen oder ob das Schloß Rettung 
überfommen had . . . Alſo mügen die guten gejellen rumwig hinweg fommen, 
vnd finden hernach die feind nicht? dann Drümmer vnd jtrid”. — Das Bud) 
ihließt, nachdem es jo viel vom „Sawren“ geredet, mit dem Süßen, d. h. mit 
Aufzählung deſſen, was nad) gelungenem Dienjte den Landsfnechten an bejonderen 
Vergütungen und an Beute zuzufallen habe. — Endlich find noch einige allgemeine 
Marimen angefügt, 3. B.: „Der Mard lernet framen, die gegenwürff lernen 
friegen vnd die not lernet weg ſuchen; armut lernet gnaw fijhen“. Oder: 
„Ordnung ift gut in allen dingen; auß vnordnung werden offt große Ding ver: 
jaumpt, die da reichen zu vnüberwintlichen vnd ewigen jchaden“ !). 

Das zweite Buch: „Statt vnd Regiment der Artelarey, wie das 
Regiert vnd gehandelt werden joLl!“, beginnt mit einer Einleitung über 
die allgemeine Heeresorganijation („das ganz Regiment“) „damit die vnder— 
iheidt aller Regiment verjtanden werden, wie ains auß dem andern fleußt vnd 
wie aind dem andern die handt peuth.“ Es heilt da: „Gewonlich haben die 
gewaltigen Beldtzuge (Deere) drey Regiment als ein Römiſcher Kaifer oder die 
Stend des Reichs u. ſ. w. oder der Pundt in Schwaben oder ein König in Hijpanien, 
Frankreich und Engellandt, die Venediger vnd dergl.?), die etwa mit 20 Taujendt, 
30 Taujendt, 60, 90 bis indie 100 Taujendt mann zu feldt ziehen, die jollen 
ond müſſen die drey Negiment haben. Nemlich die Fürjten, Herren vnd Ritter: 


1) An dieſer Stelle fteht in der Dresdener Handjchrift wie in dem Gothaer Drude: „Wa das 
nit geſchicht, jo geet es offt über und vmb, wie wir das gejehen haben in difem Baurenfrieg vnd andere 
ortten.” Dieſer erläuternde Hinweis auf den Bauernfrieg fällt in den fpäteren Ausgaben fort. 

V Ju der Dresdener Handihriit und der Gothaer Ausgabe heißt es „bie Stennd des Reichs 
u. f. w. oder als der Bundt yest in Swaben.“ — Die ganze Detaillierung und mit ihr der Hinweis 
auf den Shmwäbiichen Bund fehlt in der Berliner Pergamenthandihrift, während fie in der Bapier- 
dandſchrift der Zeughausbibliothet fteht. 


486 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswifienichaftliche Werte. 


ihafft jamt allem Reyjigem NKriegsuolt (Kavallerie) hat jein eygen Regiment 
(unter dem „Veltmarſchalck“). Der Oberjtfeldtzeugfmeijter jampt aller Artelaren 
bat fein eygen Regiment. Aller Fußknecht Oberft Hat fein eygen Regiment“. 
Alle drei Regimenter zujammen aber „haben einen Oberſten Belthauptmann, der 
it Oberjter über das ganz Beltläger wo der recht Principal oder kriegßhert 
eigner Perſon ſelbs nit entgegen iſt“. Die drei Waffen müjjen bei einander 
fein: „Man kann mit den Roßköpffen vnd langen Spießen (Kavallerie und In— 
fanterie) Mauren, Thürn, Bolwerd vnd Bafteyen nit wol umbftoßen. Man 
muß ein gewaltig geihüg vnd Artelarey haben; das fans thun; es iſt auch 
dienlih zu Veltſchlachten; hat fie aber fein Reifigen Zeugf (Kavallerie), dazu 
fein Fußvolck bey ihr, die ſie verhüten, verwachten, darob halten vor gewalt, io 
ijt die Artelarey auch nit nuß; darumb jein fie alle drey gut bei einand“. — 
Ehe er „zu der Artelarey greift“, jegt VBerfajier auch noch auseinander, „Wie 
der Kriegsrath bejegt werden ſoll“. Er rechnet auf 20 bis 0000 Mann 
im Felde „ain gang Zeughauß“, d. h. 55 Stüd Büchſen, „die auf der Art geent“ 
(fahrbar find), auf 50 bis in die 60000 Mann zwei Zeughäujer, auf 90 bis in 
300 000 Dann „drey Zeugbeujer“. 

Nun geht der Berfafler zur eigentlichen Darftellung der Artillerie über 
und beipridt: 1. „Die Gejhleht der Püchjen im Zeughauß ind Belt“. 
Danach „jeind aller Püchſen nit mer dann acht gejchlecht, die man auff der Art 
(Achſe) ſcheuſt: Item vier Maurenprecher vnd vier Veldtgefhüg, pnd wann man 
jm gleid) taujent namen geb, jo jeind jr doch nit mer (on die Morthier oder 
Bbler und fewer Püchſen) dann acht geichledht“. — Die Mauernbredyer bejteben 
aus: „Bier Mepilana, die wir nennen in jrem Teutſch Scharpfmeßen; der 
aine jcheuft gewönlich ain zentner Eyjen vnd wigt an jrem Ror 100 zentner. 
Item zwo Kana, die wir nennen Balijisco vnd ſchießen gewönlid 75 Pfund 
Eyſen; die wigt an jrem Ror 75 Zentner. tem vier Duplicana, die man 
nennet Nadhtgallen, ſchießen gewönlih 50 pfundt Eyjen, wigt an jrem Ror 
50 zentner. Item vier Triplicana, die man nennet Singerin, jchießen 
gewönlich 25 pfundt Eyjen, wegen auch an jrem Ror 50 zentner*). tem vier 
Duartana, die man nennet Not= oder Biertail-Pühjen, die jchiehen 
gewönlicd 25 pfundt, wegen auch an jrem Nor 25 zentner. Das find die vier 
Maurenpreder“. — Zu dem Geſchlechte der Feldgejchüge zählen: „Fünf Trackang, 
die man nennet zu onjerm teutjh Traden oder Notſchlangen, die jchiehen 
gewöhnlid 16 pfundt Eyſen. Item jeh& Schlangfana, die man nenne 
Schlangen, jhießen gewönlid 8 pfundt Eyjen. Item zehn Baldana, die 
man nennet halbe Schlangen, ſchießen gewönlich 4 pfundt Eifen oder plen. 
Item vierzehn Baldanet, die man nennet Falcken, ſchießen gewönlich 2 pfundt 
pley. — Darzu gehören zwo fewer-Püchſen, daraus man fewer jcheuft“. — 


— — — 


ı) Der Berliner Pergamentcober fügt hinzu: „Wo der rechte Prinzipal oder ftriegäberr fjelbit 
zu feldt zieht, da joll der Oberft des ſtriegßherrn Lutinant fein“. 

2) Nachtgallen vnd Eingerin jeind zween namen aber nit mer dann ain geichlecht ; bie beid 
ſchießen ain tügelein ainer größ vnd ſchwer, allain dat bie Nachtgall etwann zwehyer ſchuch Iemger 
dann die Eingerin ift.” 





2. Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht bei Pavia 1525. 487 


Die ganze Summe eines Zeughaujes beträgt aljo 55 Geſchütze, nämlich 18 Mauer: 
breder und 37 Feldgeſchütze. — Außerdem aber gehören noch zur Heeres— 
ausrüftung: „Zween groß Morthier, die man nennet Narren oder Böler; 
der ainer würfft ain zentner ftain, die gand durch jtarde gewölb. Der jol wegen 
an jeinem Ror 50 zentner. tem zween halb Morthier; der ainer würfft ain 
halben zentner vnd joll wegen an jeinem Ror 25 zentner. tem noch zwölf 
Hain Morthier, der ainer von jeinem Ror on das gefäß 1 zentner gewicht 
vnd nit über 8 pfundt wirfft. — Das madıt in der Summa 16 Morthier, daraus 
mag man jewer oder jtain werffen“"). — 2. „Die überigen wägen zu dem 
großen Geſchütz“ (Sattelmagen). — 3. „Die jumm der Ro, die an den 
Püchſen ziehn“: Es gehören dazu 512 Pferde und 192 Perjonen. — 4. „Bon 
den Bühjenmaijtern“ Diejen Titel führen nur diejenigen, welche Mauer: 
brecher bedienen; die andern heißen „Beldtihügen“. — 5. „Wie die Püchſen 
bejegt werden jollen“ — 6. „Eydt der Püchſenmaiſter vnd Veldtſchützen. 
— 7. „Bie die Püchſen beuolhen (verteilt) werden jollen“. — 8. „Tar 
oder Bejöldung der Püchſenmeyſter“. — 9. „Die Kugeln aller Rüden“. 
— 10. ‚„Was die fügeln für wägen haben müjjen“. Es wird ein Geſamt— 
gewicht von 2080 Ztr. für die Kugelmunition eines „Zeughaujes“ berechnet, 
und dafür werden 108%Ys Wagen gefordert. — 11. „Summe der pferdt, jo 
in den fugelwägen ziehn“ (434 Rob). — „zurleut darzu“. — 12. „Buluer- 
wägen“. — 13. „Under Mundicey=Wägen“?), welche Brüdengerät, Rejerve- 
munition, Schanzzeug u. dgl. nahführen. (Eine jehr ausführliche und einfichtige 
Darftellung.) „Die Prudwegen, die jollen vor dem gangen zeugt hinweg geen 
mit dem NRendtfenlein“ (Avantgarde), — 14. „Bon des Oberſten Zeug 
maijters bejtellung“. — 15. „Artidel, darauffer jhweren joll“. 
— 16. „Biennigmaijter oder zalſchreybers Ayd, der foll dem Kriegß— 
herren ſchweren“. — 17. „Ain gemainer Ayd, allen andern beiten Artelarey- 
perfonen“. — 18. „Die andern Artelareyperjonen mit jren jülden vnd 
beuelh, was jr arbeit ijt“. Nämlih: „Schangmenfter, Schangpawren und ihr 
Hauptmann, Zeugwart fampt der Tar, was für die Kugeln gegeben werden foll, 
Geſchirrmeyſter und Furleut, Profos der Artelarey, Puluerhuter und Zeugdiener. 
„Man joll aucd haben 8 Schneller, die da die großen jtüdbiüchjen von einem 
Wagen auf den andern heben vnd die büchjen, jo oft not ijt, helfen jchmieren“ u. j. w. 
Bei jedem diejer Ämter find deffen Aufgaben und Bejoldung genau augeinander- 
gejegt, und jo ergibt fich ein höchſt anjchauliches Bild des gejamten Artillerie 
wejen® einer deutſchen Feldarmee. — Eine bittere Klage über die Betrügereien 
bei Anmwerbung und Mufterung jchließt diefen Abſchnitt: „Manchem (der ſich bei 
mehreren Fähnlein bat anwerben lafjen) were not, dal er dreyfeltig were wie 
Sott vnſer Herr; man findt manden, der, wolt er ainem Bidermann gleich jein, 
er were vier oder fünff feltig, nit allain Gott vater, Sun, Hailiger Gaiſt, jonder 
mutter vnd dochter dazu. Ich Hab jelbs ainen fennt, der het vnder 


1, Dieje ganze Einteilung hat Preußen mwörtlid in jeinen unten (Anm. 2 ©. 490) zitierien 
Auszug d. 3. 1530 übernommen. 
2) Unter „Mundicey“ wird Munition und Beug verftanden. 


488 Das XVI. Jahrhundert, I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


dreizehn Fendlin jold auff ainem Veldtzug!“ — 19. „Wie man das gejdhüs 
vnd alle mundicey in ordnung füren joll“. — 20. „Freyheyt der 
Artelarey“, d. i. ihre jelbjtändige Gerichtsbarkeit. — 21. „Des Oberiten 
Beldtzeugmepyjterd Freybeyt und Prouit“. — 22. „Des Püchſen— 
meyſters Prouit“. — 23. „DesSchangmaijter8PBrouit“. — Unter „Profit“ 
werden die bejonderen Emolumente verjtanden, die den Betreffenden nad einer 
gelungenen Kriegshandlung aus der Beute zufallen. 

Hier jteht nun in der Dresdener Handichrift ein Abjchnitt: „Aljo ent jich 
die Artolerey vnd folgt hernad) der Beſchluß“. Die allgemeinen Betrahtungen 
und Summen diejes „Beſchluſſes“ finden fih aud in der Berliner Pergament: 
bandichrift von 1542, wo es heißt: „Alſo ijt der vntterridht, wie dad Regiment 
der Artallarey gehandelt vnd gehalten werden joll ... Bngeuerli was ein 
monat lang auf das gang feldtlager geburt, Gerayfigen, Artlarey vnd Fußknecht: 
64596 FI. Vnd iſt dis ein warnung vor frieg zu hüten; dann es ijt zu glauben, 
wann offt Fürjten vnd herrn difen bericht hätten oder in diefen Spiegel jehen, 
was cojtens e8 haben will, Sy befonnen ſich wol ein weil, ehe jy jih in friegs- 
handlung einließen . . . Gott verleihe vns jeine Gnad dargu. Amen!“ 

Das dritte Buch Handelt vom Regiment vnd jtat der Fußknecht 
und wird mit einer Wiederholung der Einleitung des zweiten Buches eröffnet. 
Dann folgt 1.der „Artidel brieff der Fußknecht“, d. b. die von den 
Knechten zu bejchwörenden Kriegsartitel, weldhe „in gegenwirtigkeit des Oberiten 
Hauptmanns den Knechten im Ring verjtentiglich vorgelejen“ werden jollen. — 
2. „Artidel, darauff der Oberft Hauptmann (der Führer des gejamten Fuß— 
volfs) bejtelt werden joll“. — 3. „Von bejtellung vnd Bnderhauptleut 
über ain Fendlin fnedht“. — 4 „Ains yeden vorgemelten Bnder- 
bauptmanns jhreybers Aydt“. — 5. „Bon den anderen einfachen 
und Doppeljöldnern in ain Fendlin gehörig”. — 6. „Des Regi— 
ments uber Söldt“ d. h. Verzeichnis derer, welche für jich und ihren „itat“ 
(ihr Gefolge) mehr als zwei Solde empfangen. — T. „Bon den Muſter— 
herrn“. — 8. „Eyd der Mujterberrn“. 

Überblickt man das gejamte Werk und fieht dabei zunächſt von 
der Dresdener „Einleitung“ ab, jo zeigt jich eine merfwürdige Ana- 
(ogie mit dem italienischen »Vallo« [8 8], da beide Schriften von 
der Bejagung und Berteidigung eines feſten Platzes ausgehen umd 
dann auch noch des Fußvolks, nicht aber der Reiterei gedenken. 

Doch während das deutjche Werk den Hauptnachdruck auf die Aufbringung, 
die Organijation und den Unterhalt von Perjonal und Material legt, be: 
ihäftigt das italienische fi) vorzugsmweije mit den formalen Momenten, und 
während della Balle eingehend die neu aufgefommene Bautechnik beſpricht und bin: 
fichtlidy der Artillerie noh auf jo altfräntifhem Standpunfte jteht, daß er mehr 
von den Feuerwerkskörpern redet ald von den Gejhügen, bringt die „Kriegs: 
ordnung” nur ganz nebenſächlich einige fortififatoriihe Angaben, jegt dagegen 
das artilleriftiiche Wejen in allen Einzelheiten jorgfältig auseinander, indes die 


2. Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht bei Pavia 1525. 489 


Angelegenheiten des Fußvolks kurz abgefertigt, die der Reifigen eigentlich geradezu 
ignoriert werden. Übrigens fehlt der das Fußvolk betreffende dritte Teil in einer 
Handichrift ganz und ijt durch eine Abhandlung über Feuerwerk erjegt; der 
zweite Teil endet in zwei Manuftripten mit „Amen“, und im Dresdener Manu— 
jfript wie in den Druden beginnt der dritte Teil mit fajt wörtlicher Wieder: 
holung des zweiten Teiles — called Anzeichen dafür, daß der Teil über das 
Fußvolk erſt nadhträglid Hinzugefügt worden iſt, um ein urſprünglich weſentlich 
artilleriftiiches® Wert einigermaßen in den Rang eines allgemeinen Kriegsbuches 
zu erheben. Während il Vallo die formale Taktik des Fußvolkes mit bejonderer 
Liebhaberei behandelt und ſich dabei jogar in Spielereien ergeht, werden in der 
„Kriegsordnung“ taftiihe Momente jpärlich berührt, am eingehenditen noch bei 
Belegenheit der Vorichriften für den Befehlshaber eines belagerten Platzes und 
dann bezüglich der Marſchanordnungen, namentlid für Artillerie und Mundicey. 
Im Bordergrunde jteht durdaus, wie ſchon erwähnt, die Frage der Beihaffung 
und Organijation von Perjonal und Material unter bejonderer Betonung der 
finanziellen Anforderungen. Diefe Haltung ift den deutjchen Werfen des 16. Ihdts. 
überhaupt eigentümlid). 

Fragt man nach dem Verfaſſer des merkwürdigen Buches, jo 
gibt darauf eine Notiz Antwort, welche Hiob Ludolf!) auf das Titel- 
blatt des Gothaer Drucderemplars gejchrieben hat. Sie lautet: „Diejes 
Werk iſt durch Nidel Otten, Röm. Kayjerl. Mt. und des Bundes 
zu Schwaben Zeugmeifter, und jeinen Leutnant Jacob Preußen 
zulammengetragen, Wie auf dem Bericht vom Kriegsweſen, jo in dem 
Weimariſchen Archiv befindlich fol. 108 zu erjehen, da em Auszug 
aus diefem Werf genommen, zu befinden tt“. — Diejer Auszug it 
num allerdings heute nicht mehr aufzufinden ?); die Angabe Ludolfs 
aber iſt aus vielen Gründen in hohem Grade wahrjcheinlich; nur 
muß es jtatt „Nicdel“ vielmehr „Michel Ott“ heißen. — Michael 
Ott von Aechterdingen (Echterdingen), dejjen Seb. Schertlin als jeines 
eriten Führers gedenkt, unter dem er dem Feldzug gegen Stdingen mit- 
machte ?), war um 1479 geboren und jeit 1503 oberjter Feldzeug- 
metiter Kaiſer Marimiltans. 

Vermutlich jpielte er bei der Verbeſſerung des Artilleriewejend eine be- 
deutende Rolle. Im Jahre 1515 bearbeitete er mit Hans Kugler dad Inventar 
des Zeughaufes zu Innsbruck [XV. 8 68], wo er jeinen gewöhnlichen Siß gehabt 
zu haben jcheint. Im Jahre 1519 war Ott Feldzeugmeiſter des Schwäbiſchen 
Bundes gegen Ulrich von Württemberg und belagerte Tübingen Troß glänzender 


— 


1) Der Erfurter 9. Ludolf lebte von 1624 bis 1704, war gothaiſcher Legationsrat und galt 
al? ausgezeichneter Hiftorifer und Linguift. 
N Briefl. Mitteilung des Großherzogl. Bibliothelars Köhler in Weimar. 
5) Bgl. Schertlins Autobiographie (Frankfurt und Leipzig 1777 ©. 3). 


490 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


Anerbietungen des Königs von Frankreich verblieb er im faiferlihen Dienite 
und ordnete zunächſt das Artilleriewejen der vorderditerreihiichen Yande, madte 
für Karl V. den Überfchlag des Artilleriebedarfs feiner Feldzüge, kämpfte gegen 
König Francois in Burgund und Venetien, geriet zu Mailand in hartes Ge— 
fängnis, half dann dem Truchjeß von Waldburg 1525 die Bauern niederwerfen, 
rüftete 1526 in Dfterreich gegen die Osmanen und 1527 in Ungarn gegen den 
Woimoden. Nah häufigen Kranksheitsanfällen, für die er im Wildbad Heiluna 
juchte, jtarb er angeblidy im Januar 1532. Nach anderen Mitteilungen erjcheint 
jein Name noch in Urkunden des Jahres 1541"). 

Ott's Stellung als Feldzeugmeiſter des Kaiſers und des Schwäbiſchen 
Bundes entipricht ſowohl dem Vorwalten des artillerijtiihen Elementes in der 
„Kriegsordnung“ als der wiederholten Erwähnung des Schwäbiihen Bundes: 
eine perjönlihe Erinnerung flingt in der beifpielsweijen Erwähnung von 
Sidingen® Tode nah. — Auch die Teilnahme von J. Preuß an der Bearbeitung 
des Buches wird durch den Umjtand zur Gewißheit, dab eine Handichrift desjelben, 
welche fich in der Großherzoglichen Bibliothek zu Darmitadt befindet (Nr. 3098), 
ausdrüdlih den „Jacob Preuß, des Churfürjten von Sachſen HZeugdiener der 
Artolerey,“ als Verfaſſer nennt und daß i. J. 1530 zu Straßburg ein Auszug 
der Kriegsordnung erjchien, welcher den Titel führt: „Ordnung, Namen und 
Regiment Alles Kriegsvolds. Bon Geſchlechten, Namen und Zal aller büchjen. 
In ein gange Nerdeley eins Feldtzugs vnd Zeughaufes gehörig. Won jedes 
Gewicht, Schwäre, Steyn vnd Kot. Auf dem Kriegs Rathſchlag Jacoben 
Preußen, Churf. Durchleuchtigkeit zu Sachſen Zeugmeyſters“. (Bei Egenolp. 
Jenner 1530) ®). 

Man darf die „Kriegsordnung“ alſo wohl ein gemeinjames Wert 
von Dtt und Breuß nennen. 

Wahrſcheinlich iſt jie als eine Art Inſtruktionsbuch für die Truppen des 
Schwäbiſchen Bundes gejchrieben worden; denn im Dresdener Manujffripte findet 
ſich mehrfach (3. B. in dem Schlußfapitel der Artelorey) die Anrede „Ewr. Er 
barfheyt“, in dem Gothaer Drud die Abkürzung „E. ©. und G.“, 5. B.: „Nun 
haben €. G. und ©. etwas Kriegiſcher Undericht”. Vermutlich ijt die Kriegs 
ordnung in der Weije entjtanden, daß zuerjt, etiwa i. %. 1524 oder 1525, die 
beiden erjten Teile niedergejchrieben, dann durd den dritten Teil vervolljtändigt 
wurden, und dab endlid Ott, angefichtS der durd) die heilige Liga, jowie durch 
die Türfen dem Kaifer und dem Reiche drohenden Gefahr, fie mit der militär- 
politifchen Einleitung verjah und an befreundete protejtantifche Fürjten, wie den Kur 
fürften von Sadjjen, verſchickte. Daher ſtammt vielleicht das Dresdener Manufkript 


Auffallend ift es, daß dies vortreffliche Werk, obgleich es jo oft 
abgejchrieben und mindejtens viermal gedrudt worden it, doch nur 





1) Bal. Schertlin v. Burtenbadh und feine Briefe (Augdburg 1852) ©. IV u. VI. 

7) Der Auszug ift nur 4 Quartfeiten ſtark und größtenteil® wörtlich der „Striegdorbnung“ eni- 
nommen. BDrud und Einrichtung entiprechen ganz der Quartausgabe ber letzteren im Berliner Zeus 
haufe. (gl. übrigens oben Unm. 1 ©. 487.) 


2. Die allgemeine Literatur bis zur Schladht bei Pavia 1525. 491 


wenig befannt geworden zu fein jcheint. Darauf hat jchon tm 18. Ihdt. 
Laurentius hingewiefen!). „Ich jege zum voraus“, jo jagt er, „daß 
jolches Buch in wenige Hände gekommen und den allermeisten Schrifte 
jtellern von Kriegsjachen unbekannt geblieben jet: welches dann Ge— 
(egenheit gegeben haben mag, daß es von einem Manne, den man 
gemeiniglich für den älteſten deutjchen Schriftjteller von Kriegsjachen 
hält [Frönsperger 8 32] ausgejchrieben worden it.“ 

Wie wenig befannt Otts Werf war, beweiit auch der Umjtand, 
daß ein Mann wie der bekannte abenteuerliche Alchymiſt Thurneyifer 
ſich dasjelbe ohne weiteres zuzueignen wagte. Die fgl. Bibliothek zu 
Berlin befitt eine Handjchrift (ms. germ. fol. 98), welche den Titel 
führt: „Kriegslehr, Regiment, Staat vnnd Ordnungen 
durch Leonharrten Thurneiffer zum Thurim bejchrieben“. 
Der Kern diefer Arbeit iſt lediglich eine Abjchrift der drei Bücher 
Dtts vom Anfang der fünf wejentlichen Stüde einer Bejagung bis 
zum Eid der Mujfterherrn, in welche jaubere Kopie Thurneyſſer allerlei 
überflüffige, zudem meift nur redaktionelle Änderungen hineingejchmiert 
hat. Am Schluß diefer Abjchnitte jteht von der guten Hand des 
Abjchreibers „Ende der Kriegsordnung. Laus Deo semper. 20. Aug. 
1572“. Den drei Büchern gehen aber hier noch einige Kapitel voraus 
und einige folgen nach; und obgleich diefe Zutaten nicht von Be 
deutung jind, jo jollen ſie doch erwähnt werden. 

V orausgehen, gewiſſermaßen an Stelle der militär-politiſchen Einleitung 
Michael Otts von Achterdingen, vier Kapitel, deren Inhalt die Anfangsworte be— 
zeichnen mögen: 1. „Die Kriegskunſt vnd das Kriegen iſt vnnder allen gewonheitten 
vnnd gebreuchen, die von Anfang der welt biß auf vnnß khumen, faſt die aller 
Eltiſte . . .“ 2. „Weil ein alt ſprichwortt iſt, daß keiner lenger frieden haben mag, dann 
ſein nehiſter nachbauwer wölle . . .“ 3. „Dieweil dann gewohnlich bey den Alten 
inn dem Brauch war, daß ſich ſeltenn ein Fürſt, Herr oder Potentat in ſeinen 
Stetten, Schloſſern oder Lannden vom Feind heimſuchen vnnd belagern lajien... 
vrſach, daß er mit bezogunge ſeins Feindts ime ſelbs vnd ſeinen Vnderthanen 
groß Nutz ſchaffet; dann es iſt, wie man ſagt, allwegen auf annder leut ſchuchen 
gut Tanitzen . . .“ 4. „Es ſollen in jedem Regiment zwei Prediger ſein . . .“ — 
Nachfolgen: 1. „Artidelbrief jo der Rö. Key. Mt. gemeine Kriegsleutt, die 
pnder dem wolgebornen Herrn, Herrn Chriſtoffen Seißnedher, Freyherrn zu 
Weideneck, Raht vnd Oberften, gejchworen haben.“ — 2. „Die Gerihtsordnung 
der Lantzknechte vnd die 7 Umbfragen.“ — 3. Die Schiffordnung, wie es auf 


ı) Qaurentius: „Nachricht von der erften gebrudten deutfchen Kriegsorbnnung* in defien Ab» 
banblung von den Sriendgerichten II (Mitenburg 1757). 


492 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine friegswifienichaftliche Werte. 


dem Meer vnd Naben zu faren mit den Teutichen Landtsknechten. — 4. Dei 
Feldtweibels Ordnung. — 5. Ein Schlahtordnung zu machen auf alle vier Ort 
gevierdt, doch mit Spieß und Helmpartten... (Berzeihnis von Quadratwurzeln). 
— Auf alle diefe Dinge wird jpäter noch zu fommen jein. 


Eng verwandt der gedrudten Dttjchen Kriegsordnung ijt ein 
Manujfript der Heidelberger Bibliothef (Palat. Germ. fol. 123), jo 
eng verwandt, daß es, obgleich e8 aus d. 3. 1530 jtammt, aljo nicht 
mehr in das erjte Viertel des 16. Ihdts. gehört, doc) in diefem Zu— 
ſammenhange bejprochen werden muß. Der Codex enthält zwei Schriften 
offenbar von demjelben ungenannten Verfafjer, und beide jind dem 
„Strengenn vnnd Ermveitenn Michael Otten vonn Achter: 
dDingenn, Keyſerlicher vnnd Küniglicher Beyder Maiejtatt Oberjter 
Beltzeug Meiejter der Arcolerey, in allem gebraucht vnnd erfarenn, 
meynem bejondern gütigen freundt“ zugejchrieben, u. zw. „mit der 
bit, diſes meyn vnuerjtendigs jchreiben Corrigirn vnd zu bejjern.... 
vnd mir, dasjelbige alsdan widder mitteiln. Dan ich diejjes mein 
Schreiben nit mehr acht, dan Fragitod, darüff mich zu underichten 
vnd zu verjtendigen“. Die erite Widmung ijt vom Oftober, die zweite 
vom Dezember 1530 datiert. Der Inhalt beider Schriften entjpricht 
der dee nach dem des II. und des I. Teils der Kriegsordnnung, iſt 
aber, wie die nachfolgenden Angaben zeigen werden, jorgfältiger und 
von höherem Standpunkte bearbeitet; namentlich it der Waffenwirfung 
und der Taktik eine viel größere Aufmerkſamkeit zugewendet. 


I. Verzeihnus der Arcolerey, zu erfaren die Summen 
eines Veltzogs, Noth, Gewicht vnnd Antail der Buchſen, Wagenn, 
pferde, Buluer vnd jtein vfs furglichjt zu erlernen. 


Das Verzeichnis beabjichtigt nicht, eine unveränderliche Norm zu geben, 
jondern nur die Verhältniſſe der verſchiedenen Geſchützgattungen und ihren Bedarf 
an Munition, Geſpannen u. ſ. w. auseinander zu jegen, damit ein Sriegäherr 
beurteilen fünne, was er in jeinem Falle brauche, und für welche artilleriftifche 
Forderung aljo die Leiftungsfähigkeit bejtimmter, ihm friegspflichtiger Gemeinden 
oder Abteien oder dergleichen auäreihe. Zu dem Ende gebt der Verfaſſer die 
Geſchütze, von dem jchwerjten an, der Reihe nad) durd. 3. B.: 1. Mauer: 
brecher: Scharpfe Meß; wiegt 100 Ztr., ſchießt 100 Bid. Ihre Yade wird auf 
bejonderem Wagen geführt. Ihr „Zuegk“ (Ausjtattung und Rejervematerial), 240 
Käugelinn = 240 Ztr., Pulver, Bierde, Wagen, Wagentnechte. Bedienung: 2 Büchien- 
meijter. — Baſiliscus; wiegt 75 Ztr., ſchießt 70 Pd. Seine Fafjunge fährt 
auf eigenem Wagen; u. j. w. — Nadıtigall, Sengerin, Groß-Quartan-Schlange, 


2. Die allgemeine Literatur bis zur Schladht bei Pavia 1525. 493 


QDuartan- Schlang, Groß Mörjer, Klein Mörjer. — Angabe über das Geſchütz— 
Zubehör. Summa der Büdjenn: 8 Stüd, der Wagen 88, der Pferde 543, der 
Knechte 163, der Bedienung 9 Büchjenmeijter, 4 Schlangenſchützen und 3 Knecht. 
Ordnung der Bühjen: 4 Scharfmegen, 3 Bajilisfen, 3.Nachtigallen, 4 Sengerin, 
4 große, 4 rechte Quartanſchlangen, 2 Gantz-Mörſer, 2 Halp-Mörfer, zuf. 30 Stüd. — 
Folgt die Berehnung ihres Gejamtgewichts, ihres Geſamt-Materials und Perfonals, 
jowie der Kojten. — 2. Veldtgejhug: 8 Notſchlang, 30 Halbihlang, 40 Säw, 
40 Affen, 80 Äffinn, 100 Baldonetleyn, [1000 Hoden auf Boeden abzufeuern, 
zufammen 1298 Stud. 

Zwiſchen der Betradhtung der Mauerbredher und der des Feldgeſchützes ijt 
nun eine jehr intereſſante Auseinanderjegung eingejhoben, in welder Art die 
Mauerbredher vor fejten Plätzen zu verwenden jeien u. zw. unter 
tolgenden Geſichtspunkten: „Eyn Thurm zu jchießen. Eynn Thurm vbber Ed 
zuffenn (sie). Eynn Ebennde Mawr zu jchießen. Mit dem Morjern zu jchießen. 
Der Fhurtzogk. (Berennung der Feitung und Etablierung der Batterien). — Hin- 
ihtlih der Bereitung der Kugeln und des Feuerwerks jtellt der Verfaſſer für 
fünftig eine bejondere Arbeit in Ausſicht. 

Die Abhandlung über das Feldgejhüß folgt: „Der Soldt der Reyfigenn 
vnd jerenn zugeordneten Wagenn“, jowie der „Soldt der Fueſknecht“, ganz 
ſummariſch. Eingehender find dann wieder Kapitel über die Bawren, Schiff: 
Broden, Zimmerleuthe, Shmite, Satteler und Seyller. 

Hieran jchließt jih nun eine taftijhe Abhandlung. Da lehrt der 
Autor zuerjt die Aufjtellung der gevierten Ordnung und jest beijpieläweije 
die von 1000 Mann auseinander: „Item jo Ich wolt machenn ein gefiert Orde- 
nong, jo joll Ich ſtelln ungerade in ein glit jo vill man, daß es dieje thaufent 
Man gerade tregt; das ijt aljo jo: Ich jtelln 33 Man in ein Reihen, einen wegf, 
vnd jtelln dan an der ort (an der Ede) auch 33 man an ein Reihe, dab ein 
windelhaf daraus wirt... Und loß dann diejenn winfelhafenn voll eintretten als 
einen man hinder den Anderen vnd neben einander gleich wie jie in der ordenong 
itehenn, jo wirt dieſe ordenong gefiert und jtehenn darin 1088 Mann. Alſo 
findet man in diefer volgenden rehnong von einem biß inn die hundertthaufennt 
Man die juma“, — Diefe „Rechnung“ iſt ein Verzeichnis der Duadrate der un— 
geraden Zahlen von 3 bis 317, aljo von 9 bis 100489, aus dem zu erjehen ijt, 
wie viel Rotten und Glieder dazu gehören, um aus einer gegebenen Menſchen— 
zahl einen gevierten Haufen derart zujammenzujtellen, daß möglichſt wenig Lüden 
oder möglichjt wenig Leute übrig blieben. — Nachher geht der Verfafjer über 
zur Aufjtellung einer Spig-Ordenong, wobei er von der gevierten Ordnung, 
alö der Grumdjtellung, ausgeht. Endlich gibt er eine jehr allgemein gehaltene 
Andeutung, wie er Hunderttaujfend Mann zu Roß und zu Fuß jamt dem 
Feldgeſchütz in eine Ordnung bringen will; da aber die erläuternde Figur 
fehlt, auf die er ſich bezieht, jo wird er nicht recht verjtändlid. 

Den Beſchluß des Buches macht eine Beitellung vff Hunderttawjandt 
Mann, d.h. eine Berehnung der für fie nötigen Verpflegung und des Bedarfs 
an „Molln, Badofenn“, dazugehöriger Bejpannung und der Gezelte. 


494 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


I. Ordenunge vnd Önderriht Eyne Bejagunge zu 
enthaltten, ob es die Noittdurfft erfordert. 


Der Verfaſſer ſetzt zunächſt auseinander, was 100 Mann auf einen Monat 
in einer Beſatzung gebrauchen, und beſpricht zu dem Ende: „Proviande, Kornn, 
Erbeyß, Hafer Meel, Erbeyß Meel, Gerſten, Salz, Fiſch (Stockfiſch), Keeſe, Bottern, 
Gedranck, Haffern, Fleyſch, Waſſer, Brandt und Holtz“. Dann geht er auf das 
„Geſchoetz“ nebſt Zubehör ein und erläutert wie „Berge und Pletz“ Erd— 
anjhüttungen und Bettungen) für das Geſchütz anzulegen jeien. Dann redet er 
von den Mörjern und verjchiedenen „Kaugelln, die gewaltig ſchlagen“ (Spreng- 
wurfgejchoijen), von jtinfenden Kugeln, Hagel und Dämpfen. — Nach diefer Er- 
läuterung der Ausftattung des belagerten Platzes mit Krieggmaterial behandelt deı 
Verfafler, wenigitens in einem Punkte, andeutend aud die fortifikatoriſche 
Seite der Aufgabe und beipridt die „Streydh Where mit jrenn 
Büchſſen“. Man habe deren von fehr verjchiedener Art; „io ich aber jolt 
jtreychiwher machen nad) meinem willen, es wer gleich für jchutten (Wälle) oder 
graben, jo wolt ich die machen dermaßen, daß man mir fein loch (Scharte) mit 
jchießen erreihen modt vnd jolten doch mogen ein ſchuede (Schütte) ein vnd 
ausſtreichen (?). Und jo der alſo verdedt ift, jo mag id) machen der löcher nadı 
meinem willen zu großem oder zu Heinem geſchoetz. . Davon will id) (wilß gott) 
binfurt eyn eygen Bud) davon machen vnd etwas von Bauwen darin angeigen, 
von Scuedenn in der Ebene vnd auff Bergen vnd aud von Maverwerk zu 
ihloßen vnd ftetten“. — Nad) der artillerijtiichen Armierung beipricht der Verfaſſer 
da® „Storm-Zeugk“, bejonders da8 zur Verteidigung des Grabens, wobei 
die gewöhnlichen Feuerwerkskörper aufgeführt werden. Hierauf gedenft er des 
„Darres-Zeugk“ (Tarraß), nämlich des Holzwerfes, das dazu dient, Schirme 
für die Büchſen herzuftellen, fleinere Brechen auszufüllen u. dgl. m., dann der 
Wajjergräben und ihrer Einrichtung, der notwendigen Handwerks verrid; 
tungen und endlich aud) des Wurffzeugs, „dag man vor zeitten gehapt, das 
man Bleiden nennt; das acht’ ich noch für gut. Dann es mag fid) wol begeben, 
daß die nod) zu geprauchen weren, das wer zu doden fjchelmen, die in einer Be- 
jagung jterben, das mag man damit hinaus werfen“. 


. Den Beſchluß des Wertes macht ein bejonderer Abjchnitt unter folgender 
UÜberſchrift: „Item jo ein Herr fein friegs Bold, das er inn der Beſatzung haben 
will vnd bedorff, bey eynander hoitt, jo joll er das alles beyeinander nemenn 
vnd mit innen inn der gemeynen reden diefe Meynunge“: Hierauf folgt die 
Anſprache nebit den Kriegsartifeln. 

Wenn man dieje Handjchrift mit der älteren Kriegsordnung ver: 
gleicht, jo jcheint es, als Liege hier gleichjam eine zweite Redaktion 
derjelben vor. Bielleicht hat das alte Kriegsbuch dem Feldzeugmeiſter 
Ott nicht genügt und er hat eine Perjünlichkett jeiner Umgebung be 
auftragt, unter Feithaltung der leitenden Gefichtspunfte, die er jelbit 
früher aufgejtellt, eine neue Behandlung des Stoffes zu unternehmen. 


3. Die allgemeine Literatur bis zum Aufgeben der Belagerung von Met 1552. 495 


Diejer Verſuch iſt ihm dann vorgelegt worden, um von ihm verbejjert 
und gebilligt zu werden. Möglicherweije iſt das Heidelberger Eremplar 
die Urjchrift und ein Unifum; denn nur von dem erjten, die Artillerie 
behandelnden Hauptabjchnitte kenne ich noch ein zweites Exemplar, 
welches jich in einem Sammelbande (C. g. 3673) der Münchener 
Hof: und Statsbibliothef befindet. 


8 13. 


Zum Schluß jei hier noch an jenes 1524 und 1532 zu Main; 
erichtenene Kriegsbuch erinnert, welches außer Frontin und One 
jander in deutjchen Überjegungen [$ 3) auch die „Lere, jo Keyſer 
Marimilian in jeiner erjten jugent gemacht“ [XV. 8 37] enthält, und 
das jomit antife und mittelalterliche Elemente in derjelben unver: 
mittelten Weije zujammenftellt, wie es der deutjche Vegez mit der 
Epitoma des 4. Ihdts. und dem alten Feuerwerksbuche tat. 


5. Gruppe. 


Die allgemeine Literatur bis zum Anfgeben der Belagerung von 
Aeh 1552. 


S 14. 

Die glorreiche Schlaht von Pavia, in welcher Frundsberg und 
Pescara die faijerlichen Fahnen mit frijchem Lorbeer ſchmückten, Hat 
auf das militärtiche Leben des deutjchen Neiches jehr glüdlich gewirkt. 
Auf allen Gebieten der vaterländijchen Kriegswiſſenſchaft entfaltet jich 
eine Regſamkeit, wie fie zu Ddiejer Zeit fein anderes Volk Europas 
auch nur annähernd aufzuweiſen vermochte. Freilich hat dieje Blüte 
nicht lange gedauert: die Wirren zwiſchen dem Kaiſer und den Fürſten 
und die damit eng zujammenhangende Verwilderung der deutjchen 
Wehrfraft führte nur allzubald zu jenem troftlojen Erlahmen unjerer 
friegerifchen Energie, das jeinen weltgejchichtlichen Ausdruf in dem 
Aufgeben der Belagerung von Met gefunden hat. Dies Erlahmen 
tritt dann auch hinſichtlich der Friegswijjenjchaftlichen Beitrebungen 
unverfennbar hervor. 

8 15. 

In dem Ernjte, mit welchem die Deutjchen diejer Zeit das 

Weſen des Krieges unter dem jittlichen Gejichtspunfte 





496 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


zu betrachten begannen, läßt jich deutlich der tiefgreifende Einfluß der 
Reformation erkennen. — Nicht nur die über die Reformatoren hinaus 
gehenden Sekten der Stäbler und Wiedertäufer (welche gereinigt in den 
Mennoniten fortleben) waren es, denen die Führung der Waffen 
unverträglic) mit dem Chriftentum erjchien; nein, auch innerhalb der 
neubegründeten evangelijchen Landeskirchen regten jich Gewiſſens— 
bedenfen diejer Art, wurden jorgende, fragende Stimmen laut. Ihnen 
trat das Haupt der Reformation, Martin Luther, jelbit entgegen 
mit jeiner Schrift: „Ob Kriegßleutte auch ym jeligen jtande 
jein Fünden. 1526. Dem Gejtrengen vnd Ernueiten Aſſa von Kram, 
meinem günjtigen Herren vnd Freunde“ !). Luther bejaht die im Titel 
aufgervorfene Frage mit voller Entjchtedenheit. 

„Obs nun wol nicht jcheinet, daß würgen vnd rauben ein werd der liebe 
ift, derhalben ein eynfelttiger dendt, Es ſey nicht ein Chriſtlich werd, jo iſts doch 
in der warheyt aud) ein werd der liebe. Denn gleich wie ein gutter argt, wann 
die jeuche jo böfe vnd groß ift, daß er muß Hand, Fuß, Ohr oder Augen lafjen 
abhawen oder verderben, So ſcheynet es, er jey ein grewlicher unbarmberziger 
menſch. So man aber den leyb anfiehet, den er will damit erretten, jo findet 
jih8 in der warheyt, daß er ein trefflicer trewer Menſch ift vnd ein gut Chriſt— 
li werd thut“. 

Gern unterhielt ſich Luther „von vortrefflichen Kriegshauptleuten 
und Helden“, und mit großer Lebhaftigfeit betonte er das unveräußer- 
liche Recht der „Gegen und Notwehr“. Der Artillerie war er jedod 
noch ebenjo abhold, wie zweihundert Jahre vor ihm Petrarca. 

„Büchſen und das Geſchütz“, jo jagt er in einer feiner Tijhreden?), „it 
ein graufam jhädlid Inftrument, zerjprengt Mauern und Felſen und führt die 
Leute in die Luft. Ich glaube, dab es des Teufels und der Hölle eigen Wert 
jei, der es erfunden hat als der nicht jtreiten kann fonjt mit leiblihen Waffen 
und Fäuſten. Gegen Büchſen hilft feine Stärke noch Mannheit; er ift todt ebe 
man ihn fiehet. Wenn Adam das Inſtrument gejehen hätte, das feine Kinder 
gemacht; er wäre für Leid gejtorben!“ 


8 16. 

Mit jeiner Abneigung gegen die Artillerie jegte ſich Luther 
übrigens in einen, bei ihm jehr jeltenen Gegenjag zu den Neigungen 
und Stimmungen des deutjchen Volks, welches gerade dem Geſchütz— 
wejen jeine ganz bejondere Sorgfalt zumendete. Faſt in allen Schriften 


1) Eremplar im German. Mufjeum zu Nürnberg (Nr. 3586. 40). 
2) Vgl. Luthers Tiſchreden. (Auswahl von Frd. v. Schmidt. ©. 322 ff.) 


3. Die allgemeine Literatur bis zum Aufgeben der Belagerung von Meg 15652. 497 


militärischen Inhalts jchlägt das artilleriftiiche Moment vor, jo aud) 
in einer der buchhändleriichen Spekulation entjprungenen Kompi— 
lation, welche 1534 bet Egenolph zu Frankfurt a. M. ohne 
Gejamttitel erjchien. 

Den Hauptinhalt bildet eine jog. „Büchjenmeifterei“, die nichts anderes ijt 
als das alte Feuerwerksbuch [X V. $ 59], jo wie e8 1529 zu Straßburg und (als 
Anhang des Vegez) zu Augsburg gedrudt worden war. [$4 u. $40]. Dann 
folgen „Gemeyne jtreitäregeln“, d. H. eine Verdeutſchung der Regolae generales 
des Vegetius (A. $ 37], fowie die „Ler, jo Keyſer Mar in feiner jugend zu— 
gejtellt ijt“ [X V. 837). Daran endlidy reiht ſich ein Abdrud des vierblättrigen 
artilleriftiihen Ertrafte® „Auß dem Kriegsrathſchlag Jacob Preußens“, der 1530 
bei dem Straßburger Egenolph erihienen war. [S.4%0, Anm. 2.] 

Eine Art zweiter Auflage diefer Schrift erfhien unter dem Titel: Krieg s— 
bändel, Hauptmannjhaft, Zeug vnd Bühjenmaijterey bei Egenolph 
in Frankfurt 15522). 

Ein von Lünig angeführtes Wert Bernhards v. Lützelburg: 
»Libellus de ordinibus militaribus et armorum 


militarium mysteriis (Köln 1527) it mir unbefannt geblieben. 


8 17. 


Aus d. 3. 1536 oder 1538 jtammt eine handjchriftliche „New e 
Kriegsordnung“, welche die Wiener Hofbibl. bewahrt (ms. 10849) 
und welche, da jie weſentlich elementartaftiiche Wichtigkeit hat, an 
anderer Stelle näher zu würdigen fein wird [$ 80]. Hingewieſen 
muß aber auch hier auf fie werden, weil im ihren Darlegungen der 
Soldverhältnifje Ergänzungen zu Otts Kriegsordnung und den jpäteren 
Ämterbüchern zu finden find, und weil die Klagen des ungenannten 
Verfaſſers über den Betrug bei den Mufterungen beweijen, wie früh: 
zeitig dies ſchlimme Lajter in Deutjchland eingebürgert war. — Im 
Jahre 1563 hat ein ehemaliger Landsknecht, der Goldjchmied Beyrlin 
zu Augsburg, Ddiefe „neue Kriegsordnung“ abgejchrieben und dem 
Kaifer Ferdinand I. zugeeignet. Seine Handſchrift (25 Folivjeiten) 
befindet jich im Archiv des FE. k. Miniſteriums des Inneren zu Wien. 
Einen Auszug davon gab Dr. Herm. Meynert u, d. T. „Ein Kriegs- 
reformator des 16. Ihdts.“ im Abendblatt der Wiener Ztg. 1858. 
Nr. 21— 242). 

1) gl. Bibl. zu Berlin (H. v. 18565). 

2 Etwas kürzer fommt Meynert auch in jeiner „Seid. des Kriegsweſens und ber Heeresver⸗ 


fafjungen in Europa“ darauf zurüd. II, ©. 80 (Wien 1868). gl. aud Gilb, Unger: Geld. der 
L f. Armee. I, ©. 243 u, 257 (Wien 1886). 


Jahns, Geihichte der Kriegswiſſenſchaften. 32 


 — nn DT 


498 Das XVI, Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


8 18. 


Wie durchaus des Herzogs von Cleve Maniere de guerroyer 
[XV. 8 38] Erzeugnis und Eigentum des deutjchen Geijtes iſt, erhellt 
am beiten daraus, dat die Behandlungsweije, welche Philipp der 
Kriegskunft zu teil werden ließ, in Deutichland Schule machte, wäh- 
rend die überaus geringwertigen kriegswiſſenſchaftlichen Leitungen der 
Franzoſen in der erjten Hälfte des 16. Ihdts. noch ganz den Stempel 
der mittelalterlichen eijtesrichtung tragen. Auch der Zahl nad) 
jind die franzöfischen Arbeiten unbedeutend. Die Abhandlungen Bal- 
jacs, Surgets und de la Tours aus dem erjten Viertel des Jahr: 
hunderts erfcheinen kaum nennenswert, und diejenigen Bythernes, Lesdi- 
guieres und Cotereaus aus den folgenden Jahrzehnten jind nicht 
wertvoller; Beiprechung verdienen allein die Instructions sur le 
faict de la guerre, extraites de livres de Polybe, Frontin, 
Vegece, Cornazzani, Machiavel et plusieurs autres bons auteurs, 
welche i. 3. 1535 zu Paris anonym erjchienen, als deren Verfaſſer 
jedoch al3bald du Bellay-Langey genannt ward. 

Guillaume du Bellay, Seigneur de Langey, Sprößling einer 
vornehmen Familie des Anjou, trat frühzeitig in Kriegsdienſt und wurde bald 
in hervorragenden Stellungen gebraudt; namentlich leiftete er als Gejandter 
Frankreichs in Italien, England und Deutihland gute Dienjte. Im Jahre 1537 
ernannte ihn Francois I. zum Vicelönig von Piemont, und als jolder eroberte 
du Bellay einige an die Kaijerlihen verlorene Pläge zurüd. Wenig mehr als 
fünfzigjährig jtarb er 1543, und feine Brüder, Jean und Martin, errichteten ihm 
ein Denkmal mit der Inſchrift: 

Ci git Langey, dont la plume et l'epée 
Ont surmonte Ciceron et Pompe. 

Guillaume hat auhb Memoiren hinterlaſſen, welche für die Geſchichte der 
Kriege François' I. in Jtalien, wie für die Geſchichte des Kriegsweſens jener Zeit 
von hohem Intereſſe find und, mit den Denkwürdigfeiten jeines Bruders Martin 
vereinigt, i. 3. 1569 von dem Schwiegeriohne Guillaumes veröffentlicht wurden. 
Da iſt es denn jehr auffallend, daß weder in diefen Memoiren noch aud) in deren 
Vorrede der Instructions sur le faict de la guerre irgend welde Erwähnung 
geihieht. In der Tat ift auch du Bellays Mutorjchaft bejtritten. — Zwar 
Brantöme verjichert, daß »Langey a fait le livre de l’art militaire«; aber 
Bayle und Barbier jchreiben das Werk einem gewiffen Raymond de Beccarie, 
Sieur de Forquevault, zu, der dasjelbe um 1528 als einfacher Gendarme 
gejchrieben habe. Verwickelter wird die Sache noch dadurd, daß der Bibliograpb 
du Verdier ein von Rabelais verfahtes, uns aber verlorenes Bud) citiert, welches 
den Titel führte: »Stratagämes, c'est à dire Prouesses et ruses de guerre 


3. Die allgemeine Literatur bis zum Aufgeben der Belagerung von Mep 1552. 499 


du preux et tr&s cel&bre Chevalier Langey, au commencement de la tierce 
guerre Üesariane, traduit du latin de Francois Rabelais par Cl. Massuau., 
(Lyon 1542). Maſſuau war dem Haufe Guillaumes de Langey attadhiert ; 
Nabelaiß aber würdigte Langey mit befonderer Wärme; im 27. Kapitel feines 
„Bantagruel“ berichtet er jogar von erſchrecklichen Wunderzeihen, welche Guillaumes 
Tode vorhergingen und verfündeten, daß Frankreich bald eines jeiner volllommenſten 
und unentbehrlichiten Kavaliere beraubt fein und der Himmel ihn als rechtmäßiges 
Eigentum zurüdfordern werde. Unter ſolchen Umftänden wäre es ja wohl möglich, 
daß der große Humoriſt, der, wie hundert Stellen feiner Schriften beweiſen, fich 
jehr gut auf das Kriegsweſen verjtand, jene Stratagemes gejammelt habe. Wie 
aber verhielten fie jich zu der Instruction sur le faict de la guerre? Bildeten 
jie vielleicht nur einen Teil aus defien 2. Buche oder eine Ergänzung desjelben ? — 
Bon anderer Seite ift auch François I jelbjt als Verfaffer der Instruction 
bezeichnet worden. Boltaire z. B. berichtet, auf Sainte-Marthe geſtützt, daß jener 
König composa des m&moires sur la discipline militaire. Dies 
aber ift der Titel, welchen die Instructions jeit der Ausgabe von 1548 führten 
und unter welchem fie gewöhnlich citiert wurden. — Immerhin bleibt die Autor: 
ihaft G. de Langeys, aller Verdunfelungen ungeachtet, dad Wahrſcheinlichſte. 


Das Verdienit des Werkes ijt übrigens nicht gar jo groß. Es 
it eine gejchickte und einjichtsvolle Kompilation. Der Verfaſſer ſelbſt 
jagt in der Einleitung zu jeinem 2. Buche, daß er faſt alles wörtlich 
aus dem Lateinijchen oder Italienischen überjeßt habe, »en y semant 
quelque chose de mon propre cru parmy, pour ne demourer 
nud du tout, si d’aventure cesdits auteurs venoient à recon- 
naistre leurs pieces«. Sein älterer Autor tjt jtärfer benußt als 
Machiavelli, und um jo mehr muß e8 befremden, gerade dejjen Namen 
bet den jpäteren Auflagen vom Titelblatte verjchwinden zu jehen. 

Das Werk zerfällt in drei Bücher. — Das 1. Bud beginnt mit einer 
interefianten Auseinanderfegung über die NRefrutierung des Heered. Langey 
zufolge ſoll der König ſich in allen Kriegen jeiner Untertanen, feiner Fremden 
bedienen, wobei der Autor, ganz und gar in Madiavelli8 Sinn, Hinweife auf 
Rom und Griechenland, jowie auf das desastre devant Pavie madt. Er fmüpft 
aber daran die Bemerkung: »Une chose y a qui fait grandement pour les 
Suisses et Allemans, c'est le bon ordre, qu’ils ont parmy eux, tant A renger 
leurs gens en bataille, qu’& obeir à leurs chefs; duquel nous avons tres- 
grand faute«. — Frankreich könne und jolle 25000 Mann zu Fuß aufbringen, 
die zu Legionen zufammenzujtellen jeien. Jeder Legion fei eine gewiffe Anzahl 
von Gendarmes zuzumeifen, und außerdem habe man auch nod) leichte Reiterei 
(Chevauslegers, Ejtradiots und reitende Arquebufiers) zu errihten. Wie Madiavelli 
macht auch Langen Borjchläge, die Pferdezucht zu heben; aber noch unbe- 
dingter folgt er dem großen Ylorentiner, wenn er die taktiſche Anordnung 
der franzöfiihen Legion gejtalten will en partie des Phalanges Greques et en 

32° 


500 Das XVL Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werke. 


partie des Legions Romaines et de nos gens de guerre modernes. Das 
Fußvolk der Legion fol zählen: 3600 gewöhnliche Pileniere für den Corps du 
Bataillon, 420 für die Flanken und 170 ertraordinäre für die Enfans perdus; 
ferner 600 Hallebardiere, 420 Harquebuzierd für die Flanken und 680 für die 
Enfans perdus. Der Corps du Bataillon wird „nad) römijher Art“ in 10 
Banden geteilt. Rotten wie Glieder haben je 1 Schritt Abſtand. Die Enfans 
perdus, in&bejondere die Harfebufiere leiten das Gefecht ein (Beliten). Die Pikeniere 
haben dem Schod der Reiterei zu widerjtehen und mit den Pilen in das feindliche 
Fußvolk einzudringen; das eigentliche Handgemenge führen jie dann mit Degen 
und Rundichild (rondelle), welchen legteren fie für gewöhnlidy über der Schulter 
tragen. Unterſtützt werden fie von den Hallebardieren. Für die Schügen ziebt 
du Bellay die Armbruft der Feuerwaffe vor, und er empfiehlt, den Reitern Schügen 
beizumifchen. Bier Legionen jtellt er zu einer Armee zufammen, deren Normal- 
ſchlachtordnung das hohle Viereck ift, vor dejien Front die Enfans perdus 
fehten und auf dejien Flügeln die Gendarmerie von je zwei Legionen hält. Bon 
Feldartillerie ift hier feine Rede. — Die Stufenfolge der Befehlshaber 
ift möglichit der römischen nachgebildet. — Alles in allem entjpricht dies Spitem 
der Heereszufammenfegung im wejentlichen demjenigen, das Francois I. bei Ein- 
rihtung jeiner lögions im Auge hatte. — Eine Schlachtſchil derung, welde 
Langey gibt, ift durdaus nad) Machiavelli gearbeitet. Wie diejer läßt auch der 
Franzoſe fein Gefhüß nur einmal feuern und zieht es dann zurüd; wie jener 
plädiert auch er für Schutzwaffen und verlangt eine tatfächliche, nicht blos nominelle 
Dreiteilung des Heeres in Borhut, Haupthaufen und Nachhut. — Eine Bejchreibung 
der notwendigen Ererzitien und des Signalweſens beſchließt das 1. Buch, weldes 
auch manches interefjante Streifliht auf zeitgenöſſiſche Kriegstaten wirft). 

Das 2. Bud handelt von den Eigenjchaften eines Befehlshabers, den Er— 
wägungen vor und nad der Schlaht, Stratagemen und Kriegslijten, Marſch— 
und Schladhtordnung, Verpflegungs-, Sold» und Lagerwejen, vom Wachtdienite, 
jowie dom Pflichtenfreife der einzelnen Borgefegten. — Der König joll einem 
Feldherrn, der als fein Lieutenant auftritt, freie Hand lafjen, »qu'il puisse 
user de son sens; il s’en trouvera beaucoup mieux que s’il lui limite sa 
commissione. Niemals joll der General eine Schlacht wagen (hazarder une 
iournde), wenn er nicht völlig davon überzeugt ift, daß er im Vorteil jei. Einer 
übermädtigen Invafion habe man nicht duch Schlachten, jondern durdy bin- 
hbaltenden Krieg zu begegnen (temporiser contre l’ennemy). Alles in allem 
jei die Verteidigung des eigenen Gebietes dem Einfall in das des Feindes vor: 
zuziehen. — Warm wird der Gebraud der Beredjamkeit und religiöjer 
Untriebe zur Steigerung der Kampflujt und des Patriotismus empfohlen. 
»Du temps de Charles 7. fut Janne la pucelle en France, reputee personne 
divine et chacun affermoit qu’elle avoit este envoyee de Dieu: mais & ce 








1) Bol. z. B. die Reminiszenz an die Schladht von Ravenna (liv. I, ch. 22): „So fan auf 
einer, der fein künheit wil jehen laſſen mehr ſchaden bringen als der fich forchtſam erzeiget ... . ©o 
erfcheint es bey dem Herrn Foig, welcher durch jein allzugroße künheit vmbs leben lommen vnd den 
Franzoſen mehr ſchaden mit feinem vnzeittigen tod gebracht, als mit jeinem Sig genuget bat.” (Ber- 
deutfhung von 159. 


3. Die allgemeine Literatur bi zum Aufgeben der Belagerung von Meg 1552. 501 


que lon veut dire le Roy s’estoit advise de ceste ruse pour donner quelque 
bonne esperance aux Frangois«. — Das Yagerwejen wird ganz im römijchen 
Sinne empfohlen. — Die oberiten Heerführer find: General d'infanterie, 
General de cavalerie, Colonels, Capitaines de cent hommes d’armes. Die 
»quatres principaux officiers de campe jind: der Assesseur oder Chancellier, 
homme de robbe longue, der Mareschal de camp (Generalquartiermeijter), 
der Maitre d’Artillerie und der General des Finances ou tresorier des guerres. 

Das dritte Buch handelt von der Vollendung und Ausnugung eines Sieges, 
von der Einnahme fejter Bläße par douce voye oder par force, wobei nicht 
jehr in die Einzelheiten eingegangen wird, und endlich von den Heeresgejepgen, 
den Strafen und den Belohnungen. Der Begriff der »discipline«, der bei du 
Bellay eine bedeutende Rolle fpielt, tritt hier jchon in dem modernen Sinne von 
„Mannszucht“ auf, bezieht ſich alſo vorzugsweiſe auf die militärifche Erziehung. 


Du Bellays Werk hat ſich großen Rufes erfreut und über die 


Grenzen Frankreichs hinaus verbreitet. 

Spätere franzöſiſche Auflagen find die von 1548, 1553 und 1592. — 
Im Fahre 1550 erihien zu Venedig eine Übertragung ins Italieniſche: Tre 
libri della disciplina militare, opere molto notabile. — Eine jpanijde 
Ülberjegung enthält des Diego Gracian de Alderete: De re militari (Barcelona 
1567), welche Onejanders Feldherrntunjt, Syméons César renouveld und Langeys 
Discipline zu einem Sammelwert vereinigt. — Im Jahre 1594 fam zu Mümpel— 
gardt eine Berdeutjihung heraus: „Kriegs Regiment. Wie ein tapffer Bold 
zum Krieg aufzubringen, ins Feld auszurüjten vnd anzuführen ſeye . . . Alles 
au bewährten Kriegs Hijtorien vnd langer jelbjteigener Erfahrung zujammen= 
getragen durd) den Edlen, Gejtrengen vnd berühmpten Kriegs Oberften Wilhelmen 
Bellay, Herrn von Langey u. ſ. w. Treulich vnd fleißig in Deutſch gebracht 
dur M. Ulricum Budrym“ Der Berleger ift Peter Fiicher; doch weder 
diefer noch der Überjeger, fondern der Buhdruder J. Foillet Hat die Widmung 
an den württembergijhen Hauptmann Menzinger unterzeihnet. — Nod ein 
BVierteljahrhundert fpäter erjchien eine zweite VBerdeutihung: „Wilhelm Bellays 
von Langay Kriegspractica. Von Beitellung eines rechten Kriegs-Regiments vnd 
Feldtzugd zu Rob vnd zu Fuß in dreyen vnnderjchiedlichen Büchern begriffen“. 
(Franffurt a. M. 1619.) — Die erſte diefer Verdeutihungen verdient den Vorzug ; 
ſie ift Mar und gut gejchrieben; hier zerfällt das erjte Buch in 23, dag zweite 
in 22 und das dritte in 24 Abjchnitte. In der Überfegung von 1619 ordnet fich der In— 
halt unter folgende Überjohriften: I. Von Bejtellung des Kriegsvolks, iren Wehren 
vnd Rüftungen . .. Bon Schlagung des Lager vnd deßen Befejtigung, dem 
Reifigen Zeug, deßen Uuartieren vnd wie die Negimenter in bequeme Schlacht— 
ordnung zu bringen. II Bon Eygenjchafften, befehl vnd amt des Feld— 
oberjten. III. Von Belägerung, Befejtigung vnd Einnehmung der Städt vnd 
Schlößer. — Beide Verdeutihungen jcheinen jehr jelten zu fein). 


1) Die Verdeutſchung von 1594 befite ich jelbit, ein titelloſes Eremplar bewahrt die Stabtbibt. 
zu Danzig; die von 1619 findet fich in der ſtändiſchen Bibliothek zu Kaſſel (Milit. gener. 8°, no. 31). 


502 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte, 


8 19. 


In Buſtetters „Ernftlichem Bericht“, in Otts und Preuß’ „Kriegs 
ordnung“, jowie in der Wiener „Newen Kriegsordnung“ tritt das 
adminiſtrative Element bereit3 auffallend hervor; noch aber fehlt & 
dem Gebotenen an flarem Zujammenhange und methodiicher Folge 
richtigkeit. Allen Anforderungen in diejer Hinficht genügt dagegen 
ein, vermutlich um das Ende der dreißiger Jahre abgefaßtes jehr 
bedeutjames Werk, das man am beiten furzweg als das Amterbud 
bezeichnen kann und das in jeinen mannigfaltigen Ausgeitaltungen 
nicht nur Durch das ganze weitere 16. Ihdt. fortgelebt und jich dabei 
mit mehreren hervorragenden Namen eng verbunden hat, jondern auch 
noch in der jpäteren Folgezeit erfennbar weiterwirkt, jo daß man es 
als die wifjenjchaftliche Grundlage der deutjchen Milttärhierarchie zu 
bezeichnen hat. 

Die vermutlich ältefte der mir befannten Handjchriften desjelben füll: 
die Blätter 114—202 des Cod. germ. 1682 der Münchener Hof- umd 
Statsbibliothef, deren erjter Teil von dem Kriegsbuche Philipps vor 
Eleve eingenommen wird. [XV. 8 38]. Dieje Verbindung dürfte nid: 
zufällig fein; vielmehr erjcheint das Ämterbuch, welches hier den Titel 
führt: „Kriegsordnung, wes ſich ein yder Kriegshert 
auch Oberjter vnd anderer hoher vnd niederer Ampter 
darzu gehörig halten jolle* im wejentlichen als eine für das 
rein deutjche Publikum berechnete und weiter ausgeführte Bearbeitung 
von Gleves erjten drei Kapiteln, doc jo, daß die „Kriegsordnnung“ 
immerhin neben diefem Borbilde als ein jelbjtändiges Werk beiteben 
bleibt. — Es iſt eine vorzügliche Handjchrift, von der zuerſt Mone 
Notiz genommen hat!). Der Inhalt ordnet jich wie folgt: 

1. Oberjter Kriegsherr. 24 Artikel. — 2. Bom Oberjten Veldt haupt 
mann, was demjelbigen zugehört, fein Gerechtigkeit, auch was er in jeder frieg* 
vbung zu handeln ſchuldig ift. 101 A. — 3. Vom Oberſt Yeuttenant Amp 
IM. — 4 Vom Veldtmarſchalck Ampt. 31 U. (Hier find befonders die 
Artikel 7 und 9 intereffant wegen des „Vorſtreits-Rechtes“, das an diefer Stell: 
abgehandelt wird, weil der Feldmarſchall Führer der „Nennfahne“, d. 5. der 
Vorhut ded Heeres, war. Es Heißt: — Art. 7: „Schwaben und Francken haben 
die Freyheit, warın ein römischer keyſer des Reichs janen im Feldt fliegen let 
und janct Jorgen fanen uffricdht, daß ſy denjelben janct Jorgen al8 Rennfanen 
mit inen und jonjt mit fainer nation bejegen, aud mit Hauptleuten un) 


1) Bol. „Solbatentecht”. (Ungeiger f. Kunde ber beutichen Vorzeit. 1839. ©. 300.) 


3. Die allgemeine Literatur bis zum Aufgeben der Belagerung von Mep 1552. 503 


Fendrichen verwalten... Das jy ain tag vmb den andern mit dem Hauptmann 
und Fendrich abwechſeln“. — Art. 8. „Herwider fein die Steyrer gefreyt, wann 
ein Zug gegen die Türden gejhicht, und jy im feldt fein, dab jy jand Jorgen 
fanen fueren“. — Art. 9: „Wann nun diefer Rennfanen einer im feldt aufgericht 
iſt, bedarff man khains andern und mag alsdann der Feldthauptmann den feldt- 
marſchalckh in der zeit der jchladht an andern ortten, da er tauglich jein gedundh, 
gebrauchen“) — 5. Bom oberjten Zeugmaijter Ampt. 35 U. — 6. Oberſter 
vber alle Reuter. I. — T. Bon Reutter Hauptleuten in gemain; 
dabei auch vom Fendrich. 27 A. — 8. Bon der Neutter Hauptleut- 
leuttenant. 34. — 9. Bon der Neutter Quartier maijtern 109. 
— 10. Bon der Reutter Wachtmaiſtr ampt. 19 A. — 11. Bon des 
Oberſten Amt vber das Fuesvoldh. (Soldtarif) 34 A. — 12. Von der 
Landsknecht Hauptleut. 12%. — 13. Bon den gemeinen Fendrich. 
TU — 14 Bon der Knecht Quartier maiſter. 3A. — 15. Bon der 
Knecht Wachtmaiſter. SA. — 16. Von der Knecht Feldtweybelln. 
4.4. — 17. Bon Waibeln 3 A. — 18. Von den Forierern und Fürern. 
44. — 19. Von den Hurnmwaibeln. 6 A. — 20. Der oberft Provianndt 
Herr. TA. — 21. Oberſter pber alle Provoſen auch der Pollicey und 
Jujticien des Legers zu verjehen. 114. — 22. Bom oberjten Provoſen Ampt. 
21%. — 23. Die Gerihtsordnung von den Landsknecht Hauptleuten. 18 4. 
— 24. Der Bagenburgmaijter. 6 A. — 25. Der Wagenmaiſter. 3M. 
— 26. Der Scharffridter. 4 A. — 27. Der Reutter Bejtallung und 
Bejoldung. 17 U. — 28. Bejtellbrief der Landsknechtsoberſten. (Als 
Muſter wird der Bejtallungsbrief mitgeteilt, durch welchen Kaiſer Karl V. feinen 
Hauptmann Gonrat von Bämelberg beauftragt, zehn Fähnlein teutjches Kriegs— 
volf auf vier Monat zu werben; d. d. Rom, 6. April 1536.) — 29. Urtidel- 
brief der Landsknecht. 46 A. — 30. Ordnung einer Bejagung. 58. 
„Weil ziemlich nottürftiglih von Zugen, legern, ſchlachten vnd anderen kriegs— 
vbungen geſchrieben worden, wirdt billih, wie jich ain kriegßvolkh in ain be- 
jagung ſchickhen joll, uffs kurzeſt behandelt.) — 31. Unpringen pnd begern 
von dem Kriegßherrn an die Kriegsreth ettliche bejchwerte Articdel zu 
berathſchlagen und Rathſchlag auff des Kriegäherren vbergebene Artidell an die 
Kriegsreth. 60 U. (Diefe „Begeren“ des Kriegsherrn find die folgenden: „Item der 
erit Artifhel zu bedenfhen, wie das wir die Proviandt vnd fuetterung erhalten 
mögen, das die erhalten und in der ordnung bleibe und derhalben fhain ſchatzung 
(Plünderung) noch Finank (Betrug) einfallen möge. — Zu dem anderen, wie ic) 
doch möchte die untrew in der mujterung vorkhomen und das die fnecht durd) 
die Oberjten und hauptleut ir Bejoldung nit aljo abgefchegt werde. — Zu dem 
dritten, wie ich doc die knecht und das ander kriegsvoldh in gutem gehorjam 


und Regiment erhalten möge, damit jy nit aljo jonder not jchreyen. — Zu dem 
vierten, wie wir die leger in guter hut und verwarung halten jollen. — Zu dem 
funfften, wie ich doch den großen troß und wagen geringern möge. — Zu dem 


iehsten und legten, wie ich doc) die uncriftenliche gotteslejterung weren und ab— 
bringen und ainen gemainen Gottesdienjt anrichten und erhalten möge.) 


504 Das XVI Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


Eine eng verwandte Faffung diejes Amterbuches beſitzt die herzog- 
(iche Bibliothef zu Gotha. (Membr. 121). Es ijt ein aus dem kur— 
bayerischen Bücherjchage jtammendes Pergamentmanujfript, welches 
den Titel führt: „Kriegsmemorial, fo ein Herr in ein fremd landt, 
Dasjelbig zu gewinnen eygner perjon ziehen oder joliches jeinem 
Obriſten Belthauptmann zu verrichten bevelchen will, was dem kriegs— 
herrn auch allen hohen Ämptern vnd allen bevelchsleuten jederzeit in 
friegsübung zu handeln, dafür zu Gerechtigfeyt geburt und zugehoert*. 

Der Inhalt weit in folgenden Punkten von dem Münchener Coder bav. 
1682 ab: Dem Kapitel 4 folgen bier die Kapitel 9 und 10 ala 5 und 6, was 
mit den Worten begründet wird: „Weyl Wade vnd quartiermepiter ampt zum 
veltmarjhaldh ampt gehört, jollen jy billih gleich darauff folgen” — eine Be: 
merfung, aus der deutlich hervorgeht, daß man es bier mit der Abänderung einer 
älteren Faſſung (eben der de Münchener Eoder) zu tun habe. — Das Kapitel 5 
vom oberjten Zeugmeijter ijt hinter Kapitel 19 gejchoben, jo dat alſo jet die 
Artillerie als jelbjtändige dritte Waffe hinter dem Fußvolk erjcheint, ohne jedoch 
in den unteren Ämtern weiter im Einzelnen verfolgt zu werden. Dagegen ijt 
an das Kapitel vom Zeugmeiſter das von der „Bejabung“ angehängt. — Dem 
Kapitel 22 vom oberjten Profojenamt iſt jein Pla hinter dem vom Oberſten 
Amt über das Fußvolk angewiejen, weil es fich tatjählih nur um den Profoß 
der Landsknechte handelt. — Neu Hinzugelommen find zwei Kapitel (9) „Bon 
Reuttern insgemein“ und (19) „Von Furhern“ (Führern). Dafür find gejtrichen 
das Kapitel vom Oberſten über alle Reiter, weil als ſolcher in diejer neueren 
Faſſung der Feldmarjchall gilt, jowie die Kapitel 20, 21, 24, 25, 26, 31 und 32 
des älteren Münchener Coder. 

Auf dem Blatte links neben dem Titel diejes jchönen Gothaer 
Manujfripts jteht: „1539. Gott und Dein will ich fein. Heinrid 
Creuſch von Putler, Ritter“, und darunter: „1539. Ich hoffe noch. 
Conrat von Bemelberg, Ritter“. Da beide Devijen und Namen 
von ein und derjelben Hand und mit derjelben Jahreszahl eingetragen 
jind, jo tt jchon aus dieſem Grunde wohl zu vermuten, daß die 
Nitter von Butler und Bemelberg nicht etwa nur die Befiger, jondern 
die gememfchaftlichen Verfaffer des Amterbuches waren. 

Dies wird ferner dadurch wahrjcheinlich, dat beide Herren altbefreundet waren. 
Sie dienten, etwa von 1510 bis 1515 mit einander am würtembergifchen Hofe, 
und als Konrad von Bemelberg (oder Boineburg) 1532 ſich auf Schloß Grafened 
feine junge Häuslichkeit einrichtete, jiedelte ſich auch Heinrich Treuſch in nädhiter 
Nähe zu Hunderjingen an?). Hier mögen fie das Siriegämemorial gemeinjam 
ausgearbeitet haben, wozu jie wohl berufen waren; denn beide hatten ſich rühmlich 


1) val. E. © olger: Der Landsknechtsobriſt Konrat v. Bemelberg, der Meine Heß. (Nördlingen 1870) 
und „Konrad Frhr. v. Boineburg”, Lebensſtizze und Bild bei Gilb, Anger a. a. ©. I. ©. 301. 


3. Die allgemeine Literatur bis zum Aufgeben der Belagerung von Mek 1552. 505 


im Kriege hervorgetan: Bemelberg 1527 als Xocotenent Frundsbergs bei der Er- 
oberung von Rom, Treufh von Butlar nod im Sommer 1532 als Feldmarſchall 
in Ungarn. — Eine zweite Handjchrift des „Kriegsmemorials“ bejigt die Münchener 
Hof: und Stats-Bibl. (Nr. 3665.) 

Übrigens iſt Bemelberg auch in der älteren Münchener Hand- 
ihrift durch den ihm erteilten Bejtallungsbrief von 1536 vertreten 
und wird in einem anderen Münchener Coder von 1545 geradezu 
ala Miturheber des mterbuches genannt. Es ift dies der Cod. 
germ. 3663 der Hof: und Statsbibliothef, welcher den Titel führt: 
„Ein Kriegsordenong. Bon allen ampter des Kriegs, wie Die 
verjechen, bejtöllt vnd regiertt werden jollen, und was einer Jeden 
perjon zu thun geboren will, ein tedes mit jeiner figuern bejonders 
anngezeigtt vnd bejchrieben“. Die an Kaiſer Karl V. gerichtete Vor: 
rede ijt unterzeichnet: Neynhart Graff zu Solms und Conrad 
von Beimelborg, Ritter. Ein wieder an den Kaiſer gerichtetes Nach⸗ 
wort bezeichnet das Werk als em „Memoriall vnd bericht... wie 
e8 bey der Hochlöblichen vnd jeligen gedechtnus Kayſer Marimiliand 
vnd bisher bei den Teutjchenn gebraucht und Herfommen iſt ... 
vollendet i. 3. 1545*. Dies prachtvolle Manujfript von 142 BL. 
ſtammt aus dem Befite des Pralzgrafen Philipp Wilhelm; es bringt 
illuminierte Darjtellungen aller Amter vom Kriegsherrn an bis zum 
Blutmann hinab und am Schlufje die Wappen von Solms und 
Bemelberg. Der legtere hat fich aljo hier an Stelle Putlers einen 
neuen Mitarbeiter zugejellt. 

Der alte Freund Treujh von Butlar war 1541 im QTürfenfriege bei Ofen 
gefallen. Graf Solms aber war ein faiferlich gejinnter Heſſe, wie Konrad jelbit 
und jhon damals mit den Borarbeiten zu feinem jpäter 8 22] zu bejprechenden 
großen Kriegsbuche bejchäftigt. Der Kaiſer hatte gewünſcht, von Bemelberg 
al3 einem der wenigen SKriegshauptleute, die noch aus des verehrten Frunds— 
bergg Schule übrig waren, eine Landsfnehtsordnung zu befigen. Konrad 
gab jie in bejcheidener Weife, indem er jagt: „Auch ift jo wenig unjer maynung, 
daß dieſer unjer Verfaßong nad eben mit allem gehandelt und regiert mues 
werden, jonder haben wir nur einen gemeinen bericht wie es bisher bey und 
Teutſchen in jolden Kriegshendeln gehalten worden, €. K. Mt. allein zur Er: 
innerung geitellet“. 

Der Inhalt entipridyt dem des älteren Münchener Manujfriptes; nur 
fehlt das Kapitel 23 (GerichtSordnung von den Landsknechts-Hauptleuten). Hin— 
zugefommen ijt ein forgfältiger Anjchlag über die Verpflegung; „dieweilen das 
Proviant das recht gar gros principall Stud im Krieg iſt“. — Die Verfafier 
jegen den Zujammenhang zwiichen gehöriger Strenge und dem daraus ent- 


506 Das XVI Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


jpringenden Gehorjam mit dem zu erhoffenden Erfolge eindringlid auseinander, 
was in den Zeiten des fintenden Landsknechtsweſens von doppelter Bedeutung 
war, und wenn Bemelberg aud, wie er jelbit jagt, gedienten Knechten manches 
durch die Finger ſah, jo hatten feine Fähnlein doch immer nicht nur zu den 
bejtgepflegten, jondern aud) zu den beftdisziplinierten gehört. Letzteres erkennen 
jogar die Augenzeugen des Sacco di Roma an, und erjtere® geht daraus hervor, 
daß, während von den 16 000 Spaniern Bourbons faum ein Viertel aus Rom 
zurüdfehrte, von den 12000 Deutschen Frundsbergs und Bemelbergs nahezu die 
Hälfte am Leben blieb, ohne doch, wie jene, Südländer zu fein. Auf vier Dinge 
legt Bemelberg den Hauptnadhdrud: auf erprobte Anführer, ausgiebige Ber: 
pjlegung, zahlreiches Gejhüg und gediente Mannſchaft. Wie Frundsberg hast 
er unnützes Blutvergiegen und warnt vor dem Sengen und Brennen. Konrads 
Name kommt von fol. 106 an mehrfach in der Handſchrift vor. — Auf einzelnen 
Bildern erjcheint dad Handzeichen HD eines fonjt unbefannten Künſtlers (Heid- 
egger), und dieje Bilder find teils Zeichnungen, teils Holzjchnitte für Solms’ 
damals in Vorbereitung begriffenes Wert. Meiſt hat man in diejen Bildern der 
verſchiedenen Amtsträger wohl Portraits vor jid). 


Diefe neue Faffung des Amterbuches wurde von Graf Solms als 
2. Buch im jeine militärische Encyflopädte aufgenommen und gedrudt. 
[$ 22]. Die Gothaer Redaktion des „Kriegsmemorials“ pflanzte ich 
dagegen nur hHandjchriftlich fort. Sie findet jich zu Wien in der 
£. £. Hofbibliothef (Nr. 10929 I) mit der Jahreszahl 1549 in einem 
ſchönen Quartmanujfripte, dann in der Hof und Statsbibliothef zu 
München (Cod. germ. 3665) in einer Faſſung, die den Konrad von 
Demelberg als des heilig. römischen Reichs Oberjt über 20 000 Mann 
Fußvolk in dritter Berjon aufführt, und endlich noch in zwei Gothaer 
Codices (Chart. Nr. 422 v. J. 1539 und 425, undatiert und unvoll 
tändig). Ein viertes Gothaer Eremplar (Chart. Nr. 572) zeigt jedoch) 
einen jehr viel reicheren Inhalt. Es führt den Titel: „Ein ganz 
vertrauliche anzeigung vnd geheimbter bericht, der, für 
nemlichen von wegenn der nachkommen, nit mit wenig mühe vnd fleiß 
durch etliche des friegs erfahrne zujammengetragen: Wie man jich ın 
einem friege halten vnd wie man jo die not fürfellet, ſich darem 
Ihiden fol, auch wie die oberjte Hauptmannjchafft und die hohen 
Empter jampt dem felde und was mehr zum frige gehört, be 
jtellet und geordnet joll werden“. 

Unter diefem Titel jteht: „Aus dem Driginali der gemeinen fürjtlichen 
Weimarifchen Archiven abgejchrieben a. 1624. Und hierin befindlicher Ahnzeigung 
nad) zweifel8ohne gejtelt vmb die zeit des teukjchen Kriegs von 1544 bis 1546. 
Letzteres iſt richtig. 


3. Die allgemeine Literatur bis zum Aufgeben der Belagerung von Mep 1552. 507 


In dieſer Handjchrift tritt num deutlich die Abficht hervor, das 
Ämterbuch durch Hinzufügung einiger älterer Arbeiten zu einem all- 
gemeinen deutjchen Kriegsbuche zu erweitern. 

Nach einer fefjelnden, den allgemeinen kriegeriſchen Zeitumjtänden gewidmeten 
Einleitung würdigt der Text, unter Angabe von Beifpielen, Pflihten und Rechte 
der einzelnen Amter Beim „Oberſt-Feldhauptmann“ werden der Beſtallungs— 
brief Kurfürſt Joahims von Brandenburg als Feldherr im Türfenkriege und der 
der ſächſiſchen und Heffiihen Fürften beim Braunjchweiger Zuge mitgeteilt. Ähn— 
liche Angaben finden fich bei den andern hohen Ämtern, unter denen nad dem 
des „Feldhauptmanns Leutenant“ noch das eines „Führers der Hauptfahnen“ 
erwähnt ijt. Die Inhaber der drei „Regimenter“ (Reifige, Landsknechte und 
Artillerie) haben je ihren „ſtad“ (Stab). — Der Artilelbrief des Reiches 
wird jeiner ganzen Ausdehnung nad mitgeteilt. — Unter der Überfchrift „ie 
man ein jchladhtordnung mit den Knechten machen joll“ reiht fich der weſent— 
lihite Inhalt des „Trewen Rates“ [$ 9] an. — Hinfichtlic der Artillerie 
hält das Werk fih ganz an die Kriegdordnung von 1524 [$ 12]. — In dem 
auf Marjd und Zager bezüglihen Abjchnitt dient wieder der „Irewe Rat“ 
als Borbild; dann folgen wörtlich nad) Ott's Kriegsbud „Stadt, Negiment vnd 
Ordnung einer Beſatzung“ und den Beihluß machen zwei Fehdebriefe als 
Muijterbeiipiele. 


8 20, 


Der encyflopädischen Tendenz, welche in der „Ganz vertraulichen 
Anzeigung“ von einer adminijtrativen Grundlage ausgeht, waren wir 
in der Kompilation Egenolphs 8 16) jchon einmal begegnet; damals 
aber jtand fie unter dem artilleriftiichen Zeichen. Dies letztere gilt 
auch von einer jener untergeordneten Buchhändflerjpefulation in allen 
andern Stüden unendlich) weit überlegenen Arbeit eines genialen 
Mathematifers, nemlich von Tartaglias Quesiti et inventioni 
diverse (Venedig 1546), von deren jechs Büchern jich drei auf 
artilleriftiiche Probleme beziehen, während das 4. von den mathe 
matischen Grundlagen der Taktik, das 5. von der Feldmeßkunſt und 
das 6. von der Fortififation handeln. Über diefe Bücher wird in 
der Folge einzeln geiprochen werden. [8 42, $ 82 und 8 113.) 
Tartaglias Werk aber wurde fofort nach feinem Erjcheinen die un— 
mittelbare Unterlage einer deutjchen Encyflopädie, des inhaltreichen 
Kompendiums von Walter Keiff (Gualtherius Rivius), welches 
zuerjt 1547 zu Nürnberg erichten und eines eigentlichen Gejamttitels 
entbehrt. 


508 Das XVIL Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


Das Werk umfaßt „Der furnembjten, notwendigiten der gantzen 
Architectur angehörigen Mathematiichen vnd Mechaniichen kunſt eygent- 
(chen Bericht vnd fait Elare verjtändliche unterrichtung zum rechten 
verjtandt der lehr PVitruvit in drey furnehme Bücher abgetheilet“. 
Diefe drei Bücher handeln: das 1. von „der newen Berjpectiva“, 
das 2. von der „Geometriſchen Büchſenmeiſterey“, das 3. 
von der „Geometriſchen Mefjung nebſt Maß, Wag und Gewicht“). — 
Für die Kriegswijjenichaft Hat nur das 2. Buch Intereffe, u. zw. 
feineswegs etwa nur für die Artillerie; denn es birgt in jeinen acht 
Teilen einen ganzen Kosmos militärijcher Dinge, freilich einen Mikro— 
kosmos. 

Rivius ſpezifiziert den Inhalt dieſes zweiten Buches folgendermaßen: 
„Von rechtem grund vnd fundament der bewegung gleichlich ſchwerer Cörper, als 
der Buxen Kugel kleiner vnd großer Ror vnd Mörſer ... yeden geſchutzes art, 
eigenſchafft, ſterle vnd gewalt des triebs, . . . ſampt jren gebürlichen ladungen 
. .. Mit kurtzer vnterrichtung, wie ſich mit dem geſchütz vnd gantzen Artelarey 
zu halten im Zeughaus, ehrlichen Veldtzügen vnd Beſatzungen . . Mit weiterem 
Bericht der Grundlegung, Erbawung vnd Beveitigung der Stat, Schlöfjer vnnd 
Flecken jampt der rechten maß vnd proportion aller gebew ... Wie man aud 
zu Veldt oder auff jolhe Wehren jchnell ein Hauffen friegsuolt in mancherlev 
- form der Beldt: vnd Schladhtordnungen jtellen mag“. 

Bier Teile behandeln nämlich die Artillerie, die drei folgenden 
die Befejtigungsfunjt und der legte die Taktik. Auf jeden wird 
an jeinem Orte bejonders eingegangen werden; das gemeiniame Band 
aber, durch welches die an jich ganz jelbitändigen Schriften zujammen- 
gehalten werden, iſt an diejer Stelle jchon nachdrüdlich hervorzuheben ; 
denn dies Band tft der mathematijche Gedanke. — Während 
aljo Reiffs Kompendium ich eimerjeitS durch die Vereinigung ver: 
ſchiedenſter Wilfensgebiete mit einem militärischen Kerne jenen bumten 
Ikonographien anreiht, die im 15. Ihdt. jo eifrig hergeitellt wurden, 
[XV. I, 2] deutet e8 andererjeit3 vorwärts in jene Gedanfenrichtung, 
derzufolge die Kriegswiſſenſchaft ein integrierender Teil der Mathematit 
it. Es erjcheint als erjter Anlauf zu jener verhängntsvoll gewordenen 
Auffaffung der militärtichen Dinge, welche endlich darin Eulminierte, 
daß in der trefflichen , Geſchichte der Künſte und Wiſſenſchaften“, Die gegen 


1) Der Ausgabe von 1547, welde fi u. a. in ber Bücherei des Berliner Beughaufes (B. 783) 
in der Münchener Hof: u. Statsbibl., jowie in der Bücherei bes Berfaflers findet, folgte eine zweite 
Nürnberger Auflage i. J. 1558 und eine Basler von 1582, melde Ießtere das Berliner Kupferftich- 
fabiner beſiht. 


3. Die allgemeine Literatur bi zum Aufgeben der Belagerung von Met 1552. 509 


Ende des 18. Ihdts. eine Gejellichaft gelehrter Männer zu Göttingen 
veröffentlichte, die „Geſchichte der Kriegskunſt“ als 2. Abjchnitt der 
„Geſchichte der Mathematik“ erjcheint: eine ungeheuerliche Syjtematif, 
deren innere Unwahrheit doch erjt jeit Clauſewitz' reformatorischen 
Schriften von aller Welt erfannt und eingejehen worden ijt. 


8 21. 

Eine Schrift ganz eigentümlicher Art ist ein Manuffript (Nr. 10864) 
der k. k. Hofbibliothef zu Wien, welches folgenden Titel führt: „Dijes 
Püch wirt ein Khartenjpil genenndt vnd ijt derhalben aljo in ein 
Khartenjpill verordnet, damit ein Herr oder Feldoberſter jeine Kriegs— 
leut, Regemendts vnnd gejchwader Werk, Wie diejelben ein Herr ge 
theilldt, im Veldt hat, jedes Namen auff ein Khartten Pladt mit jeiner 
Summa, es jeij zu Roß oder zu fueß jchreiben ſolle. — Vnd jo ein 
Herr oder Veldtoberjter will jein Khriegsvoldh zugleich in Ordnung 
pringen, darmit fie vnnd wir auffeinander oder nacheinander ziechen 
jolten vnnd in der ordnung vnverudht pleiben, jo mag er jold 
Kharttenjpill für fich auff einen Tiſch legenn, Ddiejelbigen alſo im 
Augenschein ordnen wie die Hauffen ziechen jollen und die Khartten- 
plätter nach jeinem Sinne legen“. 

Der Titel kennzeichnet den Inhalt. Es folgt das volljtändige Beifpiel einer 
Heereszufammenfegung, welches mit der Artillerie (Nachtigallen 2c.) beginnt und 
bis zu den einzelnen Munitionsbejtandteilen binabgeht. Jedes Geſchütz, jeder 
Wagen, jedes Fähnlein hat feine eigene Karte, und jo ergibt jich eine interejjante 
Normalformation. 

Diejes „Kartenſpiel“ iſt der frühejte Keim eines der bedeutjamjten 
militärischen Bildungsmittel unjerer eigenen Zeit: des Kriegsſpiels, 
und wir werden jogleich jehen, in welcher Weije diejer erjte Keim 
zunächjt fortentwidelt worden ift. 


8 22. 


Die „San vertrauliche Anzeigung“ und Reiffs „Geometrijche 
Büchjenmeijterei” hatten den Gedanken einer militärtjchen Encyklopädie 
nicht rein, jondern von einjeitigen Auffafjungen aus und infolge dejjen 
nur unvollfommen durchzuführen verjucht. Weit freier in der Anlage 
und liberdie weit jelbjtändiger tit dieje univerjelle Idee von einem 
tüchtigen Kriegsmanne jener Zeit ausgejtaltet worden, von Reinhart 
dem Älteren, Grafen zu Solms und Herrn zu Müngen- 


510 Das XVI Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


berg. Sieht man von des Herzogs von Cleve jchöner, doch immerhin 
nur halbdeutjcher Leitung ab [XV. 8 38], jo erjcheint der koloſſale 
Foliant, den Reinhart „Acht Bücher“ füllen, als die älteite encyklo 
pädiſche Arbeit eines Deutjchen, welche fich lediglich auf dem Gebiete 
de3 Kriegsweſens bewegt und nichts mehr mit den antiquariichen 
Überlieferungen des Vegez noch mit den Bildercodices des 15. Ihdts. 
zu tun bat. 

Reinhart von Solms, der am 12. Oftober 1491 geboren, am 23. Sep 
tember 1562 gejtorben iſt, ftand wegen feiner Kriegstücdhtigfeit und Gelehrjamteit 
in hohem Anfehen. Er diente unter Karl V. und hielt jo fejt zum Kaiſer, dab 
er 1546 jogar gegen jeine Lehnsherrn, die heſſiſchen Fürjten, focht. Er tat jid 
im Schmalfaldifchen Kriege hervor und ward kaiſerlicher Rat; i. 3. 1552 aber 
fingen ihn die Heflen und hielten ihn längere Zeit auf dem Ziegenhain in Ge 
wahrjam. Zwei Jahre jpäter zum kaiſerlichen Feldmarjchall erhoben (I. Bud, 
©. 15), zog Reinhart ſich endlich alter&halber auf fein Stammgut Lich zurüd, 
um fein jchon jeit 1544 vorbereitetes kriegswiſſenſchaftliches Wert zu vollenden 
und in der dortigen Eigendruderei herjtellen zu lafjen (II. B. BL. 8). 

Vermutlich wurde das Werk nur in wenigen Abzügen gedrudt 
und an Freunde des Haujes verteilt; jedenfalls ijt es jelten. 

Manuftriptbruditüde mit den Holzjchnitten des jpäteren Drudes in 
Münden [S. 505], Kaſſel und Darmitadt. (An legterem Orte unter Nr. 745 das 
dritte artilleriftiiche Buch mit der Jahreszahl 1547.) — Die Holzihnitte jmd 
früher bergejtellt wie der Drud, 3. T. jogar ſchon 1544. Sie führen im erjten und 
zweiten Buche da8 Monogramm HD — Sebaſt. Heidegger. — Der Drud zeigt 
jehr ſchöne fräftige Lettern. Exemplare desjelben finden fi: zwei in der tgl. 
Bibliothef zu Berlin (Hv. 18622 und 18640), eins im Zeughauje zu Berlin 
(U. 21), eins im dortigen Stupferjtichfabinet (Nr. 2550) mit Anjkription 
Wolkenſteins v. 1563, eins in der Stadtbibliothet zu Frankfurt a. M., eins in 
der zu Trier, ein® in der Behördenbibliothet zu Defjau mit der Inſchrift 
„oh. Albr. Graue zu Solms“, eins in der Bibliothek des Feldzeugmeifters 
Hauslab (jegt Bibl. des Fürjten Liechtenftein) in der Roßau zu Wien u. j. w. 

Wie den meilten der damaligen Kriegsbücher fehlt auch dieſem 
ein Oejamttitel. Laurentius citiert es in jeiner Abhandlung von den 
Kriegsgerichten (1757) als „Reinhards d. Alt. Gr. z. Solms Kriegs 
bücher“, Blumauer in jenem Kataloge (1797) als „Kriegsbejchreibung 
einer guten und ordentlichen Kriegsregierung“. Am beiten wählt man 
wohl das Stichwort „Kriegsregierung“ aus dem Titel des 
1. Buches als Gejamtbezeichnung. — Die Zueignung des 1. Buches 
datiert von Lich 1559 und wendet jich an Erzherzog Philipp (II.), 
König von England und Frankreich). 


3. Die allgemeine Literatur bis zum Aufgeben der Belagerung von Mep 1552. 511 


Schneider irrt, wenn er in feiner Beiprehung der Bibliothef Hauslab be= 
bauptet, daß Solms „jein Werk gleich anfangs in der Widmungsſchrift an 
Kaijer Karl V. Bücher von Beichreibung der Kriegshändel betitelt“ habe. 
Schneider redet von dem gedrudten Werke; Karl V. jtarb aber jhon 1558; i. J. 
1559 konnte ihm aljo fein Werk mehr zugeeignet werden. 


Titel und Inhalt der Bücher ordnen fich wie folgt: 

Das erjte Buch. Diſes Bud vnd Kriegsbejchreibung ijt vermelten vnd 
berichten einer guten ordentlihen Kriegsregierung nad alter Teutſchen 
Ordnung, gebraud vnd herfommen mit anderen noch Büchern von aller Kriegs— 
regierung vnd Rüſtung, jo zu dem Krieg gehört“. — Anno D. M.DLix. (39 Blatt). 
— Das Bud handelt von Kriegsordnung, Beitellungsartifeln, Fluchen und 
Schwören, 24 Strafartifeln, Lagerordnung, Wagenburg, Kriegstommifjarien und 
Heeraufrihtung. „Bolget ein gejprech zweier Berjonen, wie ein Alter einen Jungen 
pnderricht mit jampt einer Injtruction, wie ſich der Jung halten joll“. 

Den Anhang des 1. Buches bildet [ogl.XV. 838] die „Borgundijche Kriegs— 
ordnung, darin begriffen ijt, wie ein gut Ordnung des Kriegs fürgenommen und 
gehalten werden joll nad) der Teutichen hergebrachten Kriegsregierungen und altem 
Römischen Gebrauch. Durch den hochgeborenen Fürjten vnd Herrn, Herrn Bhilipjen, 
Hergog zu Eleue u. ſ. w. bejchrieben vnd in diefe Form bracht“. (29 BL.) 

„Das ander Bud. Bon Beichreibung der 24 Kriegsämpter, darin 
angezeigt wird, wie fi ein Jeglicher in feinem ampt Halten joll, darmit ein 
großer oder rechter krieg mög nad) alter Teutjchen hergebradhtem Gebraud) regiert 
werden, bei Kaiſer Marimiliano hodlöblicher vnd felicher gedechtnuß zeiten. 
Den neuen anfahenden Bevelhsleuten, welche der Kriegsämpter noch nicht voll— 
bericht, jehr förderlich“ — Das Bud) ift im wejentlihen ein Abdrud der von 
Solms und Bemelberg bearbeiteten Faſſung des Amterbuches von 1545 [S. 505] 
mit einigen Ergänzungen. Es handelt von dem Überjten Kriegsherrn, dem 
Kriegdrat und 25 verjchiedenen Chargen, von denen die des Oberſt Feldhaupt— 
manns und des yeldmarfchalds (dev die „Renfanen“, d. h. das Vordertreffen, 
befehligt) das gejamte Heer angehen, die anderen ji) auf die drei Waffen ver: 
teilen; ferner von der Commig-Ordnung (VBerpflegungswefen) und der Fütterung, 
von der NReutter Bejtallung und Bejoldung, vom Bejtelbrief der Lantskneckt, dem 
Artifelsbrieff der Lantsfnedt, der Ordnung einer Bejaßung und endlid von der 
GSerichtsordnung der Landskneckte. — Der Inhaber jedes einzelnen „Ampts“ ift 
in einem prädtigen Folioholzſchnitte dargeftellt u. zw. zu Pferde bis ausſchließlich 
der Landsknechtshauptleute. Bon da an erjcheinen die Vertreter der Chargen zu 
Fuße; nur der Wachtmeiſter der Landsknechte reitet. (Alle diefe Holzichnitte finden 
fich auch jhon, u. zw. foloriert in dem handfchriftlichen Eremplare des Ämter— 
buches zu München. [Cod. germ. 3663].) (87 Bt.) 

Das dritte Buch Handelt von der Arcolerei. — E83 beipridt den 
Berjonaldienjt der bei diejer Waffe tätigen Männer, zu denen auch, wie noch jetzt 
in Frankreich, die Schiffbrüctmeifter gehören. Dann folgt eine „Injtruction“, denen, 
fo bei die Arcolorai verordnet find, zu „lernen“, jowie „Fragſtück eines Büchſen— 
meiſters nebjt Antwort vnd Underriht“. — Zehn Kapitel füllt die „Beſchreybung, 


512 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


welchermaßen eines vortrefflihen jtathaftigen Fürften oder großen Herrn Zeug 
hau mit großen vnd Heinem Geſchütz, derjelbigen Zugehörungen u. ſ. w. ge 
ordnet jein ſol“. Es handelt fih da um die Einteilung der Geſchütze nad 
Schwere, Länge und Munition; ferner um den Gebraud) der Mörſer zum Feuer: 
werfen und um ihre Kardetjchen (Kartujchen), dann um Feuerwerk, geſchmoltzen 
Zeug, Gebendte (Feuerkugeln), die man aus Kartaunen ſchießt, anhangendes 
euer (da mit feſten Gejchofjen verbunden wird), um Dampffeuer, Pechringe und 
„apotedijche Feuer“ mannigfaltigiter und verjchiedenjter Art, darunter eines, das 
Bergilius [X V. 8 69) gemadt hat?). — Weiter wird von der Bedienung der 
Büchſen geredet und von dem Schießen mit verſchiedener Munition, wobei aud 
Pfeile und Scifferling (gehadtes Stabeifen) erwähnt werden. Daran jchliehen 
fi) Pulverrezepte, Anweijungen zur Behandlung des Pulverd und Lehren, wie 
man „Salpeter ziehen, maden, leutern und fauffen joll“. (67 BL.) 

„Das vierte Bud zeigt an die Sorten Gattungen oder arten etlicher 
ſtüch Büchſen groß vnd Hein mit jampt jren Arten vnd Manier der gefeh 
(LZafeten). Desgleihen von allerlei Figuren vnd Injtrumenten jo zu dem Gejchug 
vnd Artolorei gehört. — Das Bud) ijt mit vortrefflihen großen Gejhüßzeid- 
nungen ausgejtattet, welche die Jahreszahl 1556 tragen. Es beginnt mit der 
Erläuterung der alten großen „Hauptſtuck“ oder „Steinbyr“, „wie man die für 
zeitten gehabt hat“, und jcildert dann „Doppel-Cartauen, Cartauen, Steinbur 
zur Cammern (Hinterlader mit Kteilverjhluß zur Cartoucheladung) Steinbur uff 
der doppeln Laden (um Höhen- und Seitenrichtung nehmen zu können, ohne zu 
jhwänzen) kleine Steinbur, Nadtigal, Notſchlang, Veltſchlang, Quartirſchlange, 
Halcon, (Feltichlenglein) Falconetlein, Mortier“. Endlid) it aud) noch ein „mittel: 
alterlicher Werfzeug“ oder Schlender dargejtellt?). Zu weiterer Erläuterung werden 
Durchſchnitte verjchiedener Rohre gegeben und bejproden. Dann folgt ein Kapitel 
von „Redern, Scheiben, Zögen vnd Hebzeugen (1544), welches aud) die „Plochwagen“ 
für große Gejchüge bejpricht, die nicht auf ihren „Gefeſſen“ fahren fünnen. Endlich 
fließt ein Abjchnitt von Schangen (Batteriebau) dag jehr reichhaltige Bud. 
(46 BI.) 

„Das fünft Bud von Bndergraben. Wie mann ein Feitung vnder— 
graben vnd fprengen ſoll. Sampt einn Knappen Regijter, da man vor Sanctefier 
(St. Dizier) die Stat jprengen vnd graben wolt“. — Dies jeltfjam gemiſchte Bud 
enthält nad) einer guten, knappgefaßten Darjtellung des Minenwejens und jeiner 
Anwendung vor Feitungen die von Oſtwald Niederhoff geführte Arbeits- umd 
Kojtenberehnung über die Minenanlagen vor Santejier i. 3. 1544. Daran jchliekt 
jih ein Kapitel „Bon allerlei Blochhäuſern“, welches merkwürdigerweije unter 
der Überfchrift „Ein Zug von dem großen Fürften Mufca genannt“ mit dem 
Entwurfe eines gewaltigen Heereszuges gegen die Türken beginnt, den der Ver: 


1) Dies ift eigentlich auch die Überjchrift des ganzen Buches, das aber viel mehr enthält als 
diefer Teiltitel angibt. " 

9) Nachträge hierzu finden fi) am Schluffe des 4. Buches, wo auch von ben „gebachenen Kugeln 
bon Hafenerden“ die Rede iſt.“ 

») Über die Werfzeuge verſpricht Solms ein eigenes Buch, das jedoch nicht geſchrieben worden 
zu ſein ſcheint. 


3. Die allgemeine Literatur biß zum Aufgeben der Belagerung von Mep 1552. 513 


fajier dem deutjchen Reihe im Werein mit dem Fürften Mufca (Moskau) zu 
unternehmen empfiehlt und für den die genaue Heeredorganifation, ja jogar ſchon 
die notwendige Verpflegung berechnet wird, Aber aud) wenn es nicht zu einem 
jolhen Zuge fomme, jo jolle man wenigjten® die Päſſe verlegen, durd) welche der 
Türke ins Abendland einzubrechen vermöge, und für diefen Zwed werden nun 
verjchiedene Arten von „Blohhäußern“, d. 5, Verſchanzungen, bildlich dargejtellt 
und bejchrieben. (12 BI.) 

„Das jehit Bud. Die Mufterung belangende. Der durdlaudtigen, 
hochgeborenen Fürjten vnd Herrn Morigen, Hergogen zu Sachſſen u. ſ. w. vnd 
Margrauen Albredht zu Brandenburg, Oberjten, wie die bei Carolo V. mit der 
Beitallung vnd Mufterung gehalten worden jeien“. — Dies Buch beginnt mit 
allgemeinen Betrachtungen über die bei Feſtſtellung der Bejtallungsbriefe wie bei 
den Muſterungen eingerifiene Neigung zur Übervorteilung und Betrügerei, um 
daran Normen für ſachgemäße Behandlung jolder Angelegenheiten zu knüpfen 
und dieje durd) faiferliche Inſtruktionen, Bejtallungsbriefe, Mufterungsvorjchriften 
und Anritt3-Liquidationen zu erläutern, an deren Feſtſtellung der Verfaſſer jelbjt 
i. J. 1544 als faiferliher Kommifjar mitgewirtt hat. Die Aktenſtücke jind mit 
voller Ausführlichleit und allen Namen genau wiedergegeben. (27 BL.) 

„Das fiebend Bud ift Ein Kartenspiel, genannt... vnd ijt 
Hannibal von Gartago, der wider die Römer ein Veldoberjter, vnd P. Corn. 
Scipio der Römer Veldoberjter gewejen, gegeneinander in dies Buch geordnet“. — 
Dies Bud) gibt Anleitung zu einem Kriegsſpiel, welches neben dem oben [$ 21] 
erwähnten „Khartenſpiel“ (abgejehen von gymnaftiihen Scheinfämpfen und 
Turnieren) wohl das ältejte ift, da8 überhaupt erwähnt wird. Es enthält eine 
Menge Karten, auf deren Blättern die oberjten Kriegsämter und Truppentörper 
aller Waffenarten in größerer oder geringerer Stärke, ſowie Artillerie, Wagenburg 
und Troß, teild bildlich, teils durch Benennung dargeitellt find. Zwei Parteien, 
Römer und Karthager, find durch verjchiedene Farben, rot und ſchwarz, von ein= 
ander unterſchieden)y. — Es fommt jedoch nicht jowohl darauf an, mit diejen 
„Kriegskarten“ gegeneinander zu mandprieren, als vielmehr darauf, Marſch- und 
Schladhtordnungen aus ihnen zujammenzufjegen. Graf Reinhart gibt dazu An— 
mweijung und erläutert zu dem Ende: einen „Veldzug auff zweitaufent Pferde vnd 
zehntaufend Knecht 3. F.; die Zugordnung, jo die R. K. Majeftät 1554 in Frank— 
reich getan; die Ordnung, wie die Hauffen zogen, als der Churfürjt von Branden- 
burg in Ungern Oberſter gemwejen ijt“ u. dgl. m. Eine Abhandlung über die 
Streitwagen und Wagenburgen macht den Beſchluß. Der Verfaſſer rät jungen 
Leuten, welche Kriegszüge mitmachen, ſich mit Hilfe jolcher Karten die Ordre de 
Bataille jeden Tages, „wenn fie in ihr Loſament gefommen,“ zujammenzuijtellen 
und dann niederzujchreiben, aud) jelbjt dergleichen Ordnungen mit Hilfe der 
Kriegskarten zu entwerfen (28 Bl.). 


ı) Der naiven Auffafjung des 16. Ihdts. gemäß, deſſen Maler ja gelegentlich Chriftus von 
Landsknechten mit Arkebujen nach Golgatha geleiten lafien, find Römer und ſtarthager mit vollftändigem 
Urtilleriepar! ausgerüftet: So erjcheinen 5. B. auf einzelnen Karten: Himilco, oberfter Artolorei» 
meifter; Syphax, ein Edelmann der Artolorei; Duintus Fabius Marimus, Artoloreimeifter u. j. w. 


Zähne, Geſchichte der ſtriegswiſſenſchaften. 33 


514 Das XVI Jahrhundert. I. Allgemeine friegswiiienihaftlihe Werte. 


„Das aht Bud. Ein Bericht, wie man ein Stat, Schlojs, Fleden 
mit Kriegsvolt bejegen joll, daß ſie jich für dem Feinde erhalten möge“. Ge— 
drudt 1560.) — Diejer kurzgefaßte Traftat legt den Hauptnahdrud auf die Ber: 
proviantierung und die Kommikordnung der Bejatung, während er die Ber: 
teidigungSmaßregeln nur obenhin behandelt. 

Die Namen, welhe Solms im Titel des 2. Buches als die 
jenigen jeiner Gewährsmänner aufzählt, gehören zu den beiten, 
welche das Friegeriiche Deutjchland damals überhaupt aufzumerjen 
hatte. An ihrer Spige jteht Georg von Frundsberg, worin 
man vielleicht eine weitere Aufforderung finden fönnte, im Diejem 
„Vater der Landsfnechte*, diefem treuen Berater Marimilians I. bei 
Bildung des regelmäßigen deutjchen Fußvolks, den Verfaſſer des 
„Trewen Nates“ zu jehen 8 9). An Frundsbergs Name reiht fi 
der jeines Schlachtgenojjen von Pavia, Marr Sittich v. Embs, 
welcher jenem Gejchlechte zur Hohenembs in Vorarlberg entſtammte, 
dejien Heimat man kurzweg „das Landskfnechtlandel nannte“. Und 
jo jind auch die andern Erwähnten verjuchte Feldhauptleute: Caſtel 
Alter, Dietrih Spät und Konrad von Beimmelburg, der 
Arbeitsgenoffe Solms’ an dem mterbuche von 1545 [S. 505). 

Graf Reinharts „Kriegsregierung“ iſt ein jehr tüchtiges Wert, 
das freilich nicht jowohl die Kriegs kunst lehren will, als das Kriegs 
handwerk. Mit den sette libri des Machiavelli darf man es daher nic 
vergleichen wollen. Der weltgeichichtliche Stun, der weitausjchauende 
Geſichtspunkt des florentiniſchen Statsjefretärs geht dem kaiſerlichen 
Mufterungs-Kommifjartus völlig ab. Predigt jener mit Bropheten- 
zunge die allgemeine Wehrpflicht, jo warnt Graf Solms dringend 
davor, „daß ein Herr jich nit joll bereden lajjen, daß er jein Landuolk 
dazu gebrauche, Krieg zu führen“. 

„Denn er fährt nit wol damit, vnd ſolches volf, das aljo ausgeführt wird, 
das tuts nit gern, gedendt wider hinderſich zu feinem Weib, Kindern, gütern vn? 
handtirungen, die es verjeumpt . . . vnd wan man vor den feindt fompt vn! 
etwas ernjtliches zugehn will, das jeindt fie nicht gewohnt, lauffen davon . . 
vnd wan einem Herrn aljo jein Landvold gejthlagen wirdt, wie will er jich wieder 
erholen mit Schatzung u. dgl. Steuer, warn jein Bolt erſchlagen were. Derbalben 
thut es einem Herrn nicht jo wehe oder ijt jm jo nadıtheillig, wan jm ein frembd 
Bold zweimal gejchlagen, als daß jein Bold einmal gejchlagen wirt“. (I. &. 30. 

Der Gefichtspunft des Grafen tt jozujagen der fisfalifche, und das 
tritt nicht nur in den Momenten hervor, wo er militärpolitiiche Fragen 
berührt, jondern auch in reim militärischer Hinficht. Dem entipricht 


3. Die allgemeine Literatur bis zum Aufgeben der Belagerung von Meg 1552. 515 


es, daß zwar der gejamte Verwaltungsapparat überall mit minutiöjer 
Sorgfalt durchgearbeitet wird, von der Taktik, zumal von der Gefechts- 
lehre aber eigentlich gar nicht die Rede iſt — auch dies wieder recht 
im ©egenjage zu Machiavellii. Es ijt eben ein Söldnerführer, der 
zu uns redet, und einem ſolchen jtehen die Mietsverträge, die Ver— 
pflegung und die Kommisordnung naturgemäß immer in erjter Reihe. 
Dabei fehlt feineswegs jene biedere, tüchtige Landsfnechtsgefinnung, 
welche in die Erfüllung der Eontraftlich übernommenen Verpflichtung 
ihre höchſte Ehre ſetzt. Es klingt ergreifend, wenn Graf Reinhart 
dem Oberjten Feldhauptmann zuruft: Er befehle „dem Fendrich Sanct 
Jörgen Fanen (die Hauptfahne des Heeres) wie Chriſtus der Herr 
janct Johann Mariam am ftam des heiligen Creuß befohlen hat“. (II). 

Graf Reinhart iſt ein warmer Anhänger der guten, alten, löb- 
lichen Gebräuche. Er tadelt die Neigung der Kriegsherrn, aus Er: 
iparnisrücfichten manche der hohen Ämter unbejegt zu lafjen und 
irgend einen „Kriegscomiſſar“ mit mehreren derjelben zu betrauen. 
Ehrwürdig und erfreulich iſt das namentlich im erjten Buche hervor: 
tretende jelbjtbewußte Betonen des Deutjchtums. — Nbermals im 
Gegenſatz zu Machiavelli legt Reinhart den höchſten Wert auf Büchjen- 
meijterei und Feuerwerferei. Die beiden diejen Künjten gewid— 
meten Bücher jind die umfänglichiten und eingehendjten und jollen 
demgemäß auch noch bejonderer Bejprechung unterzogen werden. Die 
fortififatorijchen Teile der „Kriegsregierung“ find dagegen uns 
bedeutend. Intereſſant iſt die FFortentwidelung, welche Solms dem 
militäriichen Kartenjpiel gegeben hat, indem er e8 aus einem 
bloßen Dispofitionshilfsmittel 8 21] zu einem Unterrichtsmittel erhob; 
denn er verjucht, mit Hilfe jolcher „SKriegsfarten“ die Elemente der 
Seneraljtabsgejchäfte durch. Verbindung praktischer Erfahrung mit fon: 
jequenter Repetition jyjtematiich zu lehren. 

Unverdientermaßen it Reinhart von Solm „Kriegsregierung“ in 
frühe Bergejjenheit geraten, woran 3. T. wohl die Seltenheit des 
Buches Schuld jein mag. Im ihren einzelnen Teilen, zumal in den 
artillerijtiichen Kapiteln, it jie jehr viel gründlicher und gediegener 
als das zumeift genannte und gepriejene deutſche Kriegsbuch Des 
16. Ihdts., welches Frönsperger zujammengebracht hat, obgleich legterer 
Solms Bud) ausgiebig benußgt hat. Darauf wies jeinerzeit jchon 
Laurentius hin, indem er jagt, daß Frönsperger „viel Ruhmens“ von 

33* 


516 Das XVIL Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


des Grafen Reinhart Werk gemacht, „auch viele Stellen abgejchrieben, 
wie denn auch der Fatjerliche berühmte Feldherr Lazarus Frhr. von 
Schwendi in jeinem SKriegsdiscurje ebenfalls Verſchiedenes daraus 
entlehnet“. Das ijt ganz richtig; aber Schwendi nennt den Grafen 
von Solms jchon gar nicht mehr. 


Anhangsweije jet hier gleich noch einer jpäteren ungedrudten 
Schrift Reinharts von Solms gedacht, deren Autograph ſich 
in der k. k. Hofbibliothef zu Wien (Nr. 10983) befindet und welche 
aus zwei Abhandlungen bejteht. Da die zweite derjelben dem Könige 
Marimilian II. gewidmet iſt, welcher 1562 zum Könige erwählt ward, 
Graf Reinhart aber in demjelben Jahre jtarb, jo muß er jie in 
jeinem Todesjahre abgejchlojien haben, und in der Tat ijt ihr em 
greijenhafter Zug aufgeprägt. 

Die erjte Abhandlung führt den Titel: „Die alte Romiſche 
gehalten Kriegs- Ordnung, jo durch Teutſchen von derjelbigen 
Zeitt an pisher gebraucht vnd gechalten worden ijt.“ 

Die Schrift verfudht der Römer und alten Deutjchen Kriegsrüftung zu Rob 
und Fuß abzuhandeln, jteht aber keineswegs auf der Höhe der Kenntnifje ihrer 
eigenen Zeit. Dennpch jcheint fie das Vorbild derjenigen Kapitel von Fröns— 
pergerd Kriegsbuch geworden zu fein, welche dasjelbe Thema behandeln. 

Die zweite Abhandlung Heißt „Kriegsordnung“ und jegt ſich 
wejentlich aus Reminiscenzen jowie aus einigen Nachträgen zu der 
großen „Kriegs-Regierung“ des Verfaſſers zujammen. 

Eine bittere Klage über die Entartung des Kriegsvolles beginnt die Schrift. 
Notwendig müſſe man für bejjere Juftiz in den Heeren jorgen. Dann folgen: 
Beitallungsbriefe, 24 Strafartifel, die Lagerordnung, Gebraud) und Ordnung 
einer Wagenburg, Kriegsrat und Antwort auf der Kriegsleute Begehren. 


g 28. 


Bedeutender umd inhaltsreicher noch als Solms’ Encyklopädie iſt 
das großartige, in jeiner zweiten Hälfte völlig jelbjtändige „Kriegs— 
buch“ des legten Hochmeifters und erjten Herzogs in 
Preußen, des Markgrafen Albreht von Brandenburg-AUnsbad, 
welches in der kgl. Bibliothek zu Berlin aufbewahrt wird. (ms. boruss. 
fol. Nr. 441.) 

Diefer Entel Albreht3 Adilld lebte von 1490 bis 1568. Er Hatte den 
Krieg frühzeitig ſchon in nächſter Nähe fennen gelernt; denn er zählte erit 
12 Jahre, als jein Bruder Kafimir in der Fehde mit Nürnberg den Sieg von 


3. Die allgemeine Literatur bis zum Aufgeben der Belagerung von Meg 1552. 517 


Affalterbah errang. Ob Albrecht ſchon zwei Jahre jpäter an dem bayerijchen 
Erbfolgefriege teilnahm, ijt zweifelhaft; dagegen boten ihm bald darauf die Kriege 
Marimilians in Jtalien Gelegenheit, fi an der Seite feines Vater und jeiner 
Geſchwiſter die Sporen zu verdienen; die Chronijten berichten, er babe bei 
Roveredo (1508) oder bei Padua (1509) „das Kriegen vnd Stürmen“ gelernt. 
Georg von Frundsberg, deſſen er jpäter mit vieler Wärme gedachte, dürfte ihm 
nabegejtanden haben. Als neu gewählter Hochmeijter nahm er ſich des Kriegs— 
weſens jofort mit großem Eifer an, vermehrte und verbejjerte namentlich die 
Artillerie, befejtigte Balga und fuchte den Grafen Reinhart von Solms [$ 22] 
in jeine Dienjte zu ziehen. Leider waren die Kräfte des Ordens ſchwach, und 
die de3 Landes Preußen, wie die des deutjchen Reiches verfagten ſich dem Hoch— 
meijter im entjheidenden Augenblide, jo daß er den Krieg mit Polen ohne Glüd 
führte. Uber die Belagerung Wiens und die Kämpfe mit den Osmanen ließ er 
fich jo genaue Berichte jenden, daß noch heut das Königsberger Archiv für manden 
Abjchnitt jenes Türkenkriegs das reichte Material bietet. Die Hoffnung, daß er 
jelbjt zum oberjten Heerführer der Chriſten ernannt werden würde, welde in 
weiten reifen genährt wurde, jcheiterte an der auf Albrecht wegen der Sekulari- 
fation Preußens ruhenden Reichsacht und an den Umtrieben des katholiſch ge- 
bliebenen Teiles der Deutjchherrn. Damit jhwand die Möglichkeit, die gefammelten 
Kenntnifje praltiih zur Geltung zu bringen, und um fo lebhafter bejchäftigte 
den Herzog der Gedanke, fie wenigſtens theoretijch zu verwerten. 


Wohl jhon in den vierziger Jahren entjtand der erite Entwurf 
von Albrechts Kriegsordnung, zunächjt um dem Verfafjer jelbit als 
Hilfsmittel bei eintretendem Kriege zu dienen, dann aber auch, um 
„rolches den Nachkommen und um allgemeinen Nutzens willen, jchriftlic) 
zu Hinterlaffen“*). Als Albrecht dann 1552 zu Königsberg den Bejud) 
jenes Lehnsherrn, des Königs Sigismund II. Augujt von Polen 
empfing, legte er diejem das Kriegsbuch vor, erklärte jedoch, als der 
Monarch fich dasjelbe zum Gejchenf erbat, es jei eines Königs noch) 
nicht würdig und unterzog es eimer meuen Bearbeitung. Dieje 
jandte er dann jpäter mit einer huldigenden Widmung vom 10. Auguft 
1555 nad) Warjchau. 


In dem Berliner Eremplare jteht auf der Rüdjeite de mit Ornamenten 
deutfchen Renaiſſanceſtils farbenprähtig verzierten Wortitel$ der Namenszug 
»Georgius Albertus Marchio Brandenburgensis« ; es ijt der ded Markgrafen 
Georg Albredt von Brandenburg-Bayreuth !(1619—1666), und fo ijt wohl an— 
zunehmen, daß das Eremplar eine urſprünglich für Bayreuth angefertigte Kopie 
tft. Es befand ſich übrigens ſchon i. 3. 1668 in der kurfürſtlichen Bibliothek zu 
Berlin. 

1) Bol. v. Baczko: Über die militärifchen Kenntniffe ded Markgrafen Albreht. (Beiträge 


zur $unde Preußens III, 1820) und %. Wagner: Herzog Albrecht und eine Kriegsgordnung von 1555 
(Sonntagsbeilage zur Norddeutſchen U. 3. Nr. 9—16. 1887.) 


518 Das XVIL Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


Dem Vortitel reiht fich der in Reimen gefaßte Haupttitel an: 


Kriegsordnung bin id) genant; AU jein Schlahtordnung maden balt, 
Wer kriegt vnd ijt in mir befant, Auch brauden manden Borteil gut, 
Der fan nad) der zeit vnd gejtalt Dem feindt zu jtilln jein vbermut. 


Daran jchließt jich die Dedifation des Buches an Johann Sigismund von 
Polen und „Hernach volget faft der gange Inhalt dies Buchs in einer vor— 
rede Reimweis geſetzt.“ Dieje Vorrede ijt nichts anderes ala die „Lehr Katier 
Marimilians* [XV.$ 37). Un fie reiht fih ein Inhaltsverzeihnis „aler 
fürnehmſten Stüd, darauf dies Buch gefundiret ift“. — Daraus ergibt ji nad 
jtehende Anordnung: I. Stadt und Regiment einer gangen Bejegung 
der Schlöjfjer Abſchn. 1-12. Es it dies nichts anderes als eine Wieder: 
holung des erjten Buches der alten Ott-Preuß'ſchen Kriegsordnung [$ 12). — 
I. Stadt und Regiment der Artlaren. Abſchn. 13—36. Dies iſt das 
zweite Buch der alten Kiriegsordnung. Geändert find, u. zw. nur ganz unmwejentlid, 
Reihenfolge und Namen der Geſchützarten; hinzugekommen aber jind zwei wert 
volle Abjchnitte: 19. „Tafel, zu dem großen Geſchütz, darin angezeigt wird, zu 
jedem einzelnen Stüd, wie viel e8 Raum und Pla muſs haben“ und 36. „Summa 
alles Raum und Platz der Arklarey mit aller Zubehörung“. — II. Der Ritter: 
ihaft Regiment. Dazu bemerkt der Herzog: „Bon dem Regiment der Ritter: 
Ihaft vnd jren hohen emptern wer wol vil zufchreiben;... es wil ſich aber allbier 
nicht jchreiben oder melden laſſen: Vrſach halben: vorgemelte hohe empter endern 
ih von Jar zu Jar; aud hat fie ein ieplicher Kriegsherr nad) gelegenheit jeiner 
Rüſtung“. Diefe Zurüdhaltung entjpricht ganz der des alten Kriegsbuches, das die 
Reifigen ja eigentlid, völlig ignoriert. Das tut Albrecht nun doch nicht, jondern 
widmet ihnen immerhin jieben Abjchnitte: 37. Einleitung; 38. Die Amter der Ritter: 
ihaft; 39. Unkoſten derjelben; 40. Ihre Wagen; 41. Summa der Unkoſten 
jamt den Wagen auf eihen Monat; 42. Raum und Pla der Reifigen jamt 

“ihren Wagen ; 43. Die Tafel der Reijigen, d. h. ihre taktijche Anordnung. (Diejer 
Auseinanderjegung wird näher an anderer Stelle erwähnt [$ 94). Daran jclieht 
ji (44) eine Notiz über die bei den figürlichen Darjtellungen angemwendeten 
Berjüngungen. — IV. Stadt und Regiment eines gewaltigen Fu 
volts. Die 14 Abjchnitte diejes Teiles lehnen ſich grundjäglicy auch wieder 
an das alte Ott'ſche Kriegsbuch an, jind aber in einigen Punkten durch Zuſätze 
im Sinne des „Ämterbuches“ [$ 19) etwas erweitert und endlich in derjelben 
Weiſe wie das „Regiment der Ritterfchaft“ durch eine taktijche Tafel bereicert, 
von der weiter unten die Nede fein wird [8 83]. — Abſchnitt 59 erläutert: „Was 
der Sel und Ruthen, aud die Läng eines Wertihuhs“. 


In dieſen vier Teilen ijt der Herzog, der Hauptjache nad), 
lediglich Wiederholer und Ergänzer; in dem nun folgenden der 
höheren Taktik gewidmeten Abjchnitten tritt er jedoch 
durchaus jelbitändig auf, und hier gewährt das Werf ein hödit 
eigenartiges und bedeutjames Interejie. 


3. Die allgemeine Literatur bis zum Aufgeben der Belagerung von Me 1552. 519 


V. Reifig und Fußknecht mit ſampt jren Emptern und Be- 
trehliden, wie diejelbigen in Ordnung und bei der gantzen 
Arllarey im Feldtzug ziehen jollen. — 60. Kurzes Rejume der Amter 
und Anweiſung, wofür Küchenmeiſter, Futtermarſchall, Schent- und Backmeiſter 
bei einem Feldzuge zu ſorgen haben. — 61. Wie Reuter und Knecht in 
der Zugordnung ordentlich ziehen jollen. Eine Überſicht der Marſch— 
ordnung: A. Vorzug. a) Vorderſtes Vortraben (50 Pferde). Vortraben 
mit dem Fähnlein in geviertem Haufen (290 Pferde), rechts und links desſelben 
je ein Nebentraben von 30 Pferden. — b) Verlorener Haufen: 200 Knechte 
in geviertem Haufen, dem auf jeder Seite 200 Hakenſchützen als Flügel anzu— 
hängen, 8 Falkonetlein und 1 Wagen mit Doppelhaken ſamt ihren Böden und 
den dazu gehörigen Berfonen. — ce) Rennfahne: 1000 oder 1200 Pferde nebit 
einigen Schügen und leichten Pferden zur Streife. — d) Zwei Haufen Fuß— 
tnechte, jeder zu 3000 Knechten nebſt Hakenſchützen in angehängten Flügeln. 
— Das Feldgejhüsß jamt der Munition und den Prudwagen joweit jie in 
den „Vorzug“ geordnet jind, dazu die Schanzbauern und einige Doppelhafen mit 
inren Böden. — e) Der Feldmarjhalh und der Zeugmeijter mit 300 
Schanzbauern und andern Werfleuten, Duartiermeijtern, Wagenburgmeiftern 
u. ſ. w., Speißwagen, Gezeltwagen und Wagenburgwagen. — f) 4000 ſchwere 
Reijige Pferde, womöglicd in gevierter Ordnung. — g) 10000 Fußknechte, 
geviert, jamt etlichem Feldgejhüg. Dies alles gehört zum Vorzuge. — — 
B. Gewaltige Haufen: a) Das gewaltig Geſchütz jamt aller Munition, 
Rejervegejpannen und Scanzbauern. — b) Der gewaltig Reiſig Hauf, 
geviert, Baniere und Fahnen in der Mitte. — c) Der gewaltige Haufen 
Fußknecht in gevierter Ordnung, jofern Raum dazu it. — d) Trojs, Hurn 
und Buben. — — O. Nachzug, der Gelegenheit nad) wie der Vorzug zu 
ordnen: Unter allen Umſtänden 400 Pferde nebſt einigen Schüßen. 

62. Wie man jih mit Vortheil lagern und wie man jid in 
demjelbigen Lager halten joll: Geſchickte Auswahl eines geeigneten 
Plages dur kundige Kriegsleute. Genaue Schäßung des Raumes auf Grund 
der in den Kapiteln IT—IV gegebenen Summen und Maße. Bejtellung der 
„Schkart“ (Lagerwachen) aus Reiſigen und Fußvolk. Lagerbefejtigung durd) 
Sraben und Wagenburg. Sicherung der Thore durch Gejchüg. Austeilung der 
Pläge und Gänge im Lager für jede Waffe bejonders. Abjchliegung der Arklarei 
und ihrer Munition dur eine bejondere Wagenburg. Daneben der Plat der 
Schanzbauern u. j. w. Geregelte Ordnung für den Fouragierungs- und den 
Wachtdienſt. Zur guten Naht und des Morgens ift Gejchüg zu löjen: „giebt 
den Feinden VBerdriek und den Freunden Troit“. 

63. Vormarſch gegen den Feind. — a) Gegen feindlide Be 
teftigungen: Heimliche Annäherung. Aufforderung. Verbrennen der Borjtädte zc. 
Erwägung der Angriffsart (beſchanzen, beſchießen oder jtürmen). Wahl des Yager- 
plages. Einjchliegung. — b) Im freien Felde. Marfchordnung, wie oben aus— 
einandergejegt. Trifft man auf den Feind, jo wird der gewaltige Haufen an den 
Vorzug herangezogen; der Troß und alle Wägen bleiben dagegen hinter allen Haufen. 


520 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werke. 


64. Die Ordnung zum Treffen. In diefem intereffanten Abjchnitt 
will der Herzog nicht jowohl mahgebende Borjchriften machen, jondern „ein Re— 
gifter und Dentzettel geben“. Zu beadten find vor Allem Sonne, Wind, 
Staub, Wafjer und Gebirg. Ja nicht vergefien jolle man, welchen Nuten die 
Artillerie gewähre. Wer das groß Geihüg zu rechtem Gebrauch und Treffen 
bringt, der hat die Schlacht jhon Halb gewonnen. „Denn es geht einem jeg- 
lihen Kriegsherrn der größte Unkoſt auf die Arflarey und Geſchütz, und mird 
doc zu Zeiten wenig oder gar nicht? damit ausgericht, ja es wird wohl gar 
dahinten gelaſſen“. — Sehr merkwürdig ift ed, daß Markgraf Albrecht den Ans 
griff auf den linten Flügel des Feindes u. zw. in jhräger 
Shladhtordnung, durdaus im thebanijch=alerandrinifhen Sinne, empfiehlt. 

Er rät nämlid), die beiten Kriegsleute: Reiter, Knechte und Schügen, auf 
den rechten Flügel zu ordnen, den linken Flügel dagegen weit vom Feinde und 
wohl in die Länge gejtredt zurüdzubalten. Dann joll man „allemal den Flügel 
bei der rechten Hand der Feind Flügel bei der linfen Hand angreifen lafjen und 
fih mit der Stirn des gewaltigen Haufend aufs nähejt zum Angriff binan- 
jtreden“. Dies gewähre großen Vorteil; denn jo fomme der Angriffsflügel dem 
Feind „in die Blöß“, und diefer „mu fich alles über den Arm wehren“. Sierbei 
jollen fi) die Oberjten und Hauptleut jelb3 perjönlich ſtetigs ſehen laſſen. 
Während jo der gewaltige Haufe den linken Flügel des Feindes anpadt, joll 
der Vorzug (nämlich Rennfahne und verlorener Haufe) die feindlihe Schladht- 
ordnung mehr nad) der Mitte zu, aber zu gleicher Zeit angreifen. Bortraben und 
Nebentraben dagegen follen umberjtreifen und fich überzeugen, dab der Feind 
nirgends einen Hinterhalt gelegt habe. Gegen einen joldhen jei event. der Nachzug 
einzufegen. Andernfalls jolle der Nachzug an die Vorhut oder gegen die rechte 
Flanke des Feindes herangezogen werden; „denn jemehr Boll8 zum Angriff 
wird gebraucht, je mehr Hoffnung des Sieges“. — Müſſe man ji) zum Rüdzuge 
entjchließen, jo jei diefer womöglid) jo einzurichten, daß man die Wagenbnra 
rechtzeitig zwijchen ji) und den Feind bringe, um unter ihrem Schuße abzuziehen. 
Dabei jolle man die leichten Pferde immer mit dem Feinde ſcharmutzeln laſſen, 
damit man Geſchütz und anderes dejto leichter davon bringe. — Gewinne man 
dagegen den Sieg (65), jo möge man nur vorfichtig mit geringjten Pferden nad: 
jegen, mit dem gewaltigen Heerzug aber in geſchloſſener Ordnung auf der Wal- 
jtatt bleiben. (Nachklang der alten Ritterjitte dreitägiger Behauptung des Schlacht: 
felde3 und dementjprechende Ausjchliegung der Verfolgung.) Dann dankte man 
Gott und verteile ordnungsmäßig die Beute. Von diejer gehören dem Kriegs: 
deren zum Voraus alle Gefangene und das große Geſchütz. Letzteres joll er 
jedod) von dem Zeugmeifter um den dritten Pfennig, fo e8 wert ijt, löſen. Nach— 
dem jo die Beute je nad) Gebühr verteilt worden, ift durch das ganze Lager ein 
Monat Sold zu zahlen; denn mit der Schlacht geht allen Kriegsleuten ein Monat 
aus und an. Bleibt dann der Feind im Weichen, jo foll man mit dem Lager 
allgemach aufbrechen, die Fleden, Städt und Schlöffer in der Feinde Land ein— 
nehmen und, wenn nötig, bejegen und fich das Volk jhmwören und die Urfund 
geben lajjen. So kriegt der Kriegsherr das Geld zum Unterhalt jeiner Kriegsleut. 


3. Die allgemeine Literatur bis zum Aufgeben der Belagerung von Met 1552. 521 


Zwei Abjchnitte (66 und 67) handeln von der Berproviantierung. 
Das Heer, wie es vorher bei der Zugordnung angenommen, wird, einjchließlic 
der männlichen Nichtitreitbaren, auf 90801 Mann berehnet. Davon befommt 
jeder täglich ein zweipfündiges Brot, deren 40 von einem Sceffel Roggenmehl 
gebaden werden. Um dad Mehl oder Brot für die ganze Armee auf einen Tag 
mitzuführen, bedarf man 98 Wagen mit ebenjo viel Fuhrknechten und 396 Pferden, 
was 122!/2 Gulden foftet; das macht für 5 Tage: 490 Wagen, 1980 Pferde, 612%, 
Gulden Fubrlohn. Zu diefen Brotwagen fommen nun aber nod) 33 Wagen mit 2000 
Spedjeiten, 100 Wagen mit 600 Tonnen Butter, 50 Wagen zu 400 Tonnen 
Salz, | Wagen zu 20 Lajt Erbjen und 10 Laſt Grütze, 100 Wagen zu 100 
Fudern Wein, 333 Wagen zu 1000 Faß Bier. Brot und Bier beanfpruchen 
aljo die Hauptmajje des Provianttraind. — An Pferden zählt der Heerzug 
alle in allem 45664. Dafür bedarf man als Tagesfutter 190 Laſt Hafer 
(täglih Ya Sceffel für jedes Maul). Wirft man auf jeden der 1500 Wagen 
der Wagenburg "a Laſt, jo führt man 750 Laſt Hafer, aljo einen Vorrat für 
vier Tage mit, der als eiferner Bejtand gelten mul. Die Tagesration ift von 
286 Wagen zuzuführen, welche im Stande find, allemal auf 2 Tag und 2 Nächt 
Fütterung zu laden. Dieje Wagen brauchen 1144 Pferde und fojten täglich 
37, Gulden Fuhrlohn. „Wo man in wilden Orden zu Felde leit, ijt alle 
Macht an Nahholung der Proviant gelegen“. Daher ijt es notwendig, an ges 
eigneten Stellen Magazine anzulegen. Der Transport auf Waſſerſtraßen bleibt 
natürlih der bejte und billigjte. E83 ift auf die Mitnahme von Mühlen, Bad: 
öfen u. dgl., je nad) Gelegenheit des Landes, Nüdjiht zu nehmen. 

VI BZmweiundvierzig verjhiedene Shladtordnungen, 
Figuren ſamt Berichten (68). — Dies Kapitel iſt von bejonderem Intereſſe. 
Die großen farbigen Zeihnungen jind mehr in mathematijchem als in maleriſchem 
Stile gehalten, wenngleich die Truppenformen nicht nur im Grundrifje, jondern 
in perjpektivifcher Andeutung dargejtellt jind. Der Verfafjer legt aber großen Nach— 
drud darauf, daß man mit Hilfe der von ihm gegebenen Maßſtäbe im Stande jei, 
überall genau fejtzujtellen, welchen Raum die einzelnen Abteilungen auf dem 
Schlahtfelde einnehmen und mwelhe Zahl von Mannen und Pferden diefem 
Raum entjprede. — Es ijt nicht möglid), hier all die 42 Ordnungen in ihren 
Einzelheiten zu charafterijieren; nur auf die Hauptgrundzüge und auf einige der 
intereffantejten Mujter kann hingewiejen werden: — Faſt durchweg ordnet der 
Herzog jein Heer „dreiſchichtig“, d. h. in drei Treffen an. Wiederholt hebt er 
bervor, daß es zwedmäßig fei, breite Fronten zu entwideln und daß man zu 
dem Zwede viele fleine Haufen bilden jolle, „auf daß man deſto mehr Volt 
zum Angriff und Treffen kann bringen“. In den Räumen zwiſchen diefen Haufen 
möge man die Artillerie derart verteilen, daß fie möglichjt lange maskiert bleiben, 
im günftigen Wugenblide aber plötzlich zu überrafchender Tätigkeit gebracht 
werden fünne. Dabei empfehle es fih, das Geihüg „fürwärts zu ſchleffen; 
dann können die Pferd in geſchwinder Eil abgenommen werden und die Büchjen- 
meijter ein Schuß oder egliche thun. Alsdann die Pferd wieder fürlegen und 
immer fortrüden“. Überaus merkwürdig iſt die jechite Yyigur, welche die Anord— 


522 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 
% 


nung eines großen Angriffsflügels darjtellt, neben dem eine breite zurüdge- 
haltene Schlahtordnung gedacht ift, aljo die Ausführung des im allgemeinen Teile 
jo warm empfohlenen Verfahrens S. 520]. Diejer Angriffsflügel Albrechts ijt, auch 
was die Waffenmiſchung betrifft, wahrhaft alerandriniih: In erjter Linie eine 
jtarfe Schüenabteilung, von zwei Reifigengejhwadern rechts und links jouteniert. 
Dann ein großer Haufe Küraffiere, auf jedem Flügel eine Batterie, die wieder 
von Neifigen gededt wird. Hierauf ein gewaltiger Fußknechtshaufe mit Artillerie 
auf den Flügeln, als deren Soutiend hier Heinere Landsknechtshaufen dienen. 
Hinter dem gewaltigen Haufen eine große Batterie, die, völlig dem Auge des 
Feindes entzogen, je nad) Umständen rechts oder links gegen eine Überflügelung 
oder zum Zwede einer Flankierung vorgezogen, werden fann. Dasjelbe gilt von 
dem dritten Treffen, welches, aus Schügen, Reifigen und Artillerie zujammen- 
gejeßt, den Charakter einer leicht beweglichen Generalrejerve hat. — Figur 7 iſt 
eine zum Widerjtande nad allen Seiten bejtimmte Mafjierung, wobei die Neiterei 
vier „Hörner“ bildet, um Angriffen auf die vier Fronten, vor denen die Artillerie 
aufgefahren ift, durch flanfierende Attafen zu begegnen. — Ähnlich ift die Die- 
pojition der achten Figur. Hier find zwei aus Schügen und Reiſigen gebildete 
Hörner vorgebogen: Cato8 und Vegezens »forceps«e. Herzog Albrecht weiß das 
wohl; denn er jagt: „Und hat man durch joldhe Ordnung vor Zeiten bei den 
Alten viel ausgeriht, wie es heutigen Tages auch wol gejchehen kunt“. — 
Figur 12 jtellt wieder eine „dreiſchichtige“ Schlahtordnung dar: im erjten Treffen 
hohle Vierecke, welche Artillerie bergen, im zweiten Schüßen und Kürajjiere, im 
dritten Fußknechte und Reiſige. — Figur 14 ijt ebenjall® dreijchichtig; Hinter 
dem einen Flügel aber jind Reiſige und Schügen gejammelt, welche eintretenden 
Falls diejen Flügel verlängern jollen, jei es, um einer Umfafjung entgegen zu 
treten, jei e8, um jelbjt zu umfaſſen. — Figur 24 zeigt die Stellung in einer 
Wagenburg, deren eine Seite jedoch offen gelafien ijt, um hier dem Feinde ent— 
gegen zu treten, namentlich dem etwa Stürmenden mit Schügen und Neitern in 
die Flanke fallen zu fünnen. — Die Figuren 28 und 36 lehren, wie man ji) 
neben einer (runden oder vieredigen) Wagenburg aufzujtellen und von ihr als 
Flankendeckung Nutzen zu ziehen habe. — Figur 25 hat eine feilfürmige Geitalt; 
die Seiten des Dreiedö jind durd) Kriegshaufen verjchiedener Waffen gebildet, 
die jich z. T. überflügeln, jo daß der Angriff in doppelten Echelons mit einer 
frontal geordneten Rejerve erfolgt. — In mehreren andern Figuren (31, 32, 39) 
dient die Wagenburg als Reduit im Rücken des Heeres. — Überall ift der größte 
 Nahdrud auf das Zuſammenwirken von Schügen und Neitern gelegt; überall 
empfiehlt der VBerfajjer in immer neuen Wendungen, das Gejhüg tätig zu ver- 
wenden und e3 entjchlojjen einzujegen "). 

VII Elementartaftit. 69. Elf Figuren, dadurd) alle gevierte Ordnung 
und Haufen (für Fußvolk wie Neiterei) verändert mögen werden in andere Formen. 
— 70. Zehn Figuren zu den Wagenburgen, wie man die ordentlich einführen 
joll und beſchließen. — 71. Tafel zu den Wagenburgen. — 72. Dreierlei Figuren 








1) Bei manchen Figuren ift auch des Feindes Aufftelung als „Gegenfigur”“ angegeben, u. am. 
der Feind als Türle gedacht, weshalb ihm ſtets Kamele zugeteilt find. 


3. Die allgemeine Literatur biß zum Aufgeben der Belagerung von Mep 1552. 523 


der Zäger mit Wagenburgen. — Der Inhalt diefes Kapiteld joll fpäter unter 
„zruppentunde”“ [$ 83, $ 94 und $ 99) beiprochen werden. 

VII. Beriht des türfiijhen Kaijers Shladtordnung (73). 
Eine furze Zujammenfafjung des osmanischen Kriegsweſens, an welche fich einige 
Dejiderata anjhliegen, die z. T. militärpolitiihen Inhaltes find und ſich 
ipeziell auf den Türkenkrieg beziehen, der ja um die Mitte des 16. Ihdts. die 
Deutſchen jo dringend beſchäftigte, 8 24]. Einige diefer Brinzipienfragen find 
aber auch von ganz allgemeinem Intereſſe. 3. B.: „Ob die vieredigt Ordnung, 
jo gemeinlid von uns gebraucht, wider des Türken Ordnung bequem jei? — 
Weil auch bei den alten Römern die Legiones gehalten, diejelb auch ungefährlic) 
6000 ſtark gewejen, ob nicht bejjer jei, jolche Xegiones von neuem wieder anzu— 
rihten und die Ordnung nad) Weife der alten Römer zu halten?!) — Item, 
dat die Disciplin dejter leichter fei, ob nicht verträglicher, der Ständ und Haupt- 
leut Unterfchied zu machen, wie vor alters die Römer gehalten, auch unjer Feind 
der Türke thut ??) — Ob nüßer wäre, dab die Landsknechte gerüftet wären (d. h. 
geharnijcht) und nit aljo zerichnitten ®), Umtehrens und Wendens willen, dab in 
einem gejtedten Haufen dur ſolche zerjchnittene Kleider und der Degen Hoch— 
gürtung gar jeltjam verhindert. — Ob aud) nit bejjer wäre, durd) alle Stände die 
Legiones als Regiment zu erhalten und fie in jteter Übung und mit gewifier 
und jonderliher Speife gewöhnet, als in anliegenden Nöthen einen jeglichen ans 
zunehmen“. Dies Dejiderium wirft die Frage des jtehenden Heeres auf. 

Dieje Inhaltsangabe von Albrechts Werk dürfte einen Begriff 
von dem hohen Wert desjelben geben. Intaftifcher Hinjicht tft es 
unzweifelhaft die bedeutendjte Schrift des ganzen 16. Ihdts., Machia- 
vellisS sette libri nicht ausgenommen. — Welchen Rufes es genoß, 
lehrt der Umjtand, daß ein vorderafiatiicher Fürſt, Heraklides 
Sacobus Bajilicus, despota Sami, Pari etc. princeps dasjelbe 


fannte und benußte. 

Bajilicus widmete dem Kaiſer Marimilian II. Artis militaris libri IV 
(8. f. Hofbibliothef zu Wien ms. no. 10980), und mit bejonderer Erwartung 
ihlägt man den Anhang diejer Schrift auf, welcher eine Turcarum acierum 
descriptio enthält ; man erhofft hier von dem unmittelbaren Nachbarn der Türken 
Aufjchlüffe über die Kriegsweiſe jeiner Befieger. Erjtaunlicherweije jedoch geiteht 
der jamijche Dejpot ein, dab er in Bezug auf dies Thema nicht3 bejjeres fenne 
als das betreffende Kapitel aus des Herzogs von Preußen „Kriegsbuch“, und jo 
hat er ſich begnügt, dies einfach ins Lateiniſche zu überjegen. 

Auch König Sigismund wußte wohl, welchen Schat er in Albrechts 
Buch beſaß, und beeilte fich, denjelben jenen jlaviichen Volksgenoſſen 





1) Es ift de derjelbe Gebante, welcher Francois I. zur Einrichtung der franzöfiichen Legionen führte, 

2%) D. b. Gliederung nah dem Dezimalfniteme. 

2) Es find die aufgepufften Wämjer und Hojen gemeint, die lange Echlige hatten, durch welche 
das farbige Unterfutter hervorauoll, die tolle Modetracht ber Zeit: „Berhauen und zerichnitten nad) 
adelihen Sitten.” 


524, Das XVI Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werke. 


zugänglich zu machen. Er beauftragte den Mathias Strobicz 
mit einer Überjegung der Kriegsordnung ins Polniſche, 
die denn auch mit allen Figuren in einer äußerjt prachtvollen Hand— 
ihrift i. 3. 1561 zu jtande fam. Der König hegte die Abjicht, 
dieje Uberjegung druden zu lajjen; aber er jtarb darüber. 

Die polnifhe Überjegung ift in folgende Kapitel abgeteilt: 1. De 
castellis atque arcibus munitis. 2. De armamentariis bellicis et horreis. 
3. et 4. De ordine et disciplinae militaris equitum peditumque. 5. De 
ratione agminis. 6. XLII modi aciei instruendae. 7. De castris locandis. 
8. Notitia brevis de militari disciplina exercitus Turcarum. — Der 
polnijhe „Eoder Albertinus” fam im 17. Ihdt. in die Hände des Heerführers 
Chodfiewicz, jpäter in die des Königs Jana’ III Sobiesfi, bis ihn Stanislaus 
Augujt der Bibliothet Zaluskich überwies. Diefe wurde bald darauf aus 
Polen entführt; ein Zufall aber brachte den Coder Albertinus in den Bejit des 
gelehrten Taddeus Czacki, nad deſſen Tode er mit der Bibliothef Poryda von 
dem Fürſten-Palatin Czartorysfi erworben wurde. Im Jahre 1858 murde 
nad diejem Eremplar eine jehr reich und ſchön ausgejtattete Ausgabe dejien 
veranjtaltet, »quae Poloni lectoris interesset cognovissee.. Das ijt nun 
freilich überrafhend wenig; denn dieſe in Berlin hergeftellte, doh zu Paris 
herausgegebene Edition der Alberti marchionis Brandenburgensis Libri de 
arte militari bringt nämlich nur die Worreden des Überſetzers und des Autors, 
die Widmung an den Polentönig (darauf fam es anl), die Lehr Kaiſer 
Marimilians (in polnischen Verſen), das Inhaltsverzeichnis und einige jhöne 
Scriftproben. — Neunzehn Jahre vor Veröffentlihung dieſes Bruchſtückes er: 
wähnte General dv. Gansauge, daß Auszüge aus Albrechts Kriegsordnung in 
polnischer Sprache erſchienen jeien, die er aber nicht gejehen habe. Auch mir find 
fie unbefannt geblieben. 

Bon dem deutijhen Terte des Berliner Eremplars find abgedrudt 
worden: die wichtigen Kapitel V, VI und VII im 2. Hefte der nun auch jchon 
äußerit jelten gewordenen „von einigen Offizieren des Kal. Preuß. Generalitabs 
herausgegebenen Dentwürdigfeiten für die Kriegskunſt und Kriegsgeſchichte“ 
(Berlin 1817), ferner „Albreht3 Anforderungen an die militärwifjenichaftliche 
Vorbildung eines Heerführers“ (Kenntnis der Theologie, Jurisprudenz, Arithmetif, 
Geometrie und Mathematif) von Blatt 6 des Manufjfriptes in dv. Gansdauges 
Schrift „das Brandenburgifche Kriegsweſen um die Jahre 1440, 1640 und 1740” 
(Berlin 1839), dann die gereimte Einleitung von Friedländer in der „Zeit: 
jchrift für Kunſt, Wiſſenſchaft und Geſchichte des Krieges“ (1845) und endlich 
das große Widmungsfcreiben von F. Wagner a. a. O. (1887). 

Eine Veröffentlichung der „Kriegsordnung“ wäre in hohem Grade 
wiünjchenswert; denn das Werk des Herzogs Albredt von 
Preußen bildet den Höhepunkt der deutjchen Kriegswiſſen— 
ihaft des 16. Ihdts. 










neese f% IBS 


3. Die allgemeine Literatur bi$ zum Aufgeben der Belagerung von M = — > 
7Ty 


8 24. —— — 

Das Bild der deutſchen Militärliteratur der erſten Hälfte des 
16. Ihdts. würde nicht vollſtändig ſein, ja eines weſentlichen Zuges 
entbehren, wenn man nicht auch derjenigen Schriften gedenken wollte, 
welche ſich mit der Abwendung der Türkennot beſchäftigen. — 
Seit der Thronbeſteigung Solimans II. hatte der Islam reißende 
Fortſchritte in Oſteuropa gemacht. Im Jahre 1522 war Rhodos in die 
Hände der Osmanen gefallen; vier Jahre jpäter erfocht der Großherr 
den Sieg von Mohäcs; 1529 nahm er Ofen und belagerte, aller- 
dings vergeblich, mit 120,000 Mann Wien. Aus diejer Zeit befigt 
die k. k. Hofbibliothef eine Reihe literariſcher Arbeiten, welche jich 
mit den gegen die Türfen zu ergreifenden Maßregeln oder mit dem 
Kriegsmweien der Osmanen bejchäftigen. Ich gedenfe zunächit der 
Schriften Aventins (Thurmayıs) gegen die Türfen, (ms. Nr. 8848 
und 9606, VI.)?), die jich auch u. zw., wie es jcheint in Thurmayrs 
Autograph, in Leipzigs Stadtbibliothef (cod. 915) wiederfinden. Sie 
führen die Titel: 

a) Ein warnung, anzaigung vnd vriad, warumb Gott der Herr dem 
Zurdhen jo uiel Sigs gebn, bichrieben durch Joannem Auentinum 1529, 

b) Anzaigung, was vnd wie das alt Romiſch Kriegs Regiment ge: 
halten, wie mans aud) zu vnſer Zeit widerumb anrichten möcht. Mit angehendten 
Hiftorien was für Kriegs Zug wider die Saracen aus der Chriftenheit gejchehen. 

Bejonderes Intereſſe hat die leptere Schrift, welche ſich mit Einficht und 
Wärme gegen die bisherige Art der Heereaufbringung in Deutjchland richtet, 
und daher wird an anderer Stelle noch näher auf diefelbe einzugehen fein [8 77). 

Ferner jind hier zu erwähnen ein Traftat Gruebers De 
militari Turcarum disciplina (ms. 8559) und Hochen- 
rains Defenjive Steyermarfs wider den Türfen (ms. 7248, 1). 
Damals richtete auch £uther an den Landgrafen von Hefjen jein 
„Bedenfenvom frieg wider den Türden“ und veröffentlichte 
jene glühende „Hehrpredigt wider den Erbfeind der gangen 
Chrijtenheit* — zwei Schriften, welche Frönsperger ebenjo wie 
diejenige Aventins i. 3. 1573 in den III. Band feines „Kriegsbuches“ 
aufnahm (©. 300, 329 und 342—352.) 

Inzwijchen beunrubigte die Marine der Osmanen unter Barbarojja 
alle Küften des Mittelmeeres, und nach Zapolya's 1540 erfolgtem 


1) Bol. Munder: Zwei Heinere deutjche Schriften Aventins (München 1879) u.d. Druffel: 
Bemertungen über Aventins Schriften: Türfenwarnung und Römiiches Kriegsregiment. (Sibungs- 
bericht der k. bayer. Alad. der Wifienichaften vom 3. Mai 1879.) 


526 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


Tode jah jich der Sultan als Herr von fajt ganz Ungarn. Mit nur 
allzuberechtigter Sorge blidte Deutjchland nach Djten, und den An- 
zeichen diejer Stimmung begegnet man denn auch in der Militär: 
literatur. 

Sehr merkwürdig iſt der „Rathſchlagk vnd Chriſtliches 
Bedencken, wie ohne ſonder beſchwer der obrigkeit auch der vnter— 
tahnen der Chriſtenheit erb feindt, der Turcke, zu waſſer vnd landt 
zu vberziehen vnd mit der Hülffe des Allmechtigen zu vberwinden 
wäre. Gemeiner Chriſtenheit alſo zu gutem Bedacht durch einen 
hochweiſen und erfarnen Kriegsobriſten.“ — Das Manuſkript befindet 
ſich in der Herzogl. Bibl. zu Gotha. (Chart. 575.) 

Die Schrift zerfällt in neun Teile. Dieſe handeln: 1. Von der Durcken 
anfangh vnd Siegk, der armen gefangenen Chriſten Clage vnd der Vrſache vnſers 
Verderbens. 2. Vbrſchlagt, wo die Leuthe, Reutter vnd Knechte, jo vor die 
Chriſtenheit täglich ſtreiten ſollten, ohne menniglichs ſonderlich beſchwerdt zu 
nemen ſeyen. 3. Wo die beſoldung, damit Reutter vnd Knechte auf ezlich Jar— 
lang vnderhalten auch ohne ſünderlich beſchwernus beider, der Obrigkeit ſowol 
als der Vndertahnen, von geiſtlich vnd weltlichen gemeiner Chriſtenheit zu nemen 
ſey, was das vor eine Summe mache vnd wieviel leuthe davon zu vnderhalten, 
auch wie die, jo mit einnehmen vnd ausgeben oder anderen Ambteren mancherly 
betrug vnd practiden gebrauchen, ernitlichen ohne gnade zu jtraffen jeyen. 4. Was 
der Neutter vnd Sinechte bejoldung jein jolte, aud) derer, die Ambter tragen, auf 
Vormerung, mindrung vnd bejierung nad) gejtalt der perjonen, ihrer muhe vnd 
arbeit, aud) ihrer zeidt gelegenheit. Wie jie mit ihrer ordnung vnd wehren jollen 
gefaßt, aud nad größe ihrer wergk vnd erbarn that jollen begabt, in ihrer 
Krankheit in den Spitteln vnd Clöſtern verjorget, vnd wie die, die jich diejes 
Chriſtlichen Zuges eußern vnd die leuthe hin vnd wider auf der Garth (durd 
Drohbettel) bejhweren, ohne gnad jollen geitrafft werden. 5. Wieviel Armaden 
zu wajjer vnd wieviel hauffen zu ande, wie ſtark vnd wo die zu nemen, wer 
profiant nachfuren, geſchütz, fraut vnd Loth geben joll, auch welden wegk fie zu 
waſſer und zu lande ziehen und was Verordnung fie in weltlid) jowol als Religions- 
jahen halten jollen. 6. Wo man die Kriegsmunition, geſchuz, pulfer vnd lobt 
jamt darzu gehörenden wagenn vnd rofien nemen, wieviel die vngefehrlich in der 
Summa macen, vnd auf wievil Jar der Durdenzug anzuſchlagen. Daß man 
auch gotfurchtige, verjtendige, erlihe Leuthe zu den Ambtern erwehlt, gotlejterer, 
Bollfaufer vnd andere Vnzucht ernitlich ftraffe, qut Regiment vnd Ordnung balte, 
auch alle mishandler aus der ganzen Ghrijtenheit inn die gefehrlichiten ürter 
wider die feinde täglich zu jtreitten verordnen vnd jchiden ſolle. 7. Berzeihnis 
der lande vnd jtätte, auch namhafftiger berge, Meere und jchiffreichen waſſerſtröme, 
jo vom Durden der Chriftenbeit genommen fein. 8. VBermanung aud) warnung 
reimweije geitellet an alle jtende der Chriſtenheit vom höchjten biß zum niderjten, 
day fie doch einmal einzigf werden, ihr mecht zujamen jeyen vnd vom jchlaf er: 


3. Die allgemeine Literatur bis zum Aufgeben der Belagerung von Mek 1552. 527 


wachen vnd jich nicht jo jchendlichen verderben vnd lebendigf begraben laſſen, 
alles, das jie zu ſolchem vervrjaht abthun vnd ein busfertiges leben anfahen. 
9. Kurz Summariſcher auszugk des durdiichen Anſchlagks in difem buche. 


Die Mittel zu jenem großartigen Plane denkt der Verfaſſer 
folgendermaßen aufzubringen: 

Er ſchätzt in der Chriſtenheit 30000 Bettelmönde, 80000 andere Mönche, 
0000 Klojterfrauen, 2 Millionen Pfarreien. „So nun iglicde pfar, jtift, clöjter 
ein man gibt, hat man in Summa von allen Clöſtern, jtiftern vnd Pfarren 
2200 000 Mann“. — Durdichnittlich leben in jedem Stift oder Hloiter 25 Mann; 
gebe von denen jeder wöchentlich 1 Pfennig, jo fümen 1249999 3%4 Taler vnd 
46 Pfennig zujammen. Gebe jedes Stift und Kloſter vom jährlichen Gefälle 
10 Taler, jo made das wieder 2000000 Taler. Rechne man auf jede Pfarre 
500 Berfonen zu zehn oder mehr Jahren und verlange von jeder” wöchentlich 
1 Pfennig, jo kämen von diefer Milliarde (!) Menſchen im Jahre 250 000 000 
Taler zuſammen. Zahlt ferner jede Piarre von ihrem jährlichen Gefälle 10 Taler, 
jo ergibt das 20 Millionen Taler. Feder Kirchendiener, deren jede Pfarre min- 
deitens einen hat, zahlt 1 Pfennig wöchentlich extra: ergibt 500000 Taler. Auf 
dieje Weile kommen aus GStiftern, Klöjtern und Parochien 273 Millionen und 
750000 Taler zujammen. Den Juden jei dann eine Steuer aufzuerlegen, welche 
253 Millionen 750000 Taler bringe; die Weltlihen aber hätten insgejamt 
ebenjo viel wie die Stifter, Klöſter und Parochien aufzubringen, jo daß ſich ein 
Sejamteintommen von jährlich 8321 Millionen 250 Taufend Taler ergebe — 
8212 Tonnen Goldes. Rechne man nun als monatlihen Durchſchnittsſold für 
jeden Krieger 10 Taler, jo bedürfe eine Million Streiter jährlid) doch nur 1000 
Tonnen Goldes; man behalte aljo immer noch 7212 Tonnen Goldes übrig! 


Diefe Berechnungen find ungemein charafterijtiich für die jtati- 
jtiichen Auffafjungen des 16. Ihdts. — Das Heer Solimans II., 
mit dem er vor Wien zog, wohl das größte jener Zeit, zählte nur 
120,000 Mann; der Verfaſſer des „Rathſchlagks“ will eine Million 
Streiter aufitellen. Man mag ihm das zugeben: auf diefem Wege 
fonnte dem Kriege mit einem Schlage ein Ende gemacht, konnte der 
Aterstraum Kaiſer Marimilians: völlige Vertreibung der Türken 
aus Europa, jchnell und jicher verwirklicht werden. Die finanziellen 
Berechnungen des „hochweiien vnd erfahrenen Kriegsobrijten“ find 
aber Doch gar zu naw. Zunächſt überjchägt er die Kopfzahl der 
hriftlichen WBölferwelt etwa um das jechzige bis achtzigfache der 
Wirklichkeit; dann beſteuert er fie doppelt: einmal injofern fie einem 
firchlichen, das anderemal injofern jie einem jtatlichen Verbande 
angehört. Die geijtlichen Körperjchaften aber werden überdies auch) 
noch als jolche bejteuert, abgejehen von der Kopfiteuer des gemeinen 


528 Das XVI Jahrhundert. I, Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


Piennigs; ja die armen Kirchendiener haben die Kopfiteuer Doppelt 
zu zahlen, um auf diefe Weije noch eine halbe Million Thaler mehr 
zu gewinnen — und jo wird eime Summe erzielt, die ungefähr acht 
mal jo groß tft, als der VBerfafjer für jeinen an und für fich ja ſchon 
ausjchweifend hohen Anjchlag nötig hat. — In der Tat, der ehr: 
liche Obrift hat doch recht wohl daran getan, jeinem Buche das 
Motto voranzujtellen: 

„Halt nit vor Scherz, bringt dir fonjt Schmerz ; 

Haft wol gejehen, wie andern beſchehen!“ 

Die Gothaer Handichrift ijt mit bunten, zwar nur fignaturartigen, doc höchſt 
harakteriftiihen Zeihnungen ausgejtattet. — Die Wiener Handicrift (Nr. 10929 II) 
des Ottſchen Kriegsbuches v. J. 1542 bringt unter der Überſchrift „Vorſchlag, 
wo die Leutte, Reutter vnd Knechte zu nehmen“ eine auszüglide Bearbeitung 
des Anſchlags. Ein anderer Auszug findet id) im 3. Bande von Frönspergers 
Kriegsbuch (S. 358—362), und jeltjamerweije iſt das befremdliche Buch jogar 
noch i. 3. 1617 (8. 1.) feiner ganzen Ausdehnung nad) neu gedrudt worden‘). 

Faſt noch naiver it Die „Getrewe vnd wolmeynende 
furge erjunerung von der Türden ordnung in iren Kriegen 
vnd FFeldichlachten, welche Bernardin Türd zu Burgel in Bayern 
im April 1542 dem Kurfürjten Joachim von Brandenburg widmete?). 

Joachim, der i. J. 1529 als Hauptmann des niederſächſiſchen Kreijes rühmlich 
gegen die Osmanen gefochten, war 1542 zum oberiten Hauptmann des Reicht 
gegen die Türken erwählt worden und in Ungarn eingerüdt. Bernd. Türd, der 
früher in Ungarn gelebt und dort durd den Diener eines Gefandten (!) Kenntnis 
von osmanijcher Kriegsfunft erworben, gibt nun dem Kurfürſten Anleitung, wie 
der Krieg am beiten zu führen jei. Er braucht nicht mehr ala 4',a Blatt dazu 
Die Hauptjache ijt jeine Warnung vor allzureichlichem VER: des verführerijchen 
Ungarweines! 


4. Gruppe. 
Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht vor Nienport 1600. 
8 25. 
Der jchöne Auffchwung des deutjchen Kriegsweſens, der jich um die 
Wende des 15. und 16. Ihdts. vollzogen hatte, war von Anfang an nicht 


ohne bedenkliche Nebenericheinungen gewejen, welche ihren Grund 
vorzugsweile in dem Umjtande hatten, dat es Söldnervolf war, das 


I) Eremplar in ber Bibl. der Berliner Kriegsalademie (D 4123). 
2) Eremplar in der Bibl. des Germaniſchen Muſeums (Nr. 6329). 


4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht vor Nieuport 1600. 529 


jene Neuentwidelung herbeigeführt und auf dem die weitere Aus: 
geitaltung des Kriegswejens nun Jahrhundert lang beruhte. — Um 
Mitte des 16. Ihdts. traten die daraus hervorgehenden Übel bereits als 
chronische Krankheit auf, und vergebens jannen die Ärzte auf Heilung. 
Alles Dichten und Trachten richtete jich daher auf die jo unendlich 
jchwierige Heeresaufitellung und Heeresverwaltung; die Beichäftigung 
mit der Heeresführung trat, zumal in Deutjchland, das in dumpfe 
Unthätigfeit verjunfen war und feinen nationalen Krieg zu führen 
hatte, in den Hintergrund. So erlahmt denn auch das kriegswiſſen— 
ichaftliche Leben und friftet ſich — abgejehen von waffentechniichen 
und fortififatorischen Werfen — ganz wejentlich durch Bearbeitungen 
des alten Amterbuches. 


8 26. 


Etwa aus dem Jahre 1553 rührt eine elegante Handjchrift der 
fol. Bibliothek zu Berlin her (ms. germ. fol. 70), die „Kriegs: 
DOrdnunge, beichribenn und jammenbracht durch Hanſen Gentzſchen 
Burgern vnd Metjtern zu Neuenn Dresdenn,“ deren Inhalt jich wie 


folgt ordnet: 

Romiſcher, Hungerijcher und Behmiſcher Königlicher Artitelsbriff (für König 
Ferdinand). Ein ander Bejtelbrieff auf Reuter vnd Knete. Credentzbrieffe (d. ſ. 
Werbepatente). Volmacht. Gewaltsbrif. Volmacht on alle Landsknechte. — 
Ordnung vnd Bevel eines gangen Regiments: Oberjter Jeneral Feldhauptmann, 
Oberiter Feldhauptmann vber das Ktriegesfusfold, Oberjter Feldmarſchalch, Zeugk— 
meijter, Prouojen-Regamendt, Schangmeijter, Prouandtmeijter, Brandtmeiiter, 
Wachmeijter, Uuartiermeijter, Hauptleute, Fendriche, yeldwaibel, Furer vnd 
Waibel, Forirer, Hurnwaibl, Schultes. — Vorrede des Schulthejjen. Umfrage, 
Antwort ꝛc. desjelben. — Geriht3ordnung. Gemwaltbriff. Kundſchaftsbrieff. „Ein 
Todtſchlagk gegen die Freundtichafft auffzurichten in Jahrsfrijt. (Bietet den Ans 
gehörigen eines Erjchlagenen Auseinanderjegung, bzgl. Entſchädigung). Urteläbrief. 
— Schlachtordnung (lediglih Angabe der Quadratwurzeln für Aufitellung von 
Mannſchaftsvierecken). Endlich Abſchrift von Preuß’ Auszug aus der alten 
Kriegsordnung. . 

Die Schrift von Gentzſch zeigt das Streben, außer der Überficht 
der Amter auch ein Formular: und Mufterbuch zu bieten, nach welchem 
die Schreiber jich bei Ausfertigung ihrer „Brieffe“ richten könnten. 


8 27. 


Eigenartig und interefjant it „der Ko. Bngar. vnd De. So. 
Mt. ꝛc. vnd der Stad Brejlaw bejtalten Ryttenmeyſters 
Jähns, Geihichte der Kriegswiſſenſchaften. 34 


530 Das XVI Jahrhundert. IL Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


Achillis Sciptonis Nolano Inſtruction und Ordnung der 
Kriegsrüjtung.“ 

Das Werk befindet fich in zwei ganz gleidartigen und gleichausgeitatteten 
Gremplaren v. 3. 1553 in der herzogl. Bibliothef zu Wolfenbüttel (August. 
num. 39, 14) und in der k. k. Hofbibliothef zu Wien (Nr. 10892). Jenes iit 
dem Reichsgrafen Heinrid) zu Meihen, Grafen zu Hauenjtein, Blauen und Gera, 
Kanzler der Krone Böhmen, dieje® dem Erzherzoge Ferdinand gewidmet. Ein 
drittes Eremplar in der f. Hof- und Statöbibliothef zu Münden (cod. germ. 3664 
hat feine Widmung und zeigt auch jonjt einige Auslafjungen. 

Das Bud iſt ganz methodijch nach den drei Waffen geordnet 
u. zw. jo, daß die Neiterei vorangeht, das Fußvolk nachjolgt und 
dann die Betrachtung der Wagenburg und der „Belagung“, ein— 
jchlieglich des Befejtigungswejens, den Übergang zur Artillerie bildet. 
Eine Auseinanderſetzung des Gerichtsverfahrens und ein artillerie 
technijcher Anhang machen den Beichlup. 

Das Motto, welches die Arbeit einleitet, lautet: »Tempora mutantur, rerum 
variantur et usus». — „Sannzeleyjch deutſch“ hat der Berfafjer nicht zu jchreiben 
verjucht; fondern er ijt bei feiner „einfeldigenn anngeborenenn Schlefjiihen Sprach 
verbliben“ und will in diejer auseinanderjegen, was einem Kriegsmanne gebührt, 
zu tun und zu lajien. — Ein „PBrologus“ leitet das Bud ehriam und Fromm 
ein mit dem Hinweiſe auf die Türfennot und der Warnung vor unnügen Kriegen. 
Uber kein Menſch fann länger Frieden halten, als jein Nachbar will. Gibt es 
Krieg, jo braucht die Obrigkeit einen Generalhauptmann und einen hellen Haufen 
mit aller Municion und Zugehorung. Die Eigenjchaften, deren ein guter Feld— 
hauptmann bedarf, werden dargelegt und dabei eine Reihe allgemeiner Kriegs 
regeln entwidelt, die zumeijt dem Vegez entnommen find. 

1. Reiterei. — Üredenzdbrieff vnd Vollenmaht Eynes Ryttenmeiiters. 
Keijerl. Majt. Bejtellebrief auf 300 gerüjt Pferdt. 1552. Des Röm. Königl. Man, 
Beitallung vber eine anzal Reutter. Bejtelbrieff der Neutter des Romijhen Reiche. 
Achilles Scipiony angejtalter Bejtallbrief (Formular, weiches der Autor entworfen 
hat). Artidelbrieff, daruff die Rewtter jchwehren. — Der Rewther Regiment 
vnd Ordnung. Überiter Bejehlähaber ift der Feltmarſchalck. — (Marſch— 
Ordnung der Nitterfhändlen: Brenn-Fhan, Schüczen-Fhan, Nenn- han, Hempt- 
Bhaner, der Nachzug Fhan. — Schladhtordnungen der gerüjteten Pferde mit dem 


Feinde zu treffen. — Bon Trommetern, — Bon Geringer Pferde Schlaht vnd 
zugordnunge [$ 9]. — Bon Bejoldung der Reutter. — Wie man ein Rüit 
wagen jtaffiren jol, — Gemaine Kriegs Regeln aus dem 3. Bud) Flaviy Begecn. 

2. FZußpolf, — Regiment ayns gewaltigen hawffen. (Bier fommt Ber 


fafier zuerft noch einmal auf den Generall-Beldt-Hauptmann, der jih nach Inhalt 
des Prologen verhalten joll). — Oberſter Landsknecht Hawptmann. (Notiz über 
die Plichten des Feldmarſchalls gegenüber den anderen Waffen). Hawptmann, 
Fenderich, Beldtwaibel, Waibell Führer, Forierer, Quartiermaijter, Wachmaiſter. 


4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlaht vor Nieuport 1600. 531 


Brandtmaijter, Prouiantmaifter, Schanczmaifter; Zeugmaijter (mit dem Vermerf: 
„Das Ampt gehört nad) dem Feldmarſchalck)). Prouos. Huren Waibell — 
Zug vnd ſchlacht Ordnung der Knecht [883]. — Beitallung der Vnderhawbt— 
leutt vber ain Fenle Knecht. Eines feldichreibers eid. Credenzbrieff aynes Hawpt⸗ 
manns vber ain anzall Lanndsknecht. Vollenmacht ains Hawbtmanns. Beitelle- 
brieff der Landsknecht. Artickelbrieff derjelben. Der Landsknecht taffelgelt vnd 
toppeljoldt. (Motto: Ein yder arbeiter yſt ſeins long wirdig). 


3. Wie eine wagenburgf angeſtalt und gejchlofjen jol werden [$ 99]. — 
Der ſchantzpawern regiment. — Wie ein jtad belegert jol werden, Wie man 
jich in einer belegerten Stad befeftigen und verhalten jol. — Eine Stadt 
joll mit weiten und tiefen ausgefütterten Wafjergräben wohl verjorgt fein und 
hinter dem Graben mit zwei guten Mauern in ziemliher Höhe und Weite von 
einander geführt und mit guter Erde audgefüttert und gefüllt. Die Mauer foll 
ein Mentelein oder Bruftwehr tragen und gute Pajteyen, Ründel oder Gejchüte 
haben, die ziemlich Hoc und jo angelegt fein müflen, daß eine die anderen auf 
beiden Seiten retten mag. Die Paſteien follen gute Streichwehren haben und 
inwendig im Graben blinde fenjter, „den feinden in der noth im jturm mag ab» 
gebrochen werden“. (Aljo verblendete Scharten für die niedere Grabenverteidigung). 
Hinter der Mauer joll ein ziemlicher Raum fein, um dort in Feindesnöthen zwei 
blinde Gräben zu ziehen, falld die Stadt zum Sturm bejchoijen ift. Hinter diejen 
Gräben jollen die Häufer oder, wo Platz ift, Berjchanzungen zu weiterem Wider: 
jtande eingerichtet werden. (Aljo Abjchnitt3verteidigung). 


4. Artillerie. — Geſchlecht und namen aller büren, in ein zeughaus 
geboren (ganz nad) Ott-Preuß). Der bürenmeijter bejoldung yder bur ynn einer 
belegerten jtad. Der bürenmeijter vnd jchußen eid. Der eid einer ganzen loblichen 
bejagung einer jtad. Mrtidelbrieff den belegerten der Stad vorzulefen. Das 
zeughaus einer jtad, do alle munition der artolleria bewart wird. Wachmeiſter 
ampt einer jtad. Eins zeugmeijterd oder artolorey perjonen bejüldung, (Feld: 
icherer, Zeugdiener, Zeugmeijterd Leutenampt, Schangmeijter, Schanzbauern Haupt- 
mann, Zeugwart, Gejchirrmeijter, Profoß, Pulverhüter, Zimmerleut, Schmidt, 
Rademacher vnd Faßbinder). 

5. Schultis mit der Gerihtsordnung — Des Scultiffen aid. 
Serichtsichreibers aid. Gerichts weibels eid. — Umbfrag des Schultis vnd Ant: 
wort. Wie man ein freueler heifchen jol. Die Acht. Abfoluirung von der Acht. 
Einen Toten (Ermordeten) mit recht aufzuheben. (Wegkferttig recht. Nottrecht — 
im Terte verflebt.) Wie man einen todjhlag gefreien jol. Einen vrfride zu: 
ihweren. Bon der friegshandlung der 16. tittel aus dem 24. bud) Feiferlichen 
rechten gezogen. (Aus Ulpianus, Furius, Modejtus, Arianus, Martianus, Paulus). 
— Die Freiheit und gerihts ordnung der artoloria. 

6. Anhang. — Zwelf Regeln vnd frogitüd vnd fewrwerck der buren= 
meijterey [5.39]. Form wie ein Hoß jein jol. Wie man yn ein ygliche buchs 
groß oder Fein die jtaine hawen jol, das jie gerecht dorein werden. Cine büre 
zu laden vnd anzuzunden ane jchaden. 

34* 


532 Das XVL Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


Eine Umarbeitung bzgl. Erweiterung dieſer Arbeit liegt unter 


dem Titel „Türkenſteuer“ vor. 

Ein Eremplar derjelben von 1557, da& dem Könige Ferdinand von Böhmen 
gewidmet ijt, bewahrt die f. f. Hofbibliothek zu Wien (ms. 10764), ein zweites 
ohne Widmung die Danziger Stadtbibliothef (Kunjt und Gewerbe. fol. 49). 
Legteres trägt auf dem Einbande die Jahreszahl 1558. 

Der Verfafjer nennt ſich jegt Achilles Scipio Schellenfchmibßt, 
des kgl. Bürglens zu Namslau Hauptmann. 

Schon in dem Münchener Exemplar der „Injtruction“ fügt Nolano jeinem 
Namen einmal im Tert „gen. Schellenſchmidt“ Hinzu, und in dem Danziger 
Eremplar erflärt er ©. 43 »Nolanum, ferte à Nola, eine Scelle“. 

Abgejehen von einigen Umjtellungen und Erweiterungen in den 
Adjchnitten über Neiterei und Fußvolf, von denen die leßteren ſich 
bejonders auf die Pflichten der verjchiedenen Amter beziehen, bat 
Nolano eine taktiſche Abhandlung hinzugefügt, welche in dem 
Wiener Eremplare der alten „Injtruftion“ vorausgeht, in dem Danziger 
zwijchen Fußvolk und Wagenburg eingejchoben it. 

„Nachdem ein General-Hauptmann zum höchſten zu erwegen, wie die Angriff 
vnd fegenwehr fegen den feinden mit ernjt angugreiffen vnd anpunehmen, hab id 
auff vorbejjerung erlicher kriegsleut etlich Vnderricht der Angrieff beihrieben“. 

Verfaſſer jegt nun eine große Zahl taktiiher Möglichkeiten auseinander: 
Rencontres, Kouragierungsgefehte „wann jich zwei Beer zujammen lagern“, 
Hauptſchlachten, Schladht und Angriff „in der enge“, Verfolgung, Abzug vor dem 
Feinde, in&bejondere fall® dabei ein Fluß zu überjchreiten, wo dann ein Brüden: 
fopf aus der Wagenburg oder durch eine Verſchanzung zu bilden, Entjag und 
Verſtärkung einer Feitungsbejagung, Angriff auf einen Feind, der fih an ein 
Waſſer lehnt u. ſ. w. u. ſ. w. Die taktiſchen Anleitungen laufen fajt jämtlich darauf 
hinaus, daß man den Gegner nicht nur in der Front, jondern aud in der Flante 
anpaden müſſe, wozu gewöhnlich der verlorene Haufe, d. h. die Vorhut, zu ver: 
wenden jei. Leider jind Nolanos Auseinanderjegungen im einzelnen entweder io 
banal oder jo undeutlih, daß jie feiner bejonderen Würdigung wert erjcheinen. 
Er jpricht auch davon, daß des Kriegsherrn „underthonnen“, fall jie „den veind 
angrieffen, obſigen vnd etwas erlangen“, ja belobt und belohnt werden mögen: 
denn nichts jei häßlicher als Undank. Endlich wird erwogen, „wo ein oberiter 
jein friegkvold vber winter legern joll“. 

Zwiſchen den Abjchnitt über Artillerie und Gerichtswejen tft 
eine Art Formularbuch eingeſchoben. 

Es find Mitteilungen von militärijchen Reden, wie 3. B. „Eine christliche 
Bermahnung eines oberjten jeiner friegsuerwanthe* oder „Ein alter frieggmann 
einen jungen mit geubter Lehr zu vermahnen“ — oder es jind Vorbilder von 
Schriftitüden, wie 3. B. die Aufforderung zur Übergabe an eine bedrängte Stadt, 
Ablehnung einer joldhen, Friedebegehrung u. dgl. m. 


4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht vor Nieuport 1600. 533 


Sehr vermehrt iſt der artillerietechnijche Abjchnitt. — Den 
militäriſchen Abjchnitten jowohl der „Injtruftion“ als der „QTürfen- 
ſteuer“ hat endlich der Verfaſſer noch einen politiich-moralijchen 
Traftat angehängt, der den Titel führt: „Zuvorbejjerung einer 
yden fromen obrigceitt gutt ordnung vnd policey 
jeinen vnderthonnen zu geben, jich in gutter rüjtung 
zu halten‘. 

Da die Abhandlung tatjählicd nichts Militärisches enthält, jo kann ſie hier 
unberüdjichtigt bleiben, ebenjo wie eine von Nolano i. 3. 1560 dem Danziger 
Rate überreihte preußiiche Chronik, welche die jpäteren preußiichen Geſchichts— 
jchreiber Gajpar Schütz und Stanislaus Bornbach als die wilde Barteijchrift 
eines „Eijenfrejiers“ jehr ungünjtig beurteilen. 

Im Ganzen genommen reiht ſich Nolanos Werf der Schar der 
Amterbücher an, ift aber doc) als eine jelbjtändige Arbeit zu be 
trachten. Eingehender als jeine Vorgänger würdigt es die Neiteret, 
welche ja auch an die Spite gejtellt iſt; jorgfältig find die taftiichen 
Dinge berüdjichtigt, wenn auch freilich feineswegs mit dem einjichtigen 
Verjtändnifje wie im „Trewen Nat‘ oder in des Markgrafen Albrecht 
Kriegsbuch. Rudimente der alten Bemmelberg’schen Faſſung des 
Ämterbuches treten übrigens an vielen Stellen zu Tage; ja hie und 
da lajjen fich Fäden verfolgen, welche unverkennbar auf Ott's alte 
Kriegsordnung zurücführen. 

Dahin gehört z.B. der auffallende Umstand, daß der 2. Abjchnitt urjprünglich 
offenbar ein erjter war; denn Nolano greift noch einmal auf den oberjten Feld» 
hauptmann und den Feldmarichall zurüd [S. 489). Dahin gehört ferner die Ver: 
quickung der artillerijtiichen Dinge mit denen des Beſatzungsweſens u. dgl. mt. 

An Gengjchen erinnert die Menge von Beitallungsformularen 
u. dgl. bureaufratiichen Mujtern, während die eingehende Behandlung 
der militärjuriftiichen Dinge, wobei das gejamte Gerichtsverfahren 
umſtändlich und mit wahrhaft dramatijcher Lebendigkeit dargejtellt 
ift, wieder weiteren Bearbeitungen des Amterbuches zum Vorbilde 
gedient hat, auf die jogleich eingegangen werden joll. — Auffallend 
altertümlich iſt der artilleriftiiche Anhang, aus dem noch die volle 
Tradition des XV. Ihdts. redet. 


8 28. 


Die Weiterbildung des Ämterbuches ging inzwiichen raſtlos voran. 
— Die fol. öffentl. Bibliothek zu Dresden (C. 116) beit ein jolches 


534 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


unter dem Titel: „Formavnd Ordnung eines Kriegsbueches, 
was einem jeden Kriegs- und Veldherrn gebührt ... . zujammenbracht 
anno LVIII —“ eine Redaktion, welche im Wejentlichen der von 
1536 entjpricht. 

Neu Hinzugelommen find (wie jhon bei Gentichen) Abjchnitte über den 
oberjten Zeugmeijter, über Schangmeijter und Brandmeijter, ferner jolche über 
den Reuterfendrich und den Rumormeiiter. Das Kapitel über die „Bejagung“ 
ift durch zwei Abjchnitte vermehrt: „Aufforderung einer Stadt“ und „Wie man 
aus betrangter not mit ehrn abziehn ſoll“. Ganz weſentlich vermehrt iit der 
Anhang. Er bringt Beitallungsbriefe für die Inhaber der wichtigiten Ämter 
u. zw. jämtlid hiſtoriſche Originale (3. B. Beitallung Conrads v. Bemelberg, 
Beitallung Marggraff Albrechts über 2000 gerüjtete Pferde, Copej Kriegsregiments 
1.3. 1554 aufgerichtt, Bejtallung des Duca d'Alba, des Herrn Lazarij v. Schwendi); 
ferner Kopien kürzlich abgejchlojjener wichtiger Verträge und Vollmachten, Kredenz- 
briefe, Paßparten, Artitelbriefe aller Art und endlid; eine Spital- und eine 
Marfetenderordnung. 

Unter gleichem Titel und gleicher Jahreszahl (1558) bewahrt die 
Heidelberger Bibliothek ein fait gleichlautendes Ämterbuch (cod. germ. 


134), dejjen Anhang jedoch abermals erweitert üt. 

Der Marfetenderordnung, die das Dresdener Manujtript ſchließt, folgen 
hier noch eine Garnifonordnung und die Formeln bei Überreihung des Stabes 
an den Schultheißen, endlich aber als „viertes Buch“ eine jorgfältige Darlegung 
des ordentlihen Gerichtsverfahrens in Rede und Gegenrede, jowie des Rechtes 
„mit den fangen Spießen“. Diejen jurijtiihen Teil beenden „Pojtparten (?) uf 
die Uffwidler (VBermittelungsihreiben wegen eines aufrühreriihen Fürjten). 

Offenbar hatte der Berfafjer diejes palatinifhen Coder die Abſicht, den 
adminijtrativen und jurijtiihen Reglements aud noch ein taftijhes 
anzujhließen; denn nachdem er die friegsrechtlichen Auseinanderjegungen big zu 
ihren jtatsrechtlichen Ausläufern verfolgt hat, geht er zur Berechnung der gevierten 
Schlahtordnung über. Dann aber bricht er plößlicd) mit folgender Betrachtung 
ab: „Bonn Schlahtordnung zu jchreyben, ijt nit wol muglich, wiewol etlich viel 
dauon gejchrieben; aber weil der plag nit augenſcheinlich, auch der feindt nit 
entgegen, ijt es weitleiffig ding dauon zu erzellen. Denn etwan der plag nit 
breit genug, auch holweg, gejtreuch, holg oder grabenn vnd wajler vorhanden, 
aljo daß man die ordnung nit allerweg fan oder mag haben wie man gern wolt. 
DVerhalben mag man ſich machen brait, fang oder ſchmal, mit angehengten Flügeln, 
mit blindenn glidernn, zum lauffen oder jteen, nad) gelegenheit dez orts vnd 
platz vnd einfall de; feindes“, 


Dieje Redaktion muß jehr gefallen haben ; denn mehrere „Autoren“ 
haben fie abgejchrieben und mit ihrem Namen gejchmüdt, jo em 
gewifjer Piſtorius, der jeine Copie dem Erzherzog Ferdinand 
gewidmet hat (f. k. Hofbibl. zu Wien ms. 10397) und ein gewijjer 


4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlaht vor Nieuport 1600. 535 


Pedel, der noch eine „Schreybung des Gewalts“ d. h. eine kaiſer— 
liche Entſcheidung über die „Poſtparten uf die Uffwickler“ hinzugefügt 
hat und wohl deswegen in ſeiner Zueignung an den Pfalzgrafen 
v. J. 1573 ſeine „große mühe vnd arbeyt“ nachdrücklich hervorhebt. 
(Cod. palat. germ. 131.) 

Andere Faſſungen des Ämterbuches ſuchen dies nach der artille— 
riſtiſchen Seite zu bereichern: ſo eine „Fewerkunſt und Kriegs— 
buch“ betitelte Bearbeitung von 1576, welche die Bücherei des 
Berliner Zeughauſes (A. 12) und zweimal die k. £. Hofbibliothek zu 
Wien (no. 10880 und 10 896) bejigt '). 

Das 1.—T. Kapitel find eine Neubearbeitung des „Buches von den probierten 
Künjten [8 44]; das 8. und 9, bringen Angaben über Aufrihtung und Amter- 
verteilung eines Regiment? deutſcher Fußknechte, die im wejentlichen mit den 
betreffenden Abjchnitten in „Forma und Ordnung“ übereinftimmen; das 10. und 
11. Kapitel, die von Aufrihtung und Einrichtung eines Fähnleins handeln, jtimmen 
mit Hohenſpachs „Feldſchreiberei“ [$ 104]. Uriginell erjcheint 3. T. das 12. Kapitel 
„Wie es mit den Teutſchen Khnechten auf dem Meer zu führen nad) altem geiebten 
Gebrauch ordenlichen Lebens und Commiß halber zu halten joll gepflegt werden“. 
Das 13. Kapitel „Von der Schlahtordnung“ jteht nicht auf der Höhe der Zeit; 
dasjelbe überliefert nicht nur Altbefanntes, jondern auch wejentlich Veraltetes, wie 
die dreiedige Schladhtordnung des Fußvollks. Das 14. Kapitel enthält eine Dar- 
jtellung der Gerichtsordnung und des Malefizrecht3 der Knechte in hergebrachter 
Form. — Nicht eigentlich zum Buche gehörig ift ein pyrotechnifcher und artilleriftifcher 
Anhang. 

Ebenfalls zu Wien bewahrt man ein großes zweiteiliges „Kriegs: 
buch“, dejjen erjter Band (ms. 10871) das Amterbuch in der Solms'ſchen 
Faſſung enthält, während der zweite Band (ms. 10869) die artille- 
rijtijchen Ämter näher erläutert und in Anlehnung an Helm [& 44] 
die Einrihtung eines Zeughauſes und die Feuerwerkerei behandelt. 


g 29. 

Von all den verjchiedenen Anhängen befreit ſich das Ämterbuch 
wieder in der endgültigen Faſſung, welche e8 durch Lazarus von 
Schwendi empfing. 

Lazarus Schwendi, Freiherr von Hohenlandsberg, 
war 1522 auf dem Schlojje Schwendi in Schwaben geboren und 
hatte jich in jener Jugend eifrig den Wiſſenſchaften gewidmet, zumal tn 

1) Das Berliner Eremplar gehörte 1594 dem Erblanbjägermeifter in Tyrol, Karl Schurff von 


Schönwerd. Bon ben Wiener Egemplaren ſtammt das ſchönere (Nr. 10880) aus der Bibl. des Erz 
herzogs Ferdinand; das andere zeigt auf bem Einbande die Jahreszahl 1598. 


536 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine friegswifienjchaftliche Werte. 


Bajel!). Schon 1546 jedoch erjcheint er als Kriegsfommijjar bei Karl V. 
zu Regensburg, übernahm politiiche Sendungen und amtierte 1551 
vor Magdeburg, 1552 vor Met als Hofrat und oberiter Kriegs 
fommijjar des Kaiſers und des Neiches. Weihnachten 1552 wurde 
er im Lager zum Ritter gejchlagen. In dieſe Zeit der VBerwaltungs- 
thätigfeitt Schwendis fällt die Abfafjung dreier Schriften, welche der 
ſchwarze Sammetcoder Nr. 10845 der Wiener Hofbibliothef ent- 
hält. An der Spite heißt es: „Dem Allerdurchläuchtigiten, Groß— 
mächtigiten 2c. Kaiſer vnd Herrn Karolo V. .. hab ic) dies Bud 
zujammentragen: Ob doch mittel gefunden mecht werden, darin der 
Betrug in der mujterung, das verderben der Teutjchen, 
abgeleint werde.“ 

Dieſe Zueignung bildet zugleich die Überschrift des erjten Werkchens, das 
mit Schilderung der ſchlimmen Übeljtände beginnt, dann in einfichtSpoller Weiſe 


darlegt, „wie man ſich zur mujterung jchiden joll... auf welden Artidelbrief 
man jchworen ſoll . . was art vnd gejtalt man mujtern joll damit der Herr 
unbedrogen bleib... wie vnd warn man die knecht bezalen vnd wie man die 


mujterzedl machen ſoll“. 

Die zweite Schrift handelt von „Beichreibung und Herfommen 
des Adels“ und geht uns aljo hier nichts an. Die dritte aber faßt 
das Thema der erjten aufs Neue u. zw. zugleich) mit den Waffen 
des Witzes emergiich an. Sie führt den Titel: VBasgumillus, 
ein Geſpräch zwijchen Bettrus vnd Baullus über die Mif- 
bräuche in den Heeren und Lägern der Deutjchen.‘‘ 

Das jhön ausgeführte Titelbild ftellt die beiden Apojtel mit ihren Injignien, 
Schlüfjel und Schwert, beide in voller Rüftung, aber auf Geldtruhen figend, dar; 
Betrus hat jogar einen offenen Geldjad neben ſich. Ihr Geipräd handelt be- 
jonders von dem Betruge bei der Mujterung, dejien jih Petrus, der ja feinen 
Herrn wiederholt verleugnet hat, ohne bejondere Scham jchuldig maht; während 
Paulus dieje verrotteten Zujtände abzujtellen wünjcht. — Die jehr merkwürdige 
Schrift wäre durdhaus der Rublifation wert. 

In der Folge trat Schwendis Wirken als Kriegsmann in den 
VBordergrund. 

Er übernahm als Oberfter ein Regiment deutſcher Knechte in den Nieder: 
landen unter Emanuel ®hilibert von Savoyen und Egmont, focht bei St. Quentin 
(1557) und Gravelingen (1558) und gewann das Vertrauen König Philipps IL, 
wie die Freundſchaft Wilhelms von Oranien. Im Januar 1565 übertrug ihm 
Kaifer Maximilian IL. den Oberbefehl in Oberungarn. Schwendi nahm nad 


1) Bol. v. Janko: Leben bes Lazarus dv. Schwenbi (Wien 1871). Dieſe Schrift erwähnt bas 
„Ihwarze Sammtbuch“ der Wiener Hofbibl. merfwürdigerweije gar nicht. 


4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlaht vor Nieuport 1600. 537 


jechstägiger Belagerung das wohlbejegte Tofay und bald darauf Groß-Wardein 
und Erdöd, hatte dann aber wegen der Eiferfucht der Ungarn und wegen jteten 
Seldmangel3 mit unſäglichen Schwierigkeiten zu fämpfen. 

Im Winterquartier 1565/6 verfaßte Schwendi eine inhaltreiche 
Denfjchrift über den ungariſchen Krieg, (,„Bedenden, was 
wider den Türfen zu unternehmen,‘‘) welche er dem Kaiſer überjandte, 
indem er ihn aufforderte, jich den Sultan zum VBorbilde zu nehmen, 
der troß jeines hohen Alters perjönlich jein Heer führe; das gäbe 
„bei männiglich großen Willen, Luft und Beifall‘‘'). 

Im Jahre 1566 blieb Schwendi in einer Stellung bei Kajhau, um den 
Weg gegen die obere Donau zu deden, auf deren Südfeite der Kaiſer lagerte, 
und im folgenden Jahre mußte er die unternommene Belagerung von Huszt vor 
überlegenen türfijchen Kräften aufgeben und jein Lager hinter den Mauern von 
Kaſchau nehmen. Bald darauf (Febr. 1568) kam es zum Frieden von Adrianopel, 
und mit ihm endete Schwendi8 praftiiche Kriegstätigfeit. Er trat als „des Kaiſers 
oberjter Lieutenant“ in den Ruheſtand und lebte meijt auf jeinen ſchwäbiſchen 
und eljäjliihen Gütern. 

ALS Rat des Kaiſers blieb er in jteter Tätigfeit, und er war 
es, welcher des Hlg. Röm. Neiches Neuterbejtallung verfaßte, 
die den Ständen überreicht und 1570 durch den Neichsabjchied von 
Speyer zum Gejeß erhoben wurde. 8 102]?) Lebhaft bethetligte er ſich 
auch an den inneren politischen Fragen und richtete vom Stand- 
punfte eines ächten Vaterlandsfreundes und maßvollen Brotejtanten 
im Mat 1574 ‚Bedenken an Kaiſer Marimilian den Anderen‘ ?), 
denen er 1575 ein zweites Memorial folgen ließ, welches ebenfalls von 
„Regierung des Hlg. Reiches und Freyſtellung der Religion‘ handelt?). 
In der Zufchrift zu diefem Memorial danft er dem Kaiſer für die 
„miderjchtefhung des Discours‘‘, d. h. jeines bedeutendjten rein 
militärischen Werfes, welches aljo damals im Wejentlichen abge 
ichlojjen gewejen und dem Kaiſer vorgelegen haben muß. Der volle 
Titel desjelben lautet: „Kriegs Discurs. Bon Beitellung des 
gangen Kriegswejens vnd von den Kriegsämptern,“ 

Manujtripte des Kriegsdiskurſes finden ſich in der Univerjitätsbibliothet 
zu Seidelberg (Palat. germ. 133) und in der Hofbibliothet zu Wien (Nr. 10893). 

1) Abgebrudt in der Dfterr. milit. Zeitfchrift 1821. Heft VII ©. 82—9. s 

2) So verfichert der Herausgeber von Schwenbis „Kriegsbiscurs”, ©. 222 der Oftav-Ausgabe 
— Pe sn u. A. in der Wolfenbütteler Bibliothef (Sammelband. August. num. 38 fol.d.). 
Gedrudt 1612. Bol. Bergmann: Medaillen auf berühmte Männer ſterreichs, II (Wien 1849). 


4) Bol. Friedländer: Schreiben Schwendi3 an den Sailer d. db. Kuendheim, 20.3. 157 
(tier. 1. 8, W. u. ©. d. Sirieged. Bd. 77, 1849). 


538 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werke. 


Gedrudt wurde das Werk erit etwa zwei Jahrzehnte nad) feiner Entjtehung, 
indem e8 Hans Lewenklaw von Amelbeurn mit einer Widmung an Sarl 
v. Zerotin zuerjt in Quart 1593 zu Frankfurt a. M. und 1594 ebenda in Oktav 
berausgab. Eine vermehrte, doc) keineswegs verbejjerte Auflage veranitaltete 
Lobrinus (Dresden 1676), und endlich wurde da8 Buch noch einmal 1705 zu 
Frankfurt a. M. gedrudt ?). 


Dies opus celeberrimum, wie es der Manujfriptenfatalog der 
Wiener Hofbibliothef nennt, iſt eine Neubearbeitung des alten 
Amterbuches und ſteht denjenigen Ausgejtaltungen desjelben ganz 
nahe, welche 1558 unter der UÜberjchrift „Forma vnd ordnung eines 
Kriegsbueches“ erjchienen [S. 534]. 

Folgendes ift der Inhalt: Vom Krieg vnd Striegsherrn, von Bejtellung 
der Empter vnd Kriegs Negiments, Bon des Kriegsheren General Leutenant oder 
dem Tyeldtoberiten, Bom Läger Schlagen, Vom Feldzeihen, Bon der Wagenburg, 
Bon Profiantordnung, Von Zugordnung, Bon Troßordnung, Bon Bejtellung der 
Wacht im Feldtläger, Vom Lärmen im Läger, Bon der Fütterung, Bon Handlung 
mit dem Feindt, Scharmüßel und Schladhten, Vom Abziehen vom Feindt, Vom 
Nacdeilen, Bom Türfenfrieg, Was nad) erlangtem Sieg zu thun, Vom Brenn- 
fahnen, Bon den Belägerungen der Stätt vnd Vejtungen, Bon Ergebung der 
Tläß, Abziehen von einer Veſtung, Von den Beuten, Von Bejagung vnd für- 
ſehung eines Plaßes gegen die Belägerung. — Bon 27 Kriegsämtern — 
Bon der Reutter Wartgelt, Bon der Bezahlung des Kriegsvolds, Von erhaltung 
deö franden vnd verwundten Striegsvolds im Feldt vnd anridtung einer Spital- 
ordnung vnter den Regimentern. — (Neuhinzugekommen find unter den Kriegs— 
ämtern: der „Capitan der Yujticia“, der „Oberjt vber etlihe Fahnen Neutter“, 
der „SeneralsOberjter” vber die Fußknecht“, der „Neutter vnd Knecht Profoß, 
der Mujtercommifjar, ein Artilel über „SKriegslent in gemain“, jowie die Ab: 
ichnitte über Bezahlung und Spitalordnung. Yortgelaffen find all die mannig- 
fahen „Anhänge“ der „AÄmterbücher“). Sehr treffend jagt der wohlmeinende 
Schwendi: „Die Amter im Krieg wollen volltommentlid) und mit genugjamen 
(tauglihen) Perſonen bejtellt und nichts daran erjpart jein, und ſoll jich ein 
Kriegsherr hüten, Einer Perſon viele Ämter aufzuerlegen. Gute und gemugjame 
Beitallung der Ämter ift die Hauptgrundfejte alles guten Regiments und Ordnung 
im Kriege“. Vgl. denjelben Gedanken bei Solms: ©. 515.] 


Eigenartig und den Stempel des Schwendi’jchen Geiſtes tragend, 
it, abgejehen von einigen der taktischen Kapitel, eigentlich nur die 
Einleitung: Vom Kriege und vom Srtegsherrn, in der ji 


-. .. 


die milttärpolitiichen Auffafjungen des Verfaſſers offenbaren. Da 


1) Ausgabe von 1593 und 1594 in der Kal. Bibl. zu Berlin (F. m. 9112 u. H. v. 18735). — 
Ausgabe von 1676 in ber Bibl. der Berliner Kriegsakademie (D. 1390). — Die Abſchnitte vom Kriege 
vom Kriegsheren und vom Feldherrn hat Janlo a. a. DO. abgebrudt. Auszüge in Meynerts Geich. 
des Öfterr. Kriegsweſens II (Wien 1854) und in Angers Jlluftr. Geſch. dert. k. Armee I (Wien 1886). 


4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlaht vor Nieuport 1600. 539 


zeigt Jich denn, daß der Gedanke, die Bolfsbewafinung an Stelle 
des Söldnerweſens zu jeßen, den einjt Machiavelli warm vertrat, von 
dem aber um die Mitte des Jahrhunderts ein Mann wie Graf Solms 


noch jo gar nichts wiljen wollte, jetzt doch wieder erivogen wurde. 

„Zwey Ding hat Gott der Allmächtig geordnet, die der Menjchen Leben 
und Wejen vnd all jhr Thun fürnemblicd regieren: nembli die Vernunft vnd 
die Zeit... Der Anfang des Krieges jtehet wol in des Kriegäherrn Willen vnd 
Gewalt; aber er fan des Kriegs nicht wider mit Vortheil lo werden wann er 
wil, ond jtehet der glücklich Außgang bei GOTT... Die großen Regiment jtellen 
jr Ding gewöhnlich auf den Gewalt vnd die Harre, vnd damit vermeinen fie jhre 
Feind, jo ſchwächer ſeynd, zu vbermädtigen und wöllen jr Saden nicht leicht 
wagen vnd gefahren nod dem Glück heimjtellen, und das ijt auch der beſt vnd 
jiherite Weg. Aber einem geringeren vnd ſchwächern fürjten muß jein eygene 
Tugendt, Dapfferkeit vnnd Verjtandt die meift Wurgel ſeyn ſeins Glücks vnd 
Aufnemmens vnd daß er etwa eine gute Gelegenheit der Zeit gerate, die jm zu 
ſeim Vorhaben dienet und alles verhoffentlicher und leichter macht . . .“ — Sehr 
interefjant it die folgende Betradhtung: „Es fällt auch dei Kriegsherrn halber 
ein groß Bedenden für, ob er ſich zum Krieg feiner Vnderthanen oder frembder 
bejtelter Zeut gebrauchen jolle... An dem liegt das meijt, daß die Underthanen 
in ein Kriegdordnung vnd Übung gebradt werden vnd von Natur bejtändig und 
Herghafft jeyen... Denn gewöhniglid kommen fie nicht gern von Hauß in’s 
Feldt, können Hig, Kälte vndt Mangel vbel erleiden, gedenden anheimbs, er: 
ihreden bald; wirdt ein Heer geichlagen, jo iit das Landt emplöjt vnd in dejto 
größerer Gefahr. Darumb wil man etiva Rahtjamer eradıten, der Kriegsherr 
gebrauch ſich nur jeiner Ritterfchafft, am meiften zum Reifigenzeug, lafje dag Land— 
vold daheim oder führe doch nur ein anzahl aus vnd nehme bejtelte Knechte 
dafür an: So hab er jich auch dejto mehr der Schagungen, Prouiant und anders 
auf jeinem Landt zu getröften. Vnd ſolches iſt ein Zeit her von jegigen Poten— 
taten in der Ehrijtenheit fajt aljo gebraucht worden. Aber im Grund ijt 
das jicherite vnd beſte, jih jeiner Underthbanen zum Krieg, jo 
viel man jmmer Gelegenheit vnd Mittel darzu gehaben mag, 
fürnemblih zu gebrauden: Bund fie bewehrt zu maden, in ein 
Aubtheilung, Auffpott vnd Ordnung zu bringen vnd zum Krieg 
anzujühren Dann die frembden bejolten Leut jeynd jchier nimmer jo trew, 
gehorfam vnd jo fertig als die Vnderthanen vnd foften viel mehr aufzubringen 
vnd zu vnderhalten“. Man erkennt aus diefer Betrachtung, daß zwar auch 
Schwendi all die Gründe vollauf würdigt, welche jeinerzeit Graf Solms gegen 
den Gebrauch der eigenen Untertanen im Felde geltend gemacht, daß er die Vor— 
teile aber doch höher veranjchlagt und ſich der Anficht Machiavellis anſchließt. 

Tiefe Erfenntnis vom Wejen des Krieges und des Menjchen 
und zugleich ächte Humanität jprechen aus folgenden Sätzen: 

Ein gewiſſer feidlicher Friede ijt bejier als ein hHoffentliher Sieg. — Ein 
Kriegäherr joll dem Frieden nie jo trauen, daß er fich nicht zu Krieg und Gegen 


540 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


wehr gefaßt halte. — Der Krieg ijt nimmer anzufangen, man jehe denn mehr 
Hoffnung zum Gewinn und Sieg vor"fih, als Bejorgnis zum Schaden und 
Verluſt. — Wer im Krieg feine Sache allein auf das Glück und Wagen jtellt, 
der behauptet jich jelten lang. Doch ijt das Glüd im Krieg wie der Würfel; es 
trägt allerlei Chancen. Der größte Vorteil ift auf Sicherheit zu jpielen und auch 
bei guten Chancen nicht zu viel zu wagen und aufzujegen. Beim böjen Spiel 
gehört noch mehr dazu, an fi zu halten und wohl aufzujehen, damit man den 
Verluft nicht mit einemmale auf fich lade, fondern das beſſere Glüd erwarten 
möge. Wer fein Kriegen aljo anjtellt, daß er nicht$ verliere, dem mangelt nic 
die Gelegenheit, dai er etwas gewinne (Alle diefe Sätze zeugen freilich mehr 
von Vorſicht als von Kühnheit; aber die Zuftände des djterreichiichen Heeres und 
der öſterreichiſchen Kriegführung, unter deren Eindrud Schwendi doch jchrieb, 
waren allerdings jehr dazu angetan, dem Feldherrn eine folhe Haltung zu em- 
pfehlen.) — Wer den Feind mit Gewalt ausharren oder aushungern kann, der 
handelt töricht, wenn er feine Sache auf eine Schlacht ftellt. Wer aber gegen 
einen Stärferen friegt, gegen den er nicht lange ausdauern fann, der muB jein 
Tun dejto mehr auf Glück und auf eine Schlacht jtellen. (Friedrich! II. Ver— 
fahren 17571) — Weit ficherer ift e8, den Feind in feinem Lande anzugreifen 
als im eigenen Lande auf ihn zu warten. Wer jich auf die Defenjive bejchränft, 
der hat viel zu verlieren und wenig zu gewinnen! (Ein goldenes Wort!) Wer 
einen andern in dejien Lande angreift, der geht diefem auf das Herz und der 
Gewinn jteht ihm vor Augen. — Ein jchledht bewehrtes Kriegsvolk ijt ſchon halb 
geihlagen. — Wer feine Leute durd; Mittel der Religion wohl leiten kann, der 
hat im übrigen dejto leichter zu regieren. Die Einbildung des Gewifjens ijt ein 
widhtig Ding beim Menfhen; aber am Mut ift viel mehr gelegen. Das Ge- 
wiſſen jollen die Geijtlichen bilden und leiten, Ehre und Mut aber die Oberjten 
und Befehlsleute. — Aller Ungehorfam im Feld, alle Unordnung folgt gewöhnlich 
nur aus Mangel und Unvolltommenheit des Hauptes. Der Ktriegsherr joll, wo 
er immer fann, jelbjt im Feld fein... und wo er in der Nähe ijt und man ſich 
Beſcheid holen kann, ijt es am beiten, daß alles mit feinem Vorwiſſen gehandelt 
werde. — Im Striege ijt der Sieg das Ziel; wer den erlangt, der hat das Beite. 
Abgejehen davon, wie die Urfahen und die Mittel jeien — der Ausgang macht 
alles gut, und es muß gut fein, jo lange man den Sieg in Händen hat; das 
Übrige wird Gott zu feiner Zeit richten. Vgl. Machiavellis Ausipruh ©. 468.) 


Sm Jahre 1576 präjidierte Schwendi auf dem Neichstage von 
Negensburg einer Kommifjion über das Kriegsbaumwejen, welcher auch 
Spedle angehörte [$ 121). 

Diefer jagt von Schwendi, daß er von ihm viele gute „Rathſchläge und 
Bedenden die Gebäude betreffend“ erhalten habe; denn jtet3 habe Schwendi mit 
verjtändigen Fachmännern verfehrt und jo eine Fülle von Wiffen erworben. Es 
handelte jich befonder8 um den Bau von „Grenzhäuſern“ in Ungarn. Schwendi 
trug dem Straßburger Kriegsbaumeijter aud auf, fiir den Herzog Ferdinand von 
Tirol eine Karte des Elſaß zu verfertigen. Dies geſchah, und jie wurde 1577 in 


4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlaht vor Nieuport 1600. 541 


Kupfer gejtochen. — Zwei Jahre nad) Abhaltung der Baukommiſſion weilte der 
Freiherr wieder zur Beratung des Hauptgrenzwejens zu Wien. 

Schwendi war auch Dichter. „Vnlängſt vor jeinem End‘ ver: 
taste der alte Freiherr noch eine gereimte „ſchöne Lehr an das 
teutiche Kriegsvolck“!) in der es u. A. heißt: 

O werde Teutjche Nation, Der Türd, der fiht uns nicht viel an, 
Wie lejtu dein alt3 Lob abgohn! ... Bringt man zujam mand) redlid) Mann. 

Bir kriegen mit einem ſchlechten Ruhm, | Der alt Spruch wirt an uns bewerth: 
Tie Welt, die jagt? gar vmb und Gefräß vnd Geſeuff mehr tödt danns 








vmb... | Schwert. 
An jtärd vnd gräde man abnimpt ; Teutſch lob vnd ehr fellt auch drob Hin, 
Die alten Held man nicht mehr findt Weil jeden regiert eigner Sinn. 
Kein gdult vnd eyfer hat nicht Plap; Weil jchier fein Zucht, Ordnung vnd Gejaß 
Es ijt alles voll Neid und auffſatz, Beyn Teutjchen mehr will haben Platz. 


Finantz vnd Trug wird durchgebracht, Weil nun recht iſt, was jedem gfelt 
Der arme Knecht wird ſchlecht bedacht. Vnnduff GemeinNuztz nichts wirt geſtelt. 

Die Sprache dieſer Verſe erinnert ſehr an die von Schwendis Landsmann 
und Zeitgenoſſen Fiſchart; der Ton aber, der aus ihnen klingt, iſt kummervoll 
und entſpricht der Stimmung jener ſorgenſchweren und gewitterſchwülen Zeit. 

Der dem Schwendi zugeſchriebene von Conring herausgegebene 
Traktat: »De bello contra Turcas prudenter gerendo« (Helm— 
ſtädt 1664) rührt nicht von unſerm Freiherrn ſondern von dem 
Venezianer Soranzo (1600) her; wohl aber findet ſich in demſelben 
Quartanten eine kleine von Schwendi verfaßte Abhandlung: »Quo- 
modo Turcis sit resistendum consilium« — vielleicht die 
einzige lateinische Schrift eines deutjchen Feldhauptmannes jener Zeit. 
Inhaltlich erjcheint fie als weitere Ausführung des Kapitel „vom 
Türfenfriege” im „Kriegsdiscurſe''. Eine deutjche Faſſung derjelben, 
die mit der „Kommißordnung‘ endet, findet ſich als ms. 9212 LI. 
in der k. £. Hofbibliothef zu Wien unter dem Titel: „Beratjchlagung, 
wie man wieder den Türggen friegen mag.’ — Seine Hauptgejichts- 
punkte fat Schwendi folgendermaßen zujammen: 

Es pflegen nicht allein der türkiſche Kaifer, jondern auch die Paſcha jet der— 
geitalt zu verfahren, dab fie allezeit Hinter ihren Neitern eine Wagenburg mit 
Fußvolk zur Hinterhut haben, auf welde jie ſich zurüdziehen fünnen und aud) 
vorjeglic; die Flucht nehmen, damit fie die Ehrijten auf das Fußvolk loden, jie 
außerhalb ihrer Ordnung und Stellung ins Gedränge bringen und ſich dann 


!) Abgedrudt mit Kaiſer Marimiliand Jugendlebre in einer Flugichrift Frankfurt a. M. 1595; 
mit einem Gedicht Schwendis „Tas Hojleben* bei Janto, und allein in der „Btihr. f. K. W. u. G. 
d. Krieges“, Bd. 77, Berlin 1849. 


542 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. | 


wieder gegen fie wenden fünnen. Wenn nun aud die Chrijten an die Wager 
burg gelangen, fo fünnen ſie doc zu Roh nichts audrichten und müſſen fich wien 
wenden, wodurd. fie bisher mehrmals von den Türken geſchlagen worden fin 
Wenn aber der Chrijten Fußvolk in guter Ordnung hinten nadfolgte und neben 
den Reitern an die feindliche Wagenburg gebradjt würde, da könnte man zu einen 
rechten Treffen fommen und einmal mit Gottes Hilfe vollen Sieg erlangen. | 
Es müßte aber die Wagenburg der Chrijten auch mit Streitwägen und ein 
großen Anzahl Falkonetlein wohl bejtellt und verjehen jein. Wenn es aber u 
ihähe, daß der Feind abzöge, dann foll man ſich wohl beratihlagen, daß man 
nit unordentlih und unbedadhtjam nachfolge; denn die Abzüge geicheben e 
aus Falichheit und Betrug... Auch ijt es Häufig nicht gut, wenn man den at 
ziehenden Feind, indem man ihn umringt oder ihm die Päſſe verlegt, zu beit“ 
zur Schlacht oder Gegenwehr drängt; denn oftmals macht die Verzweiflung oder 
äußerjte Not, und wenn man fieht, daß entweder gejtorben oder wohl gefodten 
fein muß, dem Kriegsvolk ein Herz, jo daß es unüberwindlicd; wird. Gut ii 
vielmehr, daß man den Feind zum Abzuge kommen läßt, aber jobald Furct 
oder Unordnung bei ihm einreißen, Zeit und Gelegenheit zum Angriffe wahrnimm: 


Lazarus von Schwendi ftarb auf jeinem Gute Kilchhofen ar 
28. Mat 1584. 

8 30. 

Auch einer der ausgezeichnetiten Artilleriiten des 16. Ihrdts. bei 
die Bearbeitung eines „„SKriegsbuches‘‘ unternommen: Deit Wulff von 
Senfftenberg. Die kgl. öffentliche Bibliothek zu Dresden bejigt «7 
in roja Seide gebundenes, reich illuſtriertes Manujfript (C. 62 
welches den Titel führt: „Criegsbuch von mancherley Strata- 
gematibus bejchwinden vnd liſtigen Anjchlegen ... . dergleiche 
vor niemals geſehen, erhöret, viel weniger an den tagk fommenn. 
Wehre auch (da Gott für jey) nicht guth, daß diejelben offentlich w 
den Trud joltenn ausgeiprenget werden.“ — Der Inhalt jtellt ſid 
wie folgt: 

1. Welcher gejtalt man alle Feſten behendt . . vnd vungejtürmet ergwinge. 
erobern vnd einnehmen fann. (Mit Mortieren oder Feuerkatzen, alſo ®ur 
geihügen). — 2. Wie eine Schladhtordnung joll angejtellt werden. (Mit Stra 
farren dor der Front und mit Mörjern zwijchen den Streithaufen). — 3. Wie «u 
Herr jeinen Feindt, jobald er in fein Landt fompt, wehrlos madhen kann. Bu 
Schlafwurzel — Hipnotica!). — 4 Wie ein Herr feinen Feindt zu Banc 
erzwingen kann. (Berrätereil), — 5. Wie einer jeinen feind erſchießen fhanı 
ob er gleich eglich hundert Meil von jhm where. (Dur einen Mordbriet vol 
Sprengmajfe, der „etwa durch einen Jüden oder vbeltheter zu pberbringen“). — 
6. Ob ein Herr jeine bejte Feſten verloren habe, wie er die wieder erobern famı 


4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlaht vor Nieuport 1600. 543 


welche Stund er will. — 7. Wie ein Herr mit jeinem Fußvolch durch alle Reifigen 
Hauffen ziehen fann, vnvorhindert. (Mit Hilfe von Sturm- und Streitlarren). — 
8. Wie man ein jedes Thor mit einem ſchuß aufſchießen kann. — 9. Wie man 
aus allen jtuden groß vnd klein fewer Schießen fan. (Das Geſchoß der Kanonen 
jieht einer ogivalen Yanggranate glei, in der Hinten eine Feuerkugel fitt, welche 
rüdwärt3 Flammen ausjtöht. Das Mörſergeſchoß ift eine eiferne Hohltugel mit 
rückſeitiger cylindriicher Verlängerung, die aus Holz bejteht. Es jcheint, als ob 
eine Vereinigung von Geſchoßbewegung und Raketenbewegung beabjidhtigt jei). — 
10. Wie fi) ein Herr rüften joll, dab er nicht fann belagert werden. — Jedes 
Kapitel iſt durd eine gut gezeichnete und mit jchönen Farben angelegte Figur 
erläutert. — Folgt ein Beriht von Türmen!) und ein Anhang ganz vor: 
trefflicher Figurentafeln, welde die Details darjtellen. Beſonders interejjant iſt 
die Anlage von Landtorpedos in einem Engpafje, die von jenjeit3 eines 
Waſſerlaufes durch eine Zugſchnur entzündet werden. 

Offenbar jteht diefe Schrift auf der Grenze zwiſchen einem 
Artilleriebuche und einem allgemeinen Kriegsbuche. Sie erinnert in 
hohem Grade an einen von Bert Wulff herrührenden Coder der 
Dejjauer-Behördenbibliothef 8 51], welcher ebenfalls den Gebrauch 
der Wurfgejchüge und der Streitfarren für die FFeldichlacht, den der 
Sprengwerfe (Landtorpedos) für die Verteidigung von Engpäjjen nad): 
drücklich und einfichtig empfiehlt, und da in allen Werfen Veits Spreng- 
fiiten und Sprengbriefe eine bedenkliche Rolle jpielen, jo würde man 
die jchöne Dresdener Handjchrift auch dann dem Veit Wulff zuzus 
ichreiben volles Recht haben, wenn nicht noch ein unmittelbarer Beweis 
für jeine Urheberjchaft vorläge. Der aber ijt vorhanden. Die Dresdener 
Bibliothek bejigt nämlich ein Manujfript (C. 10) »Stratagemata. 
Newe vnerfahrne treffentliche vortheill Hu allerhand Kriegsvbungen zu 
veld vnd beuejtungen durch Veitt Wolffen von Senfftenberg, 
io der von Dantig Gzeugmaijter, fürgegeben Anno 1568*. Cine 
Notiz auf dem Titel bezeichnet Wolff als „einen vom Adel aus Dfter- 
reich), dero von Dantzig Zeugmaiſter acht Jahr geweſen, vungefehrlic) 
ein 60jeriger Kriegsimann“. Dies Manujfript enthält num nicht das 
Werk jelbjt, jondern blos dejjen Inhaltsverzeichnis. 

E83 zerfiel in 11 Bücher: 1. Bon Bergichlöjlern. 2. Bon Feuerwerken (das 
längite). 3. Vom Geihüg. 4. Bon Uuadranten. 5. Von Ladungen, Feuer: 
fugeln, heimlihem Schriftverkehr u. dgl. 6. Vom Proviant. 7. Unerhörte Kriegs— 
rüftung ins Feld. (Streitwagen, Mörjer?) 8. Bon Wagenburgen. 9. Von 
Kundſchaft und Wacht. 10. Bon Kriegsliſten. 11. Von Verſchwiegenheit. 


1) Auf dem Aufriß des Turms, der dies Kapitel ilfuftriert, fteht die Jahreszahl 1572 mit dem 
Monogramn H. W. (vermutiih „Hans Wulff“, wohl ein Sohn Veits.) 





544 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werke. 


Das hier nur abgefürzt gegebene Inhaltsverzeichnis hat einen 
jehr ausführlichen Wortlaut, in welchem die Beziehungen zu der 
Handichrift C. 62 deutlicher hervortreten. Uberall jpielt das „geheim 
nuz“ eine große Rolle, jogar beim Proviant. Ganz nahe aber jteht 
dem Manujfript C. 10 eine dritte Dresdener Handichrift (C. 363), 
welche im Stataloge bezeichnet iſt als „Veith Wolff von Senfftten 
berg, dijer zeit der jtatt Danzigk Zeugmeijter, hHandtbiechlein vnnd 
außzug von jeinen (Kriegs)Erfindungen“. 

Nur das Kapitel von den Bergihlöfiern fehlt, und die Neihenfolge der 
Gegenjtände ijt in einigen Punkten geändert, jo daß man behaupten kann, in 
diefem „handtbiechlein“, das übrigens ausgezeichnet jhön auf 173 Pergament: 
blättern hergejtellt und mit trefflichen farbigen Malereien geihmüdt ijt, den weſent— 
lichen Inhalt der Stratagemata zu bejigen. (Der Einband jtammt v. 3. 1677)- 

Der Hauptjache nach it das Werk durchaus artillerijtijcher 
Natur und ftimmt z. T. wörtlich mit zwei anderen Werfen Neit 
Wulffs überein, nämlich mit dem „Kunjtbuch von Kriegsjachen“ in 
der Defjauer Bibliothef und der „Kriegs: und FeuerwercksKunſt“ in 
Berlin, welche unter „Waffenkunde* näher zu bejprechen jind 8 51. 

In jeiner Borrede jagt Veit, da er mit Augen gejehen, wie der Türf 
jo gewaltig eindringt; er hofft, diejen böjen Feind mit feiner Kriegserfindung 
ganz leicht zu jchlagen; denn fie gejtatte, mit dreißigtaujend Mann weit mehr 
zu leiſten, als jonjt mit fünfzigtaujend. 

Er bringt zuerjt einen notwendigen Bericht auf alles Gejhüg: Geſchüß— 
arten. Won der Metallmifhung und dem Gießen der Geſchütze. Von Stein- 
büchien, Feurbüchſen und Feurkatzen (d—5 Schuh lang, um Feuerkugeln in die 
Weite zu jchießen). — Von Duadranten (24 Arten). — Hebe- und Yupfzeug. — 
Bon der Feuerwerderei: Sturmfugeln u. dgl. Sprengkugeln. „Wiewol ge 
meinem braud nach alle fuglen rund gegofien werden, jo mag id) doch ratben, 
dab man jy etwas lenger dan gar rund gieße, jo faſſen ſy fo vil deſter mer 
feurwerd zeug zum anzünden oder dejter mer puluer zum jprengen vnd geen 
gleich jo gewiß als die runden... Allein die größten jchweren, da wil ſich die 
pberlengung nit jo wol jhiden; dan die mortier würden zu hoch werden. Aber 
an alle mad) gute dide jtarde köpff“. (Die überlengten Kugeln jind ovale, doch 
etwas zugejpigte Geſchoſſe. Sämtlihe Sprengkugeln aber jollen vorn ftärter im 
Metall jein, als hinten). Schlagende Mort Spreng Kugel. (Die Zünder ragen 
außerordentlich weit, jtangenartig, heraus. Einer Darjtellung — Bl. 65b — 
zufolge, empfangen jie ihr Feuer vom Mörfer jelbjt). Am bejten find die Spreng— 
fugeln ohne „Schläge“, die nur Pulver füllt; für Brandgejchofle dagegen iſt es 
gut, daß „in fich jelbit mit jchlegen weren können“. Sturmtugeln mit Fußeiſen — 
„Die Mortier mögen wol der wellt jchreden genennet werden; dan darmit gibt 
man allem jchweren geihüg vrlaub. Vnd fan mit worten nit bejchriben nod 


4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlaht vor Nieuport 1600. 545 


außgeſprochen werden die nußbarkeiten, jo darinnen verborgen liegen“. — Eine 
Feſtung bedränge man „mit jtetem einwerffen vnd haglen, mit anzündfuglen vnd 
ſprengkuglen . . tag vnd nacht, daß fein aufhören mer da jei mit empſigem 
haglen, daß der luft immerzu voll fuglen fliege dv. der Himmel feurig jcheine, 
al3 ob der iungjte tag vorhanden, daß man den leuthen nit rum noch ficherheit 
laſſe weder zum ejjen noch ſchlaffen . . . Kein ſtatt ijt jo veft, ſy würde mit jolcher 
gewallt in 2 tag vnd nechten zur ergebung getrungen. Man bedarff fein jchwer 
gejhüg mer; man darff nit jtürmen; es wirt des volcks verihonet”. — Mörſer— 
arten [vgl. $ 51]. Bon hHülken Mortieren. Hülgerner Werfzeug der Alten, 
„wäre zum Feurwerck zu brauchen, um pulver zu jparen“. (Derjelbe wie bei 
Frönsperger [$ 32). Die Gefäß der mortier. (Nah „Graff Reinhart v. Solms 
in jeinem großen buch“). „Vberſchlag wievil mortier ein herr zu einem gewaltigen 
Beldtzug mit fileren möcht“: Hundertvier mortier (4 Draden, 10 Greifen, je 
20 Salamander, Löwen und Wölfe nebjt 30 Meerkagen), wiegen 1385 Ztr., d. h. 
wenig mehr als halbjoviel wie 42 Mauerbreder. Wieviel würde da an Pferden 
eripart! Und wieviel größer wäre die Wirfung! Und zwar nicht nur gegen 
Befejtigungen, jondern auch gegen Reiſige und Fußknecht. Ein Herr brauche an 
Rohrgeſchützen nur noch Meine Kaliber mitzuführen. Offenbar find die Mörjer 
das Urcanum, von weldhem Beit Wulff den leihten Sieg über 
die Türken erhofft. „Pit nit müglich, daß jy davor fünden beſteen“. — 
Vom Hagelgeſchoß [$51]. Hagelfeuerwerf, durch Pratzüge mit Hilfe von 
Feuerſchlöſſern aus der Entfernung zu entzünden, bei. zur Pahpverteidigung. 
(Käften, bzgl. Wagen mit vielen Rohren). — Alte geflügelte Kugeln, Stangen 
tugeln, Kettentugeln. — Bom Untergraben. Pulverminen und Gegenminen. 
Unterirdiiher Kampf in den Gallerien. Dauernd vorbereitetes Minenjpitem, 
eventuell als einzige Befejtigung einer Stadt. — Durch Uhrwerk in Tätigkeit zu 
jegende Sprengwerfe [$ 51). — Bom Schanzen. Schanztörbe. Fußeiſen. — 
Bon dem „Bergifften“ it nur gegen Türken, nicht gegen Chriſten anzu— 
wenden. — Bom Münzen. — Bon der Brofandt. — Bon Schlaffen 
machen. — „Vber veldt verborgenlic jchreiben, reden und geheim wortzeichen 
geben“. (Sehr mannigfaltige Anweifungen zur Telegraphie und Krypto— 
graphie). — Bon jtreittfarren vnd jtreittwägen. [$ 51. Deſſauer Handichrift]. — 
Gebirggeſchütze. [Ebd. Berliner Handſchrift). — Bon den Fuhfnechten und den 
Neifigen. (Die Darftellungen find 3. T. identifch mit denen oft Ammans in 
Frönspergers Kriegsbuch [$ 32).) — Bon Wagenburgen. (Stimmt im wejentliden 
mit dem Inhalte des betreffenden Kapitels im Buche von den „probierten Künsten“ 


itberein [$ 44]). Bom Lagerjhlagen. — Schwimmgürtel. — Bon Kundſchaften 
und Wacen. — Etliche Stratagemata. — Bon Verſchwiegenheit. 


Außer diefen Dresdener Handichriften und dem jpäter zu er 
wähnenden, noc) mehr auf den rein artillerijtiichen Kreis bejchränkten 
Arbeiten Beit Wolffs in Dejjau, Berlin und Paris, bejigt das Berliner 
Kupferjtichfabinet eine Sfonographie, welche ſich als eine Art Auszug des 
Dresdener Manujfripts C. 62 erweiſt. Diejelbe beginnt mit den Worten: 

Zähns, Geſchichte der Kriegswiſſenſchaften. 35 


546 Das XVI Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswijjenichaftliche Werte. 


„Volgen in dieſem geh. Buche gewaltige Stratagemata, Friegslieit, 
newe Erfindungen In Kriegsjachen wunderbare Rathjchlege zu gebrauchen. 
In Feindesnöthen jehr zutreglich, darob ſich zu uorwundern it“. 

Auf dem 2. Blatte heißt es: „Betreue Warnung an die Chrijtliche Oberteit. 
Dieweill wyr tegli vor augen jehen vnd wol merden funnen, daß jich der 
Sathan mit jeinen lijtigen Machometiſchen anſchlegen und practiten merden vnd 
jehen lejt, demnad wol achtung und gutte zuuerfiht von noten fein will vnd das 
man ſich in zeitt des fridend myt allerley notwendiger rujtung von Injtrumenten 
vnd ander munition gefafjet mache, wie in diem Buch genugjam angezeygt und 
vermeldett. Iſt das pillich diefe Dinge alle zeitt bey einer Statt in forrot jein 
follen, da8 man dasjelbe in zeitt der Not zu gepraudgen fortin habe“. — Der 
Inhalt ift im Großen und Ganzen der folgende: 

1. Bon Beuejstung der Stette, (Einrihtung der Türme u. ſ. w.) 2. Bon 
Sturm der Stette (u. a. Sprengfijten zur Verteidigung). 3. Bon Ausfallen 
zum Scharmigell (Streitfarren, Sprengfiften, von gutter Kundſchafft, Schlaffraut, 
von Untergraben, Feindt auff ein pruden bejchedigen, Sprengkiſten, Feuerſchießen, 
Hole Kugelln). 4. Auff alles Geſchütz ein nüßlih, notwendiger Beriht (Spreng— 
fugeln, Hebzeug, Feuerpfeile). Den Beſchluß macht auc bier die Darjtellung 
eines Boten mit einem Sprengbriefe, der ſich als mit einem Bindfaden durdnäbt 
zeigt. Dazu ift folgende Erläuterung gegeben: „Man lejt ſich ein Heines flaches 
eijernes fejtlein machen mitt einem flachen feierichleslein, wie man die wederlein 
an den urlein machett, jo wirt den das jchnelfederlein mit einem jchnirlen oder 
mitt einem bindtfaden auffgewunden. Dasjelbe kiſtlein wirtt denn mitt vergiffter 
Schmir gejhmiret vnd mitt ftardem puluer gevüllet, denn wirtt das kiſtleinn 
in einen pußchen briff eingewunden, das dan, warn man das jchnirlein enzwen 
gejchnitten, jo feueret das Schleslein vnd zerjpringt das kiſtlein und jchleget den 
zu todt, der den faden auffichneidet. Damit fan man aud) einem ablonen, der 
nicht gut Stetiſch ift“. 

S 31. 

Sehr charakteriſtiſch für die Zeitverhältnifje iſt der militäriſche 
Teil eines fürjtlichen Handbuches, nämlich des jog. „Oekonomiſchen 
Statshaushalts* des Yandgrafen Wilhelm IV. von heſſen (1561 
bis 1592), den die Ständijche Bibliothek zu Kafjel bewahrt. (Ms. hass. 
qu. 41). Jener Teil führt den Titel „Kriegshandell, Cautela, d. 1. 
etliche Hoch nothwendige Punkten, die ein jeder Kriegsfürſt wol und fleißig 
in acht haben joll*. — Landgraf Wilhelm war ein Mann des Friedens: 
die8 und eigene traurige Erfahrungen, ſowie die Ahnungen einer 
fünftigen Schredengzeit hört man aus jeinen Worten deutlich heraus’). 





1) Bol. Schlee: Zur Geſchichte des befiiichen Kriegämejend. Die Zeit bis auf Morig den | 
Gelehrten. (Btichr. d. Vereins f. heſſ. Geich. u. Landeskunde. N. F. I, Kaſſel 1867.) — Ein zweite: 
Manuikript des „Olon. Statshaushalts“ bewahrt dad Archiv zu Marburg. 


4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht vor Nieuport 1600. 547 


„Der Krieg iſt das abſcheulichſte Ding, weil in demjelben alle Sottesfurdt, 
gut Gejeg vnd Ordnung niederliegen; die herrn vnd fürjten müſſen von ihren 
eigenen Kriegsleuten vnd untertdanen, vber die fie jonjt herrichen vnd gebieten, 
viel Hohn vnd Ubermuth leiden vnd ihr knecht fein vnd thun, was jie wollen, da 
in friedens zeitten fich fonjt Jedermannig dero Herrn gebotte verhalten muß. 
Es iſt aud) nunmehr jo weit fommen, das der Herr jeine eigerte bejtelte hofdiener, 
ja Koche, Beder vnd Schenken, bejolden muß, Und da er nicht einem jeden gibt 
vnd thut nad jeinem Gefallen, werfen jie fluchs den Sad vor die thür, begeren 
urlaub, hinweg zu ziehn. Uber das ijt die Bejoldung, beide unter Reutern vnd 
Knechten, jo hoch gejtiegen vnd die untreu jo groß, dab fein Herr den Strieg 
mehr erjhwingen kann; dazu das man gleich monatlich wol bezahle, laſſen jie 
doh ihr meutern vnd beuten nicht vnd dürfen wol, wie wird jelbjt erfahren, 
dem Kriegsherrn die Buchſen vnter die najen halten, wo er ihnen das Plündern 
vnd rauben der armen leut vnd ihren mutwillen vnderjteht zu wehren. Zue dem 
andern wirdt durd) den Krieg Landt vnd Leute verheeret ... Darum unter 
allen umjtänden den Krieg zu vermeiden“... Sei das aber durchaus nicht 
möglich, fo jolle der Fürft die hohen Ämter mit ihm gleich gefinnten Männern 
und wenn es irgend angeht aus feinen Untertanen bejegen; er jolle dem Gegner 
ind Yand fallen, jein eigenes Gebiet vom Kriege freihalten; „denn der Borjtraich 
iſt Goldes werth!“ Das verfammelte Volk jei jchnell und entſchloſſen zu brauchen ; 
darin liege zugleich der bejte Schuß gegen Meuterei. Der Kriegsherr jelbjt gebe 
ein gutes Vorbild jtrenger Haltung und Genügjamleit; er behalte die Ober: 
leitung perjönlih in der Hand; er jei gerecht und gnädig und vor allem laſſe 
er fein Volt „nicht leichtlich zertheilen, dann das hat ofjt großen jchaden ge- 
bracht“. Im Felde „vbernehme der Fürſt ſich nit mit jo viel grobem Geſchütz: 
denn dardurd) ijt ehemal einer aufs maul gejchlagen, aud) viel guter gelegenheit 
verfäumt worden“). Jedes Bedenken jeiner Unterführer joll der Kriegsherr im 
Rat oder aud) privatim ruhig anhören und „niemand derohalben vber die naje 
fahren“; aber was er bejchlojjen hat, das joll er nur mit den Vertrautejten be- 
reden und all’ jeine Sachen auf's Höchſte geheim halten. Sorgfältig joll er auf 
gute Kundichaft halten, doch weniger durd Berräter als durch Streiftruppen. 
In der Schladht joll der Fürjt nicht alle Truppen auf einmal einjegen, jondern 
einen Rüdhalt von Reitern und Schügen in der Hand behalten, um dem Gefecht 
gute Wendung geben zu fünnen. Bor eine Feitung ſoll man fid) erjt lagern, 
wenn man das gejamte Zeug, dejien man zum fürmlichen Angriff bedarf, bei ſich 
bat. Ergebene oder Gefangene find nicht mehr Feinde, jondern clientes und 
dürfen daher nicht höhniſch oder tyrannijch behandelt werden. Brand und Ver— 
heerung der Feldfrüchte, durch welche Unjchuldige gejhädigt werden, find nie an— 
zuraten. Dem fliehenden Feinde joll man nicht den Paß jperren, fondern ihm 
eine „glubende (!) bruden bawen“, 





1) Unzweifelhaft bezieht fich bieje Bemerkung auf Bhilipps des Grohmütigen Feldzug gegen 
Karl V., zu welchem der Landgraf ſehr viel ſchweres Geſchütz mitgejchleppt hatte: icharie Metzen von 
72 tra. Gewicht, die von 32 Pferden gezogen wurden, ſechzigpfündige Kugeln ſchoſſen und 23 Munitione: 
wagen brauchten, ferner vierzigpfündige Kartaunen u. dgl. m. 
35* 


548 Das XVI Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


Nach diejer allgemeinen, in 26 Abjchnitte gegliederten Betrachtung 
folgt dann: „Kriegs Stadt vndt Cojtenn, id est Ein Anſchlagk, Was 
einem Kriegsheren Monatlich auf die hohe Ampter zu Roß vnd Fuck, 
item auf die reijigen vnd Fußknechte, geichug und munition vfgehet. 
Sampt einem Anjchlag auf 4000 Pferde, 30 fenlein Landsknecht und 
34 Stud gejchuzes, jampt jeiner zugehör, wie diejelben in den zweyen 
veldtzugen Anno 1546 vnd 1552 find vnderhalten wordenn“. 

Der Landgraf rechnet monatlich): Unterhaltung derer jo auf des Feldherrn 
Perjon gehören: 2497 Gulden; hohe Amter der Neifigen 1400 Gulden, Bejoldung 
einer Reuterfahne von 300 Pferden 4922 Gulden; hohe Ämter des Fußvolks 900 
Gulden; Bejoldung eines Fähnleins von 400 Knechten 2366 Gulden; Artillerie 
(Geihüg, Wagen und Bejoldungen) 8970 Gulden. 

Daran reihen fich noch Überfichten einiger Einzelheiten: 

Material und Koften der Lafetierung (Fajiung und Beichlag) dei Ge- 
ſchützes. — „Bedenken wie auf den Fall der belägerung die jtat Gafjell zu be 
ſetzenn“. — Commißanſchlag des Proviandes. 

Überblickt man den ganzen „Kriegshandell“, jo erjcheint als eigen- 
artig eigentlich nur die traurige Schilderung des Verfalls der deutichen 
Mannszucht. Im übrigen bringt die allgemeine Einleitung vorzugs— 
weile antife Neminiszenzen, der jpezielle Teil aber adminijtrative Zu: 
Jammenjtellungen, die bereits ein VBierteljahrhundert alt find. 


8 32. 


Wenn von der deutjchen MilitärsLiteratur des 16. Ihdts. die 
Rede ift, jo zeigt es ich, daß ein Name fajt jedermann geläufig it, 
ein Name, der das weniger verdient als die meisten andern, der aber 
nichts deſtoweniger jo typijch geworden tjt und eine jo jtarfe Vor— 
jtellung erwedt, daß neben ihm fajt alle andern vergeſſen find, es iſt 
der des Lienhard Frönsperger'!). 

Frönsperger wurde zu Ulm geboren und jtarb dort aud im Mai 1575. 
— Das Bürgerbucd der Neichsftadt nennt ihn „Freundtiperger“. Schon als 
Knabe lernte er das Kriegsweſen fennen, diente 1535 bei der Belagerung von 
Marjeille, 1541/1542 bei den Belagerungen von Ofen und Reit, war 1552 bei 
dem faijerlihen Heere in Frankreich Zeugmeijter, jtieg während des Türfenfrieges 
i. J. 1566 zur Würde eines „Feldgerichtsſchultheißen“ empor und lebte jpäter 

1) Ach jchreibe „Frönsperger“ obwohl auf den Titeln feiner Bücher die Schreibart „ronäperger” 
häufiger ift. Erftlid aber ipricht die Eintragung „Freundtsperger* im Bürgerbuch von Ulm dafür, 
dab dieje Namensjorm im münblichen Verkehr die übliche war, und zweitens hat jie den Vorteil, dur) 
den Klang jchon die faft unausrottbare, unausſtehliche Verwechslung mit Frundsberg möglichft aus 
zufchließen. 


4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht vor Nieuport 1600. 549 


als „taiferl. Provijioner“, d. 5. er erhielt ein Wartegeld, das ihm auf das Wengen 
tHojter in Ulm angewiejen war. 


Die literariiche Thätigfeit Frönspergers beginnt 1552 mit Heraus: 
gabe der „Katjerl. Kriegsrechte* [8 103] ?). Diefem Werke folgten 
die „Fünff Bücher von Kriegsregiment und Ordnung“. 
(Frankfurt a. M. 1555, 1558, 1564, 1566)?), eine lediglich fompila- 


toriſche Arbeit. Sie enthalten: 

I. Bud: „Von Stat, Ordnung, Ampt vnd Beueld des General- 
Oberjten und auch anderen befehlsleütten“. Dies iſt ein jehr ungenügender 
Abriß des Amterbuches [8 19). „Bericht, was in ein Zeughauf gehört und 
erfordert” — aus Helms Bud) vom Zeughausbau und dem artilleriftiihen Teile 
von Otte Preuß’ „Kriegsordnung“ flüchtig zufammengejftellt [$ 44 und $ 12]. — 
U. Bud: „Bon Bericht vnd anzeygung was die Ardelley vnd Munition be— 
trifft“. Größtenteild aus Ott-Preuß und dem „Buche von den probierten Künjten“ 
entlehnt [$S 44). — IH. Bud: „Bon dem gangen Reyjigen Zeug“. Eine 
etwas erweiterte Wiederholung des betreffenden Kapitel® in Bemelbergs Ämter— 
buch. — IV. Buch: „Bon dem Staat, Regiment vnd Ordnung der Landts— 
knecht“. Desgleihen; doc, ift der juriftijche Teil, der fi) an Amt und Befehl 
des Profoſen anknüpft, eigenartig durchgearbeitet. — V. Bud: „Bon Staat, 
Negiment vnnd Ordnung einer Bejakung oder Schlöſſer“. Gin Abdrud des 
betreffenden Kapitel3 aus Ott-Preußens Kriegsordnung, dem am Schlufie einige 
wenig bedeutende praftifche Winke hinzugefügt find, die offenbar teilweife eigener 
Erfahrung entjtammen. Daran reihen fit) „Bemeyne Streit Negeln“ aus 
dem deutjchen Vegetius, ſowie die „Leer, jo Keyjer Marimilian in jeiner 
jugent zugejtellt ijt“. — Als Anhang folgt den fünf Büchern eine „Leer aller 
Kriegshändel, einem jeglihen Kriegsmann dienjtlid) vnd von nöten zu 
wiſſen“. Es ijt das cin einfacher Abdrud von Buſtetters „Ernitlihem Bericht“ 
[8 10]. Gemwidmet ijt diefe Kompilation dem „Herrn Chriſtoffen Herkogen zu 
Württemberg vnnd zu Tegkh“. Die ſchönen Holzichnitte, welche das Buch ſchmücken 
und die verfchiedenen Ämter darjtellen, find nad Zeichnungen von Virgilius Solis 
hergeitellt. 

Diejem Sammelwerfe ließ Frönsperger zunächjit wieder zwei 
militäriſche Werfe folgen: 

Von Geſchütz vnd Fewrmwerd wie dasjelb zumerffen vnd 
jchießen; auch von gründlicher zuberaitung allerley gezeugs . . Das 
ander Buch. Bon Erbawung, erhaltung, beſatzung vnd pro- 
fantierung der wehrlichen Beuejtungen... (Franff. a. M. 1557 


und 1564)°). [$ 47 und 8 117). 


1) Bibliothef des Berliner Beughaufes. ) Ein Eremplar von 1555 in der Bibl. b. Gr. General. 
ſtabs, eins von 1558 in der Bibliothef des Berliner Zeughauſes (A. 20) und in der Dresbener Bibl., 
eind von 1564 im Berl. Zeughauſe (A. 28). 

3, Im Beſitz des Verfafiers. 


550 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine friegswifienichaftliche Werte. 


Eine Abſchrift dieje8 Doppelwerted, das in den Kapiteln über Artillerie 
und Befejtigung näher zu würdigen fein wird, findet jich in der Münchener Hoi- 
und Stat8-Bibliothef und galt bisher als eine Driginalarbeit de Augsburger 
Bürgers Chrijtian Diek v. 3. 1582 (cod. germ. 3675). 

Beſatzung. Ein furger Bericht wie Stadt, Schloß vnd Flecke 
mit Kriegsvold joll bejett jein, daß fie fich vor dem Feinde erhalten 
mögen, mit Außtheilung, was einem Menjchen jeden Tag an Brod 
vnd Fleiſch, dergl. was jedem Pferd an habern joll gegeben werden“. 
(Frankfurt a. M. 1563 und 1564) }). 

Diefe Heine Schrift, die in der Ausgabe von 1564 den Titel „Bericht 
von einer Bejagung wegen Proviant, Commihordnung und Fütterung“ 
führt, ift eine Bearbeitung der betr. Abſchnitte aus Otts von Achterdingen 
„Kriegsordnung“ [$ 12]. 

Hierauf gab Frönsperger ein moraliiches und ein bautechnijches 
Buch heraus: „Lob des Eigennutes* (Frankfurt 1564) und „Baw— 
ordnung vnd Handwerfsgerechtigfeit” (Frankfurt 1564). Dann aber 
faßte er jeine jämtlichen militärischen Schriften, indem er fie zugleid) 
erweiterte und ergänzte, zu jeinem befannten Kriegsbuche zujammen, 
welches drei jtattliche Foliobände umfaßt?). — Der Titel des 1. Bandes 
lautet: Kriegßbuch, erjter Theil. Von Kayjerlihen Krieg# 
rechten, Malefit vnd Schuldthändeln, Ordnung vnd 
Negiment jampt derjelbigen und andern hoch oder niderigen Befeld, 
Beitallung, Staht und Empter zu Roſſz vnd Fuß, an Geſchütz vnd 
Munition n Zug vnd Schladtordnung u. j. w. In zehen 
Bücher abgetheilt, dergleichen nie ijt geiehen worden, von neuem be 
ichrieben und an tag geben durch Leonhart Fronjperger. (Frank 
furt a. M. 1566. (Zweite Aufl. 1571.) 

Das Bud) eröffnet die Widmung an Kaiſer Marimilian II., d. d. 2. Jan. 
1565, der fich eine „Vorrede an den gutwilligen Käfer“ anſchließt. Dann folgen: 
1. Buch: Bon den Keijerlihden Kriegßrechten, Schultheifien, Gerichten, 
Schreiber vnd Weybeln jampt den Artideld Briefien vnd vmbfragen, verbannung 
der Rechten, auch wie man zu Gericht verkfündt, fürbieten, anflagen, Red vnd 


Antwort geben joll, jampt dem gefangenen Armen vnd der langen Spieß Redt 
ordnungen, u. j. w.“ — BI. 1—830 der Ausg. von 1566 [$ 103). 


UI. Bud: Von Auff vnd abforderung Land, Leut oder Stätt 
wgealt ummzujhlagen vnd zu mujtern, Auffwickler zu vertreiben vnd jtraffen, 


ı) Beide Ausgaben in ber Bibl. Hauslab-Liechtenftein zu Wien, bie von 1563 im Berliner 
Beughaufe (A. 22). 
2) Bibl. d. Er. Generalftabs zu Berlin. 





4. Die allgemeine Literatur bis zur Schladt vor Nieuport 1600. | 551 


auch friden, auffjhub vnd anjtand zwijchen Feinden zu machen, von Quartieren, 
Läger vnd Loſamenter zu jchlagen, jampt Zug vnd Feldihladtord- 
nung zu jtellen, Staht vnd Bejtallung der Oberjten jampt Hohen vnd niedrigen 
befelh u. j. mw. — Bl. 31—68 [$ 81 und 103]. Als Vorrede diejes Buches hat 
Frönsperger die von Bujtetters „Bericht“ verwendet [$ 10]. 

 — DIE Bud: Bon Kriegs-Regiment, Staht vnd Ordnung, was 
zu anfang eines Kriegs zu erwegen, deigleihen von Hohen vnd nidrigen befeldhen 
zu Roſſz vnd Fuß u. j. w., auch vnder was Regiment ein jeder gehörig fei. — 
BL. 69—86 [8 19). 

IV. Bud: Bon der Ardelley Geſchutz vnd Munition, aud 
was in ein Zeughauß von nöten, ſampt furger Rechnung, Kugel, Pulffer, Lot 
vnd Kraut, au an Pferden, Wagen, Schiffbrüden u. j. w. jampt der ämpter 
vnd Bejoldung, Artidel3 Brieffen und anderen Freyheiten. — Bl. 87—112. Es 
ift im ‚wejentlihen eine Wiederholung des artilleriftiihen Inhalts der oben 
charakteriſierten „Fünf bücher“. 

V. Bud: Bon der NRitterjhafft, Adel vnd Reifigen zeug, Feld— 
marjhald, Hauptleuten, Rott, Quartier- und Wachtmeijtern, Profofen u. ſ. w. 
ſampt Artidelsbrieffen und Bejoldung. — Bl. 113—123 [$ 93). 

VI Bud: Oberjter Hauptleuteu, Leutenant, Fenderichen, Feld: 
und gemeinen Weybeln, Führer, Führier, Schreiber, Capplan, Feldichärer, Tra— 
banten u. f. w. und gemeinen Landsknechten Befeldh, Ampt und Eyd. — 
Bl. 124—143 [$ 19). VBgl. über die Bücher I bis VI. $ 1083. 

VO. Bud: Bon Befagung vnd Gebäum der wehrlidhen Bes 
fejtungen, welder maßen die in Ordnungen, Artidel vnd Geſatz jampt Hut 
vnd Wacht zu halten jeyen. — Bl. 144—170. | 

VIII. Bud: Bon Geſchütz vnd Feuermwerf, wie dasjelb zu werffen 
und zu jchießen; aud) von Zubereitung allerley Gezeugs u. j. w. — Bl. 171—199. 

(Die Bücher VII und VII find einfache Wiederholungen von Frönspergers 
Doppelwerk von 1557.) 

IX. Bud: Bon den Meer-See-Schiff- oder Waſſer-Kriegen 
u. j. w. — Bl. 200—215 [8 102]. 

X. Bud: Notwendige Ordnung, Artidel, Lehr vnd Betrachtung manderley 
rend, lijt, geihwindt oder behendigfeit. — Bl. 216—231. Es ijt 
das Bujtetterd „Ernſtlicher Bericht“ [$ 10], unter Weglafjung von vier kurzen 
Abſchnitten. 

Anhang: Gemeine Streitsregeln (nach Vegez). Lehr, ſo Kaiſer Max zu— 
geſtellt XXV. 8 37). Geiſtliche Kriegsordnung [$ 15). — Bl. 232-256. 

Dieſer erſte Band des Kriegsbuches war offenbar urſprünglich 
als ein in ſich abgeſchloſſenes Kompendium der Kriegswiſſenſchaft 
veranlagt worden. Die beiden, ſieben Jahre ſpäter herausgegebenen 
Bände ſind nur Ergänzungen und weitere Ausführungen einzelner 
Teile desſelben und ſind, auffallenderweiſe, nicht wie jener in „Bücher“ 
gegliedert. — Ihr Inhalt iſt der folgende: 


552 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


Kriegkbud, ander Theil. Bon Wagenburgf vmb die 
Beldleger. Wie man die jchliegen, ſich darein verjchangen, wieder 
auffbrechen, vnd ein Statt oder Feſtung mit Vortheil belägern, 
vmbſchantzen vnd vndergraben joll: Auch welcher geitalt Stätt, 
Schlöjjer vnd andere Gebäum nützlich mögen erbauwet vnd 
verwahrt werden... Item von allerley Geſchütz und Feuwer— 
werd... An Tag geben durch Leonhardt Fronsperger. Frkfrt. a. M. 1573. 


Das Bud eröffnet eine Widmung an König „Rudolff von Bngern“, welche 
faft jämtlihe hervorragende Kriegsleute damaliger Zeit, bejonders die Deutichen 
als Gewährsmänner Frönspergers aufzählt und den Wert der Kriegswiſſenſchaft 
und des Studiums zu erhärten verſucht. „Wie man von dem treffenliden vnd 
mächtigen Nömer Lucio Lucullo jchreibet, der jein lebenlang feinen Krieg nie 
geübet noch gejehen bat, dod) da er wider den Wllergewaltigiten vnd jtarden 
König Mithridatem von den Römern zum Feldtoberſten enwählet und in Aſien 
geihicdt ward, am hineinziehen, allein durch läjen, des Krieges jo gute erfahrunge 
empfienge, daß er mit geringer anzahl Volcks Hochgedachten König Mithridatem, 
der wol anderthalb hunderttaufend Mann jtard vnd den Römern vor ofit obge- 


(egen war, vberwunden vnd ſchlug.“ — Der Widmung folgt Frönspergers 
Bildnis: etivas breitipurig mit wetterhartem Charafterfopf. Die Beifchrift lautet: 
Dip GContrafect zeiget dir an Welcher auch Hat drey Bücher gmadt 
Einen wolbefannten Kriegsmann, Bon Kriegßrecht, Zügen vnd Feldſchlacht, 

Leonhart Fronsperger genannt, Sp vorhin nie kamen an Tag, (?) 


Welcher in nad) und ferrem Landt Wie fein jelb8 Werd bezeugen mag. 
Manchem Hehrzug beygewohnet hat Welchs lob noch wehret dieje jtundt, 
Mit habendem Befeldy und Naht, Daß er aljo mit feinem pfundt, 
Damit Keyjer, König vnd Herrn Bon Gott gegeben gwuchert jebr; 
Sedient, jhnen zu Triumpff Ehrn, Der erhalt jhn in Glüd vnd Ehr. 

Daran jchließen ſich noch einige andere Reime und ein „Eingang“, der das 
Ihema vom Wert des Kriegsitudiums weiter ausführt. — Nun folgen: 

1. Ein nütlicher vberjchlag der Ardelley. — Bl. 3—18 [$ 52 und 12] 

2. Was monatlichen auf ein Regiment Fußknecht bejoldung laufft. — 
Bl. 19—21 [8 103). 

3. Von erbawung der Währlihen Befeitungen. — Bl. 22—35 [$ 117 
und 119). 

4, Ander Form eines vberjchlags der Arckelley. — Bl. 36—52 [$ 12 und 52). 

5. Beriht der Wagenburgen. — Bl. 52—69 [$ 100 und 81). 

6. Bon dem Nek oder Garn, einer Art gejchwinder Verihanzung, die 
Alfonjo de Ulloa erfunden. — Bl. T1I—T2. — Es ift das ein prismatiſch zuſammen— 
gelegter Nahmen, der mit Netzwerk von jtarfem Leinen überzogen ijt und, wenn 
er hingeworfen wird, auf einer Seite ruht, die beiden andern aber in die Höhe 
wendet. Mehrere jolcher Rahmen werden mit eijernen Stetten verbunden und 
jollen einen fiheren Schuß gegen die Anfälle der feindlichen Reiterei gewähren. 


4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht vor Nieuport 1600. 553 


7. Herzog Philipjen von Eleue Kriegbordnung — Bl. 73—97 
[XV. $ 38). 

8. Kriegßbuch von Geſchütz vnd Feuwerwerck, Mathematifcher, Ge o- 
metriſcher Arckelley. — Bl. 97—143 [$ 52 und 42). 

9. Von Gebäumwen jampt vnderhaltung der Zeuchhäuſer und Munition. 
Bl. 143—187 [$ 52 und 42). 

10. Büchfenmeijterei. Bl. 187—227 [$ 52 und 42]. 

Der 3. Band führt den Titel: „Kriegkbuch, Dritter Theil. 
Bon Schangen und Befejtungen vmb die Feldtläger... Auch 
von Ritter: und Neutter-Nechten.. Bon Zügen vnd Schladt- 


ordnungen u. ſ. w. Frkfrt. a. M. 1573. 

Diefer Band ijt dem Markgrafen Georg Friedrih von Brandenburg ge- 
widmet, wozu den Verfaſſer „jonderlicy die ftattliche Hochberiimpte Heros, jo auf; 
dem hochlöbl. Churfürſtl. Hau Brandenburg erborn“, bewegt, jowie die Hoffnung, 
durch des Markgrafen Namen jein Wert zu jchügen, „gleichwie man in einer 
Feldſchlacht Ordnung die Fändlein vnd einfachen Knecht mit Doppelföldnern vmb 
befierer Verwarung willen bededt und umbgibt“. — Der Inhalt ijt der folgende: 

1. Des Generals VBermanung an den gangen Hauffen in Heimen. — 
Bl. 2—4. 

2. Kriegs Ritter oder Reutter-Rechtens gebraud. — B1.5—18[$ 103). 

3. Feldtordnung oder Artidel über Teutſch Kriegsvold zu Roß und Fuß. 
— 81. 19—27 [$ 103). 

4. Beinlih Halßgericht des. d. Kayjer Carlos V. — BI.28—61 [$ 103). 

5. Beuelh vnd Ampter. Bilder und Reime. — Bl. 62—101 [8 103). 
Den Beſchluß maächt das Bildnis Frönspergers mit folgender Beichrift: 


„Ber erlange:ı wil lob vnd ruhm, Ehrnfreudigfeit, wachbar vnd rund, 
Der jchlaff nit in jeinem eygenthum | Trew, mannlich mit Hertz, Handt vnd 
Vnd in Faulheit nicht Jubilier; Mundt; 
Sondern in fein Schild vond Helm | Dann aus der faulen Rott vnd art 
führ, Nie feiner zu eim Ritter ward.“ 
6. Artidel von den fürnembiten Beuelden vnd Äämptern eines 
Krieog. — DI. 102—123. Ein buntes Durcheinander der verjchiedenjten 


Dinge: Aufgaben und Pflichten der oberjten Führung, taftifche Einzelheiten, 
Behalten nad) der Einnahme von Feitungen. Wie es mit Kranken und Toten 
;u halten je. „Bon der verjtorbenen Erbgüter. Item von vnjauberkeit der 
Läger“ u. j. w. 

7. Bon Schantzen. — Bl. 127—132. [$ 119). 

8. Bon Feldtihlahtordnung. — Bl. 132—138: VBberlängte vnd 
geuierdte Schlahtordnung mit angehängten vier Flügeln vnd Schügen. [$ 81.) 
Karla V. Vermahnung an jein Kriegsvolf in Afrita. — Beſchreibung der Schlacht 
von Gerijolles 1544. 

9, Kriegbordnungdermitternädtigen Völker, als der Schweden, 
Norweden . . . Seeländer, Mofcowiter, Reihen u. ſ. w. — Bl. 139 —149. — 


554 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


Diefe Angaben über das Kriegsweſen der nordiichen Völker find den »Libri XXL 
de gentium septentrionalium variis conditionibus, statibus et moribus« 
entnommen, welche Dlaf Magnus 1555 zu Rom herausgegeben hatte. Die Auf: 
nahme dieſes Kapiteld in das deutjche Kriegsbuch ijt jehr merfwürdig; dauerte 
es doch noch ein halbes Jahrhundert bevor die Heere der jfandinaviihen Staten 
auf dem Boden Deutjchlands auftraten und dann allerdings dazu zwangen, ihnen 
ein jehr lebhaftes Intereſſe zuzumenden. 

10. Bon Schiff- und Wajjerfriegen. Bl. 150—162. 

11. Bon einer Bejakung. — Bl. 163—173. Eine Wiederholung der 
1563 jelbjtändig erichienenen Arbeit [S. 550). 

12. Bon etlihen rathſchlägen wider die Feinde des hrijtlihen 
Namend. — Bl. 176—197. Gharatterijtit der osmaniſchen Kriegsmacht und 
Mitteilung von Prophezeiungen und Vorbereitungen früherer Türkenfriege. 

13. Bon der Alten Kriegkordnung. S. 199—207. — Kritikloſe 
Bufammenjtellung einiger Angaben über das Kriegäwejen der Römer und der 
alten Deutjchen. Darunter: „König Hermanns IV. Sriegkordnung, welcher 
auß jein Teutihen das frecheit vnd dapfferjt vold in der gantzen Welt bat 
machen wöllen.“ Ferner „Bon den Streytbaren Kriegs Weibern vnd jrem Haupt- 
mann Fraw Hög“ u. dgl. m. 

14. Des Heiligen Römifchen Reichs Reutter Bejtallung und Artidel 
auff die Teutſchen Knecht. Bl. 217—224. [S 103.) 

15. Serti Julii Srontini Kriegsanjdhläge, durd den Keyjerlichen 
Poeten Marcum Tacium verdeuticht. — Bl. 225—282. [8 3.) 

16. Bon der Kriegshandlung. — Bl. 282—288. Auszüge aus den 
Gejegbüchern AJujtinians und „Gemeine Kriegsregeln“ aus dem III. Buche des 
Vegetius. [$ 103.] 

17. Kurzer Auszug von dem Jammer der Belegerung und Ber: 
jtörung der Statt Jeruſalem. — Bl. 288—231. 

18. Von dem berrlihen Bandet‘, welches der Soldan jeinen Capi- 
tanien zugeridt. — Bl. 232—299. 

19. Tas dritte Buch des achtbaren pnd wirdigen Herren Johannis Aventini 
(Thurmayrs). Von Urjahen des Zornes Gottes, wie fi) die alten Chriſten 
bierein geſchict und wie man ſich in Nöten verhalten joll. Won der Türken 
Herfommen. — Bl. 299—327. [8 24.) 

20. Doctor Luthers Bedenden vom Krieg wider den Türden. Ylnno 
1529 dem Landgrafen Philipp zu Helen zugeichrieben. — Bl. 328—341. [$ 24., 

21. Ein Hehrpredig des Ehrwirdigen Herrn D. Martin Luthers 
widerden@rbfeind der ganten Chrijtenheit, den Türden. - BI. 342—352. [$24., 

22, Etliche chriſtliche vnd ſchöne Gebätt in Kriegsnöten zu ſprechen. — 
Bl. 353—358. 

23. Rahtſchlag, wie ohne jonderliche Bejchwerde der Oberkeit vnd der 
Undertdanen der Erbfeind zu überziehen. — Bl. 358—362. — Dies iſt 
ein mangelhafter Auszug aus der gleichbetitelten Handichrift [$ 24). Eine gereimte 
Warnung vor den „12 Geſchlechtern der Trunkenheit“ ſchließt das Kriegsbuch ab. 


4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlaht vor Nieuport 1600. 555 


Überjchaut man das gejamte Werk Frönspergers, fo ift anzu: 
erfennen, daß es den Kreis der damaligen Kriegswiſſenſchaft nahezu 
vollftändig ausfüllt; wirklich dürftig und unzureichend iſt nur das 
Gebiet der Taktik behandelt. Ferner aber ijt nicht zu verfennen, daß 
das Werk nur zum allergeringften Zeile eigene Arbeit it; original iſt 
es Lediglich in einigen der militärjuriftiichen Kapitel. Und wenn 
Frönsperger, wohl infolge von Reklamationen, die gegen den erjten 
Band erhoben worden waren, in der Widmung zum zweiten Bande 
jagt: „Sonnjt dem habe ich; mich auch der bejcheidenheyt befliejjen, 
wann ich ein Stüd oder etwan ein gant Büchlein auf einem neumen 
Autore in dieje zwey letzte Theyl gezogen, daß ich mir fein frembde 
Arbeyt zujchreiben noch eygnen wöllen, jondern des Autord Namen 
mit löblicher meldung jeiner gejchidlicheit außtrücklich hinzugeſetzt“ — 
jo Hat er nach diefem PVerjprechen doch nur in den allerjeltenjten 
Ausnahmefällen, ja in einigermaßen deutlicher Werje eigentlich nur 
dem Herzoge von Cleve gegenüber gehandelt, deſſen Autorjchaft jo 
befannt war, daß jie gar nicht verjchwiegen werden Eonnte. 

Schon Laurentius hat in der Mitte des vorigen Jahrhundert darauf hin— 
gewiejen, dab Frönsperger die Kriegsordnung von 1530 dem 1. Theile feines 
Kriegsbuches ſtückweiſe, das meijte aber von Wort zu Wort dem 2. Teile ein- 
verleibt habe, ohne mit einer Silbe anzudeuten, daß hier eines anderen Arbeit 
vorliege, ja daß er jich offenbar geflifjentlicy bemüht habe, dem entlehnten Werte 
den Anjtrich feiner eigenen Ausarbeitung zu geben!). Dieje Bemerkung gilt nun 
aber noch von einer ganzen Reihe anderer Arbeiten, wie von Bemelbergs Ämter— 
buch, Helms Zeughausbud und Kriegskunſtbuch, Buſtetters Ernſtlichem Berichte, 
dem Rathſchlage zum Türkenkriege u. j. w. Schlimmer jedody al® das Ver— 
ihweigen der Verfaffernamen und der Quellen ift Frönspergers traurige Art, die 
benugten Originale zu entjtellen, u. zw. ſowohl dem Inhalte ala der Form 
nad. Cleves ſchöne Description ijt in dem jammervollen Auszuge Frönspergers 
wirfih nicht wieder zu erfennen. Gar nicht jelten iſt juft der bejte Kern der 
urjprünglichen Arbeit von ihm verfannt und bei Seite gelafien worden, und 
durchweg steht die Spradye Frönspergers unvergleichlich viel tiefer als diejenige 
feiner Vorgänger. Sein Deutjch iſt barbarijch, zumeilen jogar unfinnig. 

Welchen Nuten hätte der alte Feldgerichtsſchultheiß der Gejchichte 
unjerer Wiſſenſchaft bereiten können, wenn er jich begnügt hätte, Die 
von ihm gejammelten Abhandlungen unverändert der Neihe nach mit 
Angabe ihrer Herkunft zu reproduzieren. Er hätte dafür jo manches 
tortlafjen fünnen, was gar nicht in den Rahmen jeines Kriegsbuches 


ı J. G. Laurentius: Abhandlung von den Kriegsgerichten II (Altenburg 1757), dort findet 
ih auch eine detaillierte Bergleihung der alten Krieggordnung mit Frönspergers Kriegsbuch. 


556 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


paßt und (wie. 3.3. die Schilderung von dem Bankette des Sultansı 
den Eindrud leeren Ballaftes macht. — So großer Mängel ungeachtet, 
hat das Kriegsbuch einen außerordentlichen Erfolg gehabt. ES ver: 
dankt denjelben im erjter Reihe wohl, wie einſt des Vegetius Epitome, 
der relativen VBolljtändigfeit jeines Inhaltes, der freilich, bei einiger: 
maßen konziſer Ausdrudsweie und dem Unterlafjen mafjenhafter 
Wiederholungen, leicht auf ein Drittel des jegigen Umfanges hätte 
zujammengejchoben werden fünnen, dann aber auch den herrlichen Hol; 
jchnitten und Kupfertafeln von der Meiſterhand Joſt Amons. 

Die Holzſchnitte jtehen allerdings nur teilweile in Beziehung zum Terte:; 
meijt dienen jie bloß der Verzierung und jollen dazu beitragen, den Inhalt für das 
Auge zu gliedern, was freilich nicht genügt, um die Orientierung in dem ganz 
ſyſtemlos angeordneten Buche zu erleichtern. Die Nupfertafeln, 3. T. große Aus- 
ichlagsbilder, dienen aber wirklich der direften Erläuterung des Tertes und jin? 
zu dem Ende auch mit Bezugsbuchjtaben und Legenden verjehen. — In der 
2. Auflage (Frankfurt. a. M. 1578) fehlen die Kupfertafeln, der 3. (Frankfurt 
1596) !) jind jie wieder beigegeben, rühren aber, ebenjo wie die Holzichnitte, micht 
mehr von Amon jelbit her, jondern find Copien. 

Seltjamerweije hat Frönsperger lange Zeit in weiten Kreiſen 
für den ältejten deutjchen Kriegsjchriftiteller gegolten und ſchon als 
jolcher in hohem Anjehen gejtanden. Faſt alles, was in den Ge 
Ihichten des Striegswejens u. dgl. Büchern, über die militäriichen 
Berhältnifje des 16. Ihdts. gejagt wurde, war aus Frönsperger ge 
ſchöpft; ja das günjtige Vorurteil für ihn jog jogar Nahrung aus 
der immer wieder aufs neue auftretenden komiſchen Berwechielung des 
Ulmer Bürgers mit dem berühmten Vater der Landsknechte, Georg 
von Frundsberg?). Dazu fam, dal; der weitjichweifig doftrinäre Ton 
des „Kriegßbuchs“ den Leuten des 17. und 18. Ihdts. jehr wohl zujagte. 

Mit Wärme und Reſpekt jpriht Tobiad Wagner von Frönsperger”.. 
Er jagt u. A. in feiner Einleitung: „Ich zweifle nicht, es werden einige meiner 
jpotten, wenn ich ihnen NKrieges-Bücher werde in die Hände geben und werden 
ſchreyen: Gebt dafür Wein, Bier, Menjcher, Würffel und Karten ber; die find der 
bejte Zeitvertreib im Kriege; e8 würde viel zu langweilig werden, wenn man erit 
aus den Büchern jollte Kriegen lernen. Solchen Leuten mag id) den Tert nicht 
leſen. Ein berühmter Ktayjerlicher Obrijter, der unter dreyen Kayſern, Carolo V., 


1) Bibl. d. Berl. Striegsafademie (D. 270) und Bibl. des Verfafiers. 

*) Dieje Berwechielung findet fich fon in der Widmung Wintzenbergers an Richard v. d. 
Schulenburg i. 3. 1588, alio ſchon 13 Jahre nad) FFrönspergers Tode S. 477] und fie fcheint unaus- 
rottbar ; denn fie entitellt fjogar noch den Urtifel „Fronsperger* in der Biographie generale. 

’) Entwurff einer Solbatenbibliothef. (Leipzig 1724.) 





4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlaht vor Nieuport 1600. 557 


Ferdinando I. und Maximiliano II. gedient und dejien Zeugnif in diejer Sache ein 
großes Gewicht giebt, mag ſolche abfertigen. ch meyne Leonhard Fronsperger, 
als welcher in dem Eingange des andern Theils jeines Krieges-Buchs fie folgender- 
maßen ablaufen läht: „ES gehöret mehr denn rothe Schue zum Tank, und welche 
under hohes oder nidrige® Standes nicht begehren, Hijtorien und dergleichen 
Heihichte zu lejen, die werden ohne Zweiffel jonjten auch nicht viel zu erfahren 
begehren, jondern jich vielmehr der Hoffarth, Pracht, Freien und Sauffen, 
Spiel und Mum-Platz denn die Kriegs Ordnunge, Sitten und Gebräuche zu 
erfahren und lernen begeben.“ 

Ein halbes Jahrhundert jpäter jagt der trefflihe württembergifche Oberit 
von Nicolai): „Schon i. 3. 1573 hat Fronsperger mit Herausgebung jeines 
Kriegsbuches den Deutjchen Ehre gemadt. . . . Er ijt meines Wiſſens der erjte, 
der es gewagt hat, das Ganze zu umfaſſen und die Ausrüftung eines Heeres 
mit jo viel Umpftändlichteit in Bezug auf die Waffen und alle Bedürfnifje vorzu— 
legen. In jeinem Zeitalter waren Sriegsichriftiteller jehr var, und ich zweifle, 
dab um dieje Zeit irgend eine Nation einen aufweijen könne, der ihm an Gründlich— 
feit und an Größe des Plans gleich fomme. Ja wir müfjen geitehen, daß nod) heut 
zu Tage unter den Kriegsjchriftitellern aller Nationen die Fronsperger jelten find“. 

Wieder ein halbes Fahrhundert jpäter widmete Frd. Wild. Aug. Böhm 
dem Generalsijntendanten Ribbentrop „Fronspergers Kriegsbuch, nad) dem jegigen 
Sprachgebrauch bearbeitet. I. Band 1. Abthlg. (Berlin 1819)“, um in die Hände 
des Chefs des Kriegskommiſſariates „ein Wert niederzulegen, das neben der vor 
250 Jahren bejtandenen Einrichtung eines deutſchen Kriegsheeres aud) die Ver— 
waltung des Haushalts bei demjelben zum Gegenjtande hat“. Die Bearbeitung 
ſt nicht zu Ende geführt worden; der eine erjchienene Band umfaßt nur die 
riten fünf Bücher des erjten Teild von Frönspergers Kriegsbuch?). 

Die 3 Folianten des Frönsperger’ichen Hauptwerfes bedeuten 
feinen wiljenjchaftlichen Fortichritt gegen Solms’ „SKriegsregierung“ 
oder Herzog Albrechts „Kriegsordnung“; namentlich ſtehen jie in 
taftiicher Hinficht gegen die le&tere weit zurüd. Was der Ulmer über 
de Taktik (abgejehen von den unter „Truppenkunde“ zu beiprechenden 
!lementartaftiichen Angaben) bringt, jteht im II. Buche des erjten 
Bandes und verdient nur furzer Erwähnung. 

Nod am beiten, wenn auch ganz jchematiich handelt Frönsperger vom 


Sagerwejen. Am bequemjten jind lange (d. h. tiefe) Läger; angeſichts des 
Feindes aber jind breite vorzuziehen, welche den Wirkungen feindlicher Geſchoſſe 
veniger ausgejegt jind. Jedem Truppenteil wird nad) jeiner Stärke und Waffen: 
yattung ein entiprehender Platz angewiejen. Der oberjte Feldherr joll nicht 
nitten im Lager, jondern an der allerjicheriten Stelle desjelben untergebradht 
ind jein Lojement durch ein Regiment Yandstnechte beſonders bewacht werden. 








1) Verſuch eined Grundrifies zur Bildung des Offizierd. (Ulm 1775.) 
2) Bibl. der Kriegsalad. (D. 272). 


558 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


Der Oberſte Leutenampt dagegen joll jein Zelt möglichit in der Mitte der 
Lagers haben, umgeben von einem freien Plate für die Berehldausgabe. Tier 
andern hohen Ämter (Feld Marſchalck und Oberjt Profoß) jowie Fußvolksoberſten 
find in der Nähe unterzubringen. Nicht jo Zeuge und Gejchirrmeifter, die in 
der Nachbarſchaft ihres Materiales liegen müfjen. Die jchiwereren Kaliber des 
Gefhüges dienten zur Armierung der „Schanze“, d. h. des Erdmwalld, der das 
Lager umgab, während die leichteren ordnungsmäßig auf dem Lärmplag aufae- 
fahren waren, der vor den Zelten lag. Hier lagerten, von bejonderem Graben 
umgeben, aud) die Artillerievorräte und die Munition, und bier, in der Nähe des 
seldzeugmeijters, nimmt der Wagenburgmeijter jein Zelt, weil diejer unter jeinen 
Wagen nod immer einige führt, die, zur Wagenburg gehörig, mit Fleinem Gejchüs 
bejegt find, die aljo aud Munition brauchen, und weil die Wagenburg, innerbalb 
der Schanze, einen zweiten Befejtigungsring bildet. Dieje Wagenburg bejtand 
aus fjämtlihen Fahrzeugen mit Ausnahme der PBulverwagen, Rüftwagen umd 
Sciffbrüdwagen, welche auf dem abgejchlofienen Plage aufgefahren waren. 

Für den Marſch bejtimmte Regeln aufzuftellen, möcdte Frönsperger ver: 
meiden. Die Leijtungsfähigkeit der Waffengattungen und das Gelände jeien zu 
verſchieden; man habe durchaus nad) Umjtänden zu handeln. Stet3 aber babe 
dem Heerhaufen ein „Fürtrab“ vorauszuziehen, am beiten „leichte Schügen Pferdt, 
die man jchwarge Reuter nennt“. Flankenbedrohungen gegenüber jollen jich die 
Hakenſchützen zur Seite ihrer Negimenter herausziehen, um den Feind durch ib: 
Feuer in Reſpekt zu halten; denn „für dem Geſchütz gilt oder hilfft weder kün 
noch mannheit, gilt ein verzagter lojer Bub mit einer Büchjen ebenjoviel als ein 
auffrechter, beherzigter und erfahrner Mann. Denn dawider oder für bilfft fein 
funjt weder balgen noch fechten, jondern ijt auch erichrödenlich zu hören und gebt 
oder trifft allweg meijten theil® die frommen vnſchuldigen.“ 

Wie bei der Zugordnung, jo hange auch bei der Shladtordnung alles 
von Gelegenheit des Orts und der Heereszujammenjegung ab. Dazu komme 
dann nocd das Verhalten des Gegners. Allwegen gehört neben einen Haufen 
Fußknecht ein Gejhwader Reuter; in ſolchem Wechſel find die Truppen hinter 
dem Geſchütze aufzujtellen. Deren Feuer eröffnet das Gefecht; dann rüden dic 
Haufen „lieder weis“ vor die Kanonen dem Feinde entgegen; während die Ar 
tillerie lädt, aufprogt und dann ihrerjeit8 wieder zwilhen den Haufen vorgeht, 
feuert und abermals die Truppen durchläßt. Weicht der Feind nicht, jo jollen 
Reuter und Knecht ihn zugleich angreifen, „doch mit anjhidung, dab Fußknedht 
auff Fußknecht jtoßen, die Gereijigen auff Reijigen, und nicht Reuter auff Fuß— 
fneht antreffen vnd jonderlichen der Hinder Hut vnd Halten mit Gegenwehr aud 
im widerjtandt vnder Augen begegne.“ 


8 33. 
Nicht zufällig und umverjchuldet it die furchtbar jchwere Prüfung 
des Dreißigjährigen Srieges über unjer Volk gekommen. Infolge der 
Berjumpfung der Neformation zeigt ſich ſchon im dritten, bejonders 


4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlaht vor Nieuport 1600. 559 


aber im legten Viertel des 16. Ihdts. ein bedenfliches Nachlafjen 
aller Kräfte der Nation, ein Erlahmen ihrer geijtigen Negjamfeit. 
In entjcheidenden Dingen wird Deutichland von den romantjchen 
Nachbarn überholt, bei denen die Gegenreformation Energie und 
Schwung hervorgerufen. — Jener Mangel an Friſche und Urſprüng— 
(ichfeit, der in der deutjchen Kunſt und Wiſſenſchaft handgreiflich 
hervortritt und im der Politik jo verhängnisvoll wurde, der offenbart 
jich deutlich auch in der Militärktteratur. — Zunächſt find nur einige 
Neubearbeitungen des Ämterbuches zu nennen. 

„Ein herrlich newe vnd wol ausgeführte Veldt- und 
Kriegsordnung“, welche v. 3. 1584 jtammt, iſt eine unbedeutende 
Baraphraje des Amterbuches, der die „Bedenken zum Türfenkriege“ 
von 1542 angehängt find. Die Schrift befindet jich in der Herzogl. 
Bibl. zu Gotha. (cod. 571.) 

Etwas intereflanter it die von Philippi i. 3. 1587 dem Pfalz— 
grafen Friedrich bei Ahein gewidmete „Kurge Kriegshandlung... 
und ein Kurtze Hiſtoriſche Beichreybung der Nüderländiichen Krieg“, 
deren Handjchrift die Heidelberger Univerfitätsbibliothef bejitt. Dies 
Buch zerfällt in acht Teile. 

1. Bon höchſter Obrigkeit. 2. Vom Teutjhen Negt. Fußvolcks. 3. Vom 
Regt. Teuticher Reuter. 4. Bon Ardhelei. 5. Von den Kriegsſchiffen. 6. Wie 
der frieg zu zeitten jeinen anfang nimmt. 7. Vom Beruf eines Statthalters in 
Kriegsläufften. 8. Was ſich in Niderlandt verloffen von anno 66 bis anno 86. 

Das Werk ijt großenteild eine Wiederholung des Ämterbuches. Der die 
Marine betreffende Teil, der auf Cleves alter Arbeit fuht, ift aber durch jo viel 
neue Erfahrungen bereichert, daß er für das Studium des Niederländiihen Krieges 
von nicht unbedeutendem Intereſſe iſt. 

Eine ziemlich armjelige Kompilation ijt des Adam Junghans 
v. d. Olßnitz gedrudte „Kriegsordnung zu Wajjer vnd Landt“. 
(Köln 1590, 1594, 1595, 1611). 

Seite 1301) ift ein Auszug aus dem Ämterbuche; S. 31—68 enthält 
Malefizs, Spieh- und Standredt; S. 79—86 bringt eine Verdeutſchung der beiden 
taftiichen Paradoren des de la Noue [$ 36], ohne Angabe des Autord. Daran 


reihen ſich allerlei, aus Frönspergers und verjchiedenen andern Schriften entlehnte 
taktiihe Vorjchriften zu Wafjer und zu Lande. ©. 115—135 füllt ein unge: 


1) Ich zitiere nad) der von Reutter von Speir, geweſenem Regiments: und Mufterjchreiber 
berausgegebenen 2. Auflage (Defiauer Behörbenbibl. 10924: 5978 B.) Die Auflagen von 1595 und 
die von 1611 (welche ohne Reutterd Namen erjchien) befigt dad Germaniſche Mufeum (Nr. 7596 u. 2710) 
— Auszüge bringt Gilbert Angers Jlluftr. Geich. der F. k. Armee, I. (Wien 1886). 


560 Das XVI. Jahrhundert, I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


nügender Auszug aus dem „Buche von den probierten Künjten“ [S 44;, um) 
dann folgt bis S. 162 die Anleitung zur „Mujterjchreiberey“. 

In jeiner Dürftigfeit ijt das Büchlein doc nur allzu charakteriftiich für die 
Zeit, in der es entitand; auch fehlt es der Darſtellung nit an einem gemifier. 
derben Humor, und daher hat Guſtav Freytag nicht unrecht daran getan, es ir 
den „Neuen Bildern zur deutjchen Vergangenheit” jeiner trefflihen Schilderung der 
militärifchen Zuftände um die Wende des 16. und 17. Ihdts. zu Grunde zu legen 

S 34. 

Während ſich jo die Praftifer notdürftig mit dem Tafelabhub befjerer 
Tage frijteten, jchwelgten die Gelehrten in lateinischen Kriegsbüchern. 

Georg DObreht, Rei publ. Argentinensis Advocatus, ver 
öffentlichte zwei »Disputationes«: ene De principiis belli et 
eius constitutione (Straßburg 1590) und eme De militari 
disciplina, quae administrationis belli praecipuam partem 
contenit (ebd. 1592). — Es find akademische Differtationen, welde 
durchaus von den klaſſiſchen Traditionen ausgehen ?). 

Dem Juriſten reiht jich ein Edelmann an, der Sohn des Beſiegers 
der Dithmarjchen: Graf Heinrich von Ranzau, ein Geldfürjt wie 
ein Fürſt der Gelehrſamkeit (1526— 1599), der als Hiitorifer, Genen: 
loge, Diätetifer, Ajtrologe und Epigrammatifer glänzte. Einem ſolchen 
univerjalgenialen Polyhiſtor durfte auch friegswiffenichaftlicher Ruhm 
nicht mangeln, und darum verfaßte er noch in hohem Alter einen 
Commentarius bellicus libris sex distinetus: »Praecepta, 
consilia et stratagemata pugnae terrestris et naualis ex variis 
Eruditorum collecta scriptis complectens«, welchen er dem Dänen: 
fönige Chrijtian IV. widmete. (Frankfurt a. M. 1595.) 

Der Kommentarius Ranzaus ijt eine aus allen mögligen Mutoren des 
Altertums, des Mittelalter® und der Neuzeit zufammengejtellte UÜberſicht des 
Ktriegswejens, in welcher die Außerungen des Ariftoteles friedlid neben jolden 
von Daniel Spedle, die des Pindar neben denen du Bellays, die de Meland- 
thon neben jolden Xenophons jtehen. Irgend ein praftiiher Zwed bat dem 
Berfafier wohl nicht vorgefchwebt; der weitumfajjende Geiſt des raftlojen Gelehrten 
hat eben auch einmal die Gebiet durchwandern und logiſch ordnen wollen. Er 
itrebt die höchſte Vollftändigfeit an und geht den Dingen bis in'die gerinaften 
stleinigfeiten nad; nur eins fehlt, freilich eine Hauptſache: die unmittelbare 
Friſche der Auffajjung. 


1) Kal. Bibl. zu Berlin (H. v. 18712 und F. M. 3462.) 
2) Kgl. Bibl. zu Berlin (H. u. 9755) und mit eigenhänbiger Widmung Ranzaus: Defiaur 
Behörbenbibl. (10884: 5938). 


4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlaht vor Nieuport 1600. 561 


In zwei bewunderungswürdigen Schriften hat endlich Juſtus 
Cipſius das Kriegsweſen der alten Römer auseinandergejegt: in den 
De militia Romana libri quinque (1595) und in dem Polior- 
ketikon sive de Machinis, tormentis, talis libri V (1596). 
Dieje gelehrten, für die Kenntnis des antiken Kriegsweſens grund- 
legenden Werke jind um jo wichtiger geworden und haben Epoche 
gemacht, weil ihr Verfaſſer fich nicht, wie eigentlich alle jeine Vor— 
gänger, an Begetius anklammerte, jondern ſich wejentlich auf Polybios 
jtügte. Joeſt Lips’ Vergleich der modernen mit der antiken Kriegs- 
kunſt fällt durchaus zu gunſten der leßteren aus. in bejonderes 
Verdienſt erwarb er jich Durch die für jeine Zeit vortreffliche Abhandlung 
über die Majchinen der Alten. ‘Freilich läuft dabei jo manche Ver: 
wechjelung mit mittelalterlihem Wurfzeug unter, wie er das z. T. 
perſönlich noch an Originalen (in Brüſſel) jtudiert; aber gerade da- 
durch iſt er wieder mittelbar Quelle geworden. — Näheres Eingehen 
auf dieje archäologijchen Arbeiten würde über den Rahmen unjeres 
Werkes hinausführen. 


8 35. 


Immer wenn die öffentliche Sittlichkeit gejunfen ijt, verjuchen 
wohlmeinende Leute, zumal Geijtliche, ihr durch Traftätlein aufzu- 
helfen, natürlich ohne Erfolg. Wie tief das Niveau der Mannszucht 
in den Haufen der deutjchen Kriegsfnechte gegen Ende des 16. Ihdts. 
lag, das erfennt man mit Schreden aus Schwendis Reimen, aus 
Wilhelms von Hejjen „Kriegshandel“, aus den Lamentationen in 
Junghans v. d. Olßnitz' Schrift. Was Wunders, daß es auch an 
Mahnichriften nicht mangelt! Da tjt zuerjt des Buccerus „Chriit- 
licher Bericht vom nothwendigen Kriege“ (Bajel 1592)}), 
dann des Bohemus Laubenjis, Predigers „Kriegsmann, d. i. 
Gründlicher Vnterricht, wie jich ein chrijtlicher Kriegsmann verhalten 
jol, damit er bei jeinem bejchwerlichen vnd gefehrlichen Stande den 
höchſten Gott nicht erzürne“. (Leipzig 1593) ?). 

Nach einer hiſtoriſchen Vorrede folgen: 1. Ob man Kriege führen foll. 
2. Bedenden in ftriegsbeitallung. 3. Bon Kriegsrüftung (auch mit geijtl. Waffen). 
4. Chrijtl. Kriegsleut Artifelbrief (Gebet). 5. Vom Ausgange des Kriegs. 
6. Etliche Gebete. 


2 


1) Gräfl. Stolbergſche Bibl. zu Werningerode (L. 259). 
2) Frankfurter Stadtbibl. (Milit. 278). 


Jähns, Geſchichte der Ktriegswiſſenſchaften. 36 


562 Das XVI Jahrhundert. I. Allgemeine kriegäwijienidhaftlihe Werte. 


In demjelben Jahre veröffentlichte Andreas Musculus, der 
jtreitbare brandenburgiiche Hofpfarrer, der jo beweglich und zornig 
gegen den „Hoſenteufel“ predigte, ein entjprechendes „Kriegsbüchlein“ 
(Leipzig 1593). Diejem folgte der „Kriegsleutjpiegel, d. t. war- 
hafftige Bejchreibung eines chritlichen Kriegsmanns, wie er in allem 
jeinen Thun nachfolgen jolte dem herrlichen Ebenbild Sanct Miorigen“ 
. . Durch Petrum Lanifium, der Societät Jeju Theologum (FFrer- 
burg im Vchtland 1596) !), und endlih das »Speculum belli 
oder Kriegesipiegel“ von Michael Babft von Rochlitz, Pfarrherrn zu 
Mohorn (Freybergk in Sachjen 1597) 2). 

Letztere Schrift legt bejonderen Wert darauf, daß, „mann auch der Krieg 
ein Zoch befommen, jollen ſich die Kriegsleute nicht auff faulengen, müßiggang 
oder wie die gemeinen Soldaten zu thun pflegen, auf garten und betteln begeben 
vnd legen, auff das fie nicht dadurch zu allerley böjen Sachen anleytung be 
fommen.“ — Die Schrift jchließt mit dem Verje aus Pſalm 68: „Herr zeritöre 
die Völfer, die da gerne kriegen!“ 


Das find die Klänge, welche den exitus der Militärliteratur 


des 16. Ihdts. im eigentlichen Deutjchland läuteten. 


8 36. 


Die Fortichritte, welche die Kriegskunſt in der zweiten Hält: 


des 16. Ihdts. (abgejehen von rein technischen Dingen) machte, er: 
wuchjen den großen Neligionskriegen in Wejteuropa: den Dugenotten 
friegen und dem Kriege in den Niederlanden. In wiljenjchaftliche 
Hinficht liegt der Schwerpunkt bei den Spaniern; Deutjche des inneren 
Neiches haben jedoch großen Anteil an diejer Entwidelung, weil an de: 
Spite der um ihre Freiheit vingenden Niederländer rheinfränkiſch 
Fürſten jtanden, die Nafjauer Grafen. Zeitlich it aber zuerjt eine: 
franzöſiſchen Hugenottenführers zu gedenken. 

Es wurde oben darauf hingewiejen, wie gering die Betätigung 
der Franzoſen auf dem Gebiete der Kriegswiljenichaft während der 
eriten Hälfte des 16. Ihdts. war [$ 18]. Etwas reger, wenn aud 
immer noch weit jchwächer als die der Deutjchen, gejtaltet jie jich ın 


der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, umd hier darf der Name de la 


Noue nicht übergangen werden. 


1) Sal. Bibl. zu Berlin (H. u. 15690). 
N Bibl. der Berliner Kriegsafademie (D. 592). 


4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlaht vor Nieuport 1600. 563 


François de la Noue wurde 1531 bei Nantes geboren, tat frühzeitig 
Kriegsdienit in Italien, und bald war der junge Bretagner einer der Vorkämpfer 
der Hugenotten. Bei Fontenay verlor ef den linken Arm und erjegte ihn durch 
einen eifernen, nad dem die Soldaten ihn Bras de fer nannten. Bon 1573 
bis 77 verteidigte er La Rochelle gegen die Katholiten. Nach dem Frieden von 
Bergerac focht de la Noue gegen die Spanier in Flandern und nahm Egmont 
gefangen; bald aber fiel er jelbjt in Feindeshand und jchmachtete fünf Jahre 
lang zu Limburg in Gefangenjchaft. Unter Henri IV. war er unermüdlich in 
Waffen und jtarb endlich 1591 beim Sturm auf Lamballe durch eine feindliche Kugel, 

In der Muße der Gefangenjchaft von 1580 bis 1585 jchrieb 
Bras de fer jene Discours politiques et militaires, welche 
1587 zu Bajel veröffentlicht wurden!) Es find 28 Diskurſe, die 
hauptjächlich vom Bürgerfriege, von der Erziehung des Adels, von 
der Schädlichkeit der Nomanlektüre, von der Taftif, von der Politik 
chrijtlicher Könige und endlich von der franzöftichen Zeitgeichichte 
handeln, an der der Verfaſſer jelbit jo rühmlichen Anteil hatte, daß 
der König bei jeinem Tode ausrief: »Nous perdrons un grand 
homme de guerre et encore plus un grand homme de bien!« — 
Die Schreibart der Diskurje zeigt de la None als einen der beiten 
damaligen PBrojaiiten. 

Die wichtigjten militäriſchen Kapitel find die folgenden: 

Im I Buche: der Discours 5: De la bonne nourriture et institution 
qu’il est necessaire de donner aux ieunes gentils- hommes Francois. — 
Hier jhlägt er vor, in jeder Provinzialhauptitadt eine Schule für die jungen 
Edelleute anzulegen, wo fie in Leibesübungen und Wiſſenſchaften ausgebildet 
würden. Reiten, Ningrennen, Springen, Schwimmen, Ringen und Tanzen jollten 
ihren Körper entwideln, Muſik ihren Geijt erfriihen und ergögen. Bon Wiſſen— 
ſchaften jeien vornehmlich zu treiben: Geſchichte, Mathematit, Erdbejchreibung, 
Stats- und Striegslehre, insbejondere Befejtigungstunjt. Außerdem jeien lebende 
Sprachen und Zeichnen zu lehren. Es ijt der Lehrplan eines Realgymnafiums. Die 
Koſten könnten leicht von ſolchen Pfründen aufgebracht werden, welche mit feinem 
Pfarramt, feiner Seeljorge verbunden feien und vom Könige vergeben würden. 

Faſt noch höheres Intereſſe erweden die beiden Disturfe: 13. Que sa 
Majest& doit entretenir pour le moins quatre regimens d’infanterie en 
temps de paix, reduits tous à 2500 hommes, tant pour conserver la dis- 
cipline militaire, que pour estre asseuré d’avoir tousiours un gros corps 
de vieux soldats, und 14. Des Legionnaires Frangois. — In diejen Dis- 
furjen jegt de la Noue zunächſt die Notwendigkeit auseinander, neben den von 
Charles VII. errichteten berittenen Ordonnanzlompagnien, die man in Stärfe 
von 4000 Gensdarmes aufrecht erhalten jolle, auch noch ein ftehbendes Fuß— 


y Bibl. des Verfafiers. 
36* 


564 Das XVL Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswijienichaftlihe Werte. 


volt von mindejtens 2500 Mann Gejamtjtärfe jtet3 unter Waffen zu haben 
ſowohl zur Bejegung hochwichtiger Grenzpläge (etwa Galais und Meg), wie als 
Schatzlammer voll alter Soldaten und als Borbild der Disziplin. Ein Vierte 
des Fußvolkes müfje aus Spiehern u. zw. Gewappneten bejtehen, der Reft aus 
Schügen; erjtere jollen eine Elite bilden, zu der man befördert werde. In dieica 
Einrihtungen jeien die Spanier zum Wujter zu nehmen. — Für den Krieg reit: 
natürlic; eine jo ſchwache Infanterie nicht aus, und da müfle man zu Köms 


Francçois' Legionen, d. 5. zu einem Milizfußvolk, zurüdgreifen. Man möa 


drei Yegionen einrichten: eine in der Pilardie, eine in der Champagne und eim 
in Burgund; der Adel jolle die Führerſtellen bejegen, und durdhaus jei zu ver: 
langen, dab ein Teil der Mannſchaft aus gerüjteten Spiebern beſtehe. Der Verial 
des franzöſiſchen Fußvolkes rühre daher, da die Edelleute es verihmäbten, Dieni 
bei der Infanterie zu tun. »Ce qui rend en partie l’Infanterie Espagnole en 
tel prix qu’elle est, c'est que la noblesse y range fort volontiers et plus 
qu'en la cavalerie«. Auch das Kommando der Legionen jei vornehmen Männern 
zu übertragen. »Es pays-bas, on void encor que les principaux Seigneurs 
ne desdaignent de prendre de Regiments: comme les Comtes d’Egmmnt, 
d’Arembergue etc.« 

Des 15. Diskurſes, welcher von der taftiihen Anordnung der Reitern 
handelt, wird an anderer Stelle gedadyt werden 8 5). Intereſſant iſt auch de 
16.: De l'usage des Camarades (Zehnerrotte, chambre, Kameradſchaft), qr 
sont fort recommandees entre l'infanterie Espagnole. 

Das ganze II. Buch (der 18. Diskurs) bringt unter der Überjhriftt: Quatre 
paradoxes militaires die Crörterung wichtiger friegeriiher Probleme 
Drei davon (1, 2 und 4) beiprehen die Taftil der drei Wafjen m 
jollen in dem Kapitel „Truppenkunde“ näher gewürdigt werden. Der Gegen 
itand des 3. Paradorons lautet »Qu’il est profitable à un Chef de guerr 
d’avoir regu une route.«e Der Verfaſſer weijt dabei an hijtorijchen Beijpielen 
den Nupen nad), welchen fluge Heerführer aus Fehlihlägen und Unfällen ar 
zogen haben. 

De la Noues Werk jtand in hoher Achtung und hat unzmeired- 
haft Einfluß auf die Öejtaltung des franzöjiichen Heerweſens gehabt 
In taftiicher Hinficht weht durch dasjelbe, wie jich jpäter ergeben 
wird, ein frischer Hauch, der aus den Niederlanden fommt. 


Neue Auflagen erihienen 1590 zu Ya Rocelle und 1612 zu Frankfurt a. W 
Ins Deutfche übertrug das Wert Rathgeben. (Frankfurt aM. 1592 um) 
1612). Eine englifche Überjegung erjchien zu London 1597. 

»Un altro Caesar nella lingua et Catone nella Sententia!« jo ſtand 
auf dem Titel eines Gremplars der Diöfurje in Tobiad Wagners Bücherei, und 
diejer jelbjt urteilt in jeinem „Entwurff einer Soldatenbibliothet” (Leipzig 1724: 
„Es iſt diejes ein unvergleichlich Kriegs- und Staatsbuch; man hat davon groken 
Estim gemadt... Diejenigen jo vom Kriege Profeſſion maden, finden darin 
vortrefflihe Sachen, jo zu diefem Handwerk gehören. Er warnet die Rittersleute 


4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlaht vor Nieuport 1600. 565 


vor den Debauchen und Querellen, ingleihen vor den Amadis-Büchern, als 
welche jungen Leuten jo gefährlih wären als die Leſung des Maciavelli denen 
alten. Diejer Herr war ein Staats Kluger Mann. Nur diejes jegt man an 
jeinem Buche aus, daß er allzujehr aufs Prophezeyen gefallen, indem er jih auf 
Finjternifien, Stimmen, Quftzeichen, Monstra u. j. w. berufen, und daraus den 
Untergang Frankreichs gedroht.“ 

Es wird dem de la Noue auch noch die i. 3. 1559 zu Lyon 
erichtenene Institution de la discipline militaire au 
royaume de France zugejchrieben, welche dem Könige Antoine von 
Navarra gewidmet it. Da der ungenannte Verfaſſer jedoch jagt, 
daß er nicht lange nach der Schlacht bei Cerifolles (1544) jchrieb, 
damals de la Noue aber erjt 14 Jahre alt war, jo it er ficherlich 
nicht der Autor. Das Buch verrät vielmehr einen reifen Kopf und 
namhafte Gelehriamfeit !). — Ebenfalls bedeutend jind die Maximes 
von de Bourdelle, der erjte und nicht übel gelungene Verſuch 
eines Franzojen, über Generaljtabsgejchäfte zu jchreiben, (ca. 1560) ?) 
und La nouvelle Milice von de Bicaine (1590). Dann zeigen 
die Maximes de guerre et instructions des Marjchalls Armande 
de Gontaut-Biron (1611) deutlich) die Hand eines tüchtigen Metjters. 
Einfluß hat das Buch aber faum ausgeübt; denn wie es erjt 12 Jahre 
nach dem Tode Birons gedrudt wurde, jo galt es bald darauf jchon 
als verjchollen und iſt nicht verdeutjcht worden. — Mit diejen wenigen 
Werfen wäre aber auch, falls man nicht die Memoiren-Literatur 
heranziehen will (Montluc, Vieilleville, Brantöme und Sully), Die 
Geſamtheit der Ertegswifjenichaftlichen Werke der Franzoſen im 16. Ihdt. 
erschöpft, und man wird einräumen müfjen, daß dies nur eine jpärliche 
Ausbeute tft: eine Erjcheinung, die jich auch bei den rein technifchen 
Werfen wiederholt. 

Die Memoiren-Literatur it allerdings jehr]bedeutend, u. zw. nicht nur 
für die Kriegsgeſchichte, jondern vielfach auch für die Geſchichte der Kriegswiſſenſchaften. 

In eriter Linie jtehen dabei die Commentaires de Messire Blaise 
de Montluc, eines guiennijchen Edelmannes, der vom einfachen Archer zum 





1) Einige Auszüge finden fih in Rüftows „Geich. der Infanterie”, I, ©. 209, 249—255. 

2) Diefe Arbeir iſt zumeilen Eoligny zugefchrieben worden. Die fgl. Bibl. zu Brüſſel befist 
eine Handichrift derfelben (10418), auf deren Titel es heißt: »L’ouvrage suivant Intitul& ci-dessous 
»:Trait& duManiementdelaguerre, fait parMrs. l’Admiral« est mieux intitul& 
:Maximes etadvis du maniement de la guerre et principalement du devoir et 
office du marechal de camp par Andr& de Bourdelles, fröre ain& de Brantöme*. 
Die Arbeit ift im 19. Bande von Brantömes Werten (Gag 1790) ©. 210-280 gebrudt. — Übrigens 
enthält der Brüſſeler Cod. 10418 aud einen wirfliden Aufſatz Colignys, der jeboch feinen wiffenichaft!., 
ſondern einen geihichtl. Charakter bat, indem er fi auf bie Belagerung von St. Duentin (1557) bezieht. 


566 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


Marihall von Frankreich emporitieg. Bon La Bicocca bis Cerijolla (1522—1544 
hat er fait an allen Kämpfen in Italien teilgenommen, ebenjo jpäter an den 
Belagerungstkriegen in Piemont, Flandern und Luremburg, und bejonderen Ruhm 
erwarb er ſich 1555 durch die glänzende Verteidigung von Siena. In den Hugenotten: 
friegen bejledte er feinen Namen durch arge Graujamleit. Seine Memoiren oder 
Kommentarien umfajjen die Zeit von 1521 bis 1574; Henri IV. bezeichnete ji 
als die „Bibel der Soldaten“, und in der Tat jagt Montluc geradezu, er be 
ichreibe fein Leben zum Unterricht junger Kriegsleute. Welch Geift ihn, den ot 
Berwundeten, bejeelte, zeigt jeine Bemerfung: »Qu’elle est donc l’'honnete dame 
qui voudrait s’associer A un homme qui et tous ses nerfs et tous ses 08%: 
Er ijt ſtark Gascogner, aud ala Autor; aber dabei doc) befonnen und überlegen; 
jo empfahl ſchon er zwei Maßregeln, die erjt weit jpäter zur Ausführung famen: 
Offizierprüfungen und Jnvalidenverjorgung. Welchen Eindrud jeine Kommentarıen 
noch auf Neuere machen, lehrt Rüſtows Lebensbeichreibung Montlucs in der 
„Militär. Biographien“ I. (Züri) 1858) und der Ausſpruch, den mir gegenüber 
jüngjt ein alter hochgebildeter preußifcher General tat: „Es ift das belehrendite 
Buch bis auf Klaufewig; es überragt Macdjiavelli bedeutend; nur Napoleons 
Korrejpondenzen find ihm über.“ 

Minder wichtig, wenngleich immerhin interefiant, jind die M&emoires de 
Francois de Sc&peaux, Sire de Vieilleville, Marſchall von YFranfreiö 
(f 1571), welche jein Sekretär Garloir verfaßt hat. Ein Auszug aus demjelben 
findet fi in Friedr. v. Schillers Werten (11. Band). 

Eine außerordentlich reiche Quelle für die Zeitgefchichte find des Pierre de 
Bourdelles, Seigneur de Brantome »Vie des hommes illustres 
et grands capitaines frangais« und jeine »Vie des grands capi- 
taines &etrangers«. (Leiden 1665). 

Dasjelbe gilt von des Marimilian de Bethune Duc de Sully Me 
moires des sages et royales &conomies d’'&tat, domestiques, 
politiques et militaires de Henri le Grand. (Amjterdam 1643). 


$ 37. 

Beiremdet jchon die geringe Zahl der dogmatijchen militärischen 
Werfe der Franzojen, jo gilt dies für die erjte Hälfte des 16. Ihdts. 
noch mehr von denen der Spanier. Dies Volk, das doch eben damals 
eine jo großartige Rolle auf den Schlachtfeldern Europas und Amerikas 
geiptelt, hat während diejer Zeit in Eriegswilfenjchaftlicher Hinſicht jo 
gut wie nichts hervorgebradht. Ein Doktor Palacios Ruvios 
veröffentlichte 1524 zu Salamanca einen Tratado del esfuerzo 
bellico heroyco, von wejentlich religtöjem und moraltichem Inhalt; 
Diego Montez gab 1536 zu Saragofja den Soldado viejo de 
su Majestad heraus »en la qual trata sutilos avisos y cosas 
secretas del exercicio militar de la guerra« — das iſt aber auch 


4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht vor Nieuport 1600. 567 


alles. — Dieſe Sterilität hört plötzlich mit dem Eingreifen Albas 
auf. Er empfand den Mangel allgemein giltiger technijcher Dienit- 
vorjchriften und erließ bereit8 in den fünfziger Jahren als Vizekönig 
von Neapel eine italieniſch gejchriebene Dichiarazione o istruzione 
sopra gli obblighi che appartengono ad un maestro generale 
di campi ed altri Ufficiale. Das jehr furz gefaßte Schriftjtüd 
findet jich in einem Sammelbande der jtädtiichen Bibliothek zu Siena. 
(D. V. 2. fol. 295). Im Sahre 1568 aber, demjelben, in welchem 
Ludwig und Wolf von Nafjau dem jpantichen Heere den jchiweren 
Schlag von Heiligerlee beigebracht, beauftragte Alba mehrere Offiziere 
mit der Abfafjung einer neuen Inſtruktion. Jeder arbeitete für fich 
und widmete jein Werf dem Herzoge. Drei jolcher Schriften find 
erhalten. Die ältejte ift die noch i. 3. 1568 jelbit vollendete, von 
Lier datierte Disciplina militar, deren Handjchrift die Bibliothef der 
Uffizien zu Florenz bewahrt (XIX. 7; 3). Der Berfafjer ift Beſa 
Sasmanos, ein alter Soldat, und jeine Arbeit it jo furz umd 
bündig wie die alte neapolitanische Dienjtvorjchrift Albas. Ein Jahr 
ipäter vollendete der Maejtro de Campo Sancho de Kondoito 
jeinen Discurso sobre la forma de reduzir la disciplina militar 
à mejor y antiguo estado, welcher jpäter (zuerit 1587) zu Brüſſel 
gedrudt wurde. Auch dieje Abhandlung iſt kurz gefaßt und vortrefflich. 
Sie legt die Organtjation der compadia, des tercio (Regiments) 
und des ejercito (Heeres) dar, erläutert die Offizierspflichten, vom 
general an bis hinab bis zum cabo de escuadra (Corporal), bringt 
Angaben über Ausrüjtung, Marſch und Lagerweien und zulegt die 
Kriegsartifel. In taktiſcher Hinficht wird noch einmal auf dieje Schrift 
zurüdzufommen jein [$ 86], die einen echt joldatifchen Geiſt atmet, 
dem e3 doc) auch feineswegs an Aufichwung, ja an poetijchem Glanze 
fehlt. Die techniiche Ergänzung dazu bietet dann das dritte hierher: 
gehörige Werk, des Maejtro de Campo Francisco de Daldcz 
Espeio, der 1571 vollendet und zuerit 1586 in Brüſſel gedrudt 
wurde. Dieje als Dialog behandelte Arbeit bejpricht 1. Aushebung, 
Ausrüſtung und Ausbildung, 2. Anordnung der Märjche und Lager 
und 3. Führung im Gefecht. Der Schwerpunft liegt auf den taftijchen 
Auseinanderjegungen [$ 88]. Auf diejen Schriften beruhen die ſpaniſchen 
Reales ordenanzas, deren früheite i. 3. 1613 veröffentlicht wurden, 
und eben jie öffneten auch der ſpaniſchen Milttärliteratur den Mund. 


568 Das XVI, Jahrhundert. I. Allgemeine friegswijjenihaftlihe Werte. 


Sm Jahre 1582 gab Juan de Funes zu Wamlona den Libro 
intitulado Arte Militar heraus, der für den praftiichen Feld— 
gebrauch, namentlich der Infanterie, bejtimmt it; Bernardino de 
Escalante verfaßte ein mit gelehrtem Ballaſt überhäuftes Ämter— 
buch: Diälogos del Arte militar (Sevilla 1583); daran reihten fich 
des Bisfayers Martin de Eguiluz Milicia (Madrid 1592) 8 88], 
Cechugas Maestro de Campo General [$ 88], und endlich erjchten 
das ſpaniſche Hauptiwerf diejer Zeit, Mendocas Theörica y Pratica 
de guerra. 

Einer erlauchten Familie entjtammt, welche jeit dem 13. Ihdt. 
dem Vaterlande eine lange Reihe ausgezeichneter Männer gegeben 
hat, vereinigte Bernardino de Mlendoca in jeiner Perſon militärijche 
und diplomatische Begabung. Ruhmvoller Reiterführer unter Alba, 
trug er wejentlich bei zu dem verhängnisvollen Siege auf der Mooker 
Heide (1574); Eluger, jcharfblidender Gejchäftsmann, vertrat er mit 
Geſchick und Kraft die Sache Spaniens an den Höfen Englands umd 
Frankreichs. Diejen Verdienjten fügte er als drittes das literartiche 
hinzu. Zuerſt erjchienen jeine Commentarios de lo sucedido en 
las guerras de los Paises Bajos desde el ao 1557 hasta 1577 
(Madrid 1592), welche überall den Elaren, wohlgejchulten Kriegsmann 
erfennen laſſen, und dann trat er mit jener Theörica yPrätica 
de guerra hervor, die er dem Prinzen von Aſturien, jpäterem 
Könige Philipp IIL., widmete. (Madrid 1595.) 

Das Bud) ift glatt fort gejchrieben ohne Unterabteilungen. Die gute Dis- 
pojition ijt im großen und ganzen innegebalten ; doc wird hie und da etwas nad: 
geholt, was der Berfafier vergefien hatte oder noch näher zu erläutern wünſchte. 
Die deutjche Überjegung gliedert den gejamten Stoff in 2 Bücher: Land» umd 
Seekrieg; bejjer wäre eine Dreigliederung gewejen; denn die eriten 28 Kapitel 
deö I. Buches enthalten allgemeine Betradhtungen über das Wejen des Kri« 
ges überhaupt und über Angriff und Werteidigung inSbejondere, wobei vom 
politifchsjtrategijhen Gefichtspunfte ausgegangen wird. Auch den Defenjintrieg 
empfiehlt Mendoca, wenn immer möglid, angriffsweiſe zu führen. — Die Kapitel 
29—35 der deutihen Ausgabe bejprehen Aufbringung und Einrichtung 
des Heeres, einfchließlich der Verordnungen über die Disziplin (los vandos). 
— Kap. 36—40 handeln von der Zagerordnung, wozu Nap. 52 und 57 nodı 
Nachträge bringen. Sorgfältig iit das Wefen des Wachtdienſtes beleuchtet, aut 
den der Verfaſſer auch jpäter (Nap. 68— 77) nod) einmal ausführlich zurüdtommt. 
— Nachdem dann (41) die Mujterungen bejproden find, geht der Autor zur 
Gefechtstaktik über, wobei er das formale Element jedoh nur jtreift. Die 
Zujammenwirfung der Waffen wird mit der der Teile eines menſchlichen Körper! 


4.. Die allgemeine Literatur bis zur Schladht vor Nieuport 1600. 569 


verglihen: „Die Arquebufierer vergleichen fi) den Händen und Füßen; die Ca- 
valleria Legiera ijt wie die Arm und die Beine; die Coraſſen feynd die Hüffte; 
die Squadronen dei Fußvolcks jeynd die Brüft; der Fürſt oder General ijt das 
Haupt; der Troß vnd Bagage ijt der Bauch.“ In Bezug auf die Bewaffnung 
iſt Mendoca ein Anhänger de Alten; „Ob man jchon vor alten zeiten die Ca- 
valleria wegen jhres vngeſtüm vnd Gewalt im Krieg vnn Streit für bejier hat 
gehalten als die Infanterie, jo ift man doch hernach durch die Erfahrung ge— 
wigiget worden und jo viel gelernet, daß man jich mehr auf die Squadronen der 
Sufanteria hat lernen verlajjen vnd jonderlid auff die Piquen, welde 
billih den Borzug haben für allen andern Waffen. Bei der Ca- 
valleria aber wird die Lanze billid) für die bejte Wehr geachtet, wiewohl jhr 
jeyd wenigen Jahren hero etliche, jo ji auch gute Soldaten dünden zu ſeyn, die 
Piſtolen vnterjtehen als nüßlicyer vorzuziehen.“ — Es zeigt den gewiegten Ka— 
vallerijten, wenn Mendoça bei jeiner Darjtellung der Marſchtaktik (Kap. 
50-67) großen Nahdrud auf die Nefognoszierung des Geländes legt. Übrigens 
verlangt er aud), daß man gut ausgerüftet jei mit descripciones y cartas, 
obgleich diefe gewöhnlich viel zu wünſchen übrig liefen. Die Kap. 78—94 be— 
ihäftigen fi mit der Belagerung eines feiten Platzes, und auch auf diejem 
Gebiete beweijt der Autor ſich als völlig ſachtundig. Kap. 96 handelt von den 
in der damaligen Kriegführung jo beliebten liberfällen (encamisadas). Dann 
wendet Mendoca ji wieder der Schlachtentaktik zu (Kap. 97—104), wobei 
er das Eingehen in gar zu viele Einzelheiten vermeidet: „wie man dann in einem 
Schadhfpiel jiehet; man fange fo ofit an als man wölle, jo geräht nimmer eins 
wie das ander, vnd weiß auch der allerbeite vnd geübejte Spieler nit, wie fic) die 
Schläge werden begeben.“ Hauptſache bei der Wahl der Artilleriejtellung 
jei nicht die Sicherung des Geſchützes, jondern gute Gelegenheit zur Wirkung. 
Die großen Schützenflügel, die man den Pileniv-Esquadronen in Stärfe bis 
zu 300 Mann anzuhängen pflege, löſe man beſſer in Hleinere Abteilungen auf, 
die jedoch derart anzuordnen jeien, daß fie ſchnell zuſammenſtoßen könnten; eine 
jolhe Anordnung erleihtere auch den Pulvererfaß aus den rüdwärts jtehenden 
Tonnen, weil dann die feinen Abteilungen gejchlojien zurüdgeführt werden 
fönnten, um Pulver zu fajjen, während andernfalls leiht Wirrwarr entjtände und 
Gefahr von Erplofionen fei. — Die großen Haufen jolle man durd) das Terrain 
möglichjt gegen das feindliche Geſchützfeuer deden; denn „obſchon der wenigite 
Schaden in einer Schlacht mit dem Geſchütz geichiehet, jo macht e8 doc), ſonder— 
ih bei der Caualleria einen großen Schreden.“ Beim Shladtbeginne gehe 
man behutjam vor, „jchleiche gleihjam mit einem bleyernen Fuß, um des Feindes 
Intent zu erfennen.“ Überlegenen Feinden gegenüber mache man Gebraud) von 
der Wagenburg. Aufmerkſam achte man darauf, bei weldhen Haufen ſich etiwa 
Unficherheit zeige: Zittern der Piken, unordentlihe Bewegung der Fahnen; da 
ſorge man gleid für Berjtärtung! Wiche der Gegner, jo hüte man ſich vor wilder 
Verfolgung. — Die Kap. 105—120 geben Borjchriften für das Verhalten in 
einer belagerten Feſtung. — Dann folgen in 8 Kapiteln nod allerlei 
Einzelheiten über Winterläger, Grenzitreifereien, Überfälle und Hinterhalte (em- 


570 Das XVI Jahrhundert. I. Allgemeine triegswiflenichaftlihe Werte. 


boscadas), jowie über Escaladen und über den Gebraud) der PBetarden. — Das | 
I. Bud, endlich jchildert in 18 Kapiteln den Seekrieg. 

Mendocas Werf gibt einen vollfommenen Begriff des ſpaniſchen 
Kriegswejens auf dem Höhepunkte jeiner Entwidelung, und wenn er 
e3 auch verichmäht, Betiptele zu bringen, jo werden dem Gejchichts- 
fundigen bei den Lehrmeinungen des erfahrenen Führers oft unmill- 
fürlich große Bilder aus dem niederländijchen Kriege emporfteigen. 

Neue Auflagen von Mendogas Werk erichienen zu Antwerpen 1596 um) 
1617. — Überjegungen wurden veranjtaltet in das Italieniſche (Wenedia 
1596 und 1616), in’3 Franzöſiſche (Brüfjel 1598) und in's Deutjche (Frankfurt a. W. 
1617, 1619 und 1625)"). 





8 38. 

In hartem Ringen mit Spanien begründete und bewahrte der 
niederländtiche Freijtat unter der Führung des Haujes NaffausOranien 
jene Unabhängigkeit. Während aber das joldatiiche Wejen der 
Spanier jeinen Spiegel in friegswifjenjchaftlicher Literatur gefumden 
hat, iſt das auf niederländiicher Seite nicht der Fall geweien. — 
Es iſt immer noch nicht genug erfannt und anerkannt, daß bei aller 
finanziellen, maritimen und bürgerlichen Leiſtungsfähigkeit — bürgerlid) 
hier auch in dem Sinne von jtädtiicher Waffenfraft genommen — 
die Niederländer doch nimmermehr im jtande gewejen wären, der 
Ipanischen Macht ſiegreich Widerjtand zu leijten ohne die im inneren 
Deutjchland geworbenen Feldheere und ohne die hingebende Führung 
durch die Hochbegabten nafjauischen Fürjten. Die Söhne des armen 
Weſterwaldes haben nicht geringen Anteil an dem langwierigen Kampf, 
in welchem die „Nederduitjchen“ jich behaupteten. — Die verhältnis 
mäßig jchwächere Begabung der Holländer, Seeländer und Frieſen 
für den Landfrieg jpricht fic) aber auch darin aus, daß jie ihn im 
Zeitalter ihrer höchiten Erfolge niemal® von der wiljenichaftlichen 
Seite betrachtet haben. Die einzige rein militärische Würdigung der 
Maßregeln des glorreichiten Feldherrn der Niederländer, Morizens 
von Oranien, verdanft man einem Vetter diejes zürjten, dem Grafen 
Johann von Hafjau. Da die höchſte Wirkfamfeit diejes ausgezeichneten 
Mannes erit in das erjte Viertel des 17. Ihdts. fällt, jo joll auch 

ı) Die erfte fpanifche Ausgabe und die Verbeutihung dv. 1617 in der Kegl. Bibl. zu Berl 


(H. v. 18750, bagl. 18882). Diejelbe Verdeutſchung auch in der Bibliothel der Kriegsalademie, die vom 
1619 und 1625 in der Danziger Stabtbibl. („Kunft und Gewerbe” qu. 43 und 80). 


4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht vor Nieuport 1600. 571 


ipäter erjt näher auf jeine PVerjünlichfeit eingegangen werden; hier 
it zumächit der Beobachtungen zu gedenken, welche der junge Herr 
zu der Zeit, da er fich die Sporen verdiente, im Sriegslager feines 
großen Verwandten und Feldherrn aufgezeichnet hat. Dieje Original- 
notizen des Grafen Johann über die Kriegführung des Prinzen Moritz 
v. Oranien find eigentlich das einzige, was von gleichzeitigen Kennern 
auf deutjcheniederländiicher Seite niedergejchrieben worden ijt: in diejer 
jonjt jo öden Zeit der deutjchen Kriegswiſſenſchaft ein wahrer Lichtblicd. 
Es gibt zwei Abjchriften davon, beide in Konvoluten des alten Dillen- 
burger Archivs, das jetzt zu Wiesbaden aufbewahrt wird. 

Die eine Niederjchrift befindet jich in dem „Originalhanderemplar“ 
des Örafen (K. 971), das den Titel führt: „Observationes, welche 
mein gnediger Herr Graff Johan, der Jünger, annotiret 
hatt, als derjelbe ettlich vnderjchiedlich mahll in den Nieder: 
landen gewejen vnd graff Mori von wegen der Herren Stathen 
etliche Stete vnd feitung belagert wie auch eingenohmen, wober vnſer 
genediger Herr jelbiten in Perſohn gewejen vnd uff alles, jo notirens 
werth geweſen, vleigig achtung geben. Dieſe observationes nunmehr 
unter gewijje titull gebracht, welches im Novbr. Anno 97 geſchah.“ — 
Die zweite, weiter ausgearbeitete, mit vielen Marginalbemerfungen 
Johanns verjehene Abjchrift findet ſich z. T. im III. tomus des 
jog. „Kriegsbuches“ (K. 924), von dem gelegentlich der Kriegswiljenichaft 
des XVII. Ihdts. noch geiprochen werden wird. 

Die Objervationes find teils taftiichen, teils fortififatoriich-poliorfetischen 
Inhalts. Sie beginnen mit einer Betrachtung der Zugordnung. — Graf 
Morig gibt der Avantgarde ftet3 einen bedeutenden Teil der Reiterei bei. Dem 
„Mittelzuge“ folgen alle Wagen und der „Droß“ (Troß). Dann jchlieht die eben- 
falls aus beiden Waffen zufammengejette Arrieregarde. Ihr aber folgt noch eine 
aus erlejenen Reitern und Knechten zufammengejtellte Rejerve, die für den äußerten 
Notfall zur Verfügung des Feldherrn bleibt. Wer heut im Vorzug ift, kommt 
morgen in’3 Mittel und übermorgen in den Nachzug. Dem Borzug ift ein 
Schanzmeijter mit Schanzbauern beizugeben, um die Wege zu bejfern, wo e8 not 
tut. — Unter den Wagen fahren zuerjt die mit Munition, dann die mit Proviant 
und dem Gepäd des Feldherrn und endlich die mit dem Gepäd der anderen 
Führer und Truppen u. zw. genau in der Reihenfolge wie die Truppen jelbit 
marjchieren. Während für gewöhnlid die Schügpen den Doppeljöldnern (Piten) 
zur Hälfte vorausziehen, fann das bei Negenwetter auch geändert werden, damit, 
wenn unverſehens ein Angriff käme, die Echügen Zeit behalten, ihre naß gewor- 
denen Rohre in Stand zu jegen. In der Nühe des Feindes iſt der Weg für 
den folgenden Tag durch einen vorausgejandten fundigen Offizier zu befichtigen. 


572 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


Diejenigen Ibjervationes, welde fih auf die formale Taktik des 
Fußvolks und der Reiterei beziehen, werden unter „Truppenkunde“ beiprocden 
werden. [$ 90.) 

Scharmüsgel find nur zuzulajien, wenn an der Spige unjerer Truppen 
ein guter erfahrener Befehlshaber jteht und aud) dann nur mit Erlaubnis des 
Feldherrn. Denn leicht Haben jolche fleine Gefechte Unordnung und Menjchen: 
verluft ohne greifbaren Borteil zur Folge. Niemals aber darf man fich Flucht: 
weife aus Scharmügeln ziehen, jondern, falls man weichen muß, hat es in jtrengiter 
Ordnung zu geihehen. Das iſt um jo wichtiger, als ſich nicht jelten aus derartigen 
Nencontres eine Schladht entwidelt. 

Für die Schlacht gilt der Grundſatz, daß der jtillitehende Verteidiger im 
Borteil ift, weil der vorrüdende Angreifer die Ordnung ſchwerer aufrecht zu er- 
halten vermag. Ferner find viele fleinere Abteilungen vorteilhafter als 
wenig große; denn bei jenen fommen mehr Leute zum Waffengebraucde, und 
Unheil, Verwirrung und Mutlofigkeit pflanzen ſich nicht jo leicht fort. Auch ver- 
mögen Hleinere jelbjtändige Abteilungen ji unter einander wirffamer beizujtehen 
als Teile ein und desjelben großen Gewalthaufens. Des erhöhten Waffengebrauces 
wegen find breite Shlahtordnungen den tiefen vorzuziehen. 

Es ijt zwedmäßig, das Feuer der Schützen vorzugsweije auf die feind- 
lihen Pikeniere zu richten, denn dieſe find der Halt der Schladhtordnung ; weichen 
jie, jo pflegt der Feind überhaupt geworfen zu jein; die Schüßen, welche ladens— 
halber ja nad) jedem Schuß zurüdgehen, haben dadurd ſchon Neigung zum 
Weichen. Eine bedeutendere Schwenkung im Gefecht vorzunehmen, ijt jehr 
gefährlich; es ijt eine halbe Flucht und gibt dem Gegner Gelegenheit zum Flanken— 
angriff. — Ein Hauptmittel des Sieges it gute Kenntnis der Gefecht— 
formationen in allen Teilen des Heeres; darin vorzüglich Tiegt die Stärke 
der oranijhen Streitmadht. Während andere Feldherrn halbe, ja ganze Tage 
brauchen, um ihre Armada in Schladhtordnung zu bringen, ordnen ſich die wol: 
geübten Truppen des Prinzen Moriz auf den erjten Wink. — Ein gutes Mittel 
zur Sicherung des Fußvolks gegen überlegene Kavallerie find die jog. „frieſi— 
ihen Reiter“. Heere, die ihrem Gegner überhaupt an Stärke nidht gewachſen 
jind, machen von VBerjhanzungen mit Vorteil Gebraud; aber auch zu 
deren ſchneller Herrichtung bedarf es forgfältiger Übung von langer Hand. — 
Ein anderes Mittel für jolche ſchwächeren Streitkräfte iit dad Hinausſchieben 
gefährlider Entjiheidung durd hinhaltende Kriegführung, die mit dem 
Einnehmen verfhanzter Stellungen Hand in Hand geht. Darin leitete Alba 
Ausgezeichnetes. 

Bon großem Wert ijt ferner ein gut ausgebildetes Nachrichtenweſen, 
wobei die Neiterei durd) Überfälle und das Einbringen von Gefangenen viel 
nugen fann. Der echte Feldherr offenbart jih aber dadurd, „dah 
er fein Verhalten nidht dahin jtellt, daß er jich jederzeit nad 
des Feindes Gelegenheit dirigiren und ridten will, jondern 
dem Feinde joldhes zu tun Urjah gibt“. — Das iit der große Gedante 
der Initiative! 


4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht vor Nieuport 1600. 573 


An dieje allgemeinen Betrachtungen reiht Graf Johann dann eine Menge 
Einzelheiten, auf die hier nur andeutungäweije eingegangen werden kann: 
j. B. Stratagemata, um die mit Spießen bewaffneten Doppelföldner zu trennen, 
zu welchem Zwede in den Niederlanden Leute mit Bijtolen hinter großen Schilden 
gegen die Pilen vorgingen. Die Doppeljöldner bewaffnet man am beiten derart, 
daß man den Gliedern Spieße von verjchiedener Länge gibt: dem 1. 3. B. 12 
lange, dem 2. 14° fange u. j. w. big 18, ja bis 20 Fuß. — Dann handelt Johann 
„von Entreprijen oder anſchleg“, vom Lagerichlagen. i 

Der Reft der Objervationes bejteht in einer ausführliden und bedeutjamen 
Abhandlung über Feſtungskrieg und Feſtungsbau, auf welde im legten 
Kapitel dieſes Buches eingegangen werden joll 8 128]. 

Man wird wohl faum irren, wenn man in Graf Johanns An 
notationen nicht lediglich Ergebnifje jeiner perjönlichen Beobachtungen 
erfennt, jondern auch den Widerhall der Anjchauungen des oraniſchen 
Hauptquartierd, ja zuweilen wohl Äußerungen des Prinzen Moriz 
jelbjt. — Bei Gelegenheit der Betrachtung der formalen Taktik 
des Oraniers wird jich ergeben, welche außerordentlichen Fortjchritte 
diejelbe gegenüber allen andern zeitgenöfjtichen Leiſtungen auf dem: 
jelben Gebiete darjtellt. Denn während die Gegner der Niederländer, 
die Spanier, ſich mit dem unlösbaren Probleme abquälten, die immer 
wachjende Zahl der Schügen mit den Bifenieren in ein und denjelben 
großen Sclachthaufen zu verjchmelzen, und dabei die Fünjtlichjten 
und jchiwierigiten Formationen nicht verjchmähten, löſt Moriz die 
Aufgabe, welche er jich gejtellt: jeder Waffe die möglichjt freie und 
vollfommene Wirkung zu jichern, in ebenjo einfacher als natürlicher 
Weiſe, indem er die Majje gliedert, Heine Abteilungen beider Waffen 
nebeneinander ordnet, jede ein Glied des ganzen, aber doch auch jede 
wieder in jich jelbjtändig und daher bei gemeinjamem Oberbefehl jede 
unter bejonderem Unterbefehlshaber. Und wie jo die Teile des ein- 
zelnen Regiments, die „Troups“, individualijiert jind und beweglich zu- 
ſammenwirken, jo auch die Negimenter in dem reich gegliederten Orga- 
nismus der in mehrere Treffen jchachbrettartig aufgeitellten Geſamt— 
ichlachtordnung, welche der Manipular: oder Kohorten-Stellung des 
römtjchen Heeres nachgebildet iſt. — Kehrt Oranien durch die flachere 
Anordnung jeiner Truppen und die einfache Zujammenjtellung von 
Schügen und Spiegern im Grunde genommen nur zu den natürlichen 
‚Formen der Vergangenheit zurüd, wie jie noc) in den zwanziger Jahren 
vom „Zrewen Rat“ empfohlen wurden, jo führt er dagegen durch die 
gejchachte Treffenordnung zu einer völlig neuen taftijchen Ara hinüber. 


574 Das XVI Jahrhundert. I. Allgemeine friegswifienihaftliche Werte. 


Aber noch nach einer anderen Seite hin tjt die kriegswiſſenſchaft— 
ihe Tätigkeit Sohanns von Naſſau jchon im 16. Ihdt. von her— 
vorragender Wichtigkeit gewejen, nämlich) in organijatorijcher 
Beziehung; denn er wurde der beredtejte Anwalt der im legten 
Viertel des Ihdts. neu belebten Bejtrebungen der deutichen Fürſten, 
das Söldnerweſen, wenigitens für Verteidigungsfriege, durch die Be 
waffnung der Landeseingeborenen jelbjt zu erjegen. — Am wichtigjten 
ijt im diejer Hinfiht: „Sraff Johanns deß Jüngeren von 
Najjau Discurs, wie Die Vnterthanen zue Kriegsſachenn 
vnnd nothwendigen Defenjion ihrer jelbjt anzuführen 
vnd willig zu machen.“ Die Arbeit fällt in die neunziger Jahre. 

Von diefem Diskurs bejtehen 3 Eremplare: das eine, eine Reinjchrift, be- 
findet jich in der SHerzogl. Bibliothet zu Wolfenbüttel in einem Sammelcoder 
(August. num. 38. Fol. c.); da& andere, eine Urjchrift, gehört zu den Papieren 
Johannes' im Alten Dillenbg. Archive zu Wiesbaden (K. 923), weit in einigen, 
jedody nur unmwejentlihen Punkten ab, und bringt nod am Schluß zwei Kapitel, 
die dem Wolfenbüttler Eremplare fehlen: 1) Das „Ärarium betreffend und wie mit 
der Zeit Vorräte zu jchaffen (dazu ein anderer Vorſchlag angefangen i. 3. 1596). 
2) Etlihe Nebenpunfte, jo die Beamten den Unterthanen zu Gemüth zu führen.“ 
Das 3. Eremplar ijt eine Abjchrift im Marburger Archive. . 

Der Gedanfengang tit folgender: „Der Herr oder die Obrigkeit 
muß anfenglich jämtlichen Untertanen zu Gemüt führen laſſen, was 
für bejchwehrliche und gefährliche Kriegsläufte jegunder jeien, auch, 
wegen unjerer Sünde, noch eine gute Weil verbleiben werden, und 
ihnen vor Augen jtellen, wie viel da an einem ordentlichen Kriegs 
wejen gelegen. Ein jolches muß entweder durch geworbenes fremdes 
Kriegsvolf gejchaffen werden, das in jchwerer Bejoldung zu halten, 
oder die Untertanen müſſen jelbit das bejte tuen, indem fie bei Zeiten 
ernen „Auszug“ machen von jungen und beherzten Männern, welche 
am beiten zu jolchem Handel qualifizirt und auskommen fünnen.“ 

Das Söldnerweſen hat große Nadteile: Die Werbetojten, der 
Sold, die Beihaffung des Proviantes, die Schädigung des Landvolks durch Raub, 
Plündern, Weiber und Kinderihänden, die Unmöglichkeit, in der Eile eine ge— 
nügende Stärke aufzujtellen, das häufige Durchgehen mit dem Laufgelde, der 
Mangel an Liebe zur Sadje, die Neigung zur Meuterei und Berräterei, wie jie 
jih zu Bonn, Gertruidenburg, Brüffel u. a. ©. gezeigt bat, u. j.w. — Die 
Untertanen haben Mannesherzen jo gut wie die Söldner, find immer zur 
Hand, fehren, aud wenn fie (mas Gott verhüte) geichlagen wären, wieder in die 
Heimat zurüd, während man geſchlagene Kriegsknechte nie wieder fteht. Unter: 
tanen werden ihr Waterland nicht verwüſten und nicht verraten; zudem jind fie 


4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlaht vor Nieuport 1600. 575 


weit anjpruch&lojer als Söldner und gewöhnt, gelegentlich auch einmal mit ſchmaler 
Koſt vorlieb zu nehmen. Andere Staten fechten daher auch vorzugsweije mit 
eigenem Volt. „Die Spanier, warn fie im Anfang aus Spanien geführt werden, 
find fait eyttel Geyßhirtten; die Frantzoſen, jo der König in Franckreich braucht, 
jind eytel frantzöſiſche Vnderthanen; die Engelländer, jo in Niederland gejchidt 
werden, ſeind der Königin ihr Vnderthanen und Bauers; die Schweißer, jo in 
Franckreich hin vnd wieder gebraudt werden, jeind eyttel Bauern vnd Khuemelcher 
wann jie zu Haus jeind, der Turkh, der jo viel außricht, braucht durchaus jeine 
Vnderthanen. Bnd alle dieje Volfher laſſen fich gebrauchen vmb ihren Sold weit 
binweg in frömbde Land zu jchidhen ... .“Y) Dagegen aber was die Bnderthanen 
bierinnen thun, das thun fie ihnen felbjten, ihren Weib und Kind und ihrer na= 
türliden Obrigkeit, da fie im Land uf ihren Miſten bleiben oder doch nur im 
Nothfall in der Nähe gebraudt werden, fintemalen jederzeit befjer ijt, jeines 
Nachbarn Haus helffen löjchen, dann jo lang warten, bis es aud) an das jeine 
tompt.“ Da jteht nun alles an richtiger Ausrüftung und Übung, und da 
ijt von langer Hand her vorzubereiten, nicht erſt wenn die höchſte Not drängt; 
„denn wann der Schadt gejchehen und die Kühe aus dem Stall find, iſt es zu 
ſpät.“ Sonjt geht es jo, wie es den im legten Augenblide zujammengerafiten 
Untertanen in Gotha und Werlen gejhah, die jämmerlich auf die Fleiſchbank 
geführt wurden, während die geübten Bürger von Altmar (1573) ſich ohne irgend 
welche Hilfe von Söldnern treiflidh gegen den Duc de Alba gewehrt, der vor 
diefem Ort über 20,000 Mann verlor. Und ebenjo war es zu Neu, Hertzog im 
Buſch, Grüningen u. a. Orten. 

Der in den Städten, Fleden und Dörfern zu bildende Auszug muß mit 
Anhörung der Nachbarn aus geeigneten und möglichſt abfümmlichen Leuten ge- 
bildet werden. Freiwillige gehen natürlich allen anderen vorauf. Pie Obrigkeit 
muß liberal und freundlich verfahren und den Leuten, zumal im Anfang, wohl 
etwas zum beiten und zum vertrinfen geben. Wanderfchaft und Kaufmannjcaft 
auch in der Fremde, darf denen, die zum Auszug gehören, nicht gehindert werden, 
damit feines Broderwerb leide. An Stelle derer, die fterben oder „ablibig“ 
werden, jind jährlid junge Schügen einzureihen. Willige Yeute find zu begün- 
jtigen durch Nachlaß von Holzgeld, Maftgeld u. dgl., dod) immer als Gratififation 
für ihre Teilnahme am Dienst, nicht als jtändiges Recht. — Eine jolhe Einrich— 
tung wird jih von Geſchlecht zu Gejchlecht fejter einbürgern, wird zur Hebung 
der Jugenderziehung beitragen, wird das Schützenweſen beleben und die jungen 
Menſchen geſchickter machen. 

Wert iſt auf geeignete und ſtattliche Kleidung zu legen; ſie hebt den Mut 
und fördert den Reſpekt; Soldatenrock und Soldatenhut koſten nicht viel mehr 
als bäueriſch und jchäferiich Kleid und Hut, und wenn man diejelben jchont und 
nicht bei der Feldarbeit trägt, jo dauern fie Jahre lang. Wämſer beftehen am 
beiten aus Leder, Hojen aus farbigem Wollentudh, Strümpfe aus Stridwolle ; 
ferner braucht der Mann eine „Caſiackh“, die nicht nur ihn jelbit, jondern auch 


1) Daß galt auch von dem deutſchen Soldfnechten, wie denn überhaupt dieſe Darlegung Jobanns 
ſehr anfechtbar ift. 


576 Das XVl. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


jein Gewehr dedt. Die Schneider müfjen bei hoher Strafe nad) gegebenem Muſter 
arbeiten; dad Material liefert die Obrigkeit am bejten jelbit. Die „Fähnlein“ 
find durd die Farben der Hojen und Strümpfe zu unterjcheiden. Das für die 
Kleidung nötige Geld vermögen die Leute leiht am übermäßigen Trinfen und 
Hochzeiten zu erjparen. 

Die Bewaffnung muß die Obrigfeit jelbjt beſchaffen und jie den Unter— 
tanen zu billigem Preije anjchlagen, aud) auf Wunſch umtauſchen und böje durd 
gute erjegen. Rohr und Muslketen jollen meijt Yuntenjchlojje haben; denn dieje 
find billiger und leichter zu reinigen als Feuerſchloſſe, auch leichter zu handhaben. 
Die Rohre bleiben jtet3 in Händen der Leute, damit fie damit umzugehen lernen. 
Zu jedem Rohr gehören 10 Ladmaße, die am Bandelier hangen und 1 Pulver: 
Hajche jowie „Parchefläſchen“ und Kugeln, Überzug und Holftern über das Rohr. 
„Musketier“ müfjen zuvor mindejtens ein Jahr lang mit gemeinem Rohr be: 
waffnet gewejen fein. Daneben führen alle Schügen Seitengewehre: „Khardelafien“ 
oder Nappiere, und einen guten langen breiten weljchen Dolch. 

Die „Helleparthier” tragen außer ihrer Hauptwaffe Sturmhauben und 
Rüjtungen, die im Zeughauje aufzubewahren find. Die Doppeljöldner desgleichen. 
Bon „Schlachtſchwertern“ bedarf man nicht viel; fie find im Vorrat zu behalten; 
denn nur wenige verjtehen damit umzugehen; es gehören beherzte mwohlgeübte 
Leute dazu, jonjt hindern fie mehr als jie nutzen. 

Jährlich müfjen die Untertanen wenigjtens zweimal geübt und gemuijtert 
werden im Waffengebraud und joldatiihem Stehn und Geberden, in Wachtdienit, 
Scharmügel und Schlahtordnung.*!) Jeder Befehlähaber und Kapitän hat jeine 
Leute jelbjt zu üben, was freilid unter den teutjchen Kapitänen wenig gebräud: 
(id) ijt, da fie es meijt jelbjt nicht verjtehen.?) Ohne jolche Übung aber bejtebt 
man, wenn es zum Handel fommt, wie Butter an der Sonnen; wo aber Ge 
ihidlichfeit mit Tapferkeit geht, da wird man unüberwindlid. — Die Schügen 
müfjen namentlich lernen, au in der Bewegung zu jchießen u. zw. jo, daß ein 
ununterbrochenes Feuer unterhalten wird. Beim Scharmügel (zerjtreutes Feuer: 
gefecht) gehen die Leute vorwärts oder rüdwärts jchlangenmweis aneinander vorbei. 
Dabei muß gegeneinander manöbriert werden, damit man lernt, dem 
Gegner den Schub abzugemwinnen und ihm dann, wenn er nicht geladen hat, mit 
dem Geitengewehr auf den Leib zu rüden. Alle Sonntag nahmittags wird nad 
der Scheibe gejchofjen?), und im Herbjt erfolgt ein Generalſchießen, zu dem die 
Leute der benachbarten Ämter vereinigt werden. — Die Doppeljöldner, an 
denen am meijten gelegen, müfjen, wenn glei ohne Rüjtung, gründlich geitbt 


1) Näheres vgl. in dem „Kurzen Dißcursd, wie bie Untertanen 3. 5. und 3. Bfb. 
zur Golbdaterei willig zu machen und auf was manier man biefelben unterwei en 
müjje* — ſowie „Berzeihnus und Beriht, mwejjen fih diejenigen zu verhalten 
welde die Untertanen zu unterweijen und anzuführen haben.” (Altes Dillenburger 
Ardiv. K. 925.) 9 Inftruction, weſſen fih ein junger angebender Gapitän zu ver— 
balten hat. (Ebba.) 

>), Bericht, wie Shüßen und Musketierer zur Scheibe ſchießen follen. (Altes 
Dillenburger Ardiv. K. 925.) 


4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht vor Nieuport 1600. 577 


werden in Handhabung ‚des Spießes, in Schild- und Scharwaht (Poſtenſtehen 
und Patrouillengöhen) und zu Ende des Sommers in Anjtellung der Schlacht— 
ordnung. Sie müfjen recht auf Frömmigkeit und Ehre halten und verzagte Ge— 
jellen anzeigen, damit fie ausgejtoßen werden. 


Zur Reiterei (Carapiner) nimmt man meijt Schultheißen und Beamte, 
fürftlihe Jäger und Andere, die ſich beritten machen fünnen. Auch fie ijt jähr- 
lid) zu muſtern und zu üben. Ihr Wert bejteht darin, gute Kundſchaft beforgen 
und fchnell wichtige Punkte, befonders Bälle, bejegen zu fünnen. Im Nothfall 
muß jeder Reiter einen Soldaten hinter ſich aufs Pferd nehmen.!) 

Jeder Fürjt joll fein Hofgeſind wehrhaft halten, daß es ihm zu einer fteten 
Garde diene. 

Bei Kriegsgejchrei wird der Auszug aufgemahnt und 3. T. 
an der Grenze zujammengezogen, auch wenn die Gefahr noch nicht 
gar fo dringend, um der Übung willen. Zu gleichem Zweck ift 
auch den Nachbarn Hilfe zu leiten. Gemeine Leute in Die 
Fremde wie Frankreich, Niederland, Ungarn, zu jenden, ijt nicht 
ratſam; fie fommen jelten wieder heim. Mit Befehlshabern iſt 
e3 etwas anderes; die fünnen da lernen.?) „Ein gemeiner Soldat 
joll jein wie, ein freudiger junger Rüdt auf der Schweinhaß, der 
da freudig angrifft warn man hetet, Und acht uff den Ausgang: 
ſind etliche Rüden offt bei dem Handell geweſen, die greiffen nicht 
ſo freidig zu wie junge, die noch nicht davon wiſſen; doch daß jie 
zunor ettlich mal am Friſchling und Fleinen Säuen, die ihnen nichts 
baben thun fönnen, find gehett geweſen.“ So muß man auch 
Soldaten erziehen. 

Alle fünf oder jechs Jahre muß man den ganzen Auszug ver- 
einigen und den Leuten bei der Gelegenheit wieder den vollen Wert 
der Eimrichtung auseinanderjegen und jie, falls jie ſich gut halten, 
iehr loben und rühmen. — Der Articulsbrief wird verlejen, und jo 
werden aus Bauern Soldaten gemacht. (Hier teilt das Dillenburger 
Eremplar den Artifelbrief Johanns des Älteren mit, 
d. d. 1594.) 


1) Bol. „Wie die Earapiner zu mujftern“. (Altes Dillenburger Archiv K. 923.) Ale 
Reiterausrüſtung“ zählt Graf Johann hier auf: Bibel, Pjalmen, Ealendarium, Landtaffeln und 
Garten, Schreibzeug (Papier, Pergament, Federn von Mefjing und Silber, Federn von jpan. Blei, 
Nötelftein), Arzeneibuch, Apothele, blechernes Geſchirr, lederner Eimer, Matrage, Leber jo man auf: 
biaien kann, Leinzeug, Zelt, Sattelgeug und Hufeifen, Handwerkszeug, Feuerfteine, Leuchter, Rüftung 
Wehr, Kleidung, Pulver, Schwämme u. j. w. (Wohl für den eigenen Zug.) 

2) Bol. „Urfadh bes Fortziehns” (Altes Dillenburger Archiv. K. 923). 


Jähns, Geichichte der Kriegswiſſenſchaften. 37 


578 Das XVI Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


Auch die daheim bleibenden Unterthanen müſſen für den Aus 
zug tätig werden. Sie haben die Einquartierung aufzunehmen um 
das Geld aufzubringen, welches den zur Mufterung zujammengezogenen 
Leuten gezahlt wird (1 oder 2 Gulden „zu drinndhen“). Jedes Amt 
jtellt jeinem Auszug einen Heerwagen mit Kuticher, 4 Pferden, 
2 Kaſten und einer Dede in den Farben des Fähnleins. Jedes Amt 
ichafft das Geld für Pulver und Lunten und läht (falls es 
nötig) die Feldarbeit für die Ausgezogenen tun. — Item: der Aus 
zug darf die Dahermbleibenden, dieje dürfen den Auszug nicht zu 
beneiden haben). 


8 39. 


Nächſt Deutjchland it Italien dasjenige Land, welches im 
16. Shot. den meiſten Anteil an der Entwidelung der Kriegswiſſenſchaft 
bat. Auf dem Gebiete der generellen Schriften tritt das freilich 
(abgejehen von Machiavellis klaſſiſchem Werke) minder hervor als auf 
dem der eigentlichen Technik; doch find auch unter den Werfen allge 
meineren Inhalts noch einige hervorzuheben. Aus der eriten Hälfte 
des Jahrhunderts ericheinen bemerfenswert des Parmejen Garimbert: 
fünf Bücher »Il capitano generale« (2. Aufl. Venedig 1556), di: 
von den Eigenjchaften des Feldherrn und der Slrieger, von der 
Strategie, dem Belagerungsfriege und von der Schlacht reden. 
Einem Teile diejes Werkes inhaltlic) nahe verwandt ijt ein Mamı- 
jfript des Vatikans (lat. 5351): Dell’ ottimo Gouerne del Re 
et capitano delle esercito, lebendige Auseinanderjegungen politischen 
und militärischen Inhalts. Endlich gehört hieher die Deserittione 
dell’ arte militare eines ungenannten Kriegsmanns, Deren 
Handjchrift die kgl. Bibliothek zu Berlin bewahrt (ms. ital. fol. 
no. 1), welche mit bedeutendem Verſtändnis das ganze Gebiet 
des SHeerwejens und der Kriegskunſt abhandelt und von welde 
ih in Italien jelbit feine Spur wiedergefunden habe. Gegen 
Machiavellis Vorjtellungen von der römischen Taktik polemiſiert der 
Verfaſſer. 

Der umfangreiche leider undatierte Foliant iſt ganz ausgezeichnet jchör 
illujtriert und behandelt vorzugsweije den Dienjt des Fußvolks. Dabei fällt au’ 


1) Dillenburger Archiv K. 925. 


4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlaht vor Nieuport 1600. 579 


daß nirgends von Schügen die Rede ift, wohl aber die Pileniere außer mit Schwert 
und Spieß auch mit einem kurzen Handfeuerrohr, dem Fäuſtling, bewaffnet jind. — 
Die merfwürdige Handjchrift verdiente einmal eine genaue Durcdarbeitung. 

Das Durchſchnittswiſſen vom Anfange der zweiten Hälfte des 
Sahrhunderts faſſen des Gentorio degli rtenzi Discorsi di guerra 
in einque libri (Venedig 1559) recht kurz und gut zujammen. Viel 
weitichweifiger und antiken Überlieferungen allzubreiten Raum ge 
während jchrieb Bernardino Rocca jowohl die Impresi stratagemini 
et errori militari (Ben. 1566) al$ Del governo della militia (1570). 
Ganz der Praxis zugewendet jind Dagegen des Franc. Ferretti Dell’ 
osservanza militare libri (Venedig 1568), auf welche noch näher 
einzugehen jein wird. [$ 86]. — Zwei Werfe tüchtiger Kriegsmänner 
liegen nur handjchriftlich) vor: der Discorso della militia eines 
fatjerl. Truppenführers von 1572 in der ambrofian. Bibl. zu Mai- 
land und des vielerfahrenen Neapolitaners Giul. Ceſ. Brancaccio 
Discorso sulla guerra in der Bibl. zu Siena. Tätiger Soldat war 
auch der Verf. einer 1572 zu Venedig erjchienenen, wejentlich auf 
Vegez’ Epitoma beruhenden Disciplina militare: Alfonfo Adriano, 
der jpäter gegen die Türfen fiel. — Die Reihe der italienischen 
Schriftjteller des neunten Jahrzehnts eröffnet Divmede Carafa, Graf 
von Maddaloni, mit jeinem vielgelejenen Buche Gli ammaestramenti 
militari (Florenz 1581). Das gutgejchriebene, ganz furzgefaßte und 
überaus jeltene Schriftchen des venetianischen Generald Francesco 
Maria della Rovere, Herzogs von Urbino, Discorsi militari 
(Ferrara 1582) hat Newmayr von Ramsla unter der Überjchrift 
„Bon allerhandt Kriegsvorteilen“ verdeutjcht und mit des Fra Lelio 
Brancaccio Bud, Della vera disciplina et arte militare [$ 2] 
als „Zween Kriegsdiscurs“ herausgegeben (Frankf. a. M. 1620). 
Diefer Brancaccio jchrieb auch ein Ämterbuch: I carichi militari o 
fucina di Marte, das jedoch erjt anfangs des 17. Ihdts. erjchien. 
(Antwerpen 1610.) — Bon militärpolitiichem Interefje it des Nea— 
politanerd Girolamo Frachetta: Seminario de governo di stato 
et di guerra (Venedig 1597), das in emigen Ausgaben den Titel 
»Il prencipe« führt. Eine Verdeutjchung dieſes Werfes, Die ich 
jedoch nicht fenne, joll i. 3. 1681 zu Erfurt erjchienen jein. 

Das Werk, welches endlich die italtenijche Literatur des 16. Ihdts. 
abjchließt, it zugleich eine der bedeutenditen ihrer Leitungen: des 

37* 


580 Das XVI Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


Mario Savorgnano, Grafen von Belgrado: Arte militare 
terrestre e maritima; seconda la ragione et uso de’ piu’ 
valorosi capitani antichi e moderni. (Benedig 1599.) 

Der Autor, der in venetianischen Dieniten ſtand und als Lehns- 
mann der Republif einige Schlöjjer derjelben auf der Terra ferma 
bejaß, hat diefe Schrift jeinen jungen Vettern gewidmet, um jie ın 
der Kriegskunſt zu unterrichten. Sie zerfällt in 4 Bücher. Das erite 
handelt von den Kriegsämtern und den beiden Hauptwaffen: Fußvolk 
und Reiterei, u. zw. in Bezug auf taktische Gliederung wie auf Ver: 
waltung und Rechtspflege. Im zweiten Buche jpricht Savorgnano 
von Marjch und Lager, wobet auch des Aus und Einjchiffens großer 
Truppenförper gedacht wird. Das dritte Buch ijt der Betrachtung 
der Feldſchlachten, das vierte der Befejtigungsfunjt gewidmet. — Dies 
Werk zeichnet ſich durch einen weiten GefichtsfreisS aus; neben den, 
der Zeitſitte nach, reichlich vertretenen Beijpielen aus der antiken 
Kriegsgejchichte ift doch auch die neuere entjprechend berücjichtigt und 
durch Holzichnittdarjtellungen illuftriert. Dahin gehören 3. B. die 
bildlich erläuterten Bejprechungen der Schlacht von Bouvines (1214), 
Audenarde (1381), Rivolta (1509), Bicocha (1522). Dieje Verwendung 
moderner Ffriegsgejchichtlicher Beiſpiele zur theoretischen Applikation 
it Sehr bemerkenswert. Ähnliches zeigt ſich allerdings bereits bei 
Machiavelli; aber jo fonjequent und jo anjchaulich durch planartige 
Zeihnungen unterjtügt, wie es hier von Savorgnano gejchieht, 
war es noch nicht dagewejen. — Wichtiger aber iſt das Werf noch 
nach einer anderen Richtung Hin geworden, nämlich durch jeine Sy— 
jtematif. Die Gliederung des Stoffes der Kriegswiſſenſchaft, wie 
Savorgnano jie eingeführt hat, iſt typiſch geworden und zeigt Die 
methodische Betrachtungsweije des Jahrhunderts auf ihrer Höhe. Aus 
diefem Grunde ift es notwendig, das Lehrgebäude diejer „Kriegskunſt“ 
etwas näher ins Auge zu faſſen. 

Savorgnano zufolge bejteht die Kriegskunſt in zwei Hauptjtüden): in 
der Zubereitung und in der Handlung. — I. Die Zubereitung betrifft das 
Bolt, die Inſtrumente, die Viltualien und das Geld. Die Zubereitung des 
Volks bezieht ſich auf die Berehlih&haber und auf die Gehorjam leiitenden 
Privatperjonen, Die Befehlshaber gliedern ji in drei Ordnungen: 





ı) Ich brauche im folgenden die Ausdrüde der Verbeutihung von 1618. — Die tabellariſchen 
Überfichten Savorgnanos nehmen mweit mehr Raum ein als die hier gebotenen Proben, weil auch die 
bier in den laufenden Tert übernommenen Angaben im Eriginal bejondere Kolumnen bilden. 


4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlaht vor Nieuport 1600. 581 


Wiſſe nſchaft in Kriegsiachen. 


: I- Srhaung Tugeud und Zapferleit im Streit. 
Der Feldherr : 
behazt: Unjehen im Befehlen. 
j Glüd in Ausgängen. 
General vber das Fußvolc. 
. | Schwäre. 
I. Ordnung General vber die Reuteren | Keichte. 


Feldmarſchald. 
General vber die artillerey. 


Obriſter vber ein Regiment knecht. 
III. Orbnung Rittmeifter ober Reuterey. 
Obrifter General Wachtmeiſter. 

Die Privatperjonen, jo Gehorjam leijten, gliedern jih in Fußknecht 
und Reuter. — Man wählt am beiten „Vnderthanen; denn joldhe jtreitten beſſer, 
laſſen fich befjer pnderridhten, gehorjamen befjer“. Bei der „Starcke“ (perjönlicher 
Auswahl) jind in acht zu nehmen: „der Kunjt, das Alter, der Brjprung, die Statur.“ 

Die Juftrumente find „Waffen zur offension und defension«, jowie 
„Pferde für Kürifjer und für Leicht gerüjtete“, wobei es auf „qualitet, Art vnd 
Vbung“ ankommt. 

Die Viltualien „erhebt man oder jamlet fie ein“. 

Das Geld „entzeudt man dem Feind oder jamlet es mit Haufen ein, um 
es mit fleiß zufammenzujparen oder bey fürfallender Gelegenheit aufzugeben“. 

II. „Die fürnehmjten Handlungen des gangen kriegsheers jeind Fortziehn, 
Loſiren und Schlacht thun“. Das Fortziehn gefchieht entweder indem man 
„tortzeucht” (vorgeht) oder indem man „zurüdzeudht“. Wenn man vorgeht, iſt 
zu bedenken: Die Wijjenfhafft der örter, die einer Hat: durch ſich jelbit 
(d. 5. durch Jagen oder perjünliche Rekognoszierung „in Kauffmannsgeſtalt“ oder 
dergl. oder durch „allerley abriß“ d. H. Karten) oder durch Andere, nämlich getreue 
Kundichafter oder fürfichtige und beherzte Abjeher GRekognoszenten). Zweitens bleibt 
zu bedenfen die Zeit und dad Ziel der Reife, welche beide heimlich zu halten 
find. Bei Landmärſchen ijt zu bedenken, ob die Soldaten nichts mit jich führen 
als Waffen und Speije oder ob fie „verhindert“ werden durd) „Bagagien, Krancke 
vnd Gefinde“. Ferner ift zu erwägen, ob der Feind ferne oder zugegen fei oder 
berannahe, endlich wie der Weg jei: eben oder bergig, ob man durd offene Örter 
tomme, „da man fi) einer lift zubefahren“ und von welcher Seite und unter 
welchen Terrainumjtänden man jic) de Feindes zu befahren habe. In Rüdficht 
auf Gewäſſer ijt zu bedenken, ob und wie Flüſſe zu überjchreiten jeien mit Brücken 
bzgl. Schiffen, die man mit ſich führt oder im Notfall erbaut, ob man „watten“ 
tann, wobei unter Umjtänden die Reiter ald Wehr für das Fußvolk zu brauchen 
iind. Iſt das Meer zu überjchreiten, jo fommt jenjeit3 alles auf rechtzeitige 
Ausihiffung des Fußvolls an. — Bein Zurüdgehen achte man darauf, dem 
Feinde fchnell aus dem Geſicht zu fommen, das Heer „in viel theil zu theilen, 
damit man durch enge örter ohne vnordnung ziehe“ und doc „die glieder des 
Kriegäheer8 wol beyjammen halte, damit im Nothfall eins dem andern zu Hülff 
tommen könne“. Will man heimlich nadt3 aus einem Lager aufbreden, jo laſſe 
man die Feuer hinter ſich brennen. 


582 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


Beim Loſieren ift zu bedenken: 


gejund wegen | — 
Die Gelegenheit Korn, 
bed ort, pberflüfjig an | Gem, 
daß er ſey Holp. 


| weit umfangen, daß man mit guter beauemlichkeit barin fen, 
Nper | dab das Erdtreich fo beihaffen, daßz man bamit ſchanzen Lönne. 
Die Form bes | rund, begreift zwar genug Raum, hat aber die Stärke nicht, 
Laͤgers. Dieſe | vieredig ift gut fich zu befeftigen. 


ift entiweber was art fie wolle, wenn fie nur nad) lage bes orts gerichtet ift. 
Materi ber ans 
Befeftigung Erbichollen. 


Der General muß im Lojament den allerficherjten Ort haben. Das Fußvolk ist 
zunächſt der Verſchanzungen auszuteilen ; die leicht gerüfteten Pferde find bei den Toren 
unterzubringen, die ſchweren Pferde, die Munitiones und Handwerf3leute im Inneren. 

Der Krieg ijt entweder ein »Defensiv Krieg, wann man nit jo jtard ijt 
als der feind vnd einer ſich bejchüget entweder mit Stätten oder mit Yagern, 
oder Offensiv Krieg, wann einer jo jtard oder jtärder ift als der Feind vnd 
difem in feim Land anfället oder (worbei weniger vortheil) daß man des Feinde 


erwarte“. — Bei der Schlacht ijt nun zu bedenken: 
warn wir jhr Macht fchwächen, 


Das Boll, bie zahl der — wann wir jhnen verbieten, daß fie nicht aufammen- 
dad besjelben genug feind = rag ftoßen, 
jei und ift infonder- | bie tugend ge außihiden v. jhr grängen 


eit gu ſehen auf | der feinp j Tegem fein — — eig anfechten, in jhrer Bunde 
zerteilen, in w genoffen land einfallen. 


Ratur 


Der Ort, ber tugenb, bie vns zum bortheil gereicht buch | Hunft, 
ber zu gebrauchen Wind und Sonne. 
nad) der liſt daß er verborgen je (ald Wälde, Gebüſch, Thal vnd Berge), 
daß Raums genug jen für bie in hinderhalt zu legenben Soldaten. 
Sommer, jo die beite, weiln die früchte reiff. 
Winter, welcher viel vngemach mit ſich bringet (und doch pflegt man in ſolchem 
aroße Ding auszurichten). 
Die Beit, Gute Gelegenheit, jo man zu feiner zeit verachten joll. 
ob e8 Tag, dieweil man bie folbaten | Scham, weil joldhe jhnen vor augen 


bejjer im Zaum hält wegen ber | Gegenwart und vermahnung ber Eapitain. 
Nacht, dieweil die Soldaten mehr denden, fich zu salviren, al® Ehr einlegen 
wollen (und doch pflegt man bei Nacht quter gelegenbeit in acht zu nemen‘. 


Bann man bie Haufen zu orbnen bat. 
der zanı | Schlecht (einfache Ancchte), 
| Geboppelt (Doppeliöldner). 

das Bolt Forn ſchmal ond binden immer breiter, dab man ben 

theile der figur Feind trenne (Keil). 

nad) Runden, daß man dem Anfall wiberftebe. 

Vieredigten, dab man fortziehe. 
Welche man in jebweberen Haufen ftellen fol. 
Mit welhen der unferigen und wider welchen ber feind man anfaben fol zu 
iharmügeln. 

Wo ber General ftehen joll, wie auch die anbern fürnemen Häupter. 


Wie man 





Die Ordnung, 
bei welcher zu 
bebenten 


— — — —— ZZ Te ee 


Schlußbetrachtung. 583 


den Feind in Haß und Verachtung 
bringe ; erzähle, was hie bevorn glüd: 
geſchieht, lich verrichtet worden; dem glück zu⸗ 
daß er | fchreiben, jo jechtwas verloren; be 
weiſe, dat dem fleiß das glüd beiftehe. 


Savorgnano, deſſen Syitematif grundlegende Bedeutung in der 
Geſchichte der Kriegswiſſenſchaft hat, galt bei ſeinen Zeitgenoſſen 
bereit8 als Autorität, und dies Anjehen jcheint ſich auf jeine jungen 
Vettern, denen jein Buch gewidmet it, übertragen zu haben. Die 
Nationalbiblioth. in Florenz bejigt ein dem Grafen Giulio Savorgnano 
von Baginiano Leopardo Dedizierte® Compendio militare, 
welches die mathemattichen Grundlagen der Taktik und Befeitigungs- 
funjt vorträgt. (Uffie. XIX. 9, 13.)}) 

Eine 2. Auflage der Arte militare erjchien 1614; eine Verdeutſchung 
unter dem Titel „Krieggkunjt zu Land und Waſſer“ gab Newmayr von Ramsla 
1618 zu Frankfurt a. M. heraus?). 


den freubigen ein her made, 

den fürneniöften zur beftenbig: | Colıee 
feit vermahne, 

ben jordhtiamen frafft gebe. 


Die Bermahnung 
des Generals zu ben 
Kriegsleuten, daß er 


Schlußbetrachtung. 

Überſchaut man die der allgemeinen Kriegswiſſenſchaft gewidmeten 
Werke des Jahrhunderts, ſo erhält man, namentlich hinſichtlich Deutſch— 
lands, den Eindruck, daß das Durchſchnittsmaß der Bildung gering 
war. Nicht in Bezug auf Artillerie und Fortfikation; denn auf 
dieſen Gebieten nahm die Tätigkeit der Deutſchen (wie die weitere 
Betrachtung zeigen wird) nahezu die erſte Stelle ein, wohl aber in 
Hinſicht auf Taktik, Feldherrnkunſt und methodijche Durcharbeitung 
des friegswifjenichaftlichen Stoffes. Bon einer jolchen ijt eigentlich 
nur bei den Fürſten die Nede; denn bei diejen: etwa bei Herzog Philipp 
von Eleve, bei Marimilian I., bei dem „Trewen Rat“, der jicherlich 
auch dem höchſten Herrenjtande angehörte, bei dem Grafen von 
Solms, bei Albrecht von Brandenburg Preußen, bei Wilhelm IV. von 
Heſſen, bet dem Grafen Sohann von Nafjau, offenbaren jich immer 
noch die freiejte Gerjtesbildung der Zeit, die beite Fähigkeit, jchrift: 
jtellerijch anzuordnen, der meiſte „gejunde Menjchenverjtand“, weil 
das mindeite Maß von Zunftjinn und Pedanterie. Bon Karl V. 
rühmt es d'Avila ausdrüdlich, dab er tm ſchmalkaldiſchen Kriege eine 
N) Allerdings ift die Widmung an den Grafen Giulio jpäter ausgeftrichen und durch eine ſolche 
an den König von Polen erjegt. Datiert iſt das Werk nicht. 

2) Die Auflage von 1599 im Berliner Zeughaufe (A. 33), die von 1614 in ber Bibl. der dortigen 


Kriegsafademie (D. 4118) und in der des Verfaſſers. Die Verdeutſchung in der Kal. Bibl. zu Berlin 
(H. v. 18861), in der Stadtbibl. zu Franffurt a. M. (Milit. 57) und im Befige des Verfaſſers. 


584 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine friegswijjenichaftlihe Werte. 


Karte bejejjen und fie zu lejen veritanden habe. Das galt gewiß 
nicht von Vielen! Dem es jtand jehr mangelhaft mit der mili- 
tärijchen Bildung, und diejenige Art, fie anzupreifen, welche Fröns— 
perger in der Widmung des II. Bandes jeines großen Kriegsbuches 
wählte [S. 552], mit ihrem Hinweis auf Lucullus, konnte unmöglich 
von bejonderer Wirkung jein. Die Kriegsmwijjenjchaft erfreute 
ſich in Deutichland feiner Hohen Achtung. 

„SH Hab in meinen Jungen Jahren“, jagt Markgraf Albrecht in der 
interefjanten Einleitung feines Kriegslehrbuchs, „vilmals gehört und auch erfaren, 
dad man hoch veradht, wenn einer kriegsbücher vnd andere gelejen vnd daraus 
mit friegäleuten geredt. Do hat man ja den einen Bücherkriegsmann geheiben. 
Bnd die Jugend Hirmit dahin gefüret, das fie zur lehre feinen lujt noch willen 
gehabt“. 

Anders jtanden die Dinge in Jtalten. Hier waren jchon jeit 
dem 15. Ihdt. die Kriegswiljenichaften Gegenſtände jorgfältiger 
Schätzung und Bearbeitung, jogar Gegenjtände modijcher Liebhaberei. 
Bon Jahrzehnt zu Jahrzehnt hatte ihre Behandlungsweile jich ver: 
bejjert und verfeinert, und jo geſchah es, daß dieje ſich allmählich aus 
der mehr äſthetiſchen Art der Anordnung wie jie in den Gejprächen 
des Machiavelli vorliegt, fortentwidelte zu emem abgejchlojjenen 
Syſtem, dejjen logisch und methodisch geordnete Kategorien in des 
Grafen Savorgnano Arte militare fejtgejtellt jind. [$ 39.] Man 
darf behaupten, daß dies Buch die Grundlinien der noch heut 
geltenden Syjtematif unjerer Wiffenjchaft enthält, daß es mit jeinen 
verjtändigen leicht überjichtlichen Schematen maßgebend geworden tft, u. zw. 
für alle Folgezeit. Zum erjtenmale hatte hier ein höchſt Elarer und 
genauer, wenngleich feinesiwegs genialer Kopf die Dinge in philo- 
jophiichem Sinne geordnet und Elafjifiziert und zugleich in weit 
jichererer und mehr zweckbewußter Weile als bis dahin je gejchehen 
war, die Brüde gejchlagen von der militärifchen Doctrin zur Kriegs: 
geihichte. Savorgnano zuerjt hat die Kriegsgeihichte me- 
thodilch zur Erläuterung und Begründung der Theorie 
verwertet, zuerjt einzelne hiſtoriſche Ereignifje in einer bis dahin 
faum befannten Weile veranjchaulicht, indem er die Bejchreibung der— 
jelben durch beigegebene Pläne unterjtügte. Dies war ein wichtiger 
Fortſchritt (1599). 

Zu emer eigentlichen Theorie der Kriegführung Drang 
man aber auch in Italien nicht vor. Was in diejer Hinjicht über: 


Schlußbetrahtung. 585 


liefert wird, tjt meist Wiederholung antiker Vprjchriften, unter denen 
namentlich immer aufs neue die Maxime wiederholt wird: »E piü 
glorioso la uittoria senza sangue che insanguinata!« (Öarimberto). 
Auch Machiavelli beteiligt jich an der Weiterführung der Begettichen 
Tradition; aber jein Studium der Kriegsgejchichte der Alten, zumal 
der Feldzüge des Cäjar, hat ihn doch zu jelbjtändiger Auffafjung 
befähigt, und jo empfiehlt er das Reſerveſyſtem, wie die energiſche 
Berfolgung, und erflärtt Schlahtengewinn für die Hauptſache 
der Kriegführung. Auch Garimberto [S. 578] wetjt dringend auf 
volle Ausnugung des Siege hin: »Non 6 minor virtü il sapere 
usar la uittoria che 'lvincere!« — Wilhelm IV. von Hejjen 
(1580) empfiehlt, auch in der Defenſive angriffswerje zu verfahren: 
„Der Borjtrait iſt Goldes wert!“ Und Sohann von Naſſau 
(1597), der den Wert der hinhaltenden Kriegführung eines Alba jo 
vollfommen zu jchägen werk, lehrt doc) auch mit treffenden Worten 
den unjchägbaren Bortheil und Vorzug der jtrategischen Initiative! 

Bet den Deutjchen hat jich frühzeitig eine rationelle Marſch— 
ordnung der Deere herausgebildet, welche al3 die natürliche Grund- 
lage jachgemäßer Schlachtordnung von hohem Werte war. 

Der „Trewe Nat“ läht der aus allen drei Waffen gebildeten Rennfahne 
ſogleich da8 „gewaltig Geſchütz“, d. h. die ſchwere Artillerie, ald die den Ent— 
iheidungsfampf vorbereitende Waffe folgen. Daran reihen ji) der gewaltige 
Haufen des Fußvolks und der gewaltige Reifige Zeug, und den Beihluß madıt 
eine verhältnismäßig jtarfe Nachhut, die wieder aus allen drei Waffen bejteht und 
zugleid im Sinne einer Seneralrejerve verwendet werden joll. Aud Herzog 
Albrecht (1552) läßt das Geſchütz an der Spite des Gros marjdieren. 

Auf die Empfehlung eigentliher Shlahtordnungen lafjen 
jich nur wenige Autoren näher ein. Unter den älteren deutjchen Schrift: 
jtellern bietet der „Irewe Nat“ bei weitem das Beite. 

Er empfiehlt viele Heine Haufen, breite Ordnung derjelben, Einleitung des 
Kampfes durch ein wohl gerichtetes zerjtreutes Gefecht der Laufer, jtaffelförmigen 
Angriff der Hauptmafjen (Vorhut und Gros) und endlich entſchloſſenes Eingreifen 
der Generafrejerve, die unter Umjtänden überrajhend aus der Tiefe zum ent- 
iheidenden Schlage vorzuziehen jei. 

Wie tot erjcheint gegen dieje reich gegliederte Anordnung die 
etwa 20 Jahre jüngere Dispofition du Bellay-Langey's! 

Diejer jchreibt als Normaljhlahtordnung des Fußvolks einer Armee von 
vier Legionen ein mädtiges hohles Viereck vor, auf deſſen Flügeln die Gendarmerie 
von je zwei Legionen hält. In das Innere verweijt er den Troß und (für den 


586 Das XVI Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


Fall der Bedrängnis) die perlorenen Knechte, welche jonjt außerhalb des Viereds 
iharmuzieren. Die Artillerie läßt er entweder in Front vor oder Hinter dieſem, 
oder der Länge nad), auf den Seiten ziehen. 

In diefen jo jehr verjchtedenen Schlachtordnungen des Treuen 
Rates und du Bellays treten uns die beiden großen Hauptrichtungen 
des Zeitgeiſtes deutlich entgegen, von denen die eine auf die Ent- 
wicdelung, die andere auf die Maſſierung ausgeht und von 
denen demgemäß die erjtere wejentlic) von offenfiven, die legtere von 
defenjiven Impulſen beſeelt it. 

Eine geradezu unerhörte Fülle der Erfindung beweijen die 42 
Schlahtordnungen des Herzogs Albreht von Preußen. 
Diejelben find fajt ſtets „dreifchichtig“, d. h. in drei Treffen, gedacht 
und im möglichjt viel jelbjtändige Abteilungen gegliedert. Be 
wunderungswürdig erjcheint jene Dispofition einer jchrägen Schlacht- 
ordnung, wobei dem ausgezeichnet zujammengejegten Angriffsflügel 
Einleitung und Entjcheidungsftoß zufällt, während ihm die zurüd- 
gehaltene breite Maſſe des Heeres die innere Flanke dedt. Dies iſt 
ganz umd gar im Sinne des Epaminondas, ja des Alexander er: 
funden und erjcheint durchaus als der Höhepunkt der „großen Taftif“ 
des 16. Ihdts. Gegen dieſe freie und Hohe Auffaffung tritt jelbjt 
alles das zurüd, was die nafjauischen Fürſten gegen Ende des Jahr: 
hunderts geleiftet und gelehrt. — Leider entiprach jo hellblictender 
Theorie die Praxis nicht. Dispofitionen von einer jolchen Tragweite, 
wie Herzog Albrecht ſie empfahl, Eonnten von den jubalternen Getjtern, 
denen metjt die Anordnung der Heere zufiel, faum aufgefaßt, : ge 
jchweige denn durchgeführt werden, und es entjpricht dem handwerfs- 
mäßigen Betriebe des Krieges durch geworbene Mietlinge, daß im 
16. Ihdt. Strategie und Taktik mehr al3 vielleicht jemals früher 
oder jpäter nicht von genialen Perjünlichkeiten, jondern von zunft- 
mäßig gejchulten Routiniers bejtimmt worden find. 


Übereinftimmend verlangen die Schriftjteller für den Feldherrn 
volle Freiheit des Handelns. Diejen Gedanken, den jchon 1498 der 
Herzog von Eleve mit großer Beitimmtheit ausjpricht, formuliert 
du Bellay-Langey um 1540 jehr treffend dahin, daß dem Feld 
herrn nur jeine Aufgabe zu jtellen, ihm aber nicht der Weg zu Deren 
Löſung vorzujchreiben je. Machiavelli (1521) jtellt dem Feld— 


Schlußbetradhtung. 587 


herrn einen Sriegsrat (Generaljtab) zur Seite, der jich bereits tim 
Frieden durch regelmäßigen Nachrichtendienit auf feine Aufgabe vor- 
zubereiten habe, und erhebt damit eine Hochmoderne, erſt in viel 
jpäterer Zeit methodiich erfüllte Forderung. Der „Trewe Rat“ 
verlangt 1522, daß der Feldherr nicht nur ein friegsfundiger Mann, 
jondern auch von jehr hoher Geburt jei, um Reibungen mit hoch— 
geborenen Unterbefehlshabern vorzubeugen, ein Gedanke, der ich ganz 
ebenjo bei Kaiſer Leo findet [M. $ 8], deſſen Auffaffungen diejer 
Dinge neben denen des Vegez jich überhaupt in den meijten ent= 
iprechenden Äußerungen der Schriftiteller wiederjpiegeln. Die weitere 
‚Forderung des „Irewen Rates“ : unbedingte Einheitlichfeit des 
Oberbefehls iſt leider zu jener Zeit oftmals nicht erfüllt worden; 
an ihrem Mangel vorzugsweije jcheiterte der Feldzug des Schmal- 
faldiichen Bundes und bejtätigte dadurch das alte auch von dem 
Parmejen Garimberto in jenem »Capitano generale« (Venedig 
1556) jo nachdrücflich betonte Wahrwort: »La guerra ben guerri- 
giata da un solo contra di molti confederati insieme suol hauer 
per fine la uittoria«.. — Immer wird hervorgehoben, daß der 
Oberjtfeldhauptmann auch über dem Feldmarſchall jtehe, der aljo 
wohl manchem wegen jeiner Stellung an der Spite der vornehmiten 
Truppe, der adeligen Reiſigen, als eine Art konkurrierenden Gewalt 
habers erjchienen jein mag. Heeresrechtlic aber fiel ihm die Führung 
der Nennfahne, der Vorhut, zu (jo bei Graf Solms 1552), und ge: 
wöhnlic wird er auch als oberjter Lieutenant des Feldherrn aufgefaßt. 

Die Stärfe der Heere mwechjelte natürlich je nach Umjtänden. 
Als normal erjcheint dem Machiavelli die Stärke der konſulariſchen 
Heere Roms: 20 bis 30 Taujend Mann. Der „Irewe Rat“ iſt 
beicheidener; er verlangt, jogar gegen einen mächtigen Feind nur 
10000 Fußknechte, 1500 Neiter und „ziemlich Feldgeſchoß“. Dagegen 
erichernen auch im Michael Ott's alter deutjcher Kriegsordnung von 
1526 wieder 20 bis 30 Taujend al3 die natürliche Heereseinheit, 
welcher als artillerijtiiche Einheit „ein Zeughaus“ beigegeben wird» 
— In dem Anjchlage zum Türfenzuge von 1532, deren Hand» 
Ihrift die Stuttgarter Bibliothek bejigt (Milit. fol. 1) wird dem 
Kaifer geraten, jein Heer aus 30000 Reitern, 60000 Mann zu 
Fuß und 76 Gejchügen mit 2000 „Duajartoy“ (Guajtadoren) zus 
ſammenzuſetzen. 





588 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. 


Die Reiterei joll aus 10000 wohlgerüjteten und 20000 leichten Pferden 
bejtehen, das Fußvolt aus 10000 Mann mit Kurzwehren, 32000 Spiehern und 
18000 Schügen, von denen je 6000 aus Spanien, Italien, bezw. Deutjchland 
nebjt den Niederlanden zu entnehmen jeien. 

Die Zujammenjegung des Heeres aus den Drei 
Waffen iſt allgemem anerkannt; jelbit Machiavelli verzichtet 
nicht auf fie, jo wenig er auch von der Artillerie für den Feldkrieg 
hält. Lebhaft tritt Ott für dieje Verbindung ein S. 486]. 

Mendoza vergleicht 1595 das Zujammenmirfen der Waffen 
demjenigen der Teile eines menjchlichen Körpers S. 569). 

Die Stärfe der Artillerie nahm im Laufe des Jahrhunderts 


ichwerlich zu. 

Der „Trewe Rat“ verlangt 1522 auf 10 000 Fußknechte und 1500 Reifige: 
4 Scharfmegen, 12 Startaunen, 2 Steinbüchjen, 3 Mörjer, 1 Feuerbüchſe, 6 Not- 
ichlangen, 10 halbe Schlangen und 16 Falten, aljo 50 fahrbare Büchſen (18 Mauer: 
brecher und 32 Feldgeſchütze) und 4 Wurfgeihüge. Michel Ott ſchlägt faum 
ein halbes Jahrzehnt jpäter „ein gang Zeughaus“ d. h. einen Artilleriepark für ein 
fajt dreimal jo großes Heer auf nur 55 fahrbare Büchjen (18 Mauerbreder, 37 Feld— 
geſchütze) und 16 Mortier an. [$ 12]. Der „Anſchlag zum Türkenkriege 
von 1532* will auf jeine MWOOO Mann zu Rob und zu Fuß 100 Gejchüse 
haben, zählt tatjächlid aber nur 76 auf, nämlich 32 Mauerbredher (je 8 Scharf: 
megen, Kartaunen, Singerinen und Nothichlangen), jowie 36 Feldgeſchütze (12 
Schlangen und 24 Faldhenn), und endlich 38 Mörjer. — Graf Solms verlangt 
auf 20000 Dann zu Fuß und 5000 Bierde 18 Brehgeihüge und 54 Feldgeſchütze, 
jieht aber von den Mörjern ab. [$ 22]. Hierin liegt eine Steigerung der Forderung 
von Feldgeſchütz; diefe hat jedody in Wirklichkeit keineswegs jtattgefunden; viel- 
mehr läßt ſich aus den hiſtoriſchen Berichten ein JZurüdgeben der Zahl der 
Feldgejhüge im VBerhältnis zu der der Belagerungsgejhüpe 
erfennen. Marchi berechnet 1565 eine Bande reale, d. h. den Park für einen 
jtarfen Angriff auf 12 Stanonen (50—60:Pfdr.), 4 Doppelcolubrinen (desgl.), 
4 Colubrinen (25:Pfdr.), 4 halbe Colubrinen (15:Pfdr.), 4 Sayren (8:Pfdr.) und 
2 Falten (6-Pfdr.), aljo auf 20 Mauerbrecher und 10 Feldgeichüge, verlangt aber 
feine Wurfgejhüge. — Derjelbe Mari führt an, daß Karl V. 1545 vor Goletta 
zu Lande und zu Wafler etwa 130 Geſchütze gehabt habe; 1544 vor Yandrecis 60, 
ebenjo 1552 vor Met 60; i. 3. 1553 habe man vor Therouanne über 70, vor 
Hesdin über 40, die Engländer vor Boulogne über 60 Stüd verfügt. Vor St. 
Quentin feien 1557 deren 60 in Tätigkeit gewejen, und die Türken hätten 1565 
vor Malta ebenfall3 über 60 Stüd gebraucht, wovon die Mehrzahl 50-Pfünder 
nebjt einem 100-pfündigen Bajtlisten. 


II. Raffenfunde. 1. Die Zeit Kaiſer Karla V. 589 


II. &apifel. 
Daffenkumde des 16. Jahrhunderte. 


I. Gruppe. 
Die Beit Kaiſer Karls V. 
8 40. 

Die Stellung an der Spite des artilleriewifjenichaftlichen Ent- 
wicelung Europas, welche die Deutichen im 15. Ihdt. unbejtritten 
inne hatten, behaupten jie auch noch im eriten Drittel des 16. Ihdts.; 
dann aber müſſen jie diefelbe (wenn auch nur vorübergehend) an die 
Italiener abtreten, die mehrere große Fortichritte auf rein wiljenjchaft- 
lichem Gebiete machten, während die deutjche Literatnr jich in bequem 
ausgefahrenen Geletjen fortbewegt und jich begnügt hatte, einige tfono- 
graphijche Arbeiten und Bartationen des alten Feuerwerksbuches her- 
zustellen. — Bon jolchen Arbeiten find nennenswert: 

Ehrijtian Sefelfchreibers Lehrbuch „Bon Gloden- und Stüd- 
gießen, Büchjenmeisterey, Bulverbereitung, Fewerwerck, Heb— 
und Bredzeug, Waſſer- und Brunnenwerf“ v. 3. 1524, dejjen 
Handichrift die Münchener Hof und Statsbibliothek bejitt (cod. 
germ. 973). — Es geht von ähnlichen Gejichtspunften aus, wie Die 
doch auch wejentlich militärtichen Kunſt- und Hausbücher des 15. Shots. 

Bilderhandjchrift der kgl. öffentlichen Bibliothek 
zu Dresden (C. 111) mit dem Monogramm ME als Künjtlermarfe 
und der Jahreszahl 1528. 

In diefem Codex jpielen die alten Werfzeuge noch eine große 
Nolle. Große FFeuerfugeln werden mit der Bleide, Bienenförbe voll 
[ebendiger Bienen „mit dem holgmwurffen eingeworffen“. Höchſt alter: 
tümlihe Gejhüsgformen lehren, daß ein Teil der Vorbilder für 
die aufgenommenen Zeichnungen wohl bis ins 14. Ihdt. hinauf reicht; 
namentlich fallen ?Feuerrohre auf, die mit einer Art großen Nagels 
an ihrem Bodenſtück an das Erdreich feitgeheftet werden, auf dem jie 
ohne jede Bettung oder Lade lagern. Daneben finden ſich Haupt- 
jtüde mit mächtigem Anjtoß, Kartaunen hinter beweglichen Blenden 
zwiſchen Schanzförben, Feldgeichüge mit Nichthörnern, und endlich 
die verjchiedensten Arten von Feuerwerk, wie in den alten Ikono— 
graphien: fahrendes Feuer (am Stode laufende Raketen), Stein- 





590 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffentunde. 


jprengungen, Blasrohre zu Feuerwerk u. ſ. w.; jogar die Katzen umd 
Tauben als Träger von Branditoffen fehlen nicht. Merfwürdig iſt 
das legte große Blatt durch eine überaus reiche Daritellung, Deren 
Stil Lebhaft an A. Dürer mahnt. — Das Ganze iſt offenbar eine 
archaiſtiſche Arbeit, welche altüberlieferte artillertjtiiche und pyro— 
technische Typen fünftleriich vergegenwärtigt. (Roter Saffianband mit 
dem pfalzbayeriichen Wappen). 

Die alten Werfzeuge treten übrigens ziemlich bedeutungsvoll auch 
noch in einem undatierten, doch wohl ungefähr aus derjelben Zeit 
jtammenden Manujfripte auf, welches den Titel führt: „Etliche 
ſchöne Stüd von Fewerwerckh aus puchien zu ſchießen vnd zu 
werffen. Auch von Fewerpfeyll vnd etlichen gewaltigen Fragitudh ..., 
etlich jchönen leren, puluer, das verdorben tjt, zu renoviren... . vnd 
wie man groß gichuz richten joll...“ Die Handſchrift befindet fich 
in der Wiener Hofbibliothef (Nr. 10940). 

Im wejentlichen ijt e8 das mit den Zwölf Fragen beginnende alte Feuer— 
werksbuch; aber unter den Anhängen find einige ungewöhnlich und bemerfenäwert 
So die folgenden: yewerwerdh aus playdernn (Bliden) zu werffen. Fewerzeug 
das fi) jelbjt an der Sonnen anczinden thutt. Fliegennts Fewerwerckh, das 
jelb8 dahin fertt, wo man es hinlenden thutt. — Zulegt: Yin Schöns Stüd 
auß der biuenden (Blide) oder ainem werd zu werfen. 

Jünger als diefe Handſchrift, wahrjcheinlich vom Anfange der 
dreißiger Jahre, ijt ein anderes Manujfript der Wiener Hofbibliothet 
(Nr. 10907), welches, großenteils an der Hand des alten Feuerwerks 
buches, eine möglichit volljtändige Lehre der Büchſenmeiſter— 
funjt zu entrollen verjucht. Der Inhalt ordnet jich wie folgt: 

Was GBejtalt die gezeug gemacht werden, Trüdene Gezeug. Feuerſäch 
Feuer-Kolben, Häfen und Ringe. Feuerkugeln von Stein, Eijen, Holz u. j. m. — 
Inftrumentenlehre. — Springende Kugeln, auch ſolche mit Schrot, in welche der 
Bünder vor dem Abfeuern hineingejtedt wird. Platten und Ketten zu jchiehen. 
Sprengung von Pulvertürmen. (Verweis auf „Durwan in Pilardie* 1536). — 
Ladekunſt und Unterweiſung, gewiß zu fchießen: Das Laden von Hagel um 
Streugefchofien. Ygel zu ſchießen. Klogen zu jchießen, deren jeder bejonders 
plazt. Erfendte ſchüß zu thun, die man jehen mag. Betrugſchuß zu thun, der 


nicht kracht. — Sturmtrüg, Fuheyjen, Kald) zum Sturm. — Bon Fewerwerch, 
dad man aus Schlaudern, Platten oder ſchlingen werffen mag... Zulegt: Ein 


Büchienpulver, das nicht kracht, zu machen. 
Neben diefen mehr oder minder jelbitändigen handjchriftlichen 
Arbeiten erichienen nun die eriten Drucde des alten Feuermwerfs: 





Die Zeit Kaijer Karls V. 591 


buches. Schon in Manuffripten hatte man dies gern mit dem deutjchen 
Vegetius in Verbindung gebracht, wie u. a. ein in der Berliner Bibliothek 
aufbewahrtes Eremplar (manscr. germ. fol. 94) zeigt, und in Diejer 
Verbindung wurde es denn auch zuerjt gedrudt u. zw. von Stainer 
zu Augsburg 1529. [8 4). — In demjelben Jahre gab übrigens aud) 
Egenolph in Straßburg das Buch jelbitändig heraus unter dem Titel 
„Büchſenmeiſterey von Geſchoß, Büchſen, Pulver, Sal- 
peter u. ſ. w.“ — Neue Auflagen erjchienen 1531, 1534 (Leipzig 
bet Blum), 1534 in Egenolphs „Kriegsbuch“ [$ 16], 1569 und 1582 
und vermutlich noch öfter !). 

Überjchaut man dieje deutjche Artillerieliteratur des erſten Drittels 
des 16. Ihdts., jo ergibt fich, daß ſie nur altes Gut überliefert, daß 
jich feine neue Richtung anbahnt, daß fein neuer Gedanke hervortritt. 
Unter jolchen Umständen zeigte fie jich begreiflicherwetie jehr aufnahme: 
fähig, als von jenjeit3 der Alpen neue Impulſe gegeben wurden. 


8.41. 


Kein Volk Europas hat ſich urjprünglich ferndjeliger gegen Die 
Feuerwaffen verhalten, als das italienische. Geringichägig urteilten 
Männer wie Machtavelli und Guicciardini, die doch jonjt jo Klare 
Augen hatten, über dieje „deutiche Pet“. Seit aber die Artillerie 
einmal als notwendiges Übel anerfannt worden, da beichäftigten fich 
mit ihr gleich auch die Gelehrten, und während in Deutjchland nur 
Fachmänner die zunftmäßige Tradition überlieferten und jehr vor. 
jichtig und langjam bereicherten, gewann der durch das Studium 
der Antife aufgeflärte und methodiſch gejchulte Geiſt der Italiener 
bald genug auf rem wiljenjchaftlihem Wege einen Vorjprung. 

Ein jtenefischer Edelmann VBanuccio Biringuccio hat in 
metallurgiicher Hinficht einen ſo bedeutenden Einfluß auf die Ent- 
widelung der artillerijtiichen Technif ausgeübt, daß jeines Werfes 
eingehend zu gedenken it, obgleich dasjelbe in Deutjchland nicht deutjch, 
jondern nur in lateinifcher Übertragung erjchienen iſt. — Biringuccio 
bat in Stalten, aber auch im Auslande, perjünlich eingehende Studien 

1) Ausg. dv. 1529 in der Tal. Bibl. zu Berlin, die von 15831 und 1534 im dortigen Zeughauſe 
(A. 260, 261, 262), im Kupferſtichlabinet die von 1582. Die Bibl. Hauslab (jebt Liechtenitein) zu 
Bien befigt die Ausgaben von 1569 und 1582. — Bon 1531 gibt e8 zwei Franffurter Ausgaben, deren 


eine (Zeughaus A. 261) einige Zufäse hat: Gemeine Streitsregeln nad Vegez, Lehre Maximilians 
und Ordnung, Namen und Gejchleht ber Büchſen nah Ott-Breuß. 


592 Das XVI Jahrhundert. II. Waffenkunde. 


gemacht und die Metallurgie von Grund aus fennen gelernt. Er 
diente erjt den Ejtes in ‘Ferrara, dann den Farneſes in Parma umd 
endlich der Nepublif Venedig. In diejer Stadt arbeitete er während 
der dreißiger Jahre jein Lehrbuch aus, das endlich unter dem Titel 
Pirotecnia o sia dell’ arte della fusione o getto de 
metalli i. 3. 1540 zu Venedig erjchien. 

Die Einleitung jpridt von dem Aufjuchen der Erze, 
wobei weniger Aberglaube zu Tage tritt, al$ man der Zeit nach er- 
warten jollte. 

Das 1. Buch handelt von den Metallen, jowie von der Her: 


itellung des Stahls und der Bronze. 

Mehrfach beruft der Verfaſſer jich auf jeine in Deutichland gemachten Beob- 
achtungen. Er lehrt den Ummwandlungsprozeh des Stabeijens in Stahl durd die 
Berührung mit flüjjigem Roheiſen bei großer Hiße, wobei durd Aufnahme von 
Kohlenstoff eine Zementation jtattfindet. Dies alte Verfahren war die Grundlage 
der jteierer und färtner Nobjtablarbeit, jowie der Brescianjchmiederei, und erhielt 
jih auch nad Einführung des Hocofenprozefjes und der Friſchſchmieden lange im 
Gebrauch; zu anfang des 18. Ihdts. prüfte und bejtätigte e8 Reaumur (L’art 
de convertir le fer en acier. Paris 1722), und nocd gegenwärtig hat es ſich 
hie und da in Kärnten, Steiermarf und Italien erhalten. 


Das 2. Buch unterrichtet über die Halbmetalle und Salze, 
jowie über die Bereitung des Glajes; das 3. gibt Anlertung zum 
Probieren der Erze und zur Einrichtung von Hüttenwerfen; 
das 4. handelt von der Scheidung des Goldes und das 5. von 
der Legierung der Metalle. — Im 6. Buche wird die Kunjt zu 
modellieren und Gußformen herzujtellen vorgetragen und dabei 


mit jorgfältiger Genauigkeit der Geſchützguß erläutert. 

Die Artillerie betradhtet auch Biringuccio als eine deutſche Er: 
findung: »Ne anco chi di tal orribile e spaventoso forse inventore, ch'io 
sappi in luce universale noto non &. Oredesi che venisse della Allemagna, 
trovato à caso secondo il Cornazzano XV. 847] da manco di 300 anni in 
qua da grossa et piccola origine, come ancor la stampa delle lettre«'). 
Biringuecio rät, die Gefüge nicht zu leicht herzuftellen; mit ſchweren jchiebe 
man ficherer und fünne auch durch BVerftärfung der Ladung und Anwendung 
fräftigeren Pulver8 weiter und wirkungsvoller ſchießen. Dod dürfe man aud 
die Schwere des Gejchüges nicht übertreiben; zumal man mit Heinen eijernen 
Kugeln denjelben Effeft erreichen fünne, wie mit großen von Stein. Die Länge 
eines Geſchützes genüge, jobald alles Pulver verbrennen künne, bevor die Kugel 

1) Es iſt bezeichnend, daß ber franzöſiſche Uberjeger diefe Deutichland rühmende Stelle fortge- 
laſſen hat. 


1. Die Zeit Kaifer Karls V. 593 


das Rohr verlafje. Lächerlich jei das Prahlen der Büchfengießer mit Geheimniffen 
bagl. der Form und Größe der Kammern. Wohl jeien Kammern zwedmähig; 
doch erforderten fie eine überaus jorgjame Bedienung, damit fein leerer Raum 
zwifchen Pulver und Geſchoß bleibe; auch lafje die Kammer fich ſchwer reinigen; 
daher jeien die nad) vorn erweiterten Kammern die beiten. Bon Mörjern hält 
der Berfafjer nicht viel. — Zum Formen bediente man fich eines fetten, ſand— 
haltigen Thones von feinem Korn, den man mit Tuchicheerabfchnigeln, getrodnetem 
Kuhmiſt, Werg, Haren, Spreu u. dgl. mifhte. Das Modell bejtand aus Tannen: 
holz mit angefügten, einen Fuß langen Gußzapfen. Große Kernnägel, die durd) 
Modell und Überzug gingen, hielten die Ausladungen und Verzierungen feit. 
Man verwendete aud ein in Lehm hergejtelltes Modell, dad auf ein mit 
Stroh ummidelte® Rundholz in mehrfahen Lagen mit Hilfe einer Schablone 
aufgedreht wurde. Das Modell, an beiden Enden jchwebend gejtügt, wurde mit 
Holztohlenafhe und Talg bejtrihen; darauf jtrih man wiederholt Lagen von 
geihwenmtem Thon auf, die jedesmal getrodnet wurden. Die vorleßte Lage 
ummwidelte man in Abjtänden von zwei Zoll mit Draht, und die legte umgab man 
nad dem Trodnen mit Längsjchienen, die durd eiferne Ringe gehalten wurden. 
Das ganze Modell ward am Holzkohlenfeuer getrodnet und dann ausgehoben, 
jo daß die Form verblieb. In gleiher Weife wurde die Form des Bodenjtüds 
bergejtellt; während man das Modell zur Traube meiſt in Wachs pouffirte. 
Bevor die Traubenform angejegt ward, führte man die Kernjtange ein, eine eijerne 
Spindel, welde länger war als die Seele und durch den „Roſenkranz“, einen 
Zapfenring, am Mantel, d. h. an der den Hohlraum umgebenden Form, befejtigt 
wurde. Nun erhigte man die Form 24 Stunden bei Rotglut und jenkte jie dann 
in die Dammgrube Das Einſchmelzen gejhah in einem Flammofen. Man 
ihritt zum Buß, fobald die Bronze Öltonfiftenz erreicht Hatte, aljo jo früh als 
möglih, um die eijerne Kernſpindel leichter herausziehen zu fünnen; doc warnt 
Biringuccio vor zu frühem Gufje: man jolle ein warmes Eifen in die Speije 
jtoßen und ausheben; an dem dürfe nicht? bangen bleiben. War die Form bis 
an den Kopf voll, jo warf man noch Zinn ins Metallbad, damit die Rohre am 
Kopf feine Gallen befämen. Dann drehte man zuerjt die Kernjtange heraus und 
ihnitt mit einer Handſäge den verlorenen Kopf (matarozza) ab. — Die Bronze- 
mijhung war jehr verjchieden; da hatte jeder Gieher jein eigenes „unübertreff= 
liche8“ Rezept. (Bgl. damit den Guß des 15. Ihdts. [S. 401].) 

Das 7. Buch it gleichfalls dem Metallgujje gewidmet und 
handelt nach der Beichreibung der Ofen und der Gerüſte für Die 
Bälge von dem Bohren der Geichüge, von ihrer Zafetierung 
und dem Guſſe eijerner Kugeln. 

Die Gefhügmeijter beruhigen ſich nicht mehr mit der durd die Kernſpindel 
erzeugten Form der Seele, jondern bohrten die Gejhüge aus, wie das für 
Heinere Kaliber jhon das Feuerwerksbuch von 1454 und für größere Lionardo 
da Binci gelehrt hat. [X V.$59 u. 24.) Die Bohrftange wird durd ein Trittrad oder 
ein Wafjerrad bewegt. Das Geſchütz ijt auf einer hölzernen Unterlage befejtigt, 

Jahns, Gedichte der Kriegswifienicaiten. 38 


594 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffentunde. 


die mitteld einer Winde vorgefchoben werden fann. Der Kopf der Bohritana: 
bildet entweder eine vieredige, an den Kanten jcharf gejchliffene Platte, die 
jedoch jehr ſchwierig herzuſtellen war, oder er ijt mit mehreren Bohrjchneiden ver: 
jehen. Biringuccio hält für das beſte vier Schneiden in einem fajt kaliber— 
mäßigen bronzenen oder hölzernen Bohrkopf. — Die Yafeten würden oft jo 
plump und ſchwer hergeftellt, daß es befier wäre, man hätte gar fein Ge 
ihüß; denn jo jei es nicht nur jelbjt faum beweglich, jondern lähme auch die 
Truppen. Die Wände jollen nicht länger fein als das Rohr und nur Y/s Kaliber 
jtart; auch müßten fie nad) hinten jchwäcer werden. Den Rädern gebe man 
Tmal den hinteren Durdmefjer des Rohrs, 6 Felgen und 12 Speichen mit 
Stürzung. Der leichteren Reparatur wegen jei Beſchlag mit Schienen dem mit 
Reifen vorzuziehen. Speichen und Felgen find zu verfeilen und zu verdibeln, 
der Beichlag nicht mit vorjtehenden, jondern mit flachen Nägeln herzuſtellen; das 
jpare, wie Alfonjo von Ferrara verfichere, zwei Zugtiere vor jedem Gejhüg. Am 
Schwanz find Progloh, Ring und Kette anzubringen. Zum Transport mit 
Menſchen wird eine Deichjel mit zwei Rädern unter den Schwanz gejegt und 
dad Zugtau an die Kette gelegt. Ochſen werden an der Spite der Deichiel, 
Pferde in einer Gabel angejhirrt. — Bon den eifernen Kugeln ijt Birin- 
quccio jehr eingenommen. Er nennt fie »inventione certamente bellissima et 
horribile per il suo potentissimo effetto, cosa nuova al uso della guerra: 
perche non prima (che io sappi) furon vedute palle di ferro in Italia per 
tirarle con artiglierie, che quelle che si condusse Carlo Re di Francia 
contra Re Ferdinando l’anno 1495«. Das Giehen der eifernen Kugeln geſchieht 
in zwei Formhälften, die mit Zangen zujammengehalten werden. Man jchmilzt 
bejonders altes Eijen ein u. zw. in 1!/s Arm Hohen Tiegeln, die unten ein 
Abſtichloch Haben; dabei ſchichte man dag Eiſen mit Kohle Es taugt nicht, 
Antimon oder Arjenit zuzufegen; die Kugeln werden zu jpröde‘). Die fleinen 
Kugeln für Handfenerwaffen formt man auf dem Ambos aus Stabeijen mit dem 
Geſenkhammer; fie werden weit glatter al& die gegofienen. 


Das 8. Buch handelt vom Guß Fleiner Gegenjtände, das 9. 
vom Deitillieren, Sublimieren, Schriftguß, Drahtziehen u. dgl.; das 
10. it aber wieder wejentlich artilleriitiichen Inhalts; denn es er: 
läutert die Bereitung des PBulvers, das Laden und die 
Feuerwerkerei. 

Biringuccio bezeichnet die Natur des Salpeters als höchſt fompliziert: 
er ſei jowohl hei als falt, erdig wie luftig, wäſſerig wie jteinig; von allem hab: 
er etwad. Schießpulver müſſe man von mehreren Arten haben. Kanonen— 
pulver würde aus Musketen die Kugel faum 10 Klafter weit treiben; Gemehr: 
pulver dagegen würde die Gejchüge jprengen. Alles Pulver aber müjje aus 
reinen Stoffen bereitet, gut gemengt und troden fein. Gewöhnliches Pulver für 
ſchweres Geſchütz mengt Biringuccio aus 3 Teilen raffinierten Salpeter®, 2 IT 


1) Eine VBerdeutichung des den Sugelguß betreffenden, für die Geſchichte bes Eiſenguſſes wichtigen 
Kapitels findet fih bei Bed: Geſch. des Eifens, I, 5 (Braunfchweig 1884). 


1. Die Zeit Kaijer Karla V. 595 


Weidentohle und 1 T. Schwefel, ein jtärkeres aus 5 T. Sal., 15 T. K. umd 
1T. Schw. — Pulver für Handfeuerwaffen (archibusi e schioppi) mijcht er aus 
10 T. Sal., 1 T. Hajelnußlohle und 1 T. Schw. — Nur lepteres Pulver wird 
getörnt. — Einige bereiten das allerbejte Bulver aus 13,5 Sal., 1,5 K., 1 Schw.; 
das jei jedoch jehr gefährlich und müſſe daher nah zubereitet werden. Beim Ans 
feuchten leifte Waſſer denjelben Dienjt wie Ejjig oder wie der von Vielen be- 
vorzugte, in Weingeijt gelöjte Kampfer; denn beide verdampften, vermödten aljo 
dem Pulver feine Kraft zu geben. Hinfichtlih der Kohle komme es darauf an, 
fie aus weichem, jungen Holz ohne Knoten zu gewinnen. — Einige bereiten da& 
Fulver in Mühlen, andere mit Stampfen, die von Wafjerfraft bewegt würden, 
und dies jei in jeder Beziehung vorzuziehen. Gewöhnlich bringe man die drei 
Subjtanzen gleichzeitig ein; am bejten löje man den Salpeter in heißem Waſſer 
und bringe dazu die Kohle in Stüden, den Schwefel fein gepulvert ein, dampfe 
fajt bi8 zum Trodnen ab und jtampfe dann zuſammen. Die Bulverprobe geſchieht 
durd; Abbrennen auf Papier. 


Beim Laden der Geſchütze geht man nicht über */s der Kugelſchwere 
an Pulver, gibt aber auch weniger und nur einen Vorſchlag. Die Kugel muß 
bineinrollen, wird dann aber fcharf angejegt. Man hat aud) Kartujhen von 
Papier, die man mit der Ladeſchaufel einführt, eine Methode, welche, wie der 
Verfaffer meint, vor ihm niemand angegeben habe, die aber das Laden weſentlich 
bejchleunige. Bon fünjtlihen Geſchoſſen nennt er Kettenkugeln und jprin- 
gende Hohlfugeln (palle di metallo da tirare e spezzaransi), Das Richten 
geihieht mit dem durchlöcherten Aufjap. 

Als den Erfinder der Spreng=- Minen bezeichnet der Berfajier den 
Francesco di Giorgio Martini [XV. $ 21]. Pedro Navarro habe die Jdee nur 
zuerjt ausgeführt (1500 n. Ehr.). Beides ijt unrichtig; denn jhon im 9. Kapitel 
von Konrad Kyeſers „Bellifortis“ (1405) find Sprengminen dargeitellt [XV. 8 4). 
Allerdings müfjen fie ungemein jelten angewendet worden jein, da Philipp von 
Cleve ihrer nicht Erwähnung tut [XV. 8 77). Auch die Kontreminen find dem 
Biringuccio befannt. 

Bon Feuerwerkskörpern behandelt der Verfaſſer die Feuerlanzen 
(lingue di fuoco), die Feuertöpfe (pignatelli) und verjchiedene Kunſtfeuer zu 
Emjt und Luft, unter den lepteren die Raketen, weldye zu Rom in der Birandola 
jteigen. Der Kriegsraketen gedenkt er nicht. Endlich ſchließt er jein Buch ver- 
jöhnend mit der Betrachtung jenes ‘Feuers, »che consuma senza far cenere e 
consuma piu d’ ogn’ altro«; dieſe gewaltige, ajchenloje Flamme aber ijt feine 
andere als die der Liebe. 


Biringuccios Werk ift das erjte jeiner Art in Italien; es steht 
hoch über den Feuerwerksbüchern der Vergangenheit und ijt lange 
von den Praftifern des 16., ja des 17. Ihdts. benugt worden. — 
Spätere Ausgaben find die von 1550, 1558, 1588 und 1678. — 


Eine französische Überjegung veranftaltete I. Vincent (Paris 1556, 
38* 


596 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffentunde. 


1572, Rouen 1627). Lateinische Übertragungen erfchienen zu Paris 
1572 und zu Köln 1658). 


8 22. 


Wie die Metallurgie, jo verdankt auch die Ballijtif einen 
wejentlichen Fortjchritt über die älteren von Martin Mercz vertretenen 
Anfchauungen [XV. 8 61], einem gelehrten Italiener. 

Im Sahre 1537 erjchten zu Venedig des Brescianer Niccolo 
Tartaglia: La nova scientia, civ& inventione nuovamente 
trovata per ciascuno speculative matematico bombardiero e 
altri ?2). — Das Werk it dem Herzoge Francesco Maria von Urbino 
gewidmet, und in der Dedikation jet der Verfaſſer die Gejchichte und 
den Fortgang jeiner artillerijtiichen Entdedungen auseinander. Selbit 
nicht Büchjenmeijter, jondern Mathematiker, war er i. 3. 1531 von 
einem ihm befreundeten Bombardiero zu Verona veranlaft worden, 
über die Tragweite und die Schußlinien der Fernwaffen nachzudenken. 
Im folgenden Jahre bewog ihn die Behauptung eines anderen Ar- 
tilleriften, daß nicht, wie Tartaglia theoretisch feitgejtellt hatte, ein 
Erhöhungswinfel von 45 Graden, jondern einer von 30 Graden Die 
größte Schußweite ergebe, zu praftijchen Verſuchen. Man ſchoß bei 
Santa Lucia mit einer zwanzigpfündigen Schlange um die Wette, 
wobet die Elevation von 45° eine Wurfweite von 1972 ſechsfüßigen 
Veronejer Ruten, die Erhöhung von 30% nur einen Ertrag von 
1872 Ruten ergab. Dies bewog Tartaglia, die Gründe auseinander: 
zujegen, auf denen, jeiner Meinung nach, die Bewegung. jchiwerer 
Körper überhaupt beruhe. 

Nach der Abjicht Tartaglias hatte die Nova scientia urjprünglich 
fünf Bücher umfaſſen jollen; tatjächlic) brachte jedoch die erjte Aus- 
gabe deren nur drei, von denen zwei die Prinzipien der Dynamit 
behandeln. 


Im 1. Buche gibt Tartaglia zunächſt 14 Definitionen, deren erjte und 
wichtigjte er an die Spipe ftellt. Sie bezieht ji) auf die Hypotheje eines gleich— 
förmig ſchweren (egualmento grave) Körpers, d. h., modern auägedrüdt, auf die 


1) Troß jo mannigfacher Ausgaben ift das Wert jelten. Die Ausg. von 1550 in der General» 
ftababibl. zu Berlin, — Nachrichten über die Pirotecnia gab Bedmann in jeinen Beiträgen zur Geſch 
der Erfindungen, I (Leipzig 1786). 

2) Eremplar in ber Bibl. des Berliner Zeughauſes (A, 16). 


1. Die Zeit Kaiſer Karla V. 597 


Annahme des luftleeren Raumes für die von ihm angejtellten Unterjuchungen, 
welche auf den Widerjtand der Luft nicht Rüdjiht nehmen. Dann folgen 9 Pro- 
pofitionen (Lehrjäge). — Auch das 2. Buch beginnt wieder mit 14 Definitionen 
und bringt ebenfalls dann I Thejen. — Das 3. Bud ift der Beichreibung der 
Inſtrumente gewidmet, jowie der vom Autor erdadhten Methoden, um die Dijtanz- 
meſſung zu erleichtern. 

Den Inhalt der beiden von vornherein beabjichtigten abjchliegenden 
Bücher über Schiegen und Werfen und über Feuerwerkerei bringt erit 
eine jpätere Auflage der Nova scientia (1562); überdies aber hat 
ihn Tartaglia in einem zweiten Werfe ausführlicher behandelt. — 
Dies zweite Werf iſt das bei weitem wichtigere; denn gerade in den 
eigentlichen Hauptpunkten jeiner Unterjuchungen, nämlich) in denen 
über die Flugbahn, kommt Tartaglia hier zu veränderten, reiferen 
Rejultaten. 

Dies zweite Werk führt den Titel: Quesiti et inventioni 
diverse. (Venedig 1538), 1546)?). E3 zerfällt in ſechs Bücher, 
von denen jedoch nur die drei erſten jich auf artillerijtiiche Probleme 
beziehen, während das 4. von den mathematichen Grundlagen der 
Taktik, das 5. von der Feldmeßkunſt und das 6. von der Fortififatton 
handelt. — Das Werk iſt in Dialogform gejchrieben. Der Antiwortende 
ijt jtets Nicold (Tartaglia) jelbit. Als Fragende werden eingeführt: 
der Herzog von Urbino (1538), der Rhodosritter und Prior von Barletta 
Herr Gabriel Tadino de Martinengo, dann Sgr. Jacopo d'Achaia 
(1542), Sgr. Alberghetto (1545), Magijter Bern. Sagreo, Sgr. Jul. 
Savorgnano, der Maler und Architeft Ant. de Rusconi, ferner ein 
Sottocapo der cyprifchen Artillerie Hieroynimus und endlich ein un— 
genannter Büchjenmeijter. Dieje Perſonen find feineswegs erfunden; 
bei mehreren jind ausdrüdlich Ort und Zeit ihrer Frageſtellung an= 
gegeben, ja man erfährt jogar, ob der quesito mündlich) oder brieflich 
an Tartaglia gelangte, und jo erjcheint die Lijte der Teilnehmenden 
bezeichnend dafür, wie mannigfaltige Kreije Italien damals an ar- 
tillerijtiichen Dingen Interejje nahmen. 

Einige der von Tartaglia erwähnten Namen jind auch jonjt aus der Kriegs— 
geihichte oder der Militärliteratur befannt. Martinengo, welder 37 quesiti 


ı) Eremplar in ber Bibl. bes Zeughauſes zu Berlin (A. 17). 

2) D’Uyala citiert in feiner Bibliografia militare-italiana eine Ausgabe der Quefiti von 1528. 
Das beruht jeboh offenbar auf einem Jrrtum; denn glei im erften Quefito des I. Buches bezieht 
Tartaglia fi) ganz unmittelbar auf das bem Herzoge von Urbino i. J. 1537 gewibmete Wert und 
läßt den Herzog jelbit feine Fragen i. I. 1538 zu Benebig ftellen. 


598 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffentunde. 


über Geſchütz- und Befejtigungstunde an den Verfafler richtet, war jener aus- 
gezeichnete Artilleriegeneral Karls V., der nad) dem Falle von Rhodos bei jeinem 
Herrn Malta für den Joharnmiterorden als Reſidenz erwirttee Giulio Savor— 
anano jchrieb die Riposta ragionata, eine Befejtigungslehre, deren Handichrift 
die ambrofianijche Bibliothef bewahrt. Alberghetti ijt der Name einer Familie 
von Geſchützgießern, die jeit dem Beginn des 15. Ihdts. zu Venedig tätig war. 
Derjenige, von dem hier die Nede ijt, war wohl Vorfahr der gleihnamigen 
venetianijchen Kriegsichriftiteller, deren einer, Giujto Emilio, im 17. Ihdt. über 
Artillerie, der andere, Ghismondo, im 18. über Befejtigungstunjt jchrieb. 

Das 1. Buch handelt delle tiri et effetti delle artiglierie 
secondo le varii elevationi et secondo la varia positione delle 
mire (Bijier und Korn) et altre sue particolarita. Es umfaht 
30 Dialoge. 

1. Der DQuadrant und das Verhältnis der Wurfweite zum Erhöhungswintel. 
Wenn Tartaglia auf die Erfindung des Quadranten Anjpruch erhebt, jo bat er 
Unrecht; denn das Inſtrument wurde bereit8 1450 von dem Deutichen Purbach 
hergejtellt und von M. Mercz beiprodhen. [Siehe auch ©. 606.) 2. Die Wirkung von 
Geſchoſſen gegen Ziele auf ebener Erde und gegen höher jtehende Ziele. 3. Beweis, 
daß die Flugbahn der Kugel keine gerade Linie jein fünne, abgejehen von dem 
alle, daß fie jenfreht in die Höhe geihoflen werde. 4. Warum der zweite, aus 
demjelben Rohr unter ganz gleichen Umjtänden abgegebene Schuß eine größere 
Tragweite habe, als der erjte. 5. Warum fernere Schüffe, falls das Rohr fich 
nicht abkühlen könne, geringere Tragweiten ergäben. 6. Der Effelt einer Ver— 
mehrung der Ladung. 7.—10. Die Beziehungen der Vijierlinie zur Seelenachſe, 
insbejondere die Richtungsfehler, welhe aus mangelhafter Übereinjtimmung beider 
Linien hervorgehen und zum Teil faljcher Anbringung von Vifier und Korn, 
zum Teil fehlerhafter Konzentrizität der Seele oder der Auhenwand des Gejchüges 
entipringen. 11. Länge, Yadung, Tragweite und Gewicht der Stüde. 12. u. 13. 
Beitimmung der für den Weitſchuß günftigiten Rohrlänge und des beiten Ver— 
hältnifjes diefer zur Ladung. 14. Die Erweiterung des unteren Teils der Seele 
al® Zaderaum. 15. Einfluß, den Maſſe und Gejchwindigkeit der Projeltile auf 
ihre Wirkung haben. 16. Einflug, den Majje und Feſtigkeit der getroffenen 
Segenjtände auf die Wirkung des Stoßes haben. 17. Das Vernageln der Ge— 
ihüge und andere Mittel, den Feind am Gebrauche feiner Stüde zu hindern. 
18. u. 19. Die Verminderung der Durchichlagstraft der Geſchoſſe gegenüber einem 
allzunahen Ziele und Bejtimmung der Dijtanz, auf welche man die größte Ein— 
dringung erzielt. 20. Die Vorſchläge (Pfropfen) des Pulvers und der Slugel. 
21. u. 24. Das Heftige Einjaugen der Luft durch abgefeuerte Geſchütze. 22. Die 
Urjahen des Springens der Gejhüge. 23. Die Unterfuhung neuer Stüde in 
Bezug auf ihre Brauchbarkeit. 25.—28. Der Einfluß der Erhöhung oder Er— 
niedrigung des Ziele auf das Richten, fpeziell der Handfeuterwaffen. 29. Warım 
das Zielen auf ein nahes Objekt zuverläffiger ijt, als das auf einen fernen Gegen— 
ſtand. 30. Die Unregelmäßigfeiten im Schuſſe der Handfeuerwaffen. 


1. Die Zeit Kaijer Karla V. 599 


Das 2. Buch führt den Titel: Della differentia che occorre 
fra i tiri e gli effetti fatti con balla di piombo, di ferro ovvero 
di pietra, con altre particolarita circa la proportione, peso et 
misura delle dette balle. &s bringt 12 Queſiti. 

Davon behandeln 1. und 2. den Unterjchied der Tragweite bleierner und 
eiferner Geſchoſſe bei gleicher und den bei einer ihrem Gewichte proportionierten 
Yadung — 3. und 4. den Unterjchied der Tragweite eijerner und jteinerner Kugeln 
bei gleiher Yadung und den bei ihren gebräuchlihen Yadungen (nämlich */s des 
Gewichts der eifernen, Ys des Gewicht der fteinernen Kugel) — 5. und 6. den 
Unterjchied der Durchſchlagskraft eiferner und fteinerner Kugeln — 7. die Urſache 
des Unterjchiedes in der Stärte des Pieifens der Kugeln — 8. den Einfluß der 
Dichtigkeit des Projektild auf die Tragweite — 9—12. da8 Verhältnis von Durch— 
mejjer und Gewicht der Kugeln. 

Das 3. Buch handelt delle specie di salnitri et delle varie 
compositioni della polvere, et altre particolaritä. Dies Bud) 
jegt in 10 Bwiegejprächen auseinander: 

1.—3. Daß der Salpeter ſchon im höchſten Altertum befannt war u. zw. 
auch als Zündkörper, nit nur ala Heilmittel. 4. Zufammenjegung und Ber- 
brennungstheorie des Pulvers. 5. Die Erfindung des Pulvers und die verſchiedenen 
(—23—) Miſchungen, welche man von der eriten Entdedung bis zur Mitte des 
16. Ihdts. angewendet hat. 6. und 7. Die beite Pulvermiſchung. 8. Den 
Irrtum, den man begehe, wenn man für die verfchiedenen Arten der Gejchüge und 
Handfeuerwaffen verjchiedene Pulverjorten anmwende. 9. und 10. Die Körnung 
des Pulvers und ihre Notwendigkeit für die Ladung der Handfeuerwaffen. 


Dies iſt der Inhalt der auf Balliftif und Artillerie bezüglichen 
3 Bücher der Quesiti et inventioni. Die anderen 6 Bücher handeln 
von Fortifikation, Mechanik, Arithmetif, Geometrie und Algebra. 


Der Hauptwert von Tartaglias Arbeit liegt in deren bak 
liſtiſchen Kapiteln, namentlich aljo in den beiden erjten Büchern. 
Alle Büchjenmeijter oder Mathematiker, welche bisher über dieje Dinge 
gedacht, hatten angenommen: jedes Gejchoß flöge im gerader Linie, 
bis die ihm mitgeteilte Kraft erlöfche, worauf es jenfrecht zu Boden 
falle. Einer ähnlichen Anficht huldigt auch Tartaglia noch in jeinem 
eriten Werke; denn in diefem fonjtruiert er die Flugbahn aus 
drei Teilen, in deren eritem mur der Stoß durch das Pulvergas, 
in deren zweitem Stoß und Gravität gemeinjchaftlich, in deren drittem 
nur die Schwerkraft wirfe. Demgemäß bejtehe die Flugbahn aus 
emer horizontalen Linie (motus violentus), dann aus einem flachen 
Kreisteil (arcus mixtus) und endlic) aus einer Senfrechten (motus 


600 Das KVI Jahrhundert. II. Waffentunde. 


naturalis). Weiteres Nachdenken überzeugte ihn jedody von der Unhalt- 
barfeit diejer Vorjtellung, und in den Quefiti erklärt er, daß die Flug— 
bahn des Gejchojjes nirgends gerade jet, auch nicht unmittelbar 
nach dem Verlaſſen des Rohres. Der Widerjpruch, den dieſe Be 
hauptung erfuhr, Elimgt deutlich wieder in dem dritten Dialoge des 
1. Buches der Uuejiti, wo er dem Herzoge von Urbino in den 
Mund gelegt ift. Diejer kann fich durchaus nicht denfen, daß das 
Geſchoß nicht wenigjtens anfangs, etwa 200, 100 oder wenn dem 
Tartaglia auch das noch zu viel erjcheine, doch etwa 50 Schritt 
geradeaus flöge, und als der Mathematifer darauf beiteht, daß Die 
Flugbahn auch nicht einmal einen einzigen Schritt lang geradlinig jet, 
erflärt er das für ertravagant (pacia). Tartaglia aber jet ausein— 
ander, daß das Gejchoß gleichzeitig dem gegebenen Stoße und der 
Schwerkraft folgend, fich in eimer Curve fortbewege, die den Teil 
eines Kreisbogens bilde, deſſen Tangenten einerjeit3 die Viſierlinie, 
andererjeits die Senfrechte jeien. Sind dieje Vorjtellungen nun auch 
noch dunfel und unrichtig genug und werden ſie überdies mit eimer 
Menge abjoluter Irrtümer verquict (wie denn Tartaglia 3. B. ans 
nimmt, daß der Widerjtand der Luft mit der Gejchtwindigfeit des fie 
durchjchneidenden Körpers ab nehme), werden jie endlich in einer Sprache 
vorgetragen, die in mathematiſch-phyſikaliſcher Hinficht noch jo arm 
und ungewandt it, daß jie den Gedanken oft mehr zu verjchleiern 
al3 zu erläutern jcheint, jo bedeuten jene Ideen doc) injofern einen 
wejentlichen Fortjchritt, als fie den Begriff der Kurve in die Vor: 
jtellung von der Flugbahn einführten. — Kaum weniger wichtig ijt 
Tartagliad Entdedung, daß die günjtigjte Elevation für den 
Weitwurf die von 45° jet. Er hatte bemerkt, daß die Tragweite 
von dem Neigungsmwinfel O9 bis zu dem von 90° anfangs zunehme 
und jic) dann wieder vermindere und daraus jchloß er, daß die 
günjtigite Elevation genau zwijchen der Senfrechten und der Horizontalen 
ltegen müſſe. Zum Winfelmejjen dient ihm jein Quadrant: zwei 
Lineale, die durch emen Viertelkreis verbunden find, der, jtatt in 
90 Grade, in 12 Divijionen zerfällt, deren jede wieder 12 mal 
geteilt it. Das eine, längere der Lineale wird in die Mündung des 
Geſchützes gejchoben, und der bleibejchwerte Faden, welcher von der 
Winfelipige auf die Streisteilung herabfällt, marfiert den Winfel, den 
die Seelenachje mit der horizontalen bildet. Um zu unteriuchen, ob 





1. Die Zeit Kaijer Karls V. 601 


Seelenachje und Rohrachje zujammenfallen, bedient ſich Tartaglia des 
Barallelbalfens. — Er zuerjt unterjchied bejtimmte Arten der 
Schüſſe: Viſier-, Kerns, jteigender und fallender Schuß und betonte, 
dak man zur Erreichung verjchtedener Zwecke auch verjchiedener Flug— 
bahnen bedürfe; er kennt auch den indireften Schuß, für den er 
die Anwendung von Kammergeſchützen vorjchlägt. 

Tartaglia jtellte ferner fejt, dal die Fallkraft getworfener Körper 
mit den Neigungswinkeln abnehme und exrperimentierte über den Ein- 
fluß des Gejchoßgewichtes auf die Schußweiten. Er berechnete den 
Durchmefjer gegebener Kugeln verjchiedenen Stoffes durch das kubiſche 
Verhältnis (Quesit. 12), und daraufhin legte er Diametertabellen 
von 1 Bid. bis 200 Pfd. an, welche für Artilleriiten und Geſchütz— 
gieger um jo wertvoller waren, al3 der Kugeldurchmeſſer zugleich die 
Metalljtärfen an Stoß und Mündung der Rohre bejtimmte (1: 1 und 
1:0,5). Die Heritellung diejer Tabellen, nicht die Erfindung des 
Kalibermaßſtabs ift Tartaglias Werk; der Maßſtab war vielmehr 
ſchon ſechs Jahre vor dem Erjcheinen der Queſiti von Georg Hart: 
mann in Nürnberg bergejtellt worden [S. 605]. 

Tartaglia meint, daß bei gleicher Ladung der zweite Schuß 
weiter trage wie der erjte, weil bei dieſem die Kugel erit Bahn machen 
müfje in der Luft; nachher aber wirfe die warm werdende Büchie 
wie ein Schröpffopf und jauge den Dampf (das Pulvergas) ein, jo 
daß ſpätere Schüfje geringere Tragweite hätten. | 

Zum Beweis dafür berichtet er: „Daß auf eine Zeit etliche große ſtück los— 
geihofjen werden; unterdejien ſei eyn hund herzugelauffen vnd Habe jeine 
ihniehje (Schnauge) in das eine noch heiße jtud gejtedt, da Habe die hige dem 
bunde den fopfj ins Rohr gezogen, daß der hund beinahe erjticdet jey und man 
ihn mit großer mühe von dem jtude wegreißen müflen“. (Verdeutſchung Reiffs.) 

Ber zu langem Rohr gehe die Kugel, der vermehrten Reibung 
wegen, fürzer. Vermehrung der Ladung jteigere die Schußweite, 
jedoch nicht proportional; denn bei zu jtarfer Ladung wirfe das ver: 
brannte Pulver zunächit auf das noch umverbrannte, jtatt direft auf 
das Geſchoß. Sei alles Bulver verbrannt, bevor die Kugel das Rohr 
verlaffen, jo jet dies zu lang; werde ein Teil des Pulvers unverbrannt 
binausgeworfen, jo jei die Seele zu furz. 

Indem Tartaglia von Berthold Schwarz’ Erfindung Tpricht, 
erflärt er fich gegen die allgemeine Anjchauung, dat Diejelbe dem 


602 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffentunde. 


Zufall zu verdanken jei, hält fie vielmehr für das Ergebnis jorg- 
fältigen Nachdenfens und jchreibt jie dem Archimedes zu. Die 
beiten Bulverrezepte find ihm zufolge: 

für grobes Gejhüg für mittlere® für Handfeuerwaffen 


Salpeter 50 66,7 83,4 
Schwefel 33,3 20,0 8,3 
Kohle 16,7 13,3 83 


Den Verbrennungsprozeh des Pulvers denft Tartaglia 
ji) derart, daß das Feuer zunächit den Schwefel ergreife, der mit 
heller Flamme brenne; Ddieje verjege dann die Kohle m Glut, und 
dieje Glut werde wieder angeblajen durch den Wind (Gas), den der 
num ebenfalls vom Feuer ergriffene Salpeter (welcher vollitändig und 
ohne Rückſtand verzehrt werde), plöglich und gewaltjam erzeuge. Jener 
Wind aber jet es, der die Kugel in Bewegung jege, und darum hingen 
vom Salpeter vorzüglich Kraft und Tugend des Bulvers ab, während 
die beiden anderen Stoffe nur dazu dienten, den Salpeter zu entzünden 
und daher möglicherweiie durch andere Ingredienzien erießt werden 
fönnten. 

Tartaglias Lehren waren der Gegenjtand eifriger Meinungs 
jtreitigfeiten jeiner Zeitgenoffen und wurden von den Artilleriiten um 
jo hartnädiger angefochten, als ihr Urheber nicht zur Zunft gehörte. 
Mit Vorliebe wählten jcholajtiiche Dialektiker jerne Thejen zu Thematen 
afademiicher Difputationen, ohne doc) die Sache zu fürdern!). Durch 
jechzig Jahre wurden feine Schriften immer aufs neue aufgelegt: die 
Nova scientia 1550 und mit den beiden Ergänzungsbüchern su’ tiri 
dei canoni e dei mortari und fuoci artificiali i. 3. 1562, beide 
male zu Venedig. Die Quesiti erichtenen ebendort 1550, 1560, 1562, 
1583, 1606 und zu Garpi 1620. — Bon der Verdeutſchung Tar— 
taglias durch W. Reiff 1547 wird jogleich näher die Rede jein; eine 
ſpaniſche Bearbeitung findet jich in des Don Diego de Mlaba y 
Viamont Wert [$ 62], welches die tablas para tirar de Nicolo 
Tarsalla abdrudt; auch) eine englische Übertragung erichien noch im 
16. Shot. als Colloquies concerning the art of shoeting in great 
and small pieces of Artillerie (s. l. e. a.), eine franzöjijche als 
Recherches et inventions i. 3. 1656. Eine zweite franz., von ein- 
jichtigen Anmerkungen begleitete Überjegung der beiden eriten Bücher 





I) Bol. über Tartaglias Wert Hape: Etudes III, 283 ff. 








1. Die Zeit Kaiſer Karla V. 603 


der Nova scientia und der eriten drei Bücher der Quesiti hat 
Rieffel veröffentlicht unter dem Titel: La ballistique de Nic. 
Tartaglia ou recueil de tout ce que cet auteur a &crit touchant 
le mouvement des projectiles et les questions qui s’y rattachent. 
(Paris 1846.) 


Unglüdlicherwetje war gerade der bejte Teil von Tartaglias 
Werfen, die Quesiti, jo ſchwer verjtändlich, daß Leſer, Überjeger und 
Bearbeiter ſich wejentli) an den Inhalt der Nova scientia hielten, 
deren balliſtiſche Vorjtellungen jo weit Hinter dem des jpäteren Werkes 
zurüdblieben. Dies tritt jchon bei der nur ein Jahr nach dem Er- 
Icheinen der Quesiti erfolgten Berdeutjchung hervor, welche Walter 
Keiff (G. Rivius) veranjtaltete umd in jein bereits [$ 20] erwähntes 
Kompendium, u. 3m. vorzugsweile in dejjen II. Buch, die „Geo— 
metrijhe Büchſenmeiſterey“, aufnahm. 

Bezeichnend iſt der Zufaß des Titeld: „Desgleihen in Teutſcher Sprad 
noch nicht gelefen oder gejehen worden.” Reiff läßt dabei dahingejtellt, ob man 
es in einer anderen Sprade bereit3 leſen fünne Grit Dilih wies dann in 
jeinem „Kriegsbuche“ I, 144 [X VII. a $ 31] darauf hin, daß Reiff jeine geometrijche 
Büchfenmeijterei aus dem Italienischen entlehnt habe. Übrigens nennt Neiff den 
Zartaglia in feiner Vorrede als einen Autor, den er benutzt habe, doch jagt er 
nicht, daß er ihn jchlichtweg überjegt habe. Darauf haben wohl zuerft Käjtner 
und Geuß in Böhm! Archiv aufmerkſam gemadt!). 

Die Geometrijche Büchjenmeijterey des Gualtherus Nivius zerfällt 
in vier Teile. — Der 1. und 2. Teil bringen die „Eygentlicdhe 
Untterrihtung, wie eyn yedes Geſchos oder Ror Eleiner 
oder großer Büchſen auff eyn gewijjen ſchuß zu richten 
vnd die eygenjchafft, natur vnd jterfe oder nachlajjen eyns yeden 
ſchuſſes im mancherley richtung vnd ladung aus geometrijchem grund 
zu erjuchen.“ Dieſe beiden Teile find eine einfache Überjegung des 
1. und 2. Buches della nuova scientia des Tartaglia. Neiffs dritter 
Teil führt den Titel: „Grund vnnd Fundament der bewegung 
gleichlich jchwerer Cörper, daraus man durch new erfundene 
Inſtrument em yedes gejchojs, Nor und Morjer, nit allein künſtlicher 
vnd gewiſs zurichten, jondern auch eins yeden gejchojs art vnd eygen— 
Ihafft, jterde und gewalt des tribs auff yede richtung grumdliche vrſach 


1) Anmerfungen aus ber Geich. ber Geſchützkunſt (Böhms Arch. V, 224) und Zuſätze zu einer 
Artilleriebibl. (ebb. VI, 207). 








604 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffentunde. 


erfaren vnd den vnterjchted im rechter proportion zu vergleichen.“ 
Diejer Teil iſt das 1. Buch der Quesiti, jedoch unter Auflöjung der 
Dialogform. Ebenjo iſt das 2. Buch der Quesiti behandelt, welches 
bei Neiff als vierter Teil der „Büchjenmeijterey* den Titel führt: 
„Bon fünftliher vergleichung der ſchüß in mandherley unter: 
Ichtedlicher ladung vnd matert der büchjenfugel.“ — Auch mehrere 
der fortififatoriichen Abjchnitte von Neiffs Werk find Überjegungen 
aus Tartaglia, worauf noch näher einzugehen jein wird [$ 114], und 
der legte Hauptabjchnitt jeines gejamten Kompendiums: „Bon rechtem 
Verſtandt, Wag vnd gewicht“ it das 5. Buch der Quesiti. 
Während Neiff ſich das fremde Gut mit jo köſtlicher Naivetät 
aneignet, daß er jogar nicht einmal die italientiche Gejchüßtabelle 
durch eine deutjche erjegt, jpricht er jeinem Landsmann, dem Franken 
Hartmann, die Erfindung des Kaliberjtabes ab und jchreibt fie dem | 
„Nicolao Tartalea von Briren“ zu. | 
Die Mehrzahl der artillerijtiichen Werfe, welche bis gegen Ende 
des 17. Ihdts. veröffentlicht wurden, find von Tartaglias balliſtiſchen 
Anjchauungen erfüllt. Santbech [$ 49] verjucht freilich im 6. Ab- 
jchnitte jeiner Problematum astronomicorum et geometricorum 
sectiones VII (1561) noch die alte Borjtellung von der Geradlintgfeit 
der Flugbahn fejtzuhalten, während der gelehrte Paveſe Cardanus 
in jenem Werfe De subtilitate ( Nürnbg. 1550), über Tartaglia 
hinausging, indem er die Gejchwindigfeit von Gejchofjfen unter Berüd: 
Jihtigung des Luftwiderſtandes unterjuchte!). Solche Schriften gingen 
aber ohne namhafte Einwirkung auf die artillerijtiiche Welt vorüber; 
dieje jteht vielmehr bi8 zu Brauns Novissimum fundamentum et 
praxis artilleriae (1682), d. 5. bis unmittelbar vor dem Auftreten 
Blondels unter Tartaglias Einfluß. — Auch andere Momente der 
Unterſuchungen diejes Meifters fehren immer wieder. Die Auffaſſung 
von der Berbrennung des Bulvers 3. B., welche 1650 
Simienomwicz, 1682 Braun vortragen, tt Diejelbe wie die der 
Quesiti. — Sit Tartaglia alfo auch nicht, wie oftmals behauptet 
worden, der erite Mann, welcher ſich mit der Kunſt des Schießens 
unter dem mathematijchen Gejichtspunfte bejchäftigt hat (denn dieſer 
ı) Cardanus fpridt in feinem II. Buche aud von den Stunftfeuern bes Marcus Graecr; 


[M. 8 6). Als Pulverzuſammenſetzung feiner eigenen Zeit gibt er: 3 Teile Salpeter, 2 Kohle 
1 Schwefel — ein auffallend geringes Maß von Salpeter ! 


1. Die Zeit Kaifer Karla V. 605 


Ruhm gebührt dem Pfälzer Mercz), jo war jein Wirfen doch von 
unvergleichlich größerer Folge und jichert ihm für immer einen der 
vornehmſten Pläge in der Geichichte der Artillerie. 


8.43. 


Auc) bei den Deutjchen machte im zweiten Viertel des 16. Ihdts. 
die Anwendung der Mathematik auf die Artillerie Fort: 
ichritte. Ein Ordinarius der Ingolftädter Hochichule, Peter Bienewitz 
gen. Apianus aus Leisnig, der Lehrer Kaijer Karla V. in der Aitro- 
nomte, widmete dem Herrn Hans Wild. v. Yaubenbergk ein „Injtrus 
ment=-®Bued) de novo Quadrante, de Quadrato Geometrico und 
vom Meßſtab“ (Ingolitadt 1533), welches injofern hier erwähnt werden 
muß, als es den Gebrauch des Duadranten und die Höhenmefjung 
mittel3 Spiegelinjtrumenten erläutert. Eine Verbindung eigentlich 
artilleriftiicher und mathematifcher Dinge aber zeigt fi) in des 
Johannes Dilgers „Püchſenmaiſterey Puechl“, welches leider 
nicht ganz volljtändig erhalten it. 

Das Bruchſtück findet fi in einem Sammelcoder der Wiener Hofbibliothet 
(Nr. 12468) hinter einer Folge von jehr viel älteren bildlihen Darjtellungen von 
Geſchützen, Werkzeugen und Gebäuden (darunter interejjante Burgen). Der weitere 
Titel, der den Inhalt präzifiert, lautet: „Nach geometrijhem Grund bejchrieben 
vnd wared Eremplum dargethan, wie ein Jedtweders Studh Püchſen jol künſtlich 
geriht und gwiß daraus gejchofjen werden. Mit ſamt beygelegtem Inſtrument 
oder Duadranten. — Vnd wie man die Feuerkugeln zum Ernſt bereiten, werfen 
vnd ſchießen joll. Item auch, wie ein jedwedes Stud nad) der Kuglgröß ausgetailt 
vnd gemadt vnd was es koſt“.) 


Eine praftijche Anwendung der Mathematik, welche, der Artillerie 
ganz ausjchlieplich zugemwendet, von großer Wichtigkeit geworden ijt, 
war die Erfindung des Kaliberjtabes (BVijierjtabes, Artillerie 
maßjtabes), welche um 1540 von Georg Hartmann zu Nürnberg 
mitgeteilt wurde?). 


1) über die Herftellungskoften der Geſchütze finden fich in der ſchönen Erlanger Ab. 
ihrift von Cleves ſtriegsbuch [S. 341] ebenfalls interefiante Angaben in einem Anhange: „Was 
5 buppel Gartaunen, 12 Gartaunen, 8 jchlangen, 4 duplete jchlangen und 24 Falconetlein fupffer v. 
metall, gießen, beichlagen v. eyſſenwerch geftehen wurt”. 

2) Hulfius: Ander Tractat der mechaniſchen Injtrumente (Frankfurt a. M. 1603). Vossii 
de universae mathesios natura et constitutione liber (Amifterdam 1650). Doppelmanr: 
Hiſtor Nachrichten von den Nürnbergifhen Mathematicid und Künftlern (Nürnberg 1730). — Eine 
Unleitung zur Berfertigung ber Kalibermaßftäbe gab jpäter u. a. Struenjee in feinen „Anfangs 
gründen der Artillerie” (Leipzig und Liegnig 1760). 


606 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffentunde. 


Hartmann war 1498 zu Eggolzheim im Bambergiichen geboren, batte um 
1510 zu Köln Theologie und Mathematik jtudiert, Jtalien bereit und fich dam 
als Vikar in Nürnberg niedergelafien, wo er ſich vorzugsweiſe mit der Verfertigung 
mathematischer Inſtrumente bejchäftigte und 1564 jtarb. — Der Kaliberjtab ii 
ein metallener Maßſtab, auf welchem die Durchmefjer der jteinernen, bleiernen und 
eiſernen Kugeln von 1 Quentchen bis 100 oder 125 Pfund angegeben jind. Er 
diente dazu, den Bohrungsdurchmeſſer der Geſchütze, ſowie den Durchmefler der 
Kugeln von befanntem Gewicht, oder, wenn man den Durchmeſſer kannte, 
deren Gewicht zu bejtimmen. Dieje »Scala librarum« verwandelte aljo das Ab- 
wägen in ein bequemeres Abmeſſen. Der Mapjtab gibt übrigens den Spiel: 
raum für alle Kaliber proportional, wodurd er für die großen zu groß wird. 
Hartmann legte jeinem Stabe Nürnberger Maß und Gewicht zu Grunde, und 
daher find, abgejehen von Tranfreih und England, wo das Inſtrument niemals 
rehten Eingang fand, fajt in allen europäijdhen Artillerien Nürn- 
berger Maß und Gewicht auf lange Zeit Hin herrſchend gewor— 
den; denn man übernahm den Maßſtab ſchlichtweg jo, wie ihn der alte Bilar 
an der St. Sebaldustirche hergejtellt Hatte. 


Für jedes Kaliber wurde eine bejondere Ladejchaufel (lanterne) 
fonjtruiert, welche gewöhnlich aus Kupfer gearbeitet und derart ein— 
gerichtet war, „daß deren jeder einen Schuß Pulver jajje, damit man 
in der not (in der Eile) fürderlic laden fann.“ 


Sache des fundigen Büchſenmeiſters blieb es dabei doch, je nad) der Eigen: 
ihaft des Pulvers und der ind Auge gefaßten Entfernung die Ladung zu mehren 
oder zu mindern. 


In der mannigfaltigiten Weile wurde von den Gejchügmetitern 
auch der Quadrant variiert, der ja jchon während des 15. Ihdts. 
allgemein bei der Gejchügbedienung im Gebrauche gewejen war. 

Marimilian I. erfand, wie aus feinem „Memorienbuche“ [5.418] ber- 
vorgeht, einen neuen Quadranten „mit dem Kreuze“ und ließ ihn durch jeinen 
Beugmeijter in 20 Eremplaren beritellen. 

Der Duadrant diente jowohl zum Aufjuchen der wahren Mittellinie eines 
Geſchützes, als auch dazu, den Richtwinkel beim Schießen zn bejtimmen. Das 
„Suchen des Mittels“ gejhah früherhin in der Weije, daß man die beiden höchſten 
Punkte des Metalld durd) Kreide oder mit der Feile markierte und dann auf den 
Kopf oder (falld man weit jdießen wollte), auf die Frieje ein Vergleichskorn jegte. 
Saß das Korn auf dem Kopfe, jo legte man hinten auf die höchſte Frieſe beide 
Daumen gegeneinander und vifierte nad dem Ziele; dann jtand das Gejchüs 
zum Kernſchuß bereit. — Für nähere Entfernungen machte man das Korn böber, 
für weite niedriger, und um Bogenjchüfle zu tun, nahm man Aufſatz. Bediente 
man jich hierzu des Quadranten, jo bedurfte man nod) einer Gradtafel. Es galt 
aber für eine bejonders feine Kunjt, de Quadranten entraten zu fönnen. — Im 
Jahre 1507 fand z. B. zu Nürnberg ein Preißſchießen ftatt, bei dem man, der 


1. Die Zeit Kaijer Karla V. 607 


Verordnung gemäß, „ohne allen Aufjat ſchießen jolle, auch ohne Quadranten, 
jondern nur mit einem jchlidhten Abjehen: hinten ein Hölzlein und vorn ein 
Wächslein auf die Büchſen zu jegen.“') 


Vornehmlich von der Gejchügbedienung handelt eine Handjchrift 
der fal. öff. Bibliothek zu Dresden ($. 114), welche der erjten Hälfte 
des Ihdts. entitammt und den Titel führt „Buch von der Arttlarey“. 

Das Erdfinungsbild jtellt einen Büchſenmeiſter am Geſchütze dar, 
neben ihm die Perjonififation der Artillerie: eine Yrau mit Federhut, Maßſtab 
und Bulverflaiche. — „Die hebet ſich ahn das Buch von der Wrtlarey, d. i. vom 
Schießen aus jeglider Buchſſen, von der größten bis auf die Hleinite, 
namlich wie iglicyer ir Quadrant oder Verhöhung aufgejegt ſol werden.“ — Die 
aufgeführten Gejhüge find: Singerin, Quartana, Nottſchlang, Schlange, Feld— 
ichlang, Falcuna, Scerpfentin, Doppelhaden, halbe Baden, Zielbüchſe, Fuhr— 
büchſe. — Bon nötten ijt, daß iglicher Büchjfenmeijter wiſſen fol, wieuiel Pul— 
wer er igflicher Büchſen laden fol, mit dem Eirfel, dieweil man aus einer Büchjen 
jtein, bley oder eijen ſcheußt; es wil das dreyen iglich& feine eigene ladung 
baben, wiltu ander einen gewiſſen ſchuß thun. Wan das Bley ift ſchwerer dan 
das Eijen, das Eiſen ift ſchwerer dan der Stein; jo fahren iglicher höher ala das 
ander. Der Stein, als das geringjte, feret weitter wann das eijen, das Eijen 
feret weitter ald da Bley u. j. w.“ — An die Einleitung reihen jih dann fol- 
gende Abjchnitte: 

1. Bon der Ladung igklicher Büchſen, wie man die mit dem Zirdel 
finden jol. 

2. „So du haft ſchießen aus igfliher Buchjen mit einer fugell, ſzo 
will ich dir offenbaren, wie du ein Hagelgeſchoß aus einer großen Buchſſen 
ichjeßen vnd mit welchem vorteil du das laden ſolt.“ (Die Ladung gejchieht derart, 
daß erjt dag Pulver, dann die Kugel, dann ein eichener Klotz, dann Kießling oder 
bleierne Handrohrkugeln geladen werden. Ebenjo mag man auch aus Handrohren 
Hagel ſchießen.) 

„Item, wann du drei Schüfje auß einer fhlangen oder handt— 
buchſſen jchießen wilt, jo lade die Buchje aljo, jo nimmt man lengliche (cylin- 
driiche) Kugeln, die durchbohrt find.” Durd; Zündichnur verbunden, werden drei 
Ladungen in die Büchſe gebracht u. zw. am Stoß eine von Riſchpulver, dann 
das Geſchoß, dann eine Schicht Faulpulver, dann Rifchpulver, darauf das zweite 
Geiho u. f. w. 

3. „Fußeiſen zu jhießen aus einer Buchſen (Mörfer) in einen Graben, 
jo die Feinde ftürmen wollen.“ Die Ladung wird mit nafjem Heu verdämmt. 

4. Bon Feuerwergf. — a. Öluend Kugel. (Nach der Rulverladung wird 
Hader, dann Gras ind Geihüg gebracht und darauf die glühende Kugel gejtoßen. 
Ebenjo bei Mörjern.) — b. Nicht jtinfende und nicht rauchende Zünditride und 
Schwämme zu mahen. — c. Zündterzen u. dgl. — d. Raketen. — e. Feuer: 


1) Würbinger: Sriegdgeichichte von Banern II. 


608 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffentunde. 


pfeile. — f. Wajlertugeln. — g. yeuerräder, fliegende Drachen, Legefeuer. — 
h. Srdentugeln u. dgl. zum Sturm. Eiferne Handkugeln mit Schlägen. Feuerkolben 

Man fieht: es iſt nicht jowohl das ballijtiiche Element, was in 
diefer Schrift im WVordergrunde der Schießkunſt jteht, als vielmehr 
die Anweiſung zum Laden, und wie bei allen deutjchen Arbeiten 
nehmen die Beichreibungen der verjchiedenen Gejchoffe und pyrotechntiche 
Vorſchriften den meiiten Raum ein. 


8 44. 


Das fanonische Artilleriebuc) des 16. Ihdts., welches für Dies 
Beitalter ebenjo fennzeichnend und wichtig iſt wie für das 15. Ihdt. 
das alte Feuerwerksbuch, ift Franz Helms Buch von den probierten 
Künsten, welches in den Jahren 1527 bis 1535 entjtand. 

Man vermag die Entjtehung diejes Werkes ziemlich, gut zu ver: 
jolgen. Seine vollkommenſte Ausgejtaltung liegt u. a. in einer 1585 
gemachten Abjchrift der Wiener Hofbibliothef vor (Nr. 10953), auf 
deren Titel „Metiter Franz Helmb von Cöllenn am Rhein, 
Schloſſer und der durchl. hochgeporenen Fürjten und Herrn, der 
Hertoge Ludwigen und Albrechten in Bayern Oberjter Bürenmatfter“ 
als Verfafjer genannt wird und in dejjen Tert es auf BI. 54 heißt: 
„Dijes Werf, jo von mir Franz Helm, Burger und Schlofjfer von 
Cölln a. Rh. gejammelt und... im 1527. Jahr durch meiner eigenen 
Hände Kunſt angefangen worden, ilt zu Ende des 1535. Jahrs 
vollendet.“ 

Major Toll, der zuerjt von diejer Wiener Handihrift Nachricht gab (Archiv 
60. Band), meint, daß durd) diefe Notiz die Autorfhaft Helms noch keineswegs zur 
Gewißheit gemacht jei; denn es könne fich leicht damit verhalten wie mit der 
zweier jpäteren Artilleriften: Tegernjeers (M. ©. in Münden) und Hafjpergs 
(M. ©. ehemals in Straßburg), die in ihren Büchern, welche unzweifelhaft iden- 
tiich mit Helms Wert und nur durd einige Nachträge vermehrt find, auch jagen, 
daß fie jolche „beraittet,“ bagl. „bejchrieben“ hätten. Indes liegt das Ding für 
Helm dod anders; denn hier ijt in einer Handichrift von 1585, mit der er offen: 
bar jelbjt gar nichtS mehr zu tun haben konnte, ausgeſprochen, daß er den Tert von 
1527 bis 1535 gefchrieben habe; eine Aneignung kann alſo hier nicht vorliegen, oder 
ift doch mindejtens überaus unwahrjheinlid. Und in der Tat vermag man 
gerade für die Frijt von 1527 bis 1535 das Werk in mehreren Phajen nachzuweiſen 

Wohl die ältejte Gejtalt ift diejenige, welche eine mit zwei Erem- 
plaren des alten Feuerwerksbuchs zujammengebundene Handſchrift 
(ms. 3) des Berliner Zeughauſes darſtellt und welche ſich noch 





1. Die Zeit Kaifer Karls V. 609 


jehr eng an den Inhalt jener älteren Arbeit anlehnt. Aber am 
Schluß macht der Urheber der Handjchrift doch jchon jeine Autorjchaft 
geltend, denn er unterzeichnet: „rang Helm von follnn am reinn, 
ichloffer, puchjenmetjter vd. feuerwerfher, der in dem +42. (Rebens-) 
Jar aus dem Ungarland tjt gen Langhut zu Herzog Ludwig vnd 
Wilhelm und Herzog Albrechten vnd Hans von Baiern for ein büchjen- 
meister gedient hat.“ 

Einen entjchtedenen Fortjchritt zu weiterer Selbjtändigfeit zeigt 
dann ein Mipt. der Großhrzgl. Bibliothef zu Weimar (fol. 330), 
das den Titel führt: „Ain ſchönes Funjtbuch, die pychjenmaijterey, 
auch jeuerwerch betreffend.. durch mich Frannz Helm vonn 
Kölln a. RH., fritl. Bayerijcher püchſenmeyſter allſo zuſamengebracht.“ — 
Der Inhalt ordnet jich folgendermaßen: 

1) Wer puchſen vnnd pulffer erdacht hatt. (Maiſter Bardolduß). 2) Wer den 
puchjenmayjter die ardittelpryeff hatt aufgeryhtt und waß ſy vyer Frayhaitt 
haben. (Kayjer Fryderyeuß der Drytt i. J. 1444 in 9 Artikeln.) 3) Der Aldten 
puchſen mayjter Zwelf Fragſtukh. 4) Waß wejen vnd gewanhaitt ain jeder puchjen 
mayjter an im fol haben. 5) Wie ein puchjenmaijter joll wyfjen, der mit puchjen 
umgehtt, fie jeien groß oder clain, das eyſſen jcheußt oder pley, damit er ſich 
wayß zu verhychten vnd zu halden. 6) Wie ain puchjenmaijter ſain jtufh ſoll abdailen, 
damit er jol wyſſen, ob das ſtukhkugl jey dydh oder nitt. T) Daß ein puchſen— 
maifter ſain ladfhauffel ſoll wyſſen abzudailen. 8) Daſs ain pucjenmaifter ſain 
ſtudh mag abdailn mit ſainer ſchnur vnd prynngtt das abſehen mitt. 9) Wie 
ain puchſenmaiſter ſeyn ſtukh mag abdailn mit dem ſetzkolben, daß er kann wyſſen, 
wie ſeyn ſtukh geladen iſt mitt kraudtt vnd lodtt: halb kugl ſchwer mit pulffer 
oder kuglſchwer gar. 10) Mitt dem ſetzkolben ſeyn ſtuckh die ladung zu geben, 
das er die ladttichauffel nitt darf abdaylen. 11) Wie ain puchjenmaijter ain 
Jitrament haben joll, dardurd er jeyn jtudh khann probbyrn, ob ez ain pulffer- 
ſackh hab oder nitt vnnd ob das fhernenfien im jtudh vom guß gewuchen fen oder 
nitt. 12) Wie ain pehimjtr jeyn jtudh joll myttellyren!) mit dem pyrlegium 
der menjur (?) vnd jeyn quaderanden oder dryangl. wyß zu prauchen. 13) Wie 
ain pchſinſtr ain Iſtrament Haben oder machen jol, damit er jeyn jtudh 
than probbyrn, ob es grueben hab oder nitt. 14) Wan ain ſtuckh verihlagen wurdt 
bey dem zynndlod von den Feyndenn, wie du es ſolſt ausſchyſſen vnnd laden. 
15) Wie ain pchſmſtr. jeyn pulffer joll probbyrn. 16) Wie ain pchimitr. jeyn ſtuckh 
in ainer ſchantz joll ryſten mit prugtten vnd ſchantzkherben. 17) Wie ain pchjmitr., 
dem ain pöller oder merjer vnderthenig gemacht wurdtt, wieehrn regyren jolle, es 
ſey mit Eyſſen oder jtain oder feuerberg zum Ehrnnit. 18) Wie ain jedliches ſtuchh, 
es jey groß oder klaynn, jein daylung mitt prynngtt aufzujegen mit dem Iſtra— 
ment. 19) Wa3 ain jedliches jtudh fyer ain Daylung pryngtt, das ſtayn jcheuit, 


1) D. h. die Mittellinie finden. 
Jähnms, Geſchichte der Kriegswiſſenſchaften. 39 


610 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffentunde. 


es jey groß oder klain. — 20) Bon ainer gewaldigen ſturmkhugl. 21) Wie man 
ain weiljen zeug joll maden zu waſſerkhugl vnd feuerberg. 22 bis 24) desal. 
25) Wie man foll ain feuerkhugl machen zum Ehrnſten, die an Dächern ſteckhen 
bleiben. 26) Wie man joll an ftainnige fugl Feuerberg machen. 27) Wie man 
joll fprynngentt fugl maden mit Feuerberg. 28) Wie man foll von aller farben 
Feuerberg machen. 29) Was ainer auff ain jtainige Kugl jol laden von Pulffer. 
30) Yin waſſerkugl zu machen. 31 bis 35) Manicherley Wafjer- und Feuerkugl 
zu machen. 36) Wie man gutt feurn pfeil joll machen vnnd Rogettl (NRateten:) 
zeug. 37) Rogettel Zeug zu machen. 38) Zeug zu jturmrynng oder pöchrynng 
39) Confect- vnd Brandtzeug. 40) Wie ſych ayn Zeugmanfter mytt jambtt den 
huchfenmaiftern aynnjt gewalttygenn ſturmbs inn ainer Bejagung gegenn jeinen 
Feynnden haldenn foll. 

Diefem Terte folgt ein artillerijtiihes Bilderbud von 66 Seiten 
mit guten farbigen Darjtellungen, da& (zwar nicht in den Kojtümen der Figuren) 
wol aber jeinem ganzen Inhalt nad in den Anfang des 16. Ihrdts. gehört 
und fic den Fortſetzungen der mittelalterlichen Jfonograpbien anreibt, deren früber 
gedacht mwurde.‘) 

Die Weimarer Handjchrift trägt das Datum 1565. Daß dies 
die Zeit der Kopie, nicht die der Entjtehung des Werkes jet, lehrt 
der erjte Blid auf den Inhalt. Diejer iſt jogar jo altertümlich, dat 
man eher geneigt fein wird, ihn in das zweite als in das Dritte 
Dezenntum des 16. Ihdts. zu jegen. Und das wird auch wohl zu: 
treffen; denn man hat es allerdings in diefem Werke noch nicht mit 
dem „Buche von den probierten Künſten“ zu tun, dejlen Beginn 
Helm jelbit in das Jahr 1527 jet, jondern offenbar mit einem 
früheren Buche desjelben Verfaffers, das ihm vermutlich als Bor: 
arbeit zu feinem jo berühmt gewordenen Hauptwerfe gedient hat. 

Die erjte, allerdings noch nicht ganz reife Geſtalt, in der wir 
das eigentliche „Buch von den probierten Künſten“ fennen, it Die 
einer undatierten titellojen Gothaer Handjchrift (Cod. Chart. A. 
p. 757). Eine Notiz des Premierlteutenants, jegigen Generals Köhler 
vom Mat 1852, welche auf der erjten Seite diejes Koder jteht, lautet: 
„Die Handjchrift iſt um 1525 verfaßt. Sie ergänzt die um diejelbe 
Zeit gejchriebene Kriegsordnung Nickel (Michel) Ottens [$ 12] und 
jcheint dieſen ebenfalls zum Berfafjer zu haben.“ Wenn nun aud 
diefe Vermutung, was den Verfaſſer betrifft, nicht zutreffen dürfte, 
jo fennzeichnet fie doch den Charakter und die Uriprungszeit der 

1) Es ift übrigens jehr zweifelhaft, ob dies Bilderbuch urjprünglich zu Helms Tert gehört bat 


oder ihm nur angebunden ift. Die der Jfonographie folgende Paraphraſe des alten Fenerwerfäbudes 
bat ſchwerlich dazu gehört. 


1. Die Zeit Kaiſer Karla V. 611 


Handichrift überrajchend genau; denn offenbar hat man es hier mit jener 
eriten Faſſung des Buches von den probierten Künſten zu tun, welche 
dejjen Autor, Helm, in das Jahr 1527 jeßt. Der Inhalt gruppiert 
jich wie folgt: 

„Bon Salpeter. Bon Schwefel. Bon dem Pülffer. Bon den Feuerpfeilen. 
Von dem yeuerwerd. Bon den Neuchen vnd Dempfen. Bon den Confortativen 
der Pülffer und yeuerwerd. Von den Delen zum yeuerwerd. Von der ler vnd 
Bnterweifung des geſchütz. (Geſchützbedienung, Schießkunſt, Batteriebau, Artillerie- 
taftif.) Bon den Quatranten vnd ihr Vnterweißung. Allerlei Mortfeuer und 
Sturmgerät.” — Soweit jtimmen Regiſter und Inhalt des Buches. Nun aber 
folgt tatjählih in dem offenbar nicht vollendeten Manujfripte ein Teil des alten 
Feuerwerksbuches, nämlicd) die „Zwölf Fragen“ und der nur etwas modernijierte 
Abjchnitt über die moraliſche und dienftliche Haltung der Büchjenmeifter, worauf 
einige gut gezeichnete Darjtellungen ziemlich altertümliher Geſchütze u. dgl. den 
Beſchluß machen. Das Regijter dagegen läuft in die Überſicht der Geſchützmaſſe 
aus, die zu einem Heereszuge gebraudt wird und beredynet, ähnlich wie das dem 
Michael Ott i. 3.1530 gewidmete „VBerzeihnus der Arcolerey“ [S. 492] oder wie 
der artillerijtiiche Anjcylag Reinharts von Solms [S. 618] Gewicht, Munition, Be- 
dienung, Bejpannung und Kojten einer folchen Artillerie. 

Ein Bergleich diejer Inhaltsangabe mit der der vollendeten 
Faſſung des „Buchs von den probierten Künften“ zeigt, daß das 
Werk in diejer Gothaer Handjchrift noch im Werden ift. Die logijche 
Anordnung des Stoffes iſt noch unficher; aber die Grundlage zu 
einer modernen Behandlung desjelben iſt doch gelegt, und auf diejer 
baute Helm nun fort. Das Wiener Manuffript jagt, daß er jein 
Buch i. 3. 1535 vollendet habe, und eben aus diefem Jahre jtammt 
die Ältejte datierte und zugleich die älteſte vollitändige Handjchrift 
des jpäter jo oft Eopierten Werkes: der Coder Palat. Germ. 128 der 
Heidelberger Bibliothek, welcher den Titel führt: „Ein Buch 
zujamen gezogenn auß vilen Brobiertten funjten vnnd 
erfarungen, wie ein Zeuge Hauß jampt aller monition anheymiſch 
gehalten joll werden.” — Dies Buch iſt die vollendete Ausgeitaltung 
des Gothaer Manuffriptes und identisch mit dem der Wiener Hof: 
bibliothek [S. 608], welches den Namen Helms überliefert, der dem 
Heidelberger Codex leider fehlt. Folgendes iſt eine Inhaltsüberjicht 
dieſer pfälzischen Handjchrift: 

Einer theologiic gefärbten Vorrede folgt die Einleitung „Was Ordnung 
vnd fleiß jih ein zeugmwart mit allem geſchoß vnd monicey auch anderem in 
ein zewghauß gehörig gebrauchen joll.“ (BI. 1—8). Daran ſchließt ſich das überaus 
eingehend behandelte Puluer-Buch welches von Salpeter, Schwefel, Kohle und 

39* 





612 . Das XVI. Jahrhundert. II. Waffenkunde. 


den verfchiedenen Arten des Büchfenpulvers ſpricht. 6 —41). Nun kommt des 
Fewerwercks-Buch. Dies handelt von den TFeuerpfeilen, von den aus Bleiden 
und Schleudern zu werfenden Feuerfugeln, von Leuchtkugeln, von den jich jelbit 
entzündenden Feuern, von Brandjägen, von Springfugeln (Handgranaten) von 
glühenden Kugeln und von den mannigjaltigen Dlen und „Convertativen* dei 
Pulvers. Letzterer Ausdrud wechſelt mit „Confortativen“, und in der Tat be 
deutet er teils Stoffe, welche zum „convertieren“ d. h. zum Verändern der Farbe 
des Pulvers felbjt oder feiner Flamme, teils joldhe, die zum „confortieren“, d. h. 
zum Berftärten des Pulvers dienen follen. Das Pulverbuch ift der bei weiten 
umfangreichite Teil des Wertes (BI. 42—131). Dann beginnt das Buch der 
Bühfenmeyfterei mit den befannten zwölf Fragen und der Auseinander: 
jegung „was wejens ein Büchſenmeyſter fein fol“. Daran reihen fih Vorjchriiten 
über Laden, Brechelegen und „Betrugkſchuß“ d. H. jcheinbares Verſagenlaſſen der 
Geſchütze, um den Feind zu unvorfichtigem Anlauf zu verloden. Ferner werden 
der Gebrauch der Hagelgeſchoſſe, dad Schießen von Pfeilen und Stangen aus 
Büchfen, die Treffkunſt und bejonder8 eingehend Quadrant, Zirkel, Triangel und 
die Praxis des Zielen beſprochen (BI. 132—185). Den Beihluß des Wertes 
macht eine höchſt interefiante „Ordnung der Wagenburg, wie man fie im 
Felde fueren, ſchlagen vnd leggern ſoll“. Namentlich dies Kapitel ijt reich mit 
trefflichen illuminierten Zeichnungen ausgejtattet. Aber auch fonjt fehlt es nicht 
an guten Bildern, von denen zumal die das Zielen betreffenden anſchaulich und 
charakteriftiich find. Außer dem größeren Biertelfreife wird dabei auch der Fleinere 
Duadrant dargeftellt und erläutert, der vermittels feines Fußes und des darin 
befindlichen Viſierloches auch zur Bejtimmung der Mittellinie auf dem Gejchüse 
und fo zu genauer Direktion desjelben dient. 


Das „Buch von den probierten Künjten“ geht von dem alten 
Feuerwerfsbuche aus, entwidelt es vationell weiter und zieht Die 
Summe des gejamten artilleriftiichen Willens jeiner Zeit. — Als 
eine unmittelbare Ergänzung desjelben darf ein nur um ein Jahr 
jüngeres Buch gelten, von dem jich em aus d. 3. 1536 datiertes 
Eremplar in der Bibl. zu Weimar u. zw. in demjelben Coder Nr. 33U 
befindet, der auch das oben S. 609) ausführlic) erläuterte Erſtlings— 
werk Helms enthält. — Die Überjchrift lautet: „Vann mir Frans 
Helm von Khölln a. Ahern, bairijcher Puxenmaiſter vnd feurberfher 
fec. 1536 jar. Hie it zu wiſſen vnd zu merden, wie man ein 
zewghaus vnd jambt den Werfhiteten vnd plegen vnd 
gerten: als gußhauß, zimmerhauß, jchlojjerey, thijchlerey vnd jchmitten 
vnd mwagnerey und gewelber, die leng vnd die weiden vnd Die 
praiden vnd hohen machen vnd bawen joll“ '). 





’) Eine eng verwandte Handſchrift befigt bie Großherzogl. Bibl. zu Darmitadt (Mr. Frei. 


1. Die Zeit Kaifer Karla V. 613 


Das Bud) Hat die Form eines Berichte an den Fürſten und macht genaue 
Angaben über die baulihe Anlage und innere Einrichtung eines Zeughauſes, 
wobei nit nur die Aufjtellung der einzelnen Gegenjtände, jondern, der Raums 
berehnung wegen, meijt auch ihre Maße und ihre wünfjchenswerte Zahl mit- 
geteilt werden: von den Munitionsbejtandteilen an bis hinauf zu den Sciff- 
brüden. — Ws Zeugmeijter folle man einen kriegserfahrenen landſäſſigen 
Edelmann bejtellen, als Zeugmwart einen Kriegsmann, der als Büchjenmeijter 
gedient und auch in Schanzen gejchoffen habe. Der Zeugwart ſoll „Löjen, 
ihreiben vnd Rechnen khünden; dann an ainem Zeugwart viel gelegen ijt vnd er 
mer dann ain Zeugmaifter willen muß“. 

Die Helms jcheinen eine echte Artilleriftenfamilie gemwejen zu 
jein. Gerade fünfzig Jahr nach Abfaffung des Zeughausbuches, 
aljo 1. 3. 1586, wurde „der Oberbüchjenmeilter Hang Helmb* 
(vielleicht der Sohn des Franz) vom Herzoge von Bayern beauftragt, 
eine Injtruftion für das Zeugmeiſteramt zu entwerfen !). Diejelbe 
tt noch vorhanden und lehnt ſich ganz unmittelbar an die eben 
bejprochene Schrift Franz Helms von 1536 an. 

Das „Buch von den probierten Künſten“ Löfte das alte Teuer: 
werfsbuch als Reglement und Kanon der zünftigen Artillerijten ab 
und beherrfchte ihre Streije bi8 gegen Ende des 16. Ihdts. — Teils 
in dem Umfange und mit dem Inhalte, wie e8 in der Heidelberger 
Handichrift von 1535 vorliegt, teild unter Hinzunahme der Abhand— 
lung vom Zeughausbau aus d. 3. 1536, teil® auch unter Heran— 
ziehung eines oder des andern Abjchnittes aus Helms altem. Kunjt- 
buch (Weimar), teils endlich mit Zujägen jpäterer Abjchreiber und 
Redaktoren — jo findet es jich in ungewöhnlich großer Zahl mannig- 
fach von einander abweichender und doch wieder in allem wejentlichen 
übereinftimmender Eremplare durch ganz Deutjchland zerjtreut. Viel— 
leicht ijt die Mehrzahl davon noch heut in Privathänden, und Die 
nachfolgenden, öffentlichen Bücherjammlungen angehörigen Abjchriften 
bilden nur einen Teil der wirklich vorhandenen Kopien. 

Wohl nur wenig jünger als die Heidelberger Handſchrift ijt ein Exemplar 
der Kgl. Bibliothek zu Berlin (ms. germ. fol. 487), in das ſich Andr. Preg— 
niger, Studgießer zu Culmbad) n. Chr. 1546 als Eigentümer eingejhrieben hat. 
— Die öffentlihe Bibliothef zu Dresden bejigt zwei jchöne Abjchriften von 
1560 (E. 115 und 118), eine von 1577 (EC. 421), fowie ein undatiertes Eremplar 
(E. 364). — Ebenfalld die Jahreszahl 1560 trägt eine Kopie der Münchener 


1) Würdinger: Franz Albr,, Frhr. v. Eprinzenftein. (Verhandlungen des hiſtor. Vereins 
für Niederbayern. Bd. XXIV, Heft 3 und 4.) 


614 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffentunde. 


Hof: und Statsbibliothel (cod. gerin. 3672); eine andere, welde ſich dort in 
einem Sammelcoder (Nr. 3673) befindet, ift drei Jahre jünger. — Ein aus alt: 
bayeriſchem Beſitze jtammendes Eremplar von 1561, ein minder qute® von 1587, 
jowie ein undatierte® bewahrt die großherzogliche Bibliothef zu Weimar (fol. 
329; qu. 344; fol. 331). — Eine Abſchrift von 1563 „Herrn Albredt v. Rofien: 
berg zugehörig“, findet fi in der Bibliothek zu Karlsruhe (Durlah 221). — 
Die Bücherei des Berliner Zeughaufes bejigt eine bejonders interefiante Ab- 
ichrift (ms. 14), die der Gerichtäprofurator Lengius 1574 dem Junfer rd. Albr. 
v. Heſſenburg, würzburgiſchem Rate, zueignete, wobei er die alte Vorrede repro- 
duziert und dann angibt, daß dies Eremplar aus dem Bejige jeines Schwager: 
jtamme, der Fähnrich geweſen jei und dem es „jein General Obrijter, Herr Niclas 
Graf von Serin“ (Zrin d. i. Zriny) in Szigetd zum Geſchenk gemacht habe. Es 
ift eine vorzüglice Kopie; eine der illuminierten Zeichnungen, die das Schleudern 
von Stinffäjlern darjtellt, bringt auch nod) einmal das Bild einer Bleide. Ein 
zweites Eremplar (ms. 12) ijt derjelben Sammlung als Geſchenk des Prinzen 
Karl von Preußen zugewacjen ; ein dritte® Eremplar des Zeughaujes, in einem 
aus der Wolkenjtain’schen Bibliothef jtammenden Sammelbande (ms. 10), ijt un- 
vollftändig. — Eine Abſchrift ohne Bilder enthält der Cod. palat. germ. 135 zu 
Heidelberg. — Drei Eremplare, eins von 1584 und zwei undatierte, bejigt die 
Bibliothek Hauslab (jet Liechtenftein) zu Wien. Die datierte Kopie bat 
feine Illuſtrationen, enthält aber „die gejchriebene Articul der Büchjenmaniter 
Freijhaitten“ und die „Privilegien Kaiſer Friedrihs III.“ aus Helms altem 
Kunſtbuche. Ebenfalls aus d. 3. 1584 rührt die erjte Bearbeitung des Wertes 
her, welche ji von Chriſtoph Tegernjeer in der Hof: und Statsbibliothef zu 
Münden findet (cod. 3676). Ihr reihen jich dort noch vier andere von dem: 
jelben Meijter aus den Jahren 1585, 1586, 1595 und 1598 an. (Cod. germ. 
3677— 3679 und 3682). (Bergl. weiter unten!) — Vom Jahre 1584 jtammt ferner 
ein Eremplar der Kgl. Bibliothef in Stuttgart (Milit. fol. no. 8), die aud 
no eine Kopie von 1594 (Milit. fol. no. 7) ohne Zeihnungen und ohne Ab: 
handlung über die Wagenburg und ein undatiertes Eremplar bejigt (Nr. 23). 
Im Kupferjtihlabinet zu Berlin findet fich ebenfalld eine Abſchrift von 1584. 
— Wohl aus derjelben Zeit rührt eine undatierte Bearbeitung der Wiene: 
Hofbibliothet Her (Nr. 10935). welche die Abhandlung von der Wagenburg fort: 
läßt, dafür jedoch ausführlicher vom Belagerungstriege [handelt u. zw. mit aus 
drüdlicher Hindeutung auf die Türfengefahr. — Undatiert find aud die Eremplare 
im Germaniſchen Mujeum zu Nürnberg (Nr. 27722), in der Kajjeler 
Zandesbibliothet (ms. math. fol. 10), in der Darmjtädter Bibliothe 
(Nr. 291), ſowie die jchöne, reich mit farbigen Zeichnungen ausgeftattete Abjchrift 
zu Gotha (chart. fol. 569), welde auch den Zujag hat: „Wie ein Zeughaus 
jambt aller Municion vnnd Zuegehör anhaimiſch jollte gehalten werden“. — 
Eine volljtändige Wiederholung von Helm's Zeughausbuh a. d. J. 1536 ift 
einer nur wenig abgewandelten Kopie des „Buchs von den probierten Künſten“ 
angehängt, die ji) unter dem Titel: „Ein Neuu, Whar, Probierrt und Practiciert 
geichriebenes Feuur Buch“ von 1598 in der BibliotHef Hauslab zu Wien 


1. Die Zeit Kaifer Karla V. 615 


befindet. Die gleiche Überjchrift trägt ein ſchönes Quartexemplar der Behörden- 
bibliothef zu Deſſau v. 3. 1601 (Nr. 11033: 6106 B), als deſſen Befiger 
Ghrijtianus, princeps Anhaltinus, genannt iſt und dem auc die Abhandlung 
„mie man ein Zeughauß anhaimbs Halten joll“ nicht fehlt. 


Zu Anfang des 17. Ihdts. jcheint der eifrigjte Bearbeiter des 
Buches für den eigentlichen Autor gegolten zu haben; wenigjtens be- 
jigt Die fürjtliche Bibliothek zu Donauejchingen das Werk in 
einer Redaktion von 1612 (Nr. 863) unter dem Titel: „Feuuerbuch, 
zujammengetragen durch Chriſtophen Tegernjeer, Burgern zu 
Munichen“, und auch im Ms. germ. fol. 877 der Kal. Bibliothek 


zu Berlin trägt die Paraphraje von Helms Werk den Namen 
Tegernjeers }). 

Der I. Teil führt hier den Titel: „Ein Whaar Approbiert vnnd Practicierttes 
gejchriebenes Feuur-Buch. Wie ein Zeughauuß Anhaimbs mit aller Zugehoerung 
Solte gehalten werden . . . Zue jonderem Nutze vnd wolfartt den Ehrijtlichenn 
Stenndt vnd Stetten unnjeres geliebten Teuttfchlandts mit jonder gangem Fleiß 
gemachet durch CHrijtophen Tegernjeern, Burgern vnd Püchfenmaijtern zu Münichen 
in Hochloblichem Bayerenn. Beraittet in 1613”. 

Diefer Teil bejpriht wie das Original zum Eingang die Pflichten des 
Zeugwartd®. Dann folgen Pulver und Feuerwerkbuch, wobei gelegentlid) alte 
Scerze des 15. Ihdts. (3. B. die Feuersbrunſt jtiftende Klage) neu aufgewärmt 
werden; hierauf fommt die Abhandlung „vom Groben Geſchütz“ nebjt weitläufiger 
Beiprehung der verjchiedenjten Arten von Sturm= und Feuerkugeln, unter denen 
die „Sprengende Kugel aus dem Mörfer zu werffen“ (Bombe mit zwei Feuern) 
am interejjantejten ijt, jowie Kapitel über „Karttettihen” (hölzerne Hagelbüchſen 
von fünf Kugellängen) und „Ragettlein“. 

Der I. Zeil ift überichrieben: „Won Wagenburgen vmb ein Feldtläger, 
Bon Umbihangen vnd Untergraben ; Auch was gejtalt die Stett, Schlöeffer vnd 
andere Gebeuu nutzlich mögen erbawet, bewharet vnd nad) Notturfft verjehen 
werden, Was auch zue einem gangen Feldtzug an Munition, Perſohnen vnnd 
Vnkhoſten gehoerig. tem wie man ein Zeughaus jammt den Werdjtätten und 
Plägen, Gärtten, Gußhauß u. ſ. w. erbauen jolle... Won demjelben. 1614“. 

Die Gejhügaufzählung diejes Teiles beginnt (höchſt anachroniftiic) für das 
17. Ihdt.) mit der „Scharffen Metze“ und endet mit dem „Scharfadinlein“, 
worauf die „Mortierer“ folgen. Der taktiſche Teil ijt breiter als in Helms 
Original, do nichts weniger wie far u. 3. T. in ſchlechten Verſen abgefaßt. 


Die weite Verbreitung und mannigfaltige Ausgejtaltung läßt 
das „Buch von den probierten Künſten“ als Gegenſtück ſowohl des 
| I) Das Eremplar ftammt aus Privatbefig und ift jehr viel ärmer an Zeichnungen wie die 


quten Kopien des Originalwerls. Übrigens find die Zeichnungen auch hier mit Wafjerfarben getuſcht. 
Biele der wichtigften umb interefianteften, 3. B. bie von der Wagenburg, fehlen aber. 





616 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffentunde. 


alten „Feuerwerksbuchs“ erjcheinen, an deſſen Stelle es trat, wie des 
ichiefjalvollen Amterbuches, als deſſen Ergänzung es fich darjtellt. 
Wie aber das Feuerwerksbuch mehr als ein Jahrhundert lang brauchte, 
bevor e8 (1529) gedruckt wurde, jo auch das „Buch von den probierten 
Künjten“. Immer wieder und wieder abgejchrieben, blieb es doch 
ſtets von dem Schleier des Zunftgeheimniſſes umgeben, bis ſich all- 
mählich neben ihm eine neue Tradition gebildet hatte, welche die Ver— 
öffentlichung jener num veralteten Artillerielehre unjchädlih und 
erlaubt erichemen ließ. So wurde es dann endlich i. 3. 1625 von 
I. Ammon zu Frankfurt a. M. Herausgegeben u. 3m. unter dem 
Titel: „Armamentum principale oder Kriegsmunition und Artillerey- 
Buch, darinnen bejchrieben Wie ein zeughauß jampt aller Munition 
und Zugehöre bejtellt und in rechtem Weſen jol underhalden werden 
auch von Salpeder, Schwefel und Kohlen jampt allerhand vortheyl 
mit pulver; deigleichen unterjchtedenes Muſter von brechzeugen, Fewer— 
pfeilen, Wilden vnd zahmen Sturm Wehr, Einleg vnd Mordfeuer ... 
beneben einem Bericht der Wagenburg ... . Dergleichen hievor nie 
an Tag fommen, anjego aber im offenen Drud geben“. — Wie 
langjam mußte der Fortſchritt der Wiſſenſchaft jein, wenn ein Bud), 
das zur Zeit der Auflöſung des Schwäbilchen Bundes vollendet 
worden war, in den Tagen des niederjächjiich-dänijchen Krieges ver- 
Öffentlicht werden konnte, ohne doch als veraltet zu gelten! 

Eine italieniiche Überjegung des Buches von den 
probierten Künjten befindet jich in der Biblioteca Riccardiana 
(no. 2525) in den Uffizien zu ‚Florenz. 

Der Trattato zerfällt hier in acht Kapitel. Das 1. handelt im Allgemeinen 
bon dem Amte eines Capitano della Artigleria, da® 2. del salnito, del solfo, 
del carbone, d’ogni sorta de polvere per artigleria et archebuse. Capo 3 
beipricht instrumenti per rumpere et aprir porte, fenestre, ferrate u. j. mw. 
Gapo 4 redet di varii fuoci artificiali, Capo 5 dell fumi avvellenati e non 
avvellenati per gettare o tirare con l’artigleria o qualtrivoglia altro instru- 
mento (Blide). Das 6. Stapitel behandelt die Confortativi delle polvere et 
fuochi artificiali tanto avvellenati che non avvellenati; Capo 7 bringt diversi 
et utilissimi avertimenti appartinente al arte del Bombardiere, divise in 
12 domande (Bücjjenmeijterfragen). Hier wird auch vom Transport der Geſchütze 
gehandelt, von der Heritellung eiferner und jteinerner Geſchoſſe, vom Brechelegen, 
von Trugichüffen, von Minen, vom Quadranten, Kompas und Triangel, vom 
Jujtieren des Geſchützes und dem Berechnen feiner Schwere. Das 83. Kapitel 
endlich beipricht Marſch- und Lagerordnung für carriagi, fanteria und cavalleria. 


* 


1. Die Zeit Kaiſer Karls V. 617 


— Die jhönen illuminierten Zeihnungen entjprehen im wejentlihen ganz und 
gar denen der deutſchen Handicriften. 

Die Kgl. Privatbibliotgek zu Turin beſitzt ein Facjimile diefer Handichrift 
unter dem Titel: Trattato di Artigleria d’Anonimo del sec. XVII, weldes 
der Architeft CHirici hergejtellt hat. Der Traktat galt bisher für in italienisches 
Originalwerk. 

Eine unmittelbare Übertragung ins Franzöſiſche ſcheint nicht 
ſtattgefunden zu haben; wohl aber ſtellt ſich der erſte franzöfiiche 
Drud, welcher ſich auf Artillerie bezieht, ver Livre decannonerie 
et artifice de feu (Paris 1561) umverfennbar al3 eine Be 
arbeitung des Buches von den probierten Künjten dar, jo daß fich 
hier noch einmal der beherrichende Einfluß der deutſchen Büchjen- 
meijterei auf Wejteuropa erfennen läßt !). 


Nicht jo ausgedehnte Weiterbearbeitung wie das Buch von 
probierten Künjten erfuhr Helms Zeughausbuch von 1536. Welche 
Bedeutung man ihm jedoch beimaß, beweijt der Umjtand, daß es 
bald nad) jeinem Entjtehen zur Grundlage einer offiziellen Injtruftion 
in Nürnberg gemacht wurde, die anjcheinend durch die ganze zweite 
Hälfte des Jahrhunderts in Kraft blieb. Eine Handjchrift derjelben 
befindet jich in der Berliner Zeughausbibliothef (ms. 13) und führt 
den Titel: „Ein ordentlich vnd Fünftlich Bejchreibung über 
ein Zeughaus vnd was bdemjelben mit aller Munition vnd 
Arthollerey anhengig jein mag. Durch weyland Cajparn Brunner, 
zeugmwarter, anno 1542 mit vleis zujammenbracht, ellen zeugherrn 
vnd zeuguerwanten zu lejen nutzlich. — Den treyen verordneten Zeug: 
herren über die Zewghewſer ... . iſt einem yeden im 1563. Jahre 
ein ſolchs Buch, ich darinnen zu erjehen, in gehaimer verwarnung 
pberantwortet worden.“ 

Der Inhalt gliedert fi in drei Teile. LI. 1. Buch: Beichreibung eines 
Beughaufes mit aller Munition vnd Arthollerey. 2. Buch: Neue Ordnung deren 
Studh, jo in ein Zeughaus gehören. Wie man fid) mit den Gefejen halten joll. 
— 1.1. Bud: Von den Feuerwerdhen, jo zum Ernſt gehören. 2. Buch: Wie 
die Lujtlugeln u. j. w. zu maden. 3. Buch: Bon jteigenden Keſten GRaketen) 
und andern Iujtigen Faſtnachtsrorlein. 4. Buch: Wie man Puluer vnd Salliter 
machen vnd leutern fol. Dazu die Feuerwerkhs-Setz. — III Gründlicher Bericht 
des Büchſengießens. 


1) Bol. über dies Werk: Louis Napoléon Bonaparte: Etudes I, 208; II, 66 u. 100. 





618 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffenkunde. 


Es ijt eine jehr jorgfältige, von einem fundigen und genauen Fachmann 
ausgeführte Arbeit, die jedoch nur in ihrem dritten Teile wejentlich über den im 
Helms Werten gebotenen Inhalt hinausgeht. 


8 45. 


Den Berjuch einer Zujammenfaffung des gejamten artillertftijchen 
Wiſſens feiner Zeit machte Graf Reinhart von Solms in den 
beiden der Geſchützwaffe gewidmeten Teilen jener „Kriegs: 
regterung“ [8 22). 

Neinhart theilt das Geſchütz nad dem Gewichte der 
Rohre folgendermaßen ein: 

1. Brechgeſchütz oder Mauerbrederinen. 

Scharfmetz wiegt 115 Ztr., it 15 Kugeln lang, ſchießt 85 Pd. 

Nadhtigal „ 80, 4127 — — A 
Nothſchlange, 60 „ 442 . a „16, 
Kartaune, BO... „1838 — u. MB , 

2. Feldgeſchütz. 

Feldſchlange wiegt 40 Ztr., iſt 34 Kugeln lang, ſchießt 12 Pfd. 
Halbe Kartaune„ 36 „ „ 20 J se 
Halbe Schlange „ 24 „ „ 3 u J u 7 
Falkaune 12 40400 — —ã 
Falkonet > Mt " „1. 


Ein Heer von 20000 Fußknechten und 5000 Pferden iſt, Graf 
Reinhart zufolge, wohl mit Gejchüß verjehen, wenn es verfügt 


an Brechgeſchütz über an Feldgeſchütz über 


2 Scharfmegen, 
4 Nadıtigallen, 
4 Nothichlangen, 


5 Nartaunen, 


6 Schlangen 

8 halbe Kartaunen, 
10 halbe Schlangen, 
10 Biertelihlangen, 


20 Falkonets, 
18 Stüd. 54 Stüd. 


An Munition fordert der Graf für jedes Geſchütz 100 Kugeln 
mit halbkugeljchwerer Ladung und dringt auf gute Bejpannung, denn 
„Eile it ein großer VBortheil in diefem Spiele“. Eben diejer Geſichts 
punft der Feuerbeſchleunigung veranlagt ihn auch die Kartujcen 
oder (tie er fie nennt) „SKartetjchen“ zu empfehlen, deren man jid 
vorzugsweije bei Hinterladern zum Schnellfeuer bediente. Solms 
jtimmt hier mit Biringuccto überein S. 595). 


1. Die Zeit Kaifer Karls V. 619 


Die Mörjer und Böller bilden eine völlig abgejonderte Klaſſe 
des Geſchützes und werden vorzugsweile zum Steinwurf und zum 
Wurf von Feuerwerk verwendet. 

Sie erfordern eine ganz eigenartige Manipulation: „Ein Büchjenmeifter 
möge jeiner Büchje Meijter fein; an einem Mörſer aber ijt nie auszulernen, weil 
der Bogenſchuß von jo vielen Dingen, wie Stärfe des Pulvers, Wind und Wetter 
abhangt”. Mit diejem Urteil jtimmte 1589 auch nocd Daniel Spedle überein 
[S 121]; denn der jagt von den Mörſergeſchoſſen: „Diejelbigen haben ihren Weg“, 
und daher jollen jie „nicht zu hoch und weit geworfen werden, jondern nur 
ſchwach unter den Feind im Graben“. Im Gegenjape biezu war aber Graf 
Solms ein Freund der Mörjer und griff dem Verjtändnis und den Neigungen 
jeiner Zeit vor, indem er für die Anwendung einer großen Zahl Mörjer geringen 
Kalibers jpricht, die im Belagerungsfriege namentlich dem Verteidiger ausgezeichnete 
Dienite leijten fünnten. 

Auch der Rafeten mit „Flügeln“ (Fallichirmen), jowie der 
irdenen Handgranaten gedenft Graf Solms. 

Sein Abjchnitt vom Feuerwerk tt offenbar eine Zuſammen— 
jtellung aus älteren Schriften. Sogar noch mit dem Feuerwerks— 
buche vom Anfange des 15. Ihrdts. jtimmen einzelne Vorjchriften 
auch Diejer Arbeit wieder wörtlich überein. Ein großer Teil der 
Feuerwerksſätze jind höchſt abenteuerliche Kompofitionen. 

Ungelöjchter Kalt und allerlei Dlarten fpielen die Hanptrolle. — Hier ift 
der Graf durdyaus nicht auf der Höhe feiner Zeit. Einige der Rezepte jind ge— 
reimt, ohne daß doc die Verszeilen abgejept wären; 3. B.: „Ein höflich kunſt 
ſich bier entichleußt und lehrt wie man mit Waſſer jheußt“. Die Zahl der Pulver: 
rezepte ijt Yegion; mehr als zwanzig lehren „das aller bejte“ Pulver herzuftellen. 

Trotz jolher Wunderlichkeiten nimmt der artillerijtiiche Teil 
des Solmsjchen Werkes unter den deutjchen Arbeiten der erjten Hälfte 
des 16. Jhrdts. einen hohen Ramg ein. Uns mutet e8 ja freilich 
jeltjam an, wenn der Graf die Meinung ausjpricht, daß das „ge 
ſchütz nunmehr am höchiten jteht und dasjelbig nit wolmag 
höher noch jterfer gemacht werden.“ (II. ©. 29.) — Aus diejem 
naiven: „Und wie wir's dann jo herrlich weit gebracht!“ Klingt eine 
Selbitzufriedenheit heraus, die vielleicht mit zur Erklärung des auf 
fallenden Umjtandes dienen mag, daß die Weiterentwicdelung der 
Artilleriewiffenjchaft, deren Begründung im 15. Ihrdt. doch unzweifel- 
haft den Deutjchen zu verdanfen gewejen war, im 16. Jhrdt. zus 
nächjt nicht mehr von ihnen ausging, jondern auf längere Zeit hinaus 
den Italienern zugefallen it. 


620 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffenktunde. 


S 46. 

Eine Überficht des Geſchützmaterials der eriten Hälftedes 16. Ihrdts. 
gibt die „Bejchreibung des Kaiſers Caroli quinti gejchüs, 
jowol der 149 Stüd, jo ©. K. M. haben gießen laſſen als von 
vielen andern, jo aus vunderjchtedlichen ländern genommen worden: 
als aus dem Gajtell Pierrefort 2 Stüd, aus des landgraffen Philippi 
von Heſſen land anno 1547, 170 Stüd, Bon Churfürſt Sohanns 
Sriderico von Sadjen vnd aus Gotha 131 Stüd, von Churfürit 
Othoni Friderico, Praltgraff, 3 Stüd, aus den NReichsjtätten Augs 
burg 12, Ulm12, Straßburg 12, Heilbrunn 7, Esling 6, Memming 4, 
Neutling 1, Eiſenach 1. Machen in allem 520 jtüd. So hernachen 
gar Eunftlich in ihrer rechter Form und länge abgerifjen, und iſt des 
kugels große und Schwere (fie jey von Eyjen oder Stein) alzeit da- 
neben geitelt. 1552.“ 

Ih kenne fünf Eremplare diejer Bejchreibung in den Bibliotheten zu 
Frankfurt a. M., Wolfenbüttel, Gotha, Erlangen und Paris, Cinige find nur 
mit ſpaniſchem Terte (Titel und Beifchriften) verjehen; andere führen den deutſchen 
Titel neben jpanifchen Erläuterungen. Der jpanijche Titel lautet: Discurso del 
Artilleria del Invictissino Emperador Carolo V. ete. — Alle Eremplarr, 
mächtige Yolianten, jind jehr jauber, wenn aud) mehr oder minder elegant, ge 
zeichnet und illuminiert. Gewöhnlich ijt den Gejchügdarjtellungen das Kaliber 
beigefügt. — Nahbildungen finden fih in „Eifenweins „Quellen zur 
Geſch. der Feuerwaffen“ (S. 76) und in Louis Napoldons Etudes (I, 165, 
III, 223 ff.) 

Die Beuteftüde des jchmalfaldiichen Krieges rühren 3. T. 
aus den neunziger Jahren des 15. Jhdts., 3. T. aus dem eriten 
Drittel des 16. her und zeigen die buntejte Mannigfaltigfeit der 
Formen und Kaliber, Das ijt jene jchwerfällige und maſſenhafte 
Artillerie, welcher Landgraf Wilhelm IV. von Heſſen einen wejentlichen 
Anteil an dem Kriegsunglüd Philipps des Großmütigen zufchreibt. 
[$ 31.] — Ganz anders die Geſchütze, welche der Kaiſer jelbit 
gießen ließ! Site find das Werk eines Deutjchen, Gregor Köffler, 
deiien Streben dahin ging, das Material zu erleichtern und die Zahl 
der Gejchügarten zu vermindern. 

Die „ſcharfe Metze“, das Kolofjalgefjhüg der vorangegangenen Beriode, das 
anderwärts fein Dajein bis Ende des Jahrhunderts frijtet, it hier aufgegeben. 
Abgejehen von den Mörjern gibt es planmäßig nur noch jieben Gejhüp: 
gattungen: Kanonen (den früheren Karthaunen, Nadtigallen und Singerinen 
entiprechend) ganze Schlangen, halbe Kanonen, halbe Schlangen, kurze Schlangen, 


2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 621 


Safer und Falkonete. Sie jchiehen je 40, 12, 24, 6, 12, 6,5 und 3 Pfund. 
Kurze und lange Schlangen haben aljo gleiches, halbe Schlangen und Safer 
nahezu gleiches Kaliber. Die Gejhügrohre jind reich verziert u, zw. im Gegen 
jage zu den früheren Rohren, welche gothiihe Motive zeigen, zum erjtenmale 
im Renaifjanceitil. 

Welche Gefichtspunfte Löffler Hatte, zeigen die „Rathſchläg 
vnd Bedenden das Gejhüß betreffend,“ welche der Inns— 
bruder Meijter auf die Frage des Nürnberger Rates, „was für Stüd 
möchten gegofjjen werden?“ am 4. Sept. 1554 abgab und deren 
Handjchrift das Nürnberger Archiv bewahrt. Er jagt: 

Die meiften Stüde find auf eine gleiche Kugel zu ridten, nämlich auf 3, 
5, 10, 20, 28, zum höchſten 40 Pfund, darüber nicht, falls nicht etwa überaus 
viele große Kugeln vorrätig jeien und es an Geſchoß (Geſchütz) dazu mangele. 
Sollten wirklich noch „gewaltige Mauerbrecherinen“ gegofjen werden, „jo möge 
man diejelben nicht zu lang, jondern etwas dider und jtärfer gießen und dazu 
inmwendig Hinter der Kugelladung einen guten Pulverfad machen, damit man 
darnach die Kugel dejto jtärfer und weiter hinaustreiben möge”. — Das Zer— 
ipringen der Rohre wird, Löffler zufolge, meiſt dadurch verjchuldet, daß man 
Pulver anwende, welches zu jtarf mit Salpeter überjegt jei. 


2. Gruppe. 
Die zweite Hälfte des 16. Iahrhunderts. 
8.47. 


Zu den unausweichlichen Namen diejes Zeitalter gehört, auch auf 
artilleriftiichem Gebiete, derjenige des Lienhard frönsperger. Seine 
„Fünf Bücher von Kriegsregiment und Ordnung“ (1555) 8 32] ent- 
halten, wie jchon erwähnt, nur Wiederholungen der entjprechenden 
Teile der Dttjchen Kriegsordnung 8 12) mit einigen Ergänzungen 
aus Helms Schriften [$ 44]. Frönsperger fühlte jelbit, daß Dies 
ungenügend jei und veröffentlichte daher zwei Jahre jpäter die Schrift 
„Bon Geſchütz vnnd Fewrwerck, wie dasjelb zumerffen vnd 
ichiejfen, Auch von gründlicher zuberaitung allerley gezeugs und rechten 
gebrauch der Fewrwerck.. Mit dem andern Buch Bonn Erbamwung 
der wehrlichen Beuejtungen.“ (Frankf. a. M. 1557.)!) Der artilleri- 
ſtiſche Teil diejes Werkes hat folgenden Inhalt: 

Von den erjten Anfängen des Schießens und zweierlei Feuerwerk. Bon 
Rogeten. Wie man guten brinnenden Zeug in die waſſer- und feuerkugeln be= 


1) Das bei Zephelius jchön gebrudte Doppelwerk iſt jelten. In Berlin beiigen e8 die Bücherei 
des Zeughauſes und bie bed Verfaflers. 


622 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffentunde. 


repten jol. Ein Alphabet, was gejtalt die zeug gemacht werden. Wie Säd um) 
Zwilch bereyt werden. Wie Sturmbrügel und Kolben bereyt werden. Desal. 
Sturmhäfen, Fläſchen, Krüglein, Läm- oder Fußeyſen, Zündjtrid und Bädhrina 
Wie Schläg, Schütt, Schrött geſchmidt werden. Wie Feuerkugeln in Böler oder 
Büchſſen zu machen. Bon Steinen, Eyfien und Hülzen Kugeln. Von fünfferlen 
Kugeln. Bon Schangen zum Geihüg. Von Schanpförb, Prücken, Dielen und 
Finnen zum Geihüg. Bon Munition, Yaden, Richten und Anzünden. Injtrument 
zu den Böllern und Fewerbüchſen (Quadrant.) 

Das Buch handelt aljo von Feuerwerk, Munition und Geſchütz— 
bedienung, wobei es bemerfenswert, daß in eriter Linie u. zw. jehr 
eingehend der Raketen gedacht wird: es tt, als bejtünde noch eine 
dımfle Erinnerung, daß man es bier mit der ältejten, uriprünglichiten 
Feuerwaffe zu tun habe. 

„Roget ijt das geringjt fewerwerd, gemacht aus puluer, jalitter, ſchwefel 
vnd foln, hart eingefchlagen in Papier... . Vnd mwiewol die Roget an jbr jelbs 
von geringer wirdung vnd bald vergeht, jo find dod) daraus vil ſchöner fewrwerck 
zu machen... vnd find fürnämlich diejer art, daß ſie jih von jhrem eygenen 
fewer in die fufft erheben, bedörffen feins jchießens-oder eines anderen trieb&.“ 

Das Zerfpringen der dejhüge erfordert nod oft Cpfer. Als Gründe 
dafür hebt Frönsperger hervor: „dünne frumme Stüde oder zu faltes Gießen, 
Sciefer, überladen“, — Andere häufige Unglüdsfälle waren Folge der Ent- 
zündung des in offenen Fäſſern umberjtehbenden Rulvers. Fröns— 
perger erlebte dies jelbjt 1535 vor Mancilia, 1541 vor Ofen, 1542 vor Peſt und 
1552 vor Helffenjtein. — Mehrfach wird der Feldgebrauch von Papier: und Leder: 
Kartuſchen erwähnt. 

Im allgemeinen iſt Frönspergers Bortrag bier deutlich und ver: 
jtändig; ja man darf vielleicht behaupten, daß dies Buch das beite jet, 
was er überhaupt gejchrieben habe. 

MWahrjcheinlich auch von Frönsperger rührt eine Handjchrift der 
k. £. Hofbibl. zu Wien her (Nr. 10922), welche handelt „Bon kurtz— 
wetlligen Luft v. Scherzfeuwrwerden... zu Mumereyen 
oder Gejellichafften... im 18 Kapitel verfaßt 1557 durch 2. F.“ 


8 48. 


Die Feuerwerferei jtand im 16. Ihdt. bei den Deutſchen in 
großer Gunſt; es find am diejer Stelle drei Lehrjchriften aufzuführen, 
welche jich mit ihr bejchäftigen. 

Bon dem Nürnberger Zeugmeiiter Hanns Stard bejitt die Bibl. 
Hauslab, jett Liechtenftein zu Wien, einen „Sründlichen Bericht 


2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 623 


von feurwerd,“ der etwa a. d. 3. 1560 herrührt.!) Die Hand» 
Ichrift enthält u. a.: 


Fragen und Antworten zwijchen Zeugmeifter und Büchjenmeifter. Die ge— 
meine Büchjenmeifterordnung. Gießen der Büchſen und Feuermörjer. (Die Metall: 
mijchung war 5 Teile Glodenfpeife, 5 T. Kupfer und 1 T. Zinn. Ein Zentner 
diejer Kompojition fojtete 11 Gulden, alfo das Rohr einer Scharfmege 1100 Gulden). 
Die Kojten des Faſſens und Beichlagens der Büchfen (diefe betrugen beim größten 
Geſchütz, der Scharfmete 60, beim Meinjten, dem Scarpfentinlein 10 Gulden. 
Bol. übrigens ©. 605). Die Preife der Kugeln und anderen Materialien. Der 
Auffag für jedes Geſchütz auf 1000 Schritt. Drdnung der Schläge. Laden aller 
Stein= und Feuerkugeln. Herjtellung des Viſierſtabs. Nafetenjäge, Feuer, Sturm- 
und Sprengkugeln. Sturmhäfen, Feuertolben, Feuerſpieß und Faßnachtröhrlein. 

Ein offenbar unvollendetes Manujfript des jonjt unbekannten 
Meiiter® Hanns Lamentur findet jich in einem Sammelbande des 
Berliner Zeughaujes (ms. 7). Es führt den Titel: „Khünftlich 
Fewrwerckh aigentlich mit fleis figurweis auf das Bapier entworffen 
vnd abgerijjen; jo vormals nie gejehen worden.” Kunſtloſe, doch 
deutliche TFederzeichnungen erläutern folgende Abjchnitte: 


Salpeter, Kohle und Schwefel. Leuchtkerzlein. Raketen (auch ſolche mit 
Ausftoßladungen). Feuerräder. Stöde und Kolben mit ausfahrendem euer. 
Schießende Fadeln oder Windlichter. Feuerfugeln (aud) jpringende und Hin und 
ber laufende). Faßnachtsfeuerwerk. Bijterjtab und Quadrant. Zwölf Regel und 
Fragſtück über Büchjenmeijterei. Anfang des alten Feuerwerlsbuch a. d. XV. Ihdt. 

Zu den wenigen gedrucdten Artilleriebüchern dieſer Zeit gehört 
des Johann Schmidlap von Schorndorff Werk: „Khünftliche und 
rehtichaffene Fewerwerck zum Schimpff,“ welches zuerjt 1561 
zu Nürnberg erjchtien. — Folgendes it der Inhalt: 

Wie der gemain Salpeter tügenlich zun Feuerwerden zuzurichten vnd wie 
er zu jchmelgen jeye. Koln zun Feuerwerden tügenlich, von was holß jie jein 
jollen. Schwebel wie er jein jolle zum Feuerwerd. Reuchkertzlein, jo jie ange: 
zündet, einem in der handt zerfaren. Nadetenjtöde, wie fie zuzurichten. Racketen, 
die fliegen mit einem jchlag. Nadeten, die auf der Erd hin und wider laufen. 
Nadeten, die fliegen mit 2 oder 3 ſchlägen. Nadeten, die herwider laufen an 
Schnuren. Ein umblauffend redlein, jo e8 wirdt angezündt. Ein jchön Feuer: 
werd, welches genannt wirdt: der Stod mit vil ausfarenden feuren. Ein Streit: 
kolben mit ausfarenden euren. Ein jchießende Fackel oder windlicht. Feuerkugl 
ins waſſer. Magit ſolche aus einem Mörjer werffen. Feuerkugln, jo jie auf 
einem ebenen plaß angezündet werden, daz jie 3 oder 4 jprung thun. Feuerkugl, 
die inn einer jtuben mag angezündet werden, laufft darin hin und wieder. Gin 


1) Bel. Schneider: Die Bibl. bes FZM. v. Hauslab a. a. O. ©. 135. 





624 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffenkunde. 


vnterricht, wie du fampt einer gefellichaft zu Faßnachtszeitten eine jhöne Mummarei 
von Feurwerck zurichten magit. 

Der größte Teil diefer auf die Nafeten- und LZujtfeuerwerfere: 
bezüglichen Vorjchriften findet jich bereit in älteren Werfen, bejonders 
in dem Buche von den probierten Künjten [$ 44]; in den Einzelheiten 
aber ift die nahe Berwandtjchaft mit der vorher erwähnten Camentur— 
ſchen Handjchrift unverkennbar. Nur mweniges verdient hervorgehoben 
zu werden. 

Als beite Kohle empfiehlt Schmidlap die von der Xinde, welche 
nicht im freien ‘Felde, jondern im Weiler bereitet und frei von Rinde 
it. — Sorgfältig handelt er von den Raketen. Sein Rafetenitod 
hat einen Unterſatz mit cylindrischer Warze ohne Dorn; auf den 
Treibjag kommt eine durchbohrte Holzicheibe und darauf Schießpulver. 
Die Spitfappe iſt ihm nicht befannt. Die Rute tft dreimal jo lang 
wie die Rakete; am Mundloch wird balanciert. Dies Mundloch 
(Zündloch) wird voll Sat geſtopft. Schmidlap jest auch mehrere 
Nafeten in einander. — Interefjant tft jene Darjtellung eines Mannes, 
der eine hohle Feuerkugel (Handgranate) mit der Linken wirft, nach— 
dem die Rechte fie mit einer Lunte angezündet hat.') 

Das Buch iſt dem Zeugmeiſter des Herzogs von Württemberg, 
Wild. von Janumig, gewidmet und die Vorrede von 1560 datiert. — 
Spätere Auflagen erjchienen zu Nürnberg 1590, 1591 und 1608; ?) 
eine Überjegung insg Holländiiche unter dem Titel: „Ian Smidlap: 
Een ghetrow onderwiis van menigerhande Vyer-Wercken“ fam als 
Anhang der 3. niederdeutjchen Ausg. von Brechtels Büchjenmeijterei 
[$ 58] i. 3. 1625 zu Amjterdam heraus. 


8 49. 


Während fich jo die artillerijtiiche Literatur in Deutichland mehr 
und mehr in das Feuerwerksweſen vertiefte, wendeten die Mathematiker 
ihre Aufmerfjamfeit auch einmal wieder auf das ballijtiiche Pro 
blem. So der berühmte Kosmograph Sebajtian Münſter in den 
Rudimenta Mathematica in Il libros, quorum prior prin- 
ceipia tradit Geometriae (Bajel 1551). — Näher noch ging auf 


1) Dieje Figur ift wiederholt bei Brechtel [8 58] und in Schneiders Abhandlung über bie 
Handgranaren (Öfterr. milit. Heitichrift, herausgegeben von Streffleur. Wien 1864). 

”) Die Auflage von 1661 in der Bibl. Hauslab-Liechtenftein unb in der des Berliner Zeug— 
baufes (A. 420). 


2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 625 


den Gegenjtand Daniel Santbeh aus Neumagen ein. Er handelte 
nämlich im 6. Abjchnitte jeiner Problematum astronomicorum et 
geometricorum sectiones septem (Basileae 1561)!) de absoluto 
artificio ejaculandi sphaeras tormentarias. Dieje 
Sektion jeines Werkes zerfällt in folgende Kapitel: 

Ex quo fundamento sit extructum artificium eiaculandi sphaeras & 
tormentis. — ÖObservationes quaedam ad certas collocationes et omnem 
usum tormenti necessariae, ne a scopo multum aberremus. Qnomodo ex 
singulis elevationum aut inclinationum circumferentiis vroreivso« tormenti 
colligatur. — In quantam altitudinem ad singulas elevationes tormentum 
sphaeram excutiat. — Quanta sit distantia tormenti & loco, in quem 
sphaera delabitur, ex singulis elevationibus et hypotenusa colligere.. — 
Qnomodo axis tormenti in libellam collocetur. — De multiplici Quadrantis 
collocatione ad exquisitam axis tormenti elevationem explorandam. — 
De duobus aliis quadrantis collocationibus, quibus certam axis tormenti 
elevationem experimur. — Quomodo per regulam, cui annexum sit 
perpendiculum, multipliciter ejusdem axis tormenti elevationem experi- 
amur. — In quantam altitudinem supra basin elevandum sit tor- 
mentum, ut sphaera in locum praefixum per xadero» descendat. — 
Qua ratione spbaerae sint e tormentis emittendae, ut per hypotenusam 
in praefixum locum incurrant. — Qua ratione, quae in antegressis 
propositionibus numerorum adminiculo sunt inventa, solo perpendiculo 
in Quadrante absolvantur. — Quomodo sine Quadrante tantum oflicio 
regulae et perpendiculi, ea, quae sunt hactenus explicata, inveniantur. 
— Si castrum aliquod in monte constructum ex inferiore loco per tor- 
menta diruendum sit, qua ratione negocium expediri debeat. — Si 
tormenta in montibus constituantur, qua ratione sphaeras in urbem aut 
quemvis inferiorem locum eiaculari liceat. — Qua ratione tormento in 
monte collocato, piceae sphaerae sive ignis extorqueri debeant, ut per 
cathetum in inferiora loca devolvantur. — Quomodo sphaerae ex castris 
in aedificia intra urbis moenia constituta sint eiaculandae — Quomodo 
intempesta nocte tormenta sint collocanda ut in quoscunque scopos prae- 
fixos eadem commoditate, qua in medio die, exquisite sphaeras eiaculentur. 
— Ex urbana turri sphaeras in castra hostium eiaculari. — Si tormenta 
intra urbis moenia constituta fuerint, quomodo sphaerae sint in castra 
hostium extorquendae — Quomodo collocatis post montem tormentis, 
sphaerae in urbem possint extorqueri. — Tormentis ultra flurhen con- 
stitutis, quomodo sphaerae debeant extorqueri in praefixa urbis loca. — 
De ratione eiaculandi sphaeras ex iis locis, quae cum -praefixis scopis aut 
altiorem aut aequalem situm occupant. — Quae sit ratio dimensionis in 
effodiendis cuniculis sub moenibus. — Quomodo sit aqua ex fovea urbis 








1) figl. Bibl. zu Berlin. 
Zähne, Geſchichte der Kriegswiſſenſchaften. 40 


626 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffentunde. 


ınoenia ambiente educenda. — Quomodo latitudinem labentis fluminis 
liceat metiri. — Qua metiendi ratione quantitatem scalarum, quae a foss 
in urbis moenia extenduntur, liceat explorare. — Quomodo inter fodiendum 
iter debeat institui, ut certo inveniamus locum, qui ad perpendiculum 
consistat sub arce in monte constructa. — Quomodo situs alicujus urbi: 
sit explorandus, ut interiorum partium constitutionis et distantiarum rat 
a singulis extra circumiacentibus locis exquisite innotescat. — Quomods 
cum a recto itinere occurrentibus obstaculis deflectendum fuerit, eodem 
liceat reverti. 

Santbech3 Werk gibt aljo eine Überficht der gejamten damaliger 
Schießkunſt und außerdem einige Anweifungen zur Löjung andermweitiger 
milttärijch-mechanifcher Aufgaben, wie jie namentlich im Belagerung: 
kriege vorfommen. Aber jeine Vorftellung von der Flugbahn iſt jeh: 
viel jchlechter als diejenige des Tartaglia, nicht nur als die der 
Quefiti, jondern auch al3 die der Nova Scientia; denn Santbed 
erflärt die Bewegung der Kugel derart, daß er ihre Flugbahn al: 
gerade Linie deutet bis zu dem Augenblide, da die ihr mitgeteilt: 
Gejchwindigfeit völlig erichöpft jet, worauf jie jenfrecht zu Boden 
falle. Wie es möglich war, dieje Anjicht feitzuhalten, iſt jchimieris 
einzujehen: Wer nur einmal aufmerfjam den Flug eines Pfeils odır 
eines geworfenen Steins oder den Austritt eines Waſſerſtrahls au: 
einer Brunnenröhre beobachtete, der mußte jich doch jofort überzeugen. 
daß die Bahn jedes geworfenen Körpers eine Kurve jei. Daß die 
nicht geſchah, lehrt, wie außerordentlich groß auch bei wiljenjchaftlicher 
Unterjuchungen die Macht der vorgefaßten Meinung it, namentlit 
dann, wenn dieje Unterfuchungen das Experiment verjchmähen. Sant: 
bech wurde auch noch, u. zw. ohne Nennung feines Namens, aus 


geichrieben von Robert de Flurance in dejien El6mens de lar- 


tillerie. (1605.)") 


8 50. 
Eine zweite weſentlich der Balliftif zugewendete Arbeit Liegt ir 
zwei nahe verwandten Codices in Stuttgart und Wien vor. — Die 


Stuttgarter Handjchrift (ms. fol. 18, aus der alten Bibl. des Ober 
rat), führt folgenden Titel: Summarijche vnnd grondtliche Be 
jchreibunge der Geometrijchen newen Arteglieria Sampt 
derjelben Incorporirtten Mathematijchen vnd Mechanischen gehaimen 





1) Ein Eremplar in der Bücherei des Berliner Zeughauſes (A. 41). 





2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 627 


vnd mererstheild vor vnbefhanndten herrlichen jecreten Regijtraturen, 
Dandtgriffen, Innftrumenten, materialien vnd anderen zierlichen jub- 
tiliteten. Darinn die Fürnemeſten Generalhaupthandlungen zu jcherffung 
recht geichaffenen verjtanndts vnd gebrauch® des groſſen Gejchütes 
tractiert vnd Injonderheit Wie man aller gejchlecht der Stückh vnd 
Böller höchſte effect, bede der Pulffer vnd tryb vermegen . . . durch 
gewiſſe menſſur Einer vorgeſtelten nach Mathematiſcher konnſt extra— 
hierten ewig werenden Tarriffen oder Viſier Tabulas... zu einem 
begerten fürgegebnen geraden oder einem bogenjchuß jtellen... Mit 
jonderer Staffierung des hagelichrots.... Gehandlet würdt.“ — 
Das Manujfript der Wiener Hofbibliothef (no. 10911) ift (abgefürzt) 
betitelt: „Bejchreibung der mathemattjchen vnd geometrischen verbor- 
genen newen Artigleria oder Büchjenmaifterey“, und hier iſt auch der 
Name des Berfajjers genannt; es iſt der „bayerische Diener Auguft 
Dogel.“ — Beide Handjchriften jind dem Katjer Maximilian II. ges 
widmet, aljo in der Zeit von 1564 bis 1576 entitanden. 

In der Stuttgarter Handjchrift ordnet der Inhalt fich fol 
gendermaßen: 

Einer erjten „Prefation“ folgt die Epijtel oder Oration an die 
Röm. Kayſ. Majejtät, in welcher der Zwed des Buches dahin erläutert wird: in 
„Zariffen (Schußtafeln) dei ganngen factum der Geometrifchen geheimen 
Artegleriam principal fundament zu referiren“ und zugleid Anleitung zu geben, 
„den veindt bejonders mit fonnftlicher jtaffierung des Schrots ... zu nicht zu 
machen.“ — Die zweite Prefation hebt die Bedeutung der Mathe- 
matif für das Geſchützweſen nod näher hervor: „So wenig jid) die Müſiej 
one die Scala, der Muſicaliſchen Menſur, des Gejangs vnd derjelben terminibus 
gebrauchen megen, alljo vnd nod) vill vnmüglicher megen ſich die, jo der Mathe- 
matijchen fonnjten vnbefannt, deß großen geſchützes . . . willenjchaft rüemen ... 
Injonderheit wa jy die meijterjhafft irer vermeinten fonnjt im fall der not oder 
zu erlangendem erndanth zu bemweijen dartun jollen, yedoch von jolden beden 
Sachen, dep Gejangs vnd Gejhügs wichtigen circumftantien, jecreten vnd ſub— 
tiliteten“ nichts wifjen und die „Zabulaturen vnd Negijtraturen“ nicht kennen 
und veritehen, „wo ſichs allein beder fonnjten fundament erlernet vnd die difcritiones 
der ab vnd auffjteigenden Clauis puncten vnd minuten, bede der muficalijchen 
Scala vnd Geometriſchen quadranten zu behaltliher gedechtnus eingebildet ijt.“ 

Das Bud) eröffnet eine „Herrlide Oration, welche der Hector von Troya 
die Troyaner ermahnt hat“, und daran reihen jich folgende Abjchnitte: 

Bon Natur vnd aigenſchafft aud würdhbung vnd vngeſtüem 
des Geſchützs. 

Bon Ermwehlung pnd eriter fürjehung des Geſchützes. — Die 
alte Regel, daß ein Stüd jo viel Zenter wiegen müffe, als die Kugel Pfunde, jei 

40* 


—— — — —————— — 


628 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffentunde. 


falſchy. — Worauf beim Guß zu achten jei. — Warnung vor dem Überladen mit 
zu jtarfem oder fein gekörntem Pulver. — Empfehlung der Sauberteit von 
Geſchütz und Munition (die namentlid vor Spinnen und giftigem Ungeziefer zu 
hüten find). — Notwendigkeit regelmäßiger Kühlung der Stüde bei anhaltendem 
Schießen. — Die Kugel ijt beim Laden hart auf das Pulver zu ſetzen und dies 
jelbjt fejt zufammenzujtoßen, damit feine Zwifchenluft oder öde Höhlung verbleibt, 
welche des Triebs Stärke verhindert und das Geſchütz fprengen fann. 

Eorolarium. (Moralifierende Verſe.) 

„Sircumjceription der mathbematifhen vnd geometrijden 
Principal figur, darin das factum aller... bewegliche tıyb, außgang vnd 
legerung . . . in 12 auffiteigende puncten vnd zwijchen jteenden minuten abgetailt 
zu volfieren vervrſacht.“ — Dieje Figur gibt eine überjichtlihe Zufammenitellung 
der Flugbahnen der Gejchofle, wobei der Verfaſſer jih an Tartaglias ältere 
Vorjtellung hält, daß der ganze „Umbſchwaif“ (Flugbahn) aus zwei geraden 
Linien bejtehe, welche durch ein Kreisſegment verbunden feien. Das Richten ae 
ichieht über 12 Punkte, d. h. in 12 verjchiedenen Elevationsgraden mit da— 
zwijchen liegenden Minuten. Die Punkte 1-6 umfajjen die „niederen Richtungen“ 
unter der Diagonale (45°), welche den Feldgeſchützen und „großen Stuckh“ zufallen; 
die Punkte 6—12, „die hochen Richtungen“, fommen den Böllern zu. Über den 
eriten Punkt richten, heißt aljo in der Horizontale jchießen; Punkt 6 iſt die 
Diagonalis, welche den weitejten Schuß oder Wurf ergibt; Punkt 12 ijt die 
Irthagonalis (Senkrechte). — Der Verfaſſer vergleicht diefe Elemente denen des 
Sonnenlaufes und des Kalenders. — Die Bogenrichtungen (furzen Würfe) gelten 
ihm als die fünjtlihjten, „darmit man einen Büchjfenmaijter am jwubtilliften 
brobiren fan.” 

Bonn vonnderjhidlidem gebraud der Studh vnd Kuglen. — 
„Zu diem thun der geometrijchen Arteglieriam jein allein die ronnden Corpore 
oder die jo etwas auß der Ronnditet eines verlengten forms, als ein Ey... 
die beiten vnd an Gewicht, Form und Maß gegen iren mitgejellen die gleicheiten, 
doch nimmermehr jo gleich (ob ſy jhon eines forms, jubjtannz oder diameter:' 
daß ſy am gewicht einhelliger gleihheit megen befunden werden... Deswegen 
drei onnderjchiedliche Tarriffen oder Viſier-Tabulas ertrahiret, ald nemblich: 

Die 1. Tariffen ift abgerechnet auff den Böller, welde man vber oder 
ob der Diagonallinj de Duadrants richt. Dejien Rubrik iſt mit dem 
Wörtlein Orientalis bezeichnet. 

Die 2. Tariffen jchleußt in ihr Rechnung allerlei Corpora des metalls 
(Blei, Eyjien, Ehrin, vnd gemijten Erg) jo aus den langen Studhen und veldt- 
geijhug under der Diagonalis gejchofien werden. Dejien Rubrik ijt Ocei- 
dentales genannt. 

Die 3. Tariffen (Meridionalis) joll gebraucht werden zu allerhand Stein- 
fugeln vnd Fewrballen, jo ringerer materj al® metall und auf den großen haubt- 
ſtuckhen, Mawrbrechhern, Steine vnd Feurbüchſſen aud under der Diagonallini 
geſchoſſen werden.“ i 


I) Und boch bat noh Gribeauval (1765) das Verhältnis 100 : 1 feitgebalten. 


2. Die zweite Hälfte deö 16. Jahrhunderts. 629 


Alle drei Tarife zeigen, wie weit und hoch jedes Geſchoß „mit gebüren= 
dem vmbſchweiff“ getrieben wird. Orientalis ift in 100, Occidentalis in 200, 
Meridionali in 240 Genus, d. 5. Gejchüßarten geteilt. Jedes Genus oder 
Geſchlechts jonderbarer Trieb iſt nach Weite, Höhe und Umſchweif jubtiliert, unter 
und über der Diagonale in 6 gleiche Theile und dazmwijchenjtehende Minuten ab: 
gefertigt. „Vnd iſt zu wifjen, daß die Tariffen mit nichten auf die genera der 
ſtuckh geichleht, artten vond Namen als Scharffmegen, Cartthunen, Schlanngen, 
Balconen, Balconetten, ja wie man die allerley arth, Teutſchem vnd welſchem 
gebraud) nad), nominiren mag, noch derjelben maßwerckh, weytte oder lenge der 
ror, annderjt wie wir vber yede Tariffen bejtimbt haben (welches auch diefe vnſere 
matbhematijche ordnung nicht zuegibt), gerichtet, jonnder zugleich auff alle ſtuckh . .. 
Vnd iſt auch weitter der gebürlihen Ladungen halber zu merden, daß jolche alljo 
gemeindt vnd angejehen jey . . daß yede Ladung zum Schuß oder Wurff eine 
wie die andere bejegt vnd mit fleyß verricht worden jeye... Eremplj gratia: 
Sp mir ein jtudh Böller, der mir vor vnbefanndt aus einer anzall zubanden 
gejtelt, mid) deſſen oder für fich ſelbſt zu probieren vnd fein aigentliche proportion, 
d. i. den termin feines innjtehenden höchiten trybs effect und vermegen, zu er- 
juchen, wellihes allein dur einen Schuß oder Wurff bejchehen mag, vnd ſollicher 
Böller, auf 8 puncten gericht, in die Weitte 800 paſſus oder ſchrytt jtredhennde 
erreicht, dem ich alddann ferner in der Tariffen Orientalis nachſehe und daß 
folliher Böller dem zehenden Genus geeignet, jo wirth ſich nach gleichheltiger 
Mathematifcher comparation zutreffen, daß jolher tryb von der Erden gegen der 
Höche (wan zu obrijt von desfelben mitelbogen ein pleifchnuer herabzulaſſen ver- 
miüglich) 792 pajjus in die lufft gangen, aber der bogen ſeines gannpen vmb- 
ihwaiffs vom außgang biß zu feiner legerung, jo der in ein paralell finj oder 
aerade jhnuer gezogen werden mechte, 1914 paſſus oder jchrit geweſt ſy“ .. . u. ſ. w. 
In ähnlicher Weife lafjen fi dann die Flugbahnen der verjchiedenartigen Gejchofie 
(Stein, Blei, Erz) vergleichen. — Um die Schußtafeln furz und überfichtlich zu 
halten, jind Zeichen eingeführt: Der Wagebalfen bedeutet die Weite jedes 
Trieb8, der Zwilling IM die Höhe, der Mond BY den ganzen Umjchweif. Der 
Tarif ſieht alfo jo aus: 


6. (Buntte) 
der umbſchwaiff. 
Hierrein fombt die Höch des trybs. 
bie mweitte. 25. Genus. | * 
Hierrein fommen a l. 
die viertell zall der weitte als 4 2. 
J8. 


® 
u 


— 


oder minuten 24 





Der Verfaſſer behandelt demnächſt noch folgende Momente: „Vonn dem, 
dab die Studh jelten oder gar wenig vber 3 punkten hoch gerichtet werden“ 
(d. 5. die Rädergefhüge). „Von Berrudhung der Studh vnd Böller deren ortten, 
dahin fie erjtlih daraus zu ſchießen vnd werffen gelegert vnd was davon zu 
halten. Bon vnderſchiedlichen krefften und trybs vermegen in den auffjteigenden 
richtungen. Von den Geometrifchen teillen vnd maßwerdhen. (Mahvergleihungen.) 





630 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffentunde. 


Bon den Bejtungen, jo am Meer oder. anndern waflern aud) in Seeen vnd Inſeln 
beichlojjen gelegen“. Endlidy aber kommt Vogel auf den zweiten Hauptpunft feiner 
Auseinanderfegungen, auf den „Hageljhrot oder Strey“, welcher in 
„manicherley form vnd gejtalt, jpig und egkh, verlenngt, ronndt gejhwaiftt, dich, 
dünn, mit Eyjien oder anderm metal oder in abgang desjelben mit zerſchlagenen 
hardten jteintrymmern, Ertz- vnd Eyfien-Schlaggen von den Bergkhwerdhern vnd 
ſchmidten . . zugeriht werden joll... Solcher Hageljhrot, nahdem die Kern 
des gejhüg groß oder Hein, ... von 10 bis auf 100 oder 1000 ftudh an einen 
bundt geſetzt vnd dermaßen zuſammen bejchlofien werden, dab er ſich zu yedes 
begern inn die weite oder nee von einander zeritrewen vnd jein amt volbringen 
joll... De kleiner der Hagelſchrodt gemacht ift, ye necher der fih am Trieb ein- 
ziehen vnd verfürgen, aud vom gegenjtandt des luffts ſoviel weiter von einander 
getryben würdt . . . Gleichwol der reißendt Sandt vnd jtaub bequemlicher an 
einem jturm vor vnd in vejtungen dann im Veld zu gebrauden ... Beim Schrot 
aber ijt nit jo viel gefahr aber merer trojtliche außrichtung als beim Feurwerchhe 
zu gewarten.” — Das Weitere ertlären Vogels Figuren; er jtellt nämlich Eylinder 
aus fleinen vielförmigen Körpern zujammen, 3.8. 72 eine Kreisplatte bildende 
Stüde fiebenmal über einander, jo dab das zujammengebundene Streugeſchoß 
504 Stüde enthält. Das frühere oder jpätere Auseinanderfahren des Geſamt— 
geſchoſſes aber joll dur die mehr oder minder feite Zujammenjchnürung des 
Hagelö herbeigeführt werden. — Man ſieht: es handelt ji um einen jehr primi- 
tiven Vorläufer des Shrapnel-Gedantens. 

Die Wiener Handjchrift jcheint die Vorarbeit der Stuttgarter 
zu fein. — Bogels balliſtiſche Anſchauungen fußen durchaus auf denen 
der Nova Scientia Tartaglias, an welche oft jogar der Wortlaut 
erinnert. Seine „Tarife“ aber find jehr ungenügend. Alle Angaben 
derjelben begründen ſich auf der von dem Geſchoſſe bei einer gewiſſen 
Elevation erreichten Schuß- bzgl. Wurfweite; die Ladung aber bleibt 
(abgejehen von der Materie des Gejchojjes), ganz aus dem Spiele; 
e8 wird nur eben vorausgejeßt, dat jie regelrecht je. Als Normal 
ladung erwähnt der Verf. einmal gelegentlich für eine Schlange %5 
des Gewichts der Eijenfugel (d. h. 5 von 16 Pfund); im übrigen 
iſt dies Hochwichtige Element jedoch gänzlich bei Seite gejchoben. Unter 
diefen Umjtänden aber muß die grundlegende Bejtimmung, welchem 
der 200 bis 240 „Genera“ das probierte Geſchütz angehöre und 
welche Nummer des Tarifs alſo nachzujchlagen jei, um die Flugbahn 
jener Geſchoſſe bei den verichtedenen Elevationen zu beitimmen, na 
türlich im hohem Maße unficher bleiben. — Die Wiener Hdjchit. 
handelt in einem Anhange noch „vom vberfleigigen gebrauch dagegen 
notwendiger Eriparung dei Pulffers.“ 


2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 631 


8 51. 


Da das artilleriftiiche Hauptwerk der Zeit, das Buch von den 
probierten Künſten, den Nachdruf auf die TFeuerwerferei legte, jo 
bedurfte e3 eimes ergänzenden Kompendiums, in welchem namentlich 
auc das Gejchügmaterial eingehend dargelegt wurde. Diejem Be— 
dürfnis juchte Beit Wulff von Senfftenberg [8 30] durch jein „Kunſt— 
buch von Kriegsjachen“ zu entjprechen, dejjen, etwa von 1570 
jtammende Hdjchft. die Behördenbibl. zu Deſſau bewahrt. (11026: 
6179 B.) — Ihr Inhalt zerfällt in fünf Teile: 

1. Bon allerlei gefhug vnd mawrbrechern: Neunerlei jcharfe 
Meten (100— 70-Pfdr.); dreierley Bafilisfen oder Wildemann (66 —58-Pfdr.)}; 
zweierley Singerin (54—50-Pfdr.) ; dreierley Nachtigallen (46—38-Pfdr.) ; 3 Quar- 
tana (32—24:Pfdr.)N); 8 Notſchlangen (20—13-Pfdr.); 3 Feldtihlangen (12 bis 
10-Pfdr.); 4 Falconen (10 — 9:Bfdr.); 2 Quartier» Schlenglin (5 — 4-Rfdr.) ; 
2 Falconet (3—2:Pfdr.); Scharpfedins (1-Pfor.); . . . Nun folgen die Meinen 
Rohr, die bley Schießen: Doppelhaden (4—5 Ith.), Sturmhagken (zu Hagel in 
den Streicdhweeren). Newe ſturmhaken zum Hagelſchießen (ſprachrohrartige, fonijche 
Handfeuerwaffen). Die Räder und Gefähe (Lafeten). 

2. Bon allerlei Feuerwerk. Brandjäge, Feuerpfeile, Nafetenzeug ?); 
ogivale Hohlgejhhofje mit jtarfen und langen Holzzündern aus Steinbüchſen oder 
hurzen Feuerkatzen in Schiffe zu jchießen; Feuerkugeln (eiferne Bomben) ; Zünder— 
fonjtruftionen; Ovalgeſchoſſe, hohle, zum Anzünden von Blodhäufern; Schlagende 
Kugeln, die mit Pulver gefüllt und außen mit Schnüren ummwidelt jind, auf 
welche jharfe Schrote „wie ein Paternofter” aufgereiht find; Elephanten-Kugeln 
(große Bomben mit dreiteiligem Zünder); vom Laden der jtüden; vom Hagel— 
ſchuſs; mandherlei jhädlihe Kugeln (Kettenfugeln u. dgl.). 

3. Bon Streitlfarren und Streitwagen. „Bor furzen Jahren noch 
bei Königs Ludwichs aus Frankreich Tagen ift noch nicht bräuchlich gewejen, 
ſtuck-handſchutzen in's feldt zu führen; biß erjt da der großmächtigſt Kaiſer 
Carolus V den König Franciscum in der Schladht bei Bauy (Pavia) erlegt, find die 
hiſpaniſchen Hakenſchützen eine große förderung zur eroberung einer ſolchen ſchlacht 
geweſen.“ Diejer Einleitung folgt eine jehr interefjante Auseinanderjegung über 
die Streitfarren von den Spiehfarren an. „Dergleihen Karn Kondten auch nod) 
zu vnſern zeitten mit nuß trefflih wol zur wehr gebraucht werden, wie auch 
Fürfjtenberg in feinem Buch (?) antzeiget.“ Vorteilhafter jeien aber noch 
Karren mit Meinen Orgelgeſchützen, von denen verichiedene Mufter gegeben werden, 
Sie jollen vor der Front der hellen Haufen in zwei Gliedern, jchadhbrettartig 
angeordnet, auffahren, während hinter dem Haufen Mörſer ftehen, die über ihn 








1) Die Duartana und Quartier: Schlenglin ftehen nicht in dem Deſſauer Verzeichniſſe; ich habe fie 
aus dem Dreddener Manuffripte (C. 363) hieher übernommen. 
2) An biejer Stelle nennt fi) der Beriaffer. 


632 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffenftunde. 


fort ihre Bomben auf den Angreifer jchleudern. Für den Gebirgäfrieg werden 
Geſchütze auf Saumjätteln empfohlen. 

Den Beſchluß diejes Abjchnittes, der mit leicht Hingemworfenen, guten Feder: 
zeihnungen illujtriert ift, madt eine Sammlung friegerijher Rezepte 
für die verjchiedenjten Zwede: eiferne Fauſthandſchuh, Pulvermifhungen, Fuß— 
eijen, hölzerne Mortiere u. dgl. m. 

4. Bom Gebraud der Femwerladen, d. 5. der Sprengfajten und 
Minen. Dergleihen hätte gegen Tamerlan angewendet werden jollen; die Moren 
in Tunis hätten fi damit gegen Karl V. gewehrt. Auf welche Schwierigkeiten 
wären Franz I. oder Herzog Moriz von Sachſen gejtoßen, wenn man die Päſſe 
nad) Piemont oder die Ehrenberger Klaujfe mit ſolchen „Sprengwerden“ (heute 
nennt man es Yandtorpedo8), verteidigt hätte, welche bei der Enge diejer Päſſe gar 
wohl durch Drahtzüge von den benadhbarten Höhen aus hätten zum Spielen 
gebracht werden können. Immer handelt es ſich um Kaſten, die mit Spreng= 
material gefüllt und mit Feuerſchlöſſern, eventuell auch mit Meinen Uhren ver- 
jehen find, welche die Entzündung ohne jedes unmittelbare Eingreifen ermöglichen. 
Leptere Einrichtung eigne ſich beſonders dazu, Schiffe zu zeritören, ohne an Bord 
zu fein, indem man die Kijte mit dem Sprengjtoff und dem Uhr-Schlagzünder 
vor der Abfahrt des Fahrzeugs in den Schiffsraum jchaffe. Sie erplodiere dann 
nad einer beliebigen Anzahl von Stunden oder Tagen, je nachdem man die Uhr 
gejtellt. Sogar in Form von Geldkiften oder von Briefen fünne man jolde 
Heinen Sprengfijten an einzelne Perſonen jenden, jo daß fie bei deren Eröffnung 
zerjprängen „und mordtlichen jchaden“ täten [S. 546). 

5. Quaedam alia. Verjchiedenartigite Vorjchriften zur Zeritörung von 
allen möglichen guten Dingen: Bäumen, Tieren, Quellen u. ſ. w., die nach des 
Julius Africanus „VBenusgürtel* [5.103] oder nad) byzantinifhen Originalen 
ihmeden und denen ſich denn auch ein bejonderes Kapitel „vom Bergifften“ an: 
ichließt, dem jogar die Abbildungen der Giftpflanzen nicht fehlen. 

Die Auffaffung vom Kriege, welche aus diefem Buche Veit Wolfs 
hervorgeht, it widerwärtig. Seine Anleitung zum heimtüdijchen 
Zerjtören der Schiffe erinnert unmittelbar an das jcheußliche Ver: 
brechen des Thomas, welches in unjeren Tagen Europa entjeßte. 
„Die Sicherung der Grenzen durch Vulkane,“ welche neuerdings von 
franzöfiicher, bzgl. belgischer Seite angeregt worden ijt!), findet in Veit 
Wolfs „Sprengwerfen“ ihr unmittelbares Vorbild. 

„Es wehre gut“, meint er, „daß in allen bejagungen, Claujen vnd be: 
vejtigten Paſſen ſolch Sprengwerd (es jei von Kijten oder Feuerkugeln) mit 
feurichlofjen zugericht, im vorrath ahn der handt wehren, vnd auch die jtelle und 
leger fon dazu gegraben vnd gerüft wehren, wohin mans im fall der not jtellen 


vnd einlegen wollte. Damit man behend in einer nacht joldhes füllen vnd ein- 
legen fündte vnd nit erit graben vnd zurichten wollte, wan die not vorhanden. 





1) Bol. Militär-Wocenblatt 1888 Nr. ı und Wr. 4, 


2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 633 


Bnd daß ein heimlicher zuge (Leitung, Zugdraht) ins veldt hinaus, jo mügelich 
vnder der erden, geordnet wehre; doc, alles verdedt vnd verleget, aber mit einem 
gemerd, daß man es zu finden wiſſe . . . Dis jei einem herrn zur wahrnunge 
gejagt, jih wol umbzujehn, wo man durd) enge Gebirge oder vber enge Straßen 
im mos ziehen muß, ald in Salzburg, Tyrol, Schweiz, Lotringen, Vngern, 
Hijpanien. Item in Beheim, Düringen, Sadjen, Schwarzwaldt, Savoy, im 
Stalienifhen Gebirge auff Florenz vond Rom. Ahn ſolchen ortten wehren die 
feindt mit gutter gelegenheit in vil hundert wegen zu betriegen.“ S. 543.] 


Ein dem Deſſauer Buche nahe verwandtes, nur etwas weiter 
ausgeführtes Werk Veit Wolfs liegt im zwei Eremplaren vor. Das 
eine, eine rohgetujchte Bilderhandichrift in mäßigem Kleinquartband, 
bejigt Dr. med. Rud. Schlötfe zu Berlin. Es führt den Titel „Kriegs— 
und Feuerwerckskunſt“ und jcheint das Handeremplar des Ver: 
faſſers gewejen zu jein, weijt aber leider eine Lüde auf. Das andere 
Eremplar befindet jic) im Depöt general de la guerre zu Paris 
(A. I. f. 85), ein jehr großer Foliant (50 cm hoch, 25 breit) mit 
vorzüglich ausgeführten NAquarellbildern. Dies it offenbar Die 
Reinjchrift Veit Wolf. Der Titel des Pariſer Eremplars lautet: 
„Bon allerlei Kriegsgewehr von Gejhüz. Von den langen 
Studen. Bon den Mortieren. Von den Feuerkazen . . . Vom Hagel- 
geſchoß, Orgelgeſchüz, Streitkarren . . . Auch wie man jtett, ſchlöſſer 
vnd allerley beveſtigungen . . . in kurzen Tagen erobern vnd hinwider 
wie man ſich gegen dem feind herauſſ wehren joll... Desgl. vilerley 
friegsliit, gejchwindigfeiten und ſtrattagemata . . . Vnd vilerley graus 
jame erjchrodenliche newe Erfindungen...“ Eine Jahreszahl it in 
diefem tadellos erhaltenen Coder ebenjowenig zu finden wie in dem 
Berliner Eremplar. Übrigens ftimmen beide durchaus überein, und 
die durch Herausreißen entitandene Lücke der Berliner Handjchrift, 
welche das Kapitel der Rohrgejchüge umfaßte, läßt jich mit Hilfe 
der Barijer Hdſchft. ausfüllen. — Der Inhalt ordnet ſich in 
7 Bücher wie folgt: 

Vorrede. — Vom Bndergraben. — Etliche der alten Feuerwerck, wie 
man’3 vor zeitten gebraucht. — Ragetenzeug, die ich Veit Wolff ſelbs probiert. 
— Alte Füerjhleg, Mortjchleg vnd Fewerkugeln. Nüpliche jtüd dem 
Femwerwerd anhengig: Behring, Züntſtrick, Fewer einzulegen, Yadeln, 
Nachtliecht (aud) einem Roß anzuhenken), Feuer das man weit getragen mag, 
Kugelfewer vber veldt zu werffen, Pfahl oder ander Holzwerd im Wafjer zu 
verbrennen, Schiffbrüden und Blodhäufer, Schlöfler und Städte (legtere nad) 





634 Das XVI Jahrhundert. II. Waffentunde. 


uralter Weije durch eingefangene, dort heimijche Kagen oder Tauben) anzuzünden. 
Alte Rüftungen (Feuerjchleuder u. dgl.), Triumphfaftell mit Frödenfeuer. — Die 
guten geuerfugeln, Mort- und Sprengfugeln: Fewerkfugeln formen ; 
ein geheimnig, merf!; Bericht auf alle fewerfugeln, die man oben anzündt; bülzen 
fugeln ; eyjen Kugeln; In ein Stadt zu werffen; Sprengfugeln zu maden; eine 
ihlagende Kugel; ſorgliche Schlagfugel; Strewfugel mit Fußeiſen; Elefanten- 
fugeln; jehr ſtarke Bulver zu Sprengladungen. 

Mauerbreher: Scharpfe mezen, 9 geſchlecht (70 — 100: Pidr.); Baii- 
liiden, von etlihen aud) Wildemann, von den Jtaliern Nana genannt, 3 geſchlecht 
(58—66-Pfdr.); Singerin, zweierley (50 und 54-Pfdr.); Nachtgallen, dreierley 
(38—46-Pfdr.); Quartanen, dreierley (40 bis 50-Pfdr.). — PVeldgeihüs. 
Nottihlangen, acterley (13—20:Pfdr.); VBeldtichlangen, dreierley (10—12- 
Pdr.); Falconen, viererley (6—9-Pfdr.); mag mit 4 Pferden gefuhrt werden; 
Duartier Schlenglin, zweierley (4—5-Pfdr.), gefuert mit 3 Pferden; Falconet, 
zweierley (2 und 3-Pfdr.); man madt aud feine falconetlin, die 1 Pid. 
ſchießen; Scharpfedin. — Baſtartgeſchütz: Feuerkazen, Feuerbüchſen, Stein- 
büchſen, Keilſtücke (ganz moderne Hinterlader), Kammerſtücke, meiſtenteils in 
Schiffen auf der See gebraucht; Orgelgeſchütz; Barſibüchſen. — Minderes 
Geſchütz: Sturmhaken, Mawerhaken, Handgeſchüz. — Stückgießen; Faſſen der 
Stück (Lafeten); Räder; Feuern des Geſchützes; Neu gegoſſen Stück beſchießen; 
Meßinſtrumente; Kugelmaß; Maßſtäbe. — Mortier mit großen geheimnuſſen: 
Elefant, Track, Wolf, Meerkatz Mortier zu gießen. Hültzen mortier. Werfzeug. 
Bon den gefehen (Stühlen) der Mortier. Ungefarlicher vberſchlag, wieviel mortier 
ein heer zu einem Veltzug mitfueren mochte (Ferdinand 1556 in Ungarn). — 
Bon Hagelgeihoh (Markgraf Albrehts Mitrailleufen). — Bon den Oua- 
dranten (24 Arten). Horizont des weiten Wurfes (Theorie der ylugbahn). 
— Bon dem Laden der jtuden und mortier. — Vom Schangen: Chriſtliche 
vermanung; Fußeyſen; Bergifften. — Bon der Brofant. — Bon Schlaffen 
machen. — Vber feldt verborgenlich jchreiben, geheime Wort, zeichen geben 
(Telegraphie) — Streitfarren und Wagen. — Kurze Leeren von den 
Fußknechten. — Etliche leeren der Reifigen. —Wagenburgen. Ordnung 
der Wagenburg, Form der eriten Wagenburg, Wagenburg um Lager zu jhlagen. — 
Bon Kundihaftern (Shwimmgürtel), Wachten und andere Kriegdgwarnungen. 
— Bon Kriegslijten, Stratagemata genannt insgemain. — Bon Ber 
ihwiegenheit. — Behandlung der Gefangenen. 

Die Inhaltsüberjicht zeigt, dab dieje jpätere Form des Werkes 
Veit Wolffs der häßlichen Auswüchje ledig ift, durch welche die 
Defjauer Fafjung jo unangenehm auffällt. Die Bieljeitigfeit und 
Mannigfaltigfeit des Inhaltes aber find geblieben und zeigen den 
Verfaſſer als einen Mann von weitem Überblid. Zuweilen gemahnen 
gewiſſe Momente auch deutlich daran, da man es mit einem Artil- 
leriften zu tun hat, der in Dienjten einer Seejtadt jtand. — Als 


Schriften, welche ihm bei Abfafjung jeiner Arbeit dienlic) gemwejen, 


2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 635 


nennt Senftenberg die des Machiavelli (!), des della Valle, Fröns— 
pergers, Reinhart3 von Solms und des Markgrafen von Marignan (?). — 
Bon bejonderem Intereſſe jind jene Auseinanderjegungen über die 
Geſchoßkonſtruktionen. Über Form, Herjtellung und Ladung der 
Hohlgeſchoſſe bringt er Einzelheiten, welche bisher niemand jo Kar 
dargelegt hatte. Vgl. ©. 544.) Namentlich gilt das von dem Ab— 
ichnitte über die Zünder!). 

Senfftenberg unterjcheidet die Zündung don vorn und die durch die Ladung; 
aber er fennt au die Zündung „mit zwei Feuern“, bei der zuerjt ein gegen 
die Mündung gerichtetes Brandrohr des Hohlgejchoffes und dann erft die Bulver- 


ladung des Geſchützes entzündet wird, die nun ihrerjeit3 ein zweites inneres 
Brandröhrlein entflammt. — Dasjelbe Berfahren empfiehlt aud) Frönsperger. 

Bon jpeziellem Intereſſe find Senfftenbergs Angaben über die 
verjchiedenen Arten der Hagelgejchojje: 

„Hagelgeſchoß kann man aus allerlei großen und Meinen Stüden jchießen 
auch aus den Mortieren werfen; infonderheit dienen die Steinbüchſen und Feuer: 
fagen wol dazu, deögleichen die furzen Sturmhaken, welche man pfleget in den 
Streichwehren zu gebrauden. 1. Auf die Ladung des Pulvers ſchlage ein Wiſch 
von Heu oder Stroh, darauf 20 oder mehr kleine Kugeln aus Lehm gebrannt, 
darauf wieder mit Heu verbuſcht. 2. Oder eifen Schrot in ein Lehm eingebohrt. 
3. Oder auf dad Pulver jchlag ein Holzklotz, der kürzer denn did jei; darauf ſetz 
dann allerlei Kiejeljiteine und verbujd; wieder davor mit Lehm oder Heu. 4. Oder 
lade auf das Pulver eine große recht gefügte Kugel aus Hafenerde (Töpferthon) 
gebrannt, darauf eine jtarfe Spanne lang voll Kiejeljteine oder Hein gebaden 
Kugeln in einen Sad gefüllt oder viele Kugeln oder Schrot in eine plechne 
Büchſe GBBüchſenkartätſche). — Item der allerbejte Hagel: Nimm von 
Lehm eine armlange Stange in der Stärke des Rohrs oder etwas ftärter, laß 
gut trodnen, ſchneide mit einem Mejjingdraht die Stange in Scheiben und dieje 
in Stüde, die Stüde laß an der Sonne trodnen; dann je die Stücke mit einem 
Drabtlein zujammen und laſs jie im Ofen brennen, dann mit grobem Hanf um— 
winden und ein wenig überjhiwemmen. Zu Wien machen jie die Hagelgeſchoß 
in den Streihwehren (ald Flantengejhüg), auch alſo von gebadnem Stein ge= 
ichnitten, jegend danad) wieder zujammen und beſchmieren es noch ein wenig 
mit Zeim, daſs es zufammenhalte, danad) gebrannt.” — Diejer „allerbejte Hagel“ 
ijt aljo offenbar Bogels „Hagelſchrot oder Strew“ S. 630). — Senfftenberg jpricht 
auch von dem „Beheimnis“ (nad Art der Klotzbüchſen oder Espingolen), mehrere 
durchlöcherte Kugeln aufeinander zu laden und jie durd einen Schwefeljaden zu 
verbinden. Befjer erjcheint e8 ihm aber, dem Rohr drei Zündlöcher zu geben und 





1) Die betreffenden Abjchnitte hat General Have in einer Überfegung des Generalftabshaupt- 
manns de Milly in feine Fortſezung von Napolcons Etudes aufgenommen, weil die franzöfiiche 
giteratur jener Zeit nicht? auch nur entiernt gleich Gediegenes beſaß. Auch Senfitenbergs Zeichnungen 
find 3. 7- reproduziert (Vol. III p. 274 ff.). 





636 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffentunde. 


die Schüffe darin durd gute Holzjcheiben zu trennen; dann fünne man die drei 
Schuß nad) Belieben abfeuern und den Feind täufchen, wenn er wähne, nad 
dem eriten Schujje das Geſchütz unterlaufen zu fünnen. 

Daß die beiten technichen Anweiſungen diejer Art ſich immer 
nur in Handjchriften, nicht in gedrudten Büchern finden, hat jeinen 
Grund offenbar darin, daß es Zunftgeheimntfje waren, die innerhalb 
eines engeren Kreiſes der Fachgenoſſen mündlich, höchſtens aber jchrirt- 
(ich fortgepflanzt, dem großen Publikum jedoch abjichtlich verborgen 
gehalten wurden. 

Bon bejonderem Werte jind auch Senfftenbergs Angaben über 
das Geſchützmaterial jeiner Zeit. — An Rohrgeihügen, die vor: 
zugsweije eijerne Vollfugeln jchojjen, führt er 10 bis 11 Arten auf?). 
Er erwähnt aber auch eigentliche Hagelgeſchütze (Mitrailleujen). 

Bei Markgraf Albrecht zu Brandenburgs Zeiten jind (in Preußen) Stüde 
gegofien, 8 Schub lang von 7 Rohren in einem Corpus bei einander, haben 
ungef. 1 Pd. Eijen wie die Heinen Falkonetlein gejhojjen. Das ganze Stüd 
hat 14 Ztr. gewogen; darin hat man jedes Rohr bejonders allein gelonnt ab- 
ihießen oder allezumal miteinander; ijt gleichwol ein fertig Ding aber eine 
ihwere lajt gewejen; meines Erachtens ijt mit dem vorgemeldeten gebadenen 
Hagel gleich jo viel oder mehr auszurichten.“ 

Hinterlader jcheinen zu Senfftenbergs Zeit fajt nur noch als 
Schiffsgeichüge in Anwendung geitanden zu haben, u. zw. ſowohl 
gußeijerne als gejchmiedete. 

„Ein Stüd fo 42 Pd. Eifen jchießt, jol 12 Schub lang vor der Kammer 
jein und die Kammer für fich ein Fünftel des ganzen Stüdes. Zu jedem Stüd 
3 Kammern, diht und gehäb gegofjen für den Dunjt. Auf den Schiffen bat 
man viel Kammerbüchjen von hinten zu laden; da nehmen fie zu den eijen- 
gejchmiedeten Stüden kugelſchwere Ladung, da viel Dunft neben ausgeht; bei 
%s Ladung würde ed nur ſchwachen Schuß geben. Sie haben dazu viel Ladungen 
oder Kammern hinten einzuſchieben; da joll man beim Laden das Pulver in 
drei Teilen einbringen und jedesmal die Kammern aufjtoßen, damit das Pulver 
jich zurecht jet, darauf mit einem fejten Dolzfloß verpfropft, das Zündloch mit 
Unjchlitt verklebt und die Kammern zu Hauf gelegt bis man ihrer bedarf. So 
fie dann das Stüd laden wollen, nehmen jie die eiferne Kugel, umwinden fie 
mit grobem Hanf, jchieben jie dann hinten gedrang in's Rohr, damit fie beim 
Schießen nad Unten nicht vorrolle; dann ſchiebt man die geladene Kammer 
hinein und jchlägt den Keil dahinter mit einem Poſſekel (Schmiedehammer) feit 
und räumt ein.“ 


ı) Eine Tabelle über Senfftenbergs Rohrgeſchütze bringt Favé a.a. D. p. 26%. 
Sie enthält Durchmefler und Gewicht der Kugeln, Gewicht und Länge bed Rohrs, Gewicht der Ladung, 
Beipannung, Lafetenlänge, ſowie Dide und Höhe der Lafetenwände. Sorgfältige Darftellungen der 
11 Staliber, die jämtlich reich verziert find, begleiten dieſe Tabelle. 


2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 637 


Intereſſant und fait befremdlich ift e8, daß der meeranmwohnende 
Zeugmeiſter der Stadt Danzig auch der Gebirgs-Artillerie gedenft. 

„stem, wo aber Gebirg und rauhe Engweg find, da würde mit Karren 
und Wagen nicht viel auszurichten jein; dagegen fünne man gut jtarfe Rohr 
machen, Scharfentinlein, 1 bis 1'/a Ztr. jchwer, nicht gegoflen, ſondern von 
Eijen gejhmiedet (jpringen nicht jo wie die metallenen) auch können mit Kammern 
fein gemacht werden von hinten zu laden; fie freſſen ſich auch nicht auf; wie ich 
in Schweden gejehen.” — Rohr und Lafeten werden auf Tragefätteln Pferden 
aufgeladen. Die Lafete hat oben eine drehbare Gabel zur Aufnahme des Rohre 
und unten umflappbare Füße. 

An Mörjern unterjcheidet Senfftenberg 4 bis 7 Arten: den 
Elephanten („das jind wahre St. Betersichlüfjel”), (18 Zoll Durch— 
mejjer), den Drachen (15), Greifen (14), Salamander (12°), Löwen 
(10), Wolf (8), Meerkatze (6). — Es erinnert lebhaft an den 
Lafetenbau für moderne Gejchüge mit großen Ladungen, wenn Senfften- 
berg berichtet, daß er in Polen Mörjergefäße (Lafeten) gejehen habe, 
deren Schildzapfenlager zu ihrer Schonung mit widerjtrebenden Federn 
ausgerüjtet gewejen jeien. 

Was die Bedienung der Gejchüge betrifft, jo gibt Senfften- 
berg namentlich über die Kunjt des Richtens jorgfältige und jehr 
belehrende Angaben, mit deren Würdigung Favä ſich eingehend be— 
ihäftigt hat. — Recht bejorgt zeigt fich der Danziger Zeugmeifter 
für die Sicherheit der Büchjenmeifter. 

„So du nad) dem erjten Schuß wieder ladeft, jo jteh mit geſtrax vor dem 
Rohr des Stüds, jondern auf den Seiten, damit, jo Unfall zuſchlägt, und noch 
verborgen euer im Rohr wäre (wie oft gejchehen), jo iſt befler ein Arm dann 
den Leib verloren haben. So du anzündejt, jo jteh hinterm Stüd zwijchen 
dem Boden und den Seiten ded Stüds, etlihe Schritte davon, das ift das 
Sicherjte.“ 

Was Senfftenbergs Werk außer artilleriftiichen Dingen enthält, 
it ganz ummejentlich und nebenjächlich!). 


8 52. 

Es ijt oben [S. 621] einer verftändigen artilleriftiichen Arbeit 
‚srönspergers gedacht worden; man möchte bezweifeln, daß jie von 
ihm jelbjt herrührt, man möchte annehmen, daß er fie, wie fat all 
jeine anderen Schriften, irgendwo abgejchrieben habe, wenn man jeine 

ı) Auf das Berliner Eremplar hat zuerft Hauptmann Stein aufmerkjam gemadht im „Archiv 
für Artillerie und Ingenieur-Offiziere”. 81. Band (Berlin 1877). 


638 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffenfunde. 


jpätere Arbeit iiber denjelben Gegenjtand ins Auge faßt, welche ſich 
in einem undatierten Coder der Wiener Hofbibl. (no. 10866) umd 
in zweiter Abjchrift in der Dresdener Bibliothek (C. 73) findet und 
den Titel führt: „Der großen Stuckbuchſen auch Bollern oder 
Morjern, durch welche diefer Zeit die jtarden wehrlichen Gebäum 
oder befejtungen zu bezwingen vnd erobern fünden vnd mügen vor: 
genommen werden, jampt der Zewg- vnd Büchjenmeifter kunſt, Hilf 
Nat vnd VBerjtand; Alles in ain Gefpräch verfaßt vnd mit not: 
türfftigen Figuren geordnet. Durch Lienhart Fronfperger an Tag 
geben.“ 

Die Arbeit ijt in dem Wiener Eremplare dem Kaifer Marimilian II., in dem 
Dresdener dem Kurfürjten F. Augujto zu Sadjen gewidmet und die Dedikation 
unterzeichnet „Fronſperg, burger zu Ulm“. So läppiih und jhwüljtig wie 
der Titel ift auch der Inhalt, der von der Herjtellung des „Zuylbüchfenpulpers“ 
bis zu der der Feuerfugeln das Gebiet der Feuerwerferei und Büchſenmeiſterei 
fatehismusartig in Frage und Antwort abhandelt, weldhe einem Zeug- und 
einem Biüchjenmeijter zugeteilt jind. In feiner Weife geht die Schrift inhaltlich 
über da® „Buch von den probierten Künjten“ hinaus, und in Form und Por: 
tragsweiſe bleibt fie weit hinter demjelben zurüd. Vielleicht hat das Frönsperger 
jelbjt gefühlt; denn, jo drudluftig er auch war: diejen Katehismus hat er dod 
nicht veröffentlicht. 


Inzwiſchen trat Frönsperger mit jeinem befannten großen „Krieg 
buche“ auf. Der I. Band desjelben erjchten 1566, die beiden anderen 
1573 [$ 32). Natürlich nimmt in diejer breiten SKompilation Die 
Artillerie eimen bedeutenden Raum ein, dem allerdings der Wert 
nicht entipricht. 

Sm I Bande bejdäftigen fid das 4. und 8. Buch mit der Artillerie”. 
— Das 4. Bud) ift im wejentlichen eine Wiederholung des artilleriftiihen Inhalts 
aus Frönspergers früherem Kriegsbuch von 1555 S. 549), das 8. Buch ein ein- 
facher Abdrud des i. J. 1557 von ihm veröffentlichten Wertes „Von Geſchütz 
vnd Fewerwerck“, das ebenfalls bereits bejprochen worden ift. [S. 621.) 

Den II. Band beginnt Frönsperger mit einem Überſchlag der Ardellen 
für einen gewöhnlidhen Feldzug. Er nimmt dabei diejelben Geihüg- 
zahlen an wie Ott [5.485]; aber weit entfernt, etwa gleich Solms, eigene Ge— 
danken über die Zufammenfegung der Artillerie zu entwideln [$ 45 u. 96], hält ſich 
Frönsperger in allen wejentlihen Punkten jtrifte an den Entwurf der alten 
1) Die Originaltitel ber einzelnen Bücher vgl. $ 32, wo eine Gejamtüberficht des Frönsperger 
Ichen ſtriegsbuches gegeben ift. — Eine Stopie (oder die Originalzufammenitelung?) ber in Frröndpergers 
Kriegsbuch aufgenommenen artilleriftiichen Kapitel enthält der Cod. Chart. A. 755 „Bon 'Geihüs und 
Kriegsrüſtung“ der herzogl. Bibl. zu Gotha. 


— 


2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 639 


Kriegsordnung, wie er in deren 2. Buche (Kapitel 1—13) auseinandergeſetzt iſt. 
Dinzugefügt find einige techniſche Einzelheiten: Bejchreibung „eines Trogs, 
darinnen ein Rad mag umbgehen vnd über ein Moß geführt mag werden“, 
d. h. Unterweijung, eine hölzerne Fahrbahn mit vertiefter Radſpur herzujftellen, 
um Gejhüge über Sümpfe zu führen. Ferner: „Inftrument, darauff man die 
großen jchweren Stüd Büchſen hin und wieder zwijchen die Schiehlöcher oder 
Schantzkörb an alle bejhwernufien bringen fann und mag” (Keilblöde). „Auff 
etlich vnkoſten des großen Geſchütz zu erjparn“, nämlich durch Abjchaffung der 
Sattelmagen und Einrichtung der Marſchlager in den Lafeten des groben Ge— 
ſchützes, eine Erfindung, welche Fröngperger dem Oberjten Zeugmeijter des Kaiſers, 
Franz v. Poppendorff, zujchreibt. — Daran reiht fi eine Tabelle über Ge— 
wicht, Bejpannung, Ladung und Bedienung der Geſchütze, ſowie ein Überjchlag 
der Koſten der Artilleriebedüfnijfe (Gejchüge, Metall, Zuſatz, Gießerlohn, 
Gefäße, Blochwagen, Progen, Stetten, Yadtzeug und ander Notdurfften), ſowie 
eine Abhandlung über die Einrichtung der Yafeten. 


In demjelben Bande folgt dann nocd eine „Ander Form eines vber- 
ihlags auff ein Ardeley“ für 20 bis 30000 Mann, wobei ein großer 
Teil des Vorhergejagten noch einmal auseinandergejept wird und diejenigen 
Kapitel von Otts Kriegsordnung, die border übergangen worden waren, nad)= 
geholt werden. 


Ferner enthält der II. Band von Frönspergers Kriegsbuch aud eine 
Mathematiſch-Geometriſche Ardelley, welhe dem Kaiſerlichen Oberſt— 
Zeugmeiſter Frantz dv. Poppendorff gewidmet ijt. Die Arbeit ſtützt jich, jomweit 
ballijtiide Dinge in Frage fommen, wejentlih auf Reiffs gleichnamige Wert 
(2. 603], indes waltet der empirifchspraftijche Gefichtspunft vor. Frönsperger 
lehrt den Gebraud des Uuadranten und des Winfelhafens jowie des Kaliber: 
jtabes (nad) öjterr. und bayr. Gewicht), das Meſſen der Entfernung mittels des 
Winkelhakens und mitteld des Ajtrolabiums. Dann folgen: Bergleihung der ge- 
wöhnlihen Maße; Beichreibung des Tajterzirfeld ſowie verjchiedener Arten von 
Quadranten und Rihtinftrumente, wobei viel Überflüffige® mit unterläuft; Ver: 
gleihung der Kanonen; Kern- und Viſierſchuß. Eine jeltjame Wichtigtuerei jpricht 
aus dem Tone dieje8 Buches, namentlich aus dem der Vorrede. 

An die mathematijche Ardelley jchließt fih ein Kapitel über Bau und 
Einrihtung der Zeughäujer, das jedoch, Helm gegenüber, faum etwas 
Neues bringt, und eine Abhandlung, die unter dem Titel „Geſchützes Inhalt“ 
20 Säße der praktiſchen Geſchützkunſt auseinanderjegt. Dann unterrichtet 
der Berfafier über: Ausladen der Kanonen; Verhältnis der Yadung zur Metall: 
itärfe; Offnen vernagelter Zündlöcher; Pulverprobe; Laden der Mörjer; Aufſatz 
der Gefchüge nad) Zollmaß; Hagel- und Igelſchüſſe; „Undergraben vnd ver: 
iprengen“ (jehr obenhin); Artillerie bei Sturm. 

Endli bringt der II. Band nod ein Kapitel unter der überſchrift: 
„Andere furge Form etlicher Artikel, die Büchſenmeiſter be— 
langendt,“ in welchem vorzugsweiſe von Munition und Feuerwerk gehandelt 


640 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffenkunde. 


wird, offenbar auf Grund von Helms „Kunſtbuch“. Brodenweije jpielen Stard: 
und Schmidlapps Schriften hinein. 

Der III. Band des Kriegsbuchs bringt feine artilleriftiichen Abjchnitte. — 
Ein Auszug des für dad Geſchützweſen Wichtigiten aus Frönspergers Kriegsbud 
findet ſich in Eſſenweins „Quellen zur Gejchichte der Feuerwaffen“ S. 87 ff. 


8 53. 


Em Werk von hoher Bedeutung it der „Dialogus oder Ge 
jprech zwayer Berjonen, nemlich aines Büchjenmaijters mit 
ainem Fewerwercks-Künſtler, von der waren Kunſt vnd rechtem 
Gebrauch des Büchjengejchoß und Ferverwerds,* das Samuel Zümer- 
mann von Augsburg i. 3. 1573 jchrieb. 


Die erjte Nachricht davon gab der verdienjtwolle Forjher Major Toll, 
der die Heidelberger Handſchrift kennen gelernt hatte und fie für ein Unicum 
hielt. Indes fenne ich außer diefem Cod. palat. 258 nod) Eremplare in den 
Bibliothelen zu Dresden (C. 73), Darmjtadt (Nr. 485) mit der Jahreszahl 
1574 auf dem Einbande, Stuttgart (milit fol. no. 14, 2), Wolfenbüttel (Extra- 
vag. 234) mit einer vom 15. April 1575 datierten Vorrede, Berliner Zeughaus 
(ms. 16), München (cod. germ. 4165), Gotha (chart. fol. 560, 561, unvolljtändia, 
568) und HauslabsLiechtenftein zu Wien, d. d. Augsburg 1577. — Nicht alle 
Handichriften find mit Zeichnungen erläutert; fie fehlen 3. B. denen von Darm: 
jtadt, Wolfenbüttel und München. 

Der „Eingang“ ijt „reimensweije gejtellt“: Büchſenmeiſter und Feuer— 
werfer taujchen ihre Kenntniffe aus, wobei jeder eigentlid gern mit den Geheim— 
niffen zurüdhielte und nur auf inftändige Bitte des andern ſoviel davon offen: 
bart, als fih mit bloßen Worten erflären lafje. — Diejem Eingange folgen 
zwei Teile. 

Der 1. Teil handelt „Von den Büchſengeſchoß, von den Büchſen— 
puluer aud von jeiner frafft vnd würdung.“ Bejondere Abjchnitte 
desjelben jind die „Von den Zintjtriden, Schwammen, Zunder vnd Schwefel- 
ferzen; Was vor Injtrument ein jegliher Büchjenmaijter zu feiner Notturit 
jtetig bei ihm haben mujs; Bon den Fürfchlägen; Bon den Kugeln; Bon den 
Hagel Gefchröt; Von gejpaltenen Kugeln jo an Dreten und Ketten gefchlofien 
werden; Wafjer und Fewer Strahlen zu ſchießen; Wie die großen Stüd Büchſen 
jollen geladen, aud) gericht werden; Von den geometriihen Injtrumenten, damit 
eine jegliche Höhe, Tiefe, Weite, Breite gemefjen und abgejehen mag werden.“ 

Der 2. Teil handelt „Bon Fewerwercken“. Im einzelnen bejprict 
er: „Manderley componirte und angetragene Zeuge zu allerley Fewerwerch 
Raggeten, Stöde, Nageten und alle ihre Zugehörung, aud) wie diejelbe zu machen, 
daraus den anfenglih alle Fuerwerd ihren Uhrſprung haben; Schnurfeuer, die 
an Schnüren hin und wieder faren; Steigende und fliegende Feuer; Feuerkugeln 
mit und ohne Schläge in die Bohler zu mahen; Sturmringe; Feuerwercke, die 


— — —e —— —— — —— 


2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 641 


ſich von ihm ſelbſt anzünden; böſe vergiffte Rauche und Geſtencke; Beſchreibung 
der Salpetererden; Salpeterſudt und Läuterung und etliche Puluer-Sätze. 

Der intereſſanteſte Abſchnitt des Werkes iſt der von den Kugeln. 
Da iſt die Rede von Geſchoſſen mit inwendig verborgenem ſpringenden 
Federwerk, von „Kugeln, die ſich vom Schuß in ein dunſtend Waſſer 
rejolviren“, von Gejchofjen, „die jich von ihrem Niederfall und An— 
treffen entzünden“ (Perkuſſionszünder), von „Hagel mit vielen Stücken 
in eimer bleyernen Zarge“ (Hülle), von einer Hagelkugel aus Metall, 
„die ganz von einem Stüd gegojjen iſt und jich vom Schuß jchmelzt“, 
endlich aber von einem „Hagelgejchret, das ſich über etlich 
hundert Schritt vom Stud auftut.“ Die Beichreibung diejes 
höchſt merkwürdigen, für die Gejchichte der Artillerie überaus wichtigen 
Geſchoſſes lautet wie folgt!): 

„Seuerwerder: Mag aud) nicht ain Hagel gemadt werden, der ganz 
vom Rohr fert und jich erſt ober ettlich Hundert Schrytt, nachet oder fer wie man 
will, von ainander geht und ſich austhailet ? 

Bühjenmaijter: Solliches ift gar ſchwerlich und mit grofjer mühejeligfait 
ins werdh zu richten, jedoch moglih; aber nit wie ettlih auß vnverſtandt ohn 
alle erfahrung davon geredt vnd gejchryben haben. (Geht das vielleicht auf Vogels 
Hagel? [E. 630). Man joll den Hai in ain Blayen Zarg ainmachen, die zu- 
binderjt ain boden, miden in demjelben ain Loch, daß man ungevährlich ain 
fünger hineinjtoßen mag, vnd ain hülzen rohr (Zünder) binden bei dem dazu— 
gemadten loch in den boden hineingejtoßen, bis auf halben Thail. Durnad) 
neben dem rohr joll die Zarg mit röjchem (Korn=)puluer ausgefüllt werden vnd 
ungepährlid ain Ziwvergfünger Hoch über das rohr. Darnad) den Hagel (Kartätich- 
fugeln, Eijenftüde, Kieſelſteine) darauf hineinjegen, geheb und jtatt. Das rohr 
(den Zünder) joll man mit ſchwachen Raggetten= oder angefeuchtem Zeug ainfüllen 
vnd zuporderjt (an jeinem Kopfe) mit Zündtpuluer aingerungt (eingeräumet, an— 
gefeuert) vnd aljo in dad Studh auf das Puluer hinaingeladen und gejtofien 
geſchoſſen). So zündt fih da8 Zeug im Rohr vom Schuß an vnd fehrt der 
Hagel aljo gang (ungeteilt, ungeöffnet) vom Studh vnd bleibt bei aynandter bis 
der Zeug im Rohr (Zünder) ausbrynnt bi auf das Puluer. Alßdann zerichlag 
ihn erit das Puluer, jo dahinter ligt vnd gedh von ainander. Soliche Speculation 
haben vil gehabt; aber im Werdh und in der Prob hats ihnen grob und wait 
gefelet. Dergleihen Erempel hab ich vor welcher zeitt jelbjt gejehen, dab ſich 
ain jolliher Hagel im Studh angezündtt vnd gleich vor dem Studh zerjprungen 
vnd in Boden gangen. Und het (hätte) der Teufel ain Gaugelſpiel angericht, 
wo nicht das Glickh jonderlich dabei geweien ... Willit du aber, daß es guet 
thue vnd fhaine gefar darbei zu beforgen jey, mujtu die Zarg inwendig mit dünnem 


) Nach dem Codex palatinus Nr. 258 unter erläuternder Vergleihung mit der Handſchrift 
ner Bücherei des Berliner Beughaufes. 


Zähne, Geſchichte ver Kriegswiſſenſchaften. 41 


642 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffenkunde. 


Zaimb (feinem Thon) füttern, darzu daß Rohr (Zünder) fleyhig mit dem Zew 
füllen vnd zuvorderjt auf dem Zeug ainrummen. Vnd jatt auf das Puluer cn 
ſtuckh hineinjegen, wie ſich geburt.” 

Aus dieſer Darlegung ergibt Jich (wie jchon Toll nachgewieſen 
hat), unmiderleglich, daß die Granatfartätjchen, oder, um da 
üblichen Ausdrud anzumenden, die Shrapnels, eine deutidi 
Erfindung aus dem 16. Ihdt. jind; ja ſie fällt in eine Zeit, die 
hinter derjenigen, in welcher Zümermann jchrieb, noch um mehr als 
ein Menjchenalter zurüdliegen muß; denn es heist zu Beginn de 
Kapitels von den „Hagel-Geſchrott“, daß dies Geſchoß „bey vuniern 
Bätern eine große Kunjt vnd heimligfeit gewejen..., dab vniere 
vorfahren ein Hagelgejchröt in ein Bleyen jarg eingemacht vnd alſo 
geſchoſſen.“ — Dieje Angaben lehren, wie alt und wie deutjch-national 
dieje vermeintlich jo junge, angeblich engliiche Erfindung it. Das 
Schießen mit derartigen Granatfartätjchen jcheint übrigens nach und nad 
zu eimem jolchen Grade von Vollkommenheit gebracht worden zu jem, 
daß es im Gefechte Anwendung fand. Ein Bericht über die Belagerung 
von Gennep läßt in dieſer Hinficht feinen Zweifel!). Toll bemerkt 
darüber, daß die deutjche Artilleriegden von ihr zuerjt gefaßten Ge 
danken in der Folge fallen lajjen und nicht zuerjt wieder aufgenommen 
hat: es jei das nur zum Teil ihre Schuld. „Denn befanntlich haben 
ja von jeher deutjche Erfindungen in Deutjchland nur erjt dann Ein 
und Fortgang gefunden, nachdem jie vom Auslande unter fremder 
Firma dahin zurücgefehrt waren.” — Ob der General Shrapne 
Kenntnis von der deutjchen Hagelfugel und von den Grumdjägen 
ihrer Anwendung gehabt, das muß dahingejtellt bleiben ?). 


8 54. 


Bon demjelben Samuel Zümermann, welcher diejen bob 
intereffanten Dialogus verfaßt hat, bejigen wir noch ein zweites u. zw. 





ı) Als Graf Wilh. v. Oranien 1641 Gennep belagerte, ſchoß die ſpaniſche Artillerie aus der 
Schloſſe bleierne Hohlkugeln, die mit Fleinen Kiejeln gefüllt waren, melde nad dem Zerplapen der 
Kugel umberflogen und viel Schaden taten. Dieſe Hohllugeln (boulets de plomb, qui estoieni 
remplis au dedans de petits cailloux) wurden aus Sanonen geſchoſſen, mas daraus berworad 
daß nach der Einnahme des Schloffes nur jolche, feine Mörjer, vorgefunden wurden. Die Stremmg 
fand ftatt »lorsque les boulets venoient a tomber«, aljo nod) während bes Flugs: es An 
fomit unzweifelhaft Granatfartätihen. (Commelyn: Hist. de la vie de Fred. Henry de Nassau 
Amsterd. 1656. II, p. 92.) 

9) Bol. General Bormann: Das Shrapnel-Geſchoß. Hiftor.»techniihe Stizze. Verbeutiö‘ 
und mit Anmerkungen verjehen von General du Bigrau (Berlin 1863). 








2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderte. 643 


jehr jeltiames Buch, welches betitelt it: „Bezaar, Wider alle jtich, 
ſchuß vnd jtraich, voller großer geheimnuffen, genannt Byromadia, 
d. i. fürnemblich die funft, wie man wider das büchjengejchoß vnd 
belloniſche feuerwerch durch andere feuer, jo nit allein aus der Me 
chanica verborgener Griff Menjchlicher behendigfait, jondern auch 
vbernaturlicher weiß ihren vriprung haben, Mannlich, Ritterlich, künſtlich 
vnd Sighaft jtreiten jol.“ 

Ein Eremplar des feltenen ungedrudten Werks befindet fi in Gotha (Cod. 
Chart. 566), ein anderes in der Behördenbibliothek zu Defjau. (11025 : 6178. B.) 

In dieſem „Bezaar“?) zeigt jich nun „der bejtellte Büchjenmeijter 
der Neichsjtadt Augsburg und der freien Künjte Liebhaber“ Zümer- 
mann, doch als ein bedenklich abergläubiicher Kopf, der in den Vor: 
urtetlen jener Zeit recht gründlich verjtridt war; denn wenn das Buch 
auch feineswegs nur „Beliala“, d. h. teuflische Rezepte, enthält, viel- 
mehr auch manche ganz praftijche Heil- und Nettungsvorichrift, ins— 
bejondere für das Feuerlöſchweſen, jo überwiegt der nefromantijche 
Teil doc wejentlih. — Einige® aus dem Eingangsgedichte zum 
„Dialogus* ijt, entjprechend eingefleidet, auch dem Bezaar wieder 
vorangeitellt. Eimer hiſtoriſch-theologiſchen Einleitung folgen dann 
10 Bücher: 

1. Wie man ſich vor vil feurs gefärlichkeiten bewahren ſoll. — 2. Von 
bellonifchen Feuerwerchen, wie in gar vilen Caſibus tröſtlich, ritterlich, ſieghaft 
vnd mannlich darmwider zu ftreiten jey. — 3. Von den NRemedien, ziemlichen und 
unziemlihen Miteln wider das Feur vnd Büchſengeſchoß, damit auch die Brunit- 
feuer verjönet werden. — 4. Bon Brunjtfeuren, wie in vielen Caſibus damider 
zu handeln jey. — 5. Bon verborgenen euren der Ehriftallen, feurjpieglen, 
Saphirftainen u. dgl., auch wie darmwider zu handeln jey. — 6. Bon den Ero- 
dinifchen vnd Teſſeriſchen furen (d. i. Kreyden, Feldgefhrey, Lojung, Warnung 
durch Feur, Raud und Büchſenſchuß; alfo Feldtelegraphie). — 7. Bon den Metheori- 
ichen vnd vbernatürlichen feuren und ob die Heren vnd Zauberinen ſolche oder 
blig, Negen, Hagel maden können; wie auch darwider zu handeln fey. — 8. Von 
der Probation, Pürgation vnd Jurisdiction des feurd; was davon zu halten. — 
9. Bon den Remedien wider alle feuerbrennung oder verbrennung oder verlegung 
der hitz vnd flammen. — 10. Bon Kräften vnd eigenjhaften der feur, vnd wie 
darwider zu handeln jey. — Den Beihluß des Buches macht ein Onomasticon, 
d. h. eine artilleriftiiche und pyrotehnifche Wörtererflärung, welche nad) vielen 
Richtungen Hin wertvoll erjcheint. 


1) „Bezoar” vom arabiſchen bäzachar (aus perfiih bädizehr; bäd = Wind, zeher = Gift), 
bedeutet: „Das Gift in den Wind!” aljo eine audtreibende Arzenei, al® welche der Magenftein ber 
Gazelle galt. 








41* 


644 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffenkunde. 


8 55. 

Es iſt auffallend, dat die meijten größeren Arbeiten dieſer Zeit 
in Deutjchland jo vorwiegend das pyrotechnijche Element hervorheben: 
die Feuerwerkerei, einjchlieglid) der Geſchoßkunde, überwiegt offenbar 
die Büchjenmeiiterei. Doch fehlt es, jelbit abgejehen von Wulff von 
Senfftenbergs Schriften, nicht ganz an Handbüchern, welche auch dem 
Artillertematerial entiprechende Aufmerkjamfeit zumeyden. Dahin ge 
hören die folgenden: 

Win bewertten büchjenmatiterey Khünjten anno dom. 1574. 
In der Studienbibl. zu Salzburg (ms. V. 1.3. ©. 2. 252). Bietet 
weder neues noch wichtiges. 

Büchſenmeiſterey Buch in der E. £. Hofbibl. zu Wien (no. 10772), 
eine unfritijche, wenig gebildete Zulammenjtellung. 

Auf der Innenſeite des Dedels jteht „Georg v. Eyb, geb. 1569.“ Die von 
anderer Seite geäußerte Vermutung, dab diefer Eyb Verfaſſer des Buches fei, üit 
nichtig; denn der Einband weilt da8 Datum 1580 auf; Georg hätte das Wert 
mit zehn Jahren jchreiben müjien. 

Anwetjung zur Feuerwerkerkunſt und Büchjenmeijterei 
in der fol. Bibliothek zu Berlin (ms. germ. qu. 169) iſt interejjanter. 
Dieje Arbeit jtammt etwa a. d. 3. 1575 und zerfällt in einen pyro— 
technifchen und einen artilleriſtiſchen Zeil. 

I. Feuerwerkerkunſt: Salpeterleutterung. Pulvermaden. Körnnenn. 
Pulverſätze. (Pirſch-, Hadhen-, Schlangen» und Feuerkugel-Sätze.) Gejchmelgen 
Zeug. Brennende Steine (Brandkugeln) zuzurichten und zu teuffen. Sturm- 
hänge, Sturmipieße, Sturmbäfflein. Waſſerkugeln. Rachethen. Feuerräder. 
Bienenihwärme. Röhrenzeuge. 

I. Büchjenmeifterei: Die jtüdhe jambt den lodten. Feldtgeſchott: 
Falchonetlein, Feldtichlänglein, Falkonen, Feldtihlangen, Uuartierichlangen, Not: 
ihlangen, Singerin. Hauptjtüdhen: Nacdtigallen (5 Arten), Scharffmegen 
(12 Arten). — Bon den gefähen und den Radenn. — „Folgen nod) etliche Rezepte. 
Den Beihluß macht die Darjtellung einer an einem Thore angebradıten Betarde. 

Faſt ausjchlieglich mit dem Materiale der Artillerie u. zw. den 
fleiniten Kalibern, die auf der Grenzicheide zu den Handwaffen ftehen, 
beichäftigt jich eine Bilderhandjchrift der Wolfenbütteler Bibliothek 
(Extran. 158), die den Titel führt: „Karnwerg mit dem geichüge, 
Ittem Schirmfarın auff zwey Raden, jo der Graff von Görs ge 
braucht.“ 1586. 

Auf der eriten Seite des jeltiamen Büchleins jtehbt: Contenta: 1. Alerband 
Inventiones des Kriegsgeſchützes, ed auf eine bequeme Art zu tranjportiren. 


2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 645 


2. Allerley Karrenwert im Kriege zu maden. 3. Wie es mit dem Salpeter in 
Brandenburg 1572 gehalten worden. 

Die »Inventionese verfolgen einen doppelten Zwed: einmal den, mächtige 
Doppelhaten auf Karren zu lagern und im Gefechte als Mittelding zwifchen 
Handfeuerwaffe und eigentlihem Gejhüß zu verwenden, dann aber den, Streit- 
farren einzurichten im Sinne der von Beit Wulff empfohlenen Maſchinen, zu 
dem Zwede, mit ihnen gegen helle Haufen oder gegen feſte Bofitionen vorzugehen. 
Die meijten Jnventionen rühren von dem Herzoge Heinrich Julius von Braun: 
ſchweig her"), und jtet3 wird gewiljenhaft der Tag angegeben, an welchem fürjtl. 
Gnaden dieje Erfindung gemadt. Es jind meist jchlecht jfizzierte Spielereien ; 
doc; kommen aud) einige gut ausgezeichnete, verjtändige Waffen vor, jo 3. B. die 
am 18. und 19. November 1586 erfundenen „Juliushaken“, leichte Hinterlader- 
geihüge auf Sciebfarren. Mit allem Zubehör wird der Preiß eines folchen 
Gewehrs auf 30 Gulden angegeben. Auch mehrere Rohre finden fich auf einer Karre 
vereinigt. Närrifch ijt die Invention eines Braunfchweiger Löwen, durch den ein 
Feuerrohr hindurchgeführt ift; er wird am After geladen und die Mündung liegt 
im Rachen. — Welche der Inventionen eigentlid) auf den Grafen von Görs (Görk ?) 
zurüdzuführen find, läßt fich nicht erfennen. — Das angehängte Reglement 
über die brandenburgiſchen Salpeterjieder iſt hiſtoriſch intereffant. 

Ferner verdienen an diejer Stelle zwei Handjchriften der Münchener 
Hof und Statsbibliothef, ſowie eine des Berliner Zeughaujes Er: 
wähnung: 

Das Khunſtbuch des bayerischen Büchſenmeiſters Andree 
DPepffinger von 1571 (cod. germ. 3674), das übrigens nur die ge 
wöhnliche, jchulmäßige Überlieferung enthält. 

Feürkunſt vnd Kriegsbued des Schurff von Schönwerd 
von 1576 (Zeughaus ms. 15), dem ein „Sründlicher Bericht von der 
Püxenmeiſterei“ angehängt it. Auch dieſe Handjchrift tit ohne be 
jondere Bedeutung. 

In dem von dem Ingoljtädter Zeugmeiiter Walther Lügelmann 
i. 3. 1582 verfaßten und dem Herzoge Wilhelm von Ober: und Nieder: 
bayern gewidmeten Artillerie und Feuerwerksbuch (cod. germ. 
909) ericheint bejonders der die Wagenburgen betreffende Ab- 
ichnitt bemerfenswert, den Würdinger im Anzgr. f. d. Kumde der 
dtich. Vorzeit (1872 ©. 283 ff.) mitgeteilt hat. 

Nicht umintereffant it ein vermutlich auch aus den achtziger 
Sahren jtammendes, in der k. k. Hofbibl. zu Wien bewahrtes Manu— 


1) Daß diefer Fürſt, der damals erft ein zweiundzwanzigjähriger Erbprinz war, der Erfinder 
ift und nicht etwa fein Vater Herzog Julius, geht daraus hervor, daß überall ein aus H und J ver: 
fhlungenes Monogramm vorfommt. Heinrich Julius hat fi ja auch als praktischer Fortifilator 
betätigt. 


646 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffentunde. 


jfript (no. 10921): „Ein vnterricht wie man Fewer zurichten 
muß, Cartaunen, Schlangen, depgleichen auß den Mörjern werffen 
vnd jchießen joll zu brennen, zu jprengen vnd zu jchlahen zugericht.“ 

Bejondere Aufmerkſamkeit verdient der Vorjchlag, die Belagerungen durd 
vermehrte Anwendung des Vertikal-Feuers, namentlid; mit großen Feuerkugeln, 
abzufürzen. Dies erinnert lebhaft an Senfftenberg [S. 545). 

Eine in meinem eigenen Beſitz befindliche Handichrift, „Ain 
furzer Bnderricht, wes ſich ain Büchjenmaijter halten joll“, 
rührt ungefähr aus derjelben Zeit her. 

Die pyrotehniihen Dinge nehmen freilich aud) hier den breitejten Raum 
ein; doc jind auch die rein artilleriftiihen nicht vernachläſſigt. Insbeſondere 
zeichnet fi) die mit rohen, doc) deutlichen Skizzen reich illuftrierte Handſchrift 
durch gute Einzelheiten über die Verſchlußſyſteme der Kammergeſchütze ſowie über 
die verjchiedenen Arten der Betarden aus. Bemerkenswert erjcheint es, dab dieſe 
jpäte Arbeit ſich noch auf die Autorität Löffler S. 620] beruft. 

Im Jahre 1840 befand jich ein hHandichriftliches „Kunjtbucd von 
Artollereij vnd Büchſenmeiſterſachen“ im Belite ©. K. 9. 
des Prinzen Auguſt von Preußen, über dejjen Verbleib mir nichts 
befannt it. Die Herren v. Malinowski und v. Bonin führen daraus 
in ihrer „eich. der Brandenburg. Breußiichen Artillerie“ (1840) 
einige Angaben über Pulverbereitung an. 

Der jpandauifhe Pulverſatz bejtand aus 1 Pfd. Salp., 3 Lth. Schw., 
4 Lth. K., der cüftrinische aus 1 Pd. Salp., 4 Lth. Schw., 2 Ltd. K. oder ge 
mehltem Sandel; denn jtatt der Kohle wird aud roter Sandel (Salbnußholz) 
in Ejjig gebeizt, verwendet. Auch Rezepte zu farbigem und aldymijtischem Pulver 
finden ſich Bergiftetes Pulver wird wie folgt hergejtellt: „Nimm ein 
Molch vnd ein Wurm; dieſe zween Würme thue lebendigs zujammen in einen 
neuen Hafen, verkleibe den wol vnd brenne jie zu Pulver, miſche es alsdann 
unter das andere qute Pulver, lade damit, vnd wenn du jcheujt, jo höret man 
den jchues jämmerlichen vnd jeder mann erjchridet.“ 

Das Marburger Archiv bewahrt eme „Büchßenmeijteren. 
Bon Bulffer vnd Feurwerdh zum Schtmpff vnd Ernjt zu machen 
vnd zu werffen. Auch von Buchjen zu Schießen vnd Abzutheylen.“ 
Bon Werner Heydemann, Burgern zu Caſſel 1589. 

AL diejen Werfen nahe verwandt ijt eine „Büchjenmeijterey“, 
welche Friedrich Meyer, gewejener Feldzeugmeijter und Bürger zu 
Straßburg, i. 3. 1594 verfaßte und welche fich im bayerischen National- 
mujeum zu München befindet. Ejjenwein hat von ihr in jeinen 
„uellen zur Gejch. der Feuerwaffen“ (S. 97) Mitteilung gemacht. 


2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 647 


8 56. 


Bon höherem Intereſſe als die meijten der eben erwähnten 
Werfe it die in der Münchener Hof und Statsbibl. aufbewahrte 
„Artilleriefunft durch vnd für einen Ausüber derjelben 
gejchrieben zu München 1591.“ (Cod. bavar. 3113.)!) 


Die Arbeit zerfällt in zwei Teile, deren jeder pyrotechniſche und artilleriftijche 
Elemente mifht. Der erjte Teil geht vorzugsweife auf die Zubereitung der Ges 
ichofie, auf die Schießkunſt und das Verhalten des Meijters ein. 

Nach zahlreihen Rezepten zur Bereitung der Yeuerpfeile, des zahmen 
und wilden Feuerwerks, der Feuerkugeln, Feuerfählein u. f. w. 
tommt Berfafjer auf die glühenden Kugeln, die in blehernen Büchjen ver- 
laden und von dem Pulver durd einen Klogen getrennt wurden. Wie in den 
meiften anderen Feuerbüchern diejer Zeit (z.B. aud) bei Senfftenberg), werden die 
jeltjamen Brandjtiftungen in belagerten Städten durh Tauben und Katzen 
ausführlich erörtert. — Beim Laden joll fein Hauptjtüd über ein Drittel der 
Länge mit Pulver, Kloß und Kugel angefüllt werden. — Das Brechſchießen 
geijhah mit Scharfmegen und Notſchlangen. Letztere eröffneten das Feuer, indem 
jie zwei Mannslängen über der Erde Schuß neben Schuß in die Mauer fepten; 
dann legte man zwijchen je zwei Notjchlangenjchüfle einen Schuß aus einer 
Scharfmege ein: „jo bohren die Schlangen in das Gemäuer; darnad) erjchellen 
es die jcharfen Mepen, dab es viel dejto bälder fallen mu}.“ War das Gemäuer 
„erichellet“, jo gab man den legten Nachdrud mit Steinbüchſen. — Um eine 
Schlahtordnung mit dem Geſchütz zu befämpfen, wird der Göllſchuß mit dem 
doppelten Aufihlag auf hartem Boden empfohlen”). — Injtrumente des 
Büchjenmeijters jind: Duadrant, Driangel, Winkelmaß, Bleifheid und Waſſer— 
wage. — Unter den „ernjtlihen Kugeln“ jind bejonders die „pringenden“ 
interefjant. Es waren das Granaten, entweder von Eiſen gejchmiedet oder hohl 
gegofien, meijt nur mit einem Loc, in das ein eijernes, mit trägem Zeug gefülltes 
Röhrlein getrieben wurde. Dies entzimdete man von vorn und gab dann „hinten“ 
euer. — Kartätſchen oder Hagel aus 30 bis 40 Schroten faßte man in 
VPapierbüchſen zujammen und ſchoß damit bis auf 300 Schritt. — Das Kapitel 
„von Unterweijung des Geſchützes den Büchjenmeijtern zuftändig“ bringt nod) 
immer die nun faft zweihundert Jahre alten Bühjenmeijterfragen. — 
Energiſch jpricht der artilleriftiiche Zunftgeift fich in folgender Bemerkung aus: 
„Sewarnt will ich did) Haben, lieber Pirrenmeijter, da du deinem Zeugmeifter 


1) Bol. Heilmann: Ariegägeih. von Bayern, Franten, Pfalz und Schwaben von 1506—5l. 
(Münden 1868), ©. 369 ff. 

2) Diefen Rollſchuß (Göllſchuß, Ricochetſchuß) wenig elevierter Geſchütze empfiehlt auch der 
Fortifilator Marchi 3 116) in ſeinem 4., von der Artillerie handelnden Buche (1565). Auch ein aus 
derjelben Zeit ſtammendes anonymes Manujtript der Ricardiana in Florenz (Mr. 2525 des gebrudten 
Kataloged), jagt: „Richtet das Stüd jo, daß die Kugel, etwas vor den Truppen aufichlagend, in 
Cprüngen (rimbalzi) dur ihre Reiben bringe, Das tut großen Echaden, zumal auf feftem und 
fteinigem Boden, wo bie emporipringenden Steine mitwirfen.” 


648 Das XVI Jahrhundert. II. Waffenktunde. 


bei deinen fayjerlichen Freyheiten, mehr als deinem Feldherrn gehorjam jein 
wolleſt und gar feinen Schuß ohne feinen Willen und Wiſſen thuejt bei Leibes- 
itrafe; denn er im Felde und Beſatzung der Oberjte ift.“ 

Der zweite Teil ift wejentlid) pyrotechnifcher Natur und behandelt dir 
Pulverbeftandteile und Pulvermifhungen: für Stein und Stra 
büchjen: 1 Salpeter zu 1 Schwefel und 34 Kohle, zu Hauptjtüden: 2 Salpeter zu 
1 Schwefel und 34 Kohle. — Nachdem die Dimenfionen und innere Einrichtung 
eineg Zeughauſes angegeben worden, zählt Verfafjer die Geſchütze auf, welde 
es aufzunehmen hat. Nämlid an Wurfzeug: 

2 Böller oder Mörjer auf Schlitten, um Feuerwerk zu werfen. 

4 Mörjer im Gefäß auf Achſen. 

2 Heinere auf Schlitten zum Feuermwerf. 

4 Dararen auf der Achſe im Gefäß, um Stein= oder Feuerkugeln zu werfen. 
Un Rohrgeihüp: 

2 Scharfmetzen, welche 95 bis 100 Pfund Eijen jchießen. 

2 halbe Scharfmegen (80 Pfd.) 8 halbe Notſchlangen (Singerinen) 


2 Doppelsftarthaunen (70 Pfd.) (20 Bd.) 

4 Karthaunen (50 Pfd.) 12 ganze Feldihlangen (15 fd.) 

2 halbe Karthaunen (40 Pfd.) 12 halbe Feldſchlangen (10 Pfd.) 

2 Quartier Slarthaunen 12 Quartierjhlangen (Fallonen) (5 Bid. 
(30—50 Bid.) 12 Faltonetlein (1—3 Pd.) 

4 Notſchlangeu (25 Bid.) 12 Falkonetl (1 Pd.) 


Endlich, 12 Igel, die man auf der Achſe jchießt, oder die man jonjt Karren: 
büchjen nennt, die etwa ain 9 Schuß tun oder mehr.“ Die Summa des Ge 
ſchützes macht mit den Igeln 161 Stüde; „doc nad) eines jeden Herrn Bermögen 
hierin feine Ordnung zu geben.“ — Im erjten Teile nennt der Verfaſſer aufer 
den hier aufgeführten Gefhügen noch: Parjcherlufg (40 Pfd.), Nachteral (45), 
Püfel (55), Aff (65) und Drommetterin oder Dararen (WM Pfd.). 


8 57. 

Noch etwas jünger als dies Werk iſt das „Schön vnd Khünſt 
lihe Bueh von der Pirenmatjterey Zum Ernit von? 
Schimpff”, zujammengetragen von Sebajtian Hälle. Eine Quart: 
handjchrift derjelben mit folorierten Abbildungen befindet fich in der 
Bibl. des FZM. v. Hauslab, welche jet dem Fürſten Liechtenjten 
zu Wien gehört, eine Foliohandjchrift mit jchiwarzen Federzeichnungen 
in der Bücherei des Berliner Zeughaufes (ms. 19). 

Hälle nennt in der Einleitung die Meijter, von denen er gelernt: 
jo von Hans Karle (Schneider!) lieft Schärle) von Ingoljtadt 1588 das Feuer: 
wert, von Bartolome Behem, gem. Büchfenmeijter auf Hohenfalzburg, 1595 des 


1) Vgl. Schneider: Die Bibliothet Sr. Erz. des FHM. von Hauslab. (Mitteilungen des 
t. f. Artillerie und Ingenieurfomiteed. 1866.) 


2 Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 649 


Pulvermaden, von Tobias Volckmar, Goldfhmied Mathematicus vnd Aſtro— 
nomus zu Braunſchweig, den Schuß aus dem Stückzeug und das Werfen aus 
den Mörſern, von Martin Händle von Nürnberg auf Veranlaſſung des Fürſt— 
bijchof8 Wolf Dietrih von Salzburg 1596 die Kunjt des Sprengwerts. — Auf 
dem Titel erflärt übrigens Hälle, daß der Inhalt „zum Guetten Thail durd) 
Mid Lrobiert worden“, und in der Tat trägt das Buch in vielen Dingen 
originef.e8 Gepräge. — Der Überjchrift folgen nachſtehende Verſe: 

Veracht nit mich vnd die Meinen, 

Beſchau vor dich vnd die Deinen ; 

Siehe dich an vnd nit mid); 

Thue ich vnrecht, So hiette did). 

Ih thue das Meinig, fouill mir Got die Gnad bejcheret; 
Sp thue ein anderer das Seinig, jo wirdt die Khunjt gemeret. — 
Was man will haben behenndt, 
So ſuch man Hinten im Regijter vnd an fein endt. 
Das Leptere ijt leider im Berliner Eremplare nicht möglich, weil die Ab— 
fchrift nicht ganz vollendet it. Am wichtigjten erjcheinen folgende Abjchnitte: 
Ale Stüd nad geometriihem Grund zu mefjen und abzuteilen. Die Pro- 

portionen der Stüd. Über Petarden, Minen, Schanzen, Sprengwerte, Spreng— 
und Hagelkugeln (darunter wieder einige [chrapnelartige), Sprenggeſchoſſe mit 
Perkujjionszündern, Handbomben, Granaten mit Tempierung. Bifier: 
injtrumente, Quadrate, Triangel. Unterricht zum Scieken. „Wendt = StidHl, 
auf allen Seiten gerecht, iſt 7 Schub lang, ſcheußt 1 Pd. Eifen, wird zu Feldt 
amt allermeijten gebraudt, zur Wagenburg gut und nüglich.“ (Kleiner Hinterlader 
mit einem hoch über die Lafete erhobenen Rohr und Vorrichtung zum Wenden 
nach allen Seiten.) Intereffante Richtmajchinen. Räderkonſtruktionen. Koſten— 
anſchläge. — Hälle braudt für jeine verjchiedenen jpringenden Feuerkugeln bereits 
den Ausdrud „Granadinen“ oder auch „Granaten“. — Vielleicht das Bemertens- 
mwertejte im ganzen Buche aber ijt die Konjtruftion eine® Zünders „auf Fall 
und Knall“, d. H. eines beim Aufjchlagen des Hohlgeſchoſſes wirffam werdenden 
Perkuſſionszünders. Zu dem Behufe war zwijchen zwei rauh gemadjte Stahl- 
jtäbe ein Feuerſtein geflemmt, durch deſſen Hineintreiben beim Auffhlag Funken 
erzeugt wurden, die den Sag entzünden follten. Da aud Zümermann dergleichen 
Zünder beſchreibt [S. 641], jo ſcheinen fie weit verbreitet gewejen zu jein. 


8 58. 


Gedrudte artilleriftiiche Werfe aus dem legten Viertel 
des 16. Ihdts. gibt es nicht viele, und ſie find von minderer Be— 
deutung als die metjten der erwähnten Handjchriften. Dies gilt na— 
mentlich von der 

„Büchjenmetiterey vnd Fewerwerderey“ des Chriſtoph 
Mann von Dantig auf der Weichjelmünde (Danzig 1578), jowte von 


650 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffenkunde. 


Kaſpar Bürgers „Unterricht, wieman auf Wällen vnd 
im Felde grob Gejhüß laden, richten und gewiß daraus 
ſchießen ſoll“. (Straßburg 1591.) 

Viel intereffanter it Frantz Joachim Bredtels „Büchſen 
meijterei, d. ti. furbe doc) eigentliche erklärung deren ding, jo einem 
Büchjenmeifter fürnemlich zu wifjen von nöthen“. (Nürnberg 1591.)') 

Schon Frank Joachims Bater, Stephan Brechtel, war aus einem Arith- 
meticus und Mathematicus in Leipzig Artillerift geworden. Denn „ala Anno 
47 die Statt belägert worden, zu welcher Zeit dann die Burger vnd Inwohner 
alle andern ſachen beyjeit3 geleget und der vorjtehenden gefahr mit rath vnd 
that abzuhelffen nachgedacht“, hat auch der Vater „in der Büchſenmeyſtereikunfſt 
jein ergepligheit gejucht, darzu er ſich dann dejto leichter bewegen lafien, weil er 
augenscheinlich vermerfet, daß die studia Mathematica, denen er ex professo 
ſich devovirt, jhme darzu nicht wenig behülfflich gewejen. Vber das hat jm audı 
jonderlihe Anreitzung geben die gar gemeine Kundſchafft etliher fürnemen 
Büchjfenmeijter, jo desjelbig mal in der Bejagung gelegen, und was er aljo mit 
Gelegenheit erfarn mögen, das hat er jehr fleiffig auffgezeichnet“. Ganz dasſelbe 
begegnete nun zu jener friegerifchen Zeit dem Sohne in den Niederlanden, und 
da er überdies aud) Anno 83 „die fürnehmjten Ungerijhen Grängheujer und 
Feſtungen befihtigt“, jo hat auch er „vilerley feiner jadhen erfaren und adnotirt“. 
Aus diejen Aufzeihnungen von Vater und Sohn, die aljo ganz dem Tages 
bedürfnis entjprangen, ift denn das Bud) entjtanden, das Frank Joahim immer 
in der Stille gehegt, indem er an das Spridwort gedadht: „Wer weiß wohin ſich 
einsmals dieſer lapp oder fled jchidet“. 

Das Buch it dem Herzoge Ludwig von Württemberg gewidmet. — 
Der Inhalt gliedert ſich in zwei Teilen wie folgt: 

Wolgemeinte Erinnerung, daß einem Fürſten zu befhügung land und leut 
ſich jederzeit mit allen notwendigen Kriegsrüftungen zu verjehen gebüre. Waä 
Perfonen das große Gejchüß zu verwalten übergeben werden jolle und was einem 
Büchjenmeijter zu willen jonderlih von nöthen. Wie eine Veſtung vordem und 
ehe jie beſchoſſen wird, befichtiget (recognosciert) werden joll. Wie das Läger 
und die Schang mit aller Bequemlichkeit zu machen jei. Benennung alles großen 
Geſchützes, auch wie ſchwer jedes eine Kugel führe (weicht wejentlih von Senfiten- 
berg ab; kennt z. B. wie der aus demjelben Jahre 1591 jtammende Münchener 
Cod. bav. 3113: 90-Pfünder: Trometer, 65-Pfünder, Aff, 55-Pfünder: Püffeh. 
Wie ein jedes Büchfenrohr rechtermaßen proportionirt fein jol. Wie jedes Kor, 
jo auf den Arten abgefchoffen wirdt, geladen werden fol. Gründlicher bericht, 
wie ein Bijirftab außgetheilt werden fol. Mit Cubictafel. Vngefehrliche Ber: 
zeihnus dei gewichts eines jedlihen Rors großes gejchüges, auch wie ſolches 
ohne Wag allein mit einer Schnur zu erkundigen. Inſtrumenta, dardurdh ein 





1) Das Buch jcheint jelten zu fein. Die Ausgabe von 1591 findet fi in der Bibliothek Hauslab, 
eine von 1598 im Berliner Zeughauſe (A. 34) und im German. Mujeum zu Nürnberg (Nr. 77833. 


2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 651 


jeglichs jtud Büchſen auf ein fürgenommen zil gewiß gerichtet werden joll. 
(3 Kapitel.) Auff waz weiß dei nachts gleich als bei hellem tag geſchoſſen wirdt. 
Welcher gejtallt ji) mit ladung der Büchſen zur Zeit da man ſich ſtürmens oder 
des überfalls bejorget, fürfichtiglich zuverhalten jey. (Hagelichüjfe, Glühende 
Kugeln). Vom Gebraud der Böller und Mörjer. 

Auf was weiß die ernitlihen unleſchlichen Feuerkugeln bereittet werden. 
Bon bereitung mehrerley heimlichen leg- fleb=- und zündfeuern. Wie einer dem 
andern durch verborgene Schriften zujchreiben mag (Chiffrierkunſt). Auf was 
weis die Belegerten den Sturm dejto leichter abtreiben mögen. (Sturmfrüglein, 
Blendfugeln, Feuerfolben u. j. w.) Zündtjtrid. Schwamm. VBerborgen Teuer. 
Feuerfugeln. Steigende Käjten, jo man auch Dracheten oder Rageten nennt. 
Faßnadtröhrlein. 

Bredteld Brandſatz beiteht aus Mehlpulver, Salpeter und Schwefel mit 
Leinöl gefnetet. Brandfugeln werden in Pech getaucht und mit einer Ladung 
pon Yıs ihrer eigenen Schwere gejchojien. Legfeuer find Brandjäge in Säden, 
die man mit abgemefjener Lunte hinlegt. Zündfugeln aus Salpeter, Schwefel 
und SKolophon werden mit dem Blasrohr brennend in Magazine oder bdergl. 
gejchofien. Blendfugeln zum Berhüllen Haben ſtark rauchenden Sap. Bei den 
Raketen erwähnt Brechtel die Bohrung nicht. Crepirt die Rakete, jo war das 
gewürgte Zündlod zu Hein, bleibt jie auf dem Nagel, jo war es zu weit. 

Auffallend viel it von Kammergejhügen die Rede. Die Größe der 
Kammern von Hauptjtüden ijt derart berechnet, daß auf 1 Bid. Pulver 4 Pb. 
Ztein fommen. Zu enge Kammern jhwäcen den Schuß, zu weite fprengen das 
Rohr. Für Steingefchoije find fie am beiten 1Ya Kaliber lang und *%/s breit, für 
eiferne 3 8. lang, %4 breit. Wird die Kammer nicht voll, jo muß ein längerer 
Holzpfropf hinein; vor die Kugel fommt ein fejtgejtampfter Heukranz. Das Laden 
der Kammergejhüge iſt jchwierig und darum nimmt ihr Gebrauch jehr ab. 

Die Nugelgröße prüft man mit der Lere. Groblörnige Steine find zu 
feicht, eijerne Kugeln oft wegen Gallen nicht vollwidhtig. Brechtel kennt 
Dagel von Kiejeln in Süden oder Weidentörben. Gegen trodenes Holz wendet 
er glübende Kugeln an, gegen Truppen nur !'s der Qadung wie gegen 
Mauerwerk. Die angeführten Entfernungen find gering (400—600 Schritt). Der 
Viſierſchuß aller Gejhiüge (mit Ausnahme der Schlangen) ergibt 300 Schritt. 
Bei Regen oder Dunkelheit, jowie über Tal und Wajjer hinweg muß immer für 
100 Scritt höher gerichtet werden. 

Brechtels Buch) ijt in feiner Art eine tüchtige Leiftung. Sein Grundfag it: 
Wer Frieden will, muß friegsjtarf ſein: 

Wer d' katz jo ſchwach gleich wie die maus 
Sp wer gar bald ir feindjchafft aus; 

Ya hätt die maus der katzen größ, 

Die Kap wer g’wiß nit halb jo böß. 


In demjelben Jahre, in welchem Brechteld Bud zu Nürnberg 
herausgegeben wurde, 1591, erjchien es u. d. T. „De Eonjte van 


652 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffenfunde. 


Busjchieten“ in niederdeuticher Sprache auch zu Amjterdam und er: 
lebte in diejer Gejtalt dort noch 3 Auflagen (1594, 1605 und 1625)", 
Erwähnt jei endlich noch eine mir nicht zugänglich geworden: 
niederländische Arbeit: Der Bujjen Meejterye... an allerhande 
geichut te jchieten ende van jalpeter poeyer ende alderhande vyerwerd: 
jonderlich te bereyden. (Amjterdam 1593.) 
S 59. 

Neben jo lebensfriichen und bedeutjamen Arbeiten jchleppen jid 
in Abjchrift und Drud völlig veraltete Nachzügler dahin, die 
einen faſt Eomijchen Eindrud machen. Zu den Manujfripten Diejer 
Art gehört „Die Kunst der löblichen freyen Büchjenmaijterey‘ 
zu Darmjtadt (ms. no. 254), welche i. 3. 1592 „angefangen“ iſt umd 
Doch noch mit der von „Irer fayj. may. Friedrich III.“ verliehenen 
Freiheit beginnt und tief in längjt überwundenen Anjchauungen jtedt. — 
Dahin gehört ferner ein Sammelcoder in Berlin (Kal. Bibl. ms. 
germ. qu. 128), der das alte Feuerwerksbuch des 15. Ihdts. zei 
mal enthält, einmal in einer Kopie vom Anfange und dann in einer 
vom Ende des 16. Ihdts. Daneben laufen flott mit der Jeder hin 
geworfene Gejchüßzeichnungen und einige Einjchübe, u. a.: „Ein qute 
lehre Reims Weije, darin viel guter Rahts ift, lehret Cato.“ — Aud 
das Kunjtbuch von allerley Fewerwerd durd Joh. Fauft Röhre, 
Maiſter in Nürnberg, approbirt 1593 (hrzgl. Bibl. Gotha. 747), 
wimmelt von Anachronismen, hat mdeljen doch Intereffe wegen der 
jorgfältigen Behandlung, die es den Schlagröhren zuteil werden läßt. — 
Als die ſeltſamſte archaiftische Erjcheinung aber ftellt jich dar: „Ein 
fürtrefflih Künſtbuch aus vielen hHaimlichen allten ge 
Ihriebnen Büchern diejer Kunft... und viel langwierig Er 
fahrenhait vieler feldtzüg mit guttem fleiß, mühe vnd often ver: 
ſucht.“ (Wiener Hofbibl. no. 10855.) 

Das Werk zerfällt in zwei Teile. — Der erjte nennt fih „Befhreibung 
oder Abjhrift eines vhralten kunſtbuechs“. Es handelt „Bon den 
Beraittungen der verborgnen vnd Fünftlichen feiierwerdhen“ (der wejentliche In— 
halt des alten Feuerwerksbuches). Wie mit dem Uuadranten zu handeln. Bon 
dem großen Gejhüg mit feiner Aufjegung. Bon des Mörjerd rechte Werffung 
vnd deſſen Triangelaufſatz. Vom Sciehen der glüenden Kugel. Vom Werffen de 
Fußeiſen (die auch vergiftet werden können). Vom Hagelſchießen. Wie man 





I) Diefen Ausgaben ift Jan Smidlaps „Onderwiijd van Vyer⸗Wercken“ angehängt [8 48 


2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 653 


aus einer Handtbüchſen oder Schlangen 3 Schuh nacheinander tut. Bon Ragfeten 
ond Fürpfeill. Bon fürigen Traden. Legfeuer. Irden Geſchir. Eyſenkugelln 
mit eyſen Schlegen. Sprengfäffer und Sprengthruen. Feuerkugeln mit Schlegen. 

Der zweite Teil führt dad Motto: 

„Dies Buech hab ich mir auserwölt 
Vnd zallt mihrs niemandt vmb fhanir geldt; 
Dan es foll vnd mueß mein jchag fein, 
Dieweil ic) hab das leben mein“. 

Diejer Teil beginnt wieder mit Bruchjtüden des alten Feuerwerksbuches 
(Bulvererfindung, 12 Fragen u. ſ. w.), trägt dann die Kunſt des „Abjehens“ 
(Sielens) vor, lehrt die Büchjenthailung und dad Mefien und Laden. Auc in 
diefen Dingen herrſcht ein merkwürdig altertümliher Ton vor: „Es thuet ain 
Maijter ainen frag, in weldjer maß ain püchſen fein muß, die am allerweittejten 
iheuft . .. Ein Püchs, die ain Venediger Centner jcheujt, die geht am weittejten“ 
u. ſ. w. Auch das Schießen von Stangen und Feuerpfeilen wird noch erwähnt ; 
uralte Figuren vom Ausgange des 15. Ihdts. findet man reproduziert, jo dab es 
fajt den Anſchein hat, ala ob hier bereits ein archäologiſches Intereſſe vorjchlüge. 
Denn obgleid) die den Schluß des Werkes bildende Sammlung hiſtoriſch-militäriſcher 
Daten, die mit der Schlacht bei Reutling beginnt, nur bis zum württembergijchen 
Aufruhr 1514 geführt iſt, jo iſt doch das Wert felbjt vor dem Beginne des 
zweiten Teild von 1595 datiert. Es jcheint Schwäbischen Urſprungs zu jein. 

Auch das legte deutjche gedruckte Artilleriebuch des Jahrhunderts 
it ein jeltjamer Anachronismus. Die bei Egenolff Erben 1597 zu 
Frankfurt herausgegebene „Büchſenmeiſterey“ enthält nämlich auch 
das alte Feuerwerfsbuch der Vorzeit, das mit den 12 Fragſtück be 
ginnt; dann folgt die Abhandlung aus dem Kriegsbuch von 1526 
„Ein jeder großer und gewaltiger Feldtzug hat gewohnlich dreterley 
Regiment . . .“ und den Beichluß machen die „gemeynen jtreitäregeln“ 
des Vegetius!). Die Eriftenz dieſes Buches beweiit, wie fern das 
große Publikum der zunftmäßig abgejchlojfenen Wiſſenſchaft jtand; 
denn nur jo erklärt es jich, daß man noch auf Leſer ſolcher abgejtan- 
denen Weisheit hoffte. 


8 60. 


Arm it die artillerijtijche Literatur der Franzoſen 
im 16. Ihdt. Kein Volk Europas hat die Artillerie jo früh und 
bewußt als eine der „drei Waffen“ aufgefaßt wie das franzöfiiche, 
feines hat fie jo früh, jo ſachgemäß und erfolgreich dem Heeres— 
organismus eingereiht wie eben die Franzoſen unter Charles VIIL., 





') Das feltene Bud findet fih im German, Mufeum zu Nürnberg (Nr. 7920). 


654 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffenfunde. 


Louis XI. und Frangois I.; merfwürdigerwerie aber fehlt Diesen 
Leijtungen die Wiederjpiegelung und Begründung in der wiljenjchaft: 
fichen Literatur. Es it bezeichnend, daß die einzigen Schriftdenfmal: 
artilleritiichen Inhalts aus der eriten Hälfte des Jahrhunderts, 
Abra's de Raconis Traicte de l’artillerie und Jean d’Eiftrees 
Memoire de lartillerie, welcje beide in den vierziger Jahren ent- 
Itanden'), einen durchaus amtlichen Stempel tragen und auf das be 
jtimmtejte diejenige Richtung zur Geltung bringen, durch welche die 
Franzoſen für das Geſchützweſen epochemachend wurden: Verein 
fachung und feiteRegelung des Materials. Marquis dD’Eitrees 
bringt das berühmte Syſtem der six calibres de France zur deut- 
lichten Daritellung. Die ſechs Kaliber jind: 


Canon 33—34-Rfdr. Coulevrine moyenne 2-Fibr. 
Grande couleuvrine 15-Pfdr. Faucon 1:Pfdr. 
Coulevrine bätarde 7-Pfdr. Fauconneau !/s-Rfdr. 


Die erſten vier Kaliber wurden von je 21,17, 11 bzgl. 4 Pferden gezogen. 

In demjelben Sinne iſt der gleichfalld ungedrudte Discours 
des fgl. Artilleriesflommifjars La Treille gehalten (1567) !). — Mehr 
wiijenjchaftlichen Charakter hat diejenige Behandlung der Artillerie, 
welche ihr Blaije de Digenere im 38. Kapitel jener Paraphraſe 
von Onejanders Feldherrnkunſt zuteil werden ließ [S. 451'. 
Aber auch hier ist doch die Hauptjache ein methodiſches Bild der gejamten 
Organijation des Gejchügmwejens Frankreichs von der Regierung 
Henris II. bis zu der von Henri IV.?) — lm jo wunderbarer be 
rührt e8, daß die einzige Arbeit eines Franzoſen über Artillerie, 
welche im 16. Ihdt. gedruct wurde und wenige Jahre jpäter jogar 
einen Berdeutjcher fand, ein völlig anderes Gejicht als die bisher 
erwähnten Arbeiten zeigt: des Yothringers Joſef Boillot: »Modeles 
artifices de feu et divers instruments de guerre av« 
les moyens de s’en prevaloir pour assieger, batire, surprendre 
et defendre toutes places«. (Chaumont 1598.) 


1) Die Manujffripte diefer Arbeiten befinden ſich in der franzöſiſchen Nationalbibl. (Fonds 
francais 20007, 651, 16691). Näheres über biejelben findet. fih in Louis Napoleons, bagl. Fun 
Wert sur le passe et l’avenir de l’artillerie. 

2) Das Buch erihien erft nach dem Tode des Verfafierd zu Paris i. 3. 1605 und ift dem be 
maligen Großmeifter der Artillerie, Mag de Bethune, Herzog von Cully, gewidmet. (Erempflar im 
Depöt de la guerre zu Paris A. Ia. 13.) Gin beionderer Abdrud des Artillerietraftate® Fam untr 
dem Titel: De l’artillerie au XVI siecle i. 3. 1829 zu Paris heraus. (Ebd. A. J. f. 86, m) 
im Befit des Berfaflers.) 


2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 655 


Boillot war 1560 zu Langres geboren. Seiner mutigen Energie gelang 
e3, jeine VBaterjtadt in Gehorſam gegen Henri IV. zu erhalten, und zum Dant 
dafür ernannte der König ihn zum Garde du magasin des salp&tres et poudres 
&etabli à Langres. Die Haupttätigfeit de8 Mannes lag nad) der Seite der 
Ardhiteftur und der Naturkunde, und das tritt auch unverfennbar in feinem 
militärifhen Werte hervor. Dies erlebte 1602 eine neue Auflage, und i. %. 1603 
widmete Hermann von Loy zu Straßburg eine dritte Auflage mit den 
Driginalzeihnungen und einer volljtändigen Verdeutſchung, „Künjtliches 
Feuerwerk überfegt von Brantzius“, dem Pfalzgrafen Johann!). Er charakterisiert 
das Werf mit folgenden Worten: „Gott der Allmächtige, der die feinen aud in 
höchſter gefahr zu jchügen weiß, hat denjelben vaſt allezeit Mittel an die hand 
geben, durdy welche fie boßhafftigen Anjchlägen vnd vorhaben abmwehren vnd 
contrariis malis begegnen oder, wie man prouerbialiter jagt, artem arte de- 
ludirn fünnen. Denn was in Niderland, Frandreid) vnd anderßwo wenig Jar 
bero durch wunderliche Practiden, Minen, Petard u. dgl. verichtet worden, ijt 
fundbar vnd am tag. Sonderlich werden vns aud in diefem tractatu (jo furk 
verudter Zeit an jeßo regierende Königl. May. in Franckreich, Henricurn IIII, 
zugejchrieben, von dero auch jehr werth gehalten) treffliche, jchöne, newe Fewr— 
werd vnd Kriegs Inſtrumenta neben vilen andern Gubtiliteten vnd Künjten in 
allerhand Nothfällen tam in defensionibus quam offensionibus et expugna- 
tionibus munitissimorum quantumuis locorum furchtbarlidy zu gebrauchen 
praefigurirt vnd vorgeftellt“. — In der Tat ift der Inhalt diefes Wertes ganz 
anders geartet al® der der übrigen gleichzeitigen Artilleriebücher. Schlägt man 
es auf, jo glaubt man im erjten Augenblide, einen Traftat des 15. Ihdts., etwa 
im Stile des VBalturius, vor fi) zu jehen; denn die Menge der alten Kriegs: 
inftrumente, welche Boillot in zart geäßten Nadierungen darftellt, fcheint einer 
entlegenen Vorzeit anzugehören. Fehlen doch jogar die fahrbaren Armbruite 
nicht! Und wie weit greift der Autor aus! Als erjte Kriegsinjtrumente 
bejchreibt er und ftellt er bildlich dar: das Auge, den Mund, die Zunge, die 
Hand! Doch wie hochmodern mutet es wieder an, wenn er bon diejen ange- 
borenen Werkzeugen, ganz im Sinne von Kappe „Philofophie der Technik“ 
Braunſchweig 1877), zu Hebel, Schraube, Maßſtab, ald den Erweiterungen und 
Bervolltommnungen der Gliedmaßen übergeht. Allerdings, feine Neigung, die 
Kriegsmaſchinen der Alten für moderne Artilleriezwede zu aptieren, geht oft zu 
weit. Immerhin mögen bei der notorijchen Bedeutung, welche die damaligen 
„stapen“, d. 5. die batterientragenden Überhöhungsbauten, mehrfach während des 
niederländifhen Befreiungsfriegs gewonnen haben, mancde von Boillots hele- 
polenartigen Konjtruftionen wohl praftijche Verwendung gefunden haben. Was 
von all diejen Inſtrumenten Erfindung des Verfaſſers ift, läßt fid) übrigens um 
jo weniger fejtitellen, al8 er aud) von längjt bekannten Dingen in einem Tone 
redet, als trage er etwas noch nie Dagewejened vor. Das gilt 3. B. von Richt: 
maſchinen, von Leitereinrihtungen u. dgl. m. 


1) Bibl. des Zeughauſes in Berlin (A. 421). 


656 Das XVI. Jahrhundert. U. Waffenfunde. 


Intereſſanter iſt aber noch der pyrotedhnijdhe Teil. Auf der Radierung, 
welche Berthold Schwarz darjtellt, wie er die Bejtandteile des Pulvers abmieat, 
jteht der Teufel jegnend hinter ihm. Die Salpeterbereitung bejpridt Boillot als 
befonder8 berufener Fachmann begreiflicherweije eingehend. Der Salpeter wird 
mit Alaun gejhäumt und dreimal geläutert!). Der Schwefel wird aus Kieſen 
jublimirt. Zur Kohle nimmt man ſchwarze Sumpfweide oder Hajelholz; Nuß 
eignet jih nur für grobes Pulver. Das bejte Pulver beiteht aus °/s Salpeter, 
!s Schwefel, Ys Kohle. Hauptſache bei der Herjtellung iſt das gute Zerkleinern 
der Bejtandteile. Die Bereitung gejchieht in Stampfmühlen. Für grobes Geſchütz 
förnt man erbjengroß, für fleine Kaliber linjengroß. 

Boillot verwirft die frühere Verwirrung der vielen Geſchützarten, tadelt 
übermäßige Rohrlängen. Die NRadierung, welche feine ſechs Kaliber daritellt, 
zeigt die Rohre zwijchen Bodenjtüd und Kopf ohne riefen. Metallitärfe und 
Stellung der Schildzapfen bejtimmt der Gieher je nad) der Güte ded Materials. 
Das Zündloch bedarf eines Stahljtollensd. — Bon Geſchoſſen beihreibt Boillot 
u. a. Ketten- und Hohlkugeln. Unter den legteren finden ſich ſolche, die aus 
zwei Halbkugeln bejtehen, welche jich außerhalb des Geſchützes öffnen und dann 
die Meinen Gijenfugeln (dets, perdreaux), mit denen jie gefüllt jind, ftreuen: 
aljo eine Art Granatkartätſchen [S. 641). — Jedes Geſchütz wird von zwei Mann 
bedient. Wijher und Anjapfolben befinden fih an einer Stange. Wit 
Kartuſchen jchießt man dreimal jo jchnell ald wenn man ſich des Lademaßes be 
dient. — Eingehend behandelt der Berfafler die Betarden, melde jeit Kurzem 
in Gebrauch gefommen. Er kennt deren von 5 bis 50 Bid. Pulver in 20 bis 
200 Pid. Metall. Das dazu verwendete Bulver muß fein geförnt jein und min 
in einzölligen Yagen mit eijernem Stempel fejtgedrüdt und mit Wachs über: 
goſſen. — Sonderbar jind Boillots Anweijungen, die Tore gegen Retardienung 
und Überfall zu fihern. Er bringt zu dem Ende nämlid eine Art Fuchs= oder 
Mardereijen an, welches die ganze Breite des Tores deden und den feindlichen 
Petardier fejthalten oder in den Graben jtürzen joll. — Übrigens will Boillot 
die Petarde aud) im Graben anwenden, um bier Breche zu legen. Endlich 
empfiehlt er Handgranaten von jprödem Glodenmetalle. 


8 61. 


Auch die italienische Artillerieliteratur der zweiten Hälfte 
des Jahrhunderts iſt minder reich als die deutjche. Aus den jechsziger 
Jahren verdienen die Avvertimenti et essamini Des Forti— 
jifators Cataneo [$ 118] und die Precetti della milizia Ruscellis 
Erwähnung, jene, weil fie offenbar ganz unter deutjchem Einfluſſe 
jtehen, dieje, weil fie die Grundlage eines i. 3. 1620 in Deutjchland 
erichienenen Kriegs- und Artillertebuches wurden, von dem noch zu 
reden jein wird. [$ 107 und XVIIa. $ 46.) — Sehr bedeutend iſt der 


ı Näheres vol. bei Favé a. a. O. III, p. 29. 


2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 657 


artillerijtiiche Teil von Mardhis Architettura militare (das 
4. Bud). Er zeichnet jich durch den emergiichen joldattichen Geiſt 
aus, welcher aus den niederländischen Kämpfen mit ihren großen 
Belagerungsfämpfen herüberweht; denn dieje hat Francesco de Marchi 
mitgemacht. Während bei den meijten zeitgenöjjischen Arbeiten, na— 
mentlich denen der Deutjchen, die in einem nur allzu faulen Frieden 
Dahinlebten, der Lejer Jic) wie in die Wände eines Zeughaufes oder 
eines Laboratoriums eingejchlofjen fühlt, öffnet jich bei Marchi der 
große weltgejchichtliche Gefichtsfreis. Doc kann auf dies fremde 
nicht verdeutjchte Werf hier nicht näher eingegangen werden. !) 

Nur dies jei erwähnt, daß Marchi die Artillerie in „Lünigliche“ (reale) und 
„nicht königliche“ einteilt. Jene umfaßt die Gefhüge vom Adtpfünder aufwärts, 
diefe die geringeren Kaliber. An dieje Unterſcheidung haben fid in der Folge 
aud auf dem Gebiete der Befeſtigungskunſt gewiſſe technifche Ausdrüde ange- 
müpft, um derentwillen jie wichtig geworden ijt. 

Im Laufe der jiebziger Jahre erichtenen zwei nennenswerte furz- 
gefaßte Xehrbücher: die Sceltidocumentilllarzaris (Bicenza 1579) 
und die Inventioni von Macht da Reggio (Parma 1579). — 
Das legte Jahrzehnt des Jahrhunderts bringt Romanos Proteo 
militare (Neapel 1591), ein Werk vorwiegend mathematischen 
Charakters wie das des W. Neff S. 603], dann Gentilinis und 
Schiavinas Instruttione de’ bombardiere für die Unter— 
richtszwecke der venetianischen Gejchügjchule (Venedig 1592), Cornaros 
Dialogo (Ambrojiana @. 123), welcher ungewöhnlicherweije einmal 
eingehend von den Handfeuerwaffen handelt?) und endlich die Corona 
et palma militare de artiglieria von Lapobianco (Be- 
nedig 1598), welche eine vorzügliche Überficht des gejamten italienijchen 
Artilleriewejens zu Ende des Jahrhunderts gewährt und in Bezug 
auf die Balliſtik viele Beziehungspunfte zu Vogels Werke S. 627), 
jowie die jehr intereſſante Konjtruftion eines Dijtanzmefjers darbietet. 


8 02. 


Wenngleich die Spanier ihre glänzenden Erfolge auf den 
Schlachtfeldern des 16. Ihdts. vorzüglich ihren gewandten degen— 
1) Bol. übrigen? Toll: Marchi als Artillerift. (Archiv für Artillerie und Ingenieur-T ffiziere 
54. Bd. (Berlin 1863.) 

2) Bol. Benturi: Vom Urſprung und den erften Fortichritten des Geſchütßzweſens. Deutich 
von Röblih. (Berlin 1822.) 


Jähns, Geidichte der Kriegswiſſenſchaften. 42 


658 Das XVI. Jahrhundert. IL, Waffentunde. 


führenden Rundjchtildnern und den Handjchügen verdanften, nicht dem 
Geſchütz, jo bleibt es doch merkwürdig, wie außerordentlich jpät bei 
ihnen die artilleriitijche Literatur anhebt. Als »primer nacional: 
der ſpaniſchen Artilleriejchriftiteller gilt Don Diego de Alaba y Dia- 
mont !), .dejjen Schrift »El perfeto Capitan y la nueua 
ciencia dela Artilleria i. 3. 1590 zu Madrid erichten. Indes 
auch der artilleriftiiche Teil diejes Werkes tjt lediglich eine Bearbeitung 
der betreffenden Abjchnitte aus della Valles und Tartaglias Schriften, 
fein Original. — Bedeutend und jelbjtändig dagegen it des Luis 
Collado Plätica manualdeArtilleria, welche zuerit i. J. 1586 
zu Venedig in italienischer*), dann vollitändiger in ſpaniſcher Sprade 
1592 zu Mailand erjchien, leider aber nicht verdeutjcht wurde. Bon 
bejonderem Interejje jind Collados Mitteilungen über die von Katier 
Karl V. zu Burgos begründete Artilleriejchule. 

Erwägt man den Einfluß der nichtdeutjchen Artillerieliteratur 
des Jahrhunderts auf die deutſche Wiſſenſchaft, jo jtellt derſelbe ſich 
al3 überaus gering heraus; eigentlich fommt da nur ein einziger 
Schriftjteller in Betracht: Tartaglia. 


3. Gruppe. 
Die Handwaflen. 
8 63. 

Wie im 15., jo jehweigt auch im 16. Ihdt. die wifjenjchaftliche 
Literatur fajt ganz über die Dandfeuerwaften. Man tit Hinfichtlic 
derjelben auf Darjtellungen gleichzeitiger Künftler, auf ſummariſche 
Erwähnungen in den Zeughausbejtänden, auf gelegentliche hiſtoriſche, 
namentlich chronifaltiche Nachrichten und endlich auf die überbliebenen 
Waffen jelbjt angewiejen. Dieje aber jind oft ungemein jchwierig zu 
datieren, wie das aus dem die Handfeuerwaffen betreffenden Kapitel 
in Ejjenweins „Quellen zur Gejchichte der Feuerwaffen“ deutlich 
hervorgeht. Die nachjtehende Überſicht folgt daher vorzugsweiie 
den Angaben eines ausgezeichneten Kenners, des jächjiichen Oberſten 
Thierbach, in dejjen Werf „Die gejchichtliche Entwidelung der Hand: 





ı) De los Rios: Discurso sobre los illustres autores y inventores de Artilleria en 
Espana (Mabrib 1767). 
2) Bibl. des Berliner Zeughauies (B. 445). 


3. Die Handwaffen. 659 


Teuerwaffen“ (Dresden 1886) die näheren technijchen Einzelheiten, auf 
roelche hier nicht eingegangen werden kann, nachzujchlagen jind.') 

Die herrichende Handfeuerwaffe zu Anfang des 16. Ihdts. war 
Der „Daten“, d. h. das gewöhnliche Luntenſchloßgewehr [©. 415). 
Wahrſcheinlich war indefjen um die Wende des 15. und 16. Ihdts. 
bereits das Luntenſchnappſchloß erfunden. 

Bei diefem wird der Yuntenhahn nicht wie bisher durd einen jteten Drud 
auf den Abzug nad der Pfanne geführt, fondern Happt nad) dem Spannen mit 
einem Sclage nieder. Zu dem Ende jtüßte den verlängerten Fuß des Hahnes eine 
gewöhnlich außen angebradte Stangenfeder, welche beim Abdrüden gehoben wurde 
und darn den Hahn frei ließ. — Die meijten Luntenſchnappſchlöſſer waren zugleid) 
Schwammſchlöſſer, d. h. nicht die Lunte wurde in einen Schlig des Hahnes 
gellemmt, jondern diefer war an feinem Kopfe mit einer Meinen Röhre verjehen, 
in welcher ein Stückchen Schwamm ſteckte, das unmittelbar vor dem Abfeuern 
eingeführt und mit der Lunte entziindet wurde. Dabei fiel dag Abflopfen der 
Aſche von der eingefniffenen Yunte fort, was die Bedienung erleichterte. 


Gegenüber den Feuerwaffen hatte man bejtändig die Nüjtungen 
verjtärft, damit wenigjtens Bruſt- und Rückenharniſch, ſowie der Helm 
Ichußfrer wären. Infolge davon gingengdie Schügen bald zu größeren 
Kalibern über. Zuerſt war es Alba, der an Stelle der Arfebuje oder 
„halben Hafens“ [S. 415], i. 3. 1521 den „ganzen Hafen“ unter 
dem Namen der Musfete?) einführte. 

Sie wog 15 bis 20 Pfund und jchoß vierlöthige Kugeln big auf 300 Schritt. 
Ihr Gewicht gejtattete den freihändigen Anjchlag nicht, und daher führte der 
Musketier eine Gabel mit, auf welche er beim Feuern den vorderen Teil der 
Waffe jtügte, während er die Schulter durch ein Kiffen gegen den Rüdjtoß ſicherte. 

Die Erfolge diefer Waffe forderten zur Nachahmung heraus, 
und bald wurde in ganz Europa die Ausleje der Schügen mit Mus: 
feten bewaffnet. 

Ihre Einführung führt zugleich, u. zw. auch bei den leichteren Hafen, eine 
wenn aud) geringe Abjenfung des Kolbens herbei, welde das Zielen wejentlid) 
erleichterte. Eine eigentliche Dünnung aber hatten alle diefe Gewehre nod) nicht; 


vielmehr lag an deren Stelle nur eine Ausrundung für den Daumen der vechten 
Hand, um diejer eine feite Haltung beim Abdrüden zu jichern. 





1) Bol. auch Schön: Geſchichte der Handfeuerwarfen (Dresden 1858). 

2) Muschettae, d. h. Feine) Sperber, nannte man im Mittelalter die jchweren Bolzen ber 
größten Armbruftarten ; von ihnen wurde der Name auf bie jchweren Geſchoſſe der großen Hafen und 
demnächſt auf die Waffe jelbit übertragen, wie ja auch ſonſt Schußwaffen nad Jagbvögeln benannt 
find: die Nachtigall, die Falfaune vom Falk, das Terzerol vom Tercel (mtlt. tertiolus), einer Meinen 
Fallenart u. j. m. 


42* 


660 Das XVI Jahrhundert. II. Waffentunde. 


Der Wunſch, die Hinderliche Lunte entbehren zu fünnen, war 
frühzeitig vege; er iſt jehr begreiflich und ebenjo, daß man bei den 
Berjuchen, jie zu erjegen, zumächjt an die üblichen Feuerzeuge dachte. 

Am gangbarjten waren damals die Reibfeuerzeuge, und in der Tat findet 
fi) eine jehr altertümlihe Kurzwaffe im Dresdener bijtoriihen Muſeum, die jog. 
Mönchsbüchſe, unmittelbar mit einem jolhen Feuerzeuge, d. h. mit einem 
Schwefeltiesitüd und einer daran jtreihenden, Funken erzeugenden Feile, verjeben. 
Es lag nahe, dieje Feile, der vermehrten Reibungsflähe wegen, bogenförmia, 
halbmondförmig, endlich vadförmig zu geitalten (und es jind Waffen erhalten, 
weiche dieje Entwidelungsjtufen zeigen). Al® man nun zur Kreisfeile vorge— 
jchritten, ging man dazu über, dies Rad in jelbittätige, jchnelle Bewegung zu 
jegen, um auf diefe Weife Funken zu erzeugen und in die Pfanne zu werfen. 

So entjtand das Radſchloß, bei dem die Welle eines jtählernen 
drehbaren Nädchens mit gereifter oder gezahnter Beripherie im Innern 
des Schlofjes durch eine Kette mit einer jtarfen Schlagfeder in Ber: 
bindung gejegt war, welche durch Aufziehen des Nades mittels eines 
Sclüjjels gejpannt wurde. Vorwärts der Pfanne befand ſich ein 
auf starker Feder beweglicher Hahn, welcher ein Stüd Pyrit (Schwefel: 
fies) hielt. Hatte man das Rad aufgezogen, den Bfannendedel zurüd- 
gejchoben und den Hahn auf das Rad gebracht, jo löjte ein Drud 
am Abzuge eine Stange aus dem Nade, das nun, durch die aus 
jchnellende Feder Fräftig um jene Achje gedreht, ſich am Schwefel— 
fieje rieb und dadurch Funken erzeugte, die das Pulver auf der Pfanne 
entzündeten. — Offenbar iſt das Rad- oder Feuerſchloß eine Deutjche 
Erfindung und verdient daher auch den zuweilen dafür gebrauchten 
Namen „deutiches Schloß“. 

Guler dv. Weined jagt in feiner »Raetia« (Züridy 1616, S. 162): „Tie 
fünjtlichen fewrichloß jeynd Anno 1517 zu Augsburg vnd Nürnberg aufflommen.” 
— Wagenjeil citiert in feiner De civitate Norimbergensi commentatio (Alt- 
dorf 1697, S. 150), eine ungedrudte, von ihm nicht datierte Nürnberger Chronit, 
in der es heißt: „Die zu den Schiehröhren gehörigen Feuerſchlöſſer jind erjt 1517 
zu Nürnberg erfunden worden.“ — Um die Berbefierung des Radſchloſſes machten 
jih die beiden Nürnberger Büchſenmacher Georg Kühfuß und Kajpar Red 
nagel bejonders verdient, und vielleicht jtammt von erjterem der vulgäre Aus— 
drud „Kuhfuß“ für Nommißgewehr, wie man heutzutage furzweg von „Ehaflepor“ 
oder „Mauſer“ redet und nicht die Erfinder, jondern die Waffen meint. Zum 
Radſchloßgewehr gehörten als jog. „Stleinzeug“ der Spanner ESchlüſſel), der 
Krätzer mit Kugelzieher, das Wiſcheiſen und ein zinnernes Olfläſchchen. 

Die Radſchloßgewehre hatten große Vorzüge vor den alten Haken; 
denn ſie machten die immer glimmend zu erhaltende Lunte überflüſſig, 


3. Die Handwaffen. 661 


funftionterten auch bei Negenmetter und gewährten eine rubhigere, 
jicherere Entzimdung. Leßterer Vorzug ging indes jchon nach wenigen, 
ichnell hintereinander getanen Schüjjen verloren, da das Rad wegen 
jeiner unmittelbaren Berührung mit dem Zündpulver bald verjchwandete 
und dann den Dienjt verjagte. Überdies gejtattete der Spannungs: 
modus nur ein langjames Feuer und der Schwefelkies nutzte Sich 
raſch ab. Nicht jelten gab man daher den Gewehren neben dem 
Radſchloſſe auch noch ein Luntenjchloß. Aus diefen Gründen, jorvie 
wegen der Eojtjpieligen und komplizierten Einrichtung, welche jtet3 gut 
in Ol gehalten werden mußte, fand das Radſchloßgewehr niemals 
allgemeine Anwendung; jein Bereich blieb Deutjchland, und auch hier 
war er beſchränkt: abgejehen von Jägern und Scheibenjchügen, ward das 
Radſchloß nur von der Neiterei in umfafjenden Gebrauch genommen. 

Für diefe machte allerdings die neue Waffe Epoche. Die brennende Lunte, 
welche bis dahin der Reiter mit den Zügeln in der Linken führen mußte, hatte 
ihn natürlid) auf das peinlichjte behelligt. Jetzt konnte er bequem ein feuer- 
ichlagendes Kurzgewehr, ein Petrinal, einen Karabiner oder ein Pijtol braucen, 
und dieſe Gewehre wurden daher jeit den jchmalfaldifhen Kriegen die Haupt— 
und Lieblingswaffe der „deutjchen Reiter“, der „Ringerpferde“. 8 94.] 

Wie den Deutichen das NReibfeuerzeug Anlaß zur Erfindung des 
Radſchloſſes, jo wurde das Schlagfeuerzeug den Spuniern der Aus- 
gangspunft zur Herjtellung des Steinjchnappichlojjes, die jeden: 
falls auch noch in die erjte Hälfte des Ihdts. fällt. 

Die urſprüngliche Konjtruftion entjpricht, was die Bewegung des Hahnes 
und der Stange betrifft, vollitändig dem Luntenjchnappichlofie. Aber der Hahn 
hielt nunmehr einen Stein fejt; die Schlagfeder war verjtärtt, um dem nieder: 
ichlagenden Hahne mehr Kraft zu geben, und diefem gegenüber war eine raube 
Schlagfläche angebradt, auf die der Stein ſchlug und Funken erzeugte, welche in 
die entjprehend angebradte Pfanne fielen. Spätere Berbefjferungen bejtanden 
dann in der Vereinigung von Pfannendedel und Schlagflähenteil zu einem 
Stüde, der „Batterie“ (ca. 1580) und der Einridhtung einer zweiten Raft für den 
Hahn. Wegen des Vorzugs größerer Einfachheit vor dem Radſchloſſe wurden die 
Schnapphahnſchlöſſer in Deutjchland viel nachgeahmt und aud) verbejjert, namentlic) 
durch Berlegung der Schlagfeder nad) dem Inneren des Schlofjes und durch Ein— 
ihiebung der „Nuß“, auf welche dieje Feder wirkte und jo ihre Kraft auf den 
Hahn übertrug. Aber auch das Steinſchnappſchloßgewehr iſt vom deutjchen Fuß— 
volf nicht angenommen worden; nur bei der Bewaffnung der Bürger fefter Städte 
und bei fürjtliden Leibwachen ijt es nadyzumweifen. 

Die berühmteiten Bühjenmacher Deutjchlands lebten in 
Augsburg, Nürnberg, Suhl und Solingen. 


662 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffenfunde. 


Im Jahre 1546 jah der Rat von Augsburg jid veranlaßt, die Gewehr— 
ausfuhr zu verbieten, weil die Meifter derart mit Aufträgen von auswärts über- 
bäuft waren, dab die Reichsſtadt jelbjt die Feuerrohre, deren fie bedurfte, nicht 
erhalten konnte. — Zu Nürnberg verbefjerte Wolff Danner (f 1552) das 
Ausbohren und Schmieden der Nohre. Er gehörte einer berühmten Schmiede- 
familie an. Hans Danner trieb ſchon dazumal „von den Metallen Spähne, ala 
hätte er weiches Holz unter den Händen, und jein Bruder Leonhard war der 
Erfinder von mauerftürzenden Brechichrauben.“ Eine alte Überlieferung fchreibt 
dem Wolff Danner ſogar die Erfindung des Feuerjteinichlofies zu; indes handelt 
es fi) dabei wohl nur um eine Verbefjerung des Steinihnappihlofies. — Die 
Brandenburgifche Regierung in Bayreuth bezog 1563 die Handfeuerwafien für die 
Beite Plafjenburg meist aus Solingen, zum Teil aber au aus Schmal— 
falden. In demjelben Jahre verlieh Fürft Georg v. Henneberg den Büchſen— 
macdern in Suhl, wo jeit uralter Zeit Waffenfabrifen bejtanden, da® Innungs— 
recht. Zwanzig Jahre fpäter boten die Augsburger Büchjenmeijter dem Herzoge 
Wilhelm von Bayern 900 Handrohre an, „jo alle auf eine Kugel gerihtet* — 
dies war aljo ungewöhnlih! Im Jahre 1596 lieferte Simon Stör in Suhl 
der pfälziihen Regierung zu Neuburg binnen 14 Tagen: 160 Musfeten mit 
Tiannenzündern und aufgehenden Pfannen famt dazu gehörigen Modellen, Wijchern, 
Gabeln, großen und Heinen Pulverflafchen, ſowie 160 Schilt- oder Halbhaken auch 
Halbhafen mit ſchwarzen frummen Scäften nebjt Zubehör. 

Im J. 1543 wurde, alter Überlieferung zufolge, von Wolff Danner 
der Stecher (Doppelabzug) erfunden, der bei all den bisher ge 
nannten Waffenarten in Anwendung gebracht werden fonnte, Doc) 
vorzugsweiſe bei gezogenen Büchjen gebraucht wurde. 

Gezogene Handfeuerwaffen werden bereits gelegentlich eines 
Leipziger Scheibenjchießens i. 3. 1498 erwähnt. Offenbar handelt 
es ſich dabei jedocd, nur um gerade Züge, die wohl urjprünglic 
als Schmußrinnen für den Pulverrückſtand eingerichtet worden waren. 
Den „Drall*, die Schraubenzüge, führte angeblich der Nürnberger 
Aug. Kutter um 1560 ein. Wahrjcheinlich hat bet dieſer Erfindung 
wie bei jo mancher anderen der Zufall jein Spiel gehabt. 

Das kann etwa in der Weiſe gejchehen fein, daß eine gewundene Schweihnaht, 
wie fie in alten Läufen nicht jelten vortommt, Beranlafjung wurde, die biäber 
geraden Züge jchraubenförmig zu führen, und daß man dann erfannte, die Kugel 
folge jolhen Zügen nicht nur beim Laden, fondern drehe ſich ihnen entjprechend 
auch nod im Fluge. — Eine wijlenjchaftliche Erkenntnis davon, daß eine der Kugel 
verliehene Rotation um die Ceelenahje eine Korrektur der Flugbahn 
berbeiführe, indem fie die unregelmäßigen Ablenfungen durd) die freiwillige, wilde 
Rotation um die Schwerachſe und durd; den Wechjel des Luftwiderjtandes mittels 


unaufhörlicher Übertragung paralyfiere — eine jolde wiſſenſchaftliche Erkenntnis 
lag den ballijtifchen Anjchauungen der Zeit allerdings nod fern. Wie jo oft 


3. Die Handwaffen. 663 


haben aud) hier dunkle Ahnungen jürdernd gewaltet. Und dieje Ahnung von 
dem Wert der regelmäßigen Drehung eines gejchleuderten oder gejchojlenen Körpers 
ift uralt. Die Einrihtung des Riemenſpießes der Hellenen, wie die der Dreh: 
bolzen des Mittelalter8 beruht ja ganz auf demfelben Prinzipe. 

Seit den jechziger Jahren hört man wiederholt von den gezogenen 
Feuerwaffen u. zw. immer als von etwas Vorzüglichem. 

Eine Verordnung der Berner Regierung von 1563 jagt: Bor furzen Jahren 
ſei eine Kunſt hervorgefommen, die Rohre der Zielbüchfen, von gewiffern Schießens 
wegen, mit Schneggen oder fonjt frummen Zügen inwendig zu frigen und zu 
bereiten, als woher, wegen Ungleichheit, Span entitanden jei; daher die Abjtellung 
jolcher Züge bei gemeinem Schießen geboten wird, Für „Reisbüchſen“ (Kriegs— 
aewehre) blieben die Schneggen natürlich erlaubt. — Dieſem Zeitpunft und diejer 
Jrürdigung des Wertes der Züge entipricht es durchaus, wenn Fiſchart 1575 in 
feiner „Geſchichtsklitterung“ fagt: „Wie fein kunſt iſt bei dem wein qut leben, 
alſo ijt fein funft, mit gutem gejhoß und gejchraubten oder gezogenen Büchjen 
wol ſchießen.“ — Auch noch 1582 wurden bei dem Stahl: und Zielbüchſen— 
hießen zu Frankfurt a. M. „gejchraubte, gezogene und gerifjene od. dgl. andere 
ungewöhnliche Rohr” als „aefährlide und ungebürliche Vorteile“ verboten. — 
Einige Jahre jpäter äußert Pigafetta in einer italienifhen Handſchrift (Ambrofiana 
Wr. 125. M. S. R): „Wenn die Büchfen durch Geſchwindbohrer gereift werden 
jo jchießen jie mit weniger Pulver viel ficherer.“ 

Im 3. 1584 jtellte Niklas Zurkinden in Bern Schießproben 
mit einer Revolverbüchje an, die jedoch unglüclich ausfielen. 

Offenbar war die Büchfe mit einer Drehwalze verfehen, deren Seelen nicht 
gehörig mit denen des Laufe zufammentrafen; infolge dejien jprang die Waffe 
und verwundete mehrere Menjchen. 

Um die Mitte des 16. Ihdts. gab es auch jog. „Streurohre“, 
welche mehrere Kugeln aus einem Laufe jchoßen. Frönsperger bes 
jchreibt Ddiejelben in jeinem „Buche von faijerlichen Kriegsrechten“ 
1552 [©. 549) wie folgt: 

„Man hat auch furge büchjen , die find ungefährlich anderthalben Schuh 
fang, die jollen gar did und ſtark, auch für das ftoßen mit einem Anja wie ein 
Haad vnd hinten mit ein Pulfferfad gemacht jeyn; diefelben haben ein Rohr jo 
groß als vngefährlih ein Hein Hennen Ey. Sollihe Büchſen lädt man mit 
pilen Handbüchſen Kugeln, etwa zwölff oder fünfitzehn auf einmal, vnd werden 
aljo in einer Bejagung gar füglich gebrauchet unter die ftürmenden, ſonderlich in 
jtreigwehren; doch fan mans nit in die weite brauchen; aber in der nähe zer: 
ftreumt es ſich weit vnd thut großen Schaden.“ 

Die vollitändige Gewehrpatrone bejchreibt zuerjt Capobtanco 
[©. 657] i. 3. 1597. Er jagt aber, daß fie bei den Arfebufieren Neapels 
bereits jeit längerer Zeit im Gebrauche jei. In Deutjchland führten 


664 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffentunde. 


Neiter in der 2. Hälfte des Jahrhunderts zuweilen die Bapierpatrone, 
jedoch ohne Kugel. Immerhin war fie auch in diejer Form noch etwas 
Seltenes und Ungewöhnliches. — Der gemeine Schüße trug das 
Pulver loje in einer Flajche, dazu 30 Kugeln und 6 Stlafter Yunte. 

Die Kugeln (das „Loth“) befanden jich in einem Lederbeutel; das „Pul— 
verin“ oder „Zündfraut“, d. 5. das feine Pulver, welches auf die Pfanne ge- 
jchüttet wurde, bewahrte man in einem am Bandeliere befeitigten Fläſchchen. An 
dieſem Bandelier trug der Musketier wohl aud) eine Anzahl fertiger Ladungen 
(doc ohne Kugeln) in Heinen hölzernen Büchſen. — Der Preis einer Schützen— 
ausrüſtung jtellte jih auf 4 bis 5 Gulden. 

Es iſt jehr merkwürdig, daß Blaije de Vigenere in jeinem Traftat 
über die Artillerie [S. 654), der anfangs der neunziger Jahre ge 
jchrieben it, behauptet: die größten Feldherrn jeiner Zeit Huldigten über- 
einjtimmend der Anficht, daß die Handfeuerwaffen den alten 
Handfernwaffen, dem Bogen und der Armbrujt, nicht ebenbürtig 
jeten und weit geringere Leiftungen aufzuweiſen hätten. Ganz Der: 
jelben Meinung it auch der »Veterano« in Antonio Lornaros zu 
derjelben Zeit verfaßtem Dialogo, [S. 657] dejjen Manujfript die Bibl. 
Ambrosiana zu Mailand bewahrt. (Q. 123.)') 

Der Alte will von den bisherigen Handfeuerwaffen nicht viel willen. Bei 
Wind und Regen erlöſche die Lunte; nachts verrate fie den heimlich Daber- 
fommenden. Der Junge gibt das zu; „aber (meint er) wir haben ja jegt die 
Radſchlöſſer, zumal die jhönen und jtarfen aus Flandern, deren dag Stüd zu 
25 Scudi verkauft wird.” — Der Alte: „Die find verwidelt, zerbrechlich und 
zu teuer. Aber es wird Rat geichafft werden durch Einführung eines aus wenigen 
Eijenteilen beſtehenden Feuerzeuges, das auch der roheſte Menſch jchnell und 
gefahrlos handhaben lernt, da es mit einem geringen Stein wohl taujend Schüſſe 
tun und auf jeder gewöhnlichen Büchſe leicht angebradt werden fann und da jein 
‚euer jtets in die Mitte der Pianne fällt.“ Der Junge: „Das wäre etwas! 
Das überträfe ja ſelbſt die prächtigen Radſchlöſſer der Leibwache Emanuels von 
Savoyen, die denn doch auch noc oft genug das Teuer nicht auf die Pfanne, 
jondern nebenbei werfen!” Der Alte: „Einer meiner Freunde iſt der Erfinder.“ 
Jedenfalls Cornaro.) „Er hat es nad) jahrelanger Geiſtesanſtrengung fertig gebracht.“ 
Der Junge: „Sind nicht auc jene Radſchlöſſer jehr gut, für deren Herſtellung 
die VBenetianer einen franzöfiichen Meijter beſolden?“ (Es ijt Jean Dujardin 
gemeint, den der Rat der Zehn 1587 in den Dienjt des Mrjenals genommen 
hatte.) Der Alte: „Ich kenne fie; wohl geben fie mehr Funken als die ge 
wöhnlichen; aber dafür haben fie einen neuen Fehler; fie haben eine Spindel 
gleich den Uhren, und dieſe wird jehr leicht bejhädigt und vom Nojt zerfrejien.“ 





1) Mitgeteilt von Benturi in feiner Abhandlung „Bon dem Uriprung unb den eriten Fort: 
ichritten des Geſchützweſens“. Deutih von Rödlich (Berlin 1822). 


3. Die Handwaffen. 665 


Es muß dahin gejtellt bleiben, ob die Erfindung, welche der Alte jo an- 
preiit, etwa eine Veränderung des Schnapphahnichlofies, oder, wie man fait 
glauben möchte, ein Borläufer des Flintenſchloſſes war, das, der gewöhnlichen 
Annahme nad), erit um 1630 in Frankreich erfunden wurde. 

Sp ericheinen denn jchon in dem SHandfeuerwaffenwejen des 
16. Ihdts. die Keime und Anſätze der gejamten bis zur Gegenwart 
vollzogenen Entwidelung; aber in der Praxis beherrichte dod) 
das Luntengewehr die Situation fait ganz allein und blieb 
in dieſer dominierenden Stellung noch über den Dreißigjährigen Krieg 
hinaus. 


8 64. 


Weniger noch als von den Handfeuerwaffen reden die wiljen- 
ichaftlichen Werfe des 16. Ihdts. von den blanfen Waffen, und 
auch an diejer Stelle joll nicht näher auf diejelben eingegangen werden, 
da das Wejentlichite darüber gelegentlich teils jchon erwähnt wurde, 
teils in dem Kapitel „Truppenkunde“ hervorzuheben jein wird. — 
Die deutjchen Schwertfeger, Haubenjchmiede und Harnischmacher brachten 
die kriegeriſche Rüſtung zur größten Gediegenheit und entfalteten dabei 
zugleich nicht jelten echten Kunſtſinn. 

8 65. 

Wie bereits erwähnt, bieten in Bezug auf die Dandwaffen des 
16. Shots. die Rüſtkammern weit mehr als die Literatur: ſowohl 
in den wirklich noch vorhandenen Waffen als durch die Verzeichnifje 
der Vergangenheit. — Von Materialnachweijen der Zeug 
bäujer des 16. Ihdts. jeten beiſpielsweiſe an diejer Stelle aufgeführt: 

Nürnberger Inventar aus der Mitte des 16. Ihdts., mitgeteilt im 
Anzeiger f. d. Kunde der dtjch. Vorzeit. 1853. ©. 19. 

Connrad Haas von Dornbah, Rom. khon. Mayejtat Zeugewart in der 
Hermenjtadt in Siebenbürgen: „Aller vnd ieder Empfahung des Geihüg und 
iller Munition.“ Ein Verzeichnis der unter Haas’ Obhut gejtellten Ferdinandeiſchen 
Xrtillerie mit lehrreihen Daten aus der Zeit von 1553 bis 1556. (Städt. Ardiv 
‚u Hermannjtadt.) Mitgeteilt ebenda. 

Inuentarium vnd verzaihnus dei Geſchutzes vnd Munition 
jampt anderer zugehör, jo jn der Vejtung Gießen jgo befunden vnd vor— 
banden. 1568. Mitgeteilt ebenda, 1854, ©. 167, 191, 220, 242, 275, und in 
Gjienweind „Quellen zur Gejch. der Feuerwaffen.“ S. 86/7. 

Inventar über das Nürnberger Zeughaus 157980. (Bibl. des 
Serm. Muſeums Nr. 44502.) Mitgeteilt bei Eſſenwein a. a. D. ©. 92/3. 


666 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffenfunde. 


Inventar des fürjtbifhöflihen Zeughaujes zu Würzburg. 15% 
(Bibl. des Germ. Mujeums Nr. 9378). Mitgeteilt bei Ejjenwein a. a. O. ©. 34 

Unter den noch beſtehenden Zeughäufern find bejonders 
zwei für das Waffenwejen des 16. Ihdts. wichtig: die Rüſtkammer 
zu Graz!) und die bürgerliche Kriegsfammer zu Emden’); 
denn ihre Beitände jind (im Gegenjage zu den metjten der anderen, 
nach und nac) aus Liebhaberei zujammengebrachten Waffenjammlungen), 
größtenteils jeit drei Jahrhunderten vollftändig beiſammen geblieben. 
Sie jegen jich nicht aus Prunkſtücken zuſammen, jondern jtellen den 
einfachen Kriegswaffenbedarf des 16. Ihdts. im äußerſten Süden wie 
im äußerjten Norden des Neiches anjchaulich dar. 


4. Gruppe. 
Waffengebrauch und Reitkunft. 

Hing im 15. Ihdt. das eigentlich Eriegeriiche Element noch jo 
eng mit dem Leben der einzelnen Stände zujammen, daß die Grenze 
zwijchen der „Hofekunſt“ und den wirklich militärischen Disziplinen 
oft Schwierig zu bejtimmen iſt, jo treten in dieſer Hinficht im 16. Ihdt. 
bereitS ganz klare Scheidelinten hervor, und eine „Gejchichte der 
Kriegsmwiljenjchaften“ würde auf diejenigen Waffenübungen, welche 
dem ritterlichen und bürgerlichen Leben als jolchem angehören, gar 
nicht einzugehen haben, wenn es ſich dabei nicht großenteil® um das 
Ausklingen alter, ehemals wirklich echt kriegeriſcher Bejtrebungen 
handelte: ein Verhältnis, das bejonders in der Literatur hervortritt. 
Aus dieſem Grunde mögen hier einige der wichtigiten Werfe erwähnt 
werden, welche ſich auf ritterliche und bürgerliche Waffenpiele, ſowie 
auf Brerdefenntnis und Reitkunſt beziehen; denn auch das Pferd üt 
eine „Waffe“. 


a) Nitterliche und bürgerliche Waffenübungen. 
8 66. 

So jehr Katjer Marimiltan auch bemüht war, den alten Glan; 
des Stechens aufrecht zu erhalten, jo trat e8 doch jchon in der eriten 
Hälfte des 16. Ihdts. völlig in den Hintergrund, hatte gar feine 
militärische Bedeutung mehr umd wurde endlich durch das Karuſſell 





!) Vol. Dr. Pichler und Franz Grafv. Meran: Das Landeszeughaus zu Graz (Leipzig 1830) 
und Eugen Ritter v. Mor: Die Rüftlammer ber Steiermart,. („Der Sammler”, 15. Juli 1886.) 
2) Bol. Rolffs: Die antike KRüfttammer des Embder Rathhaufes (Emden 1861). 


* 


4. a. Ritterlihe und bürgerliche Waffenübungen. 667 


erTegt. Aber in der Literatur jpielt das QTurnierwejen noch jeine 
Rolle fort. — Zu Anfang des Ihdts. widmete Marx Würfung dem 
Erbtruchjeß des Stiftes Salzburg, Herrn Hans v. d. Alben zu Hue- 
burg, das Buch „Bon wann vnd umb welcher vriachen willen 
Das loblich ritterjpiel des turniers erdacht vnd zum erjten 
qeubet worden tft.“ (Augsburg 1518.) 

Dies jehr jeltene Buch!) ift der Abdrud eines damals handſchriftlich weit— 
verbreiteten Traftates, den Würfung von dem Herrn dv. d. Alm empfangen hatte. 
Der Verfafier läßt die Turniere von Heinrich I. nad) defjen Siegen über Wenden 
und Hunnen einführen u. zw. um die zum Seerzuge verfammelten Fürjten und 
Herren, Ritter und Knecht zu ehren. Die „Stucke“ (Turniergejege) wurden in 
freier Beratung feitgejtellt: das 1. vom „Kaiſer“ ſelbſt, das 2. vom Pfalzgrafen 
bei Rhein, das 3. vom Herzoge aus Franken, das 4. von dem aus Schwaben, 
das 5. von dem aus Bayern, und dann wurde das Turnier nad) „Maidenburg“ 
ausgejchrieben. Bier Turniervögte wurden gewählt, welde ein 6. „Stud“ fejt- 
festen; das 7. und 8. Stüd bejtimmten die „Räte“ des Turniers, und die legten 
vier redigierte des Kaiſers Sekretarius. Dann murden Grieswärtel erwählt, 
„Freiheit und Gerechtigkeit“ des Turniers verkündet, Ritterjchaft und Frauen zur 
„Beſchau“ berufen. Endlich turnierte man am Ericdistage auf dem Werder bei 
Magdeburg und gab zu Nadıt beim Tanze „die Dänk“ aus. 

Schon ein Jahr nach dem Erjcheinen diejes Buches, aljo 1519, 
ichloß Ritter Ludwig v. Eyb zum Berttenftein, eben der, welcher 
20 Jahre früher die große Ikonographie hergeftellt [5.272], eine Erweite— 
rung desjelben ab, das „Buech mit anzaig des Turniers“, dejjen 
Handichrift die Hof und Statsbibl. zu München bewahrt?) — Mit 
dieſem Eybeſchen Manujfripte aber jtimmt faſt Wort für Wort das 
befannte Drucdwerf überein, welches den Titel führt: „Anfang, vr— 
iprung vnd berfommen des Thurniers in Teutjcher 
Nation. Wie uiel Thurnier big vff den letiten zu Worms, auch 
wie vnd an welchen ortten die gehalten vnd durch was Fürſten, 
Grauen, Herrn, Ritter und vom Adel fie in yeder zeit bejucht worden 
find. Bon Georg Rürner, genannt Hterujalem Eraldo vnd 
Khündiger der Wapenn.“ (Simmern 1530°), 1532.) 

Das reich illuftrierte Drudwerf unterjcheidet jih von Eybs Turnierbucd nur 
durch Abweichungen in den Verzeichniſſen der Perſonen, welde den Qurnieren 
beigewohnt haben jollen, tritt aber troß diejes völligen Mangels an Originalität 

2) Bücherei des German. Mufeums zu Nürnberg (Nr. 6885). 

2) Bol.: „Die deutichen Handſchriften der F. bayer. H0f- und Statsbibl.“ I, 1866, ©. 158, und 
„Anzeiger f. d. Hunde ber beutichen Vorzeit“, 1853, Nr. 2; Sp 25/6. 

») Ein Eremplar im Berl. Beugbauje (A. 8). 


668 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffenkunde. 


außerordentlich jelbitbewuht und anjprudhsboll auf. Von Würſungs „Iractätlein“ 
ſpricht Rüxner ganz verächtlich; ihm jelbjt jei von dem Vikare des Mauritius- 
jtiftes zu Magdeburg ein „Original* anvertraut worden, das er „auß irem 
furgen Teutſch (Niederdeutijh) mit großer mühe vnd arbeyt in dieß hochdeutic 
gebracht.“ — Das Bud) beginnt mit einer nur durd allerhand Namen bereicherten 
Wiederholung der Würfungihen Schrift und ſchließt daran Bejhreibungen aller 
anderen großen Reichdturniere der „vier Lande” (Rhein, Schwaben, Baner, 
Franken). Aufgeführt werden Turniere zu Rotenburg, Conſtanz, Merjeburg, 
Braunſchweig, Trier, Halle, Augsburg, Göttingen, Zürih, Cöln, Nürnberg, 
Worms, Würzburg, Regensburg, Schweinfurt, Ravensburg, Ingelheim, Bamberg, 
Eßlingen, Schaffhaujen, Regensburg, Darmitadt, Heylbronn, Regensburg, Stutt- 
gart, Landshut, das Gejellenjtehen zu Nürnberg, die Turniere zu Würzburg, 
Mainz, Heidelberg, Stuttgart, Ingoljtadt, Anſpach, Bamberg, Regensburg, und 
zulegt, das 36jte, zu Worms. 

Die volllommene Nichtigkeit der meisten Angaben diejer Turnier: 
bücher it längjt erwiejen!); im 16. und 17. Ihdt. aber glaubte man 
an diejelben und traute den unverichämt zujammengelogenen Berjonen- 
verzeichnifjen derjelben jo gut wie den frei erfundenen Wappenjagen. 
Dies jpiegelt jich 3. B. in des Hans Sachs: „Thurnterjiprud. 
Alle Thurnier, wo wie vnd wenn fie in Teutjchland gehalten find 
worden.“ (Nürnberg 1541.) — Den Übergang des Turniers zu den 
Ring: und Karuſſellſpielen zeigen mehrere Handjchriften aus der zweiten 
Hälfte des Ihdts., u. a. ein Dresdener Foliomanujfript (C. 95): 
„Zurnter= und Cartel-Budh zum Jußturnier, zum rer 
Nennen, zur Pallia, Mantenidoren u. |. w.“ — Alle Em: 
zelheiten eines vollflommenen Karujjells endlich finden fich in den 
interefjanten Kupferjtichen dargejitellt, die das anonyme lateinijch und 
deutſch gejchriebene Werk jchmüden: Insignia inclitae domus 
Hassiacae. (Caſſel 1596.) 


8 67. 


Die Fechtkunſt haftet noch immer an Liechtenawers großem 
Namen [S. 368], jo in einer Hdjchrft. von 1550: „Maiſter Kiechten: 
awers Kunjtbuch, darin auch Maiſter Lions, Maiſter Hundts 
felders [S. 371] vnd Wild. Huters Künste.“ (München, cod. germ. 
5712.) Bon Jorg Wilh. Huter bejißt diejelbe Bibl. übrigens aud 
noch em jelbjtändiges handjchriftl. Fechtbuch aus Augsburg von 1523. 
— 1) Wal. — den Discurs ob Georgen Rixners Thurnier-Buch auch pro scripto Authentico 


zu halten und wie mweit demjelben Glauben zuzuftellen jene.” (Mürnbergiihes Schönbartäbud un? 
Sejellenftehen. Aus einem alten Manuflript zum Drud beförbert 1765.) 





4. a. Ritterlihe und bürgerliche Waffenübungen. 669 


Die Literatur der Fecht- und Ringkunſt ijt ziemlich ausgebreitet 
in Deutjchland. Auf Albrecht Dürer pflegen die Vorlagen zu den vor- 
trefflichen Darjtellungen einer OILAO4IIAZKA A LA zurüdgeführt 
zu werden, von der jich Handſchriften in der E. k. Fideikommiß-Bibl. 
zu Wien und in der Magdalenen-Bibl. zu Breslau befinden, welche 
von 1512 jtammen jollen.!) — Verwandten Inhalts ijt ein fleines, 
überaus jeltenes „Fechtbuch. Die Ritterliche, Mannliche Kunſt v. 
Dandarbeyt Fechtens vnd Kempffens. Auß warem vriprunglichem 
Grund der Alten mitjampt heymlichen Gejchwindigfeyten. In leibs 
nöten jich des Feindes tröjtlich zu erwehren vnd ritterlich obzujiegen.“ 
(Frankf. a. M. ca. 1555.) ?) 

Es find 48 Bl. mit 41 ſchönen Holzjchnitten von 9. ©. Beham. Der 
1. Zeil lehrt: „Wie man fortheyl im langen Schwerdt, welchs ein grundt vnd 
Briprung alles Fechten zu beeden henden brauchen joll. — Der 2. Teil ijt „Zu 
dem furgen Schwert“ und enthält auch einen Abjchnitt „Bon Meſſer Fechten. 
Herrn Hanjen Leblommers v. Nürnberg an den Pfalzgrafen Philipp v. Rhein. 
(Das Mejjer ijt ein Kurzjäbel.) Ferner: Fechten im Budlier oder Rodeln, Fechten 
im Zolden oder Kempfftegen und Ringen und Werffen. — Der 3. Teil handelt 
„Bon Fechten in der Stangen, weliche ein Vrſprung iſt vieler wehr als Langipieh, 
Sceflin, Helmparte und Zuberjtange.“ — Im erjten Teil ijt viel aus Lichten- 
auer übernommen. 

Die Ringerkunſt, welche jchon vor 1550 in einigen anonymen 
Druden bejchrieben worden?), fommt herrlich zur Darjtellung in 
Fabians v. Auerswald „Ringerkunſt: 85 jtüde zu ehren Eurfitl. 
gnaden zu Sachjen.“ (Wittenberg 1539.)*) 

Die 85 Stücde find von 2. Cranach d. Ä. gezeichnet, von dem auch das 
Titelbildnis Auerswalds herrührt, der überdies in jedem Stüd als je einer der 
beiden Ringer dargejtellt ijt. Er war 1462 geboren und jchrieb 1537. 

Auerswald folgt übrigens jehr genau dem „echt: und Ring: 
buch“ des Baul Hektor Mair, dejjen jchöne Papierhdſchft. aus 
der 1. Hälfte des 16. Ihdts. die Dresdener Bibl. bewahrt und von 
dem auch die Münchener Hof: und Stats-Bibl. einen prächtigen Liber 
artis athleticae bejitt. (Cod. icon. 393.) Diejer Mair war 
Matsdiener zu Augsburg und wurde wegen Untreue gehängt. — 





1) Bol. Büfhing: Dürerd Fecht- und Ringerbuch (Kunftblatt 1824), Jahn und Eifelen 
Zurnhimft (Berlin 1816), Udert: Fechtkunſt. (Beitr. 3. ält. Liter, III, 1838.) 

2) Oct. 1887 im Befig des Antiquars Chon zu Berlin. 

2) Bal. Maßmann im Serapeum. 1844. ©. 33 ff. 

*) Neuandgabe von G. U. Schmidt mit Einleitung von Wahmannsdorf (Leipzig 1869). 


670 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffentunde. 


Später entjtanden des Straßburger Freifechtes Joahim Mayer: 
„Sründtl. Beihreybung der Kunſt des Fechtens“ (Straßb. 1570, 
1590, Augsb. 1600), ferner oh. Sutors Künſtlich Fechtbuch in 
allerley gebräuchlichen Wehren als Schwert, Düjaden, Rappier u. }. w.“ 
(2. Aufl. Franff. a. M. 1612; neu als Facſimile gedrudt von Scheibie, 
Stuttg. 1849), ferner Bünterrodöts De veris principiis artis 
dimicatoriae (Wittenbg. 1579) und endlich das interefjante Ber: 
gamentmanujfript der Wolfenbüttler Bibl. von 1591, welches den 
Titel führt: „Neues kunſtreiches Fechtbuch, darin alle fürnembite, 
nußbarliche v. geheimbte Stüde, jo mit Schwert, halben Stangen, 
Helbart, Dolch, Dojaden und im Ringen vnd Werffen fünnen ge 
braucht werden, zu finden ijt.“ 

Manche andere ähnliche Werke fünnen hier nicht mehr aufgezählt 
werden, da es jich doch nur um ein Grenzgebiet der Kriegswiſſenſchaft 
handelt. 


b) Die Schießkunſt. 
8 68. 


Das Problem der Flugbahn war zuerit von SItalienern 
jelbjtändig durchdacht worden. Die Anfänge der Balliſtik knüpfen 
jih an die Namen Tartaglia und Cardanus. Aber den Ddeutjchen 
Büchjenmeijtern gebührt das VBerdienjt, die praftiichen Hilfsmittel 
hergejtellt zu haben, um die Ergebniffe der mathematischen Unter: 
juchungen ins Leben zu führen. Solche Hilfsmittel find, außer der 
Richtichraube Dürers, der Quadrant, der Kaltberjtab, die Ladeſchaufel 
und das Bifitiereifen zum Aufjuchen der Gruben und Gallen im Rohr, 
die Kugellehre u. j. w. 

Beim praktischen Schießen berichtigte man die Längenabweich— 
ungen meijt durch Veränderung der Ladung oder durch Vorichteben, 
bagl. Zurücdnehmen des Gejchüßes; doch waren auch die Aufjäte 
bereitS befannt, u. 310. jowohl der verjchiebbare wie der mit Yöchern. 
Großen Wert legte man auf die Kenntnis der Entfernungen, und 
einem Staltener, dem Capo Bianco, verdankt man die Erfindung des 
eriten „Diſtanzmeſſers“ — Seitenabweichungen forrigierte man 
derart, daß man zunächjt wie vorher richtete, dann aber das (beweg— 
liche) Korn joweit nach der Abweichungsjeite hinüber jchob, bis der 
Fehlſchuß im Viſier erichten. 


4. b. Die Schießkunſt. 671 


Die Schußarten, welche man anwendete, jind: der Brechſchuß 
(Demontierjchuß), welcher gelegentlich als Prellſchuß (bricol) auftritt, 
der Senkſchuß, der Göllſchuß (Rollen), der jtreichende Schuß (Enfi= 
fieren) und der aus dem Senkſchuß und dem jtreichenden Schujie 
zujammengejegte Schleuderichuß (Ricochet), der denn zumeilen auch 
zum Göllſchuſſe wird. Erſt Vauban hat zu Ende des 17. Ihdts. diejen 
Schuß in allgemeinen Gebrauch gebracht; daß er aber längjt befannt 
war, lehrt der Umstand, daß ich Spedle, Marchi und Cataneo bereits 
gegen ihn durch Traverjen Jicherten. — Der vieljeitigen Amvendung 
der Hohlgeſchoſſe in Deutjchland entſprach es, daß hier zuerſt der 
Bogenſchuß ausgebildet ward und daß man für diefen auch bejon- 
dere furze Feuerſchlünde goß, welche geeignet waren, jtarf gebogene 
Flugbahnen (große Einfallswinfel) zu ermöglichen. Der „hohe Bogen 
ſchuß“ galt als entſcheidende Prüfung der Meifterichaft in der Schießkunſt. 

Schußtafeln entwarf zuerit Tartaglia; der Deutjche Vogel 
folgte ihm nad. Auch Collado und Capobianco haben dergleichen 
ausgearbeitet. 

Collado gibt die Rejultate jorgfältiger Verſuche, welche er über die 
Shußmeiten eines dreipfündigen Falkonets bei verjchiedenen Elevationen ans 
gejtellt. Danad) trug der Kernſchuß auf 268 Schritt; die Elevation auf den erjten 
Punkt (d. 5. auf Un des Quadranten) ergab 594 Schritt Tragweite, der zweite 
Buntt 794, der dritte 954, der vierte 1010, der fünfte 1040, der ſechſte 1053 Schritt. 
Dies ijt die Diagonalerhebung. Die Schußweite bei Richtung über den fiebenten 
Punkt liegt zwiſchen der vom dritten und vierten, die vom achten zwijchen der 
vom zweiten und dritten, die vom neunten zwijchen der vom erjten und zweiten, 
die vom zehnten zwijchen der vom erjten Punkte und dem Kernſchuſſe. — Capo— 
biancos Scuätafel ijt (beijpielsweije) folgendermaßen angeordnet: 


Kaliber. Elevations-Punkte 
. 2. 3. 4. 5. 6. 
Petriera a braga 12-%fdr. 400 680 8348 912 90 960 Schritte Tragweite. 
z „ „. 14 „ 500 850 1000 1140 1180 1200 ” 
8 69. 


Schießübungen wurden mit dem fleinen Gewehr und mit dem 
Gejchüge abgehalten. Die erjteren bildeten einen beliebten Teil volfs- 
tümlicher Lujtbarfeiten. Die Schügenfejte jpielten im 16. Ihdt. eine 
große Rolle und haben eine breite Literatur Hinterlafjen. Es handelt 
ih um „Haupt und Herrenjchiegen“ oder um „zürjtliche Frey— 
ichtegen“ u. dgl. m., teil$ noch mit dem Bogen oder dem Stachel 


672 Das XVIL Jahrhundert. II. Waffenfunde. 


(Armbruit), teils mit Hand» und Zielbüchlen. Durch „Schütenbriek“ 
wurden fremde Freunde eingeladen. „Schüßenordnungen“ regelte 
den Gang der Wettübung. 

Die Stadt Gerolshofen bejaß eine jolche Ordnung jchon 1491 
für ihre Büchjenjchügen. Georg v. Frundsberg erteilte 1523 jeme 
Herrichaft Mindelsheim derartige VBorjchriften. Aus demjelben Jahr 
ſtammt die „Alt Ordnung der Bürenjchüczen“ zu Wien. 

Da heißt es u. a.: „ES jollen auch alle geuerlich vortheill verpodten jer 
und fain ſchütz zw (2) fhugel eines ſchuß jchießen, noch gefuetert oder geiris 
thugel, jondern jimbel und rundt. Wellicher das vbertritt und mit ſolchem geu: 
lichen vorthetll begriffen, desjelb ſchießzeug it verfallen ſandt ſebaſtian an al: 
gnat vnd widerret . . . tem die jchügen jamentlich jollen fih gegeneinande 
aller vngebürlichen andafitungen, Goczlejiterung, Lugitraffen vnd anderer ver- 
pottener Scheltwortt, auch des bejchreyen vnd einreden am ſchießen im ftandt, ın 
der ſchueßhütten, auf der zielitatt, bei der jheyben vnd allenthalben gennzlis 
enthalten.“ ?) 

Das große Stuttgarter Büchjenjchiegen von 1560 rühmt de 
Chroniſt „als föftlicher denn vor alten Zeiten ein Turnier.“ 

Die Schilderungen oder „Lobſprüche“ jolcher Schießen gehören 
natürlich nicht in den Kreis unjerer Betrachtungen, obgleich mandx 
Einzelheit derjelben auch in friegsfünftleriicher Hinſicht wohl belehren! 
it. Das gilt fogar, u. zw. nicht zum wenigiten, von humoriſtiſchen 
Zutaten, 3.3. von der föjtlichen gereimten „Ausred aller Schügen. 
was jy pflegen zu reden, wenn jy nitt vil treffen, wie ſich— 
zutragen mag, es jey mit Armbrojt, Büchjen, Hanntbogen. Pi: 
allerley vrjachen vnd ausrede gang nußbarlich vnd furgweilig zu leien 
Gejtelt durch Balthajar Han, Burger zu Frankfurt.“ (Hdjchit. 7 
der Univerfitätsbibl. zu Erlangen ms. 1620.) 

} 

Wie mit dem Heinen Fenergewehr, wurden auch öfter mit den’ 
Geihügen große dÖffentlihe Schießen gehalten. Dabei ze 
neten Jich namentlich Nürnberg, Wien und Augsburg aus. ?) 

Im Jahre 1507 fand in Nürnberg ein Schießen mit Steinbüdicz 
jtatt. Zu demjelben wurden nur Nürnberger zugelajien. Der Rat gab  % 
und die Kugeln; daS Pulver ließ er ji) unter dem Preije vergüten. | 









ı) Shlager: Wiener Skizzen. R. %. II, ©. 65 ff. 
2) Quellen: 1. Müller: Nürnbergiihe Annalen (Wanuitript), 2. Schlager: Br 
Stizzen. 3. v. Stetten: Geidhichte von Augsburg bei dem einichlägigen Jahr. 4. Eruftst 
Schwäbiſch Chronil II. 339. 


4. b. Die Schießtunſt. 673 


Zu Bien „haben den 19. April Bürgermeiſter vnd Rath in yetziger vor— 
iteender Kriegsnot gemainer Bürgerjhaft ond zu mehrerer Uebung irer Berjonen 
zuegeben vnd gejtatt, ain Freyſchieſſen mit VBalfhoneten allhie bei Sand Niklas 
vor der Stat, vnd zu ainem voraus vnd freier Schanfhung verordnet: 3 Gewinn- 
endten, nemlich 5 Ellen Taffant, 5 Biertel roten Stainat (Tuch) vnd 1 zinnerne 
Schüſſel u. ſ. w.”. 

Im Juli 1565 erlaubte der Rat zu Nürnberg dem Zeugmeifter und den 
Büchjenmeiftern ein Shlangenfhießen, da ein ſolches feit zwanzig Jahren 
nicht mehr jtattgefunden. Der Rat lieh Hierzu 5 Schlangen aus dem Zeughaus 
und gab eine Tonne Pulver und 12 fl. zum Beiten. „Man hat bei St. Johann 
über’3 Wafjer gegen das Weiherhäuslein hin abgejchoffen.“ 

Im Auguſt 1578 fand zu Augsburg in der Roſenau ein Freiſchießen 
mit Falkonets jtatt, das jechd Wochen dauerte. Gegen ein Leggeld von 
20 fr. durfte jeder Schüge drei Schüfje auf die 800 Schritte entfernte Scheibe thun. 
Ein Schwertfeger aus Augsburg ſchoß dreimal ind Schwarze und gewann das Beite. 

Wie jelten übrigens gute Treffer waren, erhellt daraus, daß joldye 
von zeitgenöfjiijhen Gefchichtsichreibern wie von Wrtilleriften meiſt ganz aus— 
drüdlic” erwähnt und von den Befehlähabern durd) Belohnung anerkannt 
wurden. Als vor Siena ein deutſcher Büchjenmeifter auf den erjten Schuß eine 
Kanone der Belagerten traf, Hing ihm der Marceje von Marignano die eigene 
goldene Ehrentette um (Collado). In gleiher Weije belohnte Spinola vor 
Oſtende einen gejhidten Artillerijten (Uffano). | 

In Folge des langen Friedens nahm die Tüchtigfeit der deutjchen 
Artillerijten im Laufe des Jahrhunderts jtetig ab. 

Anfangs der neunziger Jahre fanden zu München in Gegenwart des Hofes 
und eines jpanifchen Abgeordneten Schießverfuche ftatt, zu denen auch die Ingol— 
jtädter Büchjenmeifter berufen wurden, von denen mande jchon 30 bis 40 Jahre 
in ihrer Stellung waren. „Und wie man ihnen grobes Geihüp, als Scarf- 
megen, Karthaunen, Singerinnen und Schlangen daraus zu jchießen vorgejtellt, 
haben ſie jchier alle vor den Stüden gezittert; als fie num diefelben laden 
jollten und wie E. Tchl. ſelbſt gnädigſt gejehen, haben fie, die Büchjenmeijter, 
über alles folteitirn eine ganze Glodenjtund zugebradht, ehe fie die großen Stüd 
geladen, abgejehen und losbrannten. Nachdem fie nun dasjelbemal fait alle 
nicht allein die große holzerne Wand, die man aufgeſchlagen, gefehlt, und wer 
wei wie hoch darüber hinweggejhojien u. j. w.“ (Bericht des Landzeugmeijters 
von Sprinzenjtein.) 


c) Bferdefenntnis und Reitkunit. 
8 70. 
Pferdefunde umd Roßarzeneiweſen find eng verbunden und 


gehen teils direft von antiken Traditionen aus, teils knüpfen jie an 
Jahns, Gedichte der Kriegswifienichaiten. 43 


674 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffenkunde. 


die mittelalterlichen Überlieferungen an. In erjterer Hinficht war! 
die Sammlung der alten Schriftiteller über Tierarzeneifunde grumd- 
fegend, welche Jean Ruel (1497— 1567), Leibarzt François' I., unter 
dem Titel Veterinariae medicinae libri IV :. 3. 1530 ver: 
öffentlichte. Im Deutjchland wurde das Werk populär durch die 
Überjegung, welche ein Egerer, der Dr. Zechendorfer veranftaltete: 
„Roßartzeney. Zwey nußliche jehr gute Bücher von mancherley ae 
brechen vnd frandhaiten der Roß vnd anderer arbeytjamen Thiere. 
Erjtlih auß befelich königl, Würde in Frankreich durch den Herm 
Rvellivm Sveſſionenſem aus vielen alten griechiichen Sfribenten zu: 
jammengezogen“. (Nürnberg 1575.)') 

Auch die Reitkunſt juchte fich auf antife Überlieferung zu jtügen. — 
Camerarius jchrieb De tractandis equis et Xenophontis 
libellus de re equestri (Tübingen 1539). Bald aber wurde 
auf dieſem Gebiete Italien tonangebend. Seine adeligen Kaufleute, 
die Buondelmonti, Donati, Amadei und Medict führten aus Syrien 
die edeliten arabijchen Typen ein und feierten jene glänzenden Karufjells, 
die der Reitkunjt den Sporn gaben. Unter diejen Aujpizien begründete 
Federico Grifone zu Neapel die erjte öffentliche Reitichule und jchriet 
jein epochemachendes Wert Ordini di cavalcare e modi di 
conoscere le nature de’ cavalli, di emendare i lor vitü e 
di ammaestrargli per l’uso della guerra et commoditä degli 
uomini (Neapel 1550?), Venedig 1551, 71, 84, 90, 1620), welches er 
dem Kardinal von Ferrara, Hippolito da Ejte, widmete. 

Seit 1584 find die Ausgaben durd einen Anhang über Roßarzneitunde be 
reichert. — Franzöfiiche Überjegung: Paris 1559 und 1615. 

Der erſte VBerdeutjcher der Ordini di cavalcare war Joi. 
Höchftetter. Seine Arbeit ijt nur Handjchriftlich vorhanden und findet 
ih in den Bibliothefen zu Berlin (ms. germ. fol. 16), Wien 
(ms. 10879) und Wolfenbüttel (August. 11. 26 fol.). 

Es ijt eine treue jchlichte Wiedergabe. des Originals. „Und ſoll der Leier 
bierinnen gang fain zierlichait der Ned noch geſchickten vergrif juochen, fonder 
die jiegigkait der blümen jaugen im nutzmachen vnd erwögen, die wichtigkait des 
Factums, ja wie ſchwär fich dieje vber alle adelichſt vnd hochberümbteſt tugent 
in die feder, fülmehr in vatterländijche ſprach bringen lajt“. 

1) Supferftichfabinet zu Berlin. Der Sammelband enthält außerdem ein großes Bildei! 
Schwenbis, bie prächtig illuftrierte Schilderung Augsburger Armbruftihießen (1470—1509) und eimix 
Zurnierdarftellungen. 

2) gl, Bibl. zu Berlin.; 


4. c. Pferdekenntnis und Reitkunit. 675 


Grifones Arbeit beginnt mit furzer Darlegung der Pferdefunde, lehrt die 
Ausbildung in den verſchiedenen Gang- und Reitarten und endet mit ausführ- 
licher Darjtelung der für die einzelnen Stadien des Zureitens und die ver— 
ſchiedenen Mäuler anzumendenden Gebifje, deren bereit3 er nicht weniger als 
fünfzig in halber Naturgröße abbildet. 

Eine freiere Bearbeitung des italienischen Werkes ift die ZILITO- 
KROMIKH. Künſtlicher Bericht... des hochberühmten 
Sriderci Grijonig, wie die jtreitbare Pferdt zum Ernſt vnd 
Ritterlicher Kurtzweil geſchickt und vollfommen zu machen. Im jechs 
Bücher wolverjtändlichem Teutſch durch Joh. Fayfer, den Jüngeren 
von Arnjtein in Franken. (Augsburg 1570. 1599. 1608.) !) 

Hier Handelt das 1. Bud „von der erfenntnuß der Rob“, das 2. „vom 
Ringreuten (volta), das 3. „vom Redopiren“, das 4. „von Biſſen“ (Gebijjen), 
das 5. „von Laſtern der Pferdt“, das 6. „von kunſtreichen Unterweijungen“. 
Angehängt find „Zwanzig Kampfjtud“ aus der Zeit Marimilians I. (Joſt 
Amman), welche mit Griſones Werk nichts zu tun haben. 


Mit jeinen Gebikdarjtellungen hatte Grijone durchaus den Geſchmack 
der Zeit und ganz bejonders den der Deutjchen getroffen. Daritellung 
und Erläuterung der mannigfaltigjten Zaumarten in ſog. „Bißbüchern“ 
entwidelten jich zu einem bejonderen Literaturzweige. Schon 1560 
überreichte ein Ungenannter „meinem gnädigen Herrn Ehrijtoff, Her: 
zog von Würtemberg* ein jolches „Bißbuch“ (Münchener Hofbibt. 
cod. iconogr. 257), und 1562 erjchien zu Augsburg Hans Kreuß- 
bergers dem Könige von Ungarn und Böhmen zugeeignete „Wahr: 
hafftige vnd Eygentlihe Contrafactur vnd Formen der 
Zeumung vnd Gebiß zu allerley mängeln und vndterrichtung der 
Pferdt ... jampt jren zugehörenden Naßbändern, Cauczonj, Steg— 
reif u. ſ. w.“-?) 

Außer der Widmung enthält das große Holzjchnittwert nur Figurentafeln, 
in welche ganz furze Erläuterungen hineingejhrieben jind. 

Daran reihen jic) die Variaecapistrorumetfrenorum 
figurae delineatae des Mlacantius, welche Joan Sambucus 
t. 3. 1564 dem Kaiſer Marimiltian II widmete (Wiener Hofbibl. ms. 
10841) jowie ein aus der Bücherei der Karmeliter jtammendes Biß— 


ı) Ausg. von 1608 in ber fol. Bibl. zu Berlin. 
) Handichrift in ber Wiener Hofbibl. (ms. 10904). Drud in der Bibl: zu Wolfenbüttel. 
45° 


676 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffentunde. 


buch der Stadtbibl. zu Köln (ms. 62) und ein jolches in der Kal. 
Bibl. zu Berlin (ms. germ. fol. 71) v. 3. 1570. 

Lepteres iſt titello8 und bringt 412 große Zeichnungen von Gebijjen und 
anderen reiterlihen Gebraucdhsgegenjtänden. 

Alle diefe Bißbücher find Variationen des von Griſone ange 
ichlagenen Themas. 


8 71. 


Am Schluffe feiner Bearbeitung des Griſone hatte Tayfer auf 
ern jelbjtändiges Werk Hingewiejen, welches er vorbereite. Dies cr 
ſchien u.d. T. „Hippiatria: Gründtlicher Bericht und allerordent- 
lichte Bejchreibung der bewehrten Roßärtzney“ (Augsburg 1576) ') 
und iſt dem Markgrafen Friedrich von Brandenburg zugeeignet. Es 
bietet nur eine Neubearbeitung der mittelalterlichen Überlieferung. 
Dasjelbe gilt von des Kajpar Reuſchlein von Hagenaw „Hip- 
piatria. Gründtlicher vnnd eigentlicher Bericht von Art und Eygen- 
ichafften der Pferde, allerhand Zeumung vnd Abrichtung u. ſ. w.“ 
(Straßburg 1593) ?). 

Unvergleichlich bedeutender und jelbjtändiger als dies Werk it 
Marx Fuggers Herrn von Kirchberg und Weiſſenhorn, Buch „Bon 
der Geſtüterey. Das iſt ein grundtliche Beſchreibung wie vnd 
wo man ein Geſtüt von guten edlen Kriegsroſſen auffrichten, vnder— 
halten vnd wie man die jungen von einem Jar zu dem andern erw 
ziehen joll, bis fie einem Bereitter zum abrichten zu vndergeben, vnd 
jo fie abgericht, in langmwiriger Gejundhatt zu erhalten“. (Frank 
furt a. M. 1578°), 1584*), 1611; neue Ausgabe von Wolſtein 
1788.) 

Der Berfafjer, geb. 1529, war der Sohn des großen Augsburger 
Patriziers Anton Fugger und Stifter der Nordendorfer Linie jeines 
Haufes. Sein Werf beruht auf unmittelbarer Kenntnis von den 
Dingen jelbjt und umterjcheidet ſich dadurch Höchjt vorteilhaft von 
den ältern, meijt von Mönchen compilirten Sammelwerfen, welche 
ji) auf Grund der Hippiatrifer des Altertumes und nad) dem Vor— 





1) Hal. Kupferſtichkabinet zu Berlin. 

*, Im Jahre 1888 ein Eremplar in Harrafjowig’ Antiquariat in Leipzig. 

») Öffentl. Bibl. zu Dresden. (Mutor-Eremplar, deſſen Borrede der Berf. eigenhändig unter 
zeichnet und deſſen Drudiehler er verbeffert bat.) 

9 Agl. Bibl. und Bibl. der Beuthſammlung im Schintel-Mufeum zu Berlin, 


4. c. Pferdekenntnis und Reitkunſt. 677 


gange byzantiniicher Gelehrter bloß litterariſch mit Tierzucht umd 
Tierheilfunde befaßt hatten !). Markus Fugger jtarb 1597. — Das 
Buch — eine der monumentalen Grundwerke der Hippologie — 
zerfällt in 24 Slapitel: 

1. Wer erjtlich erfunden Habe, die Roſſz zum reutten vnd zu dei Menjchen 
Sebraud zu richten. 2. Von der Natur vnd Compferion der Rod. 3. Bon dem 
langen Leben der Roß. 4. Bon dem Verjtandt oder Bernunfft der Pferd. 5. Von 
der Gedächtniß der Pferd, vnd daß fie die Sprach, deren fie gewohnt, verjtehn, 
auch thun, wa® man jhnen jchafft. 6. Von der Treue vnd Liebe, jo die Roh 
gegen jhrer Herren vnd denjenigen tragen, die jhnen guts thun, fie auch vor 
Schaden warnen. 7. Bon etlihen Roſſen, jo vmb ein großes Gelt find erkaufft 
worden. 8. In was großen Wirden die Roß vor zeitten gehalten vnd etlichen 
nach jhrem Tod große Ehr bewiefen worden. 9. Bon dem Nutz, fo der Menſch 
von den Pferden hat. 10. Bon den Argeneien, fo von den Rofjen genommen, 
dem Menfchen und Vih mögen gebraucht werden. 11. Von den Roſſen, jo nad) 
eines jeden Lands art fallen. 12. Bon den wilden Rofien. 13. Von dem Kojten, 
jo man auff die Gejtüt gewendt hat. 14. Bon den verjchnitten oder cajtrierten 
Nofien. 15. Von den Farben der Roh. 16. Bon den weißen oder anderen 
Beiden der Rob. 17. Wie das Ort fein ſoll, allda ein Gejtüt zu halten. 
18. Stallungen für die Stuten, VBollen vnd alte Roh. 19. Wie ain Bejcheller 
jeyn vnd man jhn durchs ganze Jar Halten folle.. 20. Wie die Stuten jeyn 
jollen. 21. Wie vnd wann man bejcellen joll. 22. Wie die ein, zwey, drey 
vnd vierjährigen Füllen jollen auferzogen vnd jhnen gewartet werden. 23. Wie 
man den beritten Roß warten joll, daß jie lange gejundt bleiben. 24. Bon 
den Gebredlihaiten und Mängel der Roſſz, auch was darin zu betrachten jey, 
wann man's fauffen will. 

Das Buch ift mit ausgezeichnet ſchönen Holzichnitten gejhmüdt und in 
jeiner erjten (Quart⸗) Ausgabe wahrjcheinlid aus einer Fuggerſchen Privat- 
druderei hervorgegangen. 

Wie Fugger entjtammte auch Hans Friedrich Hoerwarth von 
Hohenburg emem Augsburger Adelsgejchlechte. Er diente dem 
Herzoge Ferdinand von Bayern als Kämmerer und Stallmeijter und 
ihrieb „Bon der Hohberhümpten Adelihen vnnd Ritter- 
lihen Kunjt der Reitterey“. (Tegernjee 1578) 2). Er faßt darin 
die Summe der Erfahrungen zujammen, welche er in Italien, Frank— 
reich und Deutjchland gemacht. — Das Werk zerfällt in 4 Bücher. 

Das 1. handelt von der Natur der Pferde, ihrer Erjheinung und ihren 
Eigenschaften, jowie vom Geftütswejen und der Stallpflege bis zu dem Augen 


— — — — — 


1) Bgl. Röſſing: Pragmat. Geſch. der Öconom. und Cameral-Wiflenjchaft, 1781, ſowie Fraae 
Geih. der Landbau und Forft-Wiffenihaft, Münden 1866. 
*) Berlin, gl. Bibl. und Beuth-Sammlung im Schinfelmufeum. 





678 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffenkunde. 


blide, wo das Pferd gejattelt vorgeführt wird. Deutjche Art ift Hier mit italienijcher 
gemischt. Im 2. Buche wird die Schule de Zureitens abgehandelt, wobei die 
Einwirfung des Grifone überaus ſtark Hervortritt. Dasjelbe gilt von dem 3., 
dem „Biſsbuche“. Das 4. Buch endlich handelt von den Hufen und deren 
Beichlage. 

Großenteils gleichlautend mit diefem Werfe und dementjprechend 
ebenjo abhängig von dem italienischen Originale ift die „Ritterliche 
Neutterfunft, darinnen ordentlich begriffen, wie man zuvorderit 
die Nitterliche vnd adeliche Vbung der NReutterey bevorab in Teutſch 
land mit mufterhafftigem Geſchmuck, NRitterjpiel, Mumerey, Kleidung 
vnd allem andern, beydes in Schimpff und Ernſt gebrauchen möge. 
Durch den edlen gejtrengen Herrn L. V. C., gewejenen Keyjerlicher 
Maieitat Stallmeijter. (Frankfurt a. M. 1584) !). 

Der Verfaſſer, „ein fürnehmer vom Adel“, beginnt, bezeichnenderweije, mit 
den Mummereyen. Dann folgen mit gereimtem Text die ritterlihen Kämpf zu 
Roſs aus der Zeit Marimilians I., wie fie aud) der Anhang von Tayjers Ver— 
deutfhung Grifones enthält. Hieran fließen jich, wieder mit Reimen, die Figuren 
eines Feitzuges, „wie keyferl. Maj. in Solenniteten pfleget zu reutten“. — Den 
Kern des Werkes bilden aber die vier Bücher: Von Wartung der Pferdt; Bon 
Abrihtung der Pferdt; Marftallereyg von Gebik und Mundftüden und Bon Be 
ſchlagung der Pferdt, welche wörtlich mit Hoerwarth8 „Reitterey“ übereinjtimmen. — 
Ebenjowenig felbjtändig iji der Net des Werkes: Das Buch vom Rofziegel oder 
Beichellen ftügt fi) ganz auf das betreffende Kapitel Fuggers (oder beide haben 
aus derjelben fremden Quelle geihöpft), und das von Arpeney der Pferdt, teile 
auf ebendasjelbe Wert, teils auf Zechendörfers Übertragung des Ruellius. [S. 674.) 

Überaus reich ift das Bud mit Holzjhnitten Joft Ammans gejhmüdt, 
von denen einige Fuggerd Werk entnommen find. Einzelne Pierdedarjtellungen 
jind aud) Originalftöde von Beham.?) 

Ein verwandtes Werk iſt das des Jeremias Schemel, von 
welchem fich eine Handjchrift in der Wiener Hofbibl. (ms. 61—172), 
eine andere in der Cimelienfammlung zu Wolfenbüttel befindet. Erſtere 
führt den Titel „Vom Roßthumblen“; die andere, ein prachtvoller 
Foliant, benennt jich: „Ein jehr Herlich8 wol gegrindts und gezierttes 
auch nußliches vnd jchenes Contrafectbuch, Wie die Willden, unbendigen 
vnd vngezambten Roß mit allem Bortail und Gejchidlichfaiten . . - 
gezembt vnd gebraucht werden mügen al3 zu Nennen, Stechen, Tur- 
nteren vnd anderer adelicher Freud und Kurzweil ze ernſt vnd ſchimpf“. 


1) Berlin, Kal. Bibl. und Kupferftichfabinet. 
») Behams Schrift: „Difes buchlein zeyget an ... ein maß ober proportion der Rob... 
(Nürnberg 1528) gehört nicht in bie Hippologie, ſondern in bie Beichnenfunde. 





4. c. Pferdefenntnis und Reitkunft. 679 


Das Werk beruht im erjten Teil wejentlic auf Grifo, jpäter namentlich auf 
Rüxners Turmierbud. Auch die zwölf Kampfjtüd fehlen nicht. 

Im Jahre 1575 befahl Kurfürſt Auguft von Sachſen feinem 
Stallmeijter Georg Engelhart Köhneyfen, ihm einen „Bericht 
des Zeumens“ zu verfaſſen und die Stangen und Mundjtüde in ge 
wiſſe Maße abzuteilen. Bevor Löhneyjen fein Werf vollendete, war 
der Kurfürjt geitorben und der Berfaffer in braunjchweigische Dienite 
getreten, wo er als Stallmeijter zu Grüningen und Wolfenbüttel und 
in der Folge auch als Hauptmann der Erzgebirge am Harze tätig 
war. In diejer Stellung vollendete er jein Buch „Bom Zeumen. 
Gründlicher Bericht des Zeumens und ordentliche Austeilung der 
Mundſtück vnd Stangen“, das jich Handjchriftlich in der Wiener Hof 
bibl. (ms. 10794) und in der Landesbibl. zu Caſſel (ms. math. fol. 5b) 
vorfindet. Es wurde endlich 1588 zu Grüningen (s. 1.) veröffentlicht ?). 

Dies Werk legte Löhneyjen zwanzig Jahre jpäter einer zweiten 
Arbeit zu grunde, welche er dem Herzoge Ulrich von Braunjchweig 
und Lüneburg widmete. Sie führt den Titel: »Della Caualleria. 
Srümdtlicher Bericht von allem, was zur Reutterey gehörig vnd einem 
Gauallier davon zu wiljen geburt“ und zerfällt in zwei Zeile, von 
denen der erite 6, der zweite 2 Bücher umfaßt. Beide Teile erjchienen 
zu Nemlingen, der erite 1609, der zweite, in welchen das alte Werk 
von 1588 mit jeinen 121 verjchiedenen „Bißſtangen“ überging, i. 3. 
1610 ?). (1624) ). 

Nur unter der Widmung nennt ſich der Verfaſſer u. zw. mit eigenhändiger 
Namensunterfchrift; aber auf dem Titel ift er dargejtellt in jpanifher Hoftradht, 
ein Bündel Zäume in der Hand, welche er fünf vor ihm ftehenden, aufmerfenden 
Pferden mit den Worten entgegenhält: 

Ich jtehe und jehe euch an Vnd was ich euch hinfort wil lehrn, 
Wegen ewr Gjtalt vnd Complexion. | Dadurd) ewr Lob vnd Tugendt vermehrn. 

Die acht Bücher handeln: 1. Von einer Hoffchul, wie man Junge vom Adel 
aufferziehen fol. Vom Hoffleben, wie jich ein Cauallier zu Hoff in allem jeinen 
thun vnd leben halten fol. Ferner von erfendnuß und vnterſcheid der Pierd. — 
2. Bon Gejtüth, wie man das beitellen vnd auffrichten fol. — 3. Von bejtellung 
eines Fürſten Stalß vnd wartung der Pferde. — 4. Von Strapieiren und erjter 
Schuel, darin man die jungen Bohlen anfenglic Rittig vnd zaumrecht macht. — 
5. Vom Ningfreuten vnd wie die Pferdt auff allerley manier abzuridten. — 
6. Bon der Rofsargenei. — 7. Bom Zeumen der Pferdt vnd Austeilung der 
Mundjtüd und Stangen, wie diejelben nad) jedes Pferdts Arth vnd eygenſchafft 


1) Kal. Kupferftichlabinet zu Berlin. *) Kal. Bibl. zu Berlin. (Eremplar aus ber Bibl. bes 
Großen Kurfürften.) 2) Ebda. (Statalog Oeconom.) und Bibl. des Berliner Zeughauſes (B. 390). 


680 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffentunde. 


jollen gebraudht werden. — 8. Bom Anfang der Turniere vnd allerley Ritterſpiel 
jampt den darzu gehörigen ardellen, jtem wie man die Pferdt auff allerlen 
manieren ſchmückt vnd fie zieren joll vnd allerley Invention der Schlitten. 

Der £olojjale Foltant, eine8 der mächtigjten Bücher, Die im 
16. Ihdt. gedrucdt wurden, ijt überaus reich mit Kupferitichen aus- 
geitattet. Die Mundjtüde und Stangen füllen allem 120 aroke 
Tafeln und find in Originalgröße dargejtellt. Der Prerdejchmud, 
die Schlittenausftattungen, die Aufzüge jind mit überquellender Phan- 
tajtif erdacht!). Neues jedoch, was über Fugger und Griſone hinaus 
ginge, bringt das Werk nur wenig, und in friegswifjenjchaftlicher 
Hinficht iſt es unergiebig. 

Wie das Erjtlingswerf Löhneyjens, jo handelt auch Seutters 
Foliant: „Ein jhönes und nutzliches Bißbuch“ (Augsburg 
1588) mit jeinen 194 Kupfertafeln lediglih vom Zeumen. 

8 72. 

Griſone jtand nicht nur praftiich einer wirklichen Neitichule vor, 
wie jie vielleicht niemals großartiger und folgereicher beitanden hat, 
jondern er machte auch in ganz Europa Schule im hippologiſchen 
Sinne. Wie jehr das in Deutjchland der Fall war, haben Die vor: 
bergehenden Paragraphen gezeigt. In Stalien jelbit jind zu er 
wähnen: des fiashi Trattato del imbrigliare (1556), welcher 
ins Franzöſiſche überjegt ward (1564), des Ferraro Buch Delle 
razze et disciplina del cavalcare (1560) und das großes 
Aufjehen erregende Werk des neapolitanischen Edlen Caracciolo: La 
gloria del cavallo (1566). Daran reihen jich Senofonte: Modo 
di cavalcare (1571), Toralto: Discorsi cavallereschi 
(1571), Shisliero: Regole di molti cavagliereschi eser- 
eiti (1587) und Siliceo: Scuola de caualleri (1598). 

Neben der Neitjchule von Neapel erfreuten fi) die von Rom 
und von Padua hohen Ruhmes und verjammelten Schüler aus allen 
Ländern. Neapel beſonders aber wurde die Brüde nah Spanien, 
wo die Schulreiterei bald zu einer Entwickelung gelangte, welche jogar 
diejenige der Italiener noch übertraf: ein ähnliches Verhältnis, wie 
es ſich auch auf anderen Gebieten unſeres Wiffenskreijes ergab. Bon 


1) Neu⸗Ausgabe mit nicht eben alüdlicher Verjüngung des Zertes von Val. Tridter, Be 
reiter der löbl. Republit Nürnberg, u. d. T.: Neueröffnete Hof-friegd: und Reitihul. (Nürnberg 1729.) 


4. c. Pierdetenntnis und Reitkunit. 681 


ſpaniſchen Werfen jind bejonders vier erwähnenswert: Mancçanas 
Libro de enfrenamiento (1570), Aguilars Trattado de 
la cavalleria (1572), Peraltas Tractado de la caballeria 
(1580) und des Grafen Davila: Para estar A laGineta con 
gracia y hermosura (1590). 

Griſones perjönlicher Nachfolger, Bignatelli, war der Lehrer 
des Franzoſen de la Broue, welcher die Reitkunſt Italiens auf 
den Boden jeiner Heimat übertrug und deren Preceptes princi- 
paux 1593 veröffentlichte. 

In wie hohem Maße die edle Reitkunſt — ähnlich wie heut- 
zutage das Wettrennen — Gegenjtand des internationalen Interejjes 
war, zeigt u. a. ein ſeltſamer Mijchcoder der fgl. Bibliothek zu Berlin 
(ms. germ. fol. 64). Er führt den Titel: Libro que trata A 
la Brida y Gieneta en italiano (»y mal castellano« hat eine 
fremde Hand hinzugefügt). In fine liber Medicinae Veteri- 
narie germanica (!. In Madrid di Giorgio Zinnez. 

Die Handſchrift ift 1599 bis 1600 entjtanden und bringt zuerjt Darjtellungen 


von Gebijjen und anderem Neitzeug, dann ein Avertimento del Imbrigliare 
und endlid ein „Bewährtes vnd Künjtlihes Roßartzeneibuch.“ 


8 73. 


Auch in dem Gebiete der Roßarzneikunde, auf welches hier 
nicht näher eingegangen werden fann, brechen vorzugsweije italientjche 
Forſcher Bahn, zumal der Bologneje Ruini mit jeinem oftmals auf: 
gelegten Werfe Dell’ infirmita del cavallo (1598), welches 
in deutjcher Bearbeitung von Uffenbach herausgegeben wurde. 
(Frankfurt a. M. 1603). Übrigens fehlt es auch nicht an älteren 
deutjchen Arbeiten, von denen ſich namentlich in der Dresdener Bibl. 
eine Reihe von Handichriften findet. So unter ©. 288 Wolff Ernit 
v. Wolframsdorff: Ein jehr nüglihes Pierdarzneibud, 
unter ©. 293 Wolfgang Graun von Hohenlohe Roßartzeneyen 
1564, und endlich drei Sammlungen von Rokarzneibüchern, 
nämlich unter C. 313 deren jieben, unter C. 325 deren drei umd unter 
C. 326 deren vier. 


682 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer und Truppen-Kunde. 


III. Bapifel. 
Heer- und Iruppen-Kunde 


I. Öruppe. 
Heeresanfbringung. 
8 74. 


Die Reſte der alten „Landfolgen“ hatten zu Anfang des 
16. Ihdts. nur noch untergeordnete Bedeutung. Was davon lebendig 
war, ordnete ſich unter die drei Hauptgruppen der Lehnsmilizen, des 
Heerbanns der ſog. „Pflichtigen“ und der Stadtmilizen. — Nicht 
jowohl der Schwung nattonaler Begeijterung als vielmehr drüdender 
Geldmangel, der die Aufitellung von Söldnern erjchwerte, führte je 
doch, auch jchon in der erjten Hälfte des 16. Ihdts., wiederholt dazu, 
daß manche Fürjten Aufgebote Ausſchüſſe) ihrer Untertanen ins 
Feld ſtellten. Das geſchah, wie es ſcheint, am früheſten und groß— 
artigſten in Tirol, deſſen Landesverteidigung i. J. 1518 durch 
Kaifer Marx I zum Mittelpunkte der erſten gemeinſamen 
Wehrverfajjung der deutjchen Erblande des djterreidi: 
ihen Haujes erhoben wurde.') 

Gejeglich geregelt wurde die offenbar uralte tirolijhde Landes— 
bewaffinung auf dem Landtage zu Bozen (1511) durd) das von Mar mit den 
Ständen vereinbarte „elfjährige Libell“. Der Natur des ihm jo teueren 
Landes entjprechend, wurde vor allem darauf gejehen, durd Errichtung und Be 
jegung fejter Häufer die Klaufen und Thäler zu jperren. Doc, follten zu diejen umd 
anderen Berteidigungsziwveden nie mehr als 20000 M. vom Lande gefordert werden, 
u. zw. immer nur nad) Maßgabe der Notwendigkeit in Aufgeboten von je 5000 M. 
Für den Sold kamen die Stände auf; Waffen und Mundvorrat jtellte der Fürſt. 
In militärpolitiicher Hinfiht wurden den Ständen wichtige Vorrechte eingeräumt. 
— Auf Grund diefer Verfafjung begannen nun langjährige Verhandlungen 
ftändifcher Ausſchüſſe der deutjchen Erblande, welche endlich da8 „Innsbruder 
Libell“ von 1518, d. h. eine „allgemeine Defenfiondordnung der 
römijch faiferl. Majejtät und aller desfjelben nieder- und ober: 
öſterreichiſche Lande“ abſchloß und krönte. 


1) Abdruck in der ‚Landts⸗Handveſt bes 10bl. Herzogthumes Crain“ (Laibach 1687). Auszüge in 
Meyhnerts Geld. der k. f. öfterr. Armee. II. (Wien 1854) und in Gilbert Angers Jlluftr. Geid. 
der k. f. Armee. I. (Wien 1886.) 


1. Heeresaufbringung. 683 


I. Rüjtung und OÖrdinanz der niederdfterreihifhen Lande 
für ſich ſelbſty. — Jedes Land foll für fich ſelbſt und aus feiner Mitte ſechs 
redliche, gejchidte und verftändige Männer ald Kriegsräte wählen und einen der— 
jfelben zum Landesfeldhauptmann beftellen. Diefer, fowie die Räte, der Land— 
marjhall und der Vicedom des Kaiſers follen angeficht® einer Bedrohung des 
Landes beraten, wie demjelben mit den einheimifchen Kräften zu widerſtehen jei. 
Ergäb es ſich aber, daß diefe zu ſchwach feien, jo ſollen auf des Kaiſers oder 
feines Oberſtfeldhauptmanns Aufgebot die Nachbarn mit verabredeter Macht 
jchleunig zu Hilfe ziehen. Zu dem Ende follen in den niederöfterreichiichen 
Ländern von je 200 Pd. Geldes, Nupungen, Renten und Eintommen ein Reifiger 
und zwei Fußknechte angejhlagen und gehalten und niemand davon ausgeſchloſſen 
jein. Die fo gewonnene Mannſchaft joll im Notfall dem bedrohten Nachbar— 
erblande zuziehen. „Bei ſolchen Sriegsereignifien ſoll auch jedes der nieder- 
öjterreihiichen Lande zum erjten Aufgebote aus den verordneten Kriegsräten zwei 
verjtändige Männer gegen Brud an der Mur, als einen Mittelplap, bis zu 
Ende des Krieges verordnen . . .“ Stiege die Gefahr aufs Außerfte, fo fei über 
jenes erjte Aufgebot hinauszugehen und allenthalben in den Landen aufzubieten, 
dergeitalt, daß die vom Adel in eigener Perfon mit den Ihrigen jchleunig an- 
fommen, aud die Prälaten und Städte die Jhrigen auf das ſtärkſte ſchicken. 
„In die obvermeldete Rüftung und erjte Hilfe jollen auch wir (d. h. der Staifer) 
von unjerem Urbarn, Renten und Nutzungen in den benannten Landen, fie feien 
verpfändet oder nicht, durchgehends von 200 Pfd. Geldes einen Reifigen und zwei 
Fußfnedte halten... .“ 


II. Der folgende Abſatz wiederholt die wejentliden Punkte des für 
Oberöſterreich, d. h. nad) damaligem Sprachgebraud) Tirol, allein giltigen 
Libells von 1511 mit dem Zufage: „Zu jolcher unferer oberöfterreichifchen 
Sandordnung und Rüftung haben wir und bewilligt, von unferm Kammergut 
500 gerüjtete Pferde... zu unterhalten, und jo oft unſere Grafichaft Tirol nebjt 
beiden Stiftern (Briren und Trient) und die vorderen Lande (die ſchwäbiſchen 
Befigungen) in Gefahr geraten würden, ... . mit noch mehrerem Kriegsvolf auch 
Geſchütz und Proviant ald Herr und Landesfürft nad) unſerm Vermögen zu 
jtatten fommen wollen.“ 

II. Einigung und Berftand (Einverjtändnis) kaiſerl. Majeſtät 
und der nieder- und oberdjterreihifhen Lande untereinander. 
Für den Fall der Bedrohung Oberöfterreih8 (Tirols) wollen der Kaifer und die 
niederöjterreihifchen Lande 1000 gerüftete Pferde in volljtändiger Anzahl und für 
die übrigen 500 Pferde jeden Monat 5000 fl. rheinifch oder jo viel Münze, je 
nachdem es uns oder unfern niederöjterreihiichen Landen am pafjenditen ift, zu 


I) Unter NRieder-Öfterreich find bier Öfterr. ob und unter der Ens, ſowie die Steyermarf und 
wohl aud Kärnten unb Krain verftanden. — Schon durch ein „Krebenzichreiben* an bie gemeine 
Landſchaft ob ber Enns d. d. Füſſen 12. Juli 1803 hatte Marimilian die Aufbringung von 1000 Reitern 
und 6000 Diann 3. F. gefordert, nämlich 1000 gerüftete Pferde, 1000 Leichtihügen, 1000 Büchſen⸗ 
ichüßen, 3000 lange Spiehe und 1000 Sellebarbiere. Aber er fcheint damit nicht burcdhgebrungen zu 
fein. (Bol. Meynerta.a. D. ©. 9.) 





684 Das XVI. Jahrhundert. IH. Heer: und Truppensftunde. 


Hilfe und Troft ohne Verzug ausfertigen und zujhiden. Hinwiederum, wenn 
und jo oft die niederditerreidhiichen Yande, eine® oder mehre, von unjern oder 
ihren Feinden (Gläubige oder Ungläubige) mit gewaltjamen Einfällen beläitig: 
würden... daß dann wir und unjere oberöjterreichiihen Lande den niedern 
Landen ebenfalld 1000 gerüjtete Pferde und für jeden Monat 500 Gulden rbeintiic 
. . . zujdiden jollen und wollen. Außer ald im Notfalle jollen jedoch die niederen 
und oberen Lande, zur Vermeidung nußlojer Untojten, voneinander feine jolde 
Hilfe begehren“. Die Verpflichtung zur Kriegshilfe erlifcht übrigend, wenn der 
verpflichtete Teil gleichzeitig jelbjt angegriffen wird. Als Dauer der Hilfe werden 
ſechs Monate einjhließlicd An= und Abzug feitgejeßt; „welcher Teil der Hilfe auf 
längere Zeit bedürfen follte, dem joll der andere dienen, doc in unjerem Sold 
und Kojten. Es joll auch die Mahnung der ober: und niederöſterreichiſchen Yandı 
gegeneinander in jedem Jahre nicht mehr ala einmal geſchehen .. .“ 

In dieſem Innsbrucker Libell ift e8 auf en Zuſammen— 
wirfen der örtlichen Aufgebote mit Aufgeboten der 
Nahbarn und den jujtvorhandenen ordentlichen Streit: 
fräften des Landesherrn abgejehen. Es iſt der erſte Ausdrud 
der gejamtjtatlichen Idee in Dfterreich, welche ja notwendigerweiie 
auf dem Gebiete der Landesverteidigung zuerit zum Durchbruce 
fommen mußte. 

Bis dahin gab es nur niederöfterreichifche, jteieriiche, tiroler Aufgebote ; jest 
fonnte man don einer öſterreichiſchen Kriegsmacht reden; denn das Libell machte 
indireft dem läjtigen Privileg ein Ende, daß jedes Aufgebot nur innerhalb der 
Grenzen jeines eigenen Landes verwendet werden dürfe. Zugleich erjcheinen in 
den ſtändiſchen Kriegsräten die erften Spuren dauernder militäriſcher Behörden, 
und die Bereinigung derjelben zum „niederdjterreichiichen Kriegsrate“ hat bis zur 
Wende des 17. und 18. Ihdts. die wichtigite Grundlage der Kriegäverfaflung der 
deutſchen Erblande ausgemadt. 

Der jtatsrechtlichen Bedeutung diejer Vorfehrung Marimilians 
jcheint übrigens die militärtjche Leijtung kaum entiprochen zu haben; 
noch weniger war dies anderwärts der Fall. Stiegen doch die An- 
läufe zur Wiederbelebung des deutſchen Volkskriegertums auf Die 
entjchiedenste Abneigung der ſoldatiſchen Fachmänner, wie das z. B. 
aus des Grafen Reinhart von Solms dringender Abmahnung von der 
Bewaffnung der Untertanen [S. 514] deutlich hervorgeht. — Ebenio 
jcheiterten die Berjuche, das Söldnerweſen in die fejteren 
Formen ftehender Truppen überzuführen Obne regel 
mäßige Steuern, wie die franzöfiiche „Taille“ eine war, vermochte 
man folche Truppen nicht auf die Dauer zu unterhalten. Dergleichen 
Steuern konnten jedoch weder der Kaiſer noch die Fürſten bet ihren 


1. Heeredaufbringung. 685 


Ständen durchjegen. Nur Karl dem Kühnen war 1471 eine länger 
währende Nachahmung der franzöfiichen Ordonnanzfompagnien ge 
glüdt. Der Verſuch des Kaiſers Marimilian I, regelmäßig bejoldete 
„Kyriſſer“ aufzuftellen [S. 318) hat offenbar wenig Folge gehabt, 
und noch mehr dürfte dies von der i. 3. 1514 beabjichtigten Einrichtung 
einer „Garde“ der Fall ſein. Der Entwurf lautet:?) 

„Die faijerl. Majejtät ift aus vielen und beweglichen Urjachen des Willens 
und Fürnehmens, eine Garde oder ehrliche Geſellſchaft, inmaßen dann Ihre 
Majejtät im Eingang ihrer Regierung auch gehabt?), aufzurichten, dergejtalt wie 
tofgt: — 1. daß K. M. auf jedes Pferd, das gerüftet ift und fich in die Garde 
bemilligt, de8 Monat3 3 Gulden rh., dazu Futter und Mahl, Nagel und Eijen 
und jedes Jahr auf ein Pferd zwei Kleider geben ſoll. — 2. daß ein jeder, der 
jih in ſolche Garde bewilligt, von Stund an von jedem Pferde 30 ©. rh. Hinter 
dem Hauptmann erlegen joll, der jolches Geld nad Jahresfriſt wieder bezahlen 
und entrighten wird. (Alſo eine Kaution). Solche Garde joll auf drei Jahre 
fang gejtellt werden und jeder Edelmann ein Kyriſſer fein und fünf Pferde unter 
ihm halten. — 3. joll unfer Rat und Schagmeijter Jacob PVillinger, einen jeden 
um jeinen Sold, Speijung und Kleidung, wie oben jteht, verſprechen“. Das 
Verzeichnis der Eingejtellten joll dem Kaiſer zugeftellt werden. 

Man weiß von diejer Garde weiter nichts; ſie jcheint gar nicht 
zujtande gefommen zu jein, wahrſcheinlich aus Geldmangel, jener 
Klippe, an der die meilten Ideen Kaiſer Marimilians I gejcheitert 
jind. Denn erjtens war diejem das Geld wirklich knapp zugemejjen; 
dann aber verjtand er, bei jeinem großartig ſanguiniſchen Temperament 
auch nicht damit umzugehen. Seinem jparjamen Vater, der ihm 
ihon in der Jugend jeine übermäßige ?Freigebigfeit vorhielt, ant- 
wortete Mar: Er wolle nicht ein König des Geldes werden, jondern 
des Volkes und aller derer, welche Geld haben; „ein jeder König 
bejtreite und befriege mit dem Volfe und nicht mit Geld jene Feinde.“ °) 
Aber zu jeiner Zeit vermochte man doch feinen Krieg mehr zu führen 
ohne Mietjoldaten, und dieje wollten vor allem bezahlt jen. Da 
es nun Marimilian, obgleich er auch ein König jolcher war, „welche 
Geld Haben“, nicht gelang, diefe dazu zu bringen, ihre Tajchen ent= 
iprechend zu öffnen, jo mußte er darauf verzichten, durch eine Ein- 
richtung,wie jene „Garde“ einen entjcheidenden Schritt in der Rich— 
tung auf das jtehende Heer zu tun; und wie im dieſem Falle, jo 





1) Mitteilung bei Anger a. a. O. 
2) Bon dieſer Garbe ift nichts befannt. 
») „Der Weiß⸗Kunig“, p. 72 (Wien 1775). 


686 Das XVI. Jayrdundert. III. Heer: und Truppen-ftunde. 


jah man fich überall nach wie vor auf das „Söldnerwejen auf 
Zeit“ verwiejen. 


8 75. 


Die allgemeine Verbreitung, ja faſt Alleinherrichaft des Söldner: 
tums hat auf die militärischen, politiichen und jozialen Verhältniſſe 
tiefgreifenden Einfluß ausgeübt. Sie veränderte in nicht geringem 
Maße die bisherige Stellung der Staten; denn während fie arme 
Großmächte jchädigte, begünftigte fie reiche Kleinlande. Nicht Um: 
fang und Bevölferung eines Gebietes, jondern jeine inneren Geld- 
quellen wurden jett entjcheidend für die militäriiche Macht. Sachſen 
3. B., das um die Wende des 15. und 16. Ihdts. durch den damals 
großartigen Segen jeiner Bergwerfe alle Nachbaren an Metallreichtum 
übertraf, jtieg, ganz abgejehen von Flächeninhalt und Bevölkerungs— 
zahl, plöglic zu einer Hochbedeutenden Macht empor; denn es war 
in der Lage, große Söldnermafjen mieten zu können; jeine Zeug- 
häujer und Armeen erwuchlen aus den Silberichachten Schneebergs. 

Herzog Albredt der Beherzte von Sadjen, der vertraute Freund 
Marimilians I., bediente ſich, als er 1487 dem Kaifer Friedrich III. Hilfsvölter 
gegen König Matthiad von Ungarn zuführte, jtarter Söldnerfharen, und als er, 
wenige Jahre jpäter, in Stellvertretung des Kaiſers nach Friesland zog, bradıte 
er die „große Garde“ von 6000 Landsknechten auf. Seine Nachfolger blieben 
joldem Brauche treu. Im Jahre 1528 bewilligten die ſächſiſchen Stände eine 
bedeutende Summe zum Unterhalte geworbenen Fußvolks, und 1546 bei Ausbrud 
des Schmalkaldiſchen Krieges, forderte Joh. Friedrich zwar die Lehnsmiliz 
nad) der Ritterrolle zum Roßdienſt, aber ftatt der Untertanen zu Fuß ein Gel» 
äquivalent zur Werbung von Landsfnedhten”). So blieb es unter dem Kurfüriten 
Moriz, der während feiner friegerifchen Regierung fogar in den kurzen Friedens 
frijten die Truppen auf Wartegeld beibehielt, jo daß er fait ein ftehendes Heer 
hielt *). 

Ähnlich lagen die Dinge in Bayern, und nur das arme 
Brandenburg Hielt an den Überlieferungen der älteren, auf die 
Heerespflicht der Untertanen gejtügten Kriegsverfaffung fefter als die 
meisten anderen Staten des Reiches, welche unaufhaltfam und jchnell 
dem Söldnerwejen verfielen, jo lebhaft, ja leidenschaftlich ſich aud 
die Zeitgenofjjen gegen dasjelbe ausjprachen. Stellt doch Sebaitian 
Frank die Landsfnechte und die Franzojenfranfheit als zwei eben 


1) Bgl. Hoyer: Pragmat. Geſch. d. fühl. Truppen (Leipzig 1792). 
2) Bangenn: Moriz dv. Sachſen. II, ©. 67 (Leipzig 1841). 


1. Heeresaufbringung. 687 


bürtige, gleichzeitig über Deutjchland hereingebrochene Plagen dar !), 
und jagt doc Quadt dv. Kinfelbah: „Wie ehrlich fich die heutigen 
Landsfnechte Halten, jieht man daran, daß beide, Bürger und Bauern, 
fie für taujend Teufel wünſchen, wo fie diefelben nur jehen oder 
hören anfommen?).“ 

Sehr früh Hat fich die Söldnerei, ihrem Urjprung aus der 
Geldwirtichaft entjprechend, zu einem fürmlichen Lieferungsgejchäft 
entwidelt. Es iſt das Konzeſſions- und Aftienwejen der heutigen 
Zeit, nur jtatt auf Eifenbahn- und InduftrieBegründungen auf das 
Heerwejen angewandt, und mit dem allerdings bedeutjamen Unter: 
Ichiede, daß die Aktionäre, wenigſtens großenteils, nicht nur ihr Ka— 
pital einzahlten, jondern auch ihre Berjon. 

Selten reichten nämlich, troß der gejteigerten Einkünfte, die Barjendungen 
der Fürſten aus, um die gewünſchte Zahl von Regimentern gründen zu fünnen; 
meijt machte (wie ſchon erwähnt), der Oberjt, der ald Unternehmer auftritt, 
jehr bedeutende Vorſchüſſe. Auf den Kredit hin, den fein Name hatte, u. zw. in 
der doppelten Beziehung der militärifhen Tüchtigfeit und der Zahlungsfähigfeit, 
und unterjtügt von Hauptleuten, welche als Zwijchenunternehmer die einzelnen 
Kompagnien aufftellten, ließ er werben, und in der befjeren Zeit des Söldnertums, 
um die Wende des 15. und 16. Ihdts., jtrömte ihm die friegsluftige Jugend 
mit wahrer freiwilligfeit zu, bereit „in feines Glüdes Schiff mit ihm zu fteigen“. 
Später jedoch wurde dad Land den militärischen Entrepreneurs oft in der rück— 
fihtslojejten Weife preisgegeben, und fie erhielten Konzejfionen, bei denen von 
Recht und Gejep feine Rede mehr war. Wohl meldeten fi) noch immer nicht 
wenige wirfliche Freiwillige; mehr aber noch wurden durd die mannigfaltigjten 
und ſchamloſeſten, von vielen Regierungen begünftigten Werbekünſte gepreßt. 
Solde Kniffe reichten allerdings für die jehr geſuchten Spezialwaffen, ſchwere 
Reiterei und Artillerie, nicht aus; bei ihnen galt e8 für die Parteien, den Bor: 
fauf zu erlangen, und daher hatten Küraffiere und Stückknechte einen volljtändigen 
Tageskours, der auf den militärifchen Börfen, d. 5. den Werbeplägen, genau 
notiert ward. Zuletzt bildete fi) fogar aus diefem Treiben ein Syſtem ganz 
unrehtmäßiger Bereiherung, indem man die Werbung lediglich zum Vorwande 
betrügerijher Erprefiung machte. So Magt Leipzig einmal in einem Immediat— 
beridt an den Kaijer, daß man dort an Pagen und Lakaien Hlompagnien ver: 
geben habe, von denen niemals auch nur ein einziger Mann angeworben worden 
jei, während man doch den geordneten Unterhalt für diejelben, Sold und Ber: 
pflegung, eingetrieben habe, ald wären fie fomplet. Natürlich teilten ſich der 
jogenannte „Kapitän“ und der, welcher ihm das Patent ausgejtellt, in das ge— 
wonnene Sündengeld. Wie ähnlich ift dieſes Verfahren dem jener modernen 


1) Ghronifa, Zeitbuch und Geichicht-Bibel bis i. d. 1591. Jahr (Straßburg 1551). 
9) Deutfher Nation Herligleitt. (Göln 1609.) Bibl. des Verfaſſers. 


688 Das XVI. Jahrhundert. IH. Heer: und Truppen-Kunde. 


Finanzſpekulationen, bei denen der „gegründete“ Gegenjtand entweder ebenfalls 
gar nicht hergeitellt wird oder doc) wertlos ijt! Das Altienwejen, das ja jchon 
auf wirtſchaftlichem Gebiete nicht überall ohne Schaden angewandt werden darf 
— auf militäriihem Boden ift e8 eine Ungeheuerlichkeit. 

Ein jehr bemerfenswertes Kennzeichen der Söldnerheere, ins— 
bejondere derer des 16. Ihdts., ift ihre numeriijhe Schwäche. 
In diejer Hinficht bietet namentlid Spanien ein lehrreiches Bei- 
jpiel. Das damals doch bei weitem mächtigjte Reich des Erdballs, 
„in dem die Sonne nicht unterging“ und das jeine Macht in Europa auf 
vier bis fünf Kriegsſchauplätzen zerjplitterte: in den Niederlanden, in 
Sizilien und Neapel, in Tunis, Portugal und gegen Frankreich, dabeı 
noch dem Kaiſer und italienischen Fürjten Hilfstruppen gab umd 
zugleich jenjeit8 der Meere focht, dies Neich hatte in allen Ländern 
und Weltteilen ein Heer von faum 100000 Mann. 

Die Geringfügigfeit diefer Armee wird aber erjt dann ganz deutlich, wenn 
man ji die Zujammenjegung der jpanishen Nation überhaupt vergegenwärtigt. 
Dies Volk zählte nad) der Austreibung der Mauren 8 Millionen ; davon gehörten 
770000 der Kleriſei männlihen und weiblihen Geſchlechts an )y; 450000 waren 
HZivilbeamte; das Kriegsheer in allen Landen diesſeits und jenfjeitS des Ozeans 
mad)te aljo noch fein Viertel der Beamtenſchar und wenig mehr als ein Achtel der 
Klerifei aus! Und das in einem Reiche, wo von 3 bis 4 erwachſenen Männern 
immer einer im Dienjte des States oder der Kirche jtand! — Aber das Heine Heer 
fojtete unerjchwinglihe Summen, weil die Befehlshaber wie die Raben jtahlen. 
Als Alba nad) jeiner fürchterlichen Statthalterjchaft die Niederlande verlieh, ohne, 
troß aller militärischen Erfolge, irgend etwas Dauerndes erreicht zu haben, da 
fehrte er für feine Perjon mit Schäßen beladen in die Heimat zurüd; das Heer 
jedody, das jein Nachfolger übernahm, befand ji) in lodernder Empörung ; denn 
es hatte jeit 23 Monaten feinen Pfennig Sold empfangen! Nicht viel anders 
jtanden die Dinge unter dem jonjt jo ausgezeichneten Aleſſandro Farneſe, Herzog 
von Parma. Und das waren Feldherren eriten Ranges, vornehme, von Haus 
aus reihe Herren. Will man ſich wundern, wenn es die Emportömmlinge nod 
ärger trieben! ? 


Man kann leicht ermejjen, wie volfszerrüttend dies Söldnerweſen 
wirken mußte. Eine jeiner böſeſten Folgen bejtand darin, daß wenige 
der entlafjenen Knechte Luſt zu friedlichem Erwerb heimbrachten, 
vielmehr durch ihr „Sarten“?), d. 5. durch Betteln unter Waffen, 
die härteſte Geikel des Landvolks wurden. 





1) Wir haben jegt in Preußen auf 28 Millionen Einwohner wenig mehr als 30000 geiſtliche 
Perjonen (alle Küfter, Todtengräber und Leichenbitier eingerechnet). 

) „Garten“ = warten. Die „Gartbrüber* find Leute, die wirflih oder angeblih auf ment 
Anmwerbung warten. 


1. Heeresaufbringung. 689 


Deutjchland hat das Söldnerwejen überdies in doppelter Were 
gejchadet, da unjer Vaterland die vorzüglichjte Soldatenbezugsquelle 
für das Ausland war. Und doch lag hierin auch wieder ein Troft. 
Man jah: wenn wir auch feinen feiten und glänzenden Stats- und 
Volkskryſtall bildeten — die Mutterlauge, aus der er einmal hervor- 
gehen konnte, die war reichlich vorhanden und war vollauf gejättigt 
mit tüchtiger Kraft. Anders in Frankreich! Ihm war es un- 
möglich, im eigenen Lande die Hauptwaffe der modernen 
Bölfer: ein tüchtiges Fußvolk, zu werben, jo ermitlich 
jeine Könige fich auch dafür bemühten. 


8 76, 


Der jchlimme Verfall des Söldnertums in Deutjchland führte 
dahin, daß man hier der Dienftpfliht der Untertanen 
überall erneute Aufmerkjamfeit zumendete und es im Laufe des 
16. Shots. wiederholt verjuchte, das „Landesdefenfionswejen“, diejen 
Reit des alten Heerbanns, aus der WVerrottung, in Die es ver- 
junfen, wieder emporzuheben. Jenes Defenfionsmwejen beruhte auf 
dem Grundjage, daß dem Landesherrn zur Aufrechterhaltung der 
Ordnung und zum Schuße des Landes jeder Untertan Dienjt zu 
leiſten habe; aber diejer Grundjag war längjt durch den anderen 
bejchränft worden, daß der Landesherr nicht befugt ei, die „Nahe 
rung“ jeimer Untertanen zu jtören. Daher wurde das Defenjions- 
werk auf den Landtagen zwiſchen Fürjt und Ständen „verglichen“ ; 
der „Ausſchuß“ (Kontingent) ward auf die einzelnen „Orte“ (Kom— 
munen) verteilt und dann gewöhnlich die Gejtellung der Mannichaft 
durch Geld abgelöjt, für das der Fürſt Söldner werben mochte. 
Dies Herfommen galt e8 nun, abzuftellen; es galt den Verſuch, 
die alte Einrichtung m neue, feite Formen zu faljen und durch 
‚sriedensübungen! aus dem Aufgebote der Landeskinder eine Truppe 
zu bilden, welche zur Verteidigung der Heimat, ja womöglich auc) 
im Felde gebraucht werden könnte. — Bejtrebungen jolcher Art 
regten ſich in allen Teilen des Reiches, am frühejten anjcheinend 
wieder in Ofterreich, wo ſich 1529 zwar der Türfe an den 
Mauern des tapferen Wiens fruchtlos den Kopf zerjtoßen hatte, 
wo jedoch die Wiederkehr ähnlicher Gefahr in naher Aussicht jtand 

Zähne, Geihichte der ſtriegswiſſenſchaften. 44 


690 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppensftunde. 


und man deshalb die Beitimmungen des anjcheinend jchon wieder 
halb vergejfenen Innsbruder Libells S. 682] erneute !). 


Die Stände ded Landes ob der Enns beſchloſſen (abgejehen von einer 
augenblidliden Beihilfe zur Einrichtung eines „ordentlichen Militärs“ auf fünf 
Monate), die Reorganijation des Landesaufgebotes und jepten folgendes feit: 
Ale Herrihaften im Lande mujtern ihre waffenfähigen Untertanen und heben 
den zehnten und den fünften Mann zum Aufgebote aus. Für den Unterhalt 
desjelben jorgen die Heimbleibenden. Die Wocenlöhnung des Aufgebotenen 
darf jedod vier Schilling nicht überfteigen. Die Stände wählen einen Oberfeld- 
hauptmann oder Landoberjten und vier Biertelhauptleute. Dem Oberjten reichen 
die Herrihaften ihre Mujterrollen ein. Die Viertelhauptleute bejtimmen die 
Sammelpläge der ihnen unterjtellten Aufgebotsmänner. — Im Fall der Not: 
wendigfeit haben jich aud) die nicht Gemujterten an der Verteidigung des Landes 
zu beteiligen, welche auf Befejtigungen der Grenzen (Schanzen und Berhaue) zu 
jtügen ift. Als eine Art Kernwerk foll der Markt Stremberg mit jtarten Schanzen 
umgeben werden. Die Bültenbefiger haben von je 100 Bid. Einfommen 1 Prerd 
zu jtellen. Jedermann von 12 Jahren an zahlt 4 Kreuzer Kriegsjteuer. In jedem 
Viertel werden bejtimmte Zufluchtsorte eingerichtet, um reife, Weiber und 
Kinder zu bergen. 

Dieſe Defenfionsordnung hat im wejentlihen bis zur gänzlihen Um— 
wandlung der öſterreichiſchen Kriegsverfaſſung bejtanden und iſt mehrfah in 
Tätigfeit getreten. 

Inzwiſchen erfannte man in Ojfterreich auch, wie drückend für den 
Adel die rein perjönliche, ohne Rüdjicht auf den Bejit geforderte 
Kriegspflicht jei. Mlinder begüterte Edelleute waren bei den häufigen 
Aufgeboten bald nicht mehr im jtande, ſich in genügender Rüjtung 
zu halten, und demgemäß wurde ti. 3. 1557 feitgejeßt, daß von 
100 Bid. Geldes ein gerüftetes Pferd auf drei Monate und von 
30 Untertanen ein Büchſenſchütz zu jtellen je. Dieje neue Auf: 
gebotsordnung wurde 1564/5 wiederholt bekaunt gemacht ?). 

Die Bewachung der Städte und ihrer Befejtigungen blieb im 
Frieden den Bürgern überlajjen, deren Borjtände daher auch die 
Feſtungsſchlüſſel führten. 

Die Bürger hielten regelmäßige Schiegübungen ab und hatten feite Sap- 
ungen, 3. B. zu Wien die „alt Ordnung der Pürenſchüczen“ von 1525 
[S. 672), welche 1559 verbejjert wurde. Manche ihrer VBorjchriften erinnern nad 
Genauigkeit und Strenge an die Artifelbriefe. — Eine der militäriich bejtgeordneten 
Bürgerjhaften war die feit dem 14. Ihdt. bejtehende Triejter Terri: 
torialmiliz®). 


1) Kurz; Geſch. der Landwehr im Lande ob der Enns. I, ©. 84. Wusg. bei Menner: 
a.a. 0. Il. 9 Suarient: Codex Austriacus I, ©. 63. ?) Bgl. Zrieiter Ztg. (März 1852). 


1. Heeresaufbringung. 691 


In Ungarn zerfiel die Landwehr (militia) in die personalis 
insurrectio der Edelleute und Geijtlichen und in die auf dem unter: 
tänigen Örundeigentume beruhende „Bortalmiliz“, d.h. den Be 
Jagungsdienjt in den Burgen. Dieje Bejagungsfahnen (Banderien), 
bildeten eine Art jtehendes Heer, den jog. „föniglichen Arm“. 
Ferdinand I. reorganijierte jie und näherte zugleich die Einrichtungen 
der Landesdejenjion Ungarns denjenigen Dfterreichs an ?). 

Bejonderd warn und einjichtig trat für den Gebrauch der Unter: 
tanen im Kriegsdienſt der wadere Lazarus von Schwendi in die 
Scranfen [S. 539]. Aber zu jeiner Zeit war die allgemeine Zeit: 
ſtrömung jolchen Ansichten jchon nicht mehr hold, führte vielmehr eben 
gerade damals jogar in Tirol zu einer grumdjäglichen Umwandlung 
der perjönlichen Dienjtleiftung in eine Geldzahlung. 

Der Betrag des im elfjährigen Landlibell [S. 682] verordneten 1. Aufgebotes 
von 5000 Streitfnechten wurde zu Grunde gelegt und fejtgejtellt, daß jene, die ver- 
pflichtet waren, einen Knecht zu jtellen, jtatt dejien 36 Gulden zahlen jollten. 


So wurden aus Streitfnechten jogenannte „Steuerfnechte“, deren Geldleijtung 
übrigens nad) und nad) jtieg ?). 


In Brandenburg, wo das Lehnswejen niemals eine jolche 
Nolle geipielt wie im Weiten und Süden des Neiches, und wo die 
unmittelbare Beziehung des Volkes zum Markgrafen durch die lang 
währenden Kriege mit Wenden, Polen und Pommern weit frifcher 
und Fräftiger geblieben war, lag der Schritt zur Wiederbelebung des 
Heerbannes näher al3 in irgend einem anderen Gebiete Deutjchlands. 

Kurfürit Johann Georg befahl in den jiebziger Jahren den Haupt: 
leuten der geworbenen Feſtungsgarden die Muſterung ganzer Landſchaften und 
die Ausbildung der Mannſchaft, damit fie ſich „gegen den Feind in die Ordnung 
ihiden, ihre Rüjtung, Wehr und Waffen nüglih und zur Errettung ihres Leibes 
und Lebens gebrauchen und fich jederzeit gefafit halten jollen, damit Wir in 
Nothfällen Uns auf diejelben zu verlajjen haben mögen“ 9). — Im Jahre 1583 ver: 
ordnete der Kurfürjt die Anfertigung eines neuen allgemeinen Mujterregijters 
von Adel und Städten *) und hielt auf diefe Weiſe den Grundjag der perjönlichen 
Dienjtpflit der Untertanen lebendig. Hand in Hand damit ging die Sorge für 


ı, Biringer: Ungarns Banberien (Wien 1810, 1816). Mepymert: Kriegsweſen der Ungarn 
(Wien 1876). 

2, Meynert: Geidh. db. öſterr. Kriegsweſens II, ©. 173 (Wien 1854). 

>) Bol. die Beftallung Baltzers von Schönaidh bei de U’ Homme de Gourbiäre: Geſchichte 
ber brandenburg.spreußifchen Heeresverfafiung (Berlin 1852). 

4 Ebd. die Zujammenftellung der von ben Städten zu biefem Zwede eingeforderten Berichte 
nah dem im der Kgl. Bibliothek zu Berlin aufbewahrten Ms. boruss. Wr. 310 


44° 


692 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer- und Truppensfunde. 


deren Bewaffnung. Neander von Petershaiden erwähnt in feinem Injtruftions 
buch, daß die brandenburgijhen Kurfürſten auf allen ihren märfifchen un» 
preußiſchen Schlöfjern Zeughäuſer eingerichtet hätten, um das Aufgebot daraus 
zu bewafinen. Xeider habe ſich bei einer 1586 vorgenommenen Prüfung derjelben 
ergeben, dab die Musketen und Haken oft zum Jagdgebrauche verliehen gemeien, 
an anderen Orten aufbewahrt, ja wohl gar veruntreut gewejen jeien. 


Bejonders zielbewußt und Har handelte man in Bayern. Die 
treibende Perjünlichfeit war bier der Freiherr Franz Albrecht von 
Sprinzenjtein, der aus einem ſüdtiroliſchen Hauje jtammte und 
wohl mittelbar noch unter dem Einflujje der heeresorgantjatoriichen 
Ideen Machiavellis jtand [S. 463). 

Bergleiht man die von Eprinzenjtein als bayerifcher Oberlandeszeugmeijter 
und Organifator der Miliz, wie als Generals-Superintendent der Fejtungen in 
Ungarn und Ofterreih an den Tag gelegten militärischen Auffafjungen mit den 
am Hofe des Großherzogs Cosmus von Medici herrihenden Verhältnifien, 
jo drängt ſich unwillfürlich die Überzeugung auf, daß der langjährige Aufenthalt 
des Freiherrn zu Florenz al® maßgebend für defjen Entwidelung auf dem Gebiete 
des Kriegsweſens anzujehen ift. Die ganze Negierungsart des Mediceers hatte 
nämlid einen militärijchen Anſtrich. Am Hofe befanden ſich viele tüchtige Haupt— 
leute wie Savelli, Baglioni, Friedrih und Otto Barbolani, dann der im Kriegs 
wejen, namentlich im Befejtigungswejen und der Belagerungskunſt, ausgezeichnet: 
Ehiapponi Vitelli, neben ihm als Artillerift befannt der Mailänder Clement: 
Pietra. Des Großherzogs Leibgarde bejtand aus einer Kompagnie deutjcer 
Soldaten, 100 Hafenjhügen und einer Estadron Chevaulegers, i. ©. 600 Mann 
welche ihn auf Reifen ſtets begleiteten. In der Schweiz, Deutſchland und einigen 
italienijhen Staten gab der Fürjt tüchtigen Hauptleuten Wartegeld, um fich ihrer 
gelegentlich bedienen zu fünnen. Im Lande waren die Feſtungen in trefflichem 
Zuſtand; die im Bau begriffenen wurden nad) den neuejten Erfahrungen errichtet. 
Das Gejamt- Militärfyftem aber war da8 der Milizen, nidt ganz in 
der Weiſe, wie: e8 einſt Maciavelli angejtrebt, aber doch immerhin im ver: 
wandtem Sinn. — Im Jahre 1584 überreihte nun Sprinzenjtein dem Herzoge 
Wilhelm V. von Bayern eine Denkichrift (Bayer. Reichsarchiv. Adelsjelect.', 
in der er ſich erbietet, außer einer Werbung von 1000 Schügenpferden für den 
Landsberger Bund eine Miliz in Bayern einzurichten und einzuüben. „Wenn 
er nicht von Jugend auf bei jolden Ererzitien erzogen, würde er die Abrichtung 
der Miliz gewiß nicht wünjchen. Hätte der Großherzog von Toskana die Miliz 
nicht vorgenommen, würde er zur Stund von Land und Leuten vertrieben jein. 
Bis man ein fremdes Kriegsvolk ind Yand bringt, kann, wenn feine Miliz da. 
viel verloren fein. Er wolle zu Landshut mit einem Fähnlein die Probe ab: 
legen; man müfje aber hierzu die eiertage der Sommerszeit wählen, damit die 
Leute nicht im Erwerbe gejtört würden.“ Der Herzog ging auf Sprinzenjteins 
Vorſchläge ein, und bis zum I. 1587 bejchäftigte fich der Freiherr außer mit 


1. Heeresaufbringung. 693 


Angelegenheiten der Artillerie und der Truppenausrüftung mit der Milizeinrichtung 
bejonders in Niederbayern, wobei es ſich zugleich um Einrichtung von Zeughäufern 
für das Landvolk handelte‘). Herzog Marimilian I. ſchritt auf diefem Wege 
fort, indem er unmittelbar nad) jeinem NRegierungsantritte das Landvolks— 
bewehrungswerk eifrig in die Hand nahm. Am 30. Dezember 1600 wurden all= 
gemein neue Mujterregijter aufgejtellt, auf Grund deren die Amtleute die „Land— 
fahnen“ formierten. 


Niemand Hat die Gründe für Bejeitigung des Söldnerweſens 
und dejjen Erjag durch die geordnete Bewaffnung der geübten Unter: 
tanen mit mehr Wärme und Klarheit auseinandergejegt, als Graf 
Johann von Najjau, der jie zugleich in jeinem eigenen Lande 
praftiich ins Werk ſetzte [S. 574]. 

Nahe verwandte Einrichtungen wurden in der Wetterau, in 
Heſſen, in der Pfalz, inBaden und Schwaben, in Branden- 
burg-Kulmbad, in Sadjen und Preußen teil3 vorbereitet, 
teil3 durchgeführt, wovon jpäter XVIIa. III. Kapitel] die Rede 
jein wird. Nirgends aber haben diejelben auf die Dauer den Hoff: 
nungen entjprochen, welche jich an ſie fnüpften, und immer aufs neue 
jahen jich die deutjchen Kriegsherren auf das Söldnermwejen zurüd- 
gewieſen. 


877. 


Entgegen der auf die Volksbewaffnung hindrängenden Strömung 
läßt ſich eine andere erkennen, welche die Entwickelung ſtehender 
Armeen im Auge hatte, alſo an den Gedanken anknüpfte, der zuerſt 
nach Ausgang der engliſchen Kriege, wenn auch nur in enger Be— 
ſchränkung, von Charles VII. in Frankreich verwirklicht worden war. 
Um die Mitte des 16. Ihdts. hat Markgraf Albrecht von Branden— 
burg-Preußen das „Deſiderium“ des ſtehenden Heeres aufgeſtellt 
S. 523]; aber ſchon ein Menſchenalter vor ihm war es von Thur— 
mayr, genannt Uventinus, ausgejprochen worden, u. zw. in einer 
längeren Denkſchrift „Das alt Romijch Kriegs-Regiment*, 
welche die Ef. k. Hofbibl. zu Wien, das Neichsarchiv zu München ?) 
und die Leipziger Stadtbibliothef bewahren [S. 525). 

„Es ijt bei uns Deutjchen“, jo jagt er, „ein jolher Braud, wenn der 
Kaiſer oder König einen Krieg führt, und Kriegsvolk auf will nehmen, jo läßt 


1) Würdingera.a. ©. 
*») Heilmanna.a. O. 


694 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppen=flunde. 


er im Reid) umjchlagen, dann jo kommt eine große Anzahl Volks zujammen. 
rotzigs und reudigd, geübt8 und ungeübts, Knecht und Diener, Jungs und Alte: 
und ijt faum der halbe Theil gejhidt zum Krieg; nun braucht man fie jo lans 
man ihrer bedarf; es geräth wohl oder übel, jobald man ihrer nimmer bebar, 
jo gibt man ihnen Urlaub, und läßt fie abziehen, dazu oft böslich bezahlt, un! 
wenn fie dann nicht flint aus dem Lande ziehen und ſich flugs paden, jo drob: 
man ihnen mit Henken und Tränten aus dem Land. Wann man ihrer in Nöthen 
bedarf, jo heißt man fie Ritter, freundbarlid; Landsknecht, und ſpricht ihnen mit 
ehrlichen Titeln zu; jobald man ihrer nimmer bedarf: nur aus mit den Buben 
oder alle gehenft! Und ijt uns Deutfchen eine große Schande, daß man einen 
Kriegämann, der fein Leib und Leben für einen Herrn, Land und Leute jest, 
nicht bezahlen jolle, noch viel größre Schand, daß man ihm bei Henken und aller 
Ungnad aus dem Lande treibt; nahmald® muß er dann mit Beichwerde des ge- 
meinen Mannes heimgarten, ijt ein wenig ehrlicher als betteln.“ — Daß tur 
nun der Türke nicht; er behalte jein Kriegsvolk ſtets beijammen, wie e8 auch die 
Römer getan, und lege es auf die Grenze oder in des Feindes Land. Die 
Römer behielten immer den halben Monatjold zurüd, um ihn nach beendigtem 
Kriege dem Manne zu geben; „jeßo dagegen iſt der Braud, wenn man ben 
Monatfold ausgibt, behält mander feinen Sold feine zwei Stunden, jo bat er 
ihn ſchon verjpielt oder in andern Weg böslich verthan; nachmals legt er fich aui 
den armen Mann“. Bei den Römern hätten die alten Knechte — emeritos, 
veteranos milites — mit ®eib und Sind viel Freiheit und gute „geitifte 
Pfründen“ genofjen; „jeßo müſſens gleich jo wohl Mangel leiden, und im Bettel 
umlaufen, als die jungen Knechte“. Die Römer hätten den dritten Teil ſämt— 
liher Statseinnahmen in die „Rentſtube“ gelegt und damit „ein gejtiffts 
friegspoLf“, d. h. ein jtehendes Heer unterhalten. Dasjelbe täten die Türken, 
und auch fie hätten ihren jtehenden Truppen die jchönjten Siege verdantt. Wenn 
die römijche Kriegskafje leer gewejen, jo hätten die Reichen Geld porgejchofien. 
In Deutihland zahle freilich nur der Bauer Steuern; doch aud) der werde das 
Geld lieber auf die „Kriegsrentjtube” als zu den Piaffen und in die Klöfter 
bringen. „Alleweil aber ſolche Ordnung mit den geftiften Rentjtuben und Krieg‘ 
volf aus dem Brauch fommen, und gar ein amderer ungereimter und deutſcher 
Nation jhädliher Mißbrauch mit dem Kriegsvolk eingewachſen ijt, dadurd die 
deutjche Nation hochbeſchwert und das Land an Geld dadurch erjeigert wird, io 
will ich ein Anzeigen und meinem Gutbedünfen dartun, wie und auf melden 
Weg jolde Kriegsrentjtube und dazu gejtift Kriegsleut möchten auf: 
rihten und bejtellen, wierwohl ich weiß, daß mir bei vielen nicht Folge wird ge 
than zc. x.” Er jchlägt nun vor: Den dritten Pfennig der Stat8einnahmen, 
die „geitifte Pfründen“ und die Klöfter und Stiftgelder in die „Kriegsrentſtube 
zu legen. Auf dieje Weije brädte man jährlih eine große Summe Geldes 
zufammen „und man möchte viel gejtiftes Kriegsvolf für und für davon umter- 
halten und gegen die Feinde auf die Grenze legen... Und wenn man alio 
das Kriegsvolf für und für bei einander in guter Übung behielt, bedurfte man 
nit allweg fo viel und große Menge, thäten in einer Schlacht 1000 geübte 


1. Heeresaufbringung. 695 


Knete mehr, denn jonjt 2000, jo nicht geübt und des Kriegs und der Schlacht— 
ordnung Braud nicht willen, fommt mander alte geübte Knecht um in der Schladht, 
jo jonjt, wo feines gleichen hinter ihm hielt, der fein Auffehen auf ihn ſoll haben, 
bei Leben blieb“. 

In dieſer intereffanten Denkichrift verbindet fich alfo der Gedanke 
des jtehenden Heeres einerjeit3 mit dem der Stiftung einer jtändigen 
Striegsfajje, andererjeitS mit dem des Grenzerheeres, wie ein jolches 
ja in der Tat den Osmanen gegenüber zu jtande kam. 

Dieje öſterreichiſch-ungariſche „Grenze“ it von hoher 
Bedeutung geworden. Sie iſt, wie H. v. Zwiedined-Südenhorit fejt- 
gejtellt Hat ?), ganz weſentlich eine Schöpfung deutjcher Tatfraft, 
und deutjche Schriftjtüde jind es daher auch, an deren Hand jener 
Forſcher die Entwidelung der Grenzeinrichtungen nachgewiejen hat. 

„Ganntzer Ordinari Khriegsjtaat. Wie der von Sibenbürgen an 
bis auf Windiih Lant dur die Khay. Mat. vndterhalten wierdt vnnd wie der= 
jetb vermög der Mufterofficier vberſchichhten Verzaichnufien auf einer und ber 
andern Graniz zue Ausgang des 89. Jars (1589) befunden worden. (Bibl. des 
Germ. Mujeums zu Nürnberg Nr. 66523 Handicrift.) 

Summa aller graniz heuſer in vnder vnd ober Graiß der Cron 
Hungern. Anno 1593. (Kriegsarchiv in Wien.) 

Inſtruktion was zu ießt von der Röm. Kay. auch zu Hungarn und 
Bohaim Maj. ... geen Regensburg auf den 17. Wprilis jchierift volgunden 
94. Jars ausgeſchriebener Reichstag bey denen hodlöblichjten Ständen des 9. 
röm. Reichs . . . Fürſtenthum und Lande Steier, Kärnten und Crain die 
mwolgeborenen Herrn . .. . als dreier Lande erfiejte Gejandte fürbringen, handeln 
und verrichten jollen. (Steierm. Landesarchiv. Kriegsakten. Fasc. 2./12.) Gibt 
eine jehr überjichtlihe Darjtellung der Verhältnifje an den Grenzen. 

„Discurs“ eines inneröjterreihiihen Beamten, die Türfenhilfe betreffend. 
(Steierm. Yandesarhiv. Fasc. 1/6 Kriegäaften.) 

Sieht man von den eigentümlichen Einrichtungen diejer Militär: 
grenze ab, jo blieb das vaterländische Söldnerwejen unverändert in 
der gleichen jchlimmen Berfaffung, wie jie Thurmayr jelbjt gejchildert. 

878. 

Unter ſolchen Umſtänden mußte die Aufbringung der Führer— 

ſchaft auf große Schwierigkeiten ſtoßen. Handelte es ſich doch nicht 


nur darum, brauchbare, ſondern zugleich weithin bekannte und vorſchuß— 
fähige Männer ſowohl im Augenblicke der Heeresaufbringung an der 





i) ſrriegsbilder aus der Zeit ber Landsknechte (Stuttgart 1883). Vgl. auch: Trautmann: 
Überf. d. Entſtehung der öfterr. Militärgrenze (Oſterr. mil. Ztſchr. 1886, VI, ©. 278). 


696 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppen-Kunde. 


Hand zu haben, als ſich ihres Rates bei militäriichen Einrichtungen 
aller Art auch im Frieden bedienen zu fünnen. Da die Fürjten num 
meijt durchaus nicht in der Lage waren, die großen Koſten einer 
ſtändigen Bejoldung derartiger Berjönlichkeiten zu tragen, jo wurden 
mit zuverläjjigen Inländern, welche jich erboten, über die ihnen als 
Untertanen zulommende Heerespflicht hinaus die Stellung weiterer 
Mannjchaft (befonders Neiter), zu übernehmen, jowie mit tüchtigen Aus- 
ländern, welche geeignet waren, Werbungen durchzuführen, oder ſich 
an der Ausbildung der Milizen und der Artillerie zu beteiligen, oder 
durch) ihre Beziehungen zu den Höfen diplomatische Sendungen zu 
übernehmen, auf längere Zeit Dienjtverträge abgejchloffen, die 
jie verpflichteten, gegen em Wartegeld oder Leibgeding ſtets jich 
bereit zu Halten, den mit ihnen vereinbarten Anforderungen nach 
fommen zu fünnen. Verträge folcher Art hatte der deutjche Orden 
ſchon jeit dem letzten Viertel des 14. Ihdts. mit dem pommerjchen 
Adel, im 15. Ihdt. mit Edelleuten Schlefiens, der Lauſitz und des 
Meißener Landes abgejchlojfen; jet wurden jie auch im inneren 
Deutjchland allgememer. In manchen Fällen war vorgejchrieben, 
wie viele Wochen die Verpflichteten jährlic) im Lande des Auftrag- 
gebers zuzubringen hatten. Man nannte jie Brovifioner?). 

E3 waren Fürjten, Grafen, Edelleute, Bürgerlice, je nach Umſtänden; es 
fonnten Herren jein, welche bei einem befreundeten Hofe in Beitallung, d. 5. in 
aktivem PDienjtverhältniffe, jtanden und von ihrem Dienjtherrn Erlaubnis zur An— 
nahme der PBrovifion erhalten hatten; es konnten altgediente Krieggmänner jein, 
die ſich eigentlich zur Ruhe gejegt: wie der Wiener Provifioner von 1536 [$ 80] 
oder der Feldgerichtsſchultheiß Frönsperger 1566 [$ 32). Ob die beiden leßteren 
übernommen hatten, im Sriegsfall aud) Truppen zu werben, ijt nicht befannt, 
doch unwahrjcheinlich; vermutlich ſaßen fie lediglich als Wachtmeiſter und Schult- 
heiß auf Wartegeld; meijt aber waren die Provifioner verpflichtet, jobald es ge 
fordert würde, nicht nur ſelbſt zu erjcheinen, jondern an der Spike einer gewiſſen 
Anzahl von Kriegern. Demgemäß hielten fie auch im Frieden gewöhnlich einige 
Leute, bezw. Pferde. Dies zeigt fi) in Bayern jhon bei dem Landshuter 
Aufgebote von 1526. Der Herzog von Württemberg hielt 1596 35 Pro— 
vijioner mit 96 Pferden, drei Jahre jpäter nur nod 15 mit 39 Pferden ?). — In 
der Mark Brandenburg nahm Markgraf Johann 1552 den oh. dv. d. Aſſe— 
burg als NRittmeijter über 500 reifige Pferde und Schügen in Dienft; dieje aber 
wurden nicht verjammelt, jondern der Rittmeijter erhielt für jedes Pferd 5 Taler 





1) Würbingera. a. D. 
2) VBgl. das Verzeichnis in Beilage XXII von Stadlingers „Geld. des württemb. Kriens 
weſens (Stuttgart 1858). 





1. Heeresaufbringung. 697 


Wartegeld und verpflichtete jich, im Bedarfsfalle am Muſterungstage vollzählig 
zu erſcheinen. Solche Verträge liegen viele vor; fie garantierten zugleich Offiziere 
wie Mannſchaft für den Notfall und jtellen jich al® eine Art von neuem Lehns— 
neru8 dar; denn die Proviſioner ſchloſſen wieder mit andern ihnen befannten 
Kriegsleuten ähnliche Kapitulationen, wozu fich immer eine Menge von Leuten 
meldeten. War das Verhältnis doch oft jehr vorteilhaft für die Proviſioner; 
denn wenn der Kriegäherr im Berlaufe der Vertragszeit die Truppen nicht ge= 
braucht Hatte, jo war das Wartegeld reiner Gewinn für den Unternehmer und 
jeine Hintermänner. Bon Patriotismus war dabei wohl jelten die Rede. 

Eine ähnliche Stellung nahmen die Büchſenmeiſter ein, jowie 
die Zeugmeijter, deren Fürſten und Städte einen oder mehrere in 
mebrjährigem, jelten in dauerndem Dienjte zu halten pflegten. 

Die Bühjenmeijter goſſen und falibrierten die Gejchüge meijt nad 
ihrem Gutdünken, ließen Pulver und Kugeln nad) ihrer Angabe fertigen; fahrbare 
Brüden, Brech- und Hebezeug entjprangen ihrer Erfindung. Jeder jolder Meijter 
bildete gewijjermaßen ein für ſich abgeſchloſſenes Stüd Artillerie, das nur im 
Felde oder bei Belagerungen jih dem Zeugmeijter ald Oberbefehlshaber 
unterordnete. — Ihre Gehilfen, die Stückknechte, wählten fie aus dem Fuß— 
volfe und richteten jie ab, bejorgten aber das Bifieren und Losſchießen jelbit. 
Die bei Kriegsausbruch nötig merdende Vermehrung dieſes Perſonals wurde 
immer nur für je einen yeldzug angeworben. Man rechnete auf jeden Mauer: 
breder (Belagerungsgejhüg) zwei Bichjenmeijter, auf jedes Feldgeſchütz einen 
„Schützen“, d. h. einen Büchjenmeijter untergeordneten Ranges. Der Zeugmeijter 
prüfte ihre Papiere und unterwarf ſie nötigenfall® aucd einer Prüfung. Die 
Löhnung richtete ji) nad) der Größe des zu bedienenden Stüdes und jtieg vom 
1'/sfahen zum 4fachen Landsknechtsſolde. 

Ihre Ausbildung gewannen die Büchjenmeijter als fahrende Schüler auf 
der Wanderihaft von einem berühmten Meifter zum andern. Bon Mund zu 
Mund oder in den handichriftlichen Zeughaus und Büchjenbüchern pflanzten ſich 
die Ktenntnijie fort. Lediglich an diefe Manujfripte muß man ſich halten, wenn 
man den wirklichen Bejtand des artillerijtiichen Wiſſens jedes Jahrzehntes fennen 
fernen will; denn die gedrudten Bücher plaudern jelten aus der Schule, 
predigen vielmehr fait immer nur längjt, oft jeit fait einem Jahrhundert veraltete 
Weisheit. — Dabei lebte in den zunftmäßig abgeſchloſſenen Kreiſen der Büchſen— 
meijter ein jtarler Berufsjtolz, welcher den anderen Teilen der bewaffneten Madıt 
zumeilen mit überjpanntem Selbjtgefühl begegnete. Und doch war das Willen 
vieler diejer „Meifter“ recht verworrener Art, und wie jehr fie, namentlid in 
der zweiten, friedlichen Hälfte des Jahrhunderts der Praxis entwöhnt waren, iſt 
ihon bei Betradytung der Schiegübungen [S. 673] angedeutet worden. 

Collado klagt darüber, daß die als Söldner umberziehenden Büchjenmeijter, 
der Mehrzahl nad) Deutjche, Trunfenbolde jeien, die von der Theorie, zumal 
von der Anfertigung der Ladeſchaufeln (d. h. von der Beitimmung der Pulver: 
ladung je nach dem Kaliber), von dem Auffinden des Spielraums umd dem Ge- 
brauche der Ridhtinjtrumente wenig verjtünden. Schlimmer freilich jeien noch die 


698 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppen-funde. 


Spanier und Jtaliener. Unter diefen hätten ihm jogar einige bejtritten, daß 
man durd Steigerung der Elevation die Schußweite vergrößern fünne. 

Zur befjeren Bildung des Perſonals legte, wie Collado (V) 
verjichert, zuerjt Venedig Artilleriejchulen an, welche lange Zeit durch 
für die beiten gehalten wurden. Dann begründete Kaiſer Karl V. eine 
Artilleriejchule zu Burgos, deren Gejege noch erhalten jind!). 

Waffengemäße Organifation der Artillerie von jtats- 
wegen fam zuerjt in Frankreich auf; aber gegen Ende des Jahr: 
hundertS wurde doch auch in Deutichland das Bedürfnis einheitlicher 
Leitung des Gejchügiwejens in einzelnen Territorien jo ſtark empfunden, 
daß manche Fürjten eine Behörde einrichteten, unter welcher die Aus 
rüftung mit den Waffen, deren Aufbewahrung in den Zeughäujern 
(die übrigens ſtets jamt ihrem Inhalt als fürftliches Privateigentum 
galten), dann die Feitungen, die Wagenburgen und die Schiffbrücen 
Itanden. Ein jolches oberites „Landzeugamt“ jcheint ſich zuerit 
in Bayern jeit den jiebziger Jahren allmählich herausgebildet zu haben. 

Im Jahre 1586 befam der Oberbüchfenmeifter Hanz Helmb [S. 613) 
den Auftrag, für das Zeugmeijteramt eine Inſtruktion zu entwerfen, aus der 
wir bezüglid) des Perjonals entnehmen: „Der Obrijt Zeugmeijter joll einer 
von Adel und Landjafje fein, der ein Kriegsmann gewejen; er hat einen Lieute— 
nant, der ein Landsknecht war, und ein Büchjenmeijter ift. Der Zeugmeiiter 
joll ein Büchjenmeijter fein und die Munition arbeiten können. Er joll haben 
Gießer, einen Pulvermader, dann Scloffer, Wagner, Zimmerer und Schmiede, 
außerdem einen Rüjtmeijter und einen Zeugjchreiber, der Alles doppelt aufnimmt. 
Die Auffiht über die Feldſchmieden und die Schiffbrüden hat ebenfalld der Zeug— 
meijter und dafür einen Geſchirrmeiſter, der mit der Munition im Kriege 
gefahren und gebraucht worden“. 

Bejondere Kriegsbaumeijter finden jich bereit3 unter Katjer 
Marimilian I. angejtellt, von denen bejonders Reinhold von 
Sendlingen jener Gejchidlichfeit wegen gerühmt wird. 


2. Bruppe. 
Das Fußvolk. 


8 79. 


Wenn es Kaiſer Max nicht gelungen war, die Grundlage eines 
jtehenden Heeres zu jchaffen, jo wurden jeine organijatoriichen Be 
jtrebungen zu gunjten des Fußvolks deſto folgereicher. Er hielt ſich 


ı) Bol. Hoyer: Weich. der Sriegätunft I, ©. 268 (1797). 


2. Das Fußvolt. 699 


dabei an die überfommene Form der „freien Werbung“ und wandte 
jein volles fürderndes Interefje jenen Kriegergemeinden zu, die jich 
zumal in Oberdeutjchland nach eidgenöſſiſchem Vorbilde geitaltet hatten: 
den Landsknechten, deren Fähnlein jich aus Edelleuten, Bürgern 
und Bauern gemijcht ergänzten, deren Fechtweiſe er jorglich ausbildete 
und deren Zujammenjchliegung zu „NRegimentern“ etwa um 1490 zu 
jtande gefommen ift. Über deren Verfaſſung geben die alte Kriegs- 
ordnung [$ 12], die verjchiedenen Abwandlungen des Ämterbuches 
[SS 19, 22, 26, 28, 29], jowie die Frönspergerjchen Werfe 8 32] 
reichlich Auskunft. 

Die Deutjchen (Schweizer und Landsfnechte), teilten jich zu Anfang 
des Ihdts. mit den Spaniern in den Ruf der beiten Soldaten. Die 
Deutjchen, welche vorzugsweije Langſpieße und Halmbarten führten, 
fochten in mächtigen, vieredigen Gewalthaufen von durchaus phalan- 
gitiihem Charakter, welche bei feitem Zujammenhalt für Reiterei fajt 
unüberwindlich waren. Da nun die Ritterjchaft jahrhundertelang die 
Schlachtfelder beherricht hatte, jo erjchten eine Formation, welche das Fuß— 
volk befähigte, den Banzergejchwadern erfolgreichen Widerjtand zu letiten, 
natürlic) al3 überaus wertvoll. Auch beim Zujammenjtoße mit feindlicher 
Infanterie erwiejen jich die langen Spieße als jehr wohl geeignet, die 
Ordnung des Gegners zu löjen. Damit aber war ihre Wirfung 
freilich zu Ende. Sobald es das Handgemenge galt, wurden die langen 
Spieße unnüß. Aus diefem Grunde füllten die Schweizer das Innere 
ihrer großen Vierede mit Männern, welche kürzere Wehren, namentlich 
Streitärte, Kolben und Halmbarten führten; allein auch für die Ver— 
wendung dieſer Waffen fehlte es im entjcheidenden Augenblide nicht 
jelten an dem nötigen Raume; denn fie waren auf den Hieb be- 
rechnet. — Anders bei den Spaniern. Dieje erjchienen, der Haupt- 
mafje nach, gleich den Sriegern des alten Rom, mit Schwert und 
Schild bewaffnet und weit mehr für den Einzelfampf bejtimmt und 
geeignet wie die Deutjchen. Wohl führten auch die vorderen Glieder 
ihrer batallatas Piken, um den Einbruch zu erzwingen oder abzu— 
wehren; aber im Handgemenge waren die ringfertigen und behenden 
ſpaniſchen Rundjchildner den deutjchen Halmbartieren jehr überlegen; 
ja oft war ihr Vertrauen auf den geſchickten Gebrauch von Degen 
und Dolch und auf die Tüchtigfeit von Rüftung und Schild jo groß, 
daß jie e8 wagten, mit kleinen beweglichen Abteilungen, den cuadrillas, 


700 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppen-ftunde. 


die hellen Haufen der nordiichen Gegner von mehreren Seiten zugleich 
anzupaden und jich in mörderijchem Ringen gleichſam hineinzufreſſen. 


8 80. 


Die erjten wijjenjhaftlihen Unterjuhungen über 
die Taktik des Fußvolks haben damals Italiener angeitellt. 
Niemand war über die Zujtände des Kriegsweſens zu Anfang des 
16. Ihdts. jo vollfommen und zujammenhangend unterrichtet, als 
Macdiavelli. Eben er legt aber in jenen Sette libri dell’ arte 
della guerra [$ 7] den Hauptnachdruf auf das Fußvolk, da 
er den „Nerv der Heere“ nennt, und daher eriwog er mit Berftändnis 
und Sorgfalt die Vorteile ſowohl der deutjchen als der jpantichen 
Taktik und entjchted ſich jchlieglich für eine Vereinigung beider, für 
eine Verbindung phalangitiicher und legionarer Fechtart. 

Wie jhon zehn Jahrhunderte vor ihm PVegetius, macht auch Machiavelli 
die Bemerfung, daß man faun jemals mehr ala 6 bis 8 taufend Mann obne 
Intervalle und Dijtanzen in einem Haufen vereinigt habe. „Dies Hauptglied 
der Organijation“, jo jagt er, „wurde von den Griehen Phalanr, von den 
Römern Legion, von den Galliern Caterva genannt; die Schweizer, melde 
in unferer Zeit noch einen Schatten der Kriegäfunft bewahrt haben, nennen es 
»battaglione«e (Schladhthaufen.. Auh Macdiavelli will jein battaglione aus 
6000 Mann formieren, nämlid) aus 3000 Schildträgern, die mit dem Degen 
fechten, 2000 Pilenieren und 1000 Schügen. Die Zahl der legteren greift er 
alfo noch jehr gering, nur auf ein Sechsſtel des gefammten Fußvolks. Er reiht die 
Schützen auch nicht in die Front ein, fondern läßt fie nur vor derjelben jharmusgiren. 

Als Fdeal eines Fußvolks erjcheint dem großen Florentiner natürlich das 
römijhe. Er fennt die Klagen des Vegetius über die VBerzärtelung der ſpät— 
römischen Legionare, weldhe die Schutzwaffen verjhmähten, auf denen doch die 
Möglichkeit des Nahgefechtes beruhte, und ſchließt jich diefen Klagen für jeine 
eigene Zeit mit vollem Rechte an. „Unjer heutiges Fußvolk“, jagt er, „trägt zu 
jeiner Verteidigung ein eifernes Bruſtſtück . . . nur wenige haben aud Rüden 
und Arme bewehrt, feiner den Kopf... Diefe Art der Bewaffnung ijt zwed— 
mäßig für die Erleihterung der Märjche und Evolutionen. Ohne Schutzwaffen 
ijt aber der Mann jedem Schlage preisgegeben; er ijt geradezu unbraudbar beim 
Angriffe auf Befeitigungen, ja überall, wo er auf erniten, kräftigen Widerjtand 
jtößt, aljo auch gegen tüchtige Infanterie. Sobald ein gutes, mit Schußwaffen 
und Degen verjehenes Fußvolk den Schweizern jo nahe auf den Leib rüdt, das 
ihnen die Pife nicht mehr nüßt, jind fie doch aud auf den Degen angemieien, 
und dann fommen jie wegen des Mangel an Schupwaffen in Nachteil.“ 


Durch die großen Gevierthaufen der Schweizer und Landsknechte 
war der Gedanke der Defenjive leitend geworden. Da jedoch mut 


7 





2. Das Fußvolt. 01 


reiner Defenjive feine GEntjcheidung zu gewinnen it, jo galt es, 
esormen zu finden, welche dem Fußvolke günjtige Bedingungen für 
den Angriff ficherten. Als Mittel dazu erſchien den Taftifern die 
Berbreiterung der Gejamtfront des Heeres und das Re- 
Jervejyjtem. Praktiſch wurde beides längit von den Schweizern 
in ihrer jtaffelförmigen Schlachtordnung angewendet; theoretijch aber 
hat Machiavelli dieje Dinge nicht nur zuerjt gründlich auseinander: 
gejeßt, jondern jie auch weiter entwidelt u. zw. zunächjt lediglich in 
Anwendung auf die blanfen Waffen, da er auf die Feuerwirkung noc) 
ungemem wenig Wert legt. 

„Ihr teilt — fo ruft er feinen Zeitgenojjen zu — eure Heere in drei große 
Haufen: Avantgarde, Bataille, Arrieregarde: aber es find nur drei Namen; ihr 
benugt dieje Einteilung lediglih für die Bequemlichkeit der Märſche und der 
Lager. In der Schladt jtellt ihr die” drei Haufen in einem Treffen neben= 
einander und jet das ganze Schickſal des Kampfes auf einen Wurf. VBernünftiger 
verfahren die Schweizer; fie ordnen wenigitens von ihren großen Haufen den 
zweiten ſeitwärts-rückwärts vom erjten an, und das dritte Bataillon halten jie 
einen Büchſenſchuß binterwärt® von den beiden erjten. So vermag das zweite 
den Moment zu erjehen, um dem erjten beizujpringen, und das dritte hat Raum 
zum Vorgehen, um die beiden erjten aufzunehmen, wenn fie geworfen werden. 
Dieje Art, die Bataillone zu ordnen, ift notwendig, wenn man einmal durchaus 
die großen ungejhlachten Haufen anwenden will; man fann ſich aber mit geringeren 
Zwijchenräumen zwijhen den Bataillonen begnügen und doc das Treffen> 
ſyſtem anwenden, jobald man die taftijchen Einheiten zwedmähig verkleinert. 
Andrerjeit3 ift das jchweizeriihe Syitem immer nody ungenügend. In dem eins 
zelnen Bataillon desjelben iſt die Unterjtügung, welche die Unterabteilungen 
einander gewähren können, feine andere, als die in der griechiſchen Phalanı : 
die hinteren Glieder treten nur dann in Tätigkeit, wenn die vorderen außer Gefecht 
gejegt find; allenfalls treiben die hinteren Glieder die vorderen vorwärts. Das 
it nicht jene lebendige Unterjtügung, welche die einzelnen Unterabteilungen der 
Legion einander gewährten.“ 

Um nun etwas diefer Ähnliches zu erhalten, gibt Machiavelli feinem Haufen 
(battaglione) 10 Fähnlein (battaglie), deren jedes 400 Mann in 20 Rotten und 
20 Gliedern zählt. Bon dieſen ftellt er 5 Fähnlein in das erjte Treffen und 
läßt zwiichen je zweien derjelben Intervalle von 10 Fuß. Im zweiten Treffen, 
weiches 60 Fuß Hinter dem erjten angeordnet ijt, werden 3 Fähnlein u. zw. 
hinter dem mittleren und den beiden Flügelfähnlein des erjten Treffens auf— 
gejtellt ; im dritten Treffen endlid) jtehen nur zwei Fähnlein hinter dem Flügel— 
tähnlein des zweiten Treffens, von welchen es abermals 60 Fuß Abjtand hat. 
Hierdurdy werden die geworfenen Fähnlein des erjten Treffens befähigt, ſich ohne 
Verwirrung zurücdzuziehen; das zweite Treffen joll fie aufnehmen und den Kampf 
fortführen; endlich falls beide vorderen Treffen geworfen wären, jollen jie ſich 


702 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppensftunde. 


auf das dritte zurüdziehen und nun, gemeinfam mit diejem, den legten ent- 
jcheidenden Verſuch maden. 

Machiavelli nimmt aljo die römische Legionartaftif zum Vorbilde: 
troßdem aber bleibt auch jeine Schlachtordnung mehr auf die Ver: 
teidigung als auf den Angriff eingerichtet; denn jogar diejer große 
Geiſt jteht doch unter dem Banne jeiner Zeitanjchauung; auch ihm 
erjcheint unbewußt das Fußvolk als untergeordnet gegenüber Der 
Neiterei, als jchußbedürftig, und eben darum vermag er jein Vorbild 
nicht zu erreichen. Noch immer führen die fünf vorderen Glieder 
jeiner Fähnlein Spieße; noch immer umjchliegt die freien Flanken 
eine Spießerhede, und um die dafür erforderliche Mannjchaft zu ge 
winnen, gibt er jedem feiner Schlachthaufen einen Trupp von 100U 
„außerordentlichen“ Pikenieren bei, welche, gleich den Schüten, nicht 
in die Fähnlein eingereiht werden. Nur die 15 hinteren Glieder 
jeiner zwanzig Mann tief jtehenden Fähnlein bejtehen aus Degen 
jechtern (Rondartichiren, Rundſchildnern). — Auch die‘ verjchiedene 
Breite der Intervalle innerhalb der Treffen lehrt, dag Macjiavelli 
doch wejentlich von der defenjiven Stimmung des Fußvolks jeiner 
Zeit beeinflußt war: diejenigen des 2. und 3. Treffens jind nämlich 
groß genug, um dem 1. Treffen zu gejtatten, jich durch Diejelben 
zu rückzuziehen; die Intervalle des 1. Treffens dagegen reichen feines: 
wegs aus: weder dazu, den Feind zur Teilung jeiner Front zu ver: 
anlafjen, noch dazu, dem 2. Treffen die Möglichkeit zu gewähren, tn alt 
römischer Weije dem erjten wirkſam zu Hilfe zu kommen. 


Ber Machiavelli handelt es ji) um Wünſche und Vorjchläge. 
Will man den wirklichen Zuftand der damaligen Fußvolkstaktik Italiens 
fennen lernen, jo muß man des della Dalle gleichzeitiges Büchlein 
Vallo zu Rate ziehen, dejjen libro terzo denjelben Gegenjtand er 
fäutert [$ 8). Da ergibt ſich hinfichtli der Waffenzujammen- 
jegung, daß unter den blanfen Waffen die Pike allein berricht 
(abgejehen von den wenigen Halblanzen — lanco spezzate — der 
Bannerwache), und daß die Zahl der Schügen zwar in feinem fejten 
Verhältnis zu der der Piken jteht, durchweg aber jehr gering iſt. 

Eine »ordinanza de cento piche«e zählt 105 Piken, 9 Halblanzen (ein: 
ichließlich de8 Banners) und 17 Schützen. Die „Ordonnanz von 200 Pilen“ 
zählt 180 Riten, 14 Halblanzen und 28 Schützen, die „Ordonnanz von 
300 Riten“: 270 Riten, 14 Halblanzen und jeltjamerweije nur 17 Schügen. 





2. Das Fußvolt. 703 


In der Marſchordnung werden das Banner mit jener Wache, 
ſowie die Schüßen derart verteilt, daß fie beim Aufmarjch zum Schladht- 
haufen (per vnire a battaglioni) bequem an ihren Pla gelangen 
fönnen. Die Schügen find daher an den Gelenk: und Brechpunften 


der Kolonne in dieje eingeichoben und in das erjte und letzte Glied 
derjelben aufgenommen. 


Die ordinanza de cento marjchiert zu dreien: 11 lieder Pilen, dann 
1 Gl. Schügen, 4 GI. Pilten, 3 Gl. Fahnenwache nebit Banner, 4 GI. Bilen, 
1 Gl. Schüßen, 10 GI. Piken, 2 GI. Schügen, 6 GL. Piken. In das erite 
Pifenglied der ganzen Kolonne find drei, in das legte zwei Schüßen eingereiht, 
jo daß jenes ſechs, dies fünf Köpfe zählt. 

Die ordinanza de 200 piche marjciert zu fünfen: 12 Glieder Riten, 2 ©t. 
Schützen, 5 GI. Piken, 3 Gl. Banner mit lanze spezzate, 5 GI. Riten, 2 1. 
Schützen, 13 Gl. Pilen. In das erjte und legte Glied der Marſchſäule find je 
vier Schügen eingereiht, jo daß fie je neun Mann ſtark find. 

Die ordinanza de 300 piche marjciert zu jechjen. — U. f. w. 


Die normale Gefehtsordnung tt das volle Viered 
von ebenjoviel Gliedern wie Rotten, deſſen innerjten Kern 
das Banner mit jeiner Fahnenwache bildet, während die Schüßen in 
die Außenglieder zwiſchen die Pikeniere eingereiht find. 

Das battaglione de piche cento zählt 10 lieder zu je 10 Notten. Die 
Schützen find in das erjte und legte Glied eingejchoben, jo daß immer ein 
Spießer und ein Schü nebeneinander jtehen. 

Das battaglione de ducento piche hat 15 Glieder zu je 15 Rotten. 
Die Schüpen find in alle vier Außenglieder eingereiht, in denen die Leute daher 
doppelt jo eng als in den andern jtehen. Inter „Außenglieder“ find hier Front, 
Rüden und Marjchflanten des Vierecks verjtanden, von denen die beiden leßteren 


je nad Umſtänden dur einfache Wendung ebenfalls Fronten, bezw. Rüden 
werden können. 


Für Battaglioni von großer Stärfe (vier, jechs bis 
zehn Taujend Mann), empfiehlt della Valle beweglichere Anordnungen. 

Er gliedert die Maſſe z. B. (Fig. A ©. 704) in 4 Haufen und ordnet dieje 
in zwei Trefjen an u. zw. jo, daß je 2 Haufen hintereinanderjtehen. In dieje 
4 Haufen nimmt er nur Spießer auf; zwijchen fie aber ſchiebt er ein Gemifch von 
Spießern und Schügen ein: ein hohles Rechted, tiefer als beide Pilenier- 
treffen zujammen genommen, in dejlen Binnenraum SHeerführer, Banner und 
Artillerie geborgen werden. — Oder er jtellt (Fig. B) die vier Haufen derart 
zum Kreuze zujammen, daß in der Mitte ein großer, freier Plag für Banner 
und Troß bleibt, während die Artillerie, in den Winkelpunften der Kreuzordnung 
aufgejtellt, daS Terrain vor den Flanken der Haufen bejtreiht und jomit dedt. 
Wenn man will, mag man dieje Kreuzform auch als eine in drei Treffen 


1704 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer- und Truppen-Kunde. 


ihahbrettfürmig angeordnete Schladhtordnung bezeichnen, wobei denn aller: 
dings der Treffenabjtand nicht größer ijt als die Tiefe jedes einzelnen Haufens 


Artillerie. 

Fahnen. 

— 
dig. B. 


Artillerie 


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Auch die Anordnung im Keil (in triangolo) kennt und erläutert 
della Balle. Er zeigt ſich geneigt, den Keil gelegentlih auch noch 
mit zwei Flügeln oder Armen (doi brazza) zu verjehen, um der 
eingedrungenen Spite von außen ber zu Hilfe zu fommen. Einen 
jolchen Arm gibt della Valle zuweilen auch dem vieredigen Haufen 
(battaglione in quadrangolo) zu dem ausdrüdlichen Zwede, beim 
Zuſammenſtoße die Front des Gegners zu flanfieren; daher diejem 
Arme denn auch Schützen beigejellt find. 

Was der Verfafjer jonjt noch dvorbringt, verliert jich meijt in das Gebiet 
der Spielerei mit taftijhen Formen: jo die Anwendung des Hohlfeils (forfice), 
der elliptijhen Wufjtellung, der balbmondjörmigen Anordnungen 
(mezza luna), die 3. T. aufs fünjtlichite verbunden werden, und nicht zum 
wenigjten der Shladhtordnung »a& modo de scorpione«, welde auf 
einer Verbindung der dee der forfex mit der der depugnatio in similitudinem 
veru des Cato und Vegetius beruht [A. 18 und 37). Dieje unpraltiichen, 
fiherlic; niemals lebendig gewordenen Formationen find eben ſämtlich mehr oder 
minder mißverjtandene Neflere des gleichzeitigen humanijtiihen Studiums in den 
Schriften der antiken Taktiker. 

Um Ton und Haltung der Schrift zu fennzeichnen, folge bier 
das 35. Kapitel des dritten Buches, welches von dem parade— 
mäßigen Auftreten des Fußvolfs handelt, u. zw. des leichteren 
Verſtändniſſes wegen, in der franzöfijchen Überjegung von 1529). 


ı) Die Leitern diefer Überjegung find gotifh, und bie altertümlihe Echreibweije wimmelt von 
Abfürzungen, die oben aufgeldft find. 


2. Das Fußvolt. 105 


»De rechief est necessaire de scauoir mettre ses gensdarmes de piedz 
bien ordonnance et aornee deuant les yeulx des magnanimes, affin que 
prennent delectation de leurs aornemens et bonne ordre, que donne le 
cueur des experts gens darmes; est besoing mettre sa picque en l’espaule 
senestre auec la main aupres lespaule et auec le coulde hault fort et 
auec la teste droicte, ferme et estable, auec la main dextre sur la dague 
ou espee, et que la dicte pieque batte au droict du pied senestre, et il 
wient ainsi aux aultres de la mesme renche, et plus qu’vnchescun deulx 
ayent a entendre le tambourin en lordonnance auec pas lentz et braues 
et vnchescun deulx auec la mesme iambe mouuant le pas lung et lautre 
a ung temps en non se mouuent de la renche de leurs renche ou reigle, 
et ainsi faisant je concludz que delectera moult aux magnanimes iceulx 
present et circonstantz a tel ordonnance.« 

Man erjieht aus diefen Angaben, dab zur Bewaffnung der Pilenierd außer 
dem auf der linken Schulter getragenen Spieße auch noch Schwert oder Dold) 
gehörte, daß nad) der Trommel im Gleichſchritte marjdiert und Richtung 
in den Gliedern gehalten wurde, daß überhaupt Regeln und Zwede des Parade— 
marjches jhon damals diefelben waren wie fpäter und daß der, welcher fie wohl 
beadtete, auch damals jchon deleftierte les yeulx des magnanimes| 


8 81. 


In della Valles Buch tritt uns die gevierte Ordnung von ebenjo- 
viel Gliedern als Rotten für Oberitalien als unzweifelhaft normal 
entgegen. Daß dieſe Ordnung zu jener Zeit aber auch in Deutjch- 
(and herrichte, beweiſen die gejchichtlichen Nachrichten. Das jchweizerijche 
Vorbild war hier gleichfall8 maßgebend geworden [XV. & 36). 
Noch aber gab es Männer, welche die beffere Überlieferung der Ver: 
gangenheit: breite Fronten bei mäßiger Tiefe, wiljenjchaftlich 
verfochten, und niemand hat das mit größerer Wärme und Einficht 
getan, als der „Irewe Rath“ [$ 9], welcher jeine Schlachtförper 
dreimal jo breit als tief jtellen will, aljo durchaus noch auf dem- 
jelben Standpunkte verharrt, den in den jiebziger Jahren des 15. Ihdts. 
Philipp von Seldenef vertrat [S. 325]. — Doc die wohl er: 
wogenen Mahnungen des treuen Nates fanden fein Gehör mehr bei 
dem jungen Gejchlechte; die großen tiefen Haufen beherrjchten wie die 
Schlachtfelder jo auch den Gedanfenfreis der Zeit. Dies lehrt u. A. 
eine bereits früher 8 17] erwähnte anonyme taftijche „Inſtruckzion“ 
v. 3. 1536 oder 1538, welche ein jchöngejchriebenes dünnes Heft 
ausfüllt, das in der Wiener Hofbibl. (ms. 10849) aufbewahrt wird 
und den Titel führt: „Nemwe Kriegsordnung vnd ain fhurge 

Jahme, Geichichte der Kriegewifienicaften. 45 


706 Das XVI. Jahrhundert. IIL Heer- und Truppen-Kunde. 


wegweyjung, nemlich wie man doch die knecht gejchwind zuo 
ainer geuierten bejchlojjenen jhlahtordnung in nötten 
mocht bringen vnd auch ebenjobald wider in ain zugordnung joll 
richten mögen ... Darzu wirtt auch angezaygt, wie man doch möcht 
am iedlichen nach jeinem jtand vnd wirden bejoldenn vnd dennoch 
auc dem kriegßherrn leydlich wurd jeyn.“ 

Der Berfaffer nennt ſich „ain getruewer, der rom. fayj. Mat. Diener vnd 
brouißioner” (auf Wartegeld jtehender Offizier). Er beſchwert jih, daß ihm durch 
falfhe Berichte beim Kaifer Unrecht gejchehen jei. Vor 36 oder 38 Jahren jchon 
habe er fih an der Einnahme Mailands beteiligt, wo damals dejjen Herzog ge- 
fangen wurde (1500), er habe die Graubündener jhlagen helfen und bei Pavie 
mitgefochten. Er unterbricht die kurze Jnftruftion wiederholt durch gejchwägiae 
Hinweife auf fein eigenes Scidjal. 

Der Tert jchildert zunächit das Muſterungsgeſchäft, eifert 
gegen den vielfältigen und jchädlichen Betrug, zumal den mit blinden 
Namen, und gibt die Soldſätze vom Hauptmann bi hinab zum 
Gerichtsmann und dem „Semainen“. Dabei ergibt jich, daß das Fähm 
lein 500 Mann zählte; der aus einem jolchen zujammengejtoßene Haufe 
iteht aber 23%X23 Mann breit und hoch, jo daß 29 Mann fehlen, 
um ihn voll zu machen. Dieje bieten fich in den in Reih und Glied 
tretenden VBorgejegten mit ihren Dienern und dem „Droß“ dar. Der 
intereffantejte Teil des Inhalts ift die große farbige Grundris 
dDarjtellung einer gevierten Shlahtordnung. 

Im „Horn“, d. h. in der Front, jtehen 23 Mann, ebenjoviel in der Tiefe: 
die Zahl der Glieder und die der Rotten ijt alſo diefelbe. Die Mitte der Front 
nehmen 13 „Dobol-Söldner”, d. h. gewappnete Spieher, ein; rechts und links 
auf den Flügeln jtehen je 5 „Dobol-Schützen“. Die Rotten diefer Schügen 
laufen durch alle 23 Glieder, jo daß die Flanken des Haufens ganz von Schügen 
eingefaßt find. Dagegen hören die Doppeljöldner mit dem 4. Gliede auf; als 
5. Glied folgen Helmbardiere, dann zwei Glieder „Mitteljöldner”, drei gemeine 
Söldner, drei, welhe aus Führern, Furiern, Waybeln und Schlachtſchwertern 
zufammengejegt find und in deren mittlerem zwei Fahnen wehen. Darauf fommen 
fünf Glieder gemeiner Söldner, ein Glied Knebelſpießer und endlich wieder zwei 
Glieder Doppelföldner. — In der Mitte des 1. Gliedes jteht der Hauptmann, 
in der des legten der „Leyttenambt“ mit jeinen großen „Hanſen“ (Schließende). 

Die Zufammenjegung diejes deutjchen Haufens weicht doch wejentlich 
von der des italienijchen ab. Während in diefem die Schügen nur etwa 
Yıo bis Yo der Kopfzahl ausmachen, it das Verhältnis der Schügen 
zur Geſamtmaſſe im deutjchen Fähnlen wie 2:5. Site find daher 
auch nicht zwijchen die Pifen der auswendigen Glieder eingejchoben, 


2. Das Fußvolt. 107 


jondern bilden jtarfe, in fich einheitliche Abteilungen auf den Flügeln 
der blanten Waffen und find offenbar zum zerjtreuten Gefecht bejtimmt. 
In diejer Anordnung, welche noch einigermaßen an die Normaljtellung 
Philipps v. Seldenet mahnt S. 325], zeigt ſich eine wejentliche 
Überlegenheit der deutjchen Taktik über die italienifche. Leider waren 
jedoch das Vorbild der Schweizer und der Einfluß der italienischen 
Lehrſchriften jo ftarf, daß auch die Reſte der guten Überlieferungen 
des 15. Ihdts. nach und nad) aus der Praxis der deutjchen Elementar- 
taftif verichwanden. 


8 82. 


Derjelbe italienische Denker, welcher die erjten Fundamente der 
Balliftif legte und zuerſt das mathematijche Prinzip auf den Feitungs- 
bau anmendete, Niccolo Tartaglia [$ 42], hat auc) auf dem Gebiete 
der Elementartaftif des Fußvolks die geometrijchen Grundbegriffe feit- 
geſtellt. Schöpferiich ijt er nicht aufgetreten; er hält ji) an Die 
überfommenen Formen; aber er jucht für dieje, d. h. aljo namentlich 
für die großen Vierede und die ihnen entiprechenden Marjchordnnungen, 
die mathematischen Verhältniſſe fejtzujtellen. Die Ergebnijje jeiner 
Unterjuchungen finden jich im 4. Buche der Quesiti et inventioni, 
bzgl. in Reiffs Verdeutichung als 4. Teil des erjten Buches von der 
Beveitigung Gebewen u. d. T.: „Wie ein hauffen Kriegßvolk 
behendt in ein Schladt- oder Veldt- ordnung gebradt 
werden joll, auch wie ein Ordnung auff den Zug gericht 
vnd im Ziehen unzertrennt erhalten werden mag.“ 

In der Einleitung hebt der VBerfaffer ausdrüdlic hervor, daß er die Ord— 
nungen jchildere „nit wie ſolche von Vegetio vnd anderen, jo dije dinge auf jren 
gebraud geordnet Haben“, dargejtellt worden, jondern modern. Alle Formationen 
find durd deutliche Figuren erläutert, in denen jeder einzelne Mann u. zw. nicht 
nur durch eine bloße Signatur gezeichnet ijt. 

Kap. 1 lehrt „ein hauffen Kriegsvold in eine gefierdte ordnung“ zu 
bringen. Dabei unterfcheidet man die „Bierung Volcks“ (battaglie quadre 
di gente) und die „Bierung Landts“ (battaglie quadre di terreno). Die 
erjtere ergibt ein arithmetijches, die leßtere ein geometrijches Duadrat. Stehen 
nämlich ebenjoviel Glieder wie Rotten !) im Viered, jo wird dies jtet3 tiefer als 
breit jein, weil nur bei ganz engem Aufichließen, wie es auf dem Marſche nie= 


1) Meiff braudt dad Wort „Rotte” in unjerem Sinne nit; nur der Kürze und Deutlichkeit 
wegen wende ich ed an. 


45” 


708 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer und Truppen-Kunde. 


mals und aud beim Halt nur ſchwer möglich ift, der Gliederabitand nicht größer 
ift wie der Rottenabjtand. Für gewöhnlid) wird derjelbe jogar nad) dem Bor: 
bilde des Vegetius wie 7 zu 3 angenommen. — Um eine „Ordnung Bolds“ 
aufzustellen, wird aus der ganzen Summa des Volks „Radicem quadratam erjudt; 
die zeigt mir die rechte Zal an, wieuiel knecht in ein gliedt gejtellt werden 
jollen“. Berbleibt ein Rejt, jo wird er am beiten hinter das letzte Glied geitellt. 


Im 2. Kap. Handelt es fih um Herjtellung der gevierten Ord— 
nung aus der Zugordnung. Zu dem Ende muß die Marjchlolonne der 
Tiefe nad) in fo viel Abteilungen gegliedert jein, daß durch deren einfachen Aui- 
marſch rechts oder links die gevierte Ordnung bergeitellt wird. So marjchieren 
3. B. 81 Mann mit 3 Mann in der Front, 27 Glieder tief oder (was dasſelbe 
jagen will), in 3 neungliederigen Abteilungen hintereinander. Bequem iſt es, da, 
wo die Abteilungen enden und anfangen, zwijchen die mit den Spießen bewaffneten 
Knechte je 2 Glieder Halenjhüpen einzujchieben: dann erfennt man auf den eriten 
Blid, wo die Bruchſtelle der Kolonne ift, und hat überdies nach dem Aufmarice 
in erjter und legter Linie des Vierecks je ein Glied Hakenſchützen. — Läht ſich 
die Radir quadrata der Knechtzahl nicht durdy 3 teilen, jo muß man ſich anders 
helfen. 3. B. ordnet man 100 Mann derart, daß zuerit und zulegt eine Ab- 
teilung von je 30 Mann (3 Rotten in 10 Gliedern), in der Mitte aber cine 
Abteilung von 40 Mann (4 Rotten in 10 Gliedern) marjciert. Auf 100 Knechte 
werden gewöhnlid 20 Hakenſchützen gerechnet, die dann entjpredend den Ab- 
teilungen zuzuteilen find (mämlid) je 3, bezw. 4 zu Anfang und zu Ende jeder 
Marjchgruppe). Übrigbleibende Knechte, die ſich auch bei folder verichiedenartiger 
Anordnung der Marjchabteilungen nicht unterbringen lafjen, müjlen „nach er: 
teilung der Waibel“ außerhalb der Glieder bleiben. 

Das 3. Kap. „Wie eine jede Summe Volcbs in eine gleide ord— 
nung zu bringen gegen einer andren fürgebnen ordnung” be 
ihäftigt fi) mit einem arithmetifchen Problem, das für die Praris ſchwerlich 
jemals bejonderen Wert gehabt hat; denn es handelt jich lediglih darum, für 
eine neue Mannjchaftszahl das arithmetifche Analogon zu einer bereit® vorber 
gebildeten Vierung des Volkes zu berechnen. 

Im 4. Kap. jtellt der Verfafler die geometrifche Aufgabe, „wie der plag 
einer vberlengten gefierdten ordnung erjudt werden joll“. 
Er veriteht darunter die Anordnung des „Vierecks Landts“, d. h. des wirtk— 
lihen Quadrates. Verfaſſer nimmt das Verhältnis der Tiefe und Breite für 
den einzelnen Mann wie 3:7. — VBorausgejept, es ſeien 3600 Mann in eine 
PVierung Lands zu ordnen, jo wird die Zahl 3600 mit dem Quadrat von 7 (49) 
multipliziert, das Produft 176400 aber wieder mit dem Multiplilationsergebnis 
von 3 und 7, aljo mit 21 dividiert. Aus dem gewonnenen Duotienten 8400 
wird dann die Wurzel gezogen und dieje, d. 5. 91, it die Zahl der Knechte, welche 
in ein Glied gejtellt werden. Die Zahl der Glieder aber ijt 39, — Allerdings 
bleiben dabei 119 Mann übrig, die anderweitig unterzubringen oder anzuhängen 
find. (Ich gebe die Ziffern dieſes umjftändlihen Verfahrens jo wie fie Neff 
bietet, bemerte aber ausdrüdlich, daß fie z. T. faljch find.) 


2. Das Fußvolt. 709 


Das 5. Kap. lehrt „wie ein Shlahtordnung in ein ſpitz gebradt 
werden jol“, — Reiff bezeichnet den Spig, d. 5. die feilförmige Anordnung 
als veraltet, „da die Schlahtordnungen diefer zeit dermaßen gerichtet werden 
(Sonderlihen in ehrlichen Veldtzügen), aljo das ye ein glied gerad auf das andere 
gehet“; aber alte, erfahrene Sriegsleute bevorzugten doch zumeilen auch nod) 
andere Formen als die gepierte Ordnung. — „Der Triangel wird nad) der 
arithmetiihen Progreſſion angerichtet, alſo das im vorderjten glid allein ein einzig 
Mann, im andern 3, dann 5, dann 7, dann 9, dann 11 vnd aljo ye mehr fur 
vnd fur zu orönen.“ 

Im 6. Kap. zeigt Reif, „wie gegen einen folden ſcharpffen 
TZriangel ein andere ordnung zu ftellen von zweyen fharpffen 
jpigen“ Eine jolde Anordnung fei ein von alters erprobte Mittel, den An— 
griffsfeil zu umfaſſen. Die beiden „ſcharpfen jpigen“ bangen derart zuſammen, 
dab das letzte Glied durch beide durchläuft und alſo zwijchen den beiden Triangeln 
ein Hohlfeil entjteht. Es ijt die forfex des Cato und des Vegetius. 


Das T. Kap. jept auseinander: „Was vortheils ein jharpff ge— 
jpigte ordnung haben mag, wann ji) der Feindt nit dargegen in eine 
folhe ordnung der zweyen jcharpffen jpiten jtellen mag“. Dabei wird befonders 
Wert darauf gelegt, dab die Schüpen denjenigen Punkt der feindlichen gevierten 
Schlachtordnung, auf den die Spite des Keils gerichtet ift, jcharf unter Feuer 
halten; dann werde ed dem Triangel unzweifelhaft gelingen, das Biered zu 
fprengen. 

Das 8. Kap. befpricht unter der Überihrift „Wie man ein haufjen 
Kriegbvold auff ein andre manier in ein Schladhtordnung 
jtellen möge“, die Anordnung mehrerer Doppelfeile hinter einander — eine 
recht unglüdliche Idee, zumal der eine als „jonderliche Hinderhut zu einem nach— 
trud verordnet“ wird. 


Ebenjowenig Wert hat die im 9. Kap. vorgetragene Lehre, „wie ein 
Schlachtordnung in die form oder gejtalt einer rauten gebradt 
werden mög“. 


Das 10. Kap. handelt davon, „wie eine Shladtordnung zu jtellen 
jey, die jre nebenflügel hab’. Wenn man Nebenflügel haben will, die 
man je nad) Umftänden „in die Weite erjtreden oder einziehn fann on alle ver- 
mwirrung der Ordnung“, fo teile man den Haufen in drei Teile. Davon jtelle 
man den einen nad) der im 4. Kap. angegebenen Art, d.h. „in vberlengter 
fierung“ auf; die beiden anderen jtelle man „in gerader oder enger 
fierung nad) ausweijung des 1. Kap. auf“ u. zw. vor dem „oberlegten fiered“. 
Diefe Schlahtordnung gewähre den Vorteil, „dag man der flügel einen furan 
ichiden mag vnd doch die Hinderjt ordnung vunzertrennt bleibt“. 


Das 11. Kap. rät, „wie es zu halten, jo das Geſchütz auff ein 
Shlahtordnung abgejhofjen wurde und mit [haden hart treffe“. 
Dann folle jedesmal der Hintermann des Getroffenen an feine Stelle treten, To 
daß die vorderen Glieder ſtets volljtändig blieben. 


710 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppen=fiunde. 


Das 12. Kap. zeigt, „wie ein gefierdte ordnung ſchnell in der 
eyl in einen jharpffen fpig zu bringen“ Auf ein Trompetenfignal 
machen die Kinechte (je nachdem man die rechte oder linfe Borderede der Vierung 
zur Keilfpige gewählt hat), halbrechts- oder halblinksum, wobei dann natürlic 
eine Anzahl von Leuten feinen Vordermann mehr haben. Diefe treten nun 
jofort in die leeren Stellen ein, und dadurd bildet fi in einfachſter Weiſe ein 
ihräg gewendeter Triangel, und „wa man ſich aljo ftümpflihen weiß zu ver: 
feren, ijt der feindt der Halb vortheil benommen“. 

Das 13. Kap.: „Wie durd fleifige Nachtrachtung leichtlichen 
zu erfinden manderley geftaltder Shladhtordnung“ enthält feinerlei 
praftiihe Vorſchläge, fondern in der Hauptſache nur eine Erwägung des furdt- 
baren Einflufjes des Geſchützes auf die Kriegführung. „Ve größer Heer ye mehr 
das Geſchütz!“ Dies gelte zumal von den Türfen. Doc ſei „von der natur 
fein ſolches jchedliches gifft erichaffen, dagegen fie nit auch herwiderumb ein heil- 
jame argney erjhaffen hab“. Diejer jolle man nur nachforſchen. 

Vornehmlich wichtig in Tartaglias Arbeit iſt die wiſſenſchaftliche 
Unterjcheidung von Mannsviered und Landsviereck, d. 5. der 
arithmetifchen und der geometrijchen Vierung in der Taktik. Da die 
erjtere viel leichter herzuftellen iſt als die legtere und zugleich der 
Neigung der Zeit zu möglichjit tiefer Aufjtellung entgegenfam, jo 
gewann fie leider das Übergewicht, was denn abermals eine weitere 
Entfernung von den befjeren Überlieferungen der Vergangenheit, von 
den weiſen Vorjchriften des „Trewen Rats“ bedeutete. Stand doch 
ein und diejelbe Zahl Leute im Mannsviereck mindejtens doppelt jo 
tief als im Viered Lands. — Emmen jehr folgereichen und bedenklichen 
Schritt tut Tartaglia Hinfichtlich der Schügen. Die Zahl derjelben 
hatte ſich bei den Italienern während des Vierteljahrhunderts von 
della Balle (1521) bis Tartaglia (1546) bedeutend gejteigert; betrug 
jie bei jenem nur Ye bis Ys der Gejamtzahl, jo macht jie bei dieſem 
bereit3 "s derjelben aus. Allerdings iſt das immer erjt halbjoviel 
wie bei dem Wiener Provijioner von 1563. Tartaglia ordnet nun 
die Schüßen anders an als jeine Vorgänger. Hatten die Arkebuſiere 
das zerftreute Gefecht aufzugeben, jo warfen ſie ſich bei Valle auf 
die vorderen Glieder des Haufens und krochen da unter, jo gut es 
eben gehen mochte; della Valles aus Spießen und Schügen gemijchte 
Außenglieder zeigen daher auf demjelben Raume wie Die inneren die 
doppelte Mannszahl wie dieje, ohne daß der Verfaffer erläutert, in 
welcher Weije er ſich dies Verhältnis praftiich dachte. Solch rohes 
Unterjteden verwirft Tartaglia; er zieht die Schügen mit in die ge 


2. Das Fußvolt. 711 


ordnete Raumberechnung des Vierecks ein; ſie bilden in der Urauf— 
ſtellung desſelben oder wenn ſie das zerſtreute Gefecht aufgeben müſſen 
und auf den Haufen zurückgeworfen werden, deſſen erſtes und letztes 
Glied. Dieſe rechnungsmäßige Verbindung der Schützen mit 
dem Spießerviereck iſt aber etwas ganz anderes, ſehr viel ſchlechteres 
als die organiſche Verbindung, welche bisher in Deutſchland ſtatt— 
hatte und welche bei Philipp v. Seldened (1480) wie bei dem Wiener 
Provijioner (1536) darin bejtand, daß die Schüßen recht8 und links 
der blanfen Waffen bejondere Flügel bildeten, welche ausſchwärmen 
oder entjendet werden oder an Ort und Stelle durch rotten- bzgl. 
gliederweijen Kontremarſch ein jtetig genährtes Feuer unterhalten 
mochten. Dergleichen war bet der ganz mechanijchen Anfügung, die 
Tartaglia beliebte, nicht möglich. Wurden ihm die ausgejchwärmten 
Schützen auf den Haufen zurüdgeivorfen, jo eilten fie unter die Spieße 
des erjten Gliedes, und mochten fie hier auch niederfnien oder jich 
auf den Boden fauern: die Pifeniere waren doch, jujt in dem Augen: 
blide, da ihnen der Angriff drohte, durch die eigenen Schützen wejentlich 
im Waffengebrauche behindert. — In diefer Einführung eines 
Schütenjaums (fornitura de archibusieri) durch Tartaglia er- 
ſcheint num aber nur der erſte Anja einer überaus bedenflichen Ent- 
widelung; denn in der Folge mehrte ſich mit der Zahl der Schüßen 
überhaupt auch die Zahl der den Haufen umjäumenden Schüßen: 
glieder, welche bald außer Front und Rücken auch die Flanken um— 
jponnen. Se breiter aber die Garnitur der Schüßen wurde, umjo- 
weniger vermochten die Pifeniere ihre Waffen zu verwerten, um jo 
entjchiedener wurde der durch die Schützen geblendete Spießerhaufen 
ein Widerjpruch in fich jelbjt. Aus diefem Grunde iſt das Verfahren 
Tartaglias, den Schüßen jtatt der Flügelrotten die Außenglieder der 
Front und des Rückens zuzumeien, geradezu verhängnisvoll geworden. 
Denn nur allzu bereitwillig wurde es nachgeahmt. 

Die Anordnung der großen Fußvolfsvierungen hatte namhafte 
Schwierigfeit für die damit betrauten Oberftwachtmeijter oder Sar- 
genti maggiori. Cine wifjenjchaftliche Arbeit wie die des Tartaglia 
fonnte ihnen für den Handgebrauc nichts nügen, und jo galt es, 
Rechenknechte herzujtellen, um durch einfaches Nachichlagen in 
Tabellen zu erfahren, wie viel Leute bei einer gegebenen Gejamtzahl 
in je ein Glied zu ftellen jeien und wie groß der Umfang eines 


712 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppen-Kunde. 


Viereds jein werde. Hilfsmittel jolcher Art, welche das Ausziehen 
der Quadratwurzel und das Berechnen der Seitenlängen erjparten, 
jind ziemlich viel während des 16. Ihdts. entitanden; das ältejte 
derjelben jind wohl des Ajjinito da Morra: Opera nova... 
quale insegna ordini modi e forma d'ordinar ordinanze di 
fanteria et crescere quelle che con quelli formare battaglie 
quadre de quale si voglia numero. de picche, incominciando 
da picche 100 sina a 10000 con la fornitura de li suoi archi- 
busieri. (Turin 1548.) 

Die Schrift jcheint ſehr jelten zu jein; ich habe jie nicht erlangen fönnen. 


8 83. 


Recht intereffante Angaben über die formale Taktik des Fußvolks 
bringt der 4. und der 7. Teil der Kriegsordnung des Marl: 
grafen Albreht von Brandenburg, Herzogs von Preußen 
[$ 23] von 1552. 

Zunächſt enthält Kapitel 58 eme „Tafel der Fußknecht, 
darın man findet Raum vnd Platz, auch wievil in ein Glied vnd 
wievil Glieder Hintereinander“ — aljo einen Nechenfnecht der eben 
erwähnten Art von folgender Einrichtung: 


Gang Summa der | Wieviel Knecht in ein Glied | Länge des Platzes 
Knecht neben | binder an einer Seiten 
(die vorhanden) einander Sel") | Nutten 











Wie Tartaglia-Keiff rechnet auch Herzog Albrecht auf jeden Mann im die 
Länge (d. h. Rottentiefe) 7 Fuß, nämlich 1‘ auf dem er jteht, 3° vor und 3° Hinter 
jich, dagegen für die Mannsbreite von Achſel zu Achſel 3. — Den Gebraud 
der Tafel erklärt er (etwas abgekürzt) wie folgt: — „Ich ſprich, ich hab 
5500 Fußknecht, die will ich in ein rechte gevierte Ordnung jtellen, jo juche id 
bei meiner erjten Column bei der linten Hand; dann gehe ich zwifchen denjelben 
Swerdlinien (Uuerlinien) in die ander Column gegen der rechten Hand; da fınd 


1) 1 ©el (Seil) = 10 Ruten; 1 Rute= 14 Werkſchuh; 1 Werfjhub (Fuß) = 30,5 cm. — 
180 Sel machen eine deutiche Meile aus. 





2. Das Fußvolt. 713 


ich 116 gejeßt, bedeut, daß ich 116 in ein Glied nebeneinander mu jtellen. In 
der dritt Column, da find ich 50 gejeßt, bedeut, daß 50 Glied hintereinander ftehn 
und gibt mir eine rechte gevierte Ordnung. In der vierten Column, da find ich 
2 gejeßt, bedeut 2 Sel, in der fünften jteht 5, bedeut, dab der Pla, darauf 
vorgemelt Summa Knecht in der Ordnung jtehn 2 Sel und 5 Ruten an einer 
Seiten lang muß jein und auch ebenjo breit.“ — Die Fußvoltstafel 
Albrechts iſt aljo vernünftigermweife nicht auf da8 Manndviered eingerichtet, 
jondern auf die Vierung Lande. — Da natürli nicht jede denfbare 
Mannjchaftsjumme in der Tabelle jtehen kann, jo gibt der Herzog noch folgende 
Anweijung: „Wenn einer jein Summa nicht gleidy fände in der eriten Column, 
jo ſoll er die nädjte drüber oder drunter nehmen; denn es jeind die Summa in 
der Tafel dermaßen gejegt, daß fie zu Zeiten 50 oder 100 Knecht überjpringen, 
da man jolde Haufen jelten mit 50 vermehret, jondern gemeiniglich mit 100 
oder mit ganzen Fähnlein.... Wolt man aber die Ordnung überlengt 
(d. 5. tiefer als breit) haben, jo mag einer ein Knecht 10, 15, 20 oder wieviel 
er will weniger in ein Glied jtellen, jo wird die Ordnung überlengt. Will er 
aber die Ordnung überbreit (d. 5. breiter als tief) haben, jo mag er mehr 
Knecht in ein Glied nehmen“. Lepteres ift nun offenbar im Sinne des Herzogs 
jelbjt ; denn nicht wenige der im Grundrifje dargejtellten Haufen jeines Kriegsbuches 
ind feine Quadrate, jondern Rechtecke von doppelter Breite wie Tiefe. 


Das 69. Kapitel enthält 11 „Figuren, dardurd alle andere 
gevierte ordnung vnd hauffen verordnet, auch geduplirt, ver- 
mindert oder vermehret, desgl. überlengt oder überbreitet, 
auch in die Rundung oder halbrundung, desgl. in einen Driangel 
oder in ein rauten, auch inwendig holl vnd junjt in allerlei furm 
und jpigen gebracht mag werden, und gejchieht alles aus einem 
rechten grund, nämlich aus einem rechten gevierten quadrat, der mit 
roten Linien in dijen nachfolgenden figuren allemal gezeichnet tft.“ 

1. Figur, in welder 6 gerechte vierung in einander jein gerijien und belt 
ſich allemal eines gegen den andern geduppelt in ihr Größ vnd Proportion. 
(Diefe Figur dient ald Maßſtab für die folgenden.) 

2. Figur: Fünf gerehte Quadrate auseinandergezogen, und ijt in izlicher 
vierung (Hohlquarree) der weiße Platz inmwendig (der leere Binnenraum) gleich jo 
groß als der mit Knechten auswendig herum bejtellet if. Jede Bierung ijt 
außen jo groß als in der nächſt Feineren der innere Platz. Das Heinjte Uuarre 
üt voll. — Die Herjtellung des Hohlpiereds jchildert Herzog Albrecht 
wie folgt: „Es wirt von erjt geordnet ein geuirter (voller) hauff, er jey groß 
oder klein . . . Solchen hauffen mil ich in wendig auf die hellfft holl machen. 
Dem thue ich aljo: Ich ſprech ich hab 12000 fnecht in meinem geuirten hauffen, 
jo wil ich die 6000 in der mitten in irer rechten ordnung herausfuren, aljo das 
der hauff aufwendig vnd vnuerrudt bleib. Dem thue ich aljo: ich gebe in die 
taffel der knecht vnd befich, wieuil net in ein glidt werden geitelt, auch wieuil 


714 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppen-ftunde. 


glider Hindereinander (bei 6000 Mann). Sovil glider lad id in der mitt aus 
obgemeltem hauffen, welcher 12000 ftard ift, in guter ordnung vornen heraus 
ziehn, ſo bleiben mir an jeder jeitten 22 glidt jtehn vnd hinden 21 glidt, je 
nim ich die 11 glidt von binden vnd las mit den andern hienfür ruden, vn) 
zuuorderjt müflen fie ſtehn bleiben; jo bleibt der erjt hauff in feiner groß vnd 
der ander auch in jeiner ordnung, und hat der groß inwendig einen ramen blag, 
der gleich groß ijt als der Feiner hauffen und helt ieder hauff 6000 knecht.“ — 
Der Herzog ijt ein ausgejprodener Freund der hohlen Bierede um 
äußert jich folgendermaßen über die Borzüge derjelben: „Man jol ſich aufs 
höchſte befleißen in allen ſchlachtordnungen, dad man das meifte vold zum angrii 
vnd treffen bring vnd die hauffen aufs größt made... Auch fan man in 
jolhen Hauffen nocd einen jer großen fortheil zum angrif zumwegen bringen, 
jofern ala man geſchickte friegsleut hat, Nemlich mit dem großen Geſchütz, meld: 
man gang verborgen in einem iglichen hauffen fan fortbringen, jo jolche hauffen 
. dur gejchidlichkeit der kriegsleut wiſſen fi im angrif dermaßen von 
einander zu thun, das das gewaltige geihüg in der feinde rechte ordnung und 
angrif mag treffen... . vnd hernach mit freuden angegryffen wirdt, hab ich des 
ſigs gar fein zweiffel nicht“. 
3. Figur: Fünf Rundungen auseinandergezogen. Genau dasſelbe 
Prinzip, das bei der 2. Figur auf das Viered bezogen worden, auf den Kreis 
angewendet. 


4. Figur: Fünf Halbfreije desgl. — Die runden Formen werden 
warm empfohlen, weil jie den Feind jehr „irren“; ſie jeien auch gar nicht io 
ihmwierig zu ordnen wie man meine, vielmehr machten fie ſich durch Abſtumpfung 
der Eden fajt von jelbit. 

5. Figur: Wie die Fußknecht in der Zugordnung ziehn und aus der: 
jelben in die gevierte Schlahtordnung rüden (aufmarjdieren) ſollen (u. zw. zum 
vollen Biered). — Entſpricht genau dem 2. Kapitel Reiffs, auch hinſichtlich 
der Verteilung der Hakenſchützen, was mit des Herzog jonjtigen Angaben über 
die Anordnung der Schüßen in vollem Widerfprude jteht. 

6. Figur: Zweites Beifpiel dazu. 

7. Figur: Umgeftaltung eines quadrierten Haufens in einen 
halb ſo tiefen rechteckigen durch Rechts- und Links-Aufmarſch der hinteren 
Hälfte des vollen Vierecks. 

8. Figur: Umgeſtaltung eines Quadrates in einen Spißtz 
„Ich nimm die helffte der glider auff jeder ſeitten von vorn, jo daß im 1. Glied 
nicht mehr als 1 Mann ſtehn bleibt, ziehe die beiden Spitz von vorn über ort 
(diagonal) hinweg und ſetz Izu hinderſt auf beiden Seiten der Ordnung wieder 
an. (Vgl. das verjchiedene Verfahren Reiffs in dejien 12. Kapitel) [S. 710]. 

9. Figur: Umgejtaltung eines Duadrates in 3 jonderlide 
Duadrate. Bon jeder Ede wird ein Dreied abgelöft und diefe werden zu 
zwei Meineren Biereden rechts und links des alten Quadrates formiert. Das 
legtere jteht demgemäß „über ort“ d. 5. mit einer Ede nad) vorn. 


2. Das Fußvolt. 715 


10. Figur: Umgejtaltung einesQuadrates in ein kleineres, 
über Ort gejtellte® mit je zwei Dreieden rechts und links. 


11. Figur: Umgeftaltung eines Quadrate® in eine drei- 
fpigige Shlahtordnung durd Herauslöſen einzelner Frontteile und An— 
ſetzen derjelben an die Flanken des Vierecks. 

„Solde Figuren“, jchließt der Herzog, „wären noch on zal zu maden! Id 
will® aber um für willen underlafien.“ — Daran hat er recht getan; denn 
ihon die drei legten Yormationsveränderungen gehören unzweifelhaft in das 
Gebiet der taltiſchen Spielerei und find vielleicht niemals wirklich ausgeführt worden. 


Ganz vortrefflich ift die von Herzog Albrecht beliebte Ver— 
wendung der Schüßen. Im Texte jpricht er jich zwar nicht 
näher über diejelbe aus; fie erhellt jedoch mit zweifellojer Genauigfeit 
aus den 42 Darftellungen feiner Schlachtordnungen. Da zeigt Jich 
nämlich, daß die Schüßen faſt ausſchließlich als ganz jelb- 
jtändig formierte Haufen auftreten. Gewöhnlich find fie mit 
der leichteren Reiterei dem 1. Treffen zugewielen, u. zw. bilden fie 
durchweg volle Vierede, welche meift Eleiner find als die Spießer— 
VBierungen und nicht wie dieſe Banner und Fähnlein führen. Nur 
jehr jelten find Schützen einem Spießerhaufen angehängt; aber auch 
in dieſem Falle bilden fie niemals einen Saum, jondern völlig in ſich 
gejchloffene Flügel von derjelben Rottenzahl wie der Spiegerhaufen 
(fo bei den Schlachtordnungen 13 und 27), oder fie find (Nr. 39) 
hörnerartig recht8 und links vor die Front vorgejchoben. Dffenbar 
hat man es hier aljo mit derjelben Formierung der Schügen zu tun, 
wie fie ung um 1480 bei Phil. v. Seldened und bei dem Wiener 
Provifioner von 1536 begegnen. 

Demnächſt jeffelt die warme Empfehlung der Hohl-Formationen. 
Sie jollen dazu dienen, möglichjt viel Leute zur wirklichen Waffen: 
verwendung fommen zu lafjen, und jodann dazu, die Artillerie un— 
gejehen heranzubringen, die dann, nach plößlicher Offnung des Vierecks 
oder Kreiſes, den Angriff desſelben durch überraſchendes Feuer vor— 
bereitet. Etwas ganz ähnliches bezwedt jchon della Valle 1521 
mit feinem hohlen Rechte zwijchen den zwei Pilentertreffen und mit 
jeiner Kreuzformation, und nicht minder du Bellay-Langey 1542 
(S 18] mit jeiner Anordnung des Fußvolks in einem hohlen Viereck, 
vor deffen Front die Enfants perdus jchwärmen, während auf den 
Flügeln die Gendarmerie hält. — Die Fortentwickelung diefer Momente 
wird ung noch bejchäftigen. 


716 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppen-Kunde. 


Spärlich find die Nachrichten, welche des Herzogs Albrecht Zeit: 
genoffe Scipio Nollano, genannt Schellenfchmidt, 1553 über „Zug | 
vnd Schlachtordnung der Knecht“ beibringt [$ 27). 

Nollanos Fähnlein zählen 600 Mann, nämlich 400 Spieher und 200 Schügen 
Bon erjteren find 100 Doppelföldner, einfchlieglich der Befehlshaber. Bon Doppel 
ihügen, wie der Wiener Provifioner, redet er nicht mehr; offenbar war das An: 
gebot auch guter Schügen bereits jo groß, daß man ihnen keinen Doppeliol! 
mehr zu geben braudte. — Eigentlid gibt Nollano nur die Zugordnung, 
u. zw. läßt er 600 Mann zu neunen, 1000 zu elfen abbreden. Voraus ziehen 
100 Schügen; dann folgen 150 Spieher, 50 Doppelföldner, Fähnlein und Spiel 
wieder 50 Doppeljöldner, 150 Spießer und 100 Schügen jchließen des Fähnleint 
Zug. — „Bas die Shlahtordnung belanget, will ich den verjtendiger 
Hauptleuten heimgejtellt haben.“ 


8 84. 


Die Heritellung der gevierten Ordnung aus einer 
gegebenen Anzahl von Knechten war das vornehmjte taftiice 
Anliegen diejer Zeit. Mit ihm bejchäftigen jich ausjchlieglich die 
„Zwey Büchlein der gerechneten Schladtordnung. Allen 
Feldtherrn, Generaloberjten, Oberjten, Hauptlewten, Fendrichen, Feld 
jchreybern, ?Feldtweibeln, Fürern vnd Bevelchhabern zum beiten 
geordnet durch rechten quadraten ausgezogen vnd gejucht durch 
Zachariam LCochner zu Ingoljtadt 1557"). Das Heft iſt dem 
Markgrafen Georg Friedrich von Brandenburg gewidmet und will 
auseinanderjegen, wieviel Knecht auf ein Glied kommen, damit die 
Ordnung „geviert“ werde, auch „wievil vber die ordnung vberbfeiben, 
die man dann doch notturfftig einteilt oder in die Flügel anhengen mag.“ 

Im J. Bud find die Schlahtordnungen auf ganze Fähnlein geitellt: 
„Die vbertrettung wird von einem fendlein an alleweg umb ein fendlein bis au 
250 fendlein (jede zu 400 Mann) angenommen“. Der II. Teil ijt gejtell 
„auf vbertrettung von einem hundert an allmeg umb hundert bis auf 10000 
Mann.“ „... Dann wie id) aud) bericht von allen Kriegßlewten, dab fein 
befjer ordnung geſchloſſen fünt werden, dann recht geviert, wo man das veld! 
haben kann; wo aber die fleche des veldts nicht vorhanden, muß man vorteil 
juhen wie man fann, damit gleihwol den feinden abbruch geſchehe. So tann 
nun yeglicher, er fün den außzug des Quadraten oder nicht, leichtlih auf diejem 


büchlein ein recht gevierte jhlachtordnung jchließen, jo er den namen (Zahl) des 
Kriegßvolks weiß, wieviel jein vorhanden.“ 


1) Kal. Bibl. zu Berlin (H. v. 28010). German. Mufeum zu Nürnberg (Nr. 13755). 


2. Das Fußvolf, 717 


Lochner hat jein Buch wiederholt umgearbeitet. Einmal, i. J. 1569, widmet 
er dasſelbe al8 „Vier Buecher der gerehneten Schladtordnung“ 
feinem Bruder, einem G®eijtlihen !). Die „vier“ Bücher find aber viermal genau 
dasfelbe, nur immer mehr ins Einzelne gehend, d. 5. die Wurzelzahlen von 25 
bis 100000 Mann werden mit immer fleineren Sprüngen angegeben. — Auf 
drei Bücher eingeſchränkt ift die Bearbeitung von 1571, welche dem Kaifer 
Marimilian II. zugeeignet iſt)y. — Die Grundformel ijt ſtets diejelbe; 3. B. 
„12 Fähnlein Haben 4800 Knecht; kummen in die Radir 67, pleyben vber 47”. 
(Stimmt übrigens nidt.) Durchweg handelt es ſich nur um die jchwerfälligen, 
übermäßig tiefen Mannsvierede von gleicher Zahl der Glieder wie der Rotten. 
Leute, die dabei nicht unterzubringen find, follen zu „Flügeln“ zuſammengeſtellt 
werden. Dieje aber mußten dann fehr dürftig ausfallen. 


Etwas reicheren Inhalts iſt das jeltene „Kriegs Feldbüchlin 
von allerley Shlahtordnungen,“ welches der Arithmetifug 
Hanns Lohr zu Wien i. 3. 1569 dem Herrn Sebaſt. Schärtel 
vd. Burtenbach widmete und zu Dillingen erjcheinen ließ ®). 

Lohr Hat ſich „underjtanden, nit ohne geringe mühe und arbeit ein Com: 
pendium berzujtellen, daraus ohne viel nachdenckens vnd ausrechnen zu erjehen 
ift, wie ein hauffen Kriegsvolcks, es jey zu Rob oder Fuß, in ein gevierdte 
Schladtordnung, deßgleichen ein driedete mag bejchlofjen werden; dann jhr gar 
wenig jeind, die radiciren, ertrahiren oder außziehen fünnen ... Es ſoll aud 
ein Feldt General Oberjter, jo er mit einem haufen auß einem leger in das 
ander verrudt, alsbald er jich erjtredt, jein rechnung machen, wie vnd wo er joll 
abbrechen“. — Zur Erläuterung diefer Dinge gibt Lohr nun 10 jelbjtändige 
„Büdhlin“. 1. Bon quatrirten Shladhtordnungen. Tafel von 50 big 
50000 Mann, welde z. B. zeigt, daß um 1250 Mann in eine gevierte Ordnung 
zu bringen, 35 Mann in ein Glied gejtellt werden müſſen, wobei dann noch 
25 Mann übrig bleiben, die „in Flügeln anzuhenden“ find. 

2. Bon quatrirten Shlahtordnungen. Tafel von 81 bis 50176 
Knecht, welche 3. B. zeigt, daß wenn ein Oberjt einen gevierten Haufen von 
21 Mann Front haben will, er dazu 441 Mann braudtt. 

3. Bon Schlahtordnungen des Driangels. Solche find zwed- 
mäßig; denn „man kann mit joldhen Schlachten mit halbem Volck dem Feind 
ebenfo ftard begegnen vnd ob er ſchon noch jouil volds hat“. Tafel von 50 bis 
50000 Sineht. „An der erjten linien ftehen die fendlin (d. h. deren Zahl bei 
einer Stärke von je 400 Mann), in der andern die jumma des Kriegßvolcks, in 
der dritten, was in das erjt glid fumpt nach der braite, in der vierten lini, 
was zu flügeln vberbleibt.* 3.8.: 7 Fähnlein = 2800 Mann werden fo auf: 
geftellt, daß im 1. Glied 74 Mann jtehen; dann nimmt jedes Glied um 1 Mann 
ab, und übrig bleiben 25 Mann. — Dies ijt eine höchſt merkwürdige und be= 


1) Hanbichrift der Münchener Hofbibl. (cod. germ. 4179), 164 Duartblätter. 
2) Handichrift der Wiener Hofbibl. (Nr. 10769— 10771.) 
») Gräfl. Bibl. zu Wernigerode (L. 257). Bücherei des Verfaſſers. 


718 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppen-funde. 


fremdlihe Aufftellung; denn während im ganzen Lauf der Gejhidhte der Hei 
immer mit der Spige angegriffen hat und daher auch „Spig“ heißt, will Lohr 
mit der Breitjeite des Dreiecks angreifen; er bezwedt aljo nicht de 
Stoßwirkung auf einen Punkt, jondern möglichjte Verbreiterung der gront 

4. Vom Driangel. Tafel von 55 bis 50086 Mann, welche zeigt, 
wieviel Mann ein Oberjt haben muB, wenn er eine gewiſſe Zahl von Leuten in 
da8 breitejte Glied des Dreiecks jtellen will. 

5—10. Sechs Büdhlin den langen Feldzug betreffend. „Rem 
lihen wann 2, 3, 4, 5, 6 oder 7 Mann nebeneinander (auf dem Marche) ber: 
zugen, wo vnd in welchem Glid der General fol abbreden.“ Tafel von 81 bie 
50000 Mann. „Stehen bei allen Bühlin in der erjten Linien die Yendlin, in 
der andern die ſumma des Volcks, in der dritten, in weldem Glid du abbreden 
jolt vnd in der vierten wieniel mal du es thuen fannit . . . Aljo im einem 
Zug von 3025 Mann giengen oder ritten 5 nebeneinander, jo brichſt (um auf— 
zumarjchieren) in dem 55 Glied forn oder Hinden im zug ab und rudjt wider 
mit 55 Glid neben denen, die jtill jtehen Her; das thuejt du 11 mal, jo wirt 
dein Schlahtordnung quatrirt vnd bleibt dir fein Mann vber.“ 

Anhang: „Ausgeſetzte Shlahtordnungen, wie man fi gegen den 
Feind im Fall der not verhalten ſoll“. Ausſchlagsblätter mit Zeichnungen, 
welche darjtellen, wie gevierte Haufen von Triangeln anzugreifen jeien, meld: 
mit der Breitfeite gegen fie vorgehen. 

Lochnerd und Lohr Bücher find alſo Rechenknechte für 
Oberjtwachtmeijter, wie Moras Opera nova von 1548 und wie 
deren damals noch mehrere gerade in Italien erichienen. So gab 
Girolamo KLataneo dergleichen Tavole brevissime heraus: 
(Brescia 1567), welche er jpäter (1584) al3 Modo di formare con 
prestezza le moderne battaglie dem 3. Buche jeiner Dell’ arte 
militare libri cinque einverleibte!), und auch des Cigogna Trattato 
militare (Venedig 1567) gehört im wejentlichen hierher?). 

Die tariffe Cigognas bringen zuerjt Anordnungen für Reihbenmärid: 
(bisse), welche nachweifen, wieviel Glieder, fi für jede Hundertihaft von 100 bi! 
1200 Mann ergeben, wenn man 3, 4, 5 bis 12 Mann in ein Marjchglied ftelt 
Aus den jo gebildeten Rottentomplexen geht dann der Schlahthaufen 
(battaglia) hervor, welchen der Berfaffer, folange es fih nur um Fußvolt handelt. 
durhweg voll bildet. Nach Tartagliad Vorbild unterjcheidet er die Battaglie 
quadre di terreno von denen di gente, empfiehlt aber bejonderö den Quadro 
un poco lungo, bei dem zu gunjten der Frontausdehnung die Zahl der Glieder 
auf die Hälfte der Rottenzahl vermindert ift, alfo das breitgejtellte Rechted 
— Cigognas Schlahtordnungen für Heere aus allen drei Waffen find jo vermwidelt 
und phantaftiih, daß man jie nicht ernjt nehmen kann. 





1) gl. Bibl. zu Berlin. — Franzöf. Lyon 1584. Latein. Genf 1600. 
2) Bibl. der Berliner Kriegsalademie. 


2. Das Fußvolt. 719 
8 85. 

Wenn man die umfangreichen Folianten des Frönspergerjchen 
Kriegsbuchs von 1566—1573 betrachtet, jo iſt man geneigt, einen 
bedeutenden taftijchen Inhalt darin vorauszujegen. Doch mit Unrecht! 
Das wenige Bemerfenswerte, was die formale Taftif des Fußvolks 
betrifft, it etwa folgendes: 

Im 2. Buche des I. Bandes (1566) handelt Verfaſſer davon: 


Wie Shlahtordnungen Durch die Regel Duadrat gemadt 
werden. 


Da heißt e8 u. a.: „Durch die Oberjten fol zuvor, ehe es die not ergreifft, 
au den Regiftern durch Rechnung vberſchlagen, wie ftard ein jedlihes Fendlin, 
Negiment und Hauffen jeyen an langen und furken Wehren, an Hadenjhügen, 
an Perſonen und wehrhafftigem Kriegsvolck, darauß dann entjchloffen mag werden, 
wieviel man Landtsknecht in ein Glied fan ordnen und ftellen, damit es ein 
gevierte Schlahtordnung und Hauffen gebe. Denn wo die großen Heer oder 
Feldtzüg jeind, jo jtößt man etiwae zwey oder drey Regiment zufammen, jo weil; 
ein jeglicher Oberjter one zweiffel auß gemeldten Regijtern ſelbs wol, wie jtard 
er an Schügen, Doppeljöldnern vnd einfachen Knehten, aud) an furken und 
langen Wehren; derhalben er leichtlih vberichlahen fan, wieviel man Perſonen 
in ein Glied ordnen wölle . . Dergleihen werden aud die Regiment vnd 
Fendlin zertheilet vnd zertrennt, aljo daß fie werden vom Hauffen geſchickt ala 
in Befagungen, Profandt oder ander zu beleiten auch auff ſonderliche Wacht 
u. dgl. — Dergleihen jollen die Oberjten und Hauptleut gleichermaßen betrachten 
vnd berechnen . . . Solche gevierte Schlahtordnung werden dermaßen gemadt, 
wo mans an den Poppeljöldnern und Schügen gehaben mag, da man hinden 
vnd vornen, dergl. auff beyden jeiten mit Doppeljöldnern und Schützen verwahrt 
vnd verjorgt werde... Wo man jolde Schladhtordnung macht, jollen alle 
Schügen bejonders geordnet und gerechnet werden; denn fie gehören in jonderliche 
Hauffen vnd Glieder; fie werden auch gemeinlich an die gewaltigen Hauffen als 
Flügel angehengt vnd gliedermweiß eingeführt... , Die Zalen der Perjonen und 
der Fendlin find hin und wieder ungleich, jonderlic was die Spaniſchen, Jtalieni- 
iden oder Welfhen Fendlin feind, die haben nit viel Perjonen . . . Es werden 
auch vnder den Landtsknechten Schlachtordnungen durch den gel mit gejendten 
Spießen gefchreg, kreutzweis oder durch den Dryangel vber einander gejchrerft 
vnd dermaßen beſchloſſen gemacht, daß weder Rob noh Mann vor den Spitzen 
der Spießeyſen einbrehen mag.“ 

An diefe Betrachtung jchließt fi) eine Tafel der Duadratwurzeln einer 
Reihe von Gejamtmannfchaftszahlen als Mannzzahlen in Glied und Rotte. 

Für die Führung des Gefechtes formiert Frönsperger vor allem zur 
Einleitung desjelben einen „verlorenen Haufen“, für den aus jeder Rotte 
ein Mann zu bejtimmen fei: „er thu es mit willen oder verlier'3 durch jpielen“ 
(ofen). Die Leute, welche zu ſolchen „Blut Fenle“ zujammentreten, nennt er 


1720 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppen-Kunde. 


„Laufer“ (wie der „Irewe Nat”). In das 1. Glied de „gewaltigenhauffens“, 
des Gros, find die bejtgerüfteten Männer, Hauptleute und Doppeljöldner zu 
jtellen, al8 2. Glied aber die beiten Hakenſchützen einzuführen; dann folgen bis 
zum 7. oder 9. Gliede Spießer und im Kern die Kurzwehren. Der Oberjt oder 
fein Leutenampt habe das Ganze zu umreiten und ſich zu überzeugen, daß die 
Aufitellung in Ordnung jei. 


Bemerkenswert erjcheint es, daß Frönsperger ſich gerade mie 
Herzog Albrecht von Preußen [S. 713] für flachere Rechtede itatt 
der tiefen Vierung ausſpricht. 

„Wo es die malftatt oder der plaß erleiden, ijt e8 bequemer, daz jolde 
Schlachtordnung nicht der vierung gerad durchaus jondern ſich mehr den breiten 
weder den langen weg nad) eritreden, umb des Angreiffens willen. Es [hießen 
jr viel in einem glied baß nebeneinander, dann fo jr viel in eim 
glied hindereinander” — In den legten Worten tritt eine jehr ent: 
ichiedene, zu jener Zeit nod) jeltene Anerkennung der Bedeutung des Teuer: 
gefechtes hervor. 

Beſſer als der über das Knie gebrochene, jchlecht gejchriebene 
Tert Frönspergers orientieren über die damalige deutjche Taktik die 
jeinem Werfe beigegebenen großen, in Kupfer geitochenen Ausſchlags— 
bilder. 

Der Stich, welcher die Zugordnung eines gegen einen Ausfall vorgebenden 
Belagerungsheered darjtellt (I, vor ©. 59), zeigt die Spiehervierede als leidlich 
breite NRedhtede, neben denen die Schüpen eine höchſt unbedeutende Rolle jpielen: 
denn nur je eine Rotte von etwa 25 Mann geht jeitwärt® vorwärts jedes 
Spieherhaufens u. zw. zu Einem pläntelnd vor. Der Berfafjer nennt dieje einzeln 
hintereinander jchreitenden Leute doch „Flügel Hakenſchützen“. 

Auf dem Stich, der eine Feldſchlacht darjtellt (I, vor ©. 63), gehen mehr: 
rottige Halenjchügenflügel unmittelbar neben dem hellen Haufen der Spießer ber. 

Der Kupferjtich, welcher den Sturm auf eine Feſtung abbildet (I, vor ©. 155), 
zeigt das Fußvolk derart geordnet, daß den gevierten Spießerhaufen vor der Front 
und auf den Flanken je drei Glieder Schüigen umgeben, die von den Piken durch 
einen Abjtand von einigen Schritten getrennt find. Solden Saum nennt 
Frönsperger „Führend anbangend Flügel“. Unmittelbar Hinter diefem aus 
12 Fähnlein zufammengeftoßenen Pitenhaufen folgen noch 10 Spießerfähnlein, 
welche hufeifenförmig angeordnet find u. zw. jo, daß die Arme rüdwärts Liegen, 
fomit verhältnismäßig ſchmale Flügel von Pilenieren bilden, welche leicht rechts 
und links aufmarjhieren und dem vorausgehenden Haupthaufen aus der Tiefe 
ber zu Hilfe fommen fünnen. — Auch hier offenbart jih nod einmal ein 
erfreuliher Reſt jener alten, guten Überlieferung, die vierzig Jahre früher der 
„Trewe Rat“ zufammengefaßt hatte [$ 9). 

Im I. Bande (1573) findet fich die Darjtellung eines Marjches (vor ©. 60\ 
Da bilden die Schügen große, jelbjtändige Haufen, welche die beiden äußeren 


2. Das Fuhpvolf. 121 


Marſchſäulen eröffnen und fließen. Den hier jehr tief geordneten Spießerhaufen 
find feine Schügen beigejellt. — Bei einer anderen Marjhordnung „zwijchen 
Geſchütz vnd Wagenburg“ (II, ©. 64) bildet „der gewaltige Hauffen Fußknecht“ 
ein Hoblviered, in welchem der „Droß“ marſchiert. Vor dem Haufen zieht in 
jehr breiter Front eine Abteilung Hakenſchützen und vor diefer wieder der „verloren 
Hauffen Knecht oder die 3 Blut Fenle“ (Spießer). Rechts diejer Vorhut marſchiert 
ein quadratiſch angeordneter Schüpenhaufe, lint3 dagegen ein ebenfall3 quadratiicher 
Spießerhaufe, dem auf der äußeren Seite ein Schüßenflügel angehängt iſt. 

Bejonderes Intereſſe gewährt die im III. Bande (1573) gebotene Beſchreibung 
und Darftellung einer „Bberlängten geuierten Feldtſchlacht Ordnung 
mit angehengkten vier Fliglen Schützen“ (©. 132). — Frönsperger 
rechnet auf 1 Regiment oder 10 Fändle Fußknecht 4000 Mann, darunter zum 
wenigjten 1500 Hafenjhügen. Die übrig bleibenden 2500 Mann führen blante 
Waffen: lange oder kurze Wehren, und werden in 59 Glieder zu 51 Rotten in 
einen jehr tiefen, „vberlängten“ gevierten Haufen eingereiht. Bon den Schüten 
werden 1000 Mann in vier Flügel, jeder zu 250 Mann formiert, welche mit 
10 Mann in der front, aljo 25 Glieder tief, jeltwärts vorwärts, bez. jeitwärts 
rüdwärts des gewaltigen Haufens ziehn. Bon den übrig bleibenden 500 Schützen 
wird zunächjt ein Glied (aljo 51 Mann) Hinter das erjte Glied der Spieher ein- 
geführt, und außerdem werden alle vier Seiten des großen Haufens mit einem 
oder mehreren Gliedern Schügen umgeben. Bleiben deren aud dann nod übrig 
(und das wären bei einem nur eingliedrigen Saum immer nod 229 Schügen), 
jo mögen fie als „frey Schügen“ neben aus geführet werden. „Vnd wo eine 
ſolche Feldtſchlachtordnung dermaßen gemacht vnd aljo in einem weiten geraumen 
Feldt außgetheilt, jo ijt ſolches nicht allein ein luft zu jehen, iondern auch der= 
maſſen bewahret, daß fein Feindt ohne jchaden daran etwas aufrichten wirdt 
mögen.“ 

Alle die verjchiedenen Formen der Fußvolksanordnung, welche in den drei 
Bänden erwähnt oder dargejtellt find, finden fich endlich vereint auf dem Bilde 
einer Schlacht zwijchen Franzoſen und Keyſeriſchen (III, vor S. 139). 

Die Mannigfaltigfeit der taftijchen Formen, welche 
‚srönsperger bietet, läßt darauf jchliegen, daß diejelben jehr flüjlig 
waren. Dies hat jeinen vornehmjten Grund wohl darin, daß nicht 
allein der Eigenwille jedes Kleinen Kriegsheren oder Feldherrn neue 
Normen aufjtellte, jondern dab jich überhaupt fein fejter Brauch 
herausbilden konnte, weil das Neich, ja außer dem mit den Türken 
beichäftigten Südojtgebiete auch fein größerer Neichsitand einen ernten 
Krieg zu führen hatte. — Bemerkenswert ericheint es, daß Fröns— 
perger des „Driangels“ gar nicht mehr erwähnt, weder des jpit- 
noch des breitgeitellten, und daß er auch der Hohlformationen 
als Gefechtsordnnung nicht gedenkt, wenigſtens nicht bet den Ehrijten; 


denn nur auf einer Darjtellung der türkischen Schlachtordnung gegen 
Jähns, Geſchichte der ſtriegswiſſenſchaften. 46 


122 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppen-Kunde. 


Ende des I. Bandes finden jich drei Hohlvierede von Bogenichügen, 
in deren einem der Sultan reitet. 
8 86. 

Einem Heere, das wie das jpanijche inmitten einer großartigen 
Kriegspraris jtand, mußte jich der Mangel feiter veglementarifcher 
Formen lebhaft fühlbar machen, und jo beauftragte der Herzog Alba 
einen jeiner tüchtigften Offiziere, den Maejtro de Campo Sancho de 
Condoño, ein Dienjthandbuch zu verfafjen [S. 567). Don Sancho voll 
endete dasjelbe 1568 und widmete es jeinem Auftraggeber. Es iſt nicht 
verdeutjcht worden; doch bei dem großen Einfluß, welchen die Spanier, 
insbejondere auf die Entwidelung der Infanterietaftif, im 16. umd 
17. Ihdt. ausgeübt haben, muß auf dieje grundlegende Arbeit bier 
doch einigermaßen eingegangen werden. 

Londonos Werk führt den Titel: »Discurso sobre la 
forma dereduzirladisciplina militärä mejor y anti- 
guo estado« und erjchien erjt neun Jahre nach jeiner Vollendung 
im Drud. (Brüfjel 1587.) 

Spätere Ausgaben: Brüjjel 1589, 1596 '), Madrid 1593 9. 

Die Spanier formierten ihr Fußvolf in „Tercios“, d. 5. wörtlich 
Drittel, weil urjprünglich ein jolcher Haufe die Infanterie eines der 
drei Treffen, jomit alfo ein Drittel des gejamten Fußvolks des Heeres 
umfaßte. In der Folge nahm dann Tercio diejelbe Bedeutung an, 
wie das deutjche „Regiment“, jedoch mit dem Nebenfinne einer Truppe, 
in welchem die Offiziere vom Klönige ernannt wurden, und tm Gegen: 
jage zu den vorübergehend angeworbenen Söldnerregimentern. Übrigen: 
war der Tercio in höherem Sinne als das deutjche Regiment zugleid 
ein eigentlich taftijcher Körper, ein „gewaltiger Haufe“ ; den 
längjt hatte die jchweizeriiche Kampfweife in großen Biereden aud 
den Spantern als Borbild gedient; die leicht beweglichen Cuadrillas. 
mit denen jie aus dem 15. in das 16. Ihdt. übergegangen, waren 
bei ihnen ebenjo verſchwunden, wie die Kleinen flachen Nechtede be 
den Deutjchen. Im Tercio waren nun aud), gerade wie in der wejentlic 
administrativen Einheit des deutichen „Regiments“, die verichiedenen 
Waffen des Fußvolks vertreten; je mehr er aber als wirklich taktiſcher 





1) Stabtbibl. zu Frankiurt a. M. (Mijchband Hisp. III, 12). 
2) Kgl. Bibl zu Berlin (H. u. 20530). 


2. Das Fußvolf. 123 


Körper galt, um jo wichtiger war es, daß die Waffen eben in ihm 
ſelbſt jachgemäß angeordnet und verbunden wurden. Dies traf jedoch 
auf bejondere Schwierigkeiten, weil gerade bei den Spaniern die 
Zahl der Feuerwaffen außerordentlich rajch zugenommen hatte. 
An das Auftreten der ſpaniſchen Arcabujeros in der Schlacht bei 
Pavia hatte jich der erjte große Erfolg der Feuerjchügen im freien 
Felde geknüpft; jeitdem beſtand lebhafte Vorliebe für diefe Waffe im 
Heer der Halbinjel, und namentlich Alba widmete ihr warme Sorgfalt 
und Förderung. Rechnet Frönsperger 1573 auf eine Gejamt- 
zahl von 4000 Mann: 2500 Spieße und 1500 Feuergemwehre, nimmt 
aljo das Verhältnis der Waffen wie 5 zu 3 an, jo jtellte es ſich 
unter Alba wie 1 zul. Denn diejfer Feldherr gab nicht nur jeder 
einzelnen compania 20 Musfetiere bei, jondern fügte zu jedem Tercio 
zwet überhaupt nur aus Schügen bejtehende Kompagnien. Eine jo große 
Zahl von Feuerwaffen galt es nun, mit den Spießen in ein und dem- 
jelben taftijchen Körper zu vereinigen, und die Löſung diejer jchwierigen 
Aufgabe bildete einen wichtigen Teil des dem Londoño von Alba 
gegebenen Auftrages. 


Don Sanchos furzgefaßte Abhandlung umfaht die Organtjation 
der compafiia, des tercio und des ejercito (Heeres), eine Erläuterung 
der Offizierspflichten vom general an bi3 hinab zum cabo de escuadra 
(Korporal), einige Angaben über Ausrüftung, Marſch- und Lager: 
weſen und zuleßt die Kriegsartifel. 


Londoños Tercio beiteht aus 10 Kompagnien: 8 Pilenier- und 2 Artebufir- 
Kompagnien. Von erjteren zählt jede 200 Spieße, 100 Arkebuſen und 20 Mus: 
feten (Gabelgewehre), während eine Schügenfompagnie 300 Artebujen und 
20 Musteten zählt. Der ganze Tercio hat alfo 1600 Riten, 1400 Urtebufen 
und 200 Musketen, i. G. 3200 Mann. Die bisherige Normaljtellung desjelben 
war der volle gevierte Haufe gewejen: esquadron quadro de gente oder de 
terreno. Londono ſchlägt jtatt deſſen das hohle Biered vor, weldes er, 
u. 310. nur aus den Pileniren, in Quadrate der Kopfzahl bilden will, jo da aljo 
in jeder der vier Fronten 40 Rotten in 10 Gliedern jtehen. Der Gedante, 
welcher ihn dabei leitet, ift derjelbe, den Herzog Albredt von Preußen hegte, als 
er das hohle Viered empfahl: Vergrößerung des Umfangs; doc während Albredt 
(abgejehen von der Maäfierung der Artillerie im Hohlraum) dieje Vergrößerung 
anstrebt, um mehr Waffen, mehr Spiehe zur Wirkſamkeit fommen zu lafien, it 
Zondonos Abficht eine andere: er vergrößert den Umfang des Pilenir- 
viereds, damit fih mehr Schügen unter die Spieße flüdten 
fönnen, fall fie dem Feinde gegenüber das Feld nicht mehr halten können 

46* 


124 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer» und Truppen=flunde. 

Den preußifchen Herzog aljo leitet der offenfive, den Spanier der defenfive Ge— 
dankte. Diefer nahm demgemäß aud nicht das Geſchütz in den Haufen auf, welches, 
bei Albredht, demasfiert, durch fein Feuer den Einbruch vorbereiten fol, jondern 
er barg in dem Hohlraum (centro) Fahnen, Munition und Troß. Die 200 mos- 
queteros wurden dem Bilenir-Edquadron an den vier Eden als jelbjtändige 
Schüpenflügel angehängt und bildeten ſomit gewiflermaßen vier Pfeiler, zwiſchen 
welche jich die Arkebufiere einzureihen Hatten, wenn fie auf den Schlahthaufen 
zurüdgeworfen wurden. Falls fih alle Schügen unter die Spieße flüchteten, 
jo ergab ſich für jede der vier Seiten des Duadrates ein Beja (guarnicion) von 
Arcabuferos in 8 Gliedern, welder derart angeordnet war, daß die beiden 
jelbjtändigen Artebufierfompagnien vorwiegend Front und Rüden, die Arkebufiere 
der Pilenirtompagnien die Flanken des Vierecks gamierten. — Bei einer 
Sgliedrigen Stellung der Schüßen vor den Spiehen hört aber der Begriff des 
geld, durd den die jtachligen Bilenhaufen einjt jo furdtbar geweſen, völlig 
auf; denn faum das erite Glied der Spieher vermag die Speereifen dann nod 
mühfam vor die geblendete Front zu bringen. Londoños Gedanfe war daber 
ein jehr unglüdlicher! Nichts deſto weniger jcheint er allgemein zur Aus— 
führung gelommen zu jein, u. zw. (was noch jchlimmer) gewöhnlih ohne Ber: 
größerung des Umfangs des Pileniresfadrons durch Aushöhlung desjelben. Dieje, 
an einem unlöslichen inneren Widerſpruche krankende Formation ijt die legte 
Konjequenz der zuerjt von Tartaglia vorgeſchlagenen Garnierung der Spießerhaufen 
mit Schügen [S. 711). 

Andere taktiſche Vorſchläge Londonos find vernünftiger: Einführung des 
Gleichſchritts (den übrigens ſchon della Valle verlangt) und der Übungsmärſche 
für das Fußvolk, Zuteilung einer Anzahl leichter Reiter zu jedem Tercio. — Am 
wichtigiten aber ift der echt ſoldatiſche Geiſt, weldher aus dem gut und fnapp 
gejchriebenen Buche atmet. Died gewährt eben ein treues Bild jener jtolzen 
ipanifchen Armada, die i. 3. 1567 den berühmten Marih von Italien nach den 
Niederlanden ausführte und in der der Nerv des Fußvolks, wie Don Sando 
berichtet, vorzugsweife aus jpanifhem Kleinadel bejtand. Es fehlt dem Verfaſſer, 
trotz oder beſſer wegen jener ſoldatiſchen Haltung, keineswegs an Auffhwung, ja 
an poetiihem Glanze; jogar DVichterjtellen find eingejtreut, u. a. jene jchönen 
Verſe der Jliade, in welcher die Ruhe und Ordnung der Griechen gegenüber dem 
Geihrei und dem Drängen der Barbaren gepriefen werden. Das war ein 
pajiendes Citat für Albas Heer. — Londoño ijt auch der Urheber jenes be: 
rühmten Ausſpruchs, der jpäter in die föniglihen Ordenanzas überging: „Wir 
jind Spanier, welche die Ehre höher achten ald das Leben und der Schande den 
Tod vorziehn!“ 


In demjelben Jahre, in welchem Londono jeinen Discurso 
vollendete, veröffentlichte der Capitan Francesco ferretti aus 
Ancona, der bei Karls V. Heer in Languedoc Mut und Tüchtigkeit 
bewiejen hatte, zwei militärtiche Werfe: die Libri due della 


2. Das Fußvolf. 125 


Össervanza militare (Benedig 1568) !) und die Dialoghi 
notturni (Benedig 1568.) 

Spätere Auflagen der Dfjervanza: Venedig 1577, Rom 1579; der 
Dialoghi: Ancona 1580, Rom 1604 und Ancona 1608 (zuweilen u. d. T. 
Diporti notturni). 

Das erſte Buch der Osservanza ift ein Ämterbuch; das zweite gibt neben 
allgemeinen Andeutungen über Sriegspfliht und Kriegskunſt eine in taktifcher 
Hinfiht wertvolle Überfiht der Aufgaben des sergente maggiore. — Die Dia- 
loghi noturni handeln von Schlaht und Marfchordnungen, vom Lager und von 
der Terrainbeurteilung, namentlich auch Hinfichtlic der Anlage von Befeftigungen. 


Am interefjantejten jind die durch Zeichnungen erläuterten Be- 
ichreibungen einiger Schlachtordnungen im 2. Buche der Osservanza; 
denn jie lehren, daß der Italiener den deutjchen Auffaffungen, wie 
fie bei Herzog Albrecht und bei Frönsperger hervortreten, weit näher 
jtand als denjenigen Londoños, von dejjen umorganijchem und jchäd- 
lichen Anklammern an die Umfaffung des Spießerhaufens bei ihm 
feine Spur zu finden iſt. Offenbar traut Ferretti wie Herzog Albrecht 
von Preußen den Schügen die Fähigkeit der Selbjtbehauptung zu 
und gliedert jie deshalb in jelbjtändige Abteilungen. 


Vier Schladhtordnungen: 1. Battaglia di tereno di Fanteria 
Italiana ijt ein Spießerhaufe ohne Beigabe von Kurzwehren, den recht? und 
lints jchmalere Schüßenflügel begleiten (manica destra et sinistra de archibuseri). 
— 2. Battaglia in forma di Croce, ein aus vier Pilenierhaufen gebildetes Kreuz, 
dejien Winkel Schügenguadrate füllen, jo dab i. G. doch wieder ein großes 
Viereck entjteht. Ferretti jagt: dieje Form werde von Schweizern und Gascognern 
bevorzugt. — 3. Corno destro e sinistro archibugieri sbandati, Schüpenflügel, 
die einem vieredigen Gewalthaufen nicht nur zur Seite, jondern aud) voraus- 
gehen und nadfolgen, eine bei den talienern und den ſpaniſchen Veteranen 
beliebte Anordnung, welche den beiten Schuß gegen die Handrohre der deutjchen 
Reiter (pistoletti oder ferraivoli, soldati Tedeschi a cavallo) gewähre. — 
4. Squadrone in forma di Luna: Kreisſtellung der piche armate; hinter 
ihnen die leichter gerüfteten Spießer und die allabardieri; innerhalb des Kreiſes 
das Geihüg; außerhalb desfelben in vier großen Trupps die archibugeri. Dieſe 
Anordnung wird bejonders für den Fall empfohlen, daß man eines nächtlichen 
Angriffs gemwärtig jei. Bei den Schügen jolle man daher »lumi«, d. 5. große, 
ballonartige Windlichter verteilen. (Bemerkenswert erjcheint e8, daß zu Ferrettis 
Zeit der Ausdrud squadrone, d. h. Biered, bereit3 identiſch iſt battaglione, 
Schlachthaufen, fo dab Terretti ohne Zögern von squadrone in forma di luna, 
alfo von freisförmigen Viereden ſpricht. Man fiegt: der Sprade iſt die Duadratur 
des Birkels nit unmöglich!) 


1) Bibliothef der Berliner Kriegdalademie (D. 555). 





126 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer- und Truppen-Kunde. 


Auf einem noch freieren Standpunkte jteht der Bologneje Do: 
menico Mora mit jeinem dem Herzoge von Barma, Ottavio Farneſe, 
gewidmeten Buche Il Soldato (Venedig 1570.) !) — Im 1. Abjchnitt 
handelt Mora von den Pflichten des Kriegsheren, der hohen Amter 
und der Ritterjchaft, im 2. vom Fußvolk und deſſen Taktik, in den 
beiden legten von der Befeſtigungskunſt. 

Mora erörtert die Vorzüge und Nachteile der großen einfahen Gefechts— 
formen: battaglie quadro di numero, battaglie quadro di terreno und bat- 
taglie large in fronto, und entfheidet jih für die flahe Stellung, 
u. zw. für die fehsgliedrigel Was das Verhältnis der Schügen zu den 
Pilenieren anlangt, jo jhäßt er die vermutlich vorhandene Zahl der leßteren 
bereit3 nur noch auf die Hälfte der Schüßen. Unter folchen Umjtänden vermögen 
die Piken natürlich nicht mehr die Grundlage für die Formation zu geben, und 
demgemäh ordnet Mora Spießer und Schügen, beide ſechs Glieder tier, 
ganz einfadh in jelbftändigen Abteilungen nebeneinander an. 
Damit war, wenigjten® in der Theorie, ein enticheidender Fortſchritt geicheben: 
man war zurücgefehrt zu jener lojen, naturgemäßen Verbindung der beiden Fuß— 
volföwaffen wie fie im 15. Ihdt. bejtanden, wie fie Seldened gelehrt Hatte [XV, 
S. 325]. Der Unterfchied von damals und der neugerwonnenen Lage war nur der, 
daß im 15. Ihdt. die Schügen ein Hilfßorgan der blanten Waffen gemeien 
waren, während nunmehr die Pileniere eben nur nod) Soutiens der Schügen 
bildeten. Es ijt derjelbe Weg, den Moriz von Dranien einjchlug. 

Im Übrigen ahmt Mora zu fHlavifc der Antike nad; es macht jeltjamen 
Eindrud, wie er jid) bemüht, die Schlahtordnungen des Cäſar oder des Pompejus 
als unmittelbare Vorbilder für die eigene Zeit darzuftellen. 


8 87. 


Auch bei den Franzoſen zeigt jich jtarfes Schwanfen in der 
Wahl der Infanterieformationen. In einem von 1540 datierten 
Manufkripte Jacques Chantereaus, welches dem Könige Francois 1. 
gewidmet ijt und auf der Pariſer Nationalbibliothet aufbewahrt wird 
(ms. franc. no. 8), jtehen die eigenen Wünſche des jachfundigen 
Berfafjers mit den aufgeführten Beifpielen aus dem praftiichen Krieg 
(eben gelegentlich in vollem Widerfpruche. So befürwortet Chantereau 
in diefem Miroir des armes militaires et instruction des 
gens de pied die Anwendung von Bataillons, welche zwei bis 
dreimal mehr Leute in der Front als in der Tiefe haben. 


Ein battaillon de 4000 picquiers fteht 3. B. in 100 Rotten und 40 Gliedern; 
die Flanken find womöglich mit Gendarmes einzurahmen; den Ktern bilden 630 


ı) Kol. Bibl. zu Berlin (H. u. 15670). 





2. Das Fußvolt. 127 


Hellebarden. — Ein Pitenierbataillon von 10000 Mann formirt ſich in 169 Rotten 
und 63 Glieder; 13 Mann jtehen auf den Flanken der Fahnenräume, die von 
1413 Hellebardieren eingerahmt werden und 23 Fahnen aufnehmen. 

Ganz anders, nämlich weit tiefer als breit, wurden aber 
franzöfiiche Heerhaufen in Wirklichkeit angeordnet: 

La forme en bataillon des gens de pied Frangoys lequel 
conduisoit Msgr. le marechal de Monteian & la venu de Msgr. le daulphin 
en Piedmont pres le lieu Sainct-Amboise : Ein Battaillon von 4462 Mann, 
u. zw. 338 corselets (Gewappnete Spießer) 2552 piques ordinaires und 1572 
hallebardiers ; 65 Rotten, 68 lieder und drei Glieder Fahnen. Da die Glieder: 
abjtände größer find als die Rottenabjtände hat der Schladhthaufen ein Verhältnis 
der Frontbreite zur Tiefe wie 2:3. — Die linfe Flanke des Bataillond wird 
von einem Arkebufierflügel gededt, deſſen Tete die des Pifenierhaufens überragt 
und der 27 Mann in der Front und 65 in der Rotte zählt. Ein zweiter Schügen- 
baufe folgt dem Bataillon der blanten Waffen in breiter yormation: 65 in der 
Front bei 27 in der Rotte. 

Die Einzelvorichriften Chantereaus über die Anordnung der 
Haufen jind jchwerfällig und verwidelt und laſſen es begreifen, daß 
fie den Sergents de bende und den Sergents de bataille arge 
Mühe und viel Zeit Fojteten, während aus den Reihen der unge: 
duldigen Majje »se sourdent grands cris et murmures.« 

Unter dem Namen »limassone«e beichreibt er die gemwundene 
Marſchkolonne der Infanterie. Denjelben Ausdrud braucht bereits 
Molinet !) von einer Bewegung des deutjchen Fußvolks, welche dies 
auf Befehl des Grafen Friedrich v. Zollern 1488 um feine Feuer 
auf dem Marftplage zu Brügge ausführte: eine Bewegung, die den 
glimmenden Aufruhr der Städter zum Ausbruche brachte. Eingehender 
childert dieje „Schnede“ der Arzt Aler. Benedictus als Augenzeuge 
der Truppenichau Lodovicos von Mailand über das von Georg 
v. Ebenjten ihm zugeführte Faijerliche Kriegsvolk (1495.) ?) 

Entjchtedener noch als Chantereaus Miroir tritt eine andere 
anonyme und titelloje Handjchrift der Pariſer Bibliothek (no. 7743) 
für Die „überbreiten* Wechtede ein, welche man bataillons pro- 
portionnes nannte, weil es jich bei ihrer Aufitellung darım handelte, 
ein bejtimmtes Verhältnis von Breite und Tiefe (3.8. 4:3) durch 
richtige Verteilung der Mannjchaft in Glieder umd Rotten zu ges 
winnen. Die Handjchrift gibt den Kalkul, den die Sergents-majors 
Dabei anitellten, wie folgt: 


1) Chroniques de 1474—1504. (III, 207.) *) Bei Eccard Corp. hist. II, 1612. 


128 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppensftunde. 


3600 Mann find in ein volled Bataillon zu ordnen, deijen Front fich zur 
Tiefe wie 4:3 verhält. Wie ftarf werden die files (Rotten), wie ſtark die rangs 
(Glieder)? — Bier mal 3 = 12; 12 mal 3600 = 42200; die Wurzel daraus 
iſt 207; diefe Zahl dividiert durd) 3 ergibt 69, die Zahl der Rotten; 207 dividiert 
durch 4 ergibt 51, die Zahl der Glieder. Übrig bleiben 81 Mann, die auf den 
Flanken der Fahnen zu verteilen find. 


Neunzehn Jahre jpäter als Londoño bejchäftigte jich ein fran— 
zöjticher Heerführer mit dem Problem, Schügen und Spieper 
in befriedigender Weije unmittelbar zu ein und dDemjelben 
Schlahtförper zu verbinden; es war de la Noue [$ 36), der 
zu diefem Verjuche durch die überaus jchlechte Mannszucht der fran- 
zöſiſchen Schüßen veranlaßt wurde, welche den Gedanken, daß dieje ſich 
ohne direkte Unterjtügung der Pikentere jelbjt behaupten fünnten, gar 
nicht auffommen ließ. De la Noue findet denn auch fein anderes 
Mittel zur feiten Verfoppelung der beiden Waffen als das hohle 
Viered wie Londono. — Der Hugenott jtellt das „PBaradoron“ 
auf: 2500 Doppeljöldner und 1500 Schüßen fünnen fich, jogar auf 
freier Ebene, drei Meilen Weges ungefährdet gegenüber von 2000 
Kürifjern oder Speer-Keitern in Sicherheit bringen. — Die Löſung 
einer jolchen Aufgabe galt alfo anfangs der achtziger Jahre in Frank: 
reich, wie aus La Noues Ausernanderjegung hervorgeht, noch als 
unerhört, oder, richtiger gejagt, ald wieder unerhört, u. zw., wie 
der wacere Capitaine verfichert, weil die langen Spieße, der Zahl 
wie der Handhabung nach heruntergefommen jeien und an ihrer Statt 
das „hilfloſe“ Schügenwejen jo arg um jich gegriffen Habe. La Noue 
it der Meinung, daß jenes Problem auch nur unter der Voraus 
jegung zu löjen jei, daß man über tüchtige8 Spießvolk gebiete, wie 
er e8 in den 2500 gerüfteten Doppeljöldnern vorausjegt. 

Er fjormiert zwei hohle Schladhthaufen, jeden zu 1250 gerüjteter Spieher 
und 750 Schüßen, von denen der eine 80 Schritt jeitwärtssrüdwärtö des anderen 
marjchiert, um fo eine gegenfeitige Flankierung zu ermöglichen. Jeder Haufe iſt 
folgendermaßen jormiert: In der Front 7 Glieder Spießer zu 50 Rotten, danadı 
10 Glieder Schüpen, in deren Mitte das Fahnenglied; in der Queue 6 Glieder 
Spieher. In jeder Flante 6 Glieder Spieher zu je 50 Mann. Bleiben übria 
250 Schügen, unter denen jid) die Mustfetiere befinden, die mit dem ſchwereren. 
bejier treffenden Gabelgewehr ausgerüftet jind. Diefe Schügen bilden num vier 
Abteilungen zu je 60 Mann, ſcharmuzieren rottenweije dor den Spießern und 
ziehen fich, fall die feindliche Neiterei angreift, unter die Spieße des erjten 


2. Das Fußvolt. 129 


Gliedes zurüd, indem fie hier niederfnien und fortfahren zu feuern. Die jo ge- 
ordneten Haufen werden im Stande fein, jchnell nad allen Seiten Front zu 
machen und jede Attaque wirffam abzufchlagen. 

Vergleicht man de la Noues Vorjchlag mit demjenigen Londoños, 
jo ergibt jich, daß bei dem Franzoſen die Spieße brauchbar bleiben, 
da jie nur von einem einzigen Schügengliede umjäumt werden. Dafür 
aber werden, mit Ausnahme diejes einen Gliedes, wieder jämtliche 
Schüten zur Untätigfeit verurteilt. Daraus erhellt, daß eine jolche 
Verquickung der beiden Fußvolkswaffen in ein und demjelben taktischen 
Körper an und für jich und auf jede Weiſe verfehrt und daß der 
Fortſchritt in anderer Richtung zu juchen war, nämlich in der der 
freten Vereinigung beider Waffen und in der der Verkleinerung und 
Verbreiterung der taktiſchen Einheiten. 

S 88. 

Für den Gedanken der Frontverbreiterung treten denn 
auch zwei gleichzeitige ſpaniſche Schriftiteller, Waldes und Eguiluz, 
ein; da fie denjelben jedoch nicht mit dem der Gmanzipation der 
Schügen und dem der Verkleinerung der taktiichen Einheiten verbinden, 
jo fommen doch auch fie wieder für den Notfall auf die Anwendung des 
Hohlvierecks zur Aufnahme der bedrohten Schüten zurüd. 

Der Maejtro de Campo Francisco de Daldes widmete 1571 
dem Herzoge von Alba jeinen »Espeio. Disciplina militar, 
en el qual se tratta del officio del Sargento Mayor«, und es tt 
nicht unwahrjcheinlich, daß auch dies Werf wie dasjenige Londoños, 
auf unmittelbare Anregung des Herzogs zurücdzuführen ift. Es erjchien 
jedoch erjt vier Jahre nach dejjen Tode 1586 zu Brüfjel. 

Spätere Auflagen: Brüffel 1589, 1590, 15961); Madrid 1591; Ant— 
werpen 1601. 

Baldes „Spiegel“ iſt in Pialogform gejchrieben: Londoito und Bargas 
unterhalten ſich „an den Ufern des jchönen Rheines“ über die Aufgaben des 
Sargento mayor. Waldes warnt vor der Anwendung des esquadron de gente, 
weil diejelbe nur allzuleiht zu dem esquadron prolongado, dem übermäßig 
tiefen Haufen der Schweizer, ausdarte, der in der front jchmaler ſei als in der 
Flanke. Er empfiehlt als Grundftellung das Rechteck mit breiter Front 


(esquadron quadro terreno mas proporcionado). In diefem Sinne habe der 
Herzog von Alba, als er Oranien an der Maas gegenübergejtanden, die 1200 





I) Stadtbibl. zu Frankfurt a. M. Dieje Ausgabe, mie die von 1589 ift unmittelbar mit 
Londorios Werl verbunden, was auch durch einen gemeinjamen Titel zum Ausdruck gebradt ift. 


130 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppensfunde. 


picas aller drei ſpaniſchen Tercios, über welde er verfügte, zu einem Rechter 
von 60 Rotten in der Front bei 20 Gliedern Tiefe vereint. Dies folle man zum 
Mufter nehmen. Die Garnierung eines jolhen Pifenviered® mit arcabuzeris 
jei jo einzurichten, daß fie höchſtens 5 Glieder tief vor den Spießen ſtehe; met: 
vermöchten dieſe unter feinen Umftänden zu deden. Den übrig bleibenden Reit 
der Schüßen möge der Sargento mayor dem Esquadron als Flügel (mangas) 
an die Eden hängen. Dadurd erhaltet jold) esquadron bien formado ein: 
glüdlihe Ähnlichkeit mit einem Feſtungswerke (castillo); denn die 
Fronten desjelben glihen den Gurtinen; die Mangas aber, welche vor dieſen 
Kurtinen Kreuzfeuer unterhielten, erfüllten die Aufgabe der Baſtionskavalliere 
(eaualleros), Alle Arkebuſiere jeien freilich auch auf ſolche Weiſe ſchwerlich 
unterzubringen; der Reſt müſſe frei bleiben; und angeſichts ſtarker feindlichet 
Reiterei ſei man dann allerdings genötigt, zu ihrer Rettung den Esquadron alt 
hohles Viereck zu formieren und ſie in deſſen Mitte aufzunehmen, Es jei 
aber eifrig dahin zu ſtreben, die beſtändige Vermehrung der Schützen zu verhindern. 

Die wandelnde Feitung des Baldes mit der mehrgliedrigen 
Schüßengarnitur und den Schügenbajtionen auf den Eden iſt dem 
in der Tat die Normalformation des ſpaniſchen Fußvolks 
geworden, welche ſich auf das der Dfterreicher übertrug und nod 
im dreißigjährigen Kriege überall in den katholiſchen Heeren herrichte. 


In demjelben Jahre 1586, da Baldes „Spiegel“ erichien, voll 
endete der Biscayer Martin de Eguiluz jeine»Milicia, Discurso 
y Regla militar.«e Doc) erjchien das Werk erjt 1592 zu Mapdrid.') 

Spätere Ausgaben: Madrid 1593, Antwerpen 15%. 

Die Schrift zerfällt in zwei Bücher. Das eine behandelt den Dienſt der 
Infanterie, das andere die Aufgaben der höheren Befehlöhaber, d. bh. die des Maestro 
de campo general de un exercito, die de Lugar teniente del Capitan General 
und die des Capitan General jelbit. 

Über die Fußvoltstaktitk handelt Eguiluz bejonders im 8. Kapitel des 
1. Buches. Er jchildert zuerjt den Quadro de gente, in&bejondere den vieredigen 
Haufen, in dejjen von Spiehern frei gelaſſenem Innern (anima) die ungerüjteten 
Spießer (picas secas), jowie die Arkebufiere, die Schanzgräber (guastadores) 
und die Bagage Schuß finden. Meijt find feine Esquadronen mit Flügeln von 
Schügen verjehen (con volante). Gelegentlich formiert er die ganze Mafje auch 
in vier Sonderabteilungen zum Kreuz (en cruz), dejien Mitte dann der depo- 
sito der genannten ficher zu jtellenden Abteilungen bildet. — Den Quadro pro 
longado erflärt Eguiluz wie Waldes für unzweckmäßig; wie diejer ſpricht er ſich 
zu Gunjten de8 Quadro de terreno aus u. zw. wieder mit Vorliebe für das 
hohle Viered, das im Stande ijt, Schügen und Fahrzeuge zu bergen. Bei— 








’) gl. Bibl. zu Berlin (Sammelband H. u. 20530). — GStabtbibl. zu Frantturt a. M. 


* (Sammelband. Hisp. III, 12.) 


2. Das Fußvolt. 731 


läufig wird der feilförmigen und kreisförmigen Ordnungen gedacht. — Bedeutend 
ift feine Museinanderfegung de8 Zufammenmirfens dreier Haufen als 
eine organifhe Schladteinheit, (Tres esquadrones quadros de terreno 
hechos de uno); es iſt da8 eine Anordnung, die uns vielfach auf den Schlachtfeldern 
der Zeit begegnet und die von W. Rüſtow in feiner „Geſchichte der Infanterie” 
al8 die „jpanifhe Brigade“ bezeichnet wird, ein Name, der freilih in den 
Originalquellen nicht vorlommt. Das eine Esquadron marſchiert dabei im erjten, 
die beiden anderen im zweiten Treffen, 


Im wejentlichen auf ganz demjelben Standpunkte wie die Spanier 
ſteht der erjte taktiſche Schriftjteller, welcher ſich aus dem Lager ihrer 
Gegner vernehmen läßt: Andrian Dupk, der übrigens, wie er jelbjt 
bemerft, 3. &. aus dem Franzöfiichen überjegt hat. Das jehr jeltene 
Bud führt den Titel: „Inftructie van de Crjichs-oorts— 
itellinghe, allen hoofden Beleyders van Armeyden van Voetvold 
ende anderen Chrijchslaft hebbende nut ende dienjtelijt. Eensdeels 
unten Franchoyſchen in onje Nederlandiche tale overghejet, eensdeels 
ook bij ahevvecht, vermeerdert ende verandert door de arbeyt van 
U. Duyk.“ (LXeyden 1588.) !) 

Die Schrift ift dem Generallieutenant von Holland und Seeland, Grafen 
Bhilipp von Hohenlohe gewidmet und zerfällt in drei Bücher. 

Bud) 1 handelt von den Slaadyoorden vier cants volcr (arithmet. Quadrate), 
Bud 2 von den Slachoorden viercant3 aerdens (geometr. Duadrate), Duyt 
wiederholt Hier nur feine Vorgänger. Die Zahl der Schügen aber zeigt ſich ge— 
wachjen: während jie 20 Jahre früher unter Alba eben nur der der Pilten gleid)- 
tam, rechnet Duyk bereit reglementarifc) auf je 40 Spiesdraghers 60 Schutten. 
— Im dritten Buche erklärt der Verfafier die Mittel, „omme t’eene Slaachoorden 
haejtelijt in t’andre te veranderen met enighe meer bederf zijnde kuntjchappen“. 
Auch Hier wird Belanntes vorgetragen; erwähnenswert ift etwa, daß die vier- 
tantigen Schlahtordnungen nicht nur zu dreien, jondern auch zu fünfen im 
Marſchſäulen abbrechen, (marcherende tot vijf voor't glit). Den Spießerfern der 
Vierede umgeben ſtets 3 bis 4 Schügenglieder (Stadyoorden viercant® alomme 
met Schutten ghewapent), und „de rejterende mannen” werden als „VBleugelen“, 
d. h. als Schügenflügel, an die vier Eden gehängt — ganz wie bei Baldes. — 
Auffallend ift aber, daß Duyk nirgends von hohlen Viereden redet, die dod) 
eben damals bei Franzoſen und Spaniern ebenjo in Gunſt jtanden, wie Ferrettis 
Verfiherung zufolge, auch bei den Hocdeutichen. Sie jcheinen von den Nieder: 
ländern alfo abgelehnt worden zu jein. — Adr. Duyf jtarb 1620 im Hag. 


Im Jahre 1592 jchrieb Chriſtöbal Kechuga, ein Andalufier, 
damals Capitan, jpäter Sargento General de Batalla und General- 


!) Deflauer Bebörbenbibl. (10961: 6015 B.) 


7132 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer» und Truppensftunde. 


lieutenant der Artillerie in Flandern und Mailand, einen Discurso 
en que trata del cargo del Maestro de Campo General 
der jich ganz vorzugsweile mit der Infanterietaftif bejchäftigt. Bevor 
er jein Werf dem Könige widmete, legte er es einer Reihe hervor- 
ragender Perjönlichkeiten zur Prüfung vor: dem Coronel de Mon- 
dragon, dem Grafen Karl von Mansfeld, dem Coronel Verdugo und 
dem Marechal de Trance, Seigneur de None (Rohan). Ihre jebr 
günftigen, doch durchaus jachlich gehaltenen Beurteilungen, welche 
a. d. 3. 1593— 95 jtammen, jind dem Werke vorgedrudt. Die 
Widmung an den König datiert von Antwerpen 1599; im Drud 
erichien das Bud) jedoch erit 1603 zu Mailand. !) 

Stalienifche Überfegung Mailand 1606. 

Lehugas Arbeit ijt an und für ſich wertvoll und wegen der autoritativen 
Gutachten von bejonderem Jnterejie für die Kenntnis der in den leitenden Kreijen 
des jpanifchen Heeres herrihenden Anichauungen. Während in der erjten Hälite 
des Werkes die Aufgaben des Maestro de Campo General, d. 5. des General: 
ſtabschefs, auseinandergejeßt werden, ift die zweite Hälfte rein taktifchen Inhalte. 
Da zeigt ji) denn ein immer weiteres Bordringen des Gedankens der Front: 
verbreiterung. Die Stellungstafeln, welche Leduga bietet, beziehen ſich nicht 
mehr auf die Unordnung quadratifcer Gemwalthaufen, jondern auf die Herjtellung 
der esquadrones proporcionales von doppelt bis jiebenfad 
größerer Front als Tiefe. Bier folder mehr oder minder flachen Rected: 


Esquadron de troncos con su Esquadron passado 
placa vacia passado del Cruz 


[_ e_] | 
en I I] 
| 


jtellt nun Lehuga je nah Umjtänden zu hohlen Viereden zujammen, deren 
einzelne Seiten er dann als trongos (Stümpfe, Abjchnitte) bezeichnet und danad 
das Hohlvieret al® Esquadron de trongos con su plaga vacia nennt. Die 
leere placa nahm die zurücdgeworfenen Schüßen auf. Übrigens brauchten die 
Troncos nicht unbedingt zum Hohlviered zujammengefügt werden; fie konnten 
auch im Sinne der von Eguiluz erläuterten Kreuz: oder Staffelitellung angewendet 
werden, und eine jolche mochte ſich gelegentlich dadurd ergeben, dat man die 
beiden Flanten-Trongos eines Hohlviered? gegen die Front einſchwenken lieh. 


1) Bibl. der Berliner riegdalademie (D. 4110.) Franffurter Stabtbibl. (Hisp. III, 12.) 


2. Das Fußvolt. 133 


Dann bildeten fie ein zweites Treffen hinter dem früheren fyront-Trongo, während 
der Rüden» Tronco zum dritten Treffen wurde‘). — Aud die Kreuzordnung 
(Esquadron passado del Cruz) würdigt Lechuga forgfältig; fie konnte leicht 
zu einer ähnlichen Treffenftellung ausgebildet werden. — Auffallend aber ift es 
und mutet ſeltſam ardaijtiih an, daß aud) der esquadron triangulado nod) ein= 
gehend beiproden mwird. 


8 89. 


Wie Lechuga die Entwicdelung der Infanterietaktif der Spanier, 
jo faßt ein Neapolitaner, Cejare d’Evoli, diejenige der Italiener 
zujammen, leider gerade unter Außerachtlafjung des modernjten und 
zufunftsvolliten unter ihnen, de8 Mora. Evolis Schrift Dell 
ordinanze e Battaglie erjchien 1593 zu Rom. 


Evoli jegt 13 Arten der Anordnung des Fußvolks auseinander und erläutert 
jie durch genau ausgeführte taktiſche Grundriffe. Eine orientierende Einleitung 
über die Bewaffnung der verjchiedenen Truppen und über die Aufgaben des 
Sergente jowie über die Elementargrundfäge der Infanterietaktik eröffnet das 
Verl. Die drei Waffen, aus denen das Fußvolk bejteht, find die Picchieri, 
die Archibuggieri und die Arme d’hasta e rotelli. Das Verhältnis derjelben 
in der erjten Schladhtordnung ift wie 658: 392: 62, wobei den Rundjchildnern 
die Aufgabe der Fahnenwache im innerjten Kerne ded 27 Glieder tief gejtellten 
Pilenierhaufens zufällt, während die Schüßen in zwei gleich ſtarken Flügeln, 
14 Glieder tief derart vor die Front gejhoben find, daß ihr legtes Glied mit 
dem erjten der Spießer abjchneidet. Ein andermal formiert Evoli 4 Flügel 
(manipoli) von Schügen, an jeder Ede des Biered3 einen. Bemerkenswert aber 
iſt e8, da er vielfach bedeutend größere Maſſen von Schüßen als von Pilenieren 
annimmt, meift jogar doppelt jo viel. Dann ordnet er jene in Flügeln an, die 
ebenjo tief find als der helle Haufe, jchiebt womöglid noch ein weiteres Echelon 
von Schüßen rechts oder links vorwärts; ja fogar über eine ſolche Staffel greift 
er wohl noch durd einen Trupp berittener Arkebuſiere hinaus. Auch hohle 
Vierede gejtaltet er (quinto modo), u. zw. derart, daß die Spieher ein Kreuz 
formieren, deſſen Mitte offen bleibt, um die Schügen, welde für gewöhnlid in 
den einfpringenden Winkeln des Kreuzes jtehen, im Fall eines feindlichen Reiter- 
angriffs aufnehmen zu fünnen. 


8 90. 
Das Ergebnis, zu welchem den Mora im Jahre 1570 jeine 
Studien geführt [S. 726], das wurde endlich gegen Ende des Jahr: 





1) Auf biefe Weile jucht der General Köhler die Entitehung der oranijchen Brigabeaufftellung 
in ihrer geſchachten Orbnung zu erflären, wobei er aber nicht an Lechuga anfnüpft, jondern an das 
Hohlviered Londorios [8 85). Ich teile dieje Anihauung nicht, bin vielmehr der Meinung, daß bie 
eranifche Ordnung eine bewußte und freie Nachahmung der von Polybios geichilderten Aufftellung der 
römiichen Legion if. [XVI.a $ 1 u. 69.) 





734 Das XVI Jahrhundert. III. Heer: und Truppen-Kunde. 


hundert, u. zw. offenbar ganz unabhängig von jenen italientichen 
Theorien, auf den Schlachtfeldern der nafjauischen Fürſten zu epodıe 
machender Sriegspraris! 

Jener Graf Philipp von Hohenlohe, welchem Adrian Duyk i. 3. 158> 
jeine „Inſtructie“ gewidmet [S. 731], war Mentor des jungen Brinzen 
Moriz von Dranien, Grafen von Najjau, der vielleicht nid 
die politische Bedeutung jeines großen Vaters Wilhelm hatte, der diejen 
jedoch als Kriegsfürft entjchteden überragte. Die früheiten, wiſſen 
Ichaftlih gefaßten Nachrichten über die epochemachende Taktik Ddieje: 
Prinzen verdanfen wir einem jeiner Vettern, dem Grafen Johann 
von Lafjau-Siegen, von dem jchon die Rede war und von dem aud 
jpäter noch mehrfach zu sprechen jein wird [$ 38. XVILa 8 69. 
Sohann, fünf Jahre jünger als Moriz und deſſen begeilterter Verehrer, 
fam zuerjt 1592 auf den niederländijchen Kriegsſchauplatz, wohnte 
jpäter dem glorreichen Feldzuge von 1597 bei, in welchem Moriz die 
Spanier bei Zournhaut zerjtreute, Aheinbergen, Moers, ſowie die 
Plätze Overyſſels nahm, und machte hier jene „Annotationes“ 
über die Taktik Oraniens (Alt. Dillenburger Archiv K. 971 in Wie: 
baden), welche den beiten Begriff von den Anfängen der neuen Taktil 
geben. — Die Grundgedanken diejer Taktik jind: Srontver 
breiterung, Selbjtändigmahung der Schüßen, Ber: 
fleinerung der Einheiten, flache Aufjtellung derjelben, 
aber Vertiefung der Schlahtordnung dDurd ein reich ge: 
gliedertes Treffen-Syſtem. 

Das „Regiment Fußvolt“ Oraniens bejteht aus 250 Doppeljöldnern 
(Spiehern), 100 Mustetieren und 200 Schützen (Arkebufieren); es zählt alſo 
ohne die Befehläleute 550 Mann, erreichte aber diefe Stärke nicht immer. Dos 
aud in diefem Falle ſtieß man nicht mehrere Regimenter zu einem „Treffen“ 
(d. h. hier Schlachthaufen) zufammen, jondern bildete grumdjäglich jeden Haufen 
aus einem NRegimente. Die Doppelföldner, der altüberlieferte Halt der Schlacht: 
ordnung, deren man möglichjt viel zu haben wünſchte, ftanden in der Gefechté— 
jtellung des Regimentes in der Mitte. Rechts und links an jte reibten 
jih je 50 Musketiere, „weil die das ſchwerſte Gewehr ift und-gemeiniglich die 
beiten Soldaten“. Sie feien den gemeinen Schüßen „in jeder Hinjicht vorzuziehen 
und unbedenklich auf Koften der lepteren zu vermehren“. Auf den Flügeln 
jtanden die gemeinen Schügen. Dede diefer Abteilungen — troups nennt jıe 
Naſſau — war als jelbjtändiges taktifhes Individuum gedadht, was daraus 
hervorgeht, daß jeder troup jeinen eigenen Befehlshaber hat. Die Fahnen 
jtanden bei den Pilenieren. — Die Doppelföldner jtellte Moriz anfangs 10 Glieder 


2. Das Fußvolt. 135 


tief, alſo ald ein Rechteck von 25 Mann in der Front und 10 Mann in der 
Flanke. Im der Folge aber verdoppelte er die Frontbreite der Spieher, ordnete 
jie nur fünfgliedrig an und bildete jo Spießerredtede von 50 Mann in der 
Front und 5 Mann in der Flanke). Musteliere und Schügen jtanden 10 Mann 
hoch. — In Bezug auf die Dichtigkeit der NAufftellung unterjhied man 
ordinati, densati und constipati. Ordinati iſt 6 Schuhe Abſtand Hinter und 
nebeneinander; Densati d. i. „Schließt euere Reihen !” daß fie fi mit den Ell— 
bogen anrühren; Constipati d. i. „Schließt euere Glieder!” jo hart fie können 
aufeinander und haben diefe Ordnung aud die Römer gebraudt. — Zwijchen 
den Troups wurden „Gaſſen“ frei gelajien, um die jelbjtändigen Abteilungen zu 
jondern und den Schügen, welche gefeuert, Raum zum Zurüdgehen zu bieten. 
Ein Zeil der Schügen jcharmuzierte ftet3 vor der Front und zog ſich nur in Be— 
drängnis auf die Flügel des Regiments zurüd; au nahm man während eines 
itehenden YFeuergefechtes wohl die Musketiere in zwei Gliedern vor die Front 
der Doppeljöldner, um ihnen eine breitere Feuerlinie zu gewähren ?®). 

Wurden mehrere Regimenter zu einer Schladtordnung ver= 
einigt, jo blieben zwijhen ihnen Gafjen von Regimentöbreite, und die hinter 
den andern jtehenden Regimenter (d. h. aljo das 2., bezw. 3. Treffen nad) unferm 
Sprachgebrauce) wurden „uff den jeiten“ geordnet, damit die vorderen nicht in 
Unordnung gerieten „wann ihre Mitgejellen zu dem Streidy fommen, wie aud) 
ihre Mitgejellen, jo fie entjegen jollen, Pla haben, neben ihnen zu fechten“. 
Dies ift die berühmte ſchachbrettförmige Shlahtordnung Oraniens, 
welche offenbar dem Quincunx der Römer nachgebildet ijt und diejelben taftijchen 
Zwecke verfolgt wie diefer [A. $ 17]. 

So oft als möglich jtellte Morig jein Volk in Schladhtordnung, daher dieje 
den Leuten „jo gebräulich“ war, daß fein Oberjt dabei zu fein brauchte. Und 
es blieb auch immer bei ein und derjelben Schlahtordnung, jo jehr der Prinz 
ſich perſönlich noch mit ihrer Verbefjerung bejchäftigte, damit nicht jeder Oberjt 
oder Kapitän jich beliebige Veränderungen erlaube. 

Die Zugordnung entwidelte ſich jehr einfach aus der Schladhtordnung, 
indem vom rechten Flügel an in Frontabteilungen von je 5 Mann abgebrochen 
wurde, jo daß aljo die gemeinen Schügen den Zug eröffneten und jchlofjen. 


8 91. 

Nur ein Jahr jpäter als Graf Johann jeine Annotationen machte, 
veröffentlichte ein britiicher Offizier die erjte nennenswerte kriegswiſſen— 
Ihaftliche Arbeit, welche überhaupt in englischer Sprache gejchrieben 
worden tit: »The Theorike and Practike of moderne 
Warres, discoursed in Dialogue wise« by Robert Barret. 
London 1598.) 3) 

y Im einer jpäteren Abichrift der Annotationes, weldhe Graf Johann wieder mit eigenbändigen 
Randbemerkungen verjehen hat (Dillenburger Archiv K. 924, ſeriegebuch T. III) heißt es ausdrücklich 


„Sonderlidh nur 5 Glieder hintereinander, die Doppelföldner belangent.” 
2) Ebva. 2) Landesbibl. zu Caſſel (Milit. gen. fol. 22). 


136 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer- und Truppen-Kunde. 


Barret hatte in franzöfiichem, italienischem, jpantichem und 
niederländischem Dienfte gejtanden und fannte überdies, wie jein jora- 
fältig gearbeitetes Buch beweiſt, die bisherige Militärliteratur ſehr 
genau. Sein militäriſches Vorbild jind die Spanier; ſpaniſch üt 
auch das jchöne Motto jeines Werkes: Ozar morir da la vida! 


Das 1. Bud ijt eine allgemeine Einleitung, das 2. ein kurz gefaßtes 
Amterbuc, welches die Pflichten der Rangitufen vom caporall bis hinauf 
zum captaine of infanterie auseinanderjegt. Das 3. Buch handelt von Legion 
und Phalanx, um dann zur modernen Elementartaktif und zuden Schladt- 
ordnungen der Heere überzugehen. Lebhaft jegt Barret die Borteile auseinander, 
welche einer Bataille of proportion eignen, which is of more men in breath 
then in length, und meijt gibt er jeinem »square« die doppelte Anzahl Rotten 
wie Glieder. Blanfe Waffen und Schüßen nimmt er zu gleichen Stärfen an; 
zu jenen zählen die pikes und die short weapen (Helmbarten, Beile und Schladit- 
jchwerter), zu diefen die muskets und die callivers (Artebujen). Sein Viered 
it voll; außen jtehen immer die armed pikes, innen die unarmed pikes. Tie 
Umbüllung mit Schüßen ift nur wenige Glieder ftark und nur ausnahmsweiſe 
wird aud die Front des Square mit Schügen gejäumt (girdled). An jeder 
Ede desjelben jteht ein squadron of muskets; die übrigen Schüßen werden in 
einer großen Anzahl Meiner Truppe von etwa 30 Gemwehren außerhalb des 
Haufens verteilt: vor der front »in the forlorne hope«, aber auch auf den 
Flanken und im Rüden des Viereds, und diejen troups of shot werden die Leute 
mit den Kurzwehren zugewiejen. — Größere Heere will Barret in ſchachbrett 
fürmiger Mnordnung aufitellen: 5 Bataillone in der vantgard, vier im 
Haupttreffen (battle), drei in der reareward. 

Das 4. Buch fept die Betrachtung der Ämter fort, indem es das dei 
Sergeant-Maior jowie das de8 Camp-maister oder Colonell würdigt. 

Das 5. Bud) befpricht den Gejchäftsfrei® des Maister of the Ordinance oder 
Generall of the Artillerie, jowie das des Captain Generall of the horse 
das des Lord high Marshall oder Camp-maister Generall, da® des High 
Treasurer und endlich daS des Oberbefehlöhabers, de Lord High Generall of 
the Armie. 

Das 6. Bud bringt Stellungstafeln: 1. Tables of battles in pro- 
portion of equalitie, as is 1:1. Das find Tafeln of due squares of men 
how many rankes so many men by ranke, or how many rankes so many 
files (Mannövierede),. — 2. Tables of battles in proportion of inequalitie, 
as is 2:1. Das find Tafeln of broad squares or hearst battles, bei denen 
doppelt jo viel Leute in der Front als in der Flanke jtehen, eine Anordnung, 
welhe aud; ala twyfold battle bezeichnet wird. — 3. Tafeln zur WVertei- 
lung einer gewiſſen Mannszahl in mehrere gejonderte Bierede. — 4. Table of 
Bataillons for Cross Battels. — 5. Berechnung der Zahl der Glieder gemwapp: 
neter Pileniere bei einem gewifjen Verhältnis ihrer Stärfe zu der der ung 
wappneten u. dgl. m. 


3. Die Reiterei. i31 


Man fühlt Barrets Werk die Mannigfaltigfeit der Erfahrungen 
in den verjchiedeniten Dienjten an; aber der ſpaniſche Einfluß iſt 
doch der vorherrichende. Von den großen Bataillonen vermag er 
jich nicht loszumachen, und wenngleich er die Mehrzahl der Schüßen 
in Eleinen Trupps frei manövrieren läßt, jo Hangt doch auch er noch) 
immer an der widerjinnigen Umgürtung des Spießerhaufens mit 
Schügen; denn die Macht der Gewohnheit ijt groß, und das gute 
Neue wird oft um jo entjchiedener mikachtet, je einfacher und je natür- 
licher es iſt. 

3. Gruppe. 
Die Reiterei. 
892. 

Die Reiterei beſtand, ſoweit es ſich um den eigentlichen „raiſigen 
Zeug“, d.h. um die lanzenführenden Gewappneten, handelte, vor— 
zugsweiſe aus Edelleuten. Dieje erjchienen entweder als „Kyrijjer“ 
auf „verdedten Hengjten“ oder als „Spießer“ auf ungeharnijchten 
Rofjen. Neben diefem »equitatus« gab es zu Anfang des Jahr: 
hundert3 nur die berittenen Schüßen mit Armbruft oder „Schößlin“ 
(Feuerrohr.) Die Einheit für Verwaltung wie Gefecht war die jog. 
„Sejellichaft“ (compagnia), als deren Unterabteilung die aus Spießern 
und Schützen gemijchte Motte diente: jo 3. B. beim Würtenberger 
Zuge von 1519. Im der Folge jonderten fich jedoch die Waffen. 
Neben Spießerfähnlein erjcheinen bejondere Schützenfähnlein als Leichte 
Reiterei. Als dann das Bedürfnis eigentlicher leichter Reiter anläßlich 
der Türfenfriege jtieg, warb man, nach venetianischem Vorbilde, alba= 
nejiiche Reiter, die jog. Stradioten, welche u. a. auch bei jenem 
eben erwähnten Würtenberger Zuge vorfommen. Ihnen gejellten jich 
bald darauf die in Ungarn geworbenen „Hujjeren“ [$ 94.) — Seit 
dem Schmalfaldener Kriege traten endlich in und außer dem Reiche 
den Landöfnechten die „Deutjchen Reiter“ zur Seite [S. 745). Es 
waren „Ringerpferde“, d. h. geringere Pferde als die der Kyrijjer, ein 
Mittelwejen zwijchen dieſen und den Neiterjchügen vom Anfang des 
Beitalters, dejjen Eigenart auf lange hinaus herrjchend wurde in Europa. 

Nur jparjam äußern jich die Militärjchriftiteller des 16. Shots. 


über den Gebrauch der Reiterei. Vielleicht die bedeutendjte aller 
Jähne, Geſchichte der Kriegswifienidaften. 47 


138 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppen-ſtunde. 


Darlegungen ijt die ältefte, die des WMlachiavelli, der ſich zwar nicht 
auf taktische Einzelheiten einläßt, dafür aber das tiefite Wejen der 
ganzen Waffe mit bewunderungswürdigem Scharffinn erfennt und 
deutlich ausjpricht. 


„Ich behaupte”, fo jagt er, „daß Völker, welche mehr Wert auf Reiterei 

als auf Fußvolk legen, immer ſchwach find. Den Beweis liefert unjer Jtalien, 
das von den Fremden verhert wurde, weil es das Fußvolk vernadläfigt und als 
Krieger nur Reiter hatte.“ Machiavelli ijt jedoch weit entfernt davon, die Reiterei 
zu unterfhägen; er gibt im Gegenteil einfichtige Vorſchläge zu ihrer Verbefierung. 
zumal durd Hebung der Pferdezucht mitteld Einrihtung von Statägeftüten 
und Hengjtdepots. Befremdlich erjcheint auf den erjten Blid der Vorſchlag, das 
Fußvolk vom platten Yande, die Reiterei aus den Städten zu ergänzen: 
man möchte glauben, daß Hiebei antife Reminiscenzen doch gar zu großen Einfluß 
auf Macdiavelli gehabt; denn allerdings gingen die Hippeis der Griechen wie die 
Equites der Römer ja vorzugsweije aus den Reihen der wohlhabenden Städter 
hervor. Indes, man darf nicht überjehen, daß diejenigen Staten, welche der 
Berfafler zunächſt im Auge hatte, die italienischen Mitteljtaten, den antifen Stadt: 
itaten ganz auferordentlid ähnelten. — Mit überrajchender Unbefangenbeit er: 
tennt Machiavell die Schwäche der antiken unzureichend gerüjteten Reiterei an. 
nicht minder aber aud) die großen Nachteile der in ihre Harniſche eingezwängten 
Nitterfchaft feiner eigenen Zeit und die Unzulänglichleit de Lanzentampfes. Er 
empfiehlt für das NReitergefeht den langen Degen. Feuergewehre 
joll nur der Bortrab führen, „um die Bauern zu jchreden“ und um allenfalls 
Engmwege öffnen und Heine Ortögefechte führen zu fünnen. — Machiavelli wil, 
daß die Reiterei weniger als ein Drittel de8 Heered ausmache; bilde man fir 
jtärfer, jo nehme man dem Fußvolk den Kern der Mannſchaft vorweg. Er weiß 
jedem battaglione [S. 701) 300 Reiter zu. — Geine Borjtellungen über zwed: 
mäßigen Gebraud der Kavallerie faht er in folgenden Worten zujammen: 
— „Man bedarf der Reiterei zur Unterjtügung und Verjtärtung des Fußvollkes 
feinesweg8 aber darf man fie als des Heeres Hauptwaffe betrachten. Sie bat 
ihre hohe umd berechtigte Bedeutung bei NRelognoszierungen, als Avantgarde, 
auf Streifzügen, zur Fouragierung und zur Verwüſtung feindlichen Gebietes, 
zur jteten Beunruhigung der feindlihen Lager und zum Abfangen feiner Zu: 
fuhren. In Feldſchlachten jedoch, wie jie über das Scidjal der Völker ent: 
ſcheiden, ijt die Neiterei mehr geeignet, einen ſchon erjhütterten Feind anzugreifen 
oder den jliehenden zu verfolgen, als zu irgend einer anderen Aufgabe. —“ Benn 
man diefe Süße lieſt, jo glaubt man einen Theoretifer aus unjeren eigenen Tagen 
zu hören! 


$ 93. 
Die Gefehtsjorm der deutjchen Reiterei war gegen 
Ende des 15. Ihdts. der Keil, defjen Heritellung und Kampfweiſe 
ja Bhilipp von Seldened jo eingehend gejchildert hat. [S. 328.] Gute 





3. Die Reiterei. 1739 


Daritellungen jolcher „Spite“ bietet ein großer Holzſchnitt Dürers 
v. 3. 1527, welcher die Belagerung einer Stadt jchildert. !) 

Das interefjante Blatt, welches weſentlich zum Verſtändniſſe der Dürerjchen 
Befejtigungskunft beiträgt, zeigt einen Teil einer Stadtumfafjung, insbeſondere 
eine mächtige Bajtei, vor welcher austretende Streihwehren im Graben liegen. 
Aus einem neben der Bajtei gelegenen Tore gejhieht ein Ausfall. Das Fußvolk 
bildet einen großen quadraten Haufen von acht Fähnlein, dem zwei Fähnlein 
al3 verlorene Knechte vorausziehen; die Reiterei rüdt im Spiß vor, 
dejjen erites Glied ſechs Pferde zählt; zwijchen diefem Spig und dem verlorenen 
Fähnlein fährt die Artillerie zu vieren. — Der Belagerer bat feine Batterien 
am Grabenrande entwidelt und ſich hinter denjelben zum Empfange des Ausfalls 
in Schlahtordnung gejtellt. Bor dem rechten Flügel feiner Borhut gehen Streit: 
farren ber und in gleicher Höhe mit diejen bewegt fi die Reiterei, aud 
bier durchweg keilförmig majfiert. Wie bei den Ausfalltruppen zieht 
die Artillerie zwijchen Reiterei und Fußvolk. Den Rüden der Stellung dedt 
eine aus der Bagage gebildete Wagenburg. 


Dieje durchaus realiftiiche, in jedem Einzelzuge der Wirklichkeit 
offenbar genau abgelaujchte Darjtellung kennt aljo noch feine andere 
‚Formation der deutjchen Neiterei al3 die im Dreied. In eben 
diefer jind auch die Reiterabteilungen in dem von der Wende der 
zwanziger und dreißiger Jahre herrührenden „Buch von den probtrten 
Künften“ dargejtellt und werden in diejer Form mit dem Buche jelbjt 
bis gegen Ende des Jahrhunderts getreulich fopiert [$ 44.) — Schon 
bald jedoch nad) Vollendung der Zeichnung Dürers muß im taftijchen 
Brauch eine Änderung eingetreten jein; denn eine aus den dreißiger 
Jahren jtammende, in Stuttgart aufbewahrte Handjchrift (milit. fol. 1) 
jtellt bereit3 ausdrücklich die Wahl zwijchen der feilfürmigen umd der 
„breiten“, d. h. der vieredigen Anordnnng. Der Coder enthält eine 
Anweiſung über den Dienjt der Neiterei, einen Artifelbrief für den 
Türfenzug von 1532 und einen Heeresanjchlag für eben diejen Feldzug. 
Der erſte diefer drei Aufſätze führt folgenden Titel: „Wie eines 
Churfürjten oder Herrn Hofgejindt vnd Reitter zum 
Straiffen oder junft vber Landt zu ziehen mögen geordnet 
werden von 100 Pferdten an bis auf fünfhundert. Vnd darnad) 
Wie von 600 Pferdt bis auf 6000 Pferdt zu ainem vheldtzug 
dder gegenwer die Hauffen geordnet vnd das vheldt 
möge bejtelt werden, jamt einer jonderen VBorrede vnd etlichen 
bnderweijungen zu jelbigem dienlich und mit fleiß zujammengezogen.“ 


1) Hupferftichlabinet zu Berlin (Nr. 2499) ala Anhang zu Dürers Befeftigungstunit. 
47* 


740 Das XVL Jahrhundert. III. Heer: und Truppensflunde. 


Dieje Arbeit ijt unmittelbar aus den alten deutjchen Überlieferungen er⸗ 
wachſen. Wie bei Seldeneck wird das taktiſche Anordnen der Truppen noch be 
zeichnet als das „Bejtellen des Feldes“. — „Bor Zeiten“, jo heißt es im Eingang 
„hat man an Chur: und FürftensHöffen Reißige vom Adel vnd einjpennige 
fnecht, jo erforen vnd Wiſſenſchafft wol fhundig vnd geſchicht gemwejen, fich auch 
weder Eojten weder bejoldung trauern fajjen ... angenommen“. Da habe man 
immer über tüchtige Reiter und Führer verfügt. Leider jei man in neuerer 
Zeit davon abgefommen, und wenn man nun „überland zeucht“, jo jieht man das 
Feld oftmals bejtellt, wie wenn „die Zigeiner“ ziehen. Darum will der leider 
ungenannte Verfaſſer eine feine „anmanung“ tun, wie wohl zu jtreifen und über 
Land zu ziehen jei. 


Den Hauptinhalt des Werkes bilden ganz genaue Vorjchriften 
über die Marjchordnung von Neiterzügen u. zw. in dem Sinne, daß 
diefe Marjchordnung zugleich Gefechtsordnung jet. — Einige Berjpiele 
fennzeichnen die Arbeit am beiten. 


Ordnung für 200 Pferdt: — Vorwart 35 Pferde. Schügen 20 Fi. 
Haufe 120 Pf. Nachwart 25 Pf. — Die Vorwart fendet 10 Reiter voraus, von 
denen vier auf der Straße, je drei recht? und lints als Nebenwarten ziehen. — 
Soll der Haufe, der für gewöhnlich zu dreien marjchiert, in eine „ſpützige Ord— 
nung“ gebradt werden, jo nimmt man in das erjte Glied 3, in das zweite 5, 
in das dritte 7, in das vierte 9, in das fünfte 11 Pferde. In dies Glied kommt 
„der Fahnen“, und von nun an bleiben die Glieder 11 Pferde breit bi zum 
legten, dem zwölften. Acht Pferde bleiben übrig. — Soll aber aus dem Haufen 
eine breite Ordnung werden, jo bilde man 13 Glieder zu je 9 Pf.; dann 
bleiben nur 3 Pf. übrig. 


Ordnung für 6000 Pferdt: — VBorwart 170 Pf. Nebenwart 260 Pi. 
(auf jeder Seite 130 Bf.) Rennfanen 600 Pi. Schüpenfanen 600 Pf. Gewaltig 
Hauff 3600 Pf. Nachzug 600 Pf. Nachwart 170 Bi. — Soll der gewaltige 
Haufen in ſpitziger Ordnung zum Gefecht gejtellt werden, jo fommen in das 
erite Glied 29, in das andere 31, in das dritte 33, in das vierte 35, in das 
fünfte 37, in das jechite 39, in das fiebente 41, in das achte 43 Pferde. In dies 
achte Glied wird die Hauptfahne gejegt, und von nun an werden alle Glieder 
43 Pferde breit. Im Ganzen bildet man 85 Glieder, und bleibt 1 Pferd übrig. 
— Will man den Gewalthaufen jedod in breiter Ordnung haben, jo formiert 
man 83 Glieder zu 43 Pferden und ſetzt den Hauptfahnen in das achte Blied. 
— Zwiſchen diejer breiten Ordnung und der im Spitz ift aljo nur ein ganz 
geringer Unterſchied; während ein ſolcher bei Fleineren Abteilungen ſtärker hervor: 
tritt. — Übrigens rät Verfaſſer einen jo großen Haufen zu teilen und mit dem 
einen in der Front anzugreifen, mit dem anderen zu manövrieren, Flanken— 
bewegungen auszuführen und dabei nad Gelegenheit die Rennfahne, die Bor- 
wart, die Schügen, den Nachzug, jei es hier, ſei es dort, mit eingreifen zu lajien. 
Etwa 600 Pierde jeien dem Lands- oder Kriegsfüriten zu feinem perjönlicen 
Schutze zuzumeijen, Ä 


3. Die Reiterei. 741 


Lebhaft beklagt der Verfaſſer den Verfall des Reiterdienſtes 
in Oberdeutichland. 


„Beij vnſeren tagen ijt die Krieges Übunge des Raißigen Zeugs in jollichen 
abfol vnd farlefjigen veradjtunge in Hoc Deüticher Nation fhomen, das jchier 
niemandt nichts mehr darum waiſſt oder Luft darzu hatt, jondern ſich jedermann 
vf die Landts Knecht begibt; dann diejelb rüftung nit vil für betradhtung vnd 
weißhait bedorff; allein welcher der fölleſt und größt Gotts Leſterer iſt, jegt der 
beit unnd am höchſten berfürgezogen. Darumb vnd weil fie den Herrn jöllidhe 
vbermeffige Bejoldung abdringen . . . ſchier niemandt mehr Raißiger jein will. 
Wie aber aud die Großen Herrn vrſach darzu gegeben, da were vil von zu 
ſchreiben; mir zweiffelt aber nit, fie mögen fich desjelbigen wol erinnern. Durd) 
ſölliches alles leider geuolgen, daß wir in hochteütſchen Landen wenig Leut 
haben, die ain gewaltigen Raifigen Zeug zu ordnen wijjen oder ir Sinne vnnd 
gemueth darvf wenden, jülliher noch zu gedendhen, die weder freid noch luſt 
darzuo haben, jondern allein ſich dahin richten, ires eignen willens vnd gefallens 
zu leben. Dardurd jöllihe rüjtung, erlich vnd ritterlihe vbung der Raißigen zu 
den Sachßen, Hejjen vnd Niderländern fhamenn, die desfelben noch in 
gebrauch fein; ala wann man in hochteutjchen Landen ein anjehenlichen Raißigen 
Zeug haben foll, muß man denjelbigen bey inen ſuochen vnd mit großer jchmwerer 
befoldung vfbringen. Ob ſolliches vnns Hocteutjchen ein ehr oder vercleinerung, 
hatt ain jeder verjtendiger zuermefjen; zu dem das e8 dem hochdeutichen Adel, 
darzuo auch Landt vnd leutten verderblich.“ 


Unter der Überſchrift: „Feldthaubtmans vnnd Kriegs Räthe er— 
welen, Beuelch thun vnd laſſen“ bringt der Verfaſſer dann eine 
Darlegung der an einen Feldherrn zu ſtellenden An— 
forderungen, welche durchaus auf das entſprechende Kapitel 
Kaiſer Leos zurückführt [M. $ 8]; während die dann folgende Feld— 
beitellung und Beuteordnung fic unmittelbar an die betreffenden 
Abjchnitte bei Seldeneck anlehnt. [M. 8 36.] 


Großen Nahdrud legt der ‚Berfafler auf genügende Borbereitung zum 
Kriege; „dann es were bejier, die Krieg vnd Zug vnderlaſſen, dann nit vollenden 
mögen, wie dann an vil Orthen bejchehenn! und noch teglich erfaren würdt“. — 
Bon allen wichtigen Perfonen jol ji der Feldhauptmann ein Regijter an- 
legen, welches nicht nur die Führer der einzelnen Heeresabteilungen jondern aud) 
jämtliche Reiter umfafjfen muß, die im Spitz vor der Fahne reiten ; denn dieje 
Plätze gebühren den Fürften, Grafen und Edlen. Der Kriegsherr ſelbſt ſoll im 
Keil unmittelbar hinter der Hauptfahne reiten (fall ihm nicht ein eigener Haufe 
ausgefondert iſt). — Als Offiziere nennt der Berfafjer den Leitenandt vber 
die Raißigen, den Vheldtmarjhaldd, 2 Uuartiermeijter, 2 Scarchmeifter (Schar- 
meijter), 2 Prouiandtmeijter, 1 Wagenburgmeijter: „alle uß den Raißigen“. — 
Die Beute joll in jorgfältigiter Weife nad altüberlieferten Grundfägen durch 
den „Beithmaijter“ aufgenommen und demnädjt, nad Billigung jeines Vorſchlags 


— ——— — — — — — — — — 


742 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer- und Truppen-Kunde. 


jeitend des Kriegsherrn, verteilt werden, — Hüten möge jidh der Feldherr, ſich 
vom Feinde in ungünftiger Lage zum Gefecht drängen zu lafjen, und bejondere 
Aufmerkſamkeit richte er auf den Kundſchafts- und Melde-Dienit. 

In Bezug auf die Gefechtstaftif erreicht der Verfaſſer jein Vor: 
bild Seldened in feiner Weije. Statt ficherer, klarer Vorjchläge bringt 
er leere Allgemeinheiten ; wie denn überhaupt der friſche Geiſt Seldeneds 
diefem Nachfolger mangelt und allenthalben viel Pedanterei hervorjchaut. 


8 94. 


Während anfangs der dreißiger Jahre dem Reiterführer die Wahl 
der Anordnung jeines Haufens im Spitz oder in der Breite frei ge 
jtellt ıft, erwähnen jeit den fünfziger Jahren die Taftifer den Seil 
entweder gar nicht mehr oder als eine nicht mehr angemejjene 
Formation der Vergangenheit. 

So jagt Braf Solms [$ 23] in jeiner „Kriegsregierung“: „Man 
hat auch vor Jaren jpigige Ordnung vnder den Reuttern gemacht, 
ift aber diejer Zeit gar davon kommen.“ !) 


Die Rudimente der alten Einrihtung lafjen fich aber bei Solms 
doch nod erkennen. Noch immer wird nämlich aud) in der gevierten Ordnung 
des erjten Gliedes der Mittelreiter ald Spite des-ganzen Haufens gedacht. „Das 
ipiß bevelhen”“, jagt Solms, „geihieht darumb, wann ein mann in der beritten 
ordnung reit vnd fi in einer enge theilen muß vnd wieder auff eine weite 
tommt, jollen im die borderiten nachreiten, wo dan der, der ſpitz ijt, reit, jollen 
fi) jeine nebengeoröneten wieder an yn ſchmücken; damit rüdt ein jeder wie es 
gehört, und wird die ordnung wieder ganz“. — Hieraus erhellt, daß die 
Rangierung der Reiterei nad) der Mitte auf die alte Keilformation zurüdjührt, 
und zugleid; wird Mar, warum bei Reitern wie Fußvolk im 16. Ihdt., ja nod 
weit jpäter, mit einer an Aberglauben grenzenden Entſchiedenheit darauf gehalten 
wird, daß die Rottenzahl ftet® ungerade jei. Dies erflärt fich einfach daraus, 
daß eben nur dann ein wirfliher Mann der Mitte, des Spiges, vorhanden war, 

Graf Solms hat auch noch eine deutliche Vorjtellung von dem „itidh ze 
folge“ oder dem „nachreiten“ der mittelalterlihen Angriffspraris, bei welcher, 
nachdem der Durdbrud) gelungen, der jiegreiche Keil recht3 oder links fehrtichwentte 
und die Befiegten von hinten her aufs Neue durhjagte. Er jagt: „Auch iſt 
etwan der brauch gewejen, dab die Hauptleut iren reutern am treffen zugejprocen 
und gejagt haben: Lieben herrn, juntern und gejellen, Hilfft vns Gott, darumb 
wir fein gnad bitten wollen, daß wir durch vnſere Feinde brechen, fo jollet ir 
euch auff die rechten oder linken feitten wenden; dafelbit wollen wir vns jamlen 
vnn wo die notturft erfordert, wider daran machen“. 


1) Rriegsregierung IT. Bud. 


3. Die Neiterei. 1 43 


Herzog Albreht von Preußen nimmt für die Reiterei ganz 
wie für das Fußvolk ald normal lediglich die gevierte Ordnung 
an und gibt dementjprechend auch für jene eine Ordnungstafel von 
ganz gleicher Eimrichtung wie für das leßtere S. 712.) 

Beträgt 3. B. die Summe der „Reutter“ 338, fo iſt die Zahl der Glieder 
nebeneinander 26, hintereinander 13 und die Länge jeder Seite 7, Ruten. 

Die großartige Auffaffung der Taktik, welche Albreht3 Werk ſonſt aus— 
zeichnet, tritt Hinfichtlich der Reiterei keineswegs hervor. 


Nolano genannt Schellenfchmidt [$ 27] geht näher auf die Reiter: 
taftif ein, Er erwähnt (wenigjtens in der Danziger Faſſung jeiner 
„Zürfenfeuer* — ob auch in den anderen Handjchriften, iſt mir nicht 
erinnerlich) des Spies mit den Worten: „Wiewoll die ehrliebende 
Altenn ire Schlahhtordnung nach dem Driangell gemacht vnd geitellt, 
dernad) im erjten glit 13, darnach 14, mehr 15 vnd aljo fort... 
oder 7 im erjten, 9 im zweiten, dann elf u. ſ. w. . . . Dieweil aber 
igigen gefehrlichen zeitenn die Schlahtordnung gefürt (geviert) 
durch die vorjichtigen Friegkleut erfanndt, aljo mögen fie nach dem 
vorteil zu jeiner zeit gebraucht werden.“ — Nolano unterjcheidet bei 
der gevierten Ordnung die Schlachtordnung der „gerueiten Pferde“ 
und diejenige der „geringen Pferde“ oder „Hufjeren.“ 

Die gerüfteten Pferde will Nolano in Haufen ftellen, die ſich möglichit 
dem arithmetijchen Quadrate nähern, aljo, im Gegenfage zu Herzog Albrecht, 
viel tiefer als breit: 200 oder 300 3. B. zu 13, 500 zu 21 im Gliede. Die 
Kürißer jtehen voran, im 3. Gliede die Fahne, darnady die Halbkürißer. Die 
Schügen kommen in Flügeln rechts und links zur Verwendung. Abteilungen 
von mehr als 600 Pferden führen zwei Fahnen, eine fliegende im 3. und eine 
verborgene im 7. Gliede. Lebtere wird erjt enthüllt, wenn die erjte verloren tft; 
„wie man dann allwege pfleget nad) den Fhanen zu jchießen“. Zweckmäßig ijt 
e8, das erjte und legte Glied mit Edelleuten zu bejeßen. — Für eine „gewaltige 
Schlachtordnung zu Roß“ tut man gut, 2 Haufen zu formieren, zwijchen denen 
Geſchütz Fährt. Die Haufen wenden fi) im Angriff auf die Flanken des Feindes, 
nachdem das Geihüg gewirkt: eine interefjante Verbindung beider Waffen, die 
der in den hohlen Fußvolfsviereden des Herzogs Albrecht entjpridt, wie denn 
überhaupt Nolanos Reiterformationen denen des Fußvolks immer jo ähnlich wie 
möglid) gebildet jind. — Trommeter und Heerpaufer ziehen neben der Ordnung 
her und blajen und trommeln nad Kräften. 

Hujjeren oder Ringerpferde werden befonders formiert u. zw. breiter 
als tief, 200 3.8. zu 19 im Gliede; denn die Hufjeren halten keine gleihmäßige 
Ordnung, jondern allein nach dem Bedünfen; „ich wollt fie ſonſt vieredig, weniger 
dann breit machen“. 


744 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppensflunde. 


Srönsperger handelt „Von der Reiligen Schlahtordnung“ 
im 2. Buche jeines I. Teiles. Auch er gedenkt (1566—98) noch der 
Keilformation; aber zu jeiner Zeit war diejelbe allerdings ganz außer 
Gebraud). 


„Mit den Reifigen hat e8 eben die gejtallt jhre Schlahtordnungen zumadıen, 
wie mit dem Fußvold; denn es werden gemeinlich etwan 2 oder 3 vnnd biß ie 
6 oder 8 Geſchwader vnd Fahnen oder Paner zujammengejtoßen, darmit ein ge: 
waltiger vnd gevierter Hauffen daraus gemacht mög werden, 

Wiewol bey den alten gebräuchlich geweſen, daß fie jhre Schlachtordnungen 
gejpigt oder in drey angel gemacht haben, aljo daß etwan im erjten Glied 7 Mann, 
im andern 8, im dritten 9, im vierdten 10, aljo fortan bi auff den halben 
theil der Ordnung. Darnad) (d. h. von der Mitte an) find jie durchaus geviert 
gemacht worden . . .“ 

Die Anweifung, welde Frönsperger zur Formierung der gevierten Reiter: 
ihlahthaufen gibt, legt auch für diefe da8 Manns: (hier Reiter) Quadrat zu 
Grunde Demgemäß find feine Gejhwader natürlih jehr viel tiefer als breit. 
Tauſend Reiter haben beijpielsweife bei ihm nur 31 Pferde Front, allerdings 
aud) 31 Pferde Tiefe, und 39 Pferde „bleiben vber“. 


8 95. 


Wie für die deutjche Neiteret der „Spig“, jo war für die fran- 
zöfifche der „Hag“ gegen Ende des 15. Ihdts. Normalformation 
geweſen umd dieſe Angriffsweije en haye oder en file erhielt ſich 
bis zu den achtziger Jahren des 16. Ihdts. Der erjte Schriftiteller, 
welcher ernitlich gegen diejelbe auftrat, war de la Noue (1585) u. zw. 
zunächjt in jenem Discours, que la forme ancienne de 
ranger la caualerie en haye ou en file est mainte- 
nant peu vtile et qu’il est necessaire qu’elleprenne 
lusage des esquadrons. [©. 564.] 

De la Noue jegt auseinander, wie feltiam es ei, daß die Franzoſen, jonit 
immer geneigt, nur allzujchnell das Neuejte zu ergreifen, nod immer daran fejt- 
hielten, die Neiterei (la cauallerie) in einem einzigen Gliede (en file oder en 
haye) angreifen zu lajien. Das füme daher, weil fein Edelmann dem anderen 
den Vorritt gönne; aber es fei veraltet und es ſei notwendig, auch die franzöſiſche 
Neiterei par esquadrons, d. h. in gevierten Haufen zu formieren, wie e8 Deutſche, 
Spanier und Staliener täten. Oft habe er gejehen, daß die haye der Yranzojen 
von deutſchen Gejchwadern durchbrochen worden, obgleih in diejen weniger 
noblesse vertreten jei. Bei Valenciennes® habe der König über mehr als 2000 
Zanzen verfügt; dieje aber jeien jo weitläufig angeritten, daß ihrer 300, range 
en file, nahezu 1000 Schritt Front gehabt; hätte man dieje 300 in drei Escadrons 
formiert, jo würden fie nur 120 Schritt Breite beanjprucht haben, die Ordnung 


3. Die Reiterei. 745 


wäre befjer gewejen, und fie wären von den Reitres nicht über den Haufen ge: . 
ritten worden. Dasſelbe jei den Franzoſen bei St. Quentin und Gravelingen 
geihehen und den Hugenotten bei Moncontour, weil bier einmal ausnahmsweiſe 
die Lanzen des Königs in Escadrons formiert gewejen jeien. Dazu komme, daß 
trog der Zujfammenjegung der Kavallerie aus Edelleuten, ſich doc viele Lanzen 
im Yugenblide des Angriff zurüdhielten: der eine befomme Nafjenbluten; dem 
anderen rutſche der Sattel; der dritte habe ein lojes Eifen, und jo gelange die 
ihon jo dünne Hede jtet3 auch noch mit großen Lüden an den Feind. Darüber 
dürfe man fich nicht wundern; denn eine Truppe, welche, wie die franzöſiſche 
Adelsreiterei feine gute Marjhordnung halte, die ſei auch außer Stande ein 
regelrechte8 Gefecht durchzuführen. — Man fafje aljo die Kavallerie getrojt in 
Escadrond zujammen und lafje ihr nur, wenn es denn nicht ander® gehe, allen= 
jall8 ein VBortreffen von 20 bis 30 Langen en haye als erjte Staffel vorausgehen. 

Auch die alte Ritterwaffe jelbit, die Lanze der Geharniichten 
auf den hohen gewappneten Hengiten, will dem de la Noue bereits 
in fragmwürdiger Gejtalt erjcheinen, und unter den Quatre paradoxes 
militaires, welche er aufitellt, lautet das erjte: Qu’un esquadron 
de Reitres doit battre un esquadron de lances. 

Die Reitres, d. 5. die deutjchen Reiter, Schwarzreiter oder Ningerpferde, 
jind die auf leichteren Pferden jißenden, Pijtolen, oder wie man es damals in 
Deutihland hieß, Feuftlinge, führenden Schwertreiter, deren Gejchwader die 
Schlachtfelder zu beherrihen begannen. Freilich ift der brave Hugenottenführer 
nicht gut auf die mörderiſchen Handfeuerwaffen zu jprechen: »tous ces instrumens 
la sont diaboliques, inventez en quelque möchante boutique .... Neant- 
moins la malice humaine les a rendus si necessaires, qu’on ne s'en 
scauroit passer. Or pour se pr@valoir des pistoles, il convient avoir vn 
win merveilleux; ce que toutes nations n'ont a beaucoup pres tel que 
l»s Allemans: qui est occasion que je les mettray sur les rangs comme 
ceıx qui emportent le prix en ceste espece de cauallerie«e Der Feuſtling 
jei >ine bejjere Waffe als die Lanze, nit nur an ſich wirtungsvoller, jondern 
auch dadurch, daß jeder Reiter zwei Pijtolen, der Kavalier aber nur eine Lanze 
führe. Dann aber hielten namentlih die deutſchen Reiter bewunderungs- 
würdige Ordnung ; fie jeien wie zufammengeleimt (collez). Wenn trogdem nicht 
jeder ihrer Angriffe gelänge, jo füme das daher, daß fie häufig zu früh ſchöſſen; 
nicht au. 20, fondern auf 3 Schritt töte das Piſtol den geharnijchten Gegner. 
Der Hauftvorteil des Gefechts mit Feuftling und Degen trete aber erjt im Hand: 
gemenge hervor; da werde die Lanze völlig unnüß, und wenn man fie nicht 
gänzlich abjchaffen wolle, wozu er übrigens feinesweges rate, jo feien die Speer- 
reiter wenigjtens jehr viel beſſer auszubilden und jtreng zu üben, im gejchloijenen 
Geſchwader zu fehten. Dem franzöjiihen Edelmanne neben der Lanze ein 
Piſtol zu geben, jei unnüß; er werde es doc nicht in Stand halten, jid in 
Bezug auf Reinigung und Ladung lediglich auf feinen Diener zu verlafien, und 
dann werde es im enticheidenden Augenblide verjagen. 


746 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppen-Kunde. 


Man fieht: de la Noue weiß dem Adel jeines Volkes auch nichts 
Beſſeres nachzujagen, als der Stuttgarter Anonymus den Ober: 
deutjchen! 


8 96. 


Einen Begriff von der oraniſchen Reitertaftif gewähren 
die „Annotationes* des Grafen Johann von Hafjau [$ 38 
und $ 90], welche aus demjelben Jahre 1597 jtammen, in das der 
Ehrentag der niederländijchen Neiterei, das Treffen von Tournhaut, 
fiel. — Die von Johann überlieferte Anordnung ift jehr einfach): 

Eine „Compain“ Reutter von 100 oder 125 Pferden zerfällt in vier oder 
fünf Trupps, deren jeder 25 Pferde zählt und zu fünfen im Glied und zu fünf 
in der Rotte reitet, wenn nicht Engwege zu weiterem Abbredhen zwingen. Zum 
Gefecht marjchieren diefe Trupps ganz einfach rechts oder links auf. Der Ritt: 
meijter hält vor der Front, der Cornet mit der Standarte in der Mitte des 
2. Gliedes, der Lieutenant hinter der ganzen Kompagnie. — Man kann die 
125 Pferde aber audy in drei Treffen teilen, jedes 7 Pferde breit und 6 Pierde 
hoch; dann führt der Rittmeifter das 1., der Fähnric das 2. und der Lieutenant 
das 3. Treffen. 

Eine Hauptjahe ijt es, daß die Neiterei gute — Führer habe, ſo 
daß bei jedem Viertelhundert Pferde ſtets ein tüchtiger Mann ſei, der dieſelben 
bei Scharmützeln, Beſichtigungen Recognoszierungen) Verſchickungen, Ambuſcaden 
u. dgl. ſelbſtändig und aufmerkſam zu leiten wiſſe. 


Für die gleichzeitigen oſtdeutſchen Verhältniſſe iſt 
ein Beſtallungsbrief belehrend, durch welchen Kaiſer Rudolf LI. 
zu Prag am 20. Mai 1598 den Geo. Rud. Marjchald zum Oberjten 
über 1000 gerüjtete Pferde (ſchwere Reiter) einjeßt. *) 

Es jollen alles „nur wolgeübete Reifigefnechte fein, mit tauglihen Pferden 
und Rüftungen, Alß wolbededten Schurz und Ermeln, Kragen, Rüd-, Krebs-, 
Hand» und Haupt-Harnifch, darzu mit ſolchen guten Seitengewehren und Stechern, 
deren fie jich zum Ernſt gebrauchen können und injfonderheit jeder wenigitens (!) 
mit Zweyen gerechten Feuerſchlagenden Püchſen gefafit . . .“ Sie jollen zunädjt 
drei Monat lang dienen. „Und follen die 1000 Pferd in 4 Fahnen, 
nemblich ein jeder 250 Pferde getheilt werden. Darauf fie auch der Obriſt 
mit gut erfharen Rittmeijter verjehen fol. So bewilligen wir . . . auf jedes 
gerüjtete Pferd... . den gebräuchlichen Rittgulden dem Rittmeijter. Mehr jollen 
allewege über 50 gemujfterte Pferde ein Rottmeijter gehalten und demjelben 
von jedem gemujt. Pferd !/a Gulden monatlichen gut gemacht werden. Gleichfalls 
jollen ihn auf 12 Pfd. ein gerüfteter Wagen mit guten 4 Rofjen gemuftert 


1) Mitgeteilt von Gilb. Unger: Geſch. der E. f. Armee I (Wien 1886). 


4. Artillerie. 147 


und allewege auf jeden, wo nicht zwey doc ein guter feuerfchlagender Doppel: 
baden oder Muſchketen mit jammt zweyen Knebelſpießen gehalten werden, und 
auf jolhen gemujterten Wagen wollen wir monatlihen pafjiren 24 Gulden. Item 
jollen auf 12 Pferde 1 Troßklepper gemujtert und darauf 6 G. monatl, 
pajjirt werden.“ 

Man erkennt aus dieſen Beitimmungen, daß die damalige deutjche 
Reitertaftif ganz wejentlich auf den Feuerwaffen beruhte, ja, daß 
jie jogar den Anſchluß an eine mit Feuerwaffen mittleren Kalibers 
ausgerüftete Wagenburg nicht verfchmähte. Kommen doch auf die 
1000 Reiter nicht weniger als 83 mit Doppelhafen bewehrte Rüjt- 
wagen! — Der Monatsjold jtellte ji) wie folgt für jede der 
vier Fahnen: | 

Das reijige Pferd 12%Ys fl., der Lieutenant 40 jl., jeder feiner beiden Tra— 
banten 8 fl., der Fähnrich 40 fl., 2 Trompeter jeder 12 fl., 1 Forier 12 fl., 
1 Sattler 6 fl, 1 Scloffer 12 fl, 1 Schmitt 12 fl., 1 Blattner 12 fl. 
1 Dolmetih 12 Gulden, jeder zu 15 Papen oder 60 Kreuzer. (Der Normalfold 
des Reifigen war 12 Gulden; der halbe Gulden, den jeder Reifige monatlid) 
mehr empfing, war „Zubuße“.) 


4. Bruppe. 


Artillerie. 
8 97. 


Einen Begriff von der Artillerie-Ausrüftung deutjcher 
Heere bieten, außer den eigentlich gejchichtlichen Daten, ‘einige Vor— 
anjchläge zu Feldzügen und einige Angaben in den jchon mehrfac) 
erwähnten Kriegsbüchern von Ott und Solms. 

Im Jahre 1504 fertigte Leonhard Eder für Herzog Albrecht 
von München ein „Notaverzeichnis, was an einem kleinen 
Feldzug an Geſchütz gehört.“') 

E3 follen mitgeführt werden: 3 Scharpfmegen, die 70 Bd. Eijen 
ihießen; für jede 200 Kugeln und 60 Etr. Rulverd. — 4 Quarten oder 
Nachtigallen, M-pfündig; zu jeder 250 Kugeln und 50 Etr. Pulver. — 4 Not: 
ihlangen, 20-pfdg.; zu jeder 300 Kugeln und 45 Etr. Pulver. — 6 Feld— 
ihlangen, 11=pfdg.; zu jeder 300 Kugeln und 24 Etr. Pulver. — 6 Halb= 
ihlangen, 8=pfdg.; zu jeder 350 Kugeln und 18 Etr. Rulver. — 6 Yalconet, 
6=pfdg.; zu jedem 400 Kugeln und 12 Etr. Pulver. — 60 Haden (30 doppelt, 
30 einfach), dazu 20 Etr. Blei und 8 Etr, Pulver. — Alle Kugeln und Blei 
wiegen zujammen 1541 Etr., alles Pulver 892 Etr. (500 Etr. Kugeln und 
200 Etr. Pulver bleiben in Rejerve). 


2) Würbdinger a. a. ©. II, ©. 408. 


748 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer- und Truppen-Kunde. 


Auf einen Wagen lädt man 25 Etr.; tut 66 Wagen. Bor jeden Wagen 
gehören 5 Pferd; tut 330 Wagenpferde, 

Zu dem (Blod-) Wagen einer Scharfmege gehören 16, zu jedem „Gefäh“ 
(Lafete) derjelben 6 Pferde; zum Wagen einer Quartane 12, zu ihrem Gefäh 
6 Pferde; für eine Schlange 8, für eine Halbſchlange 6, für ein Falkonet 5 Pferde. 
— Summa der Pferde zum Geſchütz 324 Pferde — Zu den Haken— 
büchſen 50 Böd, Zündftrid, Pulverfäte und Kugeln, dazu 1 Wagen mit 
6 Pferden. — 1 Wagen und 6 Pird. zu Giehlöffeln, Gießpfannen und 20 Etr. 
Blei. — Zwei Brüden und ihre Yagerhölzer auf 2 Wagen, jeder mit 6 Pferden. 
— Schmidt uud Wagner mit ihrem Zeug; dazu 1 Wagen mit 6 Pferden. 
Aht Zimmerknecht mit ihrem Werkzeug auf 1 Wagen mit 6 Pferden. — 
Ein Wagen mit Knechtſpieß, dazu 6 Pferde; ein anderer desgl. mit Harnaſch, 
Neitjpießeifen, Helmparten, Fußeiſen und Pehpfannen. — Zwei Wagen m. 6 Fir. 
zu verjchiedenartigem Feldgerat, Eimern u. j. wm. — Ein Wagen m. 6 Br. zu 
4 Zelten. — Vier Wagen für den Zeugmeijter, welcher deren Bepadung bejtimmt, 
— Neun Wagen mit Rädern, Achſen, Speichen, 14 Sturmleitern, Handwerfäzeug, 
Hufeifen, Brechzeug u. dgl. m, 

Summa der „Wagen zur gemeinen Munition“ 36, aller Pferde 786. 


Auf Marimilians VBenedigerzuge von 1509 führte das 
faijerliche Heer einen Park von 106 Radgejchügen mit fich. 

Ein handichriftliher Sammelband zur Gejchichte von Mainz, 
der im German. Mujeum aufbewahrt wird (Nr. 23077), enthält einen 
Anjchlag!) „Wie viel geichüß zu eynem dapfferen Veldt- 
zug gehort vnd was dem anhengig iſt.“ — Geſchütz und 
„Noitturfft“ verlangen danad): 

3ſcharpffer Mepen 54 Roß, ihre „gefes“ 18 Roh, dazu drei „laythern“ 
8 R., 400 Kugeln SOR,, 2 Etr. Bulver 40 R. (9). — 4 nadtigaln 56 R, 
dazu 600 Kugeln 80 R. 2 Etr. Rulver 40 R. — 5 Sengerin 50 R., 1000 
fugeln 60 R,, 3 Etr. puluer 52 R. — 6 noitslangen 36 R., 1500 fugeln 
24 R., 8 Halb jlenglin oder Baldenetlin 16 R.; die fugelnn geußt man jo 
viel noit iſt; 100 Etr. puluer 16 R. — 2 Zeugwagenn 8R.; 15 wagenn 
mit Feldgerät 60 R., 4 mit Speifen 16 R, 

Über die Ausrüftung deuticher Heere mit Artillerie von 1520—30 
gibt der Abjchnitt von Dtt-Preuß’s „Kriegsordnung“ gerügende Aus 
funft, welcher die Überschrift führt: „Die Gefchlecht der Püchien 
im Zeughaus in’s Veldt [S. 486], jowie die Bearbeitung desjelben 
Werfes von 1530, deren erjtes Kapitel ebenfalls ein ſolches „Ver: 
zeihnus der Arcolerey“ bringt. [©. 492.) 


I (Ejienwein): Quellen z. G. d. Feuerwaffen S 61. 


4. Artillerie. 749 


Ein Überjchlag, was von Gejhüß für ein Heer von 
10000 Fußgängern und 1500 Reitern nöthig tjt, vom 
Sahre 1540 im Statsarchiv zu Stuttgart verlangt: 

4 Scarfmegen, 4 Nadhtigallen, 4 kurze und 2 lange Sängerinen, 4 gr. 
Schlangen, 8 Falconen, 12 Falkonetten, 2 Feuerbüchfen, 2 gr. u. 2 fl. Mörſer '). 
Das gejamte Metall, 1180 Etr., koſtet 9440 G., Räder und Gejtell 2000 Gl., 
die Kugeln 2315 ©., 600 Etr. Pulver 8400, zuſ. 22154 Gulden. Geihüg und 
zugehörige Wagen erfordern 427 Pferde. 

Graf Reinhart von Solms rechnet 1550 in feiner Kriegsregierung 
[$ 45] auf 2000 Fußknechte und 5000 Pferde 18 Stüd Brech- und 
54 Stüd Feldgeſchütz. 

Nach der Kriegsverfafjung des Heidelberger Fürjtenvereins 
(1553) rechnete man auf 1000 Mann: 4—5, nad) der des Lands— 
berger Schirmvereins (1556): 4 Geſchütze. Demgemäß ſetzte 
jich der Artillerieparf einer Armee aus einem oder mehreren „Zeug: 
häuſern“ zujammen [S. 486.) 

Außerdem führte zuweilen jedes Landsfnehtsfähnlein 
1 leihtes®ejchüg mit, 3. B. auf dem Strafzuge gegen die adligen 
Friedensbrecher in Franken 1523 je eine „gemeine Schlange“ oder nad) 
dem Speyer. Reichstagsabjchiede (1542) eine „halbe Schlange oder 
Falcone.“ — Die Gejhügbededung bejtand gewöhnlich aus 
Landsfnechten. — Auf jedes Zeughaus pflegte man ein Fähnlein 
„Schanzbauern“ (Bajtadoren, Pioniere) zu rechnen: 400 Mann, 
die im Rotten zu je 12 Köpfen unter Rottmeijtern jtanden. 

Aus der für Deutjchland ja meist friedlich verlaufenen zweiten 
Hälfte des Jahrhunderts find nähere Nachrichten über das Maß der 
Artillerieausrüftung der Heere anjcheinend nicht erhalten. [S. 588.] 


8 98. 


Bon einer Taktik der Artillerie als jolcher iſt eigentlich 
noch feine Rede. — Geradezu befremdlich erjcheint das Verhältnis 
Machiavells zu diefer Waffe. Obgleich die sette libri doch nad) 
der Schlaht von Ravenna gejchrieben find, in welcher die italieniſche 
Artillerie einen überrajchenden Beweis von Reife gegeben hatte, tritt 
Machiavelli ihr ganz ungemem zurüdhaltend gegenüber. 

Machiavelli will bei der Artillerie feines Heeres 10 Poſitionsgeſchütze haben, 
die bis höchſtens 50 Pfd. ſchießen; das übrige Geſchütz wünſcht er leicht, lieber 


1) Näheres bei v. Stadlinger: Geſch. d. württemberg. Kriegsweſens. (Blg. I Stuttgart 1866). 


750 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer- und Truppen-Kunde. 


Zehn: als Fünfzehn-Pfünder. Die Bombardieri erjcheinen ihm noch faum als 
Krieger ; er wirft jie mit den Zimmerleuten und Ochjentreibern des Trofjes zufammen. 

Im Gefechte jtehe das Geſchütz am beiten in der Flanke an einem 
ficheren Orte, wo der Feind es nicht wegnehmen könne; jei das nicht möglich, jo 
müſſe es vor der ganzen Front verteilt werden. Große Wirkungen traut der 
geniale Statsjefretär diefer Waffe jedoc) feineswegs zu ; jeine Voreingenommenheit, 
die wohl einfeitiger Verehrung der Antike entjpringt, ift in diejer Hinfiht un: 
vertennbar. Mit ſolchem Haß jteht er (wie Luthers Beifpiel ung gezeigt [S. 496) 
durhaug nicht allein, und zumal in Ftalien war derjelbe jeit Petrarcas Tagen 
[S. 228] bejonder8 lebendig; war doch gerade die virtuoje, auf der Willkür 
perjönlihen Talentes beruhende Kriegsweiſe der Condottieri durd; Einführung 
der Feuerwaffen empfindlichjt beeinträchtigt; denn „die Kugel ijt eigenfinnig“. 
Guicciardini ging in feiner Abneigung gegen die Feuerwaffen jo weit, dab 
er fie ala eine „Bet“ bezeichnete und jie jogar bei Belagerungen nit gelten 
lajjen wollte; die Schwierigkeit der Heranihaffung und Bedienung jtünden nicht 
in rihtigem Verhältnifje zum Nutzen. In diefer Hinficht urteilt Machiavelli 
allerdings unbefangener; ihn hatten die poliorketiihen Erfolge Charles VIIL 
über die Bedeutung der Artillerie im Feſtungskriege ausreichend belehrt. In 
der Schlacht aber will er das Feuergeſchütz nur zu Anfang für eine einzige Lage 
benugen, nach der er dasjelbe (falls es nicht etwa in einer Flankenjtellung auf: 
gefahren ift) wieder Hinter das Fußvolk zurüdzieft. — In jeiner Schlacht— 
bejhreibung nimmt er an, daß das feindliche Gefhüß eine Salve gibt; „aber 
die Kugeln fliegen unſchädlich über die Köpfe unſeres Fußvolks“. Auch jchon 
des jtörenden Pulverdampfes wegen. will er von der Artillerie feinen weiteren 
Gebraud machen; er erklärt fie für „eine unnüge Sache jobald das Handgemenge 
begonnen“. — Darin jedod hat Machiavell volltommen recht, daß er es für das 
bejte und einzige Mittel, „das feindliche Gejhüg zum Schweigen zu bringen“ 
erflärt, „daß man fofort darauf losgehe“. Dies traf zu feiner Zeit zu! 

Die jüngere Generation teilte übrigens Machiavellis Abneigung 
gegen die Artillerie nur noch zum Teil. — In entgegengejegten Sinne 
ſprach jich vor allem Busca aus in jeiner Instruttione de 
Bombardiere. (Venedig 1545.) 

Spätere Ausgaben: Venedig 1554, 1559; Carmagnola 15841), 1589. An: 
hangsweije wiedergegeben in Buscas Schrift Delle espugnatione etc. [$ 131. 

In diefem guten praftiihen Handbüchlein iſt zwar nur von technifhen und 
poliorfetiihen Dingen die Rede, nit von der Taktik der Artillerie; doch in einem 
angehängten Briefe behandelt Busca die Frage, ob der Artillerift den Namen 
eines Soldaten verdiene. Natürlic; bejaht er fie; war er jelbjt doch Capitano 
d’artigleria. 

Dem warmen Interefje des Grafen Reinhart von Solms 
für die Artillerie entjpricht es, daß er in jeiner „Kriegsregierung“ 


1) gl. Bibl. zu Berlin (H. w. 28015.) 


4. Artillerie, 751 


[$ 45] in abminiftrativetaktischer Hinficht einige Reformvorjchläge wagt, 
die allerdings zunächjt nicht Durchdrangen. 

Dahin gehört namentlich die Formation der ganzen Geſchützmaſſe in fleine 
Abteilungen unter bejonder8 angeftellten Offizieren (Oberſten oder Edelleuten), 
welche dem Zeugmeijter Hilfreich zur Seite jtehen und den Befehl über mehrere 
Büchjenmeijter führen, fomit als Batteriehefs fungieren follen. Karl V. hat in 
der Tat einmal je zwei bejpannte Geſchütze einem Edelmanne zugeteilt. Aber 
wenn dies Verfahren auch hie und da Nahahmung gefunden haben mag: all: 
gemein und andauernd war e8 keinesweges. — In der Shladt, meint Solms, 
möge der Feldoberſt fein Geſchütz jo viel immer möglic gegen den Feind arbeiten 
lafien, jein Volk gut deden, nit lange in der Feinde Feuer halten, jondern 
entweder „treffen“ (angreifen) oder „aus dem feindlihen Geſchütz in feinen Bor: 
teil (Dedung) ziehen. Die 2:pfünd, Faltaunen gehören neben oder vor der 
Knechte Haufen, deren Angriff fie vorbereiten; doh mag man fie auch Hinter 
einen Teil der Mannſchaft ftellen, und wenn fie feuern follen, „tun fich die 
Knechte vorn auf“. 

Kaiſer Karl V. iſt wohl der erſte, welcher eine Art von Regle— 
ment für jeine Wrtillerie erlieg. Es führt den Titel: »Instruction 
et ordonnance aduuisee, faicte et conclute par l’'Empereur sur 
la conduicte des maistres et officiers de son artillerie en ses 
pays dembas tant en temps de paix que de guerre.« Augs- 
burg, 5. Avr. 1551. Die Handjchrift diejer Injtruftion bewahrt die 
fgl. Bibliothek zu Brüffel (no. 16228.) 

Herzog Albredt von Preußen (1552) verwendet jein hohles 
Bieref [S. 521 und ©. 714] in artilleriftifcher Beziehung ganz im 
Sinne Reinharts v. Solms zur Überrafchung ; ebenfo wie diefer empfiehlt 
auch Albrecht mit großem Nachdruck, das Gejchüg tätig zu verwenden, 
es entichlofjen einzufjeßen. 

Abgejehen von diejen deutjchen Fürjten, jtehen die meijten Kriegs- 
jchriftjteller des 16. Ihdts. auf einem dem Machiavelli ziemlich nahen 
Standpunkte. Dies aber hatte jeinen Grund darin, daß troß aller 
zunftmäßigen Arbeiten und Erfindungen der Büchjenmeijter, namentlich 
auf dem Gebiete der Feuerwerkerei und der Gejchoßfunde, die Feld— 
artillerie feine Fortjchritte machte, während die Handfeuerwaffen - 
ununterbrochen an Bedeutung gewannen. Seit der jchönen Flanken: 
bewegung Alfonjos von Ejte vor Ravenna 1512 wird weder in der 
Kriegsgeichichte noch in den wiflenjchaftlichen Werfen irgend etwas 
Ähnliches wieder erwähnt. Die Autoren raten meiſt, das Geſchütz 
zunächſt zu maskieren, dann auf nahen Abjtand es frei zu machen, 


152 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer- und Truppen-Kunde. 


eine Lage abzugeben und nun zum Handgemenge überzugehen — .Die 
großen Kaliber überbürdeten die Heere; die Nachteile jolcher Belajtung 
waren im jchmalfaldiichen Kriege jchreiend hervorgetreten und jchreckten 
von ihrem Gebrauche ab [$ 31.] Dazu fam, daß der, welcher die 
Schlacht verlor, faft regelmäßig auch feine ganze Artillerie einbüßte. 
Und welchen Wert jtellten dieje großen, jchönen Geſchütze dar! Die 
kleinen Karrengejchüge aber hatten zu geringe Wirkung. Infolgedeſſen 
nahm der Gebrauch des Feldgeſchützes überhaupt ab. Einfichtige 
Kriegsmänner empfanden das als jchlimmen Mangel und jannen auf 
deſſen Bejeitigung. Im diejer Hinficht verdienen bejonders die Bor: 
ichläge hervorgehoben zu werden, welche Graf Johann von Haffau, 
nachdem er Oraniens Kriegführung fennen gelernt, in einem „Dis 
furs die Artillerie belangend“ niedergelegt hat, welcher ſich 
im Alten Dillenburger Archive zu Wiesbaden befindet (1597). 

Graf Johann jagt: Es kommt darauf an, großes Geſchütz auch mit ins 
Feld führen zu können; zu dem Ende muß es erleichtert werden. Man muß 
dahin kommen, halbe Karthaunen, die 24 Pfund jchießen und gewöhnlich 50 Etr. 
wiegen, auf ein Gewicht von 12 Etr. herabzumindern, jo daß jie, mit nur 
4 Pierden bejpannt, dem marjchierenden Heere auf allen Wegen zu folgen ver: 
mögen. Dies ift zu ermögliden: 1. indem man fie kürzer macht, was angeht, 
weil fie in der Feldſchlacht nicht zwiichen Schanztörben ftehen; — 2. indem man 
die Metallitärle vermindert, was man jid) gleichfall3 gejtatten darf, weil man 
in einer Schladht gewiß nicht mehr wie 4 bis 5 Schuß aus einem Kanon tun 
wird, das Rohr aljo wenig erhigt wird; — 3. indem man jtatt der Bolltugeln 
Hohlkugeln anwendet, die zwar das Kaliber 24-pfündiger Kugeln, thatſächlich 
aber nur ein Gewicht von 12 Pfund haben, jo daß man ftatt 12 Pfund Pulver 
nur 4 Pfund anzumwenden braudht; — 4. indem man Gefhüge mit Kammern 
conjtruirt, in denen das Pulver eng gefaßt iſt und in Folge defjen erhöhte 
Wirkung hat. Natürlich kann man aus jolden Kartaunen aud) Kartätjchen jchiehen. 

Dieje einfichtige Ausernanderjegung werit auf den Weg, den in 
der Folge Gustav Mdolf eingejchlagen hat und auf dem ſich die 
Artillerie nach und nach die Stellung auf den Schlachtfeldern eroberte 
durch welche jie endlich dem Konjtablertume entzogen und zu emer 
ebenbürtigen dritten Waffe entwidelt worden tt. 


5. Gruppe. 
Wagenburgen. 
899, 
War im 15. Ihdt. der Name „Wagenburg“ gleichbedeutend ge 
wejen mit „Heer“, jo war das im 16. Ihdt. nicht mehr der Fall 


5. Wagenburgen. 153 


Die von den Wagen emanzipierte Artillerie war die gefährlichjte Feindin 
der alten Genojjin geworden und hatte deren Rolle wejentlich bejchränft, 
bejeitigt jedoch noch feineswegs. Vielmehr jchleppte man noch immer 
eine ungeheuere Zahl von „Heer“ oder „Raiswagen“ mit, deren Form 
uud Ausrüjtung durch vielfache Reichs-und Landesgeſetze bejtimmt waren. 

Nah 8 32 des Reichsabſchiedes von Speier jollte ein „gerüjteter guter 
NRaiswagen“, für den monatlid 24 Gulden vergütet wurden, verjehen jeit mit 
4 Pferden, einer Hakenbüchſe mit ihrer Neidfchaft, 2 Schweinjpießen oder Helles 
barden, jowie Hafen und Scaufeln. Die Kinehte mit den Spießen wurden 
„Bafladoren” genannt. Sie mußten „mit den Hauen, Schaufeln und zu anderen 
der Wagenburg und Geihüg Nothdurft gewärtig und dienftlich fein“. Sämtliche 
Wagen jtanden unter einem Wagenburgmeijter. 

Solms äußert 1550 in jener „Kriegsregierung“ [8 22]: 
„Manche meinen, die Wagenburg mitzuführen jet bejchwerlich und bringe 
große Kojten, und jet jchwerlich zu unterhalten, und wo man im 
Felde liege, möge man ſich anjtatt der Wagenburg mit Schanzen 
vergraben. Das tjt wahr und iſt ein gar gut Werf, jo man ſtill 
liegt... Aber wie dem jet, jo halte ich eine Wagenburg auch gut 
und nüßlih, und it im viel Wege zu gebrauchen, wo man mit 
Schanzen nichts tun kann und diejes unmöglich it. Aber jie ſind 
beide brauchbar jedes jelbjt für jich und beide zujammen und in 
einander gezogen.“ 

Volano jpricht 1553 [$ 27] von der Wagenburg nur als Zager- 
befejtigung. Als jolche fünne jie (dreiedig, vieredig, rund), großen 
Nutzen gewähren, wie er jelbjt erfahren. 

Er war 1537 unter dem Oberjten Frhrn. dv. Feld mit 4000 Mann vor 
Eperies durd) 20000 Feinde eingejchlofien. Doch man erhielt ſich mit Hilfe der 
Wagenburg trog häufiger Scharmügel, bis nad) drei Tagen Entjaß kam. 

Herzog Albreht von Preußen fennt aber auch noch den Marſch 
in der Wagenburg und erläutert: „Wie man die wagen 
allemal in ezliche zeilen führen joll, damit man jie zu 
einem iglichen bejchluß mag mit geringer mühe einführen.“ [$ 23.) Er 
fnüpft die Betrachtung darüber an zehn anjchauliche Figuren. 

1. Zwölf Reihen Wagen, auf jeder Seite ſechs, und in der Mitte ein „raumer 
plag“ von 4a Sel Breite [S. 712], in dem die Truppen jamt Artillerie und Troß 
marjhieren. Auf jeder Seite nimmt die Länge der Wagenzeilen von außen 
nach innen bejtändig ab, jo daß aljo der Binnenraum vorn in der Front etwa 
dreimal jo breit ift als das Minimum von 4!/a Sel, jomit genügt, um eine 


Schladjytordnung darin aufzujtellen, deren Flügel dann dur die Wagenburg 
Jähns, Geihichte der Kriegswifienihaften. 48 


754 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer- und Truppen-Kunde. 


gededt find. Allerdings wird der Marſch in folder Ordnung nur jelten möglid 
jein; denn er erfordert 700 bis 800 Schritt Front. 


Bagenzeilen. 























mn) 

5 — 

3 u — 

4 — — — — 

— 2 — 217 

s—— — — ————— 
| 2 2 

4'fa Sel | Naumer Plap. e ——— 

a 

v — | 

10 — — 

11 ÿ — 

= Wagenzeilen. ? 


2. Aufmarjch aus vier Zeilen in ein Quadrat oder Rechteck mit doppeltem 

Wagenſchutze. 

.Aufmarſch aus vier Zeilen in ein großes, doppeltes Dreied. 

. Deggl. in einen doppelten Kreis und 

. in einen „oberlengten runden Platz“ d. h. in ein doppeltes Oval. 
. Aufmarih aus ſechs Zeilen in ein doppeltes Sechseck und 

. in ein doppeltes Achted. 

8. Aufmarſch aus ſechs Zeilen in einen „viertantigen Plag“ (großes Biered), 

9. in einen „plag mit ſechs jpiten“ (aus⸗ und einfpringenden Winkeln) um) 

10. in einen „platz mit adıt jpigen“. 

Will man einem überlegenen Feinde gegenüber in der Wagenburg marjchieren, 
jo führt man „von den eußerſten Zeilen von einer zu der anderen einen Wagen 
neben den anderen vnd ſchließt diefelbigen mit fetten, oben durd die lettern oder 
durch die fafjung zufammen. So faren fie jametlich zugleich allgemad) fort. Dei 
einen Fuhrmanns pferdt geht neben des andern Fuhrmannd wagen, aljo da 
die reder auf nechjt beifammen find“. Auf diejfe Weije ijt aljo die ganze 
marjchierende Truppe von der eng gejchlojienen fahrenden Wagenburg umgeben 
und dadurd allerdings, namentlich gegen Reiterei, volllommen geſchützt. 

Das Aufmarjchieren der Wagen zum Lager bezeichnet 
Herzog Albrecht als „gedoppelt einführen und bejchließen.“ Seine 
„Zafel zur Wagenburg“ bringt eine genaue Überjicht der Verhältniſſe 
von Raum, Seitenlänge des Lagers zur Zahl der Wagen bei ein 
fachem, doppeltem und dreifachem Bejchluffe, in folgender Form: 


190m 












Länge der plat Größ d.gantzen Wagen des |. | | Sanz Summ 
aneinerjeitten | gevierten platz einfachen re der Wagen 


S x : 
Sel. Sel. Beſchluß. Beil. 24. 8 





221,2 | 
| 250 | 208 216 | 24 | 
33 1080 | 1328 | 1336 | 1344 | 4008 


5. Wagenburgen. 755 


Dann folgt unter der Überschrift: „Wie man jich mit einer 
gangen Kriegsrüjtung im feldt vor dem feindt legern 
ſoll“ eine nähere Ausführung der drei aus den vorher erläuterten 
Aufmärjchen 8, 9 und 10 jechszeiliger Wagenburgen hervorgehenden 
‚seldläger: 

ad 8. Vierkantiger Plap mit einem Mittelplag (Alarmplatz). In jeder 
der vier Seiten ein Tor, das von der inneren Wagenreihe ber durch jchräg ge= 


jtellte Gejhüße unter Feuer genommen wird. Im übrigen ift die Artillerie 
zwiſchen der äußeren Wagenreihe verteilt. 

ad 9. Pla mit ſechs Spitzen. Hier liegen an den einfpringenden Winkeln 
der von den Wagenreihen gebildeten Tenaillen je drei Gejhüge zum Bejtreichen 
der Tenaillenjeite. Jede diefer Batterien hat eine Wache als Partikularbedeckung, 
u. zw. die eine Knechte, die andere Reifige, jo da an jedem einfpringenden 
Winkel Fußvolk und Neiterei vertreten ift. In einigen diefer Winfel liegen dann 
aud) die Tore. 

ad 10. Plag mit acht Spitzen iſt ganz entjprechend angeordnet. 


8 100. 


Bon weit geringerem Werte jind die Angaben, welche Fröns— 
perger im II. Teile jeines Sriegsbuches: „Bon der Wagenburg 
vmb die Feldtläger u. j. w.“ 1.3. 1573 madt. [$ 32.] Weit: 
ihweifig und unklar, wie alle jeine Auseinanderjegungen, zeigen die 
der Wagenburg gewtdmeten 39 Seiten, daß es auch von deren eigenem 
Verfaſſer gilt, wenn er jagt: „Dieweil aber nun die Kriegßvbung der 
Wagenburg in langer zeit nicht gebraucht vnd beynahent gar vergejjen, 
wie dann in vielen Zügen wider den Erbfeindt gejehen, daß man in 
dem gangen Römiſchen Weich oder Lägern niemandt gefunden, dem 
man bett jolch ampt jtattlich zuuerjehen, berufen vnd vertrawen 
mögen.“ — Frönspergers „Bericht der Wagenburgen, wie man ich 
darınn lägern, ziehen, auch ſonſt in nöten bewaren jolle,“ beruht im 
wejentlichen auf dem betreffenden Schlußfapitel in dem Buche von 
den probierten Künjten [$ 44] und zerfällt in 19 Abjchnitte: 

1. Bon Kriegßerfahrenheit. 2. Welcher maſſen aufjer vnd innerhalb der 
Bagenburg gezogen werde. 3. Wagen Ordnung vnd Drofier Fahnen. 4. Bon 
Bagenburg vmbs Kriegßvolck vnd Läger zu führen vnd fchließen. 5. Befeld) des 
Bagenburgmeijterd. 6. Erklärung der Wagenburg vnd gemeinen Wagenmeijter 
zu Rob vnd zu Zub. 7. Vom Wagenburgmeijter. 8. Wagenburg in ein weit 
eben Landt oder Feldt zu führen. 9. Wagenburg vnd Läger zu jhlagen. 10. Zug: 
ordnung, in welcher das Kriegkvold zu Rob vnd Zub in felliger Schlahtordnung 

48° 


756 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppen=flunde. 


daher ziehen. 11. Wie man ordentlid dem Feindt vonder Augen ziehen jol. 
12. Eine vberlengte halbrunde Wagenburg. 13. Wagenburg geſchloſſen. 14. Wie 
man don eim Läger in das ander verruden foll. 15. Abzug zwiſchen dem Geſchütz 
vnd Wagenburg. 16. Bon Befeftigung der Wagenburgen. 17. Bberlengte Wagen: 
burg jampt dem Läger. 18. Zirdelrunde Wagenburg. 19. Halbrunde Wagenburg 
an ein Paß oder Waſſer geichlagen. 

Der Inhalt der Kapitel hält nur zum Heinften Teile, was die Überjchriit 
verjpricht. Zwei Drittel iſt Geſchwätz, das da, wo es gereimt iſt, noch am folidejten 
erſcheint. Eingehend ijt die Befehlsfolge erläutert: Über 200 bis 500 
Pferde ift je ein Gejchirrmeijter gejegt; über ihnen jtehen die Wagenburgmeijter 
der einzelnen Regimenter und über diejen der General:Oberjt-Wagenburgmeiiter 
ded Heeres. Er bejtimmte, in wieviel Zeilen die Wagen nebeneinander jahren 
jollten und wie die Pulverwagen zu verteilen jeien; er ordnete den Gebraud 
verjchiedenfarbiger Troßfahnen an und befahl den täglihen Wechſel im VBor-, 
Mittel- und Nahzuge. Die Marjchdijtanz von Wagen zu Wagen war auf zebn 
Schritt fejtgefeßt. Die Flanken des marfcdhierenden Heeres wurden meijt durch 
je zwei Beilen von Gepäd- und Brüdenmwagen gededt; die Munitionstwagen und 
das ſchwere Geihüg fuhren zwiichen den in vier Kolonnen geordneten Truppen- 
förpern. Front und Rüden der wandelnden Burg wurden dur das leichte Feld— 
geſchütz gefichert, zu deſſen Dedung Schützenhaufen hinausgefhoben waren. — 
Bon Streitwagen im eigentlihen Sinne ift gar nicht mehr die Rede; nur zumeilen 
finden ſich noch Wagen dargejtellt, auf denen zwiſchen Gepädkajten einige große 
Hakenbüchſen eingefchaltet find; jonjt entbehren die zur Einfriedung des Lagers 
gebrauchten Fahrzeuge jeglicher ſachgemäßen BVerteidigungseinridtung. Ronton- 
wagen, Laſtkarren, ja fogar die Gejhüßprogen werden im Lager zum äußeren 
Abſchluſſe verwendet. Hinter diejen Hindernismitteln ijt das Gejhüg aufgefahren, 
ohne daß erjichtlid wird, wie e8 dabei zur Wirkung fommen könnte. — Die 
ihönen, als große Ausſchlagsbilder hergejtellten Kupferitiche, welche den Tert 
illuftrieren, find übrigens bei weitem das Beſte des Buches; ohne diefe Beigabe 
wäre Frönsperger überhaupt nicht verjtändlih. — Als Anhang gibt er nod 
einige andere mechaniſche Hindernismittel an, die dem Fußvolk zum Schuß gegen 
Kavdallerieangriffe dienen könnten S. 552), wie dergl. im legten Viertel des 16. Ihdts. 
auch in Wirklichfeit vielfady angewendet wurde. 

Gegen Ende des Jahrhunderts jcheint der Gebrauch der Wagen- 
burg eher zu= als abgenommen zu haben u. zw. vorzugsweiſe infolge 
der Kämpfe mit den Türfen auf den Ebenen Ungarnd. Schwendi 
S. 537 u. beſonders 541)] legt gewöhnlich das ganze Lager in die Wagen: 
burg hinein, um es vor den leichten Neitern des Feindes zu jichern, 
und um angejichts diefer beim Marſch durch die Ebene unbehelligt 
zu bleiben, marjchterte das Heer nicht jelten zwiichen zwei Reihen 
nahe aneinander fahrender Wagen. Auf der Außenſeite der letzteren 
befanden ſich die Orgelgejchüge, Igel, Karrenbüchjen und anderes 


6. Verwaltung und Recht. 157 


leichtes Feldgeſchütz mit Schügen in feinen Intervallen. Drohte ein 
Angriff, jo machte man Halt und bejette die Wagen mit Schügen. 

Zur Artillerie und Wagenburg zählten auch die Schiffbrüden, 
deren Organijatton zuerjt in Ojterreich waffengemäß ausgebildet wurde. 

Um die Mitte des 16. Ihdts. bejtand zu Wien ein Schiffmeifter-Amt, 
dem ich in der Folge Nebenämter zu Preßburg, Raab, Komorn und anderen 
Orten Ungarns anreihten; denn es galt, bejonder8 während der Türfenfriege, 
nicht nur die gelegentlich notwendigen Stromübergänge herzuftellen, fondern auch 
auf den Hauptverbindungen der Armeen dauernde Brüden zu erridten und zugleich 
den Wajjertransport zu übernehmen, der bei dem Mangel guter Straßen für die 
Heeresverpfjlegung unerläßlih war"). — Die Bereithaltung von Sciffbrüden 
erwähnt aud) der Speyerifche Reichsabſchied von 1566. Frönsperger redinet 1555 
auf eine Schiffbrüde wenigſtens 30 gute Schiffe von 7 bis 8 Fuß Breite und 
16 bis 18 Fuß Länge, deren jedes jamt feinem Zubehör auf einem vierfpännigen 
Wagen geführt wurde. Die dazugehörigen Botsfnechte, Zimmerleute und Hand- 
langer jtanden unter einem Brüdenmeijter. 


6. Öruppe. 
Verwaltung und Red. 


8 101. 


Ber den romanischen Völfern waren die taftijchen An 
vrdnungen mit den adminijtrativen, ja den jurijtijchen 
aufs engjte verbunden in der Hand des Sergent de bataille, 
bzgl. des Maestro di campo oder Sargento mayor. Baldes definiert 
die Aufgaben diejes Offizters als dreierlei Art [$ 88]: 

1. Aushebung, Ausrüjtung und Ausbildung. 2. Anordnung 
der Märjhe und Lager. 3. Führung im Gefecht. — Der Sergento 
mayor jteht über den Gapitanos. »Todos los officiales del tercio son in- 
strumentos del Sargento mayor.«e Er hat unbedingten Zutritt zum Quartier 
des Königs oder des Generald. Er führt den palo corto des Richters, joll aber 
zugleich aucd der VBertrauensmann der Gemeinen jein. »Padre deve ser en 
amor el Sargente mayor a todos los soldados del tercio.« Seine unmittel- 
baren Organe find weniger die Capitane als die Alferezes, die Fähnriche, die 
den Leuten mit bejtem Beifpiele voranzugehen haben; denn die Fahnen find 
Symbole der Majejtät. »Autoridad Teal representan las banderas.« 


Solcher Stellung des Sargento mayor bei dem einzelnen Regi— 
mente entjpricht die de8 Maestro de Campo General bei dem 
ganzen Heere. 


1) Brinner: Geſchichte bes k. k. Pionier-Regiments in Verbindung mit einer Geſchichte bes 
Kriegsbrüdenmweiens in Öfterreih. (Wien, 1878.) 


158 Das XVI. Jahrhundert. IIL Heer und Truppen=flunde, 


Dieje hat Lechuga in feinem gleichnamigen Werte [$ 88] eingehend erläutert, 
in dem er dad Amt (carga, charge, niederdeutich „laſt“) jenes Offiziers nicht 
nur ſelbſt eingehend fchildert, jondern auch die Nußerungen des Herzogs Phil. 
von Cleve: el Sedor de Rauenstein S. 342] über die entſprechende Stellung 
de8 Mareschal . de l’host fowie diejenigen des Ascanio Centorio degli 
Ortenzii [$ 39], des Bernardino de Escalante [$ 37], des Don Diego 
de Alava y Biamont [$ 62] und des Don Bernardino de Mendoza [S. 568) 
auszüglih mitteilt und die betreffenden Bejtimmungen Kaiſer Karls V., 
Phelippes II. und des Statthalter, Herzog3 von Parma (ordenanzas sobre el 
exercicio y administracion de la juridicion y justicia militar) hinzufügt. 

Eine ähnliche Konzentration der Gewalten beſtand m Deutſch— 
land nicht. — Die Aushebung, welche (wie früher auseinander- 
gejegt) ja überhaupt nur ganz ausnahmsweiſe jtattfand, geſchah durch die 
Ortsobrigfeiten, die gewöhnliche Werbung dagegen durch die Haupt- 
leute, welche als Kriegsunternehmer ihre Fähnlein aufitellten und 
dem Oberjten zuführten, der auf Grund einer fatjerlichen oder 
landesherrlichen Bejtallung ihnen das Werbepatent ausgejtellt hatte. 
Das Ergebnis der Werbung, u. zw. nicht nur das rein perjonelle, 
jondern auch die Ausrüſtung und im gewijjem Sinne auch die 
Ausbildung der Mannjchaft, unterlag dann der Prüfung durch einen 
vom Kriegsherrn gejandten Muſterherrn und feine Kommiſſare. — 
Die Anordnung der Märjche und Lager war Sade der 
Dberjiten Wacht: und Quartier-Meijter; die Führung im 
Gefechte fiel den Oberſten und ihren Lieutenants zu. Die 
jurtjtijhen Aufgaben bejchäftigten unter der höchiten Leitung 
des Oberſten Feldprofoſes (aud Capitän de Juftitia genannt) 
die Profoſe der einzelnen Negimenter unter mannigfaltiger Kon: 
furrenz des Feldmarjchall® und FFeldzeugmeiiters. Alle dieje Ange 
legenheiten, jowie die Nechte und Pflichten jämtlicher Kriegsämter 
find, u. 3m. 3. T. jehr eingehend, in den allgememen friegswijjen- 
ihaftlihen Werfen abgehandelt, welche im I. Kapitel diejes Buches 
bejprochen wurden, jo daß es der Hauptjache nad) genügen wird, 
auf jene Werke hinzuweiſen. 

Borzugsweije fommen in Betradht: Der Trewe Nat, die alte „Kriegs: 
ordnung“ von 1526 und ihre Verwertung durd Herzog Albrecht von Preußen, 
die „ Newe Kriegsordnung“ don 1536, vor allem aber das von Putler 
und Bemelberg Herrührende „Amterbucd” mit feinen mannigjaltigen Be- 
arbeitungen durch Graf Solms, Gentzſchen, Nolano, in der „Forma vnd 
Ordnung“ von 1568, in Schwendis berühmtem Kriegsdiskurs ſowie in den 
Umgejtaltungen von Philippi und dv. d. Olßnitz. Endlid find Fröns— 





6. Verwaltung und Red. 159 


pergers Schriften zu erwähnen, auf deren einſchlägliche Teile fpäter noch etwas 
näber eingegangen werden joll. 


$ 102. 

Ob die gejeglihen Beitimmungen über das Heer: 
wejen als friegswiljenjchaftliche Arbeiten anzuſehen ſeien, mag zweifel- 
baft erjcheinen. Ich bejahe die Frage, und da ich glaube, daß wenig- 
jtens eme Überjicht jener Beſtimmungen auch willkommen und 
nützlich ſein werde, ſo will ich eine ſolche geben. 


J. Vom Reichs-Kriegsrechte. a) Vorſchriften für die drei 
Waffen. 

1508. Kaiſer Maximilians I. Artikulsbrief9. — Die 23 Artikel 
dieſes Briefes verlangen: Treue gegen den Kaiſer, Gehorſam gegen den Feldherrn 
und ſämtliche Vorgeſetzte, Fahnentreue, regelmäßigen Wachtdienſt, Ordnung im 
Lager, unweigerliches und pünktliches Erſcheinen auf dem Sammelplatze, Unter: 
werfung unter den Beſchluß des Feldherrn, falls dieſer einen ihm vom Feinde 
übergebenen Ort mit der Plünderung verjchonen will, Ablieferung gemachter 
Beute zu regelrehter Verteilung, Unterlafjung jeder unerlaubten Rottierung (fein 
„Gemein“ machen ohne des LOberjten Erlaubnis), Achtung der Marktfreiheit, 
Schonung der geiftlihen Gebäude und Stiftungen, der Kindbetterinnen, Witwen, 
Schwangeren und Jungfrauen, alten Leute und geijtlichen Perſonen, Unterlafjung 
der Gottesläjterung, der Trunfenheit, der Ahndung alten Groll® und jeder 
Parteiung oder Gewalttat, Verträglichkeit zwiſchen Fußknechten und Reitern, 
Gehorſam auch in jolhen Punkten, die nicht bejonders artifuliert find, und endlich 
entjchlofienes Einjchreiten mit der Waffe gegen feige und flüchtige Mitjtreiter. — 
Diejer Artifelbrief. ijt die Grundlage aller entjprechenden Verordnungen für das 
Fußvolt des 16. Ihdts. insbeſondere auch des Artifelbriefes König 
Ferdinands I. vom Jahre 15272, — Hinſichtlich der Artillerie gilt dasjelbe 
von den „Privilegien“ und „Reguln“, welde 

15 ? Kaiſer Karl V. als Articul vnd Freyheiten der Büchſen— 
meijter vnd ihrer Zugethanen bejtätigte®). — Dieſe „Freyheiten“ 
jtammen wahrfcheinlid aus der Zeit Kaifer Friedrichs II. Der Soldmonat des 
Büchjenmeifters ijt aus, fobald ein Sturm auf eine von ihm belagerte oder ver— 
teidigte Veſte gelungen, bezw. abgejchlagen ijt. Jeder Büchjenmeijter joll 3 bis 
4 Handlanger halten. Weder Profos noch Stedenfnechte dürfen Hand an einen 
Büchſenmeiſter legen, jondern, jo er ſich vergangen, iſt e8 dem Zeugmeijter zu 
melden. Das Geſchütz gewährt, wenn es berührt wird, dreitägiges Aiyl. Drei 
Schüfje aus einem ihm unbelfannten Stüd darf der Meifter zu feiner eigenen 
Unterriditung tun; erjt dann ijt er zum Treffen verpflichtet. Ihre Weiber und 


1) Abbrud in Hermsdorffs Corpus juris militaris. (Frankfurt a. M. 1674.) 
9) Ausführlicher Auszug in Meynerts Geſch. des Öfterr. Rriegsweſens. II, ©. 54 (Wien 1854) 
und in Gilbert Angers: Geich. ber !. f. Armee, I. (Wien 1886.) *?) Desgleichen. 


760 Das XVI Jahrhundert. III. Heers und Truppen-ftunde. 


Jungen dürfen die Meijter auf einem Stugelwagen fahren laſſen, damit fie nicht 
unter dem Troß zu gehen brauden. Auf dem Markt hat der Meijter, falls er 
jeine Zündrute (als Abzeichen) mitführt, das Vorkaufsrecht; auch ift ihm gejtattet, 
bei der Artillerie zu martetendern. Gloden in Feindes Land gehören den 
Büchjenmeiftern, ebenjo in erjtürmten Städten die Kriegsrüftungen und die 
größte Büchfe, die noch in den Stüden ftedenden Ladungen; und alle aufgeſchlagenen 
Tonnen Pulvers. Gleiches gilt aud im Felde. Doch kann ihnen der Feld: 
marjchall oder der Kriegsherr die Dinge zu bejcheidenem Werte ablaufen. — Das 
jind die zehn Privilegien; ihnen jchließen fi die Regula an: Die Büchjen- 
meijter jollen alle Morgen vor dem Zeughauſe erjcheinen, fromm und tugendhaft 
leben, jidy nicht mit ungetrauten Weibern jchleppen, die untergebenen Stüde und 
Sachen wie ihr eigen Leben halten, nicht über Nacht vom Stüd wegbleiben, 
nicht ohne Befehl jchießen oder, angegriffen, ohne Erlaubnis vom Stüd weichen, 
jih nicht zanfen, die Mängel der Geſchütze dem Zeugmeijter anzeigen, fih ohne 
Weigern aud zu Bejapungen fommandieren lafjen, nicht brennen noch brand- 
ihagen, feine Kirchen berauben oder fi in Mühlen oder bei Wöchnerinnen ein- 
quartieren, fich nicht mit dem Feinde einlafjen, ohne des Zeugmeijter8 Vorwiſſen 
feine Verſammlung halten, bei ausbleibendem Solde Geduld haben u. ſ. w. 


1570 fand das Erlöſchen des Lehnskriegsweſens feinen heerredhtlichen Aus— 
diud in Kaifer Marimilianöll. und des Heiligen Römiſchen Reichs 
Reutter=-Bejtellung, denen eine Erneuerung von „der Teutjchen Knecht 
Articel* angehängt wurde. ALS Verfaſſer beider gilt Lazarus v. Schwendi [S. 537), 
und daher hat der Edle von Janko dieje Gejege ald Anhang feiner Lebens— 
bejhreibung Schwendi? abgedrudt. Der ganze Komplex, der auch betitelt wird: 
„Dero Röm. Kayſ. Maj. Marimiliani II. und dei H. Reichs anno 1570 durd 
den Reichs-Abſchied zu Speyer auffgerichtete Verordnung und gemeine Wer: 
gleihung“ wurde 1570 zu Mainz gedrudt!) und umfaßt 224 Artikel. 

Eine traurige Betrachtung darüber, daß die „Teutſche Freyheit“ in Miß— 
braudy geraten, bildet die Einleitung zu der eigentlihen Reuterbejtallung 
(Artifel 1—141). Es wird zuerjt vom Anritt und der Mufterung, ſowie von der 
Bejoldung gehandelt. Dreißig Tage werden für einen Monat gerechnet, umd 
wenigjtens wird für ein Vierteljahr Sold gezahlt. Neifige und Troß = Pferde 
dürfen nur in dringenden Notfällen eingefpannt werden. Jeder Rittmeiſter joll 
etwa 300 Pferde unter fi) haben und ihm auf jedes gerüjtete Pierd 1 Gulden 
Rittmeiftergeld gut getan werden. Je 50 Pferde ftehen unter einem Rottmeijter 
Auf 12 Pferde ift ein Troßflepper zuzulafien. Bei jeder Neiterfahne befinden 
jih: 1 Lieutenant, 1 Fähnrih, 2 Trompeter, 1 Feldſcher, 1 Furier, 1 Feuer: 
ſchloßmacher, 1 Sattler, 1 Hufichmied, 2 Trabanten und 1 Kaplan. Kein Ritt: 
meijter joll über 12, fein Graf oder Herr über 10 bis 12, feiner vom Adel über 
6 bis 8 Pferde mitführen (es wäre denn, daß er gar vermögenlid und feine 
Leute bejonders wol jtaffirt und gerüjtet ſeien). Es find genaue namentliche 


1) Bibl. des Verfaſſers. — Ubdrud bei Hermaborff a. a. D. Ausführl. Auszug bei 
Menpnert: Geſch. des dfterr. Kriegsweſens. II. (Wien 1854). 





6. Verwaltung und Redt. 761 


Mufjterregiiter anzulegen. Einem Edlen, der nur 3 oder 4 Pferde hat, joll kein 
Junge pajjieren, einem, der 5 oder 6 Pierde hat, nur 1 Junge; einem, der 
12 Bierde hat, mögen 2 Jungen gejtattet fein. Jeder Edle, der 2 oder mehr 
Pferde hat, joll einen berittenen Knecht mit langem ?Feuerrohr halten. Edelleute, 
welche ſich nicht ins Regiſter jchreiben und nicht geboren wollen, jog. „Frey— 
Reutter“, find nicht zuzulafjen, ſonſt aber ijt der Adel bei der Aufnahme vorzüglich 
zu berüdjichtigen. Die Knete haben ſolange unter der Fahne auszuhalten, als 
ihre Junker fich derjelben verpflichtet haben. Dieſe müfjen für tüchtige Bekleidung 
und Ausrüſtung der Knechte jorgen, fie gut halten, und feiner joll dem andern 
fein Gejinde abjpannen. Beurlaubungen und Neueinjtellungen dürfen nur mit 
Erlaubnis des Feldoberſten jtattfinden. Die Pferde und Rüſtungen kranker oder 
gefangener Reifiger werden bei jeder Mujterung mit vorgeführt. Niemand darf 
bei einer jolden Knechte, Pferde oder Rüftungsftüde von anderen leihen. Außer 
dem 12. Pferde des Rittmeijter® und dem 6. des Fähnrichs ijt keines mwachtfrei. 
Es ijt jtrenger Gehorjam zu leiften von den Neutern und NRottmeijtern an bis 
hinauf zu den Oberſten, welchen der Feldmarſchall ala des Kaiſers Oberit- 
Lieutenant befiehlt. Dafür follen die Reifigen aber auch bei ihren alten ritter- 
lihen, adelihen Ehren und PBilichten erhalten bleiben, nämlich bei dem von 
Kaijerl. Majejtät und des Reich! Ständen wieder eingejepten löbl. Ritters und 
Reutter-Rechte. Über darnach ergangene Urteile ift Protokoll zu führen und 
dies dem Kurfürjten Erzlanzler nad) Mainz zu überjenden. Verdächtige Weiber 
jind nicht im Lager zu dulden. Der Gottesdienjt ift treulih zu feiern und 
während desjelben der Markt zu jchließen. Gottesläftern, „viehiſches Bollfaufen“ 
find zu meiden. Zrunfenheit dient zu feiner Entjchuldigung oder Strafe 
milderung. Wer Teindesnot aus Völlerei verjchläft, foll jterben. An Leib, 
Ehr und Gut wird gejtraft, wer gegen einen VBorgefegten die Hand erhebt. Bor 
das Meuterreht wird gejtellt, wer die Obrigkeit ſchmäht oder Meuterei madt. 
Der Profos ijt bei Verhaftungen u. dgl. nicht zu hindern. Niemand foll „für 
den Fahnen jtreihen“, d. h. das Lager ohne Erlaubnis verlafjen oder über Nacht 
ausbleiben, wenn er „auf Fütterung“ geritten. Feldflüchtige werden an Ehre, 
Leib und Leben gejtraft, Überläufer für Schelme erflärt. Feindesboten find an 
Nittmeijter oder Oberjten zu weijen. Stein feindliher Mann darf die Wachen 
pafjieren. In den Wachen ijt alles Balgen und Schlagen verboten; aud) im Lager 
joll man fid nicht mit mördlicher Wehr anfallen, ſich herausfordern oder die Zelte 
gewalttätig überfallen. Pflüge, Mühlen, Badöfen, Korn und Mehl find nicht zu 
verderben, Greife, Weiber, Kinder und Geiſtliche nicht tot zu jchlagen. Gehören 
verjchiedene Nationen zum Heer, jo follen jie nicht wider einander rottieren. 
Auf der Waht muß alles till fein. Alter Groll ijt nicht zu eifern, noch zu rächen; 
Uneinigfeit iſt zu vergleihen. Wer die Wacht verjäumt, wird vor das Reuterrecht 
gejtellt. Wer auf der Wacht ſich von Rob und Harniſch trennt, verliert beide an 
den FFeldmarjchall. Trunkenheit auf der Wade wird nad; Erkenntnis des Feld— 
marſchalls oder des Oberjten oder des Reuterrechts gejtraft. Niemand darf fremde 
verdächtige Perſonen beherbergen. Vorteil für Freunde und Nachteil für Feinde 
iind anzuzeigen. Ohne des Feldoberſten Erlaubnis jol nicht gebrandſchatzt werden. 


762 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer- und Truppen-Kunde. 


In der Schlacht darf feiner, bei jeiner Ehre, von dem ihm angemwiejenen Plat: 
weichen, auch nicht zum Beutemachen. Jrrungen über Beute entjcheiden die Bor: 
gejegten oder das Reuterrecht. Erbeutete Lebensmittel jind auf dem Proviant- 
plaß zu verkaufen, der nicht geplündert und dejjen Verkehr nicht gejtört werden 
darf. Verdächtige Perjonen und Dinge find anzuzeigen, Geleit, Paßporte und 
Salvguardia zu rejpektieren und die Reichuntertanen nicht zu beleidigen. Bei 
ausbleibendem Solde mag man von den Wirten borgen, doh muß man aud 
zurüdbezahlen. Gefangene feindliche Oberjte und Hauptleute find gegen jtattliche 
und billige Verehrung dem Kriegsherrn abzuliefern, gemeine Gefangene mit des 
Rittmeijters Wiſſen gegen Löjegeld zu entlaſſen. Geihüg, Munition und Proviant, 
die erobert werden, gehören dem Kriegsherrn. Neuterreht fann in Abwejenpeit 
des Feldmarſchalls nötigenfall® auch ohne dieſen gehalten werden. Bor dies 
Gericht gehören auch die, jo Anrittgeld genommen, doch nicht in Dienjt getreten, 
nicht minder die Ziwiftigfeiten der in fremdem Dienfte jtehenden deutihen Reiter. 
Das Recht ijt ehrlich und in Gegenwart eines Oberjten zu erteilen. Die Reifigen 
jollen monatlid; gemujtert werden, doch Verzögerung des Monatsjoldes geduldig 
ertragen. Bei der Mujterung find Bejtallung und Artikel unter fliegenden Fahnen 
zu verlejen. Übeltäter dürfen nicht angeworben werden. Auch nicht artikulierte 
billige und natürliche Forderungen der Oberen jind zu befolgen. — Die Be: 
jtellung des Feldes und des NReuterrechte® beginnt mit einer Vorhaltung 
des Feldoberſten und der Vorleſung der Reich&bejtallung. Alle werden ermahnt, ihr 
nachzukommen und geloben dad. Dann wird das Feld beitellt, indem den Reitern die 
Herren vorgejtellt werden, denen die Hohen AÄmter anvertraut find. Der Feld— 
marjchall gelobt, nachdem ein Herold ihm das bloße Schwert überreicht, treue 
Rechtspflege; der Feldoberjt ermahnt die Amtsinhaber; dieje danken. — Zum 
Reuterrecht bejtellt der Feldmarfchall einen Edelmann als jeinen Lieutenant. 
Wenn das Recht gehalten werden joll, wird es im Lager ausgeblajen und mit 
3 Rittmeiftern, 3 Lieutenants, 3 Fähnrichen, 3 Rottmeijtern, ſowie einem Oberiten 
bejegt. Bei jehr großer Stärke des „Reutterhauffens“ oder befonders wichtigen 
Fällen jind außer dem Oberjten auch) wohl die doppelte Zahl an Richtern, 24, 
zu bejtellen. Bei bürgerlichen Parteiſachen mag der Lieutenant des Yeldmarjchalls 
den Vorſitz führen, jonjt er jelbft, dem unter Trompetenjchall ein jchneidend Schwert 
borausgetragen wird und dem die Nichter folgen, ihre entblößten Schwerter in 
der Hand (nur bei Zivilfachen behalten fie e8 an der Seite). An der Gerichts— 
jtelle legt der Feldmarjhall das Schwert und den Bejtallungsbrief vor ſich auf 
den Tiſch, und die Richter kehren, wenn e8 ein peinliches Gericht ijt, ihre Schwerter 
mit der Spite abwärts. Nad) Vermahnung und Umfrage „verbannt“ der Marichall 
das Recht. In peinlihen Sahen fungiert der Profos ald Ankläger und das 
Urteil erfolgt auf Grund der Artikel der NReuterbejtallung oder derer des Hals— 
gericht3 Karla V. (Bal. unten.) Die Vota find verjchiwiegen zu halten bis ins 
Grab. Der Feldmarichall veröffentlicht da8 Urteil erjt, nachdem er ſich mit dem 
Oberjten wegen etwaiger Milderung desjelben beiprohen hat. Nach dem Urteils- 
ſpruch hebt der Marjchall dad Schwert empor, dem ahmen die Richter nad; der 
Marſchall bricht jeinen Stab. 








6. Verwaltung und Redt. 163 


MarimiliansII Articulaufdie Teutſche Fuß-Knechte (141— 215) 
find eine weitere Ausführung der Artifel von 1508 mit jtrengeren Strafbeitim- 
mungen. Alle Knechte jollen (außer mit dem Spieß, der Kurzwehr oder dem 
Feuerrohr) aud) mit guten Seitenwehren verjehen fein, die Schügen aucd mit 
Haken» und Flafhen-Deden. Kein Knecht joll im Zuge aus der Ordnung gehen 
ohne merfliche Urſache. Keiner darf fid) der Arbeiten an Bauten, Schanzen u. ſ. w. 
weigern. Schlägt man als Feitungsbefagung Stürme ab, jo iſt das doc fein 
Grund zu neuen Soldforderungen. Nur wenn eine Hauptiefte mit gewaltigem 
Sturm genommen oder eine Feldichlaht gewonnen wird, jo joll ein Monat aus: 
und angehen. „Und da das Geld nicht gleich vorhanden und den Feinden Abs 
bruch gejchehen möchte, jo jollen fie jih auf ihres Oberjten Befehl nad) der Tat 
nachzudruden, nicht widern und feinen Zug abjchlagen, andernfalls follen jie ala 
meineydig gehalten und an Leib und Leben gejtraft werden.“ Niemand darf 
während eines Gefechtes oder Sturmes plündern, niemand aus dem Lager ohne 
Urlaub auf Beute ziehen. Ohne Gnade jollen an Leib und Leben jolde Knechte 
gejtraft werden, die ohne des Oberjten Willen „eine Gemein machen.“ ahnen: 
flüchtige werden für Schelme erflärt und im Betretungsfalle hingerichtet. Beim 
Balgen darf man fid) nur des Seitengewehrs und auch deſſen lediglich zur 
Notwehr bedienen. Niemand foll nachts jein Gewehr abſchießen. Nur mit des 
Hauptmanns Einwilligung dürfen Stellvertreter eine Wacht übernehmen. Streng 
verboten iſt aller Betrug bei der Muſterung, jowohl der mit Perfonen als der 
mit Sachen. Auch die „Befehlichsleute“ jollen dabei mit ihrer Rüſtung erjcheinen. 
„Wo Neifige vnd Fußknechte bey einander in einem Läger liegen würden, jo 
follen die Knechte ziemlicher mahen weichen, damit die Neifige ihre Pierde unter— 
bringen mögen, vnd id) untereinander leiden.“ seiner joll dem anderen zu= 
trinken, um ihn zum Trunk zu nötigen, fein Hauptmann dem anderen feine Knechte 
abjpenjtig machen und niemand auf Borg jpielen. — Alle anderen Artikel jind im 
wejentlichen Wiederholungen folder von 1508 oder ſolcher der Reuterbejtallung. 


Der Reuterbejtallung und den Kneht3-Articuln find noch neun jonderlide 
Puntte „anhängig*“. — Nur deutjche Cherjte, Hauptleute und Rittmeijter dürfen 
für fremde Fürjten deutjhes Kriegsvolk werben, feine Offiziere 
fremder Nation. Deutiche, weldye fremden Dienjt oder fremde Penſion (Warte: 
geld) nehmen, müfjen die Bedingung jtellen, nicht gegen das big. Reid gebraucht 
zu werden, und müſſen auch im fremden Dienjte Reuterrecht und Knechtsartikel 
halten. — Ein Fähnlein joll ſtark fein 400 Köpfe, darunter 100 wohl» 
gerüjtete Ainechte mit langen Spießen und furzem yeuerrohr, don demen die 
Hälfte (alfo 50) ald Doppeljöldner (8 fl. monatlih) volle Rüftungen mit ganzen 
Armſchienen tragen jollen; ferner 50 qutgerüjtete ältere und erfahrene Kriegs— 
männer mit Schlachtichwertern oder Helmparten, 50 ungerüjtete Spießgejellen 
und 200 Hakenſchützen mit Sturmhüten, guten Rappieren, guten Röhren, Feuer— 
oder Schwammſchloſſen. „Sie follen monatlic geübt und ihnen an Baden an— 
zufchlagen und abzuſchießen eingebunden werden; welcher dann mit feinem Schießen 
nicht beitehet, dem ſoll zur Strafe der Hade niedergelegt und ein bloßer Spieß 
gegeben, und dafür einer don den gemeinen bloßen Knechten an jeine Statt 
® 


164 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer und Truppen-Kunde. 


genommen werden. Und dieweil die fremden Nationen anheben, ji der Doppel- 
baden unter den Schüßen zu gebrauchen, jo jollen unter jedem Fähnlein 10 Schügen 
mit Doppelhafen unterhalten werden.“ (Hundert Schügen empfangen 5, fünfzig 6, 
vierzig 7 oder 8, die mit Doppelhaten 10 Gulden monatlich.) Bei jedem Fähnlein 
jollen wenigſtens acht bis zehn vom Adel oder andere erfahrene Kriegsleute mit 
etwas höherer Bejoldung fein, welche ſich auf eigene Kojten beritten halten, um 
„auf ihren Oberjt oder Hauptmann zu warten, two es vonnöthen, jonderlich aber 
zur Führung der Schüßen fich gebrauchen lafjen“, weil an den Schüßen „ißiger 
Beit merdlid) hoch viel gelegen. * 


b) Strafgejege allgemeiner Natur, welche auch für die Heere gültig: 

Kayjers KaroliV. und des Hlg. Röm. Reichs Peinliche Halß— 
Gerichts-Ordnung, wie jolde auf denen Reichs-Tagen zu Augspurg und 
Negenspurg in den Jahren 1530 und 1532 aufgerichtet und beſchloſſen worden. 
(219 Artikel.) 

Durch diefe vom Frhrn. von Schwarzenberg ausgearbeitete Gerichts- 
ordnung trat an die Stelle verjchiedenartigjter, big dahin im Reiche geltender 
Strafrehte mit einem Sclage ein einheitlicher Kriminalcoder, der ohne bejondere 
Rückſicht auf das römische Recht ein wohldurchdachtes Ganzes darjtellt und deſſen 
fejte Norm auch eine Wohltat für die Heere ward"). Allerdings erjcheinen die 
Strafen der Carolina uns heute oft nahezu barbariih und doc bedeuten fie einen 
bemerkenswerten Fortſchritt auf der Bahn der Menſchlichkeit, zumal durd die 
Milderung der Folter. Mit der Todesitrafe iſt das Geſetz freilich jchnell bei der 
Hand, und wer einmal Holzjchnitte oder Kupferftihe aus dem 16. Ihdt. durd- 
blättert hat, welche dem Lager: und Söldnerwejen gewidmet find, der weiß, dab 
fajt immer im Hintergrunde ein „wohlbevölferter” Galgen jihtbar wird. 


c) Statsrechtliche Beitimmungen. 

Des Hlg. Röm Reichs Erecutiondordnung, wie jelbige bei dem 
Neichdtage zu Augspurg anno 1555 aufgerichtet und dem Abſchiede einverleibet 
worden. — Diefe Ordnung handelt von der Reichs- und Kreis-Kriegsverfaſſung 
zur Handhabung des Landfriedend, von den Werbungen, Wujterplägen und 
Durchzügen u. ſ. w. Die Neuterbejtallung nimmt darauf Bezug. — Von minderer 
Wichtigkeit, doch nicht uninterefiant in militäriiher Hinfiht find die Reichs— 
tagsabjcdiede von Augsburg 1500 und 1510, Worms 1518 und 1521, Nürn- 
berg 1521 und 1522, Speyer und Ehlingen 1526, Regensburg 1527, Speyer 1529, 
Augsburg 1530, Regensburg 1532, Worms 1535, Regensburg 1541, Speyer und 
Nürnberg 1542, Nürnberg 1543, Speyer 1544, Augsburg 1548 und 1555, Negens- 
burg 1557, Speyer 1559, Worms 1564, Augsburg 1566, Erfurt 1567, Frankfurt 
1569, Speyer 1570, Regensburg 1576, Augsburg 1582 und Regensburg 1594 und 158. 

Il. Bom Kreis-Kriegsrechte. 

Die Reichskreis-Verfaſſung nach dem Augsburger Abjchiede von 1555: 
Bon dem Kreisoberſten. Bon den zugeordneten Ständen. Von Gewalt, Befehl 


1) Auszug ber die Heere betreffenden Stellen, „wie fie namentlid) von Herrn Betro Pappo in 
feinen Triegsredhtl. Annotationibus angezogen werben“ in Hermsdorffs Corp. jur. milit. 





en — 


6. Verwaltung und Redt. 165 


und Macht beider. Gewaltjtreitigleiten zwiſchen Kreisſtänden. Bejtallung der 
Befehläleute und Kreis-Kriegs-Verfaſſung. Bom Vorrat. Vom Geſchütz. Bon 
der Kreishülfe. Bon Strafe der ungehorfamen Stände. Bon Vergadderung oder 
Berjanmlung des Kriegsvolls. Daß ſich niemand wider Kaiſer und Reich darf 
gebrauchen lafen. Bon denen, die ſich in fremder Potentaten Dienſt einlafjen. 
Bon Mujterplägen, Durch: und Überzügen. Bon Pladareien, berrenlofen Gardenden 
und andern umbjchwaiffenden Rayſigen und Fußknechten. Vom Nadeil, Sturm— 
oder Glodenjtraih und denen Thätern, die in fremder Oberfait ergriffen und 
niedergeworfen werden. Bon dem Straiffen und feiner Ordnung. Von der Ver: 
theilung der Stände und ihren Leiftungen. Bon Aufmahnung der Kreishilf aud) 
Hilf der anreinenden Kreiſen und von den Peputirten. 

Der ſchwäbiſche Kreis hat die bei weitem ſolideſte Verfafjung heraus: 
gebildet, welche überhaupt unter den deutjchen Kreifen zujtande gekommen ijt. Er 
verdanfte jie dem Berzoge Chriſtoph von Württemberg, welder ſchon im 
März 1554 auf dem Kreistage zu Ulm „zu mehrerer Befeitigung des Landfriedens 
und Abhaltung äußerer Gewalt” auf eine „nähere Zujammenjegung“ der Kreis— 
jtände antrug. Immerhin währte es nod) fait ein Jahrzehnt, bevor die Kreis— 
verjfajjung und Erecutiongordnung vom 22.Novem ber 1568 zujtande 
fam, welche in drei Abjchnitten: Won den Perjonen, Bon den nothwendigen Stüden 
ohne welde die Erecution des Religions- und Yandfriedens nicht gefchehen fann, 
und bon der Erecution jelbjt handelt!). — Angehängt find diefer Ordnung eine 
Kriegsverfafjung?), Bejtallungen und ein Artikelsbrief9. Ein 
Conclujum vom 4. Mai 1564 ſchloß die Verhandlungen. Im März; 1595 
wurden, gelegentlich; des Türfenzuges, die Kriegsartifel umgearbeitet. 

Des Niederfähjijhen Kreiſes Erecutiond- und Kriegsver— 
faſſungs-Receß von 1556. — Meuer Articulsbrief vor die Teutjchen 
Knechte des Niederſächſiſchen Kreifes. 1591. — Reuterbejtallung vnd Articul 
des N. ©. Kreiſes vor deſſen wider die Türken gefendete Auriliar-Bölter. 1598. 


III. Bon der Reihsjtände Kriegsredt. 

Die erzherzoglich öſterreichiſche Miliz wurde allemal auc in des 
Hlg. Röm. Reichs Pfliht genommen, jo daß die Reichskriegsgeſetze unter allen 
Berhältnijjen für jie unbedingt galten. Bejonderer Erwähnung bedarf nur des 
Kaijerd Marimilian I. Shiff8-Ordnung*), welche vorzugsweije für die Heine 
Armada bejtimmt war, welche jtet3 den nach Ungarn ziehenden Heeren ald Trans: 
portjlotte auf dem Donauſtrome folgte. 

In welcher Art die Verpflegung eingerichtet war, ergibt ſich aus Kaiſer 
Ferdinands I. Injtruftion für den Proviantmeijter Hans Fünfkirchen vom 
20. November 1541.) 


ı) Nähere Inhaltsangabe bei v. Stadlinger: Geſch. des Württemb. Kriegsweſens. (Stutt- 
gart 1856.) — *) Ebd, Beilage II: Berechnung ber monatl. Koſten des ſchwäb. Kreisfontinentse. — 
) Yuszug ebd. ©. 59. 

4) Alle bisher aufgeführten Verordnungen find (leider nicht mit diplomatifcher Treue) abgebrudt 
in bes Job. Ehriftian Lünig: Corpus juris militaris. (Leipzig 1723.) 

5) Graf Mailäth: Geſch. bes öfterr. Kaiferftated. (Hamburg 1834—1850.) II, ©. 395 ff. 





766 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppen-Kunde. 


Die übrigen Stände richteten jich im 16. Ihdt. nadı dem Kriegsrechte 
der betreffenden Kreiſe oder da, wo ein ſolches nicht bejonder® ausgearbeitet 
worden, nach den Verordnungen von Kaiſer und Reich, indem fie jih vor Erlaß 
der jpäter maßgebenden Codifikation Marimilians II. auf die Artifel von 1508 
jtüßten. Derart find 3. B. die Artifel der Kriegsleute umter Herzog 
Erich U. von Braunſchweig von 1553") und die Werbeordnung und 
Kriegsartiftel der Landsknechte für Kurfürſt Ernjt von Köln von 
1583) und viele andere, die in den Arhiven der ehemaligen Reichsſtände ruhen 
und auf die an diejer Stelle nicht eingegangen werden fann. 


IV. Bom Kriegsrecht der Deutjchen im ausländijchen 
Dienite. 

Der Anhang zur „Reuterbejtallung“ verfügt, daß die in fremden Diensten 
jtehenden Deutjchen ebenfalls jener Bejtallung und den „Artikeln für die Teutjchen 
Knechte“ nachleben jollten. Das ſchloß natürlich nicht aus, daß für den Einzelfall 
Sonderbejtimmungen erfolgten. Vor 1570 muhten überhaupt eigenartige Normen 
gegeben werden, wie jie 3. B. in der „Ordtnung der teutjhen Landts— 
tneht in Hyspanien“ von 1552 vorliegen‘). — Ungefähr aus derjelben Zeit 
wie die Reuterbejtallung jtammt der „Articulsbrieff, darauff dem durd- 
leuchtigſten, großmedtigften Fürften und Herin, Herrn Philippſſen Khenig 
zu Hifpanien, vnſrem gnedigjten Herrn daß teutſch Kriegkvold zu fuck, 
jo Jre Kgl. Maj. annehmen lajjen, geloben und fhweren ſoll.“) — Bon 
befonderem Intereſſe ift die „Kriegs Ordnung vnd Redt, jo der hochgeborene 
Fürft vnd Herr, Herr Robrecht, Graue zu Leycejter u. ſ. w., Bannerherr 
zu Dendigh 2c., Statthalter vnd Generaltriegsoberjt vber Jrer Majeftät Wapffung 
vnd Kriesvolt (!) ihn den Niederlanden vnd General-Gubernator derjelben, 
offentlih inTrud publiciren lajjen... zu guter Adminijtration. Erjt- 
lid) in Leyden gedrudt vnd jegund aus dem Niederländischen in gutte (?) Teutjche 
ſprach trewlich transferirt und vbergejegt. (Cölln. 1586.)5) Folgendes ijt eine 
Inhaltsüberſicht: Theolog.smoralifche Einleitung. 1. Gottesläfterung. 2. Gottes- 
dienjt. 3. Vnziembliches Spielen. 4. Leichtfertige Weiber. 5. Schonung von 
Schwangeren, Alten u. f. w. 6. Frawensnöttigung. 7. Drundensihaftt. 8. Ber: 
rätereisVerjchweigen. 9. Verräterei vnd Verbundnuß. 10. Gemeinjhafft mit dem 
feindt. 11. VBerlafjung des Legers oder Garnifond. 12. Brechung der Ordnung. 
13. Verſaumniß der Wacht. 14. Offenbarung oder veränderung der löfen (Loſung). 
15. Meuterey vnd unziemliche Vergatterung. 16. Aufhebung der Waffen gegen 
die Oberen, 17. Hader vnd Gezand. 18. Angelangt vnrecht von einer andern 
nation. 19. Verlaſung der Schangen. 20. Einjchreibung der Soldaten vnter 


1, Beitichrift für deutiche Kulturgeſchichte. N. F. J. (Hannover 1872.) ©. IN. 

2) Anzeiger für die Hunde bed deutſchen Mittelalter. 1839. ©. 1164. 

3) Beibig: Beiträge zur Öfterr. Geſch. aus dem Sllofterneuburger Archive. (Wien 1853.) Aus 
zug bei Meynert a. a. O. II, ©. 52 und 74, und bei G. Ungerin der Geich. der FE. f. Armer. I. 
(Wien 1886.) 

4, Handſchrift im German. Mujeum zu Nürnberg (Nr. 28516). 

5, Bibl. des Germaniſchen Mujeums. 


6. Verwaltung und Ned. 767 


zween Hauptleut. 21. Veräußerung oder verminderung der Waffen. 22. Ber: 
pfändung derjelben. 23. Entrudung der Kriegsgejellen Bictualien. 24. Gewaltige 
abnehmung gueter PVictualien. 25. Vorkauff. 26. Beraubung der Martetenvder. 
27. Provifion von gejagten Tagen nit vberjchreiten. 28. Verdrudung der Freunde. 
29. Vbertrettung der gebotter. 30. Bejhugung der mihthädigen, das jie nit 
werden gefangen. 31. Ein jeder zufrieden mit feinem Lofament. 32. Wafjer: 
mühlen jhonen. 33. Brandsjtehen. 34. Stillheit auf der Wadt. 35. Alarm. 
36. Herbergung fremder Antömelingh. 37. Geſprech mit Trommeter v. Trommen- 
ichleger des feindts. 38. Warttung auff Karren oder Wagen. 39. Foderung holen. 
40. Gefangene Soldaten. 41. Gehorfam dem Hauptmann v. jeinen ontergejepten. 
42. Beijtande des Fenleins. 43. Erfennung des Trommenfhlages. 44. Schladhtung 
der Biejten. 45. Gevöch machen (Kaden). 46. Vbertommen Gefangene oder Beute. 
47. Still verziehen v. treden. 48. Vbergebung eines Plagen in des feindts gemalt. 
49. Abtrennigfeit zum feindt. 50. Einwandelung der gemeinen Pfad. 51. Heroldten. 
52. Entwendung der Soldaten (durd) andere Hauptleute). 53. Verbott aller An— 
ichlege ohne Conſens des Generald. 54. Wacht der Befehlshaber. 55. Verfauffung 
oder Ranzonirung der gefangenen. 56. Mißthedige Soldaten fangen. 57. Beridtung 
der Soldaten (Bereidigung). 58. Heimliche Erlaubnus derjelben. 59. Bejoldung 
des Kriegsvolcks. 60. Bejuchung der Wapfen. 61. Beitraffung aller Mifjethaten. 
62. Außruffung der Articuln zu aller 26 Tagen. Am Schlufjfe: Form des Eydts, 
wellhen alle Haubtleuthe, Soldaten vnd alle andern, jo jid zu diejer Striegs- 
rüftung begeben, thun jollen. 


g 103. 


Frühzeitig haben Behörden und Private die üblichen 
Kriegsgebräuche und die gejeßlichen Bejtimmungen handlic 
aujammenzujtellen verjucht; wie jich denn dergleichen mehr oder 
minder volljtändig in den meisten Amterbüchern (vgl. I. Kapitel), vor- 
findet. An vereinzelten Arbeiten ijt aber noch eine Nachleje zu halten, 
und dabei joll denn auch gleich) auf die hHierhergehörigen Kapitel 
Frönspergers eingegangen werden. 

Erwähnenswert ijt die Kriegsordnung in einem Folianten 
des Ferdinandenms zu Innsbruck (Di Pauleana, ms. 890. III), 
welcher die Aufjchrift trägt: „Bejtimmungen über das Vermögen der 
Klöſter und der Geiitlichfert aus der Zeit der tiroler Bauermunruhen 
im 1. Viertel des 16. Ihdts. und Kriegsreglements a. d. 16. Ihdt.“ 

Die Kriegsordnung beginnt: „Anfengliden wie man ein Megiment auf: 
rihten fol deren Obrijt nach) einem verjtendigen Mann tradıten, der gejchledht und 
de3 Kriegsgebrauchs wol erfahren jei. Denjelben mag er zu einem jchultheijen machen 


vnd den jtab vbergeben v. bei pflichten ermahnen vnd einbinten, daß er ſich pm 
12 gejhidte Männer, die ihm das Recht halten, jichere, v. wolt er auch mit 


168 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppen-Kunde. 


ichreyber v. gerichtsweybel v. anderweg der notturfft nad) zum rechten verjehen“ 
u. ſ. w. — Folgt der Eid diefer Amter und eine allgemeine Borjchrift für deren 
Führung, fowie eine Auseinanderjegung des gefamten Gerichtsverfahrens: 1. jieben 
ragen und Antworten. 2. Verbannung des Rechten. 3. Clag vnd Antwort. 
Ned vnd Widerred. 4. Malefig urtel. — Folgt das Recht mit den langen Spiehen, 
dann die „gerichtlich jchif-ordnung“, ferner „ain Bejtallung von 1551“ und endlich 
der Articulbrief. 

Zu ſolchen Zufammenstellungen gehört auch der Sammelcoder 
des fürftlich ſächſiſchen Hofmarichalls von Dippad), den die hrzgl. 
Gothaiſche Bibliothek bewahrt. (cod. 577.) Er enthält bejonders viel 
interefjante Bejtallungsbriefe. — Ferner gehört hierher ein Kriegsbuch, 
welches den Titel führt: „Der Röm. Kati. Maj. Gerihtsordnung. 
Wie die gebräuchet werden joll under dem Teutjchen Kriegsvolth jamt 
dem Artickelbrieff, auch anderen guetten Stüdhen, jo ainen Yeglichen 
ehrlichen Mann, der Krieg brauchen will ... gar nüglichen vnd guet 
zu wiſſen iſt.“ Eine Hojchft. derj. von 1558 bewahrt die Dresdener 
fgl. Bibliothek (C. 117), eine andere von 1556 die Univerjitätsbibl. 
Heidelberg. (Palat. germ. 132.) Der Inhalt ordnet fich wie folgt: 

1. Ausführliches, jehr wohl geordnetes juriſtiſches Compendium, wobei die 
Parteien: der Schultheiß, der Gefangene, der Fürſprech immer redend eingeführt 
werden. — 2. Schiffordnung, wie es auff dem mehr vnd naue zu jaren ijt vnd 
wie es auch mit dem tutjchen Kriegsvolf zueget dv. gehalten wurd. — 3. Kriegs— 
ordnung mit ſampt ettlicher Oberjten Bejtallungen zue Roß vnd Fuoß, auch ains 
Oberjten gejchirmaijter8 der Argkoley vnd derjelben Artidelbrief. — 4. Kurtze 
verzaicdhnus vber die Arculay. (5. in Dresden: Amt und Befehl der einzelnen 
Ehargen.) 

Ähnlichen Inhalts ift die „Ordnung Kriegsrechts des Negi- 
ments deutscher Landsfnechte“, deren Handjchrift ſich in der Hof- 
und Statsbibliothef zu München befindet (cod. 4903), jowie das 
Manujkript 10929 der Wiener Hofbibliothef: „Artidel Röm. Kay). 
Mayeſtat vnd dei heiligen Römischen Reichs.“ 

Sehr reich find die Mitteilungen Lienhard Frönspergers auf 
dDiefem Gebiete, wie das von einem alten Feldgerichtsichultheigen zu 
erwarten iſt. Sein Erftlingswerf, die Herausgabe der „Katjerlichen 
Kriegsrehte* i. 3. 1552, bejchäftigt ſich ausjchlieglich damit '). 
Bon den „Fünff Büchern von Kriegsregiment und Ord— 
nung“ (1555) gehören das erjte, dritte und vierte Buch ebenfalls 
hierher; doch braucht man ſich mit diejen Arbeiten nicht näher zu 





1) Bibl. des Berliner Zeughauſes. (A. 24.) Ausg. von 1566, 


6. Verwaltung und Red. 769 


beichäftigen, da ihr Kern in das große „Kriegßbuch“ aufgenommen 
worden iſt. [$ 32.) 


Im I. Bande bilden die Bücher 2 big 6 ein Umterbud. Das 2. Bud) 
bringt Patente, Mufterungsanweijungen, Bejtallungen, Artifelbriefe und eine 
Reihe taktiiher Anweifungen, auf welche bereit3 eingegangen ift. [$ 85.] — 
Das 3. Bud erläutert die allgemeinen Berhältnifje: Was für anfang eincs 
Kriegß zu erwegen gebürt. Geheimer Rahtſchlag. Staht, Ampt vnd Befeld) 
eines Oberjten. Wrtidel, darauf der General Oberjt angenommen wird. Bon 
Kriegsrähten vnd Mujterherrn. Vom Biennigmeijter. Vom Oberſten Profande 
meijter. Vom Oberjten Profojen. Vom Herold. Vom Oberjten Schreiber. Von 
Mujterfchreibern. Bon Paßbarten. Vom Oberften Quartiermeijter. Vom Oberſten 
Feld Arget. Vnder was Regiment jeder gehörig jey. Ampter vnder dem General 
Oberſten: beim Reijigen Zeug, bei jedem gejchwader Reuter, bei der Ardeley, bei 
der Fußknecht Regiment und bei jedem Fenlein Knecht. — Das 4. Buch handelt 
von den Aufgaben und Ämtern der Artollerey, aljo von Ordnung vnd 
Regiment des Feldzeugmeijterd. Seine Untergebenen find die Zeugmeijter, Büchjen- 
meijter, Schangmeijter, Pfennigmeijter, Zeugmwarte, Gejchirrmeijter, Brofoje, Pulver: 
hüter, Zeugdiener, Schneller und Schanzbauern. — Das 5. Bud) ift dem Reijigen 
Zeug gewidmet, an dejjen Spite als Oberft der Feldmarjchald jteht. Ihm unter- 
geben find der Gereifigen Hauptleut und ihre Leutenants, die Quartiermeijter, 
Wachtmeiſter, Profoſen, Fendriche, Führer und Caplane. — Das 6. Bud befchäftigt 
jih mit dem Regimente der Fußknechte. Unter dem Oberjten jtehen jein 
Leutenant, die Hauptleute, Leutenants, Fenderiche, Feld- und Gemeynweybel, Fuhriere, 
Führrer, Schreiber, Feldichärer, Caplane, Rottmeijter, Ampoffaten, Hurnmweibel, — 
Die „Läuffer“, d. h. die „Woghälß“, welche den verlorenen Haufen bilden, jollen 
eigenen Oberjt, eigene Hauptleute und Fendriche haben, denen fie jedoch) nur dann 
unterjtellt werden, wenn jie aus dem großen Haufen herausgezogen find, jei es 
in Folge freiwilliger Meldung, jei e8 in Folge von Auslojung aus den Rotten. — 
Ein bejonderes Kapitel voll Schelte und Schmähung widmet Frönsperger den 
„Federhanfen und Eyffenbeifjern“, d. 5. den aufgepußten, doch untüchtigen und 
räuberiſchen Landsknechten, die als Zotterbuben, Wölff, Galgenvögel oder Schwengel, 
Spigbuben und Bettler, Spieler und Säufer, nur mit dem Maul freydig jeien, 
Hader jäeten, die Armen plagten und dem ganzen Haufen zu höchſtem Schaden 
gereichten. Meiſt jeien es bejahrte Leute; denn „weit darvon gibt alte Kriegß— 
leut.“ Mit jungen erreiche man mehr; „die lauffen tapferer denn die alten an 
den feindt; fie meynen, es müß alfo fein.“ — Eine Ergänzung diefer Ämter— 
bücher bilden in Frönspergers II. Teile (1573) die Soldberehnungen für ein 
Regiment Fußknecht und für 1000 Pferde. Beim Fußvoltk ijt die Rechnungs: 
einheit der einfadhe Sold von 4 Gulden monatlid. Darnad) empfängt der Oberſt 
100, der Oberjtlieutenant 25, Wachtmeiſter, Quartier-, Proviant-Meijter, oberjter 
Feldſcherer und oberjter Feldarzt je 10, der oberite Schreiber 6, der Caplan 3 „Söldt“ 
u. j. w., jo daß auf den ganzen Negimentsjtab 204 Söldt, d. h. 816 Gulden 
monatlicd; fommen, von denen der Oberjt allein 400 erhält. Dazu kommt aber 
noch das Perjonal des Negimentsgerihts, von welchem Scultheiß und Profoß 

Jahns, Gedichte der Krriegswiſſenſchaften. 49 


170 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppen-Kunde. 


je 10, Weibel und Stocdmeijter je 4 Söldt erhalten, während die anderen doppelten 
oder einfadhen Sold beziehen; im ganzen erfordert das Gericht monatlih 43 Söldt 
= 172 Gulden. In jedem Fähnlein empfängt der Hauptmann 10, Leutenampt 
und Fenderich je 5, der Capplan 2, der Feldwaybel 3 Söldt. Von der Mann- 
ihaft find mehr Doppeljöldner als einfache, jo daß Frönsperger alles in allem 
auf jeden der 400 Köpfe des Fähnleind 8 Gulden rechnet und dejien Monatäfold 
demgemäß auf 3200 Gulden und dem eines Regiments von 10 Fähnlein, ein- 
ichlieglich der hohen Ämter u. j. w. auf 37842 Gulden jeftjtellt. — Den Monats— 
jold für 1000 Pferde jhlägt Frönsperger wie folgt an: Oberſt 400, jeine 
8 Trabanten 64, der Oberjt Leutenampt 100, feine 2 Trabanten 16, vier Ritt- 
meijter (einſchließlich Nittmeijtergeld) 500 Gulden, vier Lieutenants 160, vicr 
Fähndrichs 120, acht Rittmeijtertrabanten 64, zwanzig Rottmeijter (je 25) 500, 
Wacht-, Proviant- und Quartier Meijter (je 40) 120 Gulden, Feldargt 40, 
Gapplan 16, Forierer 16, vier Trummeter (je 16) 64 Gulden, vier Heer Keſſel 
oder Baudherrn (je 16) 64 Gulden, dem Schreiber 24, zehn Hufichmieden (je 12) 
120 ©., zehn Büchjenmadern (je 12) 120 G., hundert Küriſſer auf verdedten 
Hengſten (je 24) 2400 G., ihre hundert Spiehjungen (je 8) 800 ©. ihre hundert 
Trofien oder Bottenpferde (je 6) 600 G., hundert Wagen mit je vier Roſſen 
(je 24) 2400 G., neunhundert Pferde einjchlieglih der Schüten (je 12) 10800 ©. 
Im ganzen monatlich 19508 Gulden. — Eine gereimte Baraphraje des 
Amterbucdes findet fich endlich im III. Teile des Kriegsbuches und wird 
von 60 jehr charakteriftiichen Holzjchnitten Joeſt Amanns begleitet. Auch die 
Reime jelbjt, in denen jedes Amt redend eingeführt it, bieten manches Interejjante. 

Mit dem Gerihtswefen und der Heeredgejeggebung beſchäftigt 
jih im L Bande Frönspergers das 1. Bud: Die Gerihtäordnung unter 
den Landtsknechten: Amt und Eyd des Schultheifen. Amt und Eid der 
GerichtSleut, des Schreiberd, Weybels. Gerihtfigung (Fragen und Antworten 
zwiichen dem Schultheißen ald Vorfigenden und den Richtern als Geſchworenen). 
Klage des Profoſſen durch jeinen Fürfpreh. Verleſung des verlegten Artikels. 
Rede des Fürſprechs des Gefangenen. Aufjchubserteilung oder Urteil). Ander 
Form, Malefig vnd Schultreht mit Kundichafften (Zeugenverhör) zu geben vnd 
verhören, jampt dero Tar vnd belohnung. Urteilsvollitredung. (Mit dem Schwert, 
dem Strang, Bierteilen, Rädern, Yinger-Abhauen). Bon Zeugen vnd Kundt- 
ihafften geben. Meineydsjtraffen. Ander Form des Zeugenverhörd. Gerichts- 
fojten. — Kriegsrecht mit den langen Spiefjen. (Summarijches Ber- 
fahren im Ringe der Landsknechtsgemeinde, da8 von dem Kriegsherrn bejonders 
verliehen fein muß und das bei Verurteilung mit dem Gaſſenlaufe durd die 
langen Spiehe endet!). — Articulsbrief, darauf R. K. M. Teutſch Kriegbvold 
der oberländijchen Regiment zu dienen ſchwören jollen (49 Artikel). Ander Form 
des Artitelsbrief der Fußknecht. — Der II. Teil des Kriegsbuchs enthält feine 
bierhergehörigen Abjchnitte; dejto reicher ijt daran der III. Teil. Er beginnt mit 





1) Bol. die Daritellung des Spiehrechtes bei Heilmann; Kriegsgeſch. von Bayern n. f. w. 
I. (Münden 1868) ©. 324, und bie von Friedländer in ber Beitichrift für deutſche Nulturge: 
ſchichte. III. 1874, ©. 504. 


6. Verwaltung und Redt. 771 


einer Frönspergerſchen Bearbeitung des „Kriegß Ritter oder Reutter— 
rechtens. Dann folgt eine Beſtallung Kaiſer Karls V. auf TeutſchKriegß— 
volckzu Roß. Es iſt das die weſentliche Grundlage der Maximilianiſchen Reuter— 
beſtallung, das jog. Jus castrense Caroli V. seu militum germanorum, das 
auch handſchriftlich mehrfach überliefert ijt)). Daran reiht fi die „geldt- 
ordnung oder Artidel vber das Teutſch Kriegkuold zu Rob vnd 
zu Fuß“ von Marimilian II. (55 Artikel), desjelben Artickels Brieff auff die 
Zeutjchen Knecht (59 Artikel) und Kaiſer Karls V. Beinlidhe Halsgerichts— 
ordnung (220 Artikel). Nach einer Reihe von Kapiteln, welche mit den rechtlichen 
Dingen nicht das mindejte zu tun haben, bringt endlich Frönsperger den Abdrud 
der Marimilianijhen Reuterbejtallung (111 Artikel), die dazu gehörige 
Beitellung des Feldts (11 Artifel) und des Reutter-Rechts (18 Artikel), die 
gleichzeitigen Artidel auff die Teutſchen Knecht (11) und die Angehängten Punkte 
(9 Artikel). — Man jieht: Frönsperger hat, troß feiner eigenen jurijtiichen Tätig- 
feit, auch in diefen Dingen nichts weniger als methodifch gearbeitet, jondern 
fritifloS zujammengerafft, was ihm irgend zugänglid; war; er iſt weder hijtorijch 
verfahren, nod hat er deutlich gemadt, was von den überlieferten Satzungen 
giltig ſei, was nicht; hat er fie doch nicht einmal datiert. Wer jein Buch ge— 
brauden wollte, der mußte wohl jeufzend fragen: Was ijt denn nun Rechtens!? — 
Um die Verwirrung zu jteigern, bringt er endlich noch unter der Überſchrift: 
„Von der Kriegshandlung der 16. Titel aus dem XXIV. Bud Keyſer— 
lihen Rechten gezogen“ ſechszehn „Geſatze“, d. h. Äußerungen antiker 
Juriſten, wie Paulus, Furius, Modeſtinus, Ulpianus, Martianus und Arrianus. 


8 104. 


Für den unmittelbaren praktiſchen Gebrauch ſchrieb Stanislaus 
Hohenſpach „Kurtzer vnd nottwendiger Bericht der Feldt— 
ſchreiberey, Was einem rechten Feldtſchreiber zu wiſſen hochnötig, 
auch in ſeinem Ampt vnd Beruff eignet und gebüret“. (Heidelberg 1577.)?) 

Das feine, jehr jeltene Schriftchen ijt eine Anweifung zur Dienjt- und 
Lijtenführung eines Feldtſchreibers, wie fie namentlich bei der Muſterung, der 
Beitellung der Kriegsämter und der Soldzahlung in Frage fam. Hohenſpach, 
welcher jelbjt Feldjchreiber war, hat das Büchlein, wie er jagt, auf wiederholtes 
Erjuchen feiner Borgejegten und Amtögenofien zujammengejtellt, e8 dem Feld— 
oberjten Claus von Haditad gewidmet und handelt darin von der Anfertigung 
der Mujterrolle, von der Verpflegung, dem Krankenweſen, der Bezahlung, dem 
Wachtdienſt, den Paßporten u. j. w., indem er überall Yormulare für die ent: 
iprechenden Lijten beifügt. 

Bon bejonderem Intereſſe find die Mitteilungen über die Herjtellung 
der Mujterrolle, weil fie in der unverblümtejten Weije Einblid in die Art 


1) Wiener H0f- und Statsbibl. Mscpte. 10787, 2, 108,99,9, 179 10901,2. 
2) gl. Bibl. in Berlin (H. u. 21700). 


49* 


172 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppen-Kunde. 


der üblichen Durchftedereien gewähren. Es heißt da: „Sobald ein Schreiber auff 
den Mujterplag fompt, fol er zum Furier gehn, ihnn befragen, was für Knecht 
fommen jeyn und mit jme in alle Xofement gehen, jeden Knecht injonderheit auf- 
fchreiben, ob er gerüft oder mit einem Haden fommen jey und wer jhn ange 
nommen und was für Lauffgeld er empfangen hab; ... dann ein Schreiber iſt 
allweg jchuldig, des Hauptmanns nu und frommen zu fürdern und jhaden zu 
wahren.“ Aber auf der Rückſeite des 5. Blattes fteht: „Wolteft einen auff ein 
Blinden oder andern namen durchſchicken, fo gib jme denjelben auff ein Zedel 
gejchrieben und befildy jhme, dab er fleiffig darauff merde, und wann man ver- 
lift, daß er nu dapffer darauff durchgehe, ald wann e3 fein eigener nam were.“ 
Weiterhin heißt eg: „Ob man einen aber für krank verfprehen wolt, der nun 
lengſt geftorben were, jo leg ein Hurenjungen oder jonft ein franfen Knecht, der 
zuvor jhon durdhgangen war, in ein lojament im Landsknechtskleide darnieder, 
Gib jhme denjelben namen, als wann er fein eigener name were, wille zu jagen 
an einer Rotte, daß fie jchreyen, er ligt im Lojament, wann man denfelben 
namen verliefet. Darneben befilch den andere Knechten vor den Mujtern, dab 
feiner jchrey, er ſey todt oder entlauffen, ſondern jie joll engar jtill ſchweigen, 
darmit fie an der Mujterung nichts ploderen.“ — Ganz arg ift, was Hohenſpach 
davon erzählt, wie mans in frankreich made. „Gemeinlich hat man 300 Dann 
unter dem Fenlin, ift 60 Glied; allda jtellt man welſche Marktatender, Huren 
und Buben in Landsknechtskleyder ein, muß alles gut jeyn, gilt jedes ein Mann, 
wann jhon das Ding, jo in den Lat gehörig, zeripalten it, gibet dody einen 
guten Landsknecht.“ 


8 105. 
Ein gedrudtes Werk, welches vermutlich hierher gehört, habe ich 
nicht zu erlangen vermocht: 
Budrini: Kriegsregiment (Mömpelgard 1594.) 
Endlich jei noch einer Handjchrift der Wiener Hofbibliothek ge 
dacht (ms. 10787), welche die Jahreszahl 1600 trägt und drei ein- 
Ihlägliche Arbeiten vereinigt: 


I. Kriegsordnung. Wie man in Gegenwart der gemainen Sinechten die 
Mufterung anthündigen vnd beſtellen folle, jo in diefenn Cöllniſchen Krieg iſt 
gebraudyt worden; auch wie man den Articl® Brief vnd Aydtspflicht verlejen vnd 
ernnitlih einbyndten jolle. 

II. Kaiſerl. Malefigreht, wie fie Carolus V. gehalten vnd auf vns bat 
fommen lajjen. Welliches etwas langweilig iſt vnd von einem Rechtstag auff 
den andern Aufihub nehmen kan vnd nicht jo bald fortfahren ala im Standtärcdt. 

III. Kaiſer Karl peinliche Gerichtsordnung. 

Das „Standrecht“, von welchem bier im LI. Abſchnitt di die Rede 
iſt, entjpricht im wejentlichen noch unjerem gegenwärtigen gleichnamigen 


6. Verwaltung und Ned. 713 


Verfahren. Es ijt „Eürzer und jchärfer abgebrochen als das Malefiz- 
gericht umd gejtattet weder Bedenkzeit noch Aufichub.“ ') 


Die Decrets et ordonnances militaires pour les 
Pays-bas pendant le XVI. siecle bewahrt die kgl. Bibliothef 
zu Brüfjel in einem jtarfen Manujfriptfolianten (no. 20411.) 

Zulegt ijt hier noch der Kriegsgejege und des Articuls- 
briefs der niederländijchen Generaljtaten zu gedenfen, welche 
am 13. Auguſt 1590 erlaffen wurden und deren Berfaffer Betrug 
Bappus von Trasberg iſt. Sie find von bejonderer Wichtigkeit 
als Grundlage der entiprechenden Beitimmungen der meijten prote- 
ſtantiſchen Reichsftände im 17. Ihdt. Im hochdeutjcher Sprache wurden 
jie von Matthias Wörner herausgegeben als: „Holländijch Kriegs— 
Recht und Artidels-Brieff von Herrn Petro Pappo von Traßberg 
mit jchönen Annotationibus ... explieirt vnd dedueirt, daß es 
mit Recht genennet mag werden ein Corpus iuris militaris... .« 
(Frankfurt a. M. 1632.)?) 


Wörner widmete feine Arbeit dem Könige Guftav Adolf und „deß Beil. 
Evangelij vnd der Teutfchen Libertet jämptlihen getrewen Verfechtern und Bes 
ihügern.“ Jedem der 82 Urtifel läßt er ausführliche gelehrte Erläuterungen 
jolgen, welden er Ullegate aus anderen Kriegsgeſetzen beifügt. Als Anhang teilt 
er Mar’ II. Artidelöbrief von 1570, jowie 25 Artifel der Carolina mit. 


1) Bol. v. Zmwiedined-Südenhorft: Das Gerichtäweien der Landbölnehte (Allg. Big. 1883 
Beilage zu Nr. 75 und 76.) 

”) Kgl. Bibl. zu Berlin (F. M. 9146). Ein jpäterer Abdruck u. d. T.: „Holländiſch oder 
derer General:Staaden der Bereinigten Niederlande Kriegsreht und Articuls-Grieff de dato Arn⸗ 
heim, 13. Aug. 1590 unterm Begriffe 82 Articuln“ findet fich in Hermsdorffs Corpus juris militaris. 
(Franffurt a. M. 1674). ©. 525—689. 


774 Das X VI Jahrhundert. IV. Die Wijjenichaft von der Befeitigung ac. 


IV. Bapifel. 
Die Viſſenſchaft von der Befeftigung und dem Belagerungskriege. 
I. Gruppe. 
Übergangszeit. 
S 106. 


Die zunehmende Macht der Artillerie hatte im 15. Ihdt. 
zwei neue wichtige Gedanken gezeitigt: den der Slanfterung durch 
ausspringende Batterien an Stelle der alten Türme und den, die 
Escarpe, welche bisher faſt nur ein Hindernis gewejen war, mit 
jelbjtändig wirfender Wehrfraft auszujtatten. Beide Gedanken 
hatten in der zweiten Hälfte des 15. Ihdts. bet den Völfern diesjeits 
der Alpen durch die Rondelle und die Hohlbauten Verwirklichung 
gefunden. Als begleitende Elemente trateır Hinzu: die Steigerung der 
niederen Grabenverteidigung durch Verbeſſerung der „austretenden 
Streichwehren“ (caponnieres) und die Verwendung von 
Erde, Holz und Flechtwerk als Baumaterial. In letzterer 
Hinficht waren die Deutjichen allen andern Völkern voraus: der 
Bau mit Schutten (Erdwällen), Bergen (Kurtinenfavalieren) und 
Bajteren (kajemattierten Bollwerken), wie Hans Schermer ihn lehrt 
(XV. 575), darf als Höhepunkt der Befeſtigungskunſt des 15. Ihdts. 
betrachtet werden. — Dieje Überlegenheit empfand man aud) in Italien, 
wo das geradezu betäubende völlige Verſagen der jo großartigen 
mittelalterlichen Befejtigungen der reichen Städte gegenüber der Artil- 
lerie Charles’ VIII. Anlaß zu nachdrüdlichen Reformbejtrebungen 
wurde. Der kriegeriiche Bapit Julius II, berief eine congregazione 
von Bauverjtändigen, die unter dem Vorfige des Herzogs von 
Urbino nach Mitteln juchen jollte, um der fortififatoriichen Ohn— 
macht Italiens abzuhelfen. Daß fie dabei ihre Augen nach Norden 
richtete, erjcheint begreiflich, wenn man 3. B. Machiavelli 1521 im 
jenem 7. Buche, nach rühmendem Hinweis auf eime deutjche Tor: 
einrichtung, ausrufen hört: „Immer von neuem erfläre ich, daß das 
antike Kriegswejen in der ganzen Welt vergejjen, in Italien aber 
völlig untergegangen ift. Findet fich ſonſt noch einmal irgend etwas 
Brauchbares, jo haben wir es den Völkern jenſeits der Alpen zu ver- 


1. Übergangszeit. 17 


Ir 


danken“. Demgemäß unterrichtete jich auch die päpjtliche Congregazion 
bejonders über das, was etwa in Deutjchland gejchehe, und ein im 
dieſem Lande bewanderter Söldnerführer, della Balle [$ 8], 
Lieutenant des Herzogs von Urbino, hat denn auch jeine cisalpinen 
Erfahrungen in dem von ihm 1521 veröffentlichten Kriegsbuche nieder: 
gelegt, worauf noch näher einzugehen jein wird. Schon weit früher 
aber, jchon 1509, vervollitändigte das vom Kaiſer bedrohte Padua 
jeine überfommene mittelalterliche Befejtigung durchaus nach deutſchem 
Muſter. Guicciardini, welcher nicht nur Statsmann und Heer: 
führer, jondern auch tüchtiger Ingenieur war, gibt davon in der Storia 
d'Italia (lib. VIII cap. 10) eine gute Schilderung. 

„Der Graben war voll Wafjer und vor allen Toren jowie an anderen 
günjtigen Stellen lagen Baftione (oder, wie Savorgnani fie nennt, Ballo- 
vardi, d. h. NRundbauten von Erde und Holz, welde 1513 von Alviano 
rejtauriert, 1517 aber erjt, auf Befehl der venetianijchen Signoria, revetiert 
wurden). Dieje Bajtione waren mit der Mauer verbunden und von innen ber 
zugänglid und bejtricdhen den Graben mit Geſchütz. Für den Fall, daß man ein 
ſolches Baſtion aufgeben mußte, vermochte man es mit Hilfe einer von Anfang 
an vorbereiteten Unterminierung in die Luft zu ſprengen. Hinter der ſorg— 
fältig ausgebeſſerten und von ihren Zinnen befreiten Mauer wurde längs des 
ganzen Stadtumfangs ein Gerüſt von Palliſaden, Baumſtämmen und anderem 
Holzwerk erbaut, weldes um jo viel von der Mauer abjtand als dieje jelbjt did 
war, und der zwijchen Gerüft und Mauer befindlihe Raum wurde mit Erde 
ausgefüllt... Hinter diefer verftärtten Mauer hob man einen zweiten 
tiefen und breiten (trodenen) Graben aus, der überall von Gajesmates und 
fleinen Gejhügtürmden (Streichwehren) beſtrichen wurde, die ebenfalls unter— 
miniert waren. Endlih lag hinter diefem Graben ein Erdwall, breiter als 
die „remparirte* Mauer, welcher (abgejehen von wenigen an und für ji) völlig 
gejicherten Stellen) um die ganze Stadt lief und eine ſtarke Brujtwehr trug.“ 

Der glücliche Widerjtand, den Padua mit Hilfe diejer, deutjchen 
Borbildern folgenden Befejtigung leitete, trug natürlich viel dazu 
bei, die Anlage von Bollwerken, Erd- und Holzbauten in Italien zu 
fürdern. Gleich nad) der Schlacht von Ravenna (1512) lie Alfonfo 
von Ferrara die Gräben jeiner Hauptjtadt erweitern und große 
Bollwerfe errichten, „in denen man jich mit der Artillerie bewegen 
fonnte“, und in Folge diejer Werfe galt Ferrara, wie jich der Mar- 
ihall von Fleuranges in jenen Denkwürdigfeiten ausdrüdt, für den 
bejtbefejtigten Ort der Chrijtenheit. — Auch zu Crema, Piſa, Rom, 
Neapel und Turin famen derartige Berjtärfungsbauten zur Aus— 
führung und erregten jo viel Bewunderung, daß die Italiener num 


7176 Das XVI Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeitigung 2c. 


nicht zögerten, die Übernahme der deutjchen Baumweije als „Invention“ 
ihrer berühmten Landsleute Battijta Alberti [XV. $ 74] oder Bar- 


tolomeo d'Alviano zu preifen. 


& 107. 
Der eigentliche Lehrer des Holz und Erdbaus in Italien it 
der in Deutjchland bewanderte Gianbattijta della Dalle [S 8. 
Seine Beichreibung der aus gejtampften Fajchinen und Boden, durd 
Gerippe von verjchränften Balken oder Bohlen zujammengehaltenen, 
bald vieredigen, bald runden bastioni lautet im Urtert und in der 
Berdeutichung Jacobs de Zetter XVII. a. $ 46] folgendermaßen: 


MododefareBastioniquadri | Einen vieredeten Thamm auf: 


con soi pertinentie. 


Questo e modo de Bastione quadro 
con le soe chiaue et candonere con 
doe casematte, elquale bisogna Como 
e stato ditto che sta al sapere murare 
le soe manocchie, et calcarli como 
per laltro e dicto, et facendose como 
conviene et con larte et intendimento 
pertinente ad epso sera de gran 
perfetione. Et piu e da sapere che 
li Bastioni son trovati per molti 
boni respeti, prima son piu expedi- 
tivi alla guerra chel Muro, et se 
reseccann piu presto chel muro, et 
mancho spesa, et anchora resisteno 
piu ad colpi de artellarie, et piu 


securo de faville de pietre che non | 


e cossi el muro, che quando non si 
po piu resistere ale botte, et muro 
fa piu dando le pietre de epso muro 
ad li Militi che la pietra del can- 
doner, o altro pezo, quello che non 
fanno elriparo prendendo el devere, 
che quando si fa uno riparo e pro- 
hibito che el terreno che ui metiateche 
non li sia pietre ni suna che quando 





la palla del nimico uiene, et troua | 


pietre al riparo lo disfa piu presto 
et le pietre che usisce fora amaza 
gli militi che stanno al combattere. 


| 


zujdhlagen vnd was zu dem— 
ſelben gehörig. 

Die Bruſtwehr oder Thämm ſind in 
den Belägerungen zu vilen dingen 
nützlich und gut: ALS erſtlichen an ſtatt 
einer Mauer, erfordern einen viel 
geringern Vnkoſten, werden auch eher 
auffgericht ond gejchwinder truden. Zu 
gejhweigen, daß fie auch dem gemalt 
der großen Stüden weit bejier wider: 
itehen als die Mauren ſelbſt; als deren 
Stein, wenn ſie durd dad Schießen 
wirdt zerfprängt, den Soldaten offter: 
mals größere ſchaden zufügen ala die 
Kugeln jelbit. Gleihmwie man die Lüden, 
jo in den Thämmen durch das Schießen 
werden vervrſacht, in einer kurtzen Zeit 
widerumb auffüllen vnd ergängen fan. 





1. Übergangszeit. 777 


Modo de fare uno Bastione | Eine runde Brujtwehr oder (?) 
tonto per defendere conle | Schantzzenkörbaufzurichten vnd 
soe chiaue, et casematte, et | das Geſchütz zujampt der Arche— 


cannonniere!). leymeijtern vnd andern Sol- 
E da notare anchora di questo daten damit zu bewahren. 
Bastione tondo per defendere in uno Ebenermafjen dienet auch der runde 


luoco che sia apto, et necessario, | Thamm oder Schanglörb an den Drt, 
Nel quale bastione gli siano doe da es die noht erfordert, auffgerichtet, 
case matte con soe candonere como | nad) Gebür formiert mit feinen Schlüfje- 
q. appare et con soe chiaue le quale | len oben vnd mit einer Binnen vnd 
ueneno calando con soi bisogni et | einer Bruſtwehr verjehn, für ein Mawr. 
nella parte di sopra ci uiene uno | Diejelbe aber zu verfertigen, müſſen 
Caualiero con uno parapetto, et il | die Hölger, die man gebraudjt, an der 
ditto bastione e de tanta uirtu facen- | Dide nit größer jeyn als ein Arm und 
dose alloco ditto che le de mara- | dazu wol gebogen, in der Mitte ges 
uiglia. Et per fare el ditto Bastione | bunden vnd aljo in einandergeflochten 
bisogna sapere fare li manochi de vnd gleichjam vermauret, daß die ge- 
fascinette lequale non uoleno essere | frümpte ort ſamptlich herauswerg kom— 
de piu grossezza che uno brazzo, | men. Solches gejchehen bejhüttet oder 
et uoleno ben torti, et nel mezzo | erfüllt man foldye Gerten oder Gattern 
alligate, et poi e da sapere murare | mit Erden, ſtößt diejelbige mit einem 





molto ben stretti, et quello torto | ſchweren Stempffel wol auffeinander, 
uada di fuori, et poi uno solao de | legt alddann widerumb eine lage Gerten 
Terreno ben calcato con maglio, o | vnd folgende abermals feite Erden, 
con uno Cantino de legno, attale che vnd läht auch die Schließen nicht aus 
si gli metta uno solaio de fascine | der Acht. Wo aber die Karthaunen 
et laltro di terra et non sidimenticare vnd andere große Geihüß eingeordnet 
delle chiaue, como qui appare, et | werden, da muß man den Orth mit 
suoi candoneri, Et piu anchora e da | Holt auff allen Seiten nad) der Queer 
considerare doue sonno le candonere | jein hoch vnd räumig machen vnd 
bisogna farce lo concauo con legname | oberhalb mit Gerten und Erden vers 
a traverso per ogni banda, et fascine | wahren, welches alles jid) beſſer faſſen 
sopra, et terreno, el quale el mirar | läßt, wenn man jelbjt dabei und es 
de lochio, Ma el fare de esso e il | practicieren ſieht. 

buon iudicio a comprendere il tutto. | 


Diejer »modo di fare bastioni« della Valles bietet eine wert— 
volle Ergänzung zu Schermers Bilderhandjchrift. Zwar iſt der Text 
feineswegs klar; doch jo viel lehrt er, und die beigegebenen Zeich— 
nungen bejtätigen es, daß es Sich bei Valles Bajtionen wie bei 
Schermers PBajteyen um ganz Ddiejelben Materialien und im wejent- 
lichen auch um denjelben Aufbau handelt. Die bastioni jind mit 


1) Chiave find Mlammern, Querhölzer; cannoniere Schießſcharten. 


778 Das XVI. Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befejtigung 2c. 


Kajematten in zwei Stocdwerfen verjehen; die Gejchüge feuern durch 
Scarten, welche innen durchaus mit Bohlen ausgefüttert ſind — 
ganz jo wie das auch bei Schermer der Fall it. 

Bezeichnend ijt die Art, wie Better die Kapitel Balle’S ver: 
deutſcht. Er jchrieb i. 3. 1620 und vermochte ji offenbar nicht vorzujtellen, 
daß man unter „Bajtion“ irgend etwas anderes verjtehen fünne als die zu jeiner 
Zeit obligatoriſchen fünfedigen Vorjprünge des Hauptwalls; vieredige oder gar 
runde Bajtione find ihm unerhört. Er gebraucht deshalb für Bajtion den Aus— 
drud „Damm“; ja hinjichtlid) des bastione tondo gerät er in eine ſolche Ber- 
wirrung, daß er dieſe Bezeichnung mit „runde Brujtwehr oder Schangentörb“ 
wiederzugeben verſucht. 

Soweit die Dinge jich erkennen lajjen, will della Valle jeine 
„bajtionterten“ Hilfsbauten als jelbitändige Werfe vor die alte Mauer 
legen, die dann aljo eine Art Generalabjchnitt hinter einer Reihe 
vorgejchobener Forts bildet — eine Gejtaltung, in welcher das mittel- 
alterliche und das moderne Prinzip der Fortififation nicht ſowohl 
bautechnisch als vielmehr taktiſch verbunden erjcheinen. 

Unter den von della Valle angegebenen Verteidigungsmitteln 
iſt eine primitive Art von Landtorpedos bemerfenswert: hölzerne mit 
Eijenringen umgebene Gefäße, die, mit Bulver geladen, nebeneinander 
vergraben und im gegebenen NAugenblide auf einmal durch Kommuni— 
fation abgefeuert werden. Man kann hierin einen Vorläufer Der 
Senfftenberg’jchen Sprengwerfe jehen [$ 51]. — Unter den Angriffs: 
mitteln jchildert Valle mehrere Arten von Sturmleitern, Sturm: 
böcen, Yaufhallen und Sturmwänden, aljo jene hölzernen Apparate, 
welche Philipp v. Gleve bereits als veraltet verwirft XV. S TT. 
Wie Philipp empfiehlt auch Valle lebhaft den Gebrauch der Schan; 
förbe (gabbioni), die übrigens auch der Verteidiger als Baumaterial 
vortrefflich verwenden fünne. Die Laufgräben (trencieri) mögen in 
Schlangenlinien oder im Zickzack geführt werden. Das Auspumpen 
des naſſen Grabens gejchieht durch jene blajebalgartige Maschine, 
welche auch im deutjchen Begez, bzgl. im Valturius dargeitellt it. 
[S. 266.) Endlich jpricht Valle von dem- Sprengen der Minen mit 
Pulver, dejjen der Herzog von Cleve nicht gedenft. 


8 108. 


Der in Padua ausgeführte Gedanfe einer Verjtärfung der 
Bereitigung durch Anlage von Graben und Wall Hinter der 


1. Übergangszeit. 779 


alten Hauptumfaffung erinnert an Befeftigungsvorichläge Philipps 
von Gleve [S. 440) und findet ſich auch bei Machiavelli wieder. 
Diejer jagt: 

„Wenn ihr die Gräben, um die Anwendung der Sturmleitern zu erjchweren, 
vor den Mauern zieht, jo vermag ein Feind, der über bedeutende Streitkräfte 
gebietet, jie unzweifelhaft früher oder jpäter auszufüllen, und dann ift ihm die 
Mauer preisgegeben. Ich glaube daher, unbeſchadet einer bejjeren Meinung, daß 
man den Graben nit vor, jondern Hinter die hohe Mauer legen joll. Dies 
iſt die feitefte Art der Befejtigung, welche man anwenden fann; denn jie fichert 
zugleich vor dem Gejchüge, wie vor der Escalade und verbietet dem Feinde, den 
Graben auszufüllen. Die Mauer darf nicht weniger ald 6‘ (3 braccia = Arme: 
längen) did jein, um ihre Zerjtörung nicht leicht zu machen; ihre Türme müfjen 
in Bwifchenräumen von 200° errichtet werden. Der innere Graben muß wenigjtens 
60° (30 braccia) breit und 24° tief fein; alle ausgegrabene Erde wird gegen 
die Stadt zu aufgefchüttet und jo ein übermannshoher Wall hinter dem Graben 
errichtet, der durch eine von der Grabenjohle aufiteigende Mauer befleidet wird. 
Auf der Sohle diejes Grabens baut man von 200 zu 200 Armlängen je eine 
casa matta, die jeden, der hinabgejtiegen, con artiglierie beſchießt. Hinter 
diefem Walle nun wird das jchwere Geſchütz (l’artiglierie grosse) aufgejtellt ; 
während zur Berteidigung der hohen Vormauer und ihrer Türme nur fleine und 
mittlere Kaliber (altre che le minute 0 mezzane) angewendet werden fünnen. 
Verſucht dann der Feind die Leitererjteigung, jo ſchützt euch die Höhe der eriten 
Mauer; rüdt er mit jeinem Geſchütz vor, jo hat er zunädjt in diefe Mauer Breche 
zu legen (battere). Geſchieht dies, jo fallen ihre Trümmer, einem befannten 
Geſetze zufolge, vorwärtd gegen den Feind zu; da fie aber hier fein Graben 
aufnimmt, jo erhöhen fie nur das Terrain, geben dem Hinter ihnen liegenden 
Graben nur noch größere Tiefe. Nun muß der Feind im Nahfeuer euerer ſchweren 
Geſchütze die Mauertrümmer überjteigen und den breiten, tiefen Graben aus 
füllen, und das dürfte ihm jehr jchwer fallen, zumal er von andern, noch nicht 
niedergelegten Teilen der Mauer flanfirt werden wird (essendo le mura sinuose 
e concave) und er überdie8 alle zur Ausfülung des Graben notwendigen 
Stoffe über die Brehe heranjchleppen muB, was die größen Scwierigfeiten 
macht. — Ih Halte daher eine jo befeitigte Stadt für uneinnehmbar. Noch 
jejter wird die Stadt, wenn man außer dem inneren Graben aud) nocd einen 
äußeren anlegt. Will man fid) aber mit Einem Graben begnügen, jo jage id: 
es ijt bejier, ihn innen al® außen zu ziehen.“ 


Es erjcheint jehr merkwürdig, daß in diefer ganzen Auseinanderjegung — 
abgejehen von den niederen Streihwehren im Graben — gar feine Rede von 
flankierenden Werken ijt. Und doch waren dem Macdjiavelli die turmartigen, 
dreis oder fünfedigen Geſchützſtände, welche jeine Zeitgenofien zu diefem Zwecke 
errichteten und welde fie puntoni nannten XV. $ 76) jehr wohl befannt ; 
hatte er jelbit doch i. 3. 1509 vie mit puntoni bejeßte Befejtigung von Pija 
bejichtigt, den Erbauer derjelben, Giamberti da San Gallo, mit jeinem Rate 


730 Das XVI Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befejtigung ꝛc. 1 


unterjtügt und eingehend über die Anlage berichtet‘). Nirgends aber braudıt 
Macdiavelli in feinem Kriegslehrbuche aud) nur den Ausdrud puntoni. Offenbar 
zieht er eine Flankierung durch gegenjeitige8 Sekundieren der Wallinien vor: 
denn er jagt: „Die erjte Sorge jedes Ingenieurs muß darauf gerichtet fein, die 
Mauern in gebrochenen Linien zu führen, fo dab möglichſt viel aus⸗ und ein- 
jpringende Winkel entjtehen“. Das ijt der Grundgedanke der Tenaillenbefejtigung. 

Übrigens gibt da8 7. Buch der Arte della guerra fein er- 
ihöpfendes Bild der fortififatorischen Anjchauungen Machiavells. Um 
ein jolches zu gewinnen, bedarf es der Heranziehung jeiner gelegent- 
lichen, doch oft jehr bedeutenden ÄAußerungen in den Statsjchriften; 
namentlic) der Bericht über die Umfaffung von Florenz 1526 und 
die über denjelben Gegenjtand an Guiccardini gerichteten Briefe fallen 
ins Gewicht. Sie betreffen die Neubefejtigung der bergigen Vorjtadt 
San Spirito auf dem linfen Arno-Ufer und zeigen den Statsjefretär 
al3 vollfommenen Fachmann und durchaus vorurteilsfret.?) 

Wie der berühmte Ingenieur Pedro-Navarro, mit welhem Machiavelli bei 
dieſer Gelegenheit zuſammenwirkte, legt er den höchſten Wert auf den Graben, 
u. zw. zieht er trodene Gräben den nafjen vor. Allerdings hätten dieje den 
Vorteil, vor Minen zu jchügen; die trodenen jeien jedoch beſſer zu flankieren 
(durch niedere Streicdhwehren) und könnten nie durd Froſt gangbar werden, wie 
das bei Mirandola begegnete als es Papſt Julius II. belagerte. Um ſich gegen 
die Minen zu ſchützen, will Macjiavelli den Graben fo tief maden, daß mer 
unter ihm vorzugehn verjuche, auf Waſſer ſtoßen müſſe. 

Interefjant iſt Meachiavellis Beurteilung der fortififatoriichen 
Elemente, welche Navarro zur Anwendung bringen wollte, jchon deshalb, 
weil daraus hervorgeht, wie weit man damals noch von dem Ge 
danken der bajtionierten Front entfernt war, wie durchaus noch Die 
Abjicht Frontaler Mafjenwirfung überlegener Artillerie bei 
Einrichtung der Berteidigungswerfe im WBordergrunde jtand. Der 
Statsjefretär berichtet: 

„Wenn man außerhalb des Tores San Giorgio weitergeht, jo fommt man 
nad ungefähr 150 Schritten an eine Ede, wo die Mauer ſich rechts wendet. 
Hier will der General entweder eine Streihwehr (casamate) oder ein rundes 
Bolmwerf zur Seitenverteidigung haben. — Zu bemerken ift, daß er überall, 
wo Mauern find, auch Gräben verlangt; denn diese jeien die Hauptihup- 
mittel der Feftungen. — Nad weiteren 150 Schritten gelangten wir an 


1) Gaye: Carteggio inedito d’artisti dei secoli 14, 15 e 16, publicato e illustrato con 
documenti pure inediti (Florenz 1839—1841). II, p. 117 fl. 

) Relazione d'una visita fatta per fortificare Firenze, escritta en 1526. Zuerſt ab 
gebrudt in der Ausgabe der Werfe Machiavellis von Cambiagi 1729. Deutſch von Biegler in jeiner 
Überfegung der Werte Machiavelld S. 24— 41. 


1. Übergangszeit 781 


eine Stelle, wo einige Strebepfeiler vorragen. Hierhin disponiert er ein zweites 
Bollwerk. Falls man dies jehr jtart machte und weit vorichöbe, ließe ſich das 
Bolwert an der vorhergenannten Ede entbehren. Weitergehend kamen wir an 
einen Turm. Den will er dider und niederer gemacht haben, jo daß oben für 
zwei jchwere Geſchütze Raum wird. Er wies darauf hin, wie dadurch, daß alle 
diefe Werke ſich amphitheatraliſch übereinander erhöben, jo daß die Geſchütze in 
mehreren Reihen übereinander jtänden, der Plaß jehr jtart werde u. zw. nicht 
ſowohl durh Flankierung des Yeindes als durd das Frontal> 
feuer. „Denn“, meinte der General, „man muß immer annehmen, daß eine 
Feſtung reiher an Geſchütz jei als der Angreifer, der ed mühſam nachjchleppen 
muß; und jobald ihr mehr Stärke gegen den Feind in Tätigfeit ſetzen könnt als 
er gegen euch, jo ijt es ihm unmöglich, euch zu jhaden; denn die größere Geſchütz— 
fraft bejiegt die kleinere. Vermögt ihr daher ſchweres Geſchütz auf und in all’ 
eure Türme zu bringen und jtehen viele Türme nahe bei einander, jo wird der 
Feind euch jchwerlich etwas anhaben können.“ 

Acht Tage nad Erftattung diejes Berichtes reifte Maciavelli nah) Rom, 
um dem Papjte die VBefejtigungspläne von Florenz vorzulegen — ein Zeichen, 
wie Hoc) feinen Mitbürgern auch die fortififatoriihe Einficht des großen Stats— 
mannes jtand. 

Höchſt merkwürdig iſt es, daß Machtiavelli in den sette libri 
bereit3 den Gedanfen eines Rayongejetes ausjpricht, u. zw. eines 
jolchen, das viel jtrenger it als irgend eme moderne Verordnung. 
Er verlangt, daß bis zu einer Entfernung von wwenigjtens einer ita- 
lieniichen Meile vor der Mauer rings um die Stadt weder Mauer: 
werf aufgeführt noch jelbit das Feld bejtellt werden joll. 

Übrigens ift Machiavelli eigentlich ein prinzipieller Gegner 
aller Fejtungsbauten und führt in feinem Diskurs über die erjte Dekade 
des Livius eingehend aus, daß ein StatSoberhaupt, welches ein tüchtiges Heer 
befite, Feſtungen entbehren, ein ſolches ohne derartiges Heer fie gar nicht ge— 
brauchen fünne. Dabei laufen alerdings irrtümliche Übertreibungen und Miß— 
verjtändnifje der römischen Einrichtungen in Menge mit unter’). 


8 109. 


Der Bau mit Bajteien war jeit Schermers Tagen in Deutſch— 
land allgemein geworden. Großes Interejje gewährt das „Mujter 
ainer pajtey“ im dem Zewg-Inventarium Kaiſer Marimiltanz J. 
XV. 8 66). 

Es jtellt eine Heine ovale Feite mit vier Rondelen dar. Der ganze Umzug 
ift gemauert. Auf die Nundele führen Erdrampen aus dem inneren der Feſte 
hinauf. An den nicht von den Rundelen eingenommenen Teilen der Umfafjung 


1) Bol. die Verdeutſchung in (v. d. Gröbens): Neue Kriegsbibliothet. V, Breslau 1777. 


782 Das XVI Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeitigung ꝛc. 


fäuft auf der Höhe ein hölzerner bededter Wehrgang mit Scharten. Unter ihm: 
iind Geſchützſcharten eingefchnitten. Die Feſte umgibt ein Wajjergraben. Unter: 
halb der niederen Geihügfcharten ift eine Fräfierung, am äußeren Grabenrande 
eine doppelte Berpfählung angebradt. 


Die Armierung ift wie folgt geordnet. Bon jedem Nondel feuern 3 bis 4 
Nüdergeihüte, durch die Scharten des Wehrgangs große Halenbücjen, durch 
die des gemauerten Umzugs Geſchütze, welche auf dem Horizonte des Feſtungs— 
inneren ftehen u. zw. auf Rädern; nur eine einzige mörjerartige Hauptbüdhie 
liegt auf einer mächtigen Lade am Boden, einen jtarfen „Anſtoß“ nebjt Erdauf— 
wurf hinter ji). 


Aus wenig jpäterer Zeit wie dies Baſteimuſter jtammt der 
„Discurs Joannis Thomae von Venedig, weylandt Kayjer Caroli V. 
nachmals der Herrichaft zu Venedig fürtrefflichen Ingeniers von Be 
ſchützung vnd Eroberung der Veſtungen vnd anderer Kriegs— 
jachen mehr“, dejjen Original mir unbekannt geblieben it und audı 
von Mariano d’Ayala nicht erwähnt wird. Indejjen bat Jakob 
de Zetter 1619 in jeiner „Kriegs: und Archeley:Kunft“ einen Muszug 
aus Thomas’ Schrift gegeben. [X VII. a. $ 46.) 


Thomas, der gelegentlih auch den Zunamen „Scala“ erhält, verjichert, 
daß er von Kind auf Soldat gewejen und daß feinerzeit wenig Schlachten un) 
Belagerungen jtattgefunden hätten, an denen er nicht teilgenommen. Er tadelt 
es, dab die Anlage der Feitungen meiſt ausſchließlich den Baumeijtern zufale, 
während erfahrene Ktriegsleute dabei das erjte und legte Wort zu führen hätten 
und jenen nur die technijche Ausführung übertragen werden ſolle. Denn die 
Fähigkeit der Auswahl, Benugung und Verteidigung einer Ortlichfeit lerne man 
nicht auf den hohen Schulen zu Padua, Bologna u. f. w., ſondern nur durch lange 
Kriegsprarid. Davon gäben fo verfehlte Anlagen wie des Antonio da Sar 
Gallo Verſtärkung von Florenz oder Gengas Befejtigung von Placeng recht 
ihlagende Beiſpiele. — Sieben Stüd jeien vor allem einer Feſtung 
von nöten: 1. die entiprechende Bejapung; 2. ausreihende Wafjermenae: 
3. Schuß gegen Einfiht von außen; 4. „ein zweyfacher Wall von gutem dichten 
Erdtrich“; 5. Geräumige und bequem gelegene Pläße im Inneren für Wachen 
und Rejerven; 6. eine von Buſch und Strauch völlig freie, reine Umgebung: 
7. ausreihende Munition. Die Hauptjache ſei und bfeibe die Tüchtigfeit der Be- 
jagung, welche am beiten aus Leuten bejtehe, die dem Potenraten nicht nur getreu 
jeien, jondern ihn von Herzen liebten. Da müſſe denn freilich der Herr danadı 
jein! — In Bezug auf die Baus Ausführung erläutert der Verfaſſer die ver: 
ihiedenen Materialien; Badjteine jtellt er am niedrigjten ; überhaupt joll Stein- 
bau auf das notwenigjte bejchränkt, der Wall aus hartgejchlagener Erde u, zw 
derart hergejtellt werden, daß überall die Bewegung des Waſſers geregelt und 
der Bau dadurd vor Selbjtzeritörung gewahrt werde. Im Belagerungsfries: 
fomme es darauf an, den Feind mit der einen Hand abzutreiben, mit der anderen 


1. Übergangszeit. 183 


aber zu bauen, „Schütten gegen Schütten, Wäl gegen Wäll zu jeßen“. — 
Überraſchend ijt der Wert, welchen Thomas bereit3 auf den Minenfrieg legt, 
zumal auf die jchon bei Anlage der Feſtung vorzubereitende Einrichtung von 
Segenminen. Er jpridt von dem verfehlten Minenangriffe König Henry von 
England auf „Bononia in dem Meer“ (Boulogne) und anderen ähnlichen Unter: 
nebmungen und gibt, vorzugsweiſe für die Herjtellung von Minen, die Kon: 
jtruftion verſchiedener Mepinjtrumente an, die jedoch nad) Zetters ungenügendem 
Auszuge nicht verjtändlich werden. 
Auch Thomas ijt aljo ein entjchiedener Anhänger der Erdbauten. 


8 110. 


Wie der erite Autor, der über den Bau von Baſteien aus Erde 
und Holz gejchrieben hat, ein Deutjcher war, Hans Schermer, jo 
handelt auch ein Deutjcher zuerjt von dem Bau gemauerter Baſteien 
und bietet damit zugleich das erjte ſyſtematiſche Werf über die 
Berejtigungsfunit unter Zugrundelegung der Wirfung der Feuer— 
artillerie. Es iſt Albrecht Dürer, einer jener vieljeitigen Kunſtheroen 
der Renaiſſancezeit, dejjen Priorität als fortififatoriicher Fachſchrift— 
ſteller im 16. und 17. Ihdt. unbedingt anerkannt war. 

Busca jagt: »Scrissa prima di tutti in questa materia (della forma 
delle fortezze) Alberto Durero, Allemanno; appresso di lui un Giov. 
Franc. Scriva messe in luce due Dialoghi in lingua Spagnuola in difesa 
della fortezza da lui fatta a Napoli. Ne tratta poi il Tartaglia in alcuni 
Dialoghi della sua nuova inventione...« (Architettura militare (Mailand 
1601. ©. 123). Und ebenjo bejtimmt drüdt fih Naudäus aus: »Quem ad- 
modum ferme primus, ab usurpatos in muros antiquae structurae ful- 
munabilibus pilis facere agressus est Albertus Durerus, qui ut coelo 
et calamo valuit, sic utraque condendarum et muniendarum arcium varios 
modos expressit. (Bibliogr. milit. Rom. 1637 p. 133.) 


Dürer wurde am 20. Mat 1471 zu Nürnberg geboren und 
entfaltete jeine großen künſtleriſchen Gaben nad) — Richtung: er 
war Maler, Kupferſtecher, Bildhauer und Architekt. Für einen deutſchen 
Künſtler jener Zeit hat er viel Welt geſehen, — ſeinen fortifika— 
toriſchen Intereſſen zu gute kam. 

Dürers erſte Wanderjahre (1492—1494) führten ihn an den Oberrhein, 
wo das durch ausgezeichnete Wehrbauten berühmte Bafel Eindrud auf ihn 
machen mußte, und vielleicht auch jchon nad Venedig, wo er jich jedenfalls 
1505 längere Zeit aufhielt und von wo aus er au Bologna und Verona 
beſuchte. Nah einer Nachricht Joachims von Sandrart3 in deſſen 1675 er: 
jhienenen „Zeutjchen Academie“ joll Dürer auch ſchon in den Jahren 1490 bis 
1494, nad) anderen um 1510, in den Niederlanden gemwejen jein, und an dieje 


— — — — — — 


— 


falſche Angabe hat ſich eine Legende geknüpft. Damals galten nämlich die groß— 
artigen gemauerten Baſteien am Severinstor und am Hahnentor zu Cöln mit Recht 
als Werke von hoher Bedeutung; dieſe hätten nun beſtimmenden Einfluß auf 
Dürers fortifikatoriſche Anſchauungen gehabt. Solcher Eindrücke voll ſei er nach 
Antwerpen gekommen, wo man ſich eben mit dem Umbau der alten Befeſtigungen 
beſchäftigte. Dürer ſcheine Anteil daran genommen zu haben; wenigſtens befänden 
ſich im Antwerpener Archive einige Entwürfe, die an ſeine Weiſe erinnerten; ja 
der belgiſche Oberſtlieutenant Wauwermanns glaubt Dürers Einfluß ſogar in 
einigen ausgeführten Bauten Antwerpens zu erfennen und erhebt ſich auf Grund 
diefer Iuftigen Vermutungen zu dem mehr als jeltfamen Ausruf: »En un mot: 
Durer est un veritable ingenieur flamand!« !) — — Das jind nun alles 
müßige Erfindungen. In dem Tagebuche, welches Dürer über jeine 1520/21 
wirflih in den Niederlanden ausgeführte Reife geführt hat, jchildert er dieſe 
Gegenden durchaus als einer, der fie zum erjtenmale jieht, und gedenft mit 
feinem Worte eines früheren Aufenthaltes, erwähnt niemals, daß er dieje Stadt, 
jenen Menjchen, jenes Gemälde ſchon einmal gejehen ?). Auch der beſte Biograph 
Dürers verwirft die Annahme eines früheren Aufenthaltes des Meijter im den 
Niederlanden ganz entſchieden ®). 

Nach der niederländtichen Reife von 1520/21, auf welcher er nun 
allerdings die Cölner Bauten fennen gelernt, jchrieb Dürer dann im der 
Heimat jein Werk: Etliche onderricht zu befejtigung der Stett, 
Schloß vnd fleden“ (Nürnberg 1527). Am 6. April 1528 jtarb 
der deutſche Meiiter. 

Eine Iateinijhe Überfegung von Camerarius erjdien 1535 zu 
Baris, ein Nahdrud des Originals in „Opera Alb. Dureri, d. i. alle 
Bücher des weitberühmten vnd Kunſtreichen Mathematici vnd Malers Albrechten 
Dürers von Nürnberg“ zu Arnheim 1603. Eine neue Ausgabe mit geichicht- 
lihen und fahmännijchen Erklärungen ward 1823 „in neuem Deutih“ zu Berlin 
veranjtaltet. Eine Prachtausgabe in franzöfifherÜberjegung »Instruction 
sur la fortification, traduit par Ratheau« fam 1870 in Paris heraus. 


Während des 15. Shots. hatten jich zwei fortifikatoriſche Anfichten 
befämpft. Die eine juchte die bedrohte Überlegenheit der Verteidigung 
über den Angriff dadurch zu bewahren, daß jie den Belagereg jchon 
auf große Entfernungen befämpfte, ihm das Etablieren im Vorterraim 
zu verbieten jtrebte und zu dem Ende für das eigene Geſchütz Die 
hohen mittelalterlichen Türme beibehielt und nur zur Batteriejtellung 
verbreiterte. Die andere wollte den nahe gefommenen Gegner mit 


784 Das XVI Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeftigung ıc. 


I) L’architecture militaire flamande et italienne au 16, sieele. (Revue beige d’arı 
et des sciences militaires. 3annde. I, (Brüjfjel 1878) u. Albert Durer, son &uvre militaire, 
son influence sur la fortification flamande. (Ebd, 1880.) 

2) Bol. Leitihub: A. Dürers Tagebuch der Reife in die Niederlande. (Leipzig 1884.) 

2) Thaufing: Dürer. Geſch. feines Lebens und feiner Kunſt. (2eipzig, 1876.) 


1. Übergangszeit. 185 


überlegenem Feuer überjchütten und bevorzugte deshalb niedrigere, 
gut Flanfierende Bollwerfe und Grabenjtreichwehren. Dürer gedachte 
beide Anjichten zu vereinen und gab deshalb jeinen weithinjchlagenden 
Türmen, die er „Bajteyen“ nannte, nur mäßige Höhe, aber jo großen 
Durchmefjer, daß fie bedeutende Batterien aufzunehmen vermochten, 
während er jich zugleich bejtrebte, die Nahverteidigung dadurch zu 
verjtärfen, daß er die bis zur Mitte des 15. Shots. meist tote Esfarpe 
durch Einführung von Defenfivgalerien belebte, woran es ihm jchon 
nicht an Vorbildern fehlte. 

Diürers Werk zerfällt in vier Hauptabjchnitte, die zwar im 
deutjchen Originale feine Überjchriften tragen, in der lateinifchen 
Ausgabe jedoch mit Necht unter folgende Aubrifen gebracht find: 
— De struendis aggeribus; de evenda arce; de castellis aedifi- 
candis und de antiquae civitatis muniendae rationis. 

Das Titelblatt wird fajt ganz durd einen großen Wappenadler aus: 
gefüllt; auf der Rüdjeite jteht die von Pirfheimer aufgejegte Zueignung an 
den Keichöverwejer König Ferdinand von Ungarn und Böhmen, dem ſich Dürer 
zu dienen ſchuldig fühlt „wegen der Gnaden und Wohltaten, die ihm don weiland 
jeinem Großvater Kaiſer Marimilian zu teil geworden jeien. Dieweil fih nun 
zuträgt, daß Euer Majejtät etliche Städte und Flecken zu befeftigen befohlen hat, 
bin ich dadurch veranlaht, meine geringe Kenntnis von diefen Dingen befannt 
zu geben . . .“ Dabei gedachte Dürer insbejfondere, wie „die Länder jo dem 
Türken gelegen find, ſich vor desjelben Gewalt und Geſchoß erretten möchte“ — 
zwei Jahre bevor Sultan Suleiman gegen Wien heranzog und Luther feine 
Heerpredigt wider den Türfen ausgehen ließ [$ 24). „So fein reagirte“, jagt 
Thaufig, „die Baterlandsliebe in Dürer.“ 

Vortreffliche Holzfchnitte erläutern das Werk. Inſofern Bierglieder vor— 
fommen, gehören fie dem Renaifjancejtil an. 

Der 1. Abſchnitt behandelt die Anlage einer Stadtbefe- 
tigung und zwar ganz in demjelben Sinne wie es, etiwa ein halbes 
Jahrhundert früher, Hans Schermer getan [XV. 8 73], nämlich in 
dem des Polygonalſyſtems, und wie Schermer, jo geht auch 
Dürer dabei von den Bajteien aus, deren Emrichtung ganz genau 
gejchildert wird. Der wejentliche Unterjchted gegen Schermer liegt 
aber darin, dat Dürer nicht in Erde, Holz und Hürden, jondern 
durchtveg in Stein baut, daß jeine Bajteten Hinten und oben ge 
ichlofjen find und daß er die Geſchützwirkung in die gerne nicht von 
„Bergen“ in der Mitte der Langwälle, jondern von den Plattformen 
jeiner gewaltigen Baſteien ausgehen läßt. 

Jähnms, Gedichte der Kriegswifienibaften. 50 


7836 Das XVI Jahrhundert. IV. Die Wifjenichaft von der Befejtigung ꝛc. 


Die Bajteien liegen in den ausfpringenden Winkeln der Umfaſſung 
Ihr Grundriß ijt ein nad) außen halbfreisfjörmig abgerundetes Rechteck. Sie 
ipringen weit über den Stadtumfang vor; ihr hinterer Teil ijt ein bomben- 
fiherer Hohlbau und dient als Wohnraum und Magazin, während der äußere, 
im Kern auägemauerte Rundteil mit niederen Streidhwehren (Defenſwkaſematten) 
verjehen ijt. Die Plattform der Baftei it auch gegen die Stadt zu abgefchlofien 
und zur Urtillerieverteidigung eingerichtet, jo daß jede Bajtei ein jelbjtändiges 
Feitungswert bildet. — Es werden 3 „Meynungen“ (Manieren) Bajteien 
zu bauen auseinandergejegt, die je nach den verfügbaren Mitteln anzumenden 
find. Die Abmeflungen find folojjal. Beiſpielsweiſe ijt bei der mittleren Manier 
der ausgemauerte Graben 250° breit, 50° tief. Die Stirnmauer erhebt ſich 
nur 40° über die Sohle; jie ijt alfo 10° niederer als die Klontrestarpe und bat 
5’ Anlage. Die Plattform der Bafteien ragt 20‘ über den Bauhorizont 
und iſt mit 4‘ hoher, 18° jtarker jteinerner Bruſtwehr gefrönt, hinter der Heine 
Gräben zur Dedung der Mannſchaft eingejchnitten find; denn Dürrer zieht das 
Banffeuer dem dur Binnen vor. Die Stirnmauer der Bafteien ijt unten 
15, oben 10° did; 35‘ rüdwärts jteht eine von mächtigen Strebepfeilern gejtügte 
innere Mauer, und zwifchen diejen beiden Mauern läuft die Streihwehr für 
ihweres Geſchütz mit Scharten, Rauchſchlöten und Luftabzügen. Im der eriten 
Manier bejteht die Streihwehr aus Bertifal-, in der zweiten aus Parallel— 
Kafematten. Über den Scharten find „Brunnenkreife“ (Brehbögen) in die Stim- 
mauer eingelegt, um diefe hier zu verjtärten. Unmittelbar vor der Streichwehr 
ift in die Sohle des Hauptgrabens nocd ein 18° tiefer Graben eingejchnitten, 
um die Scharten zu jichern. Der Fuß der Streichwehr liegt in ein und derjelben 
Ebene mit der Grabenfohle, der Fuß der Wohn: und Speicherräume dagegen im 
Bauborizonte. — Die Kurtinen bejtehen aus zwei Rarallelmauern, deren 
Bwijchenraum mit Erde ausgefüllt ijt bis zur Höhe des Wallgangs, der niedriger 
als die Plattform der Bajtei liegt, von diejer aljo beherriht wird. Die Parallel: 
mauern find 7° über den Wallgang fortgeführt, kreneliert und überdadit. 

Prüft man dieje Anlage, jo ergibt fich eine gute und jtarfe Be- 
herrichung des Borterrains von den Bajteien aus und eine große 
Selbjtändigfeit diefer Werke jelbjt, deren Speicherräume die Mög— 
Lichkeit geben, fie einzeln zu verproviantieren, und deren alljeitige Ber: 
teidigung (auch nach rückwärts) eine energiiche Beſatzung in den Stand 
jegt, den Feind zu zwingen, jede Bajtei einzeln anzugreifen. — Minder 
günstig jtellt fich Dienahe und niedere Verteidigung. Die Geſchütz 
galerie vermag nämlich) feindliche Batterien auf der hohen Kontresfarpe 
faum zu befämpfen, und auch der niederen Grabenverteidigung dürite 
fie jchwerlich genügen, weil fie durch die herabfallenden Schutt und 
Erdmafjen der angegriffenen hochragenden Bajter vermutlich bald ge 
biendet jein würde; denn den oberen Teil der Bajteien dedt ja die 
Kontresfarpe nit. Die Seitenverteidigung durch die Bajteien 


1. Übergangszeit. 187 


iſt in der erjten Manier jehr jchwach (mie bei Schermer), in der 
zweiten ausreichend, da hier wenigitens acht Geſchütze der Plattform 
und vier der Kajematte Mauer und Graben bequem bejtreichen. — 
Bedenflich bleibt, daß nicht erwähnt wird, in welcher Weije die aus 
dem Graben ausgehobene ungeheuere Bodenmajje zweckmäßig ver- 
wendet werden joll. — Wie allen Dürerjchen Konftruftionen mangelt 
der Bajteibefejtigung jedes offenjive Element. 


Im 2. Abjchnitte entwidelt Dürer an dem Beijpiele eines 
Fürſtenſchloſſes ſeine Befejtigungsmweije mit austretenden 
Streichwehren (Caponnieren). 

Die Sejamtanlage bildet ein großes Quadrat von 4300° Seitenlänge, defien 
Eden mit 600‘ abgejtumpft find, und das von zwei geraden „gemauerten Schutten“ 
umzogen wird. Die innere, 60° hohe Schütte überhöht die äußere, von der fie 
durd einen 50° breiten und tiefen Graben und einen 150° breiten freien Raum 
getrennt ijt. Bor dem Außenwalle liegt der Hauptgraben, 150° breit und 50°‘ 
tief, und vor diefem abermals ein 150‘ breiter freier Raum, der eine Art ge- 
dedten Weges bildet, injofern er z. T. durch einen glacisförmigen Aufwurf gededt 
wird. Die beiden Gräben erhalten äußerjt kräftige Verteidigung, erjtlicd) durch 
Defenfivfajematten hinter den Estkarpen, dann aber durd) große „austrettende 
Streihweeren“ (Caponnieren). Deren liegen im Hauptgraben zwölf, jede 
100° breit und lang, im Heinen Graben, dejjen ganze Breite fie einnehmen, acht. 
In der Mitte diejes Vierecks fteht dann das quadratiihe Schloß. — Die langen 
Linien des Bieredd würden dem Nichochettichuffe gegenüber abjolut unzuläffig 
fein; diejer aber fängt erjt in der zweiten Hälfte des 16. Jhdt3. an, eine zunächſt 
aud) noch jehr bejcheidene Rolle zu fpielen. 


Der 3. Abjchnitt handelt von der Einrichtung einer „Clauſen“, 
d. h. einer Paßbefeſtigung, und bei diefer Gelegenheit legt Dürer 
den fruchtbaren Gedanken der Zirfularfortifilation dar. 


Der Verfafjer geht davon aus, daß eine auf den engen Raum eines Paſſes 
bejchränkte Befejtigung dem Angreifer nur dann überlegen fein könne, wenn es 
diefem nicht möglich jei, gegen einzelne ihrer Bunfte ein Mehr von Geſchützen 
zu fonzentrieren, und wenn die laufe eine Form babe, die bei möglichjt geringem 
Umfange größtmöglihen Raum einfchließe und die Geſchütze ſowohl gegen Frontal- 
feuer wie gegen die Enfilade fichere. Solden Erwägungen entjprang Dürer dee 
der freisförmigen Forts. — Einen runden Hof von 200° Halbmefjer umgibt 
ein gewaltiger „Stod“, d. 5. ein Kaſemattenkorps in zwei Gefchoffen, deren eines 
unter, deren anderes über dem natürlichen Horizonte liegt. Dies „runde Haus“ 
umgibt ein 100‘ breiter, 50° tiefer Graben, und vor diejem liegt eine „gemauerte 
Schütte“ oder „Paſtey“, d. h. eine durch das Obergeſchoß des „Stodes“ be— 
berrichte Enveloppe und ein zweiter Ringgraben. Den Hauptgraben verteidigen 
außer der umlaufenden Galerie vier austretende Streichwehren, welche zugleich 

50* 


788 Das XVI. Jahrhundert. IV. Die Wifjenihaft von der Befeftigung zc. 


als Hohltoffer die Verbindung zwifchen Kern und Enveloppe herjtellen. Im Enve: 
foppengraben liegen jech® ſolcher Caponnieren. (Die ambrofianiiche Bibliotbet 
zu Mailand befigt eine Federzeihnung Dürer, welche eine perſpeltiviſche Anſich 
der kreisförmigen Klaujen bietet.) 

Der legte furze Abſchnitt bringt Dürer8 Borjchläge zur 
VBerjtärfung älterer Befejtigungen und lehrt, „wie umb em 
zuvorgepaute Stat ein wehrliche ſchut mit einem graben mit jtreidy 


weeren gemacht joll werden“. 

Der Meijter empfiehlt hier die Anlage folder Hilfsbauten (Schutten oder 
Niederwälle) wie fie das 15. Ihdt. bereit® vielfadh in Anwendung gebracht hatte 
(XV. 8 72]. U. zw. ift fein Vorwall völlig von der Hauptbefejtigung losgelöſt, 
erjcheint aljo als das, was die Franzoſen jpäter im Gegenjage zu dem mißver— 
itandenen Worte fausse-braie eine echte braie nannten. Übrigens find aud die 
Abmefjungen diejer doch nur zur Aushilfe, zum „Rempariven“ bejtimmten Bauten 
enorm, wenngleich freilid” die Kojten nicht jo maßlos ausfallen wie bei den 
anderen Bauten, von denen Dürer jelbjt bemerkt, daß er jie nur für Beberricer 
großer Reiche entworfen habe. 

Fragt man, welche Bauten im Sinne Dürers ausge: 
führt worden jeten, jo iſt da allerdings nicht viel zu jagen. In 
den Dimenfionen, welche er ſelbſt vorjchreibt, konnte fein König oder 
Kaijer jener Zeit bauen; fie waren viel zu riejenhaft und daher un 
erjchwinglich koſtſpielig. — Er jelbjt ift fich darüber, wie es fcheint, 
annähernd klar gewejen; denn er jagt in feiner Einleitung: 

„An etlichen orten, do die leut nit pey gelt findt oder die eyl vnd not 
das ereyſcht, machen fie große jchütten, verjchranten und vergraben die, vnd 
weren ſich fedlicdy daraus; das ijt vajt gut. Dauon mil ich aber bie nit jchreiben 
dann die friegsleut wijjen ſolchs wol zu machen; auch erlernen es die teglich, io 
die friegänot darzu tringt; wan man aber folder gepeu nit mer bedarf, leſt man 
die gewonlich zerreptern; dann niemandt hat darnad) acht darauff. — Mber in 
eyner treflihen ſtat oder achtparem ſchlos, do die mauren, thurn vnd (ob das 
fein mag) gefuttert gräben vmb ji haben, da fol man ſolche befeftigung aud 
mauren vnd dem anderen gepeu gemes machen, auff das, jo man der zu jenner 
zeyt nit bedarff, da8 die dannoch wehrhafft beleyben, pis zu eyner anderen zebt; 
darumb müfen folch mauren vejt gepaut werden. Vnd ob man jagen wolt, & 
wurde vil cojten, jo gedend man an die Kunig in Egypten, welche großen cojten 
an die Pyramides gelegt haben, der doch nicht nuß gemweit ift, jo doch diſer 
cojten jeer nuß iſt. Haben die herre vil armer leut, die man ſunſt mit dem 
almuſen erhalten muß, den geb man taglon für iere arbeit, jo darffen fie mit 
petteln vnd werden dejtminder zu auffrur bewegt. Es ijt auch peſſer, ein be 
verpau ein groß Geld auff daß er beleyben müge, denn daß er in eyner gebe 
von jeinem feindt vbereilet und aus jeinem land vertriben wurde, wie das eum 
ieglicher geringen verjtandes leychtlicd; abzunehmen hat.“ 


1. Übergangszeit. 1789 


Es hat ſich doch Fein Herr herbeilaffen mögen, dieſe Gegenſtücke 
der Pyramiden zu erbauen, welche übrigens weniger an die Wunder- 
werke Ägyptens, als vielmehr an diejenigen Karthagos erinnern, wo 
ja, gerade wie bei Dürer, gewaltige Fajemattierte Räume das Unter: 
geichoß der ungeheueren Mauerförper bildeten. Nur eine deutjche 
Reichsſtadt hat, zwar in bejcheideneren Dimenfionen, doch immerhin 
großartig genug, einen Monumentalbau der Dürerjchen Zirkularbefe 
jtigung errichtet: nicht des Meiſters Vaterſtadt jondern Schaff- 
hauſen, deſſen 1563 bis 82 erbauter jtattlicher „Unnot“ den Ruhm 
bat, die Dürerjche Bauweiſe in deutjchen Landen allein zu vertreten. !) 
Wenigſtens einen ganzen Dürerjchen Gedanken. Elemente jeiner 
Befeſtigungsweiſe finden ich allerdings auch noch an einigen 
anderen Orten, jo namentlich in Ingoljtadt, deſſen Befeftigung im 
Sahre 1537 von den bayerijchen Herzögen dem Grafen Reinhart von 
Solms [$ 22 und 8 112] zu völliger Neugejtaltung übertragen wurde. ?) 


Solms legte gleidjlaufend mit der unangetajtet bleibenden alten Stadt= 
mauer vor deren Graben einen zur Gejhütaufjtellung geeigneten Vorwall mit 
balbgemauerter E3carpe, und in defjen ausjpringenden Winkeln erbaute er felb- 
ftändige Rundelle, teild in Erde, teild gemauert. Diefe Anlage umgab ein 25 m 
breiter, vom Grundwaſſer gejpeijter Graben, deſſen Kontresfarpe unbefleidet blieb. 
Zur Bejtreihung beider Gräben dienten austretende Streichwehren, von denen 
die des inneren Graben? eigentlih großartige dreijtödige Kafemattenkörper zu 
nennen jind, ganz in der Art unjerer modernen Grabencaponnieren. Die Platt: 
formen der Bajteien und Rundelle überhöhen den Hauptwall um 1'/s bis 2 m, 
das Borgelände um 10 m. Die Erdrundelle der Südweſtfront bilden völlig 
jelbjtändige Werke; jie find vom Walle abgerüdt, und ihren Fuß umzieht eine 
freiftehende Schartenmauer. Ahnlic find auch einige der gemauerten Bajteien 
behandelt. Bor zwei Bajteien liegen baſtionsähnliche Außenwerke, um das Feld 
vor dem äußeren Graben zu bejtreihen, und ala Torſchutz. 


Dieje Anlage folgt, zwar nicht in den Maßen, wohl aber der 
Idee nach, wejentlich dem Dürerjchen Bolygonaljyjtem. — Baſtei— 
bauten in des Meijters Sinne waren die von den Straßburgern 
errichtete Bafter am Kronenburger Tor und die Bastei Nojened, von 
denen die erjtere, nur wenig verändert, noch heute beiteht, während 
die andere jchon 1577 von Daniel Spedle [$ 121) umgebaut worden 
iſt. — Auch die Kajemattierung, welche der Meijter Johann 


1) Val. Jähns: Handbuch einer Geſch. bes Älteren Kriegsweiend. ©. 1187 ff. u. J. R.Rahn: 
Der Unnoth in Schaffhaufen. (Schweizer Bauzeitung 1889; 1., 8. und 15. Juni.) 
2) Bol. Kleemann: Geſch. der Feſtung Ingolftabt. (München 1883.) 


790 Das XVL Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeſtigung :c. 


der von ihm erbauten jchönen Citadelle Jülichs zuteil werden lieh, 
cheint auf den großen Nürnberger zurüdzumeijen. 

Im allgemeinen fand Dürer Werk jedoch bei den Zeitgenofjen 
geringe Anerkennung und erjt im neuerer Zeit ift nachdrüdlic) auf 
dasjelbe aufmerfjam gemacht und Dürer als Begründer einer 
bejonderen deutjchen Feitungsbaufunft gepriejen worden. In 
diefem Sinne jprach jich bejonders General Adolf v. Zajtrow in jeiner 
1839 veröffentlichten „Geſchichte der bejtändigen Befejtigung” aus. 
Gerade im Gegenjage dazu behaupteten Franzojen und Belgier, daß 
Dürer Werf le dernier traite de la fortification an- 
tique jet!) und dieſe Anficht hat auf den erjten Blick manches 
für ſich. 

Dürer, der die Erdſchutten nur als dürftigen Notbehelf gelten läßt, knüpft 
ja in der Tat an die mittelalterliche Überlieferung de& reinen Mauerbaues un- 
mittelbar an, der auch vor ihm bereit3 den Hohlbau und die Selbjtändigfeit 
großer Turmbauten innerhalb des Mauergürtel® entwidelt Hatte. Findet ſich 
legtere8 Prinzip doc fogar ſchon bei Philon [A. $ 12] wie bei Vitruv [A.$ 24). 
Nicht minder begegnet man dem Gedanken der vorgejchobenen Feſten bereits in 
der Unlage von Burgengruppen des Mittelalters; die Defenjivfafematten, die 
außtretenden Streihwehren, die Gemwölbetonjtruftionen — all das war im 
15. Ihdt. bald Hier, bald da tatjächlich angewendet worden, und jo kann Dürer 
wirflih als ein hochkonſervativer Vertreter des alten Befeſtigungsweſens auf 
gefaßt werden, welcher an den in Deutjchland und Frankreid) lebendigen Formen 
des verjtärften Mauerbaues fejthält und nur den Gedanken der Steinbajtei zur 
äußerjten Stonfequenz führt, ja beinahe idealifiert. 

Indeſſen damit ijt die Bedeutung Dürers doch nicht abgetan; 
denn zunächſt bleibt er tatjächlic) der erjte moderne Autor, der em 
ſyſtematiſches Werf über Befeitigungskunft, der erjte Autor überhaupt, 
der ein jolches unter Berücdjichtigung der Feuerartillerie gejchricben 
hat; dann aber find jeine Entwürfe auch da, wo jie nicht neu jind, 
durch die organische Zujammenfaffung eines genialen Künjtlergerjtes 
in ganz neues Licht gerüct und noch für eine jpäte Zukunft anregend, 
wenn auch nicht maßgebend geworden. 

Als bejonders verdienjtvolle fonftrultionelle Momente hebt General 
v. Breje hervor?): 1. die bededten Gefchüggalerien der Bajteien innerhalb des 
Umzugs der ftarfen Esfarpemauer; 2. die Vorforge für bombenfichere Unterkunft 
der Truppen und Vorräte in dem ftadtwärt® gewendeten Teile der Befejtigung; 


1) Wal. beſonders AUgoyat: Memoires historiques, p. 440. 
») Über das Entſtehen und das Weſen der neueren Befeſtigungsmethode (Berlin 1844). Als 
Manuffript gedrudt. (Bibl. bes Verfafiers.) 


1. Übergangszeit. 791 


3. die Selbjtändigfeit der Bafteien; 4. die Mauertonjtruftionen, namentlich dies 
jenigen der Zirkularfortififation, wo Dürer die Gewölbewiderlager auf die Radien 
des QTurmfreijes legt und dadurch Perpendikularfafematten bildet. — Und dieſe 
Elemente erjcheinen nit nur als Abſchluß einer vergangenen Entwidelung, 
jondern zugleich als Vorbilder einer zukünftigen! Es wurden integrierende Teile 
jener deutjchen Befeſtigungskunſt, wie Friedrich d. Gr. fie verjtand, integrierende 
Momente auch der fortification perpendiculaire Montalemberts, die gegen Ende 
des 18. Ihdts. jo großes Auffehen machte‘); ja viele der von Dürer zuerſt wijjen- 
ſchaftlich behandelten fortififatorishen Elemente find zu ihrer vollen Anwendung 
erit anfangs des 19. Ihdts. gelangt, als die jog. „neupreußiſche Schule“ in 
Deutihland und Erzherzog Marimilian Joſef in Dfterreich ihre großartige Baus 
praxis begannen. Freilich hat Breje recht, wenn er jagt, daß dieje Konftruftionen 
aus ganz anderen deenverbindungen und Erfahrungen hervorgingen, als zu 
Dürer Zeiten ftatthaben konnten; aber die nahe Berwandtichaft ijt doch unver— 
fennbar, und Dürer jelbjt hat bereits die Urt der Verwendung jener Elemente 
angedeutet, wenn er nad) Bejprehung der Zirktularbefejtigung jagt: „Ob auch die 
jtat oder ort des gepeus nit gleych aljo gefunden möcht werden wie angezeygt 
ift, jo mag das gepeu halb oder ein vierteyl davon genummen werden; mil 
aber yemandt geringer pawen, dem ijt auch genugjam angezeygt, wie das gejchehen 
mag.” In der Tat: die Bauten Aſters und Brejes im Wejten und im Oſten 
unſeres Vaterlandes, die ja nun zum Teil auch ſchon wieder veraltet find, zeigen 
dad Diürerfche Kernwerk entweder halb oder als Drittel, nach Erfordern mit 
furzen Flanken verjehen; die Marimilianstürme bei Linz reihen fich unmittelbar 
dem Unnot von Schafihaufen an, und dasjelbe gilt von dem Fort Sumter in 
der Hafeneinfahrt von Charleston (Südcarolina), das im amerifanifchen Bürger: 
friege eine jo große Rolle gefpielt hat. Endlidy aber jtehen noch heute in volliter 
Geltung die Dürerjchen Gedanken der „inneren Berteidigung“ und des 
„Bolygonals Tracks in Verbindung mit dem der äußeren Verteidigung durd) 
vorgejhobene Fort3.* Bon einem Gegenjate diejer Gedanken gegen den 
ber bajtionierten Front fann bei Dürer natürlich feine Rede fein; denn der 
Schulbegriff der bajtionierten Front erijtierte i. J. 1527 noch gar nicht, und zu— 
zugeben ijt auch, daß der Gedanke der reinen Polygonalbefejtigung jogar von 
gleichzeitigen Jtalienern vertreten wurde; zuzugeben ijt ferner, daß (wie jchon bes 
merft) feines der von Dürer empfohlenen Elemente abjolut neu war. Aber die Art, 
wie er diefelben verband, ijt höchſt originell, und jehr merkwürdig bleibt es, daß 
der deutjche Geijt da, wo er völlig frei und unabhängig auftrat, von vornherein 
die Richtung einjchlug, in welcher er fich jpäterhin zu Eigenart und Selbjtändigfeit 
auf dem Gebiete der Befejtigungstunjt durchgerungen hat. 

Nicht Dürer, jondern die Italiener wurden zunächſt maßgebend 


für die Entwidelung des Befejtigungswejens, und daran trug vor 
1) Beſonders der 8. Band von Montalemberts Wert »L'art defensiv superieur à l’offensiv« 
fommt bier in Betracht. — Bal. auch Mandar: Architecture des forteresses (Paris 1801). 
©. 600-622, namentlih ©. 617. 
2) Bol. v. Stodheim-Hafjelbolbt: Die Marimilianstürme (Paſſau 1850). 





792 Das XVI Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befejtigung ꝛc. 


allem wohl der Umftand Schuld, daß Deutjchland, abgejehen von einigen 
poliorfetijchen Ereigniffen in den Grenzgebieten, in Lothringen und 
Niederöjterreich, und abgejehen von dem militärisch recht unbedeuten- 
den Schmalfalderfriege, Frieden hatte, während Oberitalien in der 
erjten Hälfte des 16. Ihdts. der Schauplaß weltgejchichtlicher Kämpfe 
war. Denn eben dieje führten dahin, daß zwijchen den Alpen und 
dem römiſchen Apennin eine ganz außerordentlich große Menge von 
neuen Befejtigungsbauten entjtand, an denen fich nicht nur Praxis 
und Routine der italienischen Ingenieure fchnell jteigerten und ver- 
feinerten, jondern die zugleich den Striegsleuten aller Länder Europas, 
welche ich unter ihren Mauern jchlugen, naturgemäß bedeutenden 
Eindrud machen mußten. So beherricht denn die italienische Befe— 
jtigungsjchule, obgleich fie von deutjchen Gedanken ausging und Durch 
einen Deutjchen, durch Spedle, ihre eigentliche Vollendung empfing, 
thatjächlich das ganze 16. Jahrhundert. Dürer wurde jchnell ver- 
gejjen.?) 


g ı1l. 


Die Italiener jind jeit dem Altertum dermaßen an den Steinbau 
gewöhnt, daß jolche bastioni, wie fie ihnen della Valle empfahl und 
wie jie ja auch thatjächlich von den Venetianern bei ihrer glorreichen 
Verteidigung Paduas gegen Kaiſer Mar I. mit Glüd praftijch ver: 
wertet worden waren, Doch immer nur als armjeliger Notbehelf er: 
Ichienen. Sie jtrebten, wie Dürer, jogleich dahin, die für und gegen 
die FFeuerartillerie notwendigen Werke in Stein zu fonftruieren. Cs 
wurde jchon erwähnt [S. 775], daß der Herzog Alfonjo von Ferrara 
die Gräben jeiner Hauptjtadt erweitern und Bollwerfe anlegen ließ, „in 
denen man ſich mit der Artillerie bewegen konnte“, und infolge 
deſſen galt Ferrara für den bejtbefejtigten Pla der Chrijtenheit. 
Meiſt aber waren alle jolche Werfe noch jehr Hein. Die Umfaſſung 
von Urbino, welche Comandino von 1523 bis 1525 baute, hat 
elf Bajftione, deren Facenlänge 19,5 m. nicht überjteigt, zuweilen 
aber nur 10 m erreicht; man nennt fie daher auch zu Urbino nur 
torrioni. Erſt unter den Händen San Mlichelis (1484—1559) 


1) Bol. über Dürers VBefeftigungstunft: Colmar Frhr. v?d. Goly: Dürers Einfluß auf die Ent: 
widelung ber deutichen Befeftigungsfunft (Grimms Btichft. „Über Künſtler u. Kunftwerke. II, 189— 205) 
und vd. Imhof: Dürer in feiner Bedeutung für die moderne Befeſtigungskunſt (Nördlingen 1871). 





1. Übergangszeit. 193 


wuchjen dieje puntoni bei der Befejtigung von Verona zu ftattlichen 
Werken, zu wirklichen Bajtionen im modernen Sinne heran. 

Ob die bei Moroni zu Verona i. 3. 1830 erjchienenen fieben Hefte 
»Architettura militare« wirklich, wie verfichert wurde, auf San 
Micheli zurüdzuführen find, iſt mindeitens zweifelhaft. Gewiß aber 
it, daß dieſer Metjter jehr großen Einfluß auf die Entwicelung der 
italientjchen Befeitigungsfunit gehabt hat, und wenn durchaus „der 
Gedanke des Baſtions“ an den Namen eines „Erfinders“ geknüpft 
werden ſoll, jo wird man immer bejjer tun, fich mit Maffei für 
San Micheli jtatt mit Promis für Francesco di Giorgio Martini zu 
entjcheiden.!) Wichtig iſt weder das eine noch das andere. ſS. 438.) 

Abgejehen von dem Bajtion San Spirito, das die alte Rundellform Hat, 
aber weit vorjpringt und geräumig ift, find alle Baftione Michelis edig. Die 
Kurtinen tragen 3. T. in der Mitte Ktavaliere. 

Der Typus dieſer Befejtigung von Verona iſt nun derjenige, 
welchen man „baftionierte Befejtigung“ oder „altitalienijche 
Fortifikationsmanier“ genannt hat, welchen man jedoch ange: 
mejjener als „Befeitigung mit Bajtionen“ bezeichnen jollte. Es ijt 
eine Bolygonalbefejtigung mit abgerundeten oder fünfeckigen Gapon- 
nieren, in welcher diejenigen Gedanken, auf denen jpäter das Bajtio- 
närjyjtem beruht, noch in feiner Weije zum Ausdrud gelangen. Die 
Befeitigung mit Bajtionen, wie die Italiener fie durchführten, wurde 
bald von aller Welt nachgeahmt, und damit ging auch der Ausdrud 
„Baftion“ in die Sprachen aller Länder über und wurde das Ba— 
ſtion jelbjt das wichtigite Element der modernen fortififatorischen 
Formensprache, deſſen Bedeutjamfeit ſich noch unermeßlich jteigerte, 
als man von der Befejtigung mit Bajtionen zum eigentlichen Bajtio- 
närtrace vorjchritt. Um ein jolches handelte es fich aber zunächjt noch 
fetneswegs. In der altitalienischen Manier find die Langwälle, die Kur— 
tinen, vielmehr noch durchaus der wejentliche Teil der Anlage; die engen 
Bajtione erjcheinen lediglic) als vergrößerte Türme, als Caponnieren zur 
Flankierung des Graben. Ihre Flanfen jtehen daher auch jenfrecht 
zur Surtine und werden meiſt hinter Orillons zurüdgezogen, auc) 
verdoppelt oder fajemattiert, um eine möglichjt jtarfe Flankirung zu 
ermöglichen. Die Wirkung nad außen fällt faft ausjchlieglich den 
Kurtinenfavalieren zu. 


ı) Maffei: Verona illustrata. III cap. 5: Mura e bastioni (Berona 1762). Cine Ber: 
deutſchung diejed Kapitels enthält der 4. Band von Böhm: „Ardiv” 1778. 


794 Das XVI. Sahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befejtigung ꝛc. 


Wie jehr dieje bedeutenden, jchön ausgeführten Bauten der Welt 
imponierten und welchen Rufes zumal in Deutjchland neben dem von 
Galeazzo Maria Sforza (1466—1476) vollendeten Mailänder 
Kajtell die bajtionierten Befejtigungen von Ferrara umd 
Berona genofjen, das zeigt eine interejjante Arbeit des Grafen 
von Solms. 


8 112. 


Nächſt Dürer ift der jchon mehrfach erwähnte Graf Reinhart 
von Solms S. 509 ımd ©. 789] der ältejte deutſche Schriftiteller über 
Befeſtigungskunſt mit jenem: „KRurger Auszug vnd überfchlag, 
einen baw aufzujtellen vnd in ein Regimentvnd Ordnung 
zupringen, mit denen, jo darauff in aller arbeit jein 
wurden.“ 

Solms ließ die Schrift 1535 von Schöffer zu Mainz druden, aber „nit in 
einen gemeinen ausgang“, ſondern er behielt den Drud für fi, weil ihm jeine 
Arbeit noch nicht genügte; „dann geliebt es Gott, jo foll es mit einer anderen 
geitalt und bericht gemacht werden.“ Dazu iſt e8 nun doc nicht gefommen; 
wohl aber gejtattete der Graf jpäterhin, dat Brydmanns Erben zu Köln i. 3. 1556 
einen Neudrud der vor zwanzig Jahren hergejtellten Abhandlung veranijtalteten, 
der num auch in den Buchhandel famt). 

Das Werk tritt in Form eines Gejpräches zwiſchen dem rühmlich 
befannten Feldzeugmeilter Michel Ott S. 489] und einem fingierten 
jungen Baumeijter, Hans Willig, auf, der in Dienjten eines Kleinen 
deutjchen Fürjten jteht. Willig, „eyn armer gejell“, der aber „gnad 
vnd ehr erlangen möcht“, iſt „Deshalben nit anheims hinder dem wein 
gelegenn“‘ jondern hat „vaſt alle züg in Teutſchen vnd Welſchen 
Landen gejucht.“ Jet will ihn jein gnädiger Herr mit einem Stein- 
me und eimem Maler nach Italien jenden, um dort Vorbilder zu 
juchen für die von dem Fürjten „in diejen gejchwindenn leuffen“ be 
abjichtigten „dapfferen Beueſtigungen“. Willig möchte aber vorher 
auch die Anfichten eines vielerfahrenen Kriegsmannes über dieje An- 
gelegenheit hören und zu dem Ende wendet er jich an Michael Dtt. 

Dem Hans wie jenem Fürſten jchweben bejonders das Meailän- 
der Schloß und die Städte Bern und Ferer (Verona und Ferrara) 
als nachahmungswürdig vor; jie haben fich jedoch gar nicht flar 


ı) Ein Egemplar in der Kgl. Bibliothel zu Berlin. 


1. Übergangszeit. 795 


gemacht, wie denn die örtlichen Bedingungen lägen. Ott varttert dem 
jungen Hanſen nun das alte Thema: Eines jchieft ſich nicht für alle! 

Er madıt ihn darauf aufmerffam, dab das Schloß in Mailand „ein eben 
Waſſerhaus“ jei, deſſen Einrihtung ſich alfo für ein Bergſchloß, wie es der gnädige 
Herr hergeitellt haben wolle, doch ganz und gar nicht eignen könne, zumal ein 
einziger Turm zu Mailand fo groß jei, wie ein Viertel des gejamten Bauplapes 
des deutjchen Herrn. Mit der bloßen Verkleinerung der Einzelheiten aber fei es 
nicht getan; fondern man müſſe fi) genau nad) der Gelegenheit des Ortes richten. 
Darum fei auch eine Übertragung der Stadtbefeitigungen von Verona und Ferrara 
jo kurzerhand nicht auszuführen; vielmehr habe man jich vor allem Mar zu 
machen, über wieviel Streitfräfte man verfüge, und darnad) die Gefamtanlage 
zu disponieren. Der rechte Zwed jedes wehrlihen Baues jei aber der, ihn jo 
einzurichten, daß man überall dem Belagerer eine größere Kraft an Mannjchaft 
und Geſchütz entgegenzuftellen vermöge, als diefer an der betreffenden Stelle an= 
wenden fünne. Eben dieje Hauptſache aber werde von den Unverjtändigen immer 
überjehen, und ebenjowenig hätten die Meijten begriffen, wie ein Hauptvorteil 
des Verteidigerd darin beftehe, daß er auf engem Raume „jein Büren in das 
vorteil verrüden“ (wir würden jagen: mit jeinem Gejhüß auf der inneren Linie 
manövrieren) fünne. Bon großer Wichtigkeit ſei auch die innere Verteidigung; 
denn eine Feſtung jolle wie ein Gewappneter jein: entfällt ihm der Echild, jo 
dedt ihn doch der Harniſch noch. — Bei der Anlage eined® Befejtigungsbaues 
jind 20 Fragſtuck zu bedenfen: 

1. Die Malſtatt. (NRelognoszierung und Vermeſſung der Ortlichfeit; be 
jondere Rüdfiht auf das Vorhandenfein guten Waſſers.) — 2. Ob die Befejtigung 
auf einer oder der anderen Seite von der Natur übernommen werde oder ob der 
Feind bequeme Gelegenheit habe, überall zu lagern, — 3. Ob die Malftatt in 
der Nähe überhöht werde. — 4. Ob die Sicherung gegen Überhöhen (vertifales 
Defilement) nad) mehreren Seiten jtattzufinden habe und jchwierig fei oder nicht. — 
5. „Ob man mög zwerd) (quer) in die Wehren jehen und ob dasjelbig aud zu 
verdeden jey mit Schütten oder mit blenden?* (Horizontales Defilement.) — 
6. und 7. Ob die Materialien für den Bau nahe zu haben oder fernber zu holen 
und ob fie gut und brauchbar feien. — 8. Ob bei Mauerbauten dieje auch „jattes 
Fundament“ finden oder ob man „pföl“ fchlagen müſſe. — 9.—11. Wie find die 
Streihwehren (HFlankierungsanlagen) und Tore anzuordnen, um jelbjt gededt zu 
fein und dem Feinde zu fchaden? — 12. Wie ift der Waflerzufluß zu fichern ? 
(Schleufenwerte). — 13. Wie find die Streichtwehren zweckmäßig einzurichten? — 
14. Wie iſt die Schütte zu jcheiden? (d. 5. der Wall in Abjchnitte zu gliedern, 
die jelbjtändig verteidigt werden können.) — 15. Wie ift das Verhältnis zwifchen 
Stadt und Schloß (Citadelle) zu ordnen, fo zwar, daß „das Schloß gegen der 
Stadt vejt ift vnd die Stadt gegen dem Schloß offen und aber ſolchs nit wol zu 
merfen ſei?“ — 16. Wie find die „Löcher in den ſtreichen“ (Kaſemattenſcharten) zu 
ordnen, „daß dich der dunjt vnd rauch nit yrre?“ — 17.—19. Wie kann die Ein- 
richtung der gededten Batterien für den Widerjtand gegen den Sturm verwertet 
werden, und was gehört dazu an Sturmzeug? — 20. Was bedarf eine Bejagung ? 


796 Das XVI. Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befejtigung zc. 


Hans Willig ſieht nun em, daß er von alledem gar nichts ver: 
jtehe und bittet den Feldzeugmeiſter mjtändigjt, an jeiner Statt Die 
Bauten zu übernehmen. Ott lehnt das ab, erflärt ſich dagegen bereit, 
ihn noch näher zu unterweilen, und demgemäß folgt nun „Eyn 
vnderricht eines veiten baws anzulegen vnd auß was 
grundt Das genommen, gejchehen und wie der im reiſſen 
verjtanden werden joll.“ 

Charakterijtiih ift da8 Normalprofil des Feldzeugmeijters. Es zeigt 
(von außen nad innen) zuerjt einen breiten Graben, defjen beide Böjchungen 
gemauert find. Die Mauer der Schärpe jteigt nur bis zum Horizonte; bier 
jeßt auf ganz jchmaler Berme „die Schudt“, der Erdwall, auf. Hinter dem 
Wall, der eine Erdbruftwehr trägt, liegt der „Zwinger“, und Hinter diejfem ein 
ſchmalerer, ausgemauerter Graben, dejjen innere Mauer jih um Mannshöhe über 
das „Lanndt“, d. h. das Planum erhebt. — An dieje Darftellung des Profiles 
fchließt fi eine Anweifung, wie die Arbeit „zu verdingen“ jei, wobei 
auch die Berechnung des auszuſchachtenden Bodens gelehrt wird (wie eynn wall 
oder damm zuvergleichen, zu meſſen vnd zu rechen jei, die rutten zal darinnen) 
und hernach geht der Lehrer über zu der „Ordnung zum bawe anzuijtellen 
mit dem vorath“, wobei er die Transportverhältnifje ſehr forgfältig aus 
einanderjegt. Nun folgt Bunkt für Punkt: „Vberſchlag des mawrwercks“ und 
des „Gedinges“ für „Meurer, Speißträger, Speißmacher, Steintrager und Gemein 
taglöner“ ; die „Ordnung der Walmeyſter und Walknecht“, das „Re- 
giment der Knecht“ und ihre Befoldung („die Schichten lauffen eyn wochen 
oder einen Monat“) und die Einteilung des Regiſters (des Koſtenanſchlages 
nad) folgenden zehn Gefihtspunften: „Was auff die mewrer vnd fteynmeg gebt. 
Was auff die mwalfnecht geht. Was auff die jteynbrüd geht. Was auff da 
jhmidtwerd geht. Was auff holgkauff geht. Was auff die gemeyn taglöbner 
geht. Was auff den Fald geht. Was auff die fhür (Fuhren) geht. Was, jo 
du wurdeſt jchiffarht Haben, auff die gieng. Was auff geding gieng, jo man 
ein arbeit verdingen mwurth.“ 

Nach allen diejen Auseinanderjegungen wollen dem jungen Hanjen 
begreiflicherweije die Dinge noch weit jchwieriger erjcheinen als zuvor, 
und er bringt den FFeldzeugmeiiter endlich dazu, daß dieſer perjünlid 
mit dem „Herrn“ Rücdjprache nimmt, was unter überaus würdevollen 
und höflichen Zeremonien ftattfindet, wobei ſich Ott bereit finden läßt, 
die Oberleitung des Baues zu übernehmen. 

Diefer „Aufzug und vberjchlag“ des Grafen Reinhart zu Solms 
ift eine genaue, klare und gediegene Vorjchrift für wirflide Bau: 
führung. Es handelt ſich dem deutjchen ‘Grafen feineswegs um 
die Erfindung ingeniöjer „Manieren“, jondern um jachgemäße Durd- 
führung der aus den gegebenen örtlichen und pefuniären VBerhältnifien 


1. Übergangszeit. 197 


entipringenden praftiichen Löſung einer gegebenen Aufgabe und um 
die Darlegung regelrechter Praxis und zuverläjjiger Buchführung. 
Gerade darum aber iſt jein Traftat auch kulturhiſtoriſch interejjant 
und wichtig, und darum hat ein neuerer, ſonſt ganz hervorragend unter- 
richteter Autor doch Unrecht, wenn er die um ein halbes Jahrhundert 
jüngere »Architectura« Spedles als die älteſte Quelle für forti- 
fifationsbauliche Technif bezeichnet.) 


8 113. 


Während in Deutjchland die Befeitigungen zu Matland, Ferrara 
und Berona als die vorzüglichjten Kriegsbauten Italiens galten, er 
freute jich in diefem Lande jelbit des höchſten Rufes die Befejtigung 
von Turin, welche man geradezu für uneinnehmbar und für das 
vollfommenjte Muſter einer derartigen Anlage erklärte. 

Diejer Bau war ein Rechte mit Langjeiten von ca. 600 m Länge An 
jeder Ede erhob ſich ein Feines überaus ſpitzes Baftion. Die Berlängerung der 
Baſtions-Facen fjchnitt die Kurtine diht an dem Flankenwinkel des Bajtions 
jelbjt. Die Kurtine, etwas niedriger als die Baftione, trug auf ihrer Mitte, ohne 
bier vorzujpringen, eine Plattform, deren rechtwinklige Flanken je ein Geſchütz 
aufnahmen, um die Bajtione, jowie den rückwärts gelegenen mittelalterlichen 
Mauergürtel des Plapes unter Feuer zu nehmen. Zwiſchen diefer alten Mauer 
und der neuen Befejtigung lag ein Graben. Die Konjtruftion der Futtermauern 
des Walles wie der Baftione war derart, daß jie innen, ftatt der Strebepfeiler, 
einen oder mehr Abfäge hatten und in der Die aufwärts etwas eingezogen wurden. 


An dieje bajtionierte Befejtigung von Turin fnüpft ſich nun die 
erite wifjenjchaftliche Kontroverſe über die altitalienijche Fortififation, 
u. zw. findet fich dieje in dem 6. Buche der Quesiti et inven- 
tioni des Tartaglia, dejjen Werk, joweit es ſich auf die Balliſtik 
bezieht, bereit3 früher ausführlich bejprochen worden ijt. 8 422)] 
Dies Buch ftellt jich dar als ein Geſpräch Tartagliag mit dem 
Prior von Barletta, der von der bejcheidenen Anjchauung aus— 
geht, daß „in Betreff der Befeſtigungskunſt der menjchliche Verſtand 
nunmehr den höchiten Gipfel erreicht habe, den zu erflimmen ihm 
jemals möglich jein werde“. Tartaglia will ſich darüber fein Urteil 
erlauben, weil er von den modernen Fortififationen nichts kenne, und 








2) R. II. (General Schröder): Aus der fortififatorijhen WBaupraris vom 16. bis 18. Jahr: 
hundert. (Archiv f. Art.» u. Ing.-Dffiziere, 87 Bd. 1880.) 

2) Das 6. Bud) tft von Böhm verbeuticht und im 4. Bande feines Archives abgebrudt. 1778. 
Franzdi. (nad) einer Angabe des de la Barre du Barca) unter dem Titel: Maniere de fortifier les 
cit6s en égard A la forme. (Reims 1556.) 


798 Das XVI Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeitigung ꝛc. 


e3 iſt amüjant zu hören, welchen geflijjentlichen Nachdrud der geiſt 
reiche Autodidaft auf diefen Umstand legt, u. zw. zu dem Zwecke, 
jeine a priori jtammende bewunderungswürdige Einficht in die echten 
Grundanforderungen, die an eine Befejtigung zu jtellen jeien, deſto 
deutlicher hervortreten zu lajjen. Der Prior legt ihm nun den Plan 
von Turin vor, als eimer Stadt, „Die von allen verjtändigen Leuten 
für unüberwindlich gehalten wird“ und fragt ihn was er dazu meine. 
Tartaglia erwidert furzweg: „Ich finde feine Spuren eines groben 
Verſtandes darin!“ Er will nicht leugnen, daß Turin vielleicht durch 
die Maſſe der Mauern und die Tiefe der Gräben recht jtarf fer; die 
Kunst der Anlage jedoch jei jehr gering; denn fie verjtoße gegen 
die ſechs Grundanforderungen, welche an jede Befejtigung zu 
jtellen jeien, und als jolche führt er folgende Bunfte auf: 

1. Keine Mauer darf jo liegen, daß der Feind jie mit ſenkrechten Schüſſen 
treffen fann; denn dieje find die gefährlichjten. 

2, Innerhalb Schußweite vor der Feitung darf es feinen Punkt geben, auf 
dem der Angreifer eine Batterie errichten fann, der nicht in geringerer Entfernung 
bon einem Bollwerke beherricht werde, ala er jelbjt von der Kurtine entfernt ift, 
die von ihm aus befämpft werden foll. 

3. Der Grundriß der Befejtigung muß fo angeordnet fein, daß ein ſtürmender 
Feind überall don mindejtensd vier Linien Feuer empfängt, nicht bloß, wie bei 
Turin, von den beiden Seitenbollwerten. 

4. Die Konſtruktion der Mauer muß derart fein, daß fie, wenn jte von der 
feindlichen Artillerie zu Grunde gerichtet ijt, noch jchwieriger zu erfteigen ift, als 
in unberührtem Zuftande. 

5. E8 müſſen an den Mauern Einrichtungen getroffen jein, die jede Leiter: 
erjteigung unmöglich machen und es 20 bis 30 Leuten gejtatten, eine Kurtine 
von 150 Schritt Yänge mit unbedingter Sicherheit zu verteidigen. 

6. Die Befeftigung muß einen für den Unterhalt der — genügenden 
Ackerraum umſchließen. 

Wie ſoll man nun dieſen Anforderungen — Tartaglia 
gibt hierauf in einem 1554 erſchienenen Anhange zu ſeinem 6. Buche 
nur eine unvollſtändige Antwort. Indem er dem Dr. Marcus An- 
tonius Moroſini jeine Entwürfe vorlegt, jchicdt er voraus, daß die 
ſechs Eigenjchaften nicht in einer einzigen Manier jtatthaben, jondern 
einige in diejer, andere in jener. Er bejchränfe ſich zunächſt darauf, 
eine jolche Befejtigungsmanier vorzulegen, u. zw. „wie e8 die Quach 
jalber machen, wenn fie ihre Ware feilbieten, zuerjt die jchlechteite,“ 
die, weil jie mit dem üblichen Bollwerfen und Kavalieren verjehen iſt, 


1. Übergangszeit. 799 


zugleich am teuerjten herzuftellen jei. Übrigens entjpricht auch diejer 
Entwurf, Tartaglias Anficht nach, bereit3 den Anforderungen 1—4. 
Die Anordnung it folgende: 


Ale Polygonlinien find nad innen zu ſtumpfen Winfeln gebroden. An 
den ausjpringenden wie den einjpringenden Winteln liegen Heine Bajtione mit 
Stodwerkäflanten. In der Mitte jeder Linie erhebt fih eine nidht vor— 
tretende Plattform, die zugleich Zwed und Charakter einer Traverfe hat. In den 
eingehenden Winkeln liegen die Tore, von Meinen Kavalieren verteidigt, die 
rechts und links des Baſtions aufgejchüttet find. Bor der Escarpe zieht fich 
ein naſſer Graben Hin, und jenjeits desjelben ein gededter Weg (via coperta 
oder Begreta), welcher durd einen glacisförmigen Aufwurf gebildet ift, der jo 
hoch ijt, daß er die Eskarpe bis zur Bruftwehr dedt. Die leptere ijt um einige 
Fuß rüdwärts gejchoben, jo daß beim Mauerbande eine Art Berme entjteht. — 
Durch das Zurüdziehen und Schräglegen der Kurtinen joll nun den Punkten 
1 und 2 der Grundanforderungen wenigſtens einigermaßen entſprochen werden; 
denn Tartaglia nimmt an, da fich in dem einfpringenden Winkel (»golfo«) feine 
feindliche Batterie zu plazieren vermöge. Außerdem wird der erjten Forderung 
auch noch dadurd genügt, daß die Esfarpe durch den Aufwurf des Glacid dem 
direften Schufje entzogen ift. — Ein jtürmender Feind würde, wie es Punkt 3 
verlangt, nicht bloß durd die Flanken des einen ausfpringenden und die eine 
Flanke des zurüdgezogenen Bajtions befchofjen, jondern empfinge zugleich Rüden 
feuer durch den Kavalier der anderen Hälfte der Polygonjeite und von dem 
anderen ausipringenden Baftion. Was nun den 4. Punkt betrifit, jo meint 
Zartaglia, „es jei der natürlichen Vernunft ganz gemäß, daß wenn der Angreifer 
eine Mauer bejchieße, er niht den Teil zu treffen juche, den er nicht ſehe, ſondern 
den, welcher über den Graben in Ste Höhe ragt. Wird nun diejer ungededte 
Zeil der Mauer (bei Tartaglia alfo nur die Bruftwehr) zerjtört, jo bleiben jeine 
Trümmer auf dem bermartigen Abjape liegen, zumal die feindliche Artillerie 
doch auch Hier mur die Stirnmauer, nicht die zwifchen den Strebepfeilern liegenden 
Erdblöde (argine) niederzuwerfen vermag. Unter ſolchen Umjtänden ijt der Sturm 
aber noch jchwieriger als vor der Zerjtörung des oberjten Mauerranded; denn 
jede3 Geſchoß, dad von den Flanken oder vom Rüden her in die Trümmer 
trifft, wirft dort eine Menge Steinfplitter auf, die gefährlider find als die 
Kugeln. — Bezüglich der 5. Grundanforderung ſpricht Tartaglia ſich nicht deutlich 
aus; es jcheint, daß er durch eine bedeutende Steigerung des Mustetenjeuers 
die von ihm ind Auge gefahten Wirkungen zu erzielen hofft. — Die 6. Forderung 
ſoll dadurch erfüllt werden, da die neuen Befejtigungen um 200 Schritt vor die 
mittelalterlihe Enceinte binausgefchoben werden. Zwiſchen der Ießteren, die 
dann immer nod einen Generalabjchnitt bilde, der gegen eine battaglia da mano, 
einen plöglihen gewaltfamen Angriff genügenden Schuß verleihe, und den neuen 
Werfen würde fi) das notwendige Aderfeld ausbreiten. 


Die bemerkenswerteiten Punkte in Tartaglias Werk find: 1. Die 
ja jchon von Machiavelli empfohlene Anwendung der Tenaillenform 


800 Das XVI. Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeitigung ꝛc. 


für den Grundriß; 2. die Dedung des gemauerten Teil der Eskarpe 
gegen den direften Schuß; und 3. die Einrichtung des gededten 
Weges, der allerdings an fich nichts völlig Neues war, da er, wie 
auch Promis nachgewiejen hat, jchon im 15. Ihdt. bei ttalienitchen 
Befejtigungen vorkommt, deſſen wifjenjchaftliche Behandlung durch Tar: 
taglia aber um jo interejjanter erjcheint, als fie bereit3 bewußtes 
Verjtändnis für die Offenfivfraft zeigt, welche diefem Werke eignet; 
denn Tartaglia verlangt, daß »false porte« (blinde Tore) im Glacis 
ltegen, duch welche der Feind nachts zu überfallen jei. — Die Deckung 
des Mauerwerfes durch das Glacis iſt freilich nur dann vollftändig, 
wenn der Angreifer nicht jo ganz „gegen die natürliche Vernunft“ 
handelt, den indirekten Schuß anzumenden, und wir Neueren dürften 
wohl nicht mehr der Meinung Morojinis jein, der Tartaglias Feſtung 
als una citta inespugnabile bezeichnet. 


g 114. 


Alles, was Dürer, Solms und Tartaglia bieten, hat dann 
1547 Walther Reiff in jenem mathematijch- militärtichen Sammel 
werfe [$ 20] in einem Abjchnitte zuſammenzufaſſen verjucht, welcher 
den Titel führt: „Bon der grundtlegung, erbamwung vnd be 
fejtigung der Stett, Schlöjjer vnd Fleden mit allen denen 
gebewen, jo fur gewalt zu der wehrbefeitigung, jchug und jchirm von 
nöten ſind.“ Die Abhandlung zerfällt in vier Teile. 

Der 1. Teil will den „Braud der erfarneften Teutſchen Bau- 
meijter ond alten Kriegßleuthe“ lehren, u. zw. in zwei Kapiteln, deren 
erites „in form eines freundtlichen geſprechs eines erfarnen Bitrunianijchen Ardi- 
tecti vnd eins jungen angehenden Bawmeiſters“ gebradt ijt. Der legtere möchte 
nicht allein fich, jondern „nach der lehr Platonis und Chriſti“ auch dem Bater- 
lande und jeinem Nächjten nützen. Er iſt deshalb nicht „hinter dem Ofen beim 
wein figen geblieben“, fondern hat jich auch bei fremden Völkern, zumal bei den 
Welihen umgetan und hat, heimgefehrt, feinem gnädigen Herrn bejonders die 
Befejtigungen des Schlofjes Meylandt und der Stätte Ferrar und Bern (Verona) 
gepriejen, und der Herr hat nun aud Luft, „etliche Stedt, Schloß oder Flecden 
jolhergejtalt zu erbawen“. Nun will der junge Meijter den Rat des Architelten 
hören. — Man erkennt: es iſt eine einfache Wiederholung des Geſpräches zwijden 
Michel Ott und Hans Willig, in das Graf Reinhart v. Solms feine Bau: 
anmweijung gefleidet hatte [$ 112]! Und in der Tat, jener Dialog folgt nun fait 
Wort für Wort — ein Plagiat, das um jo unverjhämter erſcheint, als i. 3. 1547 
das Wert des Grafen nur als Manujfript gedrudt war und Reiff den Autor, 
den er abjchreibt, auch nicht einmal mit einer Silbe erwähnt. Der einzige 


1. Übergangszeit. 801 


Unterjhied von Solms Gejpräh und diefem Dialoge ift, daß Reiff noch einige 
Holzihnitte zugegeben hat, namentlich eine gute Darjtellung des Mailänder 
Schloſſes. Es kennzeichnet den „vitruvianiſchen Architekten“, wenn für den Mauer: 
bau ganz genau die antifen Vorſchriften des Römers, dieſes „Urſprungs vnd 
Baters aller Bawkunſt“ wiederholt und durch anſchauliche Holzſchnitte illuftriert 
werden. Eine andere Xylographie aber lehrt, daß der Autor fih audh an Dürer 
gebildet Hatte, deſſen Befejtigung mit Bollwerfen, freilich ohne daß ihr Urheber 
genannt wird, bildlich dargejtellt ift. Deutet auf Dürer Werk doch auch Reiffs 
Überjchrift „Won Befejtigung der Stedt, Schlöffer und Flecken“ Hin. 

Der 2. Teil führt den Titel: „Der namhafften, vejten vnd wehr- 
lihen Stadt Thurin eygentlihe Bejhreybung, mit allen Ge— 
bewen, jo zu der befejtigung verordnet... mit weitleufftigerem 
beridt, wie ein ftadt für allen gewalt des Geſchütz aus rechtem 
grundt der Arditectur auff dieje yegige Kriegfruftung zu be 
fejtigen vnd zu bewahren ſey.“ — Der Borwurf, welcher fchon den 
ballijtiihen Teil von Reiffs Werk traf, muß bier abermald erhoben werden: 
Tartaglias Werk iſt ausgejchrieben, ohne daß der Autor als folder auch nur 
erwähnt wird. Reiffs 2. Teil ift, der Hauptſache nad, nichts anderes als das 
ein Jahr zuvor erjchienene 6. Buch der Quesiti [$ 113], das nur feines dialogifchen 
Charakters entfleidet ijt und natürlid) des erjt 1554 erfchienenen Anhangs mit 
den pojitiven Vorſchlägen des Italieners nod) entbehrt. — Dafür bejchließt Reiff 
diefen 2. Teil dur eine „Anzeigung der gerechten Proportionen und Simmetria 
aller mejjungen, form vnd gejtalt der Thürn, Gräben, Pafteyen, Wald, vnnd 
Bollwerd mit allen jhren Wehren vnd Schießlöchern, wie ſolche Proportion 
gemeiniklihen bey den Welſchen vnd auch den erfarnen Teutjchen Bamwmeijtern 
diefer Zeit im brauch“. Es iſt das eine kurzgefaßte Überficht mit folgenden 
Angaben: Ringmauer; unten bi$ 10 Schuh Höhe, 25 Schuh did, von da an 
nur 2 Schuh dide Schildmauer vor der Schütte mit 23 Schuh diden Contra= 
forten (Strebepfeilern), die dur Bogen verbunden find. Höhe von der Graben= 
ſohle an 34 Schuh, Länge von einem Turm oder einer Paſtey zur anderen 
300 Schritt. — Bajfteien oder Bollwerke: Höhe 37 Schub; doppelte, offene 
Wehren (Flanken). Der „unterjt Platz“ (niedere Flanke) 17 Schuh über der 
Grabenjohle und 10 Schritt Hinter die Face zurüdgezogen; der „oberſt Platz“ 
13 Schuh Höher und 16 Schritt zurüd. Die Scharten für die Flankengeſchütze 
find außen 10 Schuh, innen 5 Schuh breit; die „Kameren“ (Merlons) find 
8 Schuh hoch. — Die „Bauallere* in Mitte der Mauren ($urtinen) find 
32 Schritt lang und 18 Schritt breit und überragen die Mauer um 10 Schuh, 
aljo bedeutend mehr als die Bajteien. — Die Brujtwehren find 24 Schuh 
did; der „Corritor“ (Bankett, Schwelle) 6 Schub breit. — Breite des Grabens 
unten 14, oben 16 Schritt; Tiefe 4 Schritt (sic!). — Berborgene Streichwehren 
(GContramina) im gewadjjenen Boden 394 Schuh breit, 7 Schuh hoch. 

Der 3. Teil von Reiffs Werk handelt „Bon den furnembiten puncten, 
jo mit hochſtem Fleiß don dem erfarnen Arditecto wargenommen 
werden jollen in erwelung bequemes plag zu der maljtadt, dahin ein 

Jahns, Geihichte der Ktriegswiſſenſchaften. 51 


802 Das XVI Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaſt von der Befeftigung ꝛc. 


Stadt, Schloß oder Fleden zu erjter erbawung bezeichnet werden joll“. — Hier 
entfaltet der Autor eine wunderbare Gelehrjamteit in „alten Geſchicht wahr: 
baftiger Hiftorien“ und berichtet, wie die alten Deutjchen und Aſſyrier, wie 
Seſoſtris, Cäſar und viele andere ihre Baupläge ausgeſucht, um endlich das 
Ideal einer guten Baulage aufzuftellen. Auch die Formalitäten altrömijcher 
Stadtgründungen werden erörtert. 

Der 4. und „legte Teil des Buches von den Befejtigung Gebewen“ handelt 
merfwürdigerweife von der JnfanteriesTaftif und ward jhon an anderer 
Stelle beiprochen [$ 82]. Bier jei nur darauf Hingewiejen, wie die mathematijche 
Neigung des Autor, bzgl. feines Vorbildes Tartaglia, ſich auch darin unver: 
fennbar ausſpricht, daß ihm die Taktik im wejentlihen gar nichts anderes ijt, als 
ein Spiel geometrifcher Formen, welches demgemäß der Yortififation auf das engite 
und unmittelbarjte verwandt ſchien. Es lag das übrigens in der Gejamtauffafjung 
jener Zeit überhaupt, und gerne verglid man die großen, jhwer hinwandelnden 
Spießerhaufen mit ihren Schüßenflügeln beweglichen Feitungen, in denen die 
Piteniere die Kurtinen, die Arkfebufiere die flankierenden Baſteien vorjtellten. 

Neiffs Werk nimmt feine hohe Stellung ein; das wenige, was 
original darin, iſt vorzugsweiſe handwerksmäßig. Seine Spur findet 
jih von den großen Gejichtspunften eines Machiavelli oder Dürer, 
und der lehrhafte Ton, in welchem fich diefer „vitruvianijche Architekt“ 
gefällt, iſt jo weitjchweifig, jo ausgejprochen ſpießbürgerlich und 
pedantijch und dabei jo unklar, daß die Lejung jeines Buches Tang- 
weilig und mühjam wird. 

Ein zweites baumwifjenjchaftliches Werk des Rivius tft jeine dem 
Bürgermeijter und Rate von Nürnberg gewidmete VBerdeutjchung 
des Vitruvius (Würzburg 1548. Bajel 15751), 1614). 

Es ijt das nicht nur eine einfache Überfegung; vielmehr find den einzelnen 
verdeutichten Kapiteln des lateinischen Autors ergänzende Ausführungen angehängt, 
welche die entiprechenden modernen Verhältniſſe zu erläutern unternehmen. 
Vieles davon iſt mit dem in der „Bawkunſt“ Gegebenen identifh, namentlich 
auch die meijten Zeihnungen. Die Darjtellung der antifen Kriegswerkzeuge iſt 
dem Balturius entnommen [XV. $ 44]. In das Kapitel „Bon den Balijten, 
d. i. Schlenferen und Werffen“, ift die Zeichnung eines Geſchützes eingejchoben, 
da8 mit dem Quadranten gerichtet wird. — Neues enthält alfo auch dies Werl 
Reiffs nicht. 


8 118. 


Bon außerdeutjchen Arbeiten über Befejtigungskunit aus 
der erjten Hälfte des 16. Shots. find noch diejenigen einiger Italiener 
zu erwähnen. — Ungefähr gleichzeitig mit Tartaglia jchrieb Belucci 


1) Bibl. des Berliner Zeughauſes (B. 784). 








2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 803 


einige erjt jpät und jchlecht herausgegebenen Traftate, welche mit jeines 
Beitgenoffen Melloni: Particelli e fragmenti 1598 zu Venedig 
vereint erjchienen. Die legteren haben namentlich für den praftijchen 
Kriegsbaumeijter nicht geringen Wert. — Alghiſi da Carpi verfaßte 
um 1548 Delle fortificationi libri III (®enedig 1570), in 
denen er den tief gebrochenen Kurtinen das Wort redet, entſchiedene 
Hinneigung zum Tenaillenſyſteme zeigt und ſich lebhaft für möglichſt 
itumpfe Baftionen erklärt. Galt es doch zu jeiner Zeit al3 Grundſatz, 
dag man einer Feſtung feinen empfindlicheren Schaden zuzufügen 
vermöge, als wenn man die meijt überaus jpigen und daher jehr 
verwundbaren Bajtionspünten demoliere. — Ungedrudt blieb der be 
rühmte Trattato delle fortificationi di nostri tempi 
des Leonardi, von welchem jedoch Promis (p. 158 ff.) einen Auszug 
gegeben hat. 

Frankreich und England weijen in dieſem Seitalter noch 
keinerlei wifjenjchaftliche Beitrebungen im Gebiete der Militärarchitektur 
auf. Der einzige jpanijche Autor, dejjen Name herüberflingt und 
dejfen Schrift neuerdings wieder aufgefunden jein jol, Escribä, ge 
hörte ganz der italienischen Schule an. — Das Werk eines portu- 
gieſiſchen Fortififators, Duarte d'Uürmas, bewahrt das Archiv von 
Torre do Tombo.?) 


2. Gruppe. 
Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 
8 116. 

Eine der glänzenditen Koryphäen der gejamten Befejtigungs- 
wiſſenſchaft iſt Marchi, den man am beiten gerade in die Mitte des 
16. Shots. jtellt; denn er begann jein bedeutijames Werk in den vier- 
ziger und vollendete es in dem jechziger Jahren. — Francesco 
de Marchi wurde aus edler römischer Familie zwiſchen 1490 und 
1515 (mwahrjcheinlich 1506) zu Bologna geboren. Als Ingenieur 
diente er zuerjt dem Aleſſandro dei Medici, dem erjten Gemahl der 
Margarete von Ofterreich, und trat dann, als diefe Fürftin den Herzog 
Dttavio Farnefe von Parma heiratete, in parmeſaniſchen Dienit. 


1) Bol. Zur Geſch. der Fortifitation in Portugal. (Beitihr. f. K., Wiſſenſch. und Geſch. bes 
Krieges. 73. Wd. 1848.) 


51* 


804 Das XVI Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeſtigung ꝛc. 


Papſt Paulus III., dem (wie Spedle ſich ausdrüdt), „der gewaltige 
Capitan Maris jehr angenäm war“, zog ihn wegen der Neubefeiti- 
gung Roms zu Nate, die dann in die Hände des von Marchi hoch 
belobten Giov. da San Gallo („des Jüngeren“) gelegt ward. 
Vielleicht veranlaften diefe Beratungen den Marchi, fich der wijien- 
ichaftlichen Behandlung der Yortififation zuzumenden. Er entiwarf 
bis 1545 eine Neihe idealer Fejtungspläne, deren Stich 1546 
begann. Dabei blieb er in farnefiichem Dienjte, beaufjichtigte die 
Pulverfabrifen diejes Eriegerijchen Hauſes, beteiligte ji) an der Ber: 
terdigung der Stadt Parma, als diefe von Karl V. und Julius ILL. 
i. 3. 1551 belagert wurde, tınd leitete den Bau des Schlojjes, welches 
Margareta von Barma zu Biacenza errichtete. — Im J. 1554 ſchloß 
er fein Kupferwerf vorläufig ab und überreichte ein Exemplar des 
jelben zu Greenwich an Philipp II. von Spanien, der damals König 
von England war, jowie andere Abdrüde an den Prinzen von Barma 
und an den Herzog von Sefja. — Eins diejer Eremplare dürfte der 
PBarijer Coder ital. 7743 jein. — Fünf Jahre jpäter folgte Marchi 
jeiner Gebieterin Margareta als fol. jpanijcher Ingenieur, angeblich 
mit dem Range als Generallieutenant, in die Niederlande, und benutzte 
die Reife dorthin, um auch die deutjchen Bauten fennen zu lernen, 
von denen er in jeinem Werfe z. B. die kunſtreichen Holzbrücenbauten 
zu Ulm, Speyer u. a. O. rühmend hervorhebt. Am 27. Sept. 1565 
vollendete er in Brüfjel jeine Arbeit ungefähr in der Form, wie fie 
jpäter gedrudt wurde. Als Margareta 1567 die Statthalterjchaft 
verließ und nach Italien zurücfehrte, jcheint er ihr wieder gefolgt 
zu fein. — Inzwiſchen genügte ihm jein Werf noch nicht, und er goß 
e3 in eine neue, vollkommnere Gejtalt um, in der es 1571 fertig ge 
jtellt wurde und deren Manujfript die Bibliothef Magliabechiana zu 
Florenz bejitt. Im 3. 1574 joll Marchi in den Abruzzen gejtorben jein.*) 

Über Mardis Arbeiten hat ein feltfames Gefchid gewaltet. Offenbar follten 
fie eigentlich nicht veröffentlicht werden. Er jelbjt bemerft darüber zu Ende des 
144. Kapitels des III. Buches: „Nun haben Jhro Durdlaudt (Margarete von 
Parma) und Sie drei Herren und Fürften (nämlich der Prinz von Oranien und 
die Grafen von Orno und don Agamonte) mir gejagt, daß diefes mein Wert 


im Namen Sr. Majeftät (Philipps IL.) gedrudt und nur den Freunden Sr. 
Majejtät, jonjt aber niemandem abgegeben werden jolle, ausgenommen, wem 


1) Bol. Marini: Vita di Fr. de’ Marchi (Rom 1810) und Benturi: Memorie intorno 
alla vita e alle opere del capitano Marchi (Mailand 1816). 


2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 805 


die Herzogin oder Sie, meine Herren, es zuzumenden beabjichtigten, und daß 
nach gejhehenem Abdruck die Kupferplatten in Sr. Majeftät Archiv aufbewahrt 
werden follten“. Indes übernahm der König (vielleicht wegen Maris Beziehungen 
zu Oranien) den Drud niht; Mari gab das Werk auch nicht Heraus, teilte 
aber die Zeichnungen und Stiche, wie fie allmählich fertig wurden, Fürſten und 
Liebhabern mit; oder diefe nahmen fie ihm unter den Händen fort, und jo erflärt 
es ſich, daß manches, was wohl Mardis Entwürfen entjtammt, in Büchern jteht, 
die früher erjchienen als Marchis eigenes Werk. Diejer ſelbſt gibt daS deutlich zu ver— 
jtehen (p. 44b). — Ein Eremplar folden Urſprungs ift die tertlofe Sammlung 
von 170 Tafeln Marhis in der Dresdener Bibliothek, in welhem an Stelle des 
Titels eine von Trophäen umgebene lateinifche Widmung an die Prinzen Ehriftian, 
Johann Georg und Auguft von Sachen jteht, die von Mardi eigenhändig unter- 
zeichnet it. — Nah Marhis Tode ging die Brüfjeler Handſchrift in dell’ 
Dglios Hände über, der wieder eine Anzahl von Abdrüden der Entwürfe ohne 
Tert abgab, z. B. 1597 an Binz. Gonzaga von Mantua. Zu folden Eremplaren 
gehört auch wohl das der K. Bibliothek zu Berlin, welches den gedrudten 
deutihen Titel führt: „Newe Baulunft oder Arditectvr aller für- 
nembjten nothwendigjten angehörigen Mathematifhen, Geo— 
metrifhen, Arithmetifhen Künften... Allen Potentaten, Chur, Fürjten, 
Herren vnd Stenden, jo Städte, Schlöfjer, Feitungen, Wallen ... erbawen, ja 
auch wie die zu gewinnen vnd einzunehmen... in Drud geben... . durch den 
funjtreichen Capitan Fr. de Marchi Bolonese, Weylandt fgl. Maeſt. zu Hijpanien 
gewejenen Kunſt- nnd Bawmeiſter. Gedrudet 1599.” — Dem Titel voraus geht 
eine pompöfe farbige, von Trophäen umgebene handjchriftlihe Widmung an den 
Herzog Johann Adolf von Schleswig-Holitein, Biſchof von Lübeck, welde jedoch 
nicht von dell’ Oglio, fondern von DOctavo Lolle unterzeichnet ijt. Außer der 
wieder an Joh. Adolf gerichteten, übrigens ganz inhaltlofen Vorrede enthält das 
Bud nur Stupfertafeln, feinen Tert. 


Erſt 34 Jahre nach ihrer Vollendung erjchien die Brüffeler 
Faſſung des Buches unter dem Titel: Dell archittetura mi- 
litare libri tre, nelli quali si descrivono li veri modi di 
fortificare, che si usa ai tempi moderni, con un breve et utile 
trattato, nel quale si dimostrano i modi di fabbricar l’artiglieria 
et la pratica di adoperarla da quelli che hanno carico di essa. 
Opera novamente data in luce (Brescia 1599). Ad instanza di 
Gasparo dall'’Oglio. Con licenza dei superiori !). 

Eine zweite Ausgabe führt, d’Ayala zufolge, den Titel Dellaarchittetura 


libri quattro, etc. (Brescia 5. a.). Hier ift alfo der Anhang über die 
Artillerie [$ 61] als viertes Buch bezeichnet. Im übrigen ijt e8 ganz das— 


1) Ein Eremplar in der Kgl. Bibl. zu Berlin (aus der Bücherfammlung bed großen Kurfürften.) 
Ein zweites mit der Widmung an Kurfürft Ehriftian II. in der Kgl. Bibl. zu Dresden. 


806 Das XVI Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeitigung ꝛc. 


jelbe Werk; ein diefer Ausgabe eigentümliches Widmungsichreiben dei’ Oglios 
ift vom Mai 1600 datiert. 

Beide Ausgaben gehören zu den allergrößten buchhändleriſchen 
Seltenheiten. Wintelmann ſchrieb i. 3. 1757 an den Grafen v. Bünau: 
„Ich will Em. Excellenz ein Buch anzeigen, welches in Deutjchland vielleicht 
nicht befannt ift und hier in Rom nad) Serveti Christianismus (einer bibliogr. 
Seltenheit höchſten Ranges) für das rarefte gehalten wird, nämlich Francesco 
de Marchi archittetura militare. Es ijt nur zweimal in Rom, und in die 
Vaticana ijt es allererjt vor wenig Jahren dur ein Vermächtnis gefommen. 
Man jagt hier: Bauban habe fein bejtes herausgenommen und die Eremplare, 
wo er fie gefunden, an ſich fauffen lajien. Dem Kardinal Paſſionei ift es für 
50 Dulaten angetragen worden.” — Auch Maffei bejtätigt die Seltenheit des 
Wertes. 

Im Jahre 1810 gab Luigi Marini, Konjervator der Vaticana und Ver: 
fafjer eines Hiftorifchen Eſſais über die Baftione (1801), dad Wert Mardıis, 
dankt der Munifizenz des Herzogs von Lodi, aufs neue in ſechs prachtvoll aus— 
geftatteten Duartbänden und zwei Planfolianten neu heraus. Die beiden eriten 
Bände enthalten die Prolegomeni, nämlich eine Widmung an Napoleon L, die 
Lebensbejchreibung Maris, ſowie eine Kritit feines Syitems, ein umfafjendes 
Dizionario di fortificatione und eine breit angelegte Bibliotheca istorico-critica 
di fortificazione permanente, welche v. J. 1521 (Madiavelli) bis 1810 (Fojie) 
führt. — Sehr befremdlih ift es, daß fih Marini Hinfichtlich des Tertes von 
Marhis Werk darauf beſchränkt hat, den Wortlaut der Ausgabe von 1599 einjad) 
wieder abzudruden, obgleid der Abt Calzoni von Bologna ihn auf die in der 
Bibliothet Magliabehiana vorhandene Fafjung von 1571 aufmerkſam gemadt 
Hatte. Nirgends nimmt Marini Bezug auf dieſe Berfion; ja er bat fie nicht 
einmal gelejen, und doch iſt fie (nach Promis Anfiht) der Brüffeler Faſſung 
weit überlegen. Es iſt ein vollftändiger Traftat der bürgerlichen wie der 
militäriſchen Baufunjt, der zugleich Wafferbau und Balliftit umfaßt und fich 
durch großartigen Zug und fcharfe Intelligenz auszeichnen fol. Nur einige 
Bruchſtücke desjelben find veröffentlicht worden, und außer dem Originale zu 
Florenz erijtiert nur nod die Kopie davon, welche Calzoni genommen und der 
Bibliothek des Inſtitutes zu Bologna überwiejen hat. 


Marchi hat ein Vierteljahrhundert lang feine reiche Erfahrung 
und jeine fruchtbare Einbildungsfraft zur Herjtellung des großen 
Werkes angewendet, welches jeine fortififatoriihen Grundjäge und 
Entwürfe umfaßt, und wenn dieje leteren manche überfünftlichen und 
unpraftiichen Kombinationen enthalten, jo bergen fie doch auch eine 
Fülle geijtreicher Jdeen, die in der Folge von anderen verwirklicht 
worden jind.!) Daß dabei jein Name nicht wieder genannt wurde, 
das fann entweder darauf fchliegen lafjen, daß es fich um neue, jelb- 


1) Bgl. darüber bie Anmerlungen zu ©. 809—812, 


2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 807 


ftändige Erfindungen handelte, oder darauf, daß Marchis getjtiges 
Eigentum an jolchen Gedanken zwar befannt war, jedoch abfichtlich 
verichwiegen wurde. — Im allgemeinen wird man die erite Voraus» 
ſetzung anzunehmen haben; denn in der Tat jcheint Marchis Werf, 
wohl jeiner Seltenheit wegen, früh in Vergeſſenheit gefallen zu jein. 
Erſt zu Anfang des 18. Ihdts. ermwedte der Pater Corazza wieder 
das Andenken an die Verdienjte des ausgezeichneten Bolognejen, und 
Der Marcheje Maffei verjuchte nachzuweiſen, daß die meijten fortifi= 
fatorijchen Erfindungen, welche Bauban zugejchrieben worden, Marchis 
Eigentum jeien, eine Behauptung, die zu lebhafter Polemik führte, 
jedoch ohne reelles Reſultat blieb. 

Das Wert Marchis über die Befejtigungskunft iſt niemals zus 
Jammenhangend verdeutjcht worden; indes da es vorzugsweije durch 
die Kupfertafeln gewirft hat und da es den von den Stalienern jelbit 
erreichten Höhepunkt der „italienijchen“ Fortififation des 
16. Ihdts. bildet, über den erjt ein Deutjcher, Spedle, hinausgeführt 
Hat, jo it e8 doch unerläßlich, an diejer Stelle eine Inhaltsangabe 
des Werkes zu bieten. 

Das erite Bud füllt mit feinen 58 Kapiteln 32 Seiten. E83 handelt vom 
Ingenieur und dem ihm nötigen Wiſſen, vom Unterſchiede der alten Befejtigung 
mit Mauern und Türmen und der neuen mit Wällen und Bollwerfen, von den 
Heeritraßen und Brüden der Alten. Dann beſpricht e8 die Bedeutung der 
örtlihen Lage der Feſtungen fowie die politijhen Gründe zu deren Erbauung. 
Marchi zieht große Feftungen den fleinen vor, weil ihre Baftione größer und 
daher verteidigungsfähiger feien, weil fie die Anlage von Abjchnitten erlaubten, 
weil der politiihe Wert großer Plätze unvergleichlich bedeutender jei als derjenige 
fleiner und weil zu ihrer Belagerung jtärfere Kräfte erforderlich jeien. Je nachdem 
zur Armierung artigleria reale oder non reale [$ 61] bejtimmt fei, unterjcheidet 
Marchi fortificatione reale oder non reale (grand Royal und petit Royal). 
Danach richten fih dann die Grundmahße. Bei der fortificazione reale jollen 
die Flanken einer Front 1500° von einander entfernt fein. Die Länge einer 
Flanke betrage mindeſtens 105°, die einer Face ca. 275°. Die Breite des Wall- 
ganges jei 60, die Dide der Bruftwehr 27,5‘ Hinter dem Wall liege eine 70’ 
breite Straße und hinter diefer ein zweiter, tiefer und breiter Graben, deſſen 
Kontresfarpe ein Heiner Wal frönt. Die Anlage der Erdböjchungen betrage 
%5, die des Mauerwerkes der Höhe. — Die entjprechenden Maße der 
fortificagione non reale betragen eher mehr al3 weniger wie die Hälfte derer 
der f. reale. librigen® weicht Mari bei jeinen fpäteren Auseinanderjegungen 
vielfadh von diefen Grundmahen ab. 

Weiter ſpricht das erite Buch von Entwurf, Abſteckung und Bau der 
Feftungen. Unter den dabei nötigen Leuten gedentt er auch der Ärzte, die Luft 





808 Das XVI Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeitigung ꝛc. 


und Waſſer unterjuchen, der Priejter, die Gegend und Grundmauern fegnen, und 
der Sterndeuter, die den rechten Augenblid des Bauanfangs verkünden follen. 

Das zweite Buch füllt mit 84 Kapiteln 57 Seiten. Für die voll 
fommenjte Grundgejtalt einer Befejtigung erflärt Mari den Kreis, der 
von allen Figuren den größten Raum einſchließe. Je mehr Seiten das ein- 
bejchriebene Bieled erhalte, je jtumpfwinfliger aljo die Bajtione würden, um jo 
bejjer jei ed. Wie Tartaglia [$ 113] und Alghifi da Carpi [$ 115] empfiehlt Mardji, 
die Kurtine einwärts zu breden und im eingehenden Winkel eine Plattform 
anzulegen, deren Grundriß gleichgültig fei, die jedoch über die Kurtinenmitte 
höchſtens halb jo weit vorjpringen dürfe, als die Bajtione, damit jie den Flanken 
der legteren nicht im Wege jei. Als vorzüglichites Mufter eines Baftions 
erläutert er (noch im 1. Buche) das des San Gallo zu Rom. Um den Graben 
rajant zu beftreihen, bedarf es entweder der Kafematten in den Flanken oder 
der Anlage niederer Flanken, welche durd dide Orillond oder durch alloni 
(allone = Mondhof), d. 5. durd) halbfreisförmige Werte vor den Bajtionsfacen 
zu jhügen jeien. Marchi zieht nahe beifammenliegende Bajtione weitläufig 
gejtellten vor, weil jie zur gegenfeitigen Bejtreihung nicht jo ſchwere Kaliber 
fordern; um aber die Zahl der Bollwerte nicht allzugroß machen zu müjfen, ſoll 
man jie umfangreic; anlegen; das begünjtige auch ihre Verteidigung, weil fie 
dann viel Geihüg und Mannſchaft aufnehmen können. Jede Bajtionsface joll 
von einem Drittel der Kurtine ala Nebenflante bejtrihen werden. Kavaliere 
feien nur da zu errichten, wo es gilt, Anhöhen unter Feuer zu nehmen und 
die Enfilade zu hindern. Am liebjten jtellt Marchi fie hinter die Bollwerkskehle 
und gibt ihnen freisrunden Grundriß. Sie dürfen nicht höher gebaut werden als 
unerläßlich ift, und ihre Gejchüße haben ftet3 über Bank zu feuern. Die Auben- 
mauern jolcher erponierter Werte mögen mit Wollfäden behängt werden. 

Marchi ift ein Freund der Außenwerke (pontoni = Padjtühle, aus: 
fpringende Winkel): jowohl der revellini (Halbmonde und Kontregarden), als der 
pontoni riversi (Sceeren, Tenaillen), weil fie den Feind vom Hauptwalle ab» 
halten, Succur3 aufnehmen fünnen und Raum für Magazine und Vieh bieten, 
jowie die Anlage von Gärten gejtatten. 

In konjtruftiver Beziehung empfiehlt Mari lebhaft Futter— 
mauern von getrodneten Lehmſteinen, die er mit jehr diden Strebe- 
pfeilern und ziemlich ftarfer Abdahung baut. Sie werden mit hölzernen Ballen 
durchzogen, die vorne um etiwa Ya’ vorragen und hier eine mit langem Strob 
vermijchte Lehmtrufte tragen. Mauern ſolcher Art litten vom NWrtilleriefeuer 
weniger als jede andere und gäben nie gute Breſchen. Der Verfaſſer ift ein 
Gegner des Banketts; er will die Bruftwehr lieber niedrig, aber ſtark haben, 
damit möglichſt viel Geſchütz gleichzeitig über Bank feuern und möglidjt viel 
Musteten und Piten gegen den Sturm zur Verwendung fommen könnten. Sorg— 
fältige Vorfchriften gibt er bzgl. der gegen Leitererjteigung zu ergreifenden 
Mahregeln. — Sowohl die Wangen als die Sohle der Shiehjharten legt 
er getreppt an, um mit den Stufen feindliche Gejchofie abzufangen. Während 
geladen wird, ſchließt er die Scharten innen mit großen halbrunden Steinen, die 


2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 809 


fih in Bapfen drehen und von dem rüdlaufenden Geſchütz, mit dem fie durch 
Seile verbunden find, jelbjt vorgezogen werden. 


Merktwürdig find Maris Vorſchläge zu Kontreminen, welche das 
Feuer feindliher Minen derart ablenken follen, da es unfchädlich werde. Seine 
Kontreminen jtehen zugleich; mit Heinen Schießfuppeln (campane, Caponnieren) 
zur niederen Grabenverteidigung in Verbindung. 

Naſſe Gräben, zumal jolde mit Uuellwafler, zieht Marchi den trodenen 
vor; fie folen aber an der Feſtungsſeite tiefer fein al8 an der Feldfeite, damit 
das Wafler nie gänzlich abgezapft werden könne und damit die von den Wällen 
ftürzenden Trümmer in die größere Tiefe fielen und die Breſche minder erjteiglich 
werde. Aus demjelben Grunde jei bei trodenen Gräben die Cunette nicht in 
deren Mitte, fondern dit an die Edfarpe zu legen. Bor den niederen Flanten 
ſei ein feiner tiefer Graben in die Sohle des Hauptgrabens einzufchneiden. Ems 
pfehlenswert feien auch Gräben, die zur äußeren Hälfte na, zur inneren troden 
find. Beide Teile jeien dann durch eine wafjerdichte, frenelierte Mauer zu jcheiden. 
Nein trodene Gräben jeien unter Umjtänden auch durch Cavallerieattaden zu 
verteidigen, wenn man es nicht vorziehe, ihre Sohle mit loſen Steinen zu be— 
jhütten und dann aus den niederen Flanken zu rollen, womit man große Ver: 
berungen anrichten könne. — Bei naßen Gräben billigt Mardi Bermen, die 
er durch aufgejegte Bruftwehren zu Fauſſesbrayes ausbildet. 

Das Glacis ijt mit weißen Maulbeerbäumen zu bepflanzen, die überaus 
ſtark und breit wurzeln. Hält man ſie ein halbes Jahrzehnt lang furz, jo be— 
fördert man diefe Eigenſchaft noch und erjchwert dem Feinde die Erdarbeit außer— 
ordentlih. Der gededte Weg kann, ebenjo wie die Pontoni, unter Umjtänden 
Artillerieverteidigung empfangen. 


Zum dritten Buche gehören nun die berühmten 161 Fortifikations— 
zeihnungen, denen ebenjoviele Kapitel entjprechen. Am bemerkenswerteſten 
ericheinen folgende Runfte: Tafel 1. Eine Front mit zwei belvardi und einer 
piatta forma in Geſtalt eines jtumpfwinkligen Baſtions. Die Flanken der Boll- 
werfe bejtehen aus zwei auswärts und zwei einwärts gefrümmten Bogen, bon 
denen die der Face zunächſt gelegenen größer find ald die anderen. Die Abjicht 
diefer eigentümlihen Konjtruftion ift die, durch die fonveren Bogen das Drillon 
zu erjegen.)) — T. 2. Ein Fünfed mit Bollwerfswinteln von 72%. Die zurüd- 
gezogenen, von einem vieredigen Orillon gededten Flanken jtehen ſenkrecht zur 
Kurtine, don der ein Drittel etwa ald Nebenflante wirtt. In den Kehlen der 
Bollwerke quadratijche Kavaliere, welche über die Kurtine hinweg die Facen der 
nebenliegenden Bajtione bejtreihen. Vor der Mitte jeder Kurtine ein Kleines 
niedrige pontone (Ravelin), das die Hauptwerfe gar nicht dedt. Gededter Weg 
ohne Waffenpläge. Dies ift gewiffermaßen Marchis Normalbefejtigung. 
— T. 3. Sechseck nad) denjelben Grundfägen, doch mit Halbfreisförmigen Oril— 
lons, runden Kavalieren in den Bajtionsfehlen und ohne pontoni. — T. 4. Fünfeck 


1) Der Gedanke findet fich wieder bei Rozarb: Nouvelle fortification francaise (Nürn: 
berg 1731); Tafel VI u. a. 





810 Das XVI Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befejtigung ꝛc. 


mit runden Kavalieren mitten in den Bajtionen und vieredigen mitten auf den 
Kurtinen. Wohnkaſematten auf der Binnenjeite des Wallgangd. Die Kavaliere 
halten auch den Stadtraum unter euer. — T. 5. Biered mit weitvorjpringenden, 
jcherenartigen Doppelbajtionen. In jedem Vor-Bajtion ein runder Kavalier; 
Vorder» wie HintersBaftione mit frenelirten Kehlmauern gejchlofien; nur die 
inneren Flanken fajemattiert. Im Zentrum des Stadtraumes ein gewaltiger 
runder Kavalier, der über die Wälle ins Feld jchlägt. Den Gedanken der Doppel: 
bajtione, die aus einem Hinteren abgejchnittenen und einem vorderen vollftändigen 
Fünfecke bejtehen, jchreibt Marhi dem Giovanne da San Gallo zu und variiert 
ihn auf anderen Tafeln noch mehrfach. Er Hält diefe Form beſonders deshalb 
für ftart, weil jede vordere Face von zwei Flanken und zwei Facen des anlie- 
genden Bollwerfes, von der halben Kurtine und deren Klavalier verteidigt werde, 
jo dab der Feind erſt alle diefe Linien zum Schweigen bringen müffe, bevor er 
den Grabenübergang wagen dürfe. — T. 8. Zwei befejtigte Achtecke inein- 
ander. Zwiſchen dem Graben der inneren Feſtung und dem Wall der äußeren 
liegt nur eine ſchmale Straße. Die Flanken der äußeren Bajtione find über die 
breiten Wallgänge der Curtinen derart fortgejeßt, daß 16 Abjchnitte in der Um— 
wallung entjtehen. Bon diefen verlängerten Flanken aus fann man fomohl 
hinter dem nächſten Bollwerk vorbei in das dritte folgende jchiehen, ald auch den 
auf die innere Feſtung losgehenden Feind von beiden Seiten unter Feuer nehmen. 
Diefen Gedanken einer Doppelfejtung bringt Mardi mehrmals.) — Die Tafeln 
12, 14 und 18 zeigen nad innen gebrodene Kurtinen bei jehr jpigen 
Bollwerkswinkeln (35—30% Marhi lobt an den fpiten Bajtionen die 
langen Flanten und großen Nebenjtreihen, die Schüffe im Rüden der Brede 
unter großen Winkeln, die Möglichkeit mehrerer Abſchnitte auf der langen Kapitale 
u. j. w. — T. 16. Siebened mit Doppelwall. Hinter der Kurtine des 
Hauptwalls laufen wieder Graben und Wall. Leßterer jpringt hinter den Boll 
wertäfehlen in Halbfreifen nah innen vor. — T. 21. Biere mit fpigen, weit- 
vorfpringenden Kontregarden vor den Bajtionen und jehr ftumpfen, breiten 
Ravelinen vor den Kurtinen. Wo die Gräben der Raveline auf die Kontre— 
garden treffen, liegen in den legteren niedere Gejhügp-Emplacements". 
Den Spigen aller Werte jind erhöhte, bonnetartige piazze d’artigleria aufgejeßt. 
— T. 39. Eine Meine Zentralfeftung wird von vier noch Ffleineren bajtio- 
nierten, vorgejhobenen Bieredsjhanzen umgeben, die untereinander durd 
Zwijchenwerfe verbunden find. Der zwijchen dem BZentralplag und den umliegen: 
den Werten befindliche Raum dient zur Aufnahme, einer lagernden Armee. Andere 
Tafeln variieren denjelben Gedanken.) — T. 41 jchlägt gegen Enfilade aus hoc 
gelegenen Angriffsbatterien Traverjen auf den Wällen vor. — T. 51 und 52 


1) Er ift fpäter auch von anderen aufgenommen worden. 

”) Es find die places basses bes Blondel [XVIIb. 8 93). 

) Er findet fi wieder bei v. Borgsdorff: Beieftigte Stühe eines Fürſtentums (Nürnberg 
1687) mit ber Bemerkung, es jei etwas Neues, dergleichen nad Wifien bes Verfaſſers der Welt noch 
nie vorgefommen. In der Tat braucht Borgäborff die Jdee nicht dem Marchi entlehnt zu haben ; fie 
fiegt ſehr nabe. 


2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 811 


bringen Kombinationen freijtehender, runder Batterietürme, die an 
Dürer erinnern, zur Hafenficherung durch weittragendes Feuer.) — Die Tafeln 
53 und 133 zeigen Bollwerte mit je drei hintersund übereinander 
liegenden Flanken. Die Hintere Hälfte der beiden unteren Flanken ijt übers 
wölbt; nad) vorn aber find die Batterien ſämtlich offen. Mari legt auf dieje 
feine Erfindung befonderen Wert. — T. 57 jtellt die Berteidigung eines Hafens 
durch vier felbitändige Nedouten dar, welche einander an den äußeren und 
inneren Seiten bejtreihen.*) — T. 74 zeigt Bollwerfe, um die ſich je ein barba- 
cano, d. 5. eine Fauſſebraye zieht, die durch einen bejonderen, womöglid) 
nafjen Graben im Hauptgraben fturmfrei gemadt ift. Um den Graben nod 
befjer unter euer zu bringen, liegt gegenüber den Bajtionsipigen im ausſprin— 
genden Winkel der Kontresfarpe je eine jegmentförmige Kaſematte.) — T. 75 
bringt ein auf jehr jtarfe innere Verteidigung eingerichtetes Fünfeck. Die Boll: 
werfe jind dur Wall und Graben von dem Hauptlörper der Befeftigung ge= 
trennt; es find Doppelbajtione, die in ſich wieder zur AbjchnittSverteidigung 
eingerihtet und in der Weije zur Zerjtörung vorbereitet find, daß unter dem 
Ktehlwalle wie unter der in der Bajtiongipige angebraditen piazza d’artigleria 
Minen liegen, mit deren Hilfe das Bajtion, nachdem es genommen, in die Luft 
gefprengt werden fann. Eine ähnlihe Anlage zeigt T. 77. — Die Tafeln 79, 
85 und 100 jtelln barbacani dar, weldhe um die ganze Feſtung 
laufen. — Auf T. 91 liegen vor den fleinen Bollwerfen eines Sechsecks völlig 
[o8Sgelöjte, niedrigere pontoni in Geſtalt langgejtredter Baftione, deren 
hintere Hälfte zu Kajematten gejentt ift, und die jich jowohl untereinander ver— 
teidigen als von der zurüdliegenden Feſtung beherricht werden.*) Zwiſchen den 
detachierten Bollwerken ijt der Graben natürlich von ungeheuerer Breite. — T. 99 
bringt ein Beifpiel des jchon erwähnten halb trodenen, halb najjen Gra— 
bens>), fowie die Einrihtung permanenter Abſchnitte Hinter der Kehle jedes 
Bollwert3 durch Halbkreisförmige, fajemattierte Wälle. — T. 101 gewährt das 
merkwürdige Beijpiel einer reinen Bolygonalbefeftigung. Es ijt ein 
Sechseck, dejlen Winkel zu Kavalieren erhöht find, während in der Mitte jeder 
Seite eine vieredige, fajemattierte, vorjpringende Plattform liegt, die als Capon— 
niere wirft. Etwa 450 Fuß vor den Eden erheben ſich aus dem nafjen Graben 
mächtige fafemattierteRundtürme als jelbjtändige Forts. — T. 111 
zeigt vor der Kurtine ein barbacano mit zwei den Hauptflanfen gleichlaufenden, 
furzen Flanken und zwei kurzen Facen, die in der Verlängerung der Hauptfacen 
liegen: offenbar das Prototyp von Vaubans Tenaillen im Graben (Graben 


1) Der Marſchall von Sadjen nahm im 18. Ihdt. diefe Idee wieder auf. 

2) Denjelben Gedanken führte jpäter Bandsberg näher aus in feinem Projet d’une citadelle 
confronte contre celle de Lille (Hag 1714). 

2) Diefe Stajematte erjegt Mari auf anderen Tafeln (77, 85, 155) durch Heine Redouten 
Auch dies findet fi bei Landsberg wieber. 

* Die Flanken diefer detachierten Baftione jtehen ſenkrecht zur Face, wie in dem jo viel ange 
fochtenen Trace des Erarb be Bar le Duc. 

5) Dies Prinzip bat Belidor in jeiner Architecture hydrolique (Paris 1737), 2. Zeil, 
2. Band, näher auseinandergeiegt. 


812 Das X VI. Jahrhundert. IV. Die Wifjenihaft von der Befejtigung zc. 


iheren). — Sehr große Ähnlichkeit mit Vauban'ſchen Tracks zeigen endlich die 
Tafeln 122, 141 und 125: bier Haben die Baitione runde Orillon® und 
zurüdgezogene, gefrümmte $lanten; ja auf 125 finden fih jogar die 
Brijuren. — Interefjant ift auf den Tafeln 119 und 133 die Anbringung von 
Ausfallsjtufen an der Kontresfarpe!) und in der Einleitung zur 
Erklärung der 123. Tafel die Erwähnung des Ricochettſchuſſes. — Tafel 158 
bringt Galerien in der Kontresfarpe zur niederen Grabenver- 
teidigung. ?) 

Das vierte Bud Marchi's gibt jeine gedrängte Darjtellung der Artillerie, auf 
die Schon früher [$ 61] Hingewiejen worden ift. 

Bei der unermeßlichen Mannigfaltigfeit der Vorjchläge Maris 
— nennt er ſich doch jelbjt den Erfinder von 161 verjchiedenen Be 
fejtigungsmethoden — darf man von einem „Syitem Maris“ na— 
türlich nicht reden. Hauptmomente, welche jich in der Mehrzahl 
jeiner Borjchläge wiederfinden, find aber: die Verkürzung der Kurtinen 
und die gegenjeitige Bejtreichung der Baſtione, welche geräumiger 
nnd weiter vorjpringend angelegt werden als bisher — aljo die 
Durhführung (wenn auch noch nicht Vollendung) eines wirf- 
lihenBajtionärtraces im Öegenjaß zu der bisherigen Befejtigung 
mit Bajtionen, in der dieſe unter Umständen auch durch andere 
Flankierungswerke erjegt werden fonnten. Demnächſt iſt es die Ent: 
widelung der Außenwerfe, in welcher Marchi Epoche madt 
und bet welcher er einen Formenreichtum zum bejten gibt, der Den 
zufünftigen Erfindern eigentlich nicht8 mehr übrig gelajjen hat. — 
Da die Franzojen lange Zeit geneigt waren und es 3. T. jogar heute 
noch find, das Bajtionärtrace als ein wejentliche® Erzeugnis des 
franzöjiichen Geijtes in Anjpruch zu nehmen, jo waren ihnen gejchicht- 
liche Erjcheinungen wie Marchi und Spedle jtetS ein Dorn im Auge, 
wovon Meaffei in jeiner Verona illustrata?) eine ergößliche Anekdote 
zu erzählen weiß: 

„sm Jahre 1701 reiten zwei gejchidte franzöfiihe Ingenieurs von der in 
Piemont ftehenden Armee nad) Turin, um den berühmten Ingenieur Bertola 
fennen zu lernen. Als fich ergab, daß diejer fein Franzöſiſch verjtehe und niemals 


ı) Diefen Gedanken entwidelte jpäter b’Azin weiter in feinem Systeme nouveau de la 
maniere de defendre les places (Paris 1731). 

2) Diefe finden fi bei d'Aazin, Blondel, Eoehorn u. a. wieder. Spuren einer jolden 
Anlage zeigt übrigens ſchon das im legten Jahrzehnt des 15. Ihdts. erbaute Schloß Saljad. (Bal. 
Jähns: Handbud, ©. 1170.) 

2) Bol. „Des Marcheſe Maffei Beweis, daß bie neuere Befeftigungsfunft in Jtalien erfunden.“ 
Aus deſſen Verona illustrata (1731—32), P. III, ce. 5., vom Prof. Geuß und Hauptmann Witer ver: 
deutiht. (Böhm! Arch. III, ©. 139 ff.) 


2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 813 


Italien verlafjen habe, jtaunten die Franzojfen: wie es möglich fei, dab jemand 
unter jolhen Verhältnifien irgend etwas in der Befejtigungsfunjt leijte. Ihrerſeits 
entſchuldigten fich die Franzojen, daß fie nicht ordentlich italienisch verjtünden, 
und num verwunderte ſich Bertola: wie man habe das Ingenieurfach ftudieren 
fönnen, ohne des Italienischen mächtig zu fein. Endlich fam man überein, daß 
jeder jeine Mutterjpradhe reden jolle, und die Franzoſen fragten zunädjt den 
Turiner nad) feiner Meinung über Bauban und deſſen Baumweije. Bertola, ein 
Freund des Scherzes, tat, als ob er den großen Ingenieur gar nicht fenne. 
Spöttifch lächelnd blidten ſich die Franzoſen an, beeiferten ji) dann aber auf 
Bertolas Bitte, ihn mit den Inventionen Baubans bekannt zu machen. Sobald 
jie ihm nun einen Gedanken erläuterten, der in Frankreich für neu galt, disfutierte 
der Jtaliener das Für und Wider, wie einer, dem dieſe Dinge geläufig find, 
fangte dann aber aus jeiner Bücherei ein Werk, aus dem er ihnen nachwies, daß 
dergleihen in Jtahen befannt, ja ausgeführt gewejen, bevor Bauban aud nur 
geboren war.“ — „Bir eradten es gar nit für unwahrſcheinlich“, fügt ein 
neuerer Wiedererzähler diejer Anekdote Hinzu, „daß Meijter Bertola, als er feine 
franzöfiihen Beſucher ärgern wollte, nur des Mardi Folianten vom Bücher: 
gejtell zu nehmen braudte, um alle Einzelformen der baftionierten Front und 
ihrer Außenwerke, wie Bauban fie angewendet hat und die meiften Franzofen fie 
für Vaubanſche „Inventionen“ gehalten haben mögen, aufzuzeigen.”") — Troßdem 
dürfte es doc) jehr bedenklich jein, den großen Bauban für einen Plagiator an 
Marchi zu erklären, und das jchon von Winkelmann gefannte Märchen, Bauban 
habe jedes Eremplar der Archittetura militare, dejien er hätte habhaft werden 
tönnen, aufgefauft, um jo die Quelle feiner Jnventionen den Konkurrenten und 
der Kontrolle zu entziehen, iſt unzweifelhaft eben — ein italienijches Tendenz— 
geſchichtchen. — Unmittelbar nad) dem Erjcheinen von Maris Wert hat es in 
dem Franzoſen Manejjon Mallet [XVIIb. $ 82], bereit3 einen entjchiedenen 
Verurteiler gefunden, dem jich 1680 fein YLandamann Bernard in der »Nouvelle 
manière de fortifier les places« im wejentlichen anjchloß ; während ein Italiener, 
Ercole Corazzi, mit jeiner Schrift L’archittetura di Francesco Marchi 
(Bologna 1720) al$ Verteidiger auftrat. 


Außer der beiten Handjchrift von Marchis Hauptwerk bejigt Die 
Magliabechiana (jest ein Teil der Nationalbibliothef in den Uffizien 
zu Florenz), von der Hand des Meijter® auch noch Piante di- 
verse di cittä e fortezze: 185 Zeichnungen von Städten und 
Feitungen, vorzüglich Italiens. 


Ein einfaches Plagiat an Maris Werk ijt diejenige fortififa- 
torische Arbeit, welche gewöhnlich als die ältejte niederländiiche Ver— 
öffentlichung über Befeitigungsfunft bezeichnet wird, nämlich: „Form 


1) General Schröder: Zur Entmwidelungsgeih. des Baftionärjuftems. (Arch. für Urtillerie 
und Ingenieur-Dffiziere. 84 Bd. ©. 196.) 


814 Das XVI. Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befejtigung ꝛc. 


und weis zu bauwen, Zimmern machen und auff zu richten, mit 
Blochheujern, Graben und wallen und auch jonjten zu jtarden allerley 
wehrliche vejtung, Schlöfier, Burgen und Stedt. Dienjtlich und nut- 
[ich wider allen einfal, gewalt und vberlajt des feindt und heeres- 
fraft in friegsleuften und anders ſich zu beichugen, bejchirmen, Es 
jey gleich mit Erden, holt, gebachnen jteinen oder mit ausgehaumnen 
wehrlichen veljen oder bergen. Alles nach gelegenhaitt der Matert, 
natur der länder und orter. Wie man fie dann zu unjeren Zeitten 
zum alleramjtlichiten ficherjten macht und braucht; (Folgt derjelbe Titel 
in franzöfijcher Sprache). A linstruction et utilit6 des Amateurs 
d’Architecture. Mr. Hans van Schille Ingenieur et geographe 
inuentor. (Antwerpen 1573. 1580.)!) 

Das Werk bejteht in 14 Yoliotafeln ohne jede Bejchreibung, welche ver: 
fchiedene Befejtigungsmanieren in jchiefer Parallelprojeftion darjtellen. Elf diejer 
- Zeichnungen ftimmen, wie [hon Marini [S. 806] bemerkt hat, mit Entwürfen Mardis 
genau überein (1 bei Scille = 21 bei Mardi; 2— 9, 3 — nahezu 3, 4 = 13, 
5 — 57 und 91, 6- 15, 7 7, 8 = 800, 1=4, 12 = 16, 13 = 10). Man 
fönnte nun zweifeln, ob Schille von Mardji oder leßterer von jenem entlehnt 
habe; aber da Maris Werk jeit 1545 im mejentlihen vollendet war und es 
fejtiteht, dab er dasjelbe (u. zw. ohne Tert) vielfach mitgeteilt hat, da ferner die 
drei, nicht bei Marchi vorhandenen Zeichnungen Schilles gar nichts Befonderes 
bringen, den meijten Blättern aber jeltjamerweife römijche Maßſtäbe beigegeben 
find, jo darf man wohl behaupten, daß Scille den Mardi fopiert, rejp. deſſen 
Projelte aus der orthographiſchen in die fchiefe Parallelprojeftion überjegt hat. 
Daß er fi) trogdem »inventore nennt und Marhis feine Erwähnung tut, er- 
ſcheint nicht lobenswert. — Amiüjant iſt es übrigens, da dieſes jtumme, tertloje 
Bud doch dreifpradhig iſt; denn der Titel ijt Hochdeutic und franzöfiich gemiſcht; 
die Maßbezeihnungen der einzelnen Pläne aber find in niederdeutiher Sprache 
erläutert. 


8 117. 


Nur em Jahr nachdem des Grafen Reinhart zu Solms, i. 3. 
1535 gejchriebenes fortififatorisches Werf veröffentlicht worden war, 
aljo 1557, verband Leonhard Frönsperger mit der Herausgabe jeines 
bereit8 bejprochenen Buches „Won Geſchütz und Feuerwerk“ 8 47), 
„das ander Buch) Bonn Erbawung, erhaltung, beſatzung vnd 
provantirung der wehrlichen Beuejtungen, wie fich aud 
darinn mit allerley munition, rathichlägen, betrachtung des vorraths, 


ı) Ein Eremplar in der Kgl. Bibl. zu Berlin. (H.y.25, 100.) 





2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 815 


Geſchützs und Kriegsuolds vor vnd in den nöten zu halten vnd zus 
fürjehen.” — Das Buch) jteht im Wejentlichen noch auf dem Stand- 
punfte jener „Kriegsordnungen von bejagung der Schlöjfer“, deren 
Elajjiiches Borbild das Werf Michael Ottens und Jacob Preußens 
war [S 12]; nur geht e8 in jeiner eriten Hälfte näher auf die eigent- 
liche Baupraxis ein und iſt hier offenbar vorzugswetie von Solms’ 
Werf, weniger von einigen Dürerjchen Neminiscenzen beeinflußt.) 


E3 beginnt mit „Erwägung vnd bedenden, was maſſen die 
wehrliden Veſten ond Gebew zu bawen fürzunebmen fein.“ 
Frönsperger empfiehlt, mit jorgfältiger Aufnahme des Plages und genauem Ent— 
wurfe der Werfe zu beginnen. Er unterjcheidet drei Arten von Feſtungen: die 
erjte „wirdt gebawt durch die Steinfelfen vnd gemämwren“, die andere „mit Be— 
ihüttung, Tämen oder Wählen, vnd follen die wähl mit guter, vejter, laimiger 
Erden, darunter reißholg gehadt gebawt werden; die dritte Veſte wirdt durd) 
waſſergebew gemadt.“ Frönsperger ijt ein Gegner der gewölbten Batterien, 
deren Scharten unbequem und deren Raudhabzüge ungenügend feien. Erdbauten 
widerjtehen dem Geſchützfeuer am beiten, haben aber eine geringere Sturmfreiheit 
als Mauerbauten, find „nit wehrlich vnd veſt“. Vom höchſten Werte ijt die 
Nahverteidigung „auß den creug vnd jtreihwehren“ und die gute, gegenjeitige 
Verteidigung der Werke, „aljo daß fie in allen Rundelen, Bolwerden, Bajteyen, 
Thoren vnd Thürmen vleißig auff einander vnd zujamenjagen.“ Dabei jei auch 
auf gegenjeitige Überhöhung zu rüdfichtigen: „Es jollen die Vejten mit guten 
bejchütten wällen, jo aus Erden gebawt, wol verjehen jein, allwegen ein wahl 
höher dann der ander, vnd zwijchen einem jeglihen wall ein guter tieffer waſſer— 
graben, alfo da allwegen von dem hinderjten vber die vörderiten gejchofjen mag 
werden. Sölche wäll jollen auß dem grundt mit guten mawren bewart werden... 
Sole hohe vnd öbere wehren erfordern ſchießlöcher mit guten prujtwehren.“ 
Gegen Überhöhung vom Außengelände her habe man ſich dur Traverjen zu 
deden, „durch zwerch vnd ftreichwehren, damit nicht Tiederlich darein zujehen vnd 
zu ſchießen.“ Die Tore jeien nicht in gerader Linie hintereinander zu legen, 
„jondern ſchliembßweis (jchief), damit nicht in einem ſchuß durch alle Thor ge— 
ichoffen wird.“ Sämtliche Werke müfjen untereinander gut verbunden fein, „daß 
man des nädjten dur haimliche weg vnd gäng auff ein höhere wehr fommen 
mag.“ Seltjam ijt die Vorjchrift, dab „in einer Befagung blinde Gebew follen 
gebawt werden, daß der feindt jein puluer vnd fugeln vergeblich verſchieß“, und 
natürlich dürfe es auch nicht an „haimlihen ſchieß vnd ſtreichwehren“ fehlen. 
Der Abſchnitt ſchließt mit den Worten: „Wehe dem Herrn, der einen Baw führt, 
vnd die Lehrjungen daran zu Maiſtern leſt werden!“ 

Demnächſt handelt Frönsperger davon: „Wo ein Veſten vor langem 
gebawet vnd dieſelb in mitlerzeit durch belägerung zu der gegen— 
wehr würde gedrungen, wie ſich alsdann jetzigerzeit mit bawen oder 


1) Bücherei bes Berliner Zeughauſes. (A. 208.) Auch im Beſitze des Verfaſſers. 


816 Das XVI. Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeitigung ꝛc. 


abbredhung der gebew zu halten.“ Der Verfafier Hat hier die fortifitatorifche 
Armierung einer älteren Befeftigung mittelalterlihen Stil® vor Augen. Er rät, 
die dem Fernſchuſſe allzujehr ausgejepten hohen Türme und Kamine, namentlid 
aber alle hohen Holzbauten, zu entfernen und fi) von langer Hand her mit guten 
Dedungsmitteln, „Schangtörb, Katzen vnd was dergleidhen Bolwerd ſeien“ zu 
verjehen, „damit erden vnd miſt zeitlich eingefült werde; dann jhe eher ein Schantz— 
forb gemacht vnd eingefült ijt, jhe beſſer vnd nüglicher er ift.“ Steine, Erde und 
Mijt jeien fleihig zu fammeln; namentlich hüte man fi, den Mift vor die Feſtung 
zu werfen; vielmehr fei er „mit dem, jo noch weiter gemacht wirdt, darin zu be 
halten“; denn er fei jehr nüglihd. Kommt es dann zur Belagerung, jo erbaue 
man gute, beweglihe „Phochheuſer“, um fie als proviforiide Dedungd- und 
Defenfionsanlagen an gefährdete Stellen zu bringen, wobei jie entweder paſſiv 
verwendet und dann mit Erde und Mijt ausgefüllt werden, oder als Streich— 
wehren, mit Schüßen und Hagelgeihügen ausgerüjtet, hinter Toren oder zur 
Flankierung von neuen Abjhnitten in Wirkſamkeit treten. — Es ijt das ein jehr 
origineller, guter Borjchlag, der nirgends bei den Jtalienern begegnet, unzweifel— 
haft aber überlieferter deutjcher Praris entiprang und Beachtung verdient. 

Hiernad wirdt vernommen, zu was jchaden die wehrliden 
Veſten raihen. Diefer Schaden bejtehe darin, dat „an feinem ort fi mehr 
frieg vnd vnfried begebe, dann wo die großen Veſten“ Tiegen. 

Ein bedenden über ein Baw. (Im wefentlihen furze Zujammen- 
fafiung der im 1. Abjchnitte gemachten Forderungen für den Baumeiiter.) 

Wie fih in einer Beſatzung mit der Prouant zu halten. TDar- 
legung, wie man zu bedenten, „ob die Beſatzung mit allerley ſpeyß, auch mit 
waſſer zu trinten, kochen, waſchen vnd prunjtlöjchen verjehen jey.“ Womöglich joll 
ein geeigneter Plaß zur Weide von Tieren vorhanden fein. Aucd das „Gemwürg“ 
für Heiltränfe ijt nicht vergefien. 

Bann ein Beſatzung durd belägerung zum Sturm gedrungen 
wirdt, wie fih alddann mit der gegenwehr zu halten. Gmpfoblen 
wird der Gebrauch ſchwerer Handbüchſen (Wallbüchſen) „ungeuerlih zweyer finger 
weit“, dann Hagelgeſchütz mit Heinen Kugeln, 40 aufs Pfund, Orgelgefhüg und 
Büchſen, die „mit Filing oder andern fteinen geladen werden“ u. ſ. w. Auch die 
uralten Mittel des Steinwerfens, der Sturmgabeln, Sturmfäſſer, Stolperräder, 
Fußangeln u. dgl. mehr, werden in Erinnerung gebradt und noch Nachdrud auf 
das Vorhandenfein von Gießlöchern (Madjicoulis) gelegt. „Item, wo man anbebt 
zu beſchießen, joll man gute vejte eingefüllte Wollenjäd für die Mauren hängen.“ 
(Auf diefe Art hatte Michel Angelo die Kirhe San Miniato bei der Belagerung 
von Florenz glüdlich gejichert.) 


Hiernad wirdt von den Fewrwercken angezeigt, auch wie die— 
felben in einer Beſatzung zu gebrauden. Handelt von der Stadt 
beleuchtung, dem Feuerwerfen, den Leuchttugeln, den Sturmbrügeln und Sturm: 
frügen zur Brechverteidigung und von bronzenen Granaten. 

Bann fih ein Fewr in giner Beſatzung erhebt, wie diejelbigen 
mit vortheil zu löjhen. — Teuerordnung. Der Löſchmannſchaft wird der 


2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 817 


Gebrauch ſtarker Tartihen empfohlen, weil nah dem Brandplag gewöhnlich heftig 
geihofien wird. 

Bonn Wach vnd Huth, wie die in einer Bejagung mit aller gelegenheit 
zu bejegen. — Bejtellung des Wachmaijterd. „Der Wacht ijt niemands, er jey 
hoch oder niders ſtands, gefreyt oder vberhebt.“ Behandlung der Wachtzettel. 
(Einteilung in drei „Laden“: der Edlen und Raifigen, der Landsknechte und Hofe 
gefinde, der Handwerker und Bauern.) Einteilung der Wachtſtunden in Borwadt, 
Taghuth und Nachtwache. — An der Waht find auch Tiere zu beteiligen: auf 
dem Wafjer Schwäne und ſonſt Pfauen, Aglajter (Eljtern), Hunde und Fröfche, 
von denen leßtere nicht durch Schreien, jondern durd) Schweigen die Annäherung 
melden. 

Ein guter Anfhlag in einer Befagung, wann diejelb nit 
mehr für den geinden zu erhalten, wie ſie joll mit gutem fug auffgeben 
werden. — Eine fajt wörtlihe Wiederholung der betreffenden VBorjchriften des 
alten Ottſchen Kriegsbuches. [S. 484.) 

Waſſerley Gejhüß, Buluer, fugeln oder andere munition in 
einer Bejagung von nöten. — Frönsperger warnt vor dem Gebrauch allzu— 
großer Kaliber wegen ded übermäßigen Munitionsverbraudes und des „erd- 
bidemens* (Erdbebens), das oft Schaden tue. Im übrigen bringt der Abjchnitt 
nicht3 Neues. 

Was in einer Bejagung in ein Zeughauß follverordnet werden. 
Auf jede „Lätze“ (Feitungswerf) joll bejtimmtes Material angewieſen jein. Das 
Fulver ift an verjchiedenen, möglihjt weit voneinander entfernten Orten aufzus 
bewahren. 

Wie in einer Bejapung mit dem Kriegsuolck zu handeln — 
Wenn alles in Ordnung iſt, joll an die Gejamtheit die Aufforderung gerichtet 
werden: falld einer nod) etwas Beſſeres wiſſe, es mitzuteilen und vorzujchlagen. 

Der Artilelbrief, die Gebühren des Oberften und der Ämbter. 

Was einer Befagung von Perſonen tröftlidh und nötig. Im 
wejentlichen die alten Ottſchen Beitimmungen. „Aller vberfluß der jungen Buben 
vnd Frawen perjonen foll, „um vielerley vnzucht, gezänd vnd eyffer der Weiber 
zufürzulommen, hinmweggetan werden.“ 


Bon den Kriegsrechten, aud ordnung vnd gebräuden. „Alle 
geflöhente Hab vnd Güter, fo in einer Bejagung, jollen diejenigen, jo es zugehört, 
vmb den dritten theil des werds don dem Kriegsherrn wieder löjen; es wäre 
denn einer oder mehr, jo ihr Leib, hab vnd gut in der Beſatzung hätten, dem 
joll der Kriegsherr jein Hab vnd gut umb den fünfften theil des werds wider 
(aus nadjfolgenden vrſachen) zu ftellen: Dann fo die Feindt wifjen, daß groß hab 
vnd gut in ein Beſatzung geflöhnt ift, jo hengt alsdann das Kriegäuolf alles ihr 
vermögen daran, damit die Beſatzung erobert werde.” — Dieje Beitimmungen 
jind jehr merkwürdig! 

Ein Bedenden, darin angezeigt, was für ein ungöttlid vnd 
grewlid, aud ſchädlich werd umb das friegen jey, hebt hervor, wie 
iehr der Krieg durch „das grewlich Geſchütz“ an Mannheit und Tapferfeit ver— 

Jähns, Geicichte der Kriegswiſſenſchaſten. 52 


818 Das XVI. Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befejtigung ꝛc. 


loren, und erklärt, daß, wenn jeit mehr als 30 Jahren feine „auffrichtige Schlacht 
beſchehen“ jei, dies daran liege, daß die Leute jegt nur „von guts und gelts 
wegen“ in einen Krieg ziehen und ein „Zeuffliich leben“ führen. Die Zuftände, 
welche Frönsperger hier um die Mitte des 16. Ihdts. andeutet, jind jchon ganz 
diejenigen, welche das Lagerleben des dreigigjährigen Krieges kennzeichnen. 

Ob einem Herrn zu friegen zu rathen jei oder nit. ine Um— 
ichreibung des Anfangs der gereimten „Ler Kaijer Marimilians“ [XV. 8 37), in 
Proſa und mit etwas „Gelehrſamkeit“ aufgepußt. 

Dieje übrigens recht tüchtige Arbeit Frönspergers jteht in großem 
Gegenjage zu einem Werfe wie das des gleichzeitigen de’ Mardı. 
Während der letere jich gar nicht genug tun fann in immer neuen 
Kombinationen „ingenieujer“ Grundrifausgejtaltungen, lehrt der deutjche 
Kriegsmann vor allem den Dienit, die Tagespraxis, und gönnt jo- 
gar den politischen und moralischen Betrachtungen einen fajt eben jo 
breiten Raum wie den Bau-Anweiſungen. Oegenüber dem Baitio- 
närjyjtem aber lebt Frönsperger noch in einem, man möchte jagen, 
glüclichen Stande der Unjchuld; er führt die alten deutjchen Über- 
lteferungen ganz jtill und ehriam fort. 


Einen kurzen handjchriftlichen Traftat „von Belagerungen“ 
bejigt die fol. Bibliothek zu Dresden (EC. 452). 

Er handelt in wenig bedeutender Weife: Vom Schantzen, von dem Vnder— 
graben, vom Beihiehen und von dem Sturm. 


g 118. 


Der Glanz der großartigen Befejtigungsarbeiten in Italien, das 
Kriegsgetümmel, welches dies Land bis zum Frieden von Chäteau 
Cambreſis (1559) erfüllte und jene Ingenieure immer aufs neue mit 
den Kriegsführern der Nachbarftaten in Verbindung brachte, endlich 
der weltmännijche und Fünjtleriiche Schliff, welcher dieje italientjchen 
Baumeijter auszeichnete, hatten zur Folge, daß nicht nur daheim, 
jondern auch im Auslande, zumal in Frankreich, in Spanien und in 
den Niederlanden, faſt alle bedeutenderen Fortififationsarbeiten Ita— 
(tienern übertragen wurden. Dies förderte jowohl die Ausbreitung 
des italienischen Befeitigungsitils, alfo jet der jog. „neueren italte 
nischen Befeitigungsmanter“, wie deren wiljenjchaftliche Behandlung, 
und demgemäß Hat die zweite Hälfte des 16. Ihdts. eine bedeutende 
Zahl nennenswerter italienischer Schriftiteller über die Befeſtigungs— 
kunſt aufzumeijen. 


2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 819 


Im Jahre 1554 veröffentlichte Ruscelli des Zanchi Abhandlung 
Del modo di fortificar le citta, welchen dann de la Treille ins 
Franzöſiſche übertrug (Lyon 1556). — Der als Braftifer wie als Theo— 
retifer gleich ausgezeichnete Kanteri behandelte in jeinen Dialoghi 
del modo di disegnare le piante delle fortezze (1557) Die 
Fortifikation jtreng unter dem rein mathematiſchen Gejichtspunfte, 
während er in den Due libri del modo di fare le fortificatione 
di terra (1559) den alten deutjchen, von della Valle vorgetragenen 
Überlieferungen de8 Erdbaus unter Mitbenugung von Holz und 
Reiſig jorgfältige Behandlung zuteil werden ließ. — Die erite rein 
ſchulmäßige Unterwerfung in der neuen Bajtionärbefeitigung unternahm 
wohl Puccini in jeiner Fortificatione. (Wutograph von 1558 in 
den Uffizien. XIX. 9. 18.) — Diejelbe Hinneigung zum Erdbau, 
welche bei Lanteri hervortritt, offenbart ſich auch in dem jehr be 
merfenswerten und inhaltreichen Werfe Della fortificatione delle citta 
di G. Maggi e del capitan I. Castriotto (1564), das leider nicht 
verdeutjcht worden tjt, während diefe Ehre den Dell’arte militare 
libri cinque des Girolamo Cataneo zuteil geworden iſt. 

Dies Werk, welches 1584 zu Brescia erſchien, iſt die Vereinigung zweier 
älterer Arbeiten, nämlid) de® Libro nuovo di fortificare (Brescia 1564) und des 
Nuovo ragionamento del fabbricar le fortezze (Ebd. 1571); Rüger hat e8 
als des „Hieron. Cataneos Neu Gefpräd, wie man Beftungen bauen 
ſolle“, überjegt. (Eifenad) 1606.)9 Das erjte der vereinigten Werke befindet jich 
in einer dem Grafen Lodron gewidmeten, jehr eleganten Handfchrift (Brescia 1563) 
in der Bibliothef Hauslab-Liedhtenjtein zu Wien. Dies Manuffript weicht in 
einzelnen Punkten von dem Drud von 1567 ab. Die Arbeit bejchäftigt fich be- 
jonders mit dem Belagerungsfriege und der Yagerbefeftigung, bietet 
aber auch mandes Wertvolle über Marjchtaftif und verbreitet fich endlich ein- 
gehend über die Essamini de bombardieri. — In dem zweiten Buche ift einer 
der bemerfenswertejten Punkte Cataneos Behandlung des gededten Weges, den 
er verbreitert, in den aus- und eingehenden Winkeln mit Waffenpläten ver- 
jieht und ihm dadurch wejentlich diejenige Einrichtung gibt, welche dies Werk noch 
heute hat. Die Darjtelung der Belagerung, die der Berfafler bietet, zeigt den 
Angriff nod auf die Kurtinenmitte gerichtet und die Batterien des Angreijers 
auf hohe Terrafjen gelegt, um von dort aus mit direftem Schuß auf das Fejtungs- 
innere zu wirfen, in das die Angriff3-Hochbauten volle Einficht gewinnen müjjen. 

Carlo Theti oder Tetti (Detti) aus Nola hat jich einen be- 
deutenden Teil jeines Lebens in Deutjchland aufgehalten. Wir finden 








1) Herzog. Bibl. zu Gotha. (cod. 570 fol.) 
62° 


820 Das XVI Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeitigung ꝛc. 


Spuren ſeines perjönlichen Wirfens an den Höfen von München 
(wo er Lehrer des Erbprinzen Mar in der Kriegskunſt war), wie an 
denen von Dresden und Deſſau. Diejer angejehene Kriegsfundige 
widmete dem Kaijer Marimiltan II. Discorsi di Fortificationi (Rom 
1569), die er im der Folge wiederholt umarbeitete und endgültig als 
Discorsi delle fortificationi, espugnationi et difese delle cittä e 
d’altre luoghi i. 3. 1585 zu Rom herausgab. 

Das Wert ijt ſpäter noch dreimal in Venedig aufgelegt worden. Die tal. 
öffentliche Bibliothek zu Dresden bejigt eine Handichrift desjelben v. 3. 1583 und 
eine wohl gleichzeitige Verdeutijhung unter dem Titel: „Zwei Bücher von Er— 
bauung und Belagerung der Feſtungen“, welche dem Kurfürjten Auguſt 
von Sachſen zugeeignet iſt (mscpt. O. b. 16 und 17). — Das 1. Buch handelt 
von den verjchiedenen damals gebräuchlihen Arten, zu befejtigen, wobei meijt ge- 
winfelte Kurtinen zur Anwendung fommen. Ferner entwidelt Theti eine Manier 
mit Orillond und gebrochenen Flanken, welche leßtere ganz auffallend an eine 
Konftruftion Spedle8 erinnern, mit dem Theti übrigens perſönlich befannt war. 
Intereflant ijt der Plan des neubefejtigten Wien, das der Verfaffer nur als una 
eitt& di frontiera bezeichnet, woraus mit einiger Wahrjcheinlichkeit geſchloſſen 
werden fann, daß er jelbjt bei dem Neubau tätig war; denn ſonſt bewiejen die 
italienifhen Architekten jich keineswegs jo zurüdhaltend. Auch in artilleriftijcher 
Hinficht bietet das Werft manches Jnterefjante. 

Die Behördenbibliothet zu Dejiau bewahrt eine undollendete Handichrift 
(11030 : 6103), welche den Titel führt: „Ein alt bud vonabrifjen Carolo 
Detti (Theti.)” Es jind vortrefflih ausgeführte Befeſtigungs- und Geſchütz— 
zeihnungen. Höchſt merkwürdig erjcheint u. a. eine Vorrichtung, um ſenkrecht in 
den Graben Hinunterfeuern zu können: eine Art folofjaler, auf der Bruſtwehr— 
frone auflagernder Wippe, in welcher Geihüßrohre pendeln. 

Die gut gejchriebenen und anjchaulich illujtrierten Abhandlungen 
des Bolognejen Mora, Tre quesiti (1567) und Il soldato (1570) 
[S. 726] jind, joweit ihr Inhalt die Befeſtigungskunſt betrifft, der Haupt- 
jache nach gejchickte Wiedergaben des ungeordneten, doch jo inhaltreichen, 
gemeinjamen Werkes von Cajtriotto und Maggi. — Kocatellis Invito 
generali (1575) führe ich nur der Volljtändigfeit wegen an. — Die 
internationale Thätigfeit der italienischen Ingenieure fennzeichnet es, 
daß einer derjelben, de Pafino, jein Werk in franzöfiicher Sprache er- 
jcheinen ließ, den Discours sur plusieurs poincts de l’architecture 
de guerre. (Antwerpen 1579.) — Die Aufgaben des Befehlshabers 
in einem fejten Plage faßte Balvani 1580 in jeiner Schrift Il ca- 
stellano zujammen. — £upicini jchrieb Dell archittetura militare 
(1582) und Discorsi sopra L’espugnazione (1587), Accontio eine 


2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 821. 


Ars muniendorum (1583) und Xamelli endlich eine Abhandlung 
über Le diverse artificiose machine ingegnose (Paris 1588). 

Died doppelſprachige, franzöfifch= italienische Wert nimmt auch eine Art 
Doppeljtellung zwijhen Waffentunde und fortififatorisher Werktzeugstunde ein 
und ijt merkwürdig, weil es nod) einmal Formen des alten Werfzeugs empfiehlt, 
bejonders eine Art Tribod, u. zw. zum Werfen von Brandgeſchoſſen, ſowie zur 
Überfhüttung des Grabens mit Steinen. 


Man jieht, welche reiche uud mannigfaltige fortififatoriiche Lite- 
ratur Italien in den vier Jahrzehnten von 1550 bi8 1590 ent- 
wickelt hat. 


8 119. 


Gegenüber den zwölf italienischen Namen der vier Decennien 
von 1550—1590 jteht fein einziger franzöfijcher, ſpaniſcher oder 
englijcher, ftehen nur vier deutfche Namen. Der ältejte unter den 
feßteren ijt derjenige Frönspergers, deſſen „Buch von Erbaw— 
ung vnd erhaltung der wehrlichen Beuejtungen (1557) be: 
reit3 bejprochen wurde [$ 117). 

Die Buch hat er in den erjten Teil feines großen Kriegsbuches 
[$ 32] 1566 abermal3 aufgenommen, es etwas anders, u. zw. ſchlechter, geordnet, 
das Kapitel über den Proviant durd eine Menge von Einzelheiten erweitert und 
einige Angaben über den Belagerungdfrieg hinzugefügt, welche freilid recht 
dürftig find. In ſolcher Gejtalt füllt die Arbeit die Blätter 144—170 des Kriegs— 
buches Teil I. 


Der II. Teil des Kriegsbuches (1573) bringt ebenfalls 
einen fortififatoriichen Abjchnitt: Bon erbawung der Währlichen 
Befejtungen. (BI. 22— 35.) 

Diefe Arbeit ijt nicht? anderes ald eine mangelhafte Paraphraſe von des 


Tartaglia-Reiff „Kurtze vnterrichtung, einen jtarden, vejten vnd wehrlihen Baw 
anzulegen.“ 8 114.] 

Sm IH. Teil (1573) findet fich ein „Bericht, wie man 
die jhangen vmb läger vnd hauffen friegsuold...auff: 
werffen, führen, ordnenvnd jchlahen ſoll. (BI. 124 ff.) 

E3 jcheint da8 eine der wenigen Originalarbeiten Frönspergers im Kriegs: 
buche zu fein. Leider iſt fie fo jämmerlich gejchrieben, daß fie ohne die bei- 
gegebenen Ausjchlagskupferjtihe durchaus unverjtändlich bliebe. Aber aud jo ift 
die Belehrung, welche man daraus empfängt, äußerjt gering. Einer furzen Baus 
anweifung, „wie man fangen verordnen foll“, folgt eine Schilderung der ver— 
ſchiedenen Arten derjelben, nämlich der „gewelbdten runden Schlangen Schanpen“ 
(Kreisijhanzen), der „vieredten Schangen“ mit Bollwerfen an den Eden und der 


«822 Das XVI. Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befejtigung ıc. 


„Stern oder Eden-Schangen“, deren Umfafjung teil$ fcheren-, teil jägeförmig 
gebildet ift. Zum Schluß gibt der Verfaffer noch einige Andeutungen über die 
angefiht® von Feitungen zu errichtenden Belagerungsverjhanzungen. Überall 
fommt es ihm mehr auf die Dislofation der Truppen in der Schanze, als auf 
die fortifikatoriſche Einrichtung der lepteren an. 


8 120. 


Zwei der deutjchen Autoren über Fortififation haben gemeinjam 
gewirkt: ein Magijter der Philojophie und ein junger Edelmann ver: 
einigten ſich, um in einer Differtation die Befeſtigungskunſt wejentlich 
von mathematischem Gefichtspunfte zu beleuchten. Ihre Arbeit führt 
den Titel: Institutiones architecturae militaris publi- 
cae censurae submittent praeses Henr. Rideman, phil. magister 
et respondens Sigism. Elias Broctorf, Eques Holsatus. 
(Roitod 1574.)!) 

Die Arbeit zerfällt in 14 Stapitel: 1. De Definitione ac Divisione Artis. 
2. De terminis linearum et angulorum Ichnographiae Principalibus. 3. De 
Numeri Decimalis Computatione. 4. De Principiis Geometriae, Planimetriae 
et Stereometriae. 5. De Praecipuis Regulis, quae ante exstructionem 
Munimentorum sunt observandae. 6. De Munitiorum Regaliun Regularium 
Delineatione. 7. De Orthographia et Ichnographia Completa. 8. De Muni- 
mentis minus Principalibus seu Operibus externis. 9. De munitionibus 
Irregularibus. 10. De locis ad Portus fluminaque sitis, item de castellis 
nec non Munimentis novo vallo circumducendis. 11. De Stereometria ac 
Impensis Valli nec non de temporis Operariorum Praesidiariorumque 
supputatione 12. De munitionibus Architecturae militaris Offensivae. 
13. De Munimentorum Propugnatione. 14. De Delimitatione Ichnographiae 
simplicis ac completae. — Appendix: De Novo Trigonometriae Invento 
ut ac Steganographiae arcano. 

Man jieht, daß die Schrift, obgleich jie ja wejentlich afademijchen 
Charakter hat, doch alle wichtigen Beziehungen des Gegenstandes ins 
Auge faßt und erörtert, und jo durfte jie wohl würdig erſcheinen, 
dem Landesfüriten, Herzog Karl von Medlenburg, dediziert zu werden. 


8 121. 

Die ausgezeichnetjte und originalite Berjönlichfeit unter den For— 
tififatoren der zweiten Hälfte des 16. Shots. it unzweifelhaft Da— 
niel Spedle. Im 3. 1536 zu Straßburg „erborn von ehrlichen 
Gejchlecht, in Ehr und Zucht erzogen recht“, widmete er ſich früh— 





1) Archivbibl. zu Hannover. (Script. de mathesi. C. c. 8qm 1144.) 





2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 


zeitig der Geometrie und Baufunjt und durchwanderte als Lehrling” 


und Gejell zu jeiner Ausbildung Dänemark, Schweden, Bolen, Preußen, 
Siebenbürgen und Ungarn. Im J. 1554 war der Achtzehnjährige, 
wie er jelbit erzählt, bei dem Bau der Feſte Comorn bejchäftigt; ein 
Sahr jpäter (vielleicht auc) 1558 und 1559) befand er jich zu Wien; 
1560 reijte er an den Rhein und in die Niederlande und bejuchte 
u. a. den Stadtbaumeijter von Antwerpen, Meiſter Frans. 

Der belgiſche Iberitlieutenant Waumwermanns behauptet in einem Aufjage: 
L’architecture militaire flamande et italienne au 16. siecle (Rev. belge 
d’art et des sciences militaires. 1878. I), Spedle jei als Seidenſticker (brodeur 
en soie) und Typenjchneider (graveur de caracteres) gegen 1560 nad) Antwerpen 
gefommen, um jich dort in jeinen Künſten zu vervolllommnen. Waumwermanns jagt 
nicht, woher er dieje mit allen jonjtigen Nachrichten in vollem Widerſpruche 
jtehende Angabe habe, wohl aber „nimmt er an“, daß „der Seidenftidter Spedle“ 
bei dem Antwerpener Meijter Frans (oder rang, wie Spedle jchreibt), Unterricht 
in der Befeſtigungskunſt erhalten habe und daß deshalb das geiftige Eigentums— 
reht der großen Arbeit Spedles eigentlih dem Antwerpener Stadtbaumeijter 
zukomme. (!?) — Aber es gelingt dem flämifchen Offizier durchaus nicht, diejer ganz 
willfürlichen Unterjtellung auch nur einen Schatten von Wahrſcheinlichkeit zu 
verleihen. 

Schon im folgenden Jahre kehrte Spedle nach Wien zurüd und 
war von 1561 bis etwa 1564 bei der Befejtigung diejer Stadt tätig, 
anfangs uur als Bauführer, dann im hervorragender Stellung. !) 
Sm J. 1564 veröffentlichte er einen Plan zur Neubefeitigung von 
Straßburg. Gleich) in der erſten Regierungszeit Marimilians II. 
erſcheint Spedle als „SKriegsbaumeilter des Kaiſers“ Als jolcher 
war er dem Feldhauptmann Lazarus v. Schwendi, der das gejamte 
Kriegswejen leitete und den Speckle wiederholt jeinen „Herrn“ nennt, 
direft unterjtellt. Das binderte indes nicht, daß er auch andere 
Bauten ausführen durfte, da er immer nur für den fatjerlichen Dienjt 
bereit jein mußte. Offenbar war Spedle viel unterweges; 1567 
bejuchte er 3. B. den Meiiter Johann, „den Teutichen alten Mann“, 
den Erbauer der Befeitigung vou Düfjeldorf und der Citadelle von 
Jülich, eines Werkes, das mit den Grundzügen der altitalienischen 


) Chef der ſchon 1532 begonnenen, aber oft unterbrochenen Neubefeftigung von Wien war der 
Frhr. dv. Fels, der jedoch nur die Vollendung ber drei eriten Bafteien (baftionierten Fronten) erlebte, 
Technischer Leiter des Baues war der Öfterreicher Hermes Schallauger (italiemifiert: Salizarı. — 
Bol. Dittrich: Daniel Spedies Wirken in Öfterreih. (Archiv f. Artill.» u. Ingen.»Offiziere, 1879. 
85. Bd. ©. 297 ff.) — Imterefiante Einzelheiten über die Wiener Befeftigungsbauten mit Plänen fiehe 
bei Oberleitner: Oſterreichs Finanzen und Kriegsweſen unter fyerbinand I. 1522— 1564 (Wien 1859). 


824 Das XVI Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befejtigung ıc. 


Bauweife Dürerjche Hohlbaus- Gedanken verbindet und von Spedle 
hoch gewürdigt wird. Das Verhältnis zum Kaiſer dürfte wenig mehr 
al3 ein halbes Jahrzehnt gedauert haben, und num trat Spedle auf 
weitere fünf Jahre als Rüſtmeiſter in des Erzherzogs Ferdinand 
Dienjt. In dieſes Fürſten Auftrage kartierte er die vorderöſterreichi— 
ihen Lande Eljaß und Breisgau. In der Folge übertrug der Herzog 
in Bayern Spedle (al3 Nachfolger Solms’) den Neubau von Ingols 
jtadt, und wohl aus dieſer Stellung heraus wurde der Meiſter zu 
einer 1576 in Regensburg tagenden Berjammlung berufen, welche 
unter Schwendis Vorjig über die Befejtigung der ungarischen Grenze 
gegen die Türken beriet [S. 540). Hier hatte ſich Spedle über die Bor- 
niertheit der Leute zu ärgern, die die Schablone der altitalienischen 
Formen ohne jede Rückſicht auf die gegebene Sacjlage überall anzu= 
wenden für Pflicht hielten und jeine entgegenftehenden Vorſchläge 
als „regelwidrig“ zurückwieſen. Routiniers jolchen Schlages befämpfte 
Spedle mit Leidenjchaft. „Sie mögen wiljen,“ jo jagt er, „dab mic) 
fein Regel binde, wenn ich bejjeres befinde und wiſſe. Hab auch 
nicht in ihre Negulas, als Statuten zu halten, geſchworen. Und ob 
es jchon wäre, daß ihre Reguln für Heilig anzujehen, jo iſt doch das 
für fein Negel zu halten, durch was Potentaten betrogen, die Bäw 
verderbt, dem Feind aller vorteil eingeräumbt und Tettlichen Land 
vnd Leut in gefahr gejegt werden!“ — Ein föftlicher Proteſt des ge 
junden Menjchenverjtandes gegen die bejchränfte Dogmenjucht. — 
Übrigens wurde Speckles klares Wiffen wie fein ficheres Können von 
den Zeitgenoſſen wohl anerkannt. Der Biſchof von Straßburg und 
die Pfalzgrafen, Graf Philipp von Hanau und die Städte Schlett- 
jtadt, Hagenau, Ulm, Colmar, Bajel, holten jeinen Rat ein. „Auch 
bat er dieſer Städt ein Teil” befejtigt und aufgenommen. Daneben 
entwidelte er Tätigkeit in Ofterreich; jo wurde zu Brud a. d. Leitha 
im 8. Decennium des Ihdts. „ein Thurn gepawet, jo berathichlagt 
durch den Stadtbamwmaifter von Straßburgfh“; bei der Befeitigung 
mehrerer ungarischer Pläße hatte er ein gewichtiges Wort zu jprechen, 
und es jind Anzeichen vorhanden, daß Spedle an der unter Rudolf I. 
ausgeführten teilweijen Neubefejtigung von Prag mitwirkte. Im 3. 1577 
bejuchte er noch einmal Antwerpen. Drei oder vier Jahre jpäter 
fehrte Spedle in jeine Heimat zurüd und befleidete das Amt des 
Stadtbaumeifterd? von Straßburg. Hier jchrieb er jein Werf, die 


2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 825 


dem Herzoge Julius von Braunjchweig gewidmete „Architectura. 
Bon Veſtungen. Wie die zu vnſern zeiten mögen erbawen werden 
an Stättern, Schlöjjern vnd Eluffen zu Waſſer, Land Berg und Thal 
mit jren Bollwerden, Gaualliven, Streichen, Gräben vnd Leuffen, 
jampt deren gangen Anhang vnd nubbarfeit, auch wie die gegenwehr 
zu gebrauchen, was für gejchüg dahin gehörig und wie e8 geordnet 
vnd gebraucht werden joll; alles aus grund vnnd deren fundamenten. 
Sampt den Grund-Riſſen, Bijierungen und Auffzügen für Augen ge 
ſtellt.“ (Straßburg 1589.)!) — Das Jahr der Erjcheinung dieſes 
epochemachenden Buches war zugleich das Todesjahr Daniel Spedles. 

Eine zweite Auflage (Straßburg 1599) enthält nachgelafiene Ver: 
mehrungen, jowie das Bildnis und eine gereimte Lebensbeſchreibung Spedles; 
fie ift von feinem Schwager herausgegeben. — Spätere Auflagen erjdjienen 
Straßburg 1608, Dresden 1705, 1712 und 1736. 


Spedle hat offenbar viel in jeinem Leben von der dominierenden 
Stellung der Italiener zu leiden gehabt, welche dieje wie in 
Frankreich jo auch in Deutichland beim Feitungsbau einnahmen. Das 
ſpricht jich deutlich im jener „VBorred“ aus. Er jagt da: 

„Die fürnebjte vrſach, jo mich zur publication difes wercks treibt, ijt, daß 
ich einem Italianer, jo und Teutfchen nit allein verladht, fondern auch bei Fürſten 
vnd Herren in verachtung vnd verdacht zu bringen vnderſtaht, als ob wir Teutjchen 
gänglihen ohn finn vnd Hirn vnd ohne vernunfft vnd vor finder gegen den 
Stalianern zu achten weren; dann er jich bei etlichen ohn jchew hören laßt: wo 
er in Teutjchland noch jemalen gewejen, er nie nichts in vnſerm thun gejehen 
noch gehört hab, dab wir und andere jnen ſolchs nit abgejtolen hätten, vnd ob 
jchon etliche meifter etwas neues herfürbringen, fünne er doch ſolchs nit pajjiren 
lafien, dieweil er ſolchs zu voran in Italia nit gefehen hab; zudem habe er jein 
lebenlang niemalen gehört, daß die vollen Teutjchen etwas news erfunden hätten. 
(Wahrſcheinlich iſt hier Theti gemeint.) — So ijt aud ſonſt ein Niederländer, 
der gleihwohl etwas bejcheidener in der ſachen (Frans?); aber in jren werden 
vnd deren Negeln ſeind jie (Jtaliener und Niederländer) durhauß einig; dann 
fie jre Lineamenten (Tracks) zu den Veſtungen alle aus der alten Regel (der 
altitalienifhen Manier) ziehen, welchs man dann heutigs tags weit befier hat, 
das fie aber alles ohne grund vnd vrjachen vernichten vnd verwerffen wollen; 
darumb id) jnen das gegenipil fürzujtellen vnd zu beantworten verurjadht worden. 
— Do man jie aber in der hauptſachen befragt, warumb ein baw hoc), der ander 
nider, deigleichen ein Streichen offen, die andere zu, eine lang, die andere furz 
gezogen werden, ift jr antwort: wann einer nit Latein könne, jo verjtehe er 
folches nit, könne aud nit davon reden, vnd damit haben jie jres bedundens 
treflih wol getroffen. — So man ihnen folches aber auf gut Teutjch (welchs fie 


1) In der Bibl. des Berliner Zeughauſes (B. 737). 


826 Das XVI Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeitigung :c. 


dann wol verjtehen) widerlegt, jo warten jie, bis ſie allein zu einem fommen 
und bitten, man wolle ſolche kunſt in geheim halten, bejonders gegen den Über: 
feiten; denn wenn diſe joldes ein wenig verjtehen, könne nadıher niemands 
mit jnen, vielweniger dann mit den Kriegsverjtendigen vbereinfommen.“ N) — 
Und nun rüdt er den ſchmähſüchtigen Jtalienern die deutjchen Erfindungen vor: 
das Geihüg, den Buchdrud, das Preßwerk zu Münzen, „die gewaltigen Bred- 
ichrauben, damit man Thurn vnd Mamwren einwürfft, item das klein Vhrmachen, 
das ſchönſte Schreinerwerd u. ſ. w. . . Waz jollten wir mer begeren, das wir nit 
vor anderen Nationen in der ganzen Welt heiten: Wir haben ja erjtlidh die 
erfanntnus Gottes dur jein Wort vnd Euangelium, zum andern die hödjite 
Oberkeyt, da8 Kayſerthumb, und, Bott jey lob, den heiligen Frieden!“ 

Spedles Werk zerfällt in drei Teile. Der erite behandelt den 
Feſtungsbau in der Ebene, wobei von den mathemattjchen Grund 
ſätzen ausgegangen wird, der zweite Teil faßt beſtimmte, zumal ber— 
gige rtlichkeiten ins Auge und lehrt, wie die Befeſtigungsformen 
dem Terrain anzupafjen jeten; der dritte Teil bejpricht die baulichen 


Detail3 und die Ausjtattung der Feſtungen. 

Obwohl Spedle, wie er jagt, wohl funfzig oder mehr Befejtigungsentwürfe 
von großer Widerjtandsfähigfeit angeben fünnte, jo bejchränft er fich in der 
»Architectura«e dod auf die Mitteilung von aht Manieren, von denen er 
die erjte bis in die geringiten Einzelheiten ausführt, weil fie die Grundlage aller 
andern ijt, während er von den andern nur mehr oder minder audgeführte 
Stizzen gibt. 

Die Hauptbejtandteile der 1. Manier find nun die folgenden: Eine gerade 
Kurtine verbindet zwei große Baftione, deren Flanken zurüdgezogen, verdoppelt 
und in der Weife gebrochen find, daß fie 3. T. ſenkrecht auf der Kurtine, 3. T. 
jenfrecht auf der Defenslinie jtehen. Auf der Kurtinenmitte wie in den Bajtionen 
erheben jid) große Ktavaliere. Vor jener liegt im gededten Wege ein umfang» 
reicher Waffenplag. Der Wafjerjpiegel des 17° tiefen Grabens ijt 5° über der 
Sohle angenommen. Die GSteinfütterung geht nur bis zum Horizont. Die 
6 bis 7° jtarfen Stirnmauern lehnen fich nad) innen an das Erdreich und haben 
auf je 5° Höhe 1’ Anlage. Auf die Stirnmauer ijt eine 6° hohe Bruftmauer 
aufgejegt, hinter welcher ein 7’ breiter Zwinger Rondengang) läuft. Nach hinten 
zu jchließt diefen Unterwall der 21° hohe Wall, der mit 20° Anlage gejchüttet 
und dejlen Bruftwehr 18° did, 6° hoch iſt. (Bei den Bajtionen find die Abs 
mejjungen noch größer.) Die Stirnmauer ift mit überwölbten Strebepfeilern 
verjehen, und auf diejer Unterlage ruht der zurüdgezogene Wall, der daher, aud) 
wenn die Stirnmauer in Brejche gelegt jein follte, nicht nachftürzen fann. lm 
die Widerjtandsfähigfeit diefer Anlage noch zu erhöhen, jchlägt Speckle vor, die 


i) Gegen dieſe „Fuchsſchwenterey“, die den Wert des Baumeifterd dadurd zu heben fucht, daß 
fie den Bauherren in möglichiter Unwiſſenheit hält, ipricht Spedie fi noch wiederholt kräftig aus. 
Übrigens ift auch er auf die „Seriegsverftändigen”, welche über fortifitatoriihe Bauten urteilen, nicht 
aut zu fprecen. 


— 


2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 827 


Strebepfeiler in mehreren Stodwerfen zu überwölben und die Stirnmauer felbit, 
wie bei Dürer, mit Brechbögen auszuführen. An der Bajtionsipige ift der Zwinger 
430 breit auf jeder Seite der Kapitale) überwölbt und mit Erde eingededt, um 
den Feind zu hindern, den Zwinger längshin zu bejtreihen. Unter dem Zwinger 
läuft in den Bajtionsfacen eine fajemattierte Galerie von gleicher Breite wie 
der Zwinger, die durd die Strebepfeiler in ſechs fleine Kafematten geteilt wird. 
Der Fuß diejfer Galerie liegt nur 1° über dem Wafjerfpiegel des Grabens, jo 
daß diejer vollitändig durch Musketenfeuer bejtrihen wird. Der Kurtinenfavalier 
erhebt ji) um 20°, der Bajtionsfavalier um 30 bis 40° über den Wallgang. Am 
Fuße des Bajtionsfavaliers liegt ein 30° breiter, jehr tiefer Graben, der ihn vom 
Hofe jondert. Die Wälle find mit lebendigen Heden bepflanzt. Die nicht reve= 
tierte Kontrejfarpe erhebt ſich in zwei Terrafien, deren obere der eigentliche ge= 
dedte Weg ijt, den das 7‘ hohe Glacis fichert. 

Die 2. Manier iſt die fog. „verjtärfte“ und erjcheint als der Höhe— 
punft der jchöpferiichen Leiftung Spedles. Sie unterjcheidet fi) don der erjten 
Manier im wejentlihen dadurch, dab hier die Kurtine furz und nad) außen ges 
broden ijt und vor ihr, jtatt des Waffenplapes, ein ſehr großes Ravelin liegt, 
jomwie dadurd, daß hier die ganze Flanke ſentrecht zur Defenslinie fteht. 
Das Ravelin hat genau diejelbe Einrichtung, wie die Baftione der erjten Manier. Die 
Kapitale desjelben jpringt etwa 435° über die äußere Polygonjeite vor und jeine 
Facen find auf die Bajtionsjpigen gerichtet. Der nicht retirierte, ungefähr 100, 
lange Flankenteil des Ravelins jteht jenkrecht auf einer Linie, welche die Flanken 
der Ktollateralraveline verbindet. — Der Wallgang des Ravelinfavaliers, der ſich 
nad) der Kehle bedeutend ſenkt, zieht ſich 30%, der des Kurtinenkavaliers 60° über 
dem Horizonte hin. Der Zwinger des Ravelins liegt im Bauhorizonte. Der Haupt 
wall hat hier feinen Zwinger. 

Die 3. Manier jtimmt mit der erjten überein; nur ijt die Kurtine nad 
außen gebrochen. — Die anderen Manieren jtehen den genannten an Zweck— 
mäßigfeit nah; doch find einige dadurch merkwürdig, dab ſie jtatt des Zwingers 
vor den Baftionsfacen auf der Grabenſohle freiitehende frenelierte Mauern zeigen. 
In der ahten Manier liegt an Stelle des Zwingers eine vollftändige Fauſſebraye. 

Speckle erläutert jeine Anfichten über die Einrichtung der Werfe 
in höchit interefjanter Weiſe durch Beijpiele wirklicher Feitungsanlagen, 
deren Grundrifje und zumeilen auch Profile er mitteilt. Nur jelten 
nennt er dabei die Namen der betreffenden Pläße; aber die zweite, 
nach jeinem Tode erjchienene Auflage iſt in dieſer Hinficht minder 
verjchtwiegen, und mehrere andere Pläne jind jonjt erfannt worden. 

Es handelt ſich befonders um Jülich, Comorn und Raab, die Citadelle von 
Antwerpen, Baletta auf Malta, dag jteierifche Graz, Famaguſta auf Cypern, die 
„Slauje Afferton (Ifferten) obwendig Eljaß im Burgunt“, um Chrenbreititein, 
Trey Gajtel (Trifels) im Wasgau, Hohenjtein im Wejterrih, Pfirdt in Burgunt, 
Claus Plaumont in Burgunt, Sledenjtein bei Weihenburg, Salm, das hanauiſche 
Lichtenberg, Hohentiwyl und Kronenburg in Seeland: ſämtlich charakterijtiiche 


828 Das XVL Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeftigung ꝛc. 


Typen der Bauweiſe de3 16. Jhdts., deren Eigentümlichleiten in den Dar- 
jtellungen jedoch durchweg mehr oder minder übertrieben find. 

In einem der Bände, welche als Eigentum des großhrzgl. Haus- 
fideikommiſſes dem badischen General-Landesardhiv zu Karlsruhe zur Be: 
wahrung übergeben find, befinden ſich Pläne und Anjichten von Feſtungen 
und Städten, welche angeblich von Specdle eigenhändig gezeichnet find. 

Die wichtigiten Grundſätze und bemerfenswerteiten Eigen- 
tümlichkeiten von Spedles Syitem hat General v. Zaſtrow licht: 
voll und belehrend unter die folgenden neun Punkte zufammengefat: 

1. Je mehr Seiten das zu befejtigende Vieleck Hat, deito 
jtärfer die Befejtigung; denn die Werke können fih dann um jo kräftiger 
unterjtügen. Daraus folgt, dat die Berteidigungsfähigkeit einer Baftionärbefeitigung 
mit dem Polygon-Winkel wählt. (Angedeutet hat diefen Grundjag auch Mardi; 
doch Spedle jpricht ihn — ein Jahrzehnt vor der VBeröffentlihung von Maris Wert 
zuerjt auß u. zw. mit voller Klarheit. Stevin folgt ihm darin nad. [$ 127.) 
Gemeingut der gebildete fortififatorijhen Welt wurde das Ariom jedoch erit 
anderthalb Jahrhunderte nad) Spedle durch Cormontaigne.) 

2. Spige Bajtione taugen nicht, jtumpfmwinfelige ebenjo- 
wenig; nur redhtwintelige jind zu empfehlen. — (Der entjchiedene 
Irrtum diefer Marime jcheint einem Vorurteile entjprungen zu jein, das Spedle 
offenbar mit vielen feiner Zeitgenofjen teilte.) 

3. Die Bajtione der Jtaliener find zu Hein; eine fräftige Berteidigung 
fordert durchaus große Bajtione. — (Jn diefer Hinficht ijt Spedle jeiner 
Beit weit voraus; jind feine Bollwerfe doch jogar nod größer als diejenigen 
Gormontaignes). 

4. In jedem Bajtion und auf jeder Kurtinenmitte find 
Stavaliere notwendig. — Spedle bedient ji) der hohen Kavaliere, um die 
Belagerungsarbeiten zu erjchweren, ſowohl hinfichtlich des Defilements als ganz 
bejonders in Rüdjicht auf die Terrajienbatterien, welche der Angreifer damals zu 
bauen pflegte. Ferner bejtreihen die Flanken feiner 55° hohen Kavaliere den 
Graben vor dem gegenüberliegenden Bajtion; endlid aber dienen fie (und das iſt 
vielleicht die Hauptjache), dem Verteidiger des Baftiond als Abjchnitt, zu welchem 
Ende fie durch den fteingefutterten Graben ifoliert find. (Der Kavalier der ver: 
jtärkten Manier ift genau von der Art, wie fie Bauban und Cormontaigne in der 
Folge als muſterhaft empfahlen und wohl eben aus Spedles Werk entlehnt haben.) 

5. Ein großer Teil der Flanke oder bejjer noch die ganze Flanke mu 
jentredt auf der Defenslinie ftehen. Es ijt dies eine fonjtruftionelle 
Marime von der größten Wichtigkeit; denn von dem Augenblide an, wo der 
Angriff fich nicht mehr gegen die Kurtine, fondern gegen eine der Bajtionsfacen 
wendete (und das gejchah in der zweiten Hälfte des 16. Ihdts. ſchon der Regel 
nad), war es notwendig, nicht der Kurtine, fondern den Facen die volle Wirffam- 
feit des Brujtwehrfeuers von den Flanken zuzumwenden. Bei der bisherigen 
Ichrägen Stellung der Flanken gegen die Facen des Kollateralbajtion® war dies 


2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 829 


aber nicht in genügender Weiſe zu ermöglichen. (Das Verdienſt diejer wichtigen 
Erkenntnis, das gewöhnlich dem Grafen Pagan zuerfannt wird, der 70 Jahre nad) 
Spedle lebte, gebührt alſo ganz unzweifelhaft dem leßteren.) 

6. Zur niederen GBrabenverteidigung und zur Abwehr des 
Mineurd bedarf es Ffajemattierter Galerien. — Spedle wendete 
übrigens nur Infanteriegalerien an, weil er wähnte, daß Artillerietafematten 
nicht genügend vom Rauche befreit werden fünnten. Auch mangelt jeiner Galerie 
volle Bombenfejtigfeit. 

7. Große Raveline geben der Bajtionärfront große Widerſtands— 
fähigfeit. — Speckle verwirft die Heinen NRaveline, wie fie z. B. noch jüngjt 
bei Famaguſta in Anwendung gelommen waren, und glaubt, daß die Verteidigung 
nur aus großen Ravelinen Nuten ziehen fünne. (Ganz derfelben Anficht waren 
jpäter Bauban und Gormontaigne; der erjtere vergrößerte das feine Ravelin 
Pagans und legterem ward jein weitvorjpringendes Navelin als vornehmiter 
Ruhmestitel angerechnet. Aber das anderthalb Jahrhunderte vor ihm von Spedle 
fonjtruierte Ravelin ijt noc größer als dasjenige Cormontaignes; denn dieſer 
richtet jeine Ravelinsfacen auf einen Punkt, der 60° von der Bollwerksſchulter 
entfernt ijt, während Spedle fie auf die Baftionspünte richtet. 

8. Zu den widtigjten Teilen der Befejtigung gehört der ge— 
dedte Weg. — Wenn man bedenkt, wie hohen Wert Bauban auf feine Ver: 
größerung des Paganſchen gededten Weges legte und wieviel Rühmens davon 
gemacht wurde, jo erjcheint es ſehr interefjant, daß Spedled gededter Weg an 
Breite und namentlich an Räumlichkeit der auch für Artillerieanwendung beftimmten 
eingehenden Waffenpläge die Baubanjhen Make jogar noch übertrifft. Zugleich 
gibt die Brehung der Krete in Sägeſchnitten (Cremailleren) dem gededten Wege 
und jeinem Glacis eine kräftige Seitenbejtreihung durd kleines Gewehr. Die 
Hinabführung der unterjten Terrafje des gededten Weges bi nur 1’ über den 
Grundwaſſerſtand, jowie die Anlage des 5’ tiefen Vorgrabens bringen den Grund» 
jag zum Ausdrud, das Vorterrain der Feſtung derart vorzubereiten, daß dem 
Feinde dort die ihm zu feiner Einrichtung nötige Erde mangele — ein Prinzip, 
das jpäter von Coehorn wieder aufgenommen und fortentwidelt worden ift. 

9. Die Belleidungdmauern müjjen dem Auge des Feindes 
entzogen jein, damit er nicht früher Breche jchießen könne, als bis er auf 
der Höhe des Glacis ankommt. — Diejer Grundſatz ift für die Verteidigung von 
außerordentliher Wichtigkeit, und da ihn (troß einer analogen Andeutung Tar— 
taglias) feiner der italienischen Praktiker befolgt hat, jo darf man Spedle wohl 
al3 jelbftändigen Erfinder des jog. „Halben Revttements“ bezeichnen. — 
Der Rondengang oder Zwinger joll die Erde, welche Geſchoſſe von der Wall: 
böfhung losreißen, aufnehmen und zu Ausbeflerungen bewahren; er joll den 
ſtündlichen Ronden fiheren Umgang um den Hauptwall gewähren und durch feine 
mit Scharten und Pechnafen verjehene Brujtmauer alle toten Winfel im Graben 
bejtreihen. — (Die Ingenieure des 18. Ihdts. befämpften die Anwendung des 
Zwingers; mehrere der neueren, namentlih Montalembert, Carnot und Choumara, 
empfahlen ihn wieder dringend; und genau ebenjo verhielten ſich die Fachmänner 


830 Das XVI. Jahrhundert. IV. Die Wifjenihaft von der Befejtigung ꝛc. 


gegenüber den von Spedle geplanten frenelierten Mauern auf der Sohle dei 
Hauptgrabense.) — Sehr wohlüberlegt und zwedgemäß iſt Spedles Baumeife der 
Belleidungsmauern ; dasjelbe gilt von der der Erdwälle und der funjtvollen Ans 
ordnung feiner dreifachen Flanken, von der Fjolierung der Pulvermagazine in 
Heinen Türmen hinter den Bollwerfen, von der Behandlung jeiner Erddoflierungen 
durch Pladwerk und Hedenpflanzungen u. dgl. m. 


Überall treten in Spedles Werk der unbejangene 
Blick und die Friſche jelbitändigen Brüfens hervor. Seine 
Anfichten über die Verteidigung durch Ausfälle gegen den bis zum 
Vorgraben gedrungenen Feind: im raschen Anlauf, ohne einen Schuß 
zu tun, dann feine Vorjchriften für das Abjchlagen des Sturms, ſein 
Eifern gegen das zweckloſe Schießen der Feitungsartillerie auf große 
Entfernungen, jeine Anmweifungen zum praftijchen Bau, zum Pontonier- 
dienjt, zur Herjtellung von Kaſematt-Lafeten — alles das jind eben- 
joviele Beweiſe dafür wie feine Außerungen über die Bildung von 
Sngenteur-Offizieren, denen er durch Reiſen und Teilnahme an Feld: 
zügen möglichjt mannigjaltige Erfahrung zuzuführen wünjcht. 

Fakt man die Stellung Spedles in der Gefamtentwidelung 
der Befejtigungsfunft ins Auge, jo ergibt fich ungefähr folgendes 
Bild: Einige der italienischen Ingenieure, zumal Tartaglia, Melloni 
und Alghiſi da Carpi, hatten dahin gejtrebt, dem Umriß durch ſtarkes 
Einwärtsbrechen der Kurtinen einen ausgejprochenen Tenaillencharafter 
zu geben. Andere, u. zw. bei weitem die Mehrzahl, bewahrten der 
bajtionierten Befeftigung ihre Urjprünglichfeit, indem fie gerade oder 
nur wenig nach außen gewinfelte Kurtinen anwendeten. Zwiſchen 
dieſen beiden Richtungen vermittelt nun Spedles „verjtärfte Manier“ 
in höchſt glüdlicher Weije; denn wenn ihr die großen Raveline aller: 
dings den Stempel einer Tenaillenfront aufprägen, jo liegt doch 
dahinter, gewiſſermaßen wie ein Generalabjchnitt, der in reinen Bajtions- 
formen gehaltene Hauptwall. Im jenen Navelinen bringt fich Die 
weitausgretfende artilleriftiiche Abjicht zur Geltung, die das Borland 
beberrichen will; in den bajtionierten Fronten fommt der Gedante 
jtarf flankterender Nahverteidigung zum Ausdrud. In der Ber: 
einigung diejer Elemente offenbart jich die Rückſicht auf die ſeit der 
Mitte des Jahrhunderts wejentlich vorgejchrittene Kraft und die neue 
Methode des Angriffs, und jo muß man anerfennen, daß durch Spedle 
die Periode des Übergangs von der mittelalterlihen zur 
modernen Befeitigungsmweije zum Abjchlujje gelangt, 


2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 831 


daß in jeiner Bauweije namentlich auch die „neuere italienijche Manier“ 
zur Vollendung kommt. Die deutlichiten Kennzeichen dafür find die 
großen Raveline (Idee der Tenaille), die Stellung der 
Flanken zur Defenslintie (Anerfennung der „bajtionierten 
Front“ als. fortififatoriicher Einheit und der Bajtione 
als deren Hauptwerfe, gegen welche nunmehr die Kurtine zurück 
tritt); endlich die vollitändige Dedung des Mauerwerfs. — 
Spedles verjtärfte Manier ijt auf Jahrhunderte hinaus 
tatjächlich, wenn auch freilich ungenannt, ebenjo die Grundlage 
der europäijchen Befeitigungsfunjt geblieben, wie Marchis 
Verf die Duelle unaufhörlicd neuer „Inventionen“, die aber doch 
immer nur ein Spiel auf der Oberfläche blieben. — Busca, welcher 
um die Wende des 16. und 17. Shots. die Summe des abgelaufenen 
Säfulums zieht, gibt als ultima figura, als der Weisheit letzten 
Schluß, die zmwölfte Figur des Daniel Spedle — allerdings ohne 
ihren Urheber zu nennen. — Neuerdings aber erfennen wenigſtens 
die Franzoſen die grundlegende Stellung des großen Straßburger 
Meifters an: jo General Tripier in La fortification deduite de 
son histoire (Bart$ 1866) und der Kommandant Prevoſt, welcher 
in jeinen Etudes historiques sur la fortification ete. (Paris 1869) 
mit Necht ausruft: »Speckle est un auteur original, un chef 
d’ecolel«e — In der Tat haben die Franzoſen ganz bejonders Ur— 
jache, Spedle hochzuhalten; denn die Koryphäen ihres Baftionärjyitems, 
Bauban und Cormontaigne, jtehen auf jeinen Schultern. 
g 122. 

Sm Grunde genommen endet das fortififatorische Jahrhundert 
mit dem Jahre 1590. Einmal weil durch Spedle das jeit della Valle 
und Dürer jo eifrig betriebene Werk einer Neugejtaltung der Be 
feſtigungskunſt zu organtichem Abjchluffe gefommen war; dann aber, 
weil mit dem legten Decenntum des 16. Ihdts. die weitlichen Nationen: 
Franzoſen, Spanier und Niederländer, teilzunehmen beginnen an der 
wijjenichaftlichen Behandlung der Fortififation, und damit fängt 
ein neuer Reigen an. 

Frankreich jtand big unmittelbar vor Ablauf des Jahrhunderts 
durchaus unter italieniſchem Einfluffe. François I. wie Henri II. 
beriefen italtentiche Ingenieure in ihre Dienste, unter deren Anleitung 


832 Das XVI Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befejtigung ıc. 


die Franzoſen bauten. Die berühmtejten diejer Fremden waren Melloni 
und Gajtriotto [$ 115 und $ 118]. — Die erjten franzöfiichen Autoren, 
welche jich, zwar nicht in bejonderen Fachwerken, aber doc) in friegs- 
wifjenjchaftlichen Arbeiten mit der Fortififation bejchäftigen, find de 
la Noue [$ 36] und de Bigenere [$ 3]. Es ijt jehr bemerfens- 
wert, daß beide zu der herrichenden italienischen Bauweiſe in ent- 
ſchiedene Oppofition treten. 

Eins der »Quatre Paradoxes militaires«, welche de 
la Noue 1585 aufjtellte, lautet: »Que les experiences modernes 
ont enseigne des manieres de fortifier les places tres-utiles pour 
leur petit coust et non moins defensables que celles tant su- 
perbes que les Ingenieux avoient auparavant inventedes.« 

De la Noue tadelt die übermäßigen Koften, welche die Nevetements und 
hohen Profile der Italiener Herbeiführten. Die Citadelle von Meg habe mehr als 
eine Million Livres gefoftet; wollte man eine Stadt wie Mecheln oder Orleans 
in folder Art befejtigen, jo würde das 3 Millionen Florins erfordern. Der Ver— 
fafler empfiehlt Erdwälle, nafje Gräben und große, weitvorgejhobene Raveline. 

Der Kommentator Onejanders, Blaije de Digenere (1590), 
zeigt ſich im jeiner Bearbeitung der Feldherrnfunjt der alten Griechen 
al3 warmer Anhänger der murs rempares, d. h. der aus gejtampfter 
Erde, Balken und Fajchinen herzuftellenden Wälle, von denen zuerjt 
Schermer und della Balle jprachen. 

Die Bajtione jollen nicht weiter ald 200 Schritt von einander entfernt liegen; 
zwingen bejondere Umjtände dazu, über dies Maß hinauszugehen, jo will der 
Verfaſſer die Flankierung auf dazwiſchen eingefhobene moineaux begründen, 
»une maniere de flancs tout noyes dans le fossde«. Hohe Kurtinenfavaliere 
jollen die ind Borland fchlagende Artillerie aufnehmen.") 


g 123. 


Das ältejte jelbitändige franzöfiiche Werk über Befeſtigungskunſt 
it das des Lothringers Jean Errard, der daher auch in Frankreich 
als le pere de la fortification frangaise gefeiert wird. Er wurde 
1554 zu Barsle-Duc geboren und wird jomit oft ala Errard de 
Barzle-Duc, von Deutjchen auch wohl irrtümlich als „Gerhard von 
Herzogenbujch“ bezeichnet. (Verwechjelung von Bois-le-Duc mit Bar: 
le-Duc.) — Errard iſt das berühmtejte Mitglied des von Sully ge 








1) Auszug in Louis Napolöons Etudes, II, p. 264—277. 


2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 833 


bildeten Korps der Ingenieurs ordinaires du Roi; dennoch weiß 
man nicht eben viel von jeiner Laufbahn. 

Wie er jelbjt in jeinem Werke (livre 3, chap. 6) fagt, redigierte er i. %. 1594 
die Antwort, welche der König den Venetianern gab, als dieje ihn um Rat wegen 
der Befeitigung von Palmanova gebeten hatten. Ebenda (4,7) erwähnt er, daß 
die Kajematten von Sedan nad) jeinen Zeichnungen erbaut worden feien. Sully 
beridtet in jeinen Memoiren, daß Errard ihn i. 3. 1600 zur Retognoszierung 
des Forts Sainte-Catherine bei Genf begleitet habe. Sechs Jahre jpäter gehörte 
er dem Kriegsrate an, welcher unter VBorjig des Königs über die Belagerung von 
Sedan beriet. Ziemlich umfaflend war Errards praftiihe Bautätigkeit: er baftionierte 
die Angriffsfront ded damals wichtigen Platzes Montreuil und ließ von 1599 
bis 1609 die Arbeiten von Calais ausführen. Das Trace der Citadellen von 
Amiens, Laon, Sijteron und Verdun weiſt mit ziemlicher Bejtimmtheit auf Errard 
als Urheber hin. — Er hatte einen hochbegabten Sohn, den er 1607 verlor und 
defien Tod Sully mit den Worten beflagt: »Il n’estoit pas deja moins bon 
ing@nieur que son pre; sa mort me fit beaucoup de peine.«e m Jahre 1610 
oder 1611 folgte Jean Errard diefem Sohne nad‘). 


Errards Werk führt den Titel: LaFortification reduicte 
en art et demonstree, welcher unzweifelhaft darauf Hindeutet, 
daß der Berfafjer eine wiljenjchaftliche Behandlungsweije beabfichtigte. 
In der an den Adel Frankreich gerichteten Vorrede jagt Errard, 
daß er im Auftrage König Henris IV. gejchrieben. Das Privilegium 
des Buches datiert von 1594; doch erjt i. 3. 1600 wurde es zu 
Baris u. zw. auf königliche Koſten gedrudt. 

Im Fahre 1604 erichienen zwei 2. Auflagen, eine vom Autor felbjt ver— 
anjtaltete zu Paris und eine mit der Bezeichnung »revue et augmentede« zu 
Frankfurt a. M. Eine »Edition nouvelle«e gab 1620 Errards Neffe heraus. 
Eine deutſche Überfegung erichien 1604 zu Frankfurt a M. Dieje Angabe, 
welche jhon Zaſtrow gemacht hat, bemängelt General Schröder (Archiv. 84. Bd. 
S. 119) mit Unredt. Es gibt Eremplare diefer Berdeutihung zu Berlin ſowohl 
in der Kal. Bibliothel, als in der Bibliothef der Kriegsafademie und des Zeug 
haufes (B. 79%). 

Errards Buch zerfällt in vier Teile. Im erjten Handelt der 
Autor in großen Zügen von allem, was jich auf die Befeſtigungskunſt 
bezieht. Im zweiten jegt er die Einzelheiten der Fortifikation regel- 
mäßiger Bolygone vom Sechseck bis zum Vierundzwanzigeck aus: 


1) Ball. für die biographiichen Angaben die Borreben der verjchiebenen Ausgaben von Errards 
Bert, jowie: Augoyat: Apercu historique sur les fortifications et les ingenieurs en France 
(Baris 1860) und de la Barre Duparcaq: De la fortification à l’usage des gens du monde 
(Paris 1844). 


Zähne, Geihichte der Kriegswiſſenſchaften. 53 


834 Das XVI. Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeitigung ꝛc. 


einander. Der dritte Abjchnitt jpricht von den unregelmäßigen Be- 
fejtigungen, der vierte von der Fortifikation ſolcher Pläte, die in der 
Nähe vom Gelände beherricht werden. 

Errard behandelt die Einrihtung der Mauern und der hinter ihnen 
liegenden Erdwälle mit großer Sorgfalt. Wie jhon Giorgio Martini wendet 
er ſchräg geitellte Strebepfeiler, wie Dürer wendet er Brehbögen an; die Erd- 
maffe hält er, unabhängig von der Mauer, durch ein gezimmertes Gerüjt. Übrigens 
erfennt er für den Mauerbau ausdrüdlih Dürer als fein Vorbild an. Durch 
jeine E3farpe läuft eine Minengalerie, deren Sohle mit der ded Grabens 
in gleicher Höhe liegt. Er befürwortet einen Rondengang um die Schärpe 
und die Anlage von Kavalieren gleich Spedle. Ganz wie diejer jucht er das 
Für und Wider des ſtumpfen und des fpigen Baſtionswinkels dadurch auszus 
gleihen, daß er fich für den rechten Winkel entjcheidet, und eben deshalb läht er 
die reguläre Befejtigung erjt mit dem Sechseck beginnen, weil erjt dies Polygon 
rechte Bollwerfswintel ermöglicht. Seine Defenslinien find 100 bis 120 Toijen 
(65 bis 75°) lang, und man darf ihm das Verdienst zufchreiben, zuerjt dies zu— 
läjjige Marimum fejtgejtellt zu haben: 120 Toifen — 234 Meter ijt eine rationelle 
Gewehrjchußmweite. Die Verlängerung der Bajtionsfacen trifft den Kurtinenwintel; 
Errard tadelt diejenigen, welche die Kurtine zu fern von jenem Punkte berühren. 
Bom Sechseck bis zum Achteck einjchlieglih nimmt er die Schultermintel 
der Baftione zu 90° an, d. h. aljo, er ftellt die Flanken rechtwintelig zur Face. 
Infolgedefjen fteht die Flanke jpigwinkelig zur Kurtine, und da er außerdem 
Orillons anwendet, fo entzieht er allerdings jeine Flankengeſchütze völlig jeder Sicht 
vom Felde her. Dafür jehen fie aber auch ſelbſt faft gar nichts von dem Terrain 
vor der gegenüberliegenden Face. Der Wintel der Flanke mit der Defenslinie 
jtellt fic beim Sechseck auf 60°, beim Siebened auf 51°: und beim Achteck auf 45°; 
der Winkel der Flanke mit der Kurtine beträgt bezgl. 75°, 708/r und 67'/2%. — Errard 
erachtete alfo einen Anjchlag bis zu 45°, bezgl. Scharten en cremaillere für zu= 
läfjig. (Schröder a. a. DO.) Es war ein Grundfag der damaligen Ingenieure, daß 
ed vor allen Dingen darauf anfomme, die Flankengeſchütze bis zu.dem Augen 
blide, da die gegenüberliegende Face gejtürmt werde, unter allen Umjtänden 
intaft zu halten, "und Errard treibt diefen Gedanken mit Hilfe jeines jpigen 
Kurtinenwintel® aufs äußerjte, während die italienischen Ingenieure ſich im all- 
gemeinen damit begnügten, ein oder zwei der dem Drillon zunächſt gelegenen 
Geſchütze bis zum legten Augenblide zu fichern. Dieje nannten fie »traditores« 
(Verräter). Vom Neuned an jtellt Errard übrigens die Flanken ſenkrecht zur 
Kurtine, falls Orillons erbaut werden; weil jonjt, wie er anerkennt, „die zurüd- 
gezogene Flanke zu fehr verdedt fein würde*. Seine Flanken haben zwei 
Geſchoſſe, eins über dem anderen. — Merkwürdige Wichtigkeit jchreibt Errard dem 
Prellſchuſſe (tir & bricolle) zu, den man zuweilen anmwandte, um die hinter 
dem Drillon verborgenen Flankengeſchütze zu treffen, was 3.8. 1644 bei Grave— 
lingen einmal gelang, aber doch immer äußerjt ſchwierig blieb. Er empfiehlt 
daher, die Kurtine in der Nähe des Flankenwinkels baulich derart einzurichten 
daß die Geſchoſſe nicht in der Richtung auf die Flanke abprallen könnten. — Die 


2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 835 


demi-lune, d. 5. da8 Ravelin, rät Errard nur bei Bolygonen von weniger als 
ichs Seiten anzuwenden und es dann etwas größer zu gejtalten als bis dahin 
in Frankreich üblich. Entſchieden befämpft er die Contregardes; jie fojteten 
nicht nur unnüß Geld, jondern begünftigten den Angreifer geradezu bei Anlage 
jeiner Batterien; der finde in ihnen ein bequemes Zogement, dad noch dazu z. T. 
außerhalb der Gewehrichußmweite der gegenüberjtehenden Flanke liege. 

Beim Angriffe empfiehlt Errard, Schritt für Schritt vorzugehen, jelbjt 
beim Sturm, der jo oft deshalb verjage, weil es an quten Borbereitungen für 
den Grabenübergang mangele und an gejhügten Logements rüdwärts. — Um 
Breche zu legen, wendet Verfaſſer zwei Batterien an, von denen die eine geradeaus, 
die andere ſchräg ſchießt — ein ähnliches Verfahren empfahl bereits Bigenere. 

Überblikt man Errards Werk, jo muß man zugeſtehen, daß es 
(abgejehen von der jeltjamen Winfeljtellung der Flanken, welche der 
Übertreibung eines an fich berechtigten Prinzips entjpringt), den fran- 
zöfifchen bon sens atmet. In dem Aufgeben oder doch Ablehnen 
des -Ravelins für die regulären Befejtigungen zeigt fich freilich ein 
außerordentlich großer und bedenklicyer Rücdjchritt gegen Spedle. — 
Errard hat die jyjtematische Behandlung der Fortififation in Frank 
reich begründet, und daß dies im Sinne des reinen Bajtionärjyitems 
geſchah, iſt für die Entwidelung der franzöfiichen Befeſtigungskunſt 
auf die Dauer maßgebend geworden; denn der Angelpunkt alles forti 
fifatorijchen Denfens der Franzoſen blieb von den Tagen Errards 
bis zum deutjch-franzöjiichen Kriege von 1870/71 ein für allemal: 
das Bajtion. 


g 124. 


Der zweite franzöfische Befejtigungsjchriftjteller, Claude Flamand, 
Ingenieur des Herzogs von Wirtemberg und Ted, Grafen von 
Mömpelgard, jteht, jo zu jagen, mit dem einen Fuße auf deutjchem 
Boden. Er veröffentlichte zu Mömpelgard i. 3. 1597 Le guide 
des fortifications et conduite militaire pour bien 
se defendre, ein Werf, von welchem er 1611 la seconde edition 
revue et augment6 de plusieurs figures herausgab und dem Herzoge 
Friedrich von Wirtemberg widmete. 

Die Ausgabe von 1597 habe ich nicht gejehen; Marini citiert fie. Rumpf 
u. a. erwähnen auch noch eine Ausgabe von 1570, deren Erijtenz jedoch ſchon 
Mandar (Architecture des forteresses 1801) in Zweifel zieht und gewiß 
mit Recht; denn wenn es eine ſolche gab, konnte die Edition von 1611 ſich 
nicht die zweite nennen. Wahrjcheinlich rührt der Jrrtum daher, daß auf dem 
Bildnis des Autors, welches das Titelblatt der Ausgabe von 1611 jhmüdt, 

53* 


836 Das X VI Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeſtigung ꝛc. 


lints die Jahreszahl 1570, rechts 1611 jteht. Erjtere bedeutet aber unzweifelhaft 
das Geburtsjahr des Verfaſſers; denn das Bild jtellt ihn als einen Mann von 
von etwa 40 Jahren dar. — Eine Berdeutihung der Ausgabe von 1611 
erfolgte unter dem Titel: „Gründtlicher Vnderricht von Auffrihtung vnd Erbawung 
der Veſtungen . . . jodann Kriegsdijciplin von Belägerungen u. ſ. w.“ (Bajel 1612) 
durh H. E. Wieland). 

Ich vermag nur den Inhalt jener zweiten jpäten Auflage anzugeben. Sie 
beginnt mit einer Abhandlung über die Geometrie des lignes droittes, welche 
von den 246 Seiten des Buches 46 in Anſpruch nimmt. Dann folgt bis S. 169 
eine Unterſuchung über la maniere de fortifier les Villes etc. et trasser les 
forts. Den Beihluß macht eine Anmweifung pour assieger une place. — In 
dem von der eigentlichen Befejtigung handelnden zweiten Hauptabjchnitte führt 
der Verfaſſer nad) einigen Einleitungen fein Normaltrace vor: Ein Fünfech mit 
Heinen, jpigen Baftionen, welche doppelte Flanken Hinter edigen Flügeln (orillons) 
haben, bildet den Hauptwall. Dahinter liegt ein nicht baftionierte® Fünfed, 
defien Eden auf die Kehlen der Bajtione des Hauptwalles gerichtet jind. Zwiſchen 
der äußeren und inneren Enceinte ijt ein tiefer Graben ausgehoben, den man 
auf fünf Rampen überjcreitet, die von dem Polygonswall auf den äußeren Wall 
(den bajtionierten Hauptwall) hinüberführen. In der Mitte der ganzen Feſtung 
erhebt jich ein alles überhöhender Generalcavalier (grand cavalier, Katz), der 
unter Umftänden auch doppelt fein fann (grand cavalier double, Doppeltag). 
Bei Kurtinen, welche länger als 500 Schritt find, jchiebt der Verfaſſer ein Meines 
Mittelbaftion ein. — Ein zweites Projeft ijt durch Heine, weit vorgejhobene 
Raveline verjtärkt, welche Flamand warm empfiehlt. Ein dritter, ſtärkſter Entwurf 
jtellt zwei ineinander gelegte bajtionierte Sechsecke dar. — Offenbar zeigt ſich im 
den jpigwinfeligen Bajtionen ein Rüdjchritt gegen die Vorgänger; aud iſt die 
Häufung der Werke fo groß, daß vermutlih Raummangel entjtehen müßte. — 
Zwiſchendurch beſpricht Flamand einige baulihe Details: Fundamentierungen 
ſteinerner Bauten und Anlage von Kontreminen; Einrichtung der Baſtione mit 
Kaſematten, bezgl. offenen hohen „Retraicten“; geſchwind herzuſtellende Baſtione 
aus Holz und Erde, deren große Vorzüge der Verfaſſer mit Einſicht und 
Lebhaftigkeit auseinanderjegt; Bajtione mit runden Flügeln. 

Der Hauptabjhnitt, welder dem Belagerungäfriege gewidmet it, 
handelt zuerjt von dem trigonometrijhen Mefjen der Entfernungen als der Grund= 
lage jedes ſachgemäßen Logements vor einer Feſtung; dann bon der Anordnung 
der Yaufgräben und der Batterien. Hierauf folgt die Darjtellung des methodijchen 
Angriffs einer Front: er richtet jich gegen die Pünte eines Baſtions unter gleich— 
zeitiger Belämpfung der Kollateralflanten. Daran jchließt ji eine Erläuterung 
der Anlage provijorisher Abjchnitte im Inneren des belagerten Platzes und der 
Anlage von Angriffsminen. 

Als Anhang ift ein takftifher Exkurs beigefügt, welcher in großen 
Umriſſen Marſch-, Schlaht- und Lagerordnung, fowie den Bau von Schiff-, 
Faß- und Bodbrüden beſpricht. — Den Beſchluß madt ein militärpolitijches 


1) Behörbenbibl, in Deflau. 


2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 837 


Kapitel, welches warm für den Gedanken eintritt, daß der Fürſt fich feiner 
eigenen Untertanen, nidt fremder Söldner zum Kriege bedienen folle. Dabei 
wird mit Recht auf den Verrat hingewieſen, den der italienifche Graf von Campo 
bajio an Karl dem Kühnen beging. 


Ylamand ift auch VBerfaffer von »Les Math&matiques et G&eometrie« und 
»La Practique et usage d’arpenter et mesurer toutes superficies de terre«, 
zwei Werfen, welde man der Ausgabe von 1611 oft angehängt findet. 


8 125. 


Steht Flamand in engen Beziehungen zu deutjchem Dienjt, fo 
gravitiert jein Zeit und Fachgenoſſe Perret nad) Italien. — 
Saques Perret, ein ſavoiſcher Edelmann aus Chambery, gab im 
Sahre 1594 zu Paris eine Abhandlung Des fortifications et 
artifices darchitecture et perspective heraus, die nicht 
eben viel zu bedeuten hat, obgleich jie prachtvoll ausgeftattet iſt und 
in der 2. Auflage dem Könige von Frankreich als dem »Lieutenant 
de Dieu sur la Teerre« gewidmet wurde. 

Zweite Auflage Paris 1601); dritte Auflage Frankfurt a. M. 1602. — E83 
gibt drei Ausgaben einer Verdeutjhung ded Werkes: Ettlicher Feitungen, 
Stätt, Schlöffer und Häufer, wie die auffs ftärdefte, zierlihite und bequemite 
fönnen gebawet vnd auffgerichtet werden. Von einem Saphoifhen vom Adel, 
Jacob Berret. (Frankfurt 1602.) Oppenheim 1613. Frankfurt 1621.) 

Das Heine Werf zerfällt in zwei Bücher, von denen nur das erjte eigentlich) 
fortififatorifhen Inhalt hat, während das zweite von Schönbau handelt. Der 
Verfaffer liebt es fehr, feine Pläne durch Bogelichauanfichten näher zu erläutern, 
was in der Tat Ungeübten die Borjtellung und namentlih den Begriff des 
Detail wejentlich erleichtert. Er empfiehlt den Vorgraben und Bajtione, welche 


ftatt der Pünte einen einjpringenden Winkel haben, jo daß ſich das bajtionierte 
Zrace mit dem tenaillierten verſchmilzt. 


8 126. 


Abgejehen von dem zweifelhaften Escriba [S$ 115], tritt auch 
Spanien nicht früher in den Kreis der fortififatorischen Literatur 
ein als Frankreich. U. zw. zuerjt durch Chrijtobal de Rojas, der 
i. 3. 1598 zu Madrid eine Teorica y präctica de fortifi- 
cacion veröffentlichte. Ihm reihte jih an Diego Gonzalez 
de Medina Barba mit jenem Exämen de fortificacion 
(Madrid 1599). Beide Werke find mir unbekannt geblieben. 


1) gl. Bibl. zu Berlin. *) Bibl. der 12. Art.-Brig. zu Dresden. 





838 Das XVI Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeitigung ıc. 


8 127. 

Seit der glorreichen Verteidigung Wiens gegen Soliman 
i. 3. 1529, bei welcher der Minenfrieg eine bedeutende Rolle jpielte, 
und jeit dem vergeblichen Angriff Karls V. auf Meg, vor dem 
der Kaijer ſechs Wochen lag und 15000 Kanonenjchüfje abgab, ohne 
den kühnen Kommandanten Franz von Guiſe zur Nachgiebigfeit zu be- 
wegen (1552), hatte Deutjchland feine großartige Belagerung erlebt. Da 
trat im leßten Viertel des Jahrhunderts eine Wendung em, die jich 
zunächjt freilich nur auf bejchränftem Schauplage zur Geltung brachte: 
auf dem Boden der Niederlande, wo ein energiiches Volk gegen 
die umgehenere Übermacht Spaniens in langem, erbitterten Kampfe 
rang. Eine gebieteriiche Notivendigfeit zwang dazu, jchnell und mit 
geringen Kojten Berteidigungswerfe herzustellen, und die Natur des 
Landes fam diejer Forderung auf das glüdlichjte entgegen. Mauer— 
bauten zu errichten war unmöglich; aber in jenen Gebieten, wo Land 
und Waſſer oft faſt ununterjcheidbar ineinander übergehen, da waren 
Erdbauten mit Wajfergräben leicht geichaffen. Ein aufs 
äußerjte gebrachtes, im Kampfe mit der See gejtähltes Volk erfand 
in höchiter Geijtesipannfraft neue Widerjtandsmittel; denn deren waren 
in jedem Augenblide bald hier bald dort zu improvifieren; jeder Erd— 
haufe wurde mit hartnäciger Kühnheit verteidigt, und das Waſſer 
diente nicht nur als paſſives Hindernismittel, jondern es 
ward mit Hilfe von Schleujen und Sielen durch Stauung und 
Überfchwemmung auch aftiv verwertet. Arbeitskraft und Hingebung 
Ichufen bier binnen furzem Werfe, zu deren Herjtellung jonjt viel 
Zeit und Geld gehörten, und die großen Fürjten des naſſauiſchen 
Hauſes entwicelten auch in fortififatorischer Hinficht jene einfichtsvolle 
Tatkraft, der fie auf taftiichem wie auf politiichem Gebiete ihre be 
wunderungswürdigen Erfolge verdanften. Hatte doch ſchon längſt 
vor Beginn des Befreiungskrieges Graf Heinrich von Naſſau die 
Stadt Breda i. 3. 1533 mit Erdwällen ohne Mauerwerk befeitigt 
und dadurch das Vorbild geichaffen, an das fich die weitere Entwidelung 
der niederländiichen Bauweiſe hielt, wenn auch für die Grundriß— 
anordnung zunächit das in Italien und im inneren Deutjchland aus— 
gebildete Bajtionärtrace im wejentlichen maßgebend blieb. 

Mit Spedles » Architecetura« war eine langandauernde, weit— 
verzweigte wifjenschaftliche Bewegung zu vorläufigem Abſchluſſe ge 


2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 839 


langt; mit dem erjten Werfe eines niederländischen Fortififators, des 
Simon Stevin (den die Franzoſen Simon de Bruge nennen), 
brechen die Keime eines neuen Prinzipes durch). 

Simon Stevin wurde zu Brügge t. 3. 1584 geboren. Ur- 
iprünglic) Kaufmann, jah er jich, jeiner proteftantifchen Geſinnung 
wegen, von den Spaniern im Betriebe jeines Gejchäftes gejtört, und 
unternahm nun weite Reifen im nördlichen Europa, um als einer der 
ausgezeichnetiten Mathematiker zurüdzufehren. Die Mechanik war 
jeit fajt zwei Jahrtaujenden jtationär; da wurde Stevin der Vater 
der modernen Statif. Er entdedte das Geſetz des Gleichgewichtes 
auf der jchiefen Ebene; er erfand eine jinnreiche Methode: Größe 
bezgl. Richtung der Kräfte durch gerade Linien auszudrüden und fam 
dadurch auf den Sat des Gleichgewichtes zwijchen drei Kräften 
(PBarallelogramm der Kräfte). Stevin joll Mori von Oranien in der 
Mathematik, wahrjcheinlich auch im der Feitungsbaufunft unterrichtet 
haben; denn die Kämpfe jeines Vaterlandes veranlaßten ihn, ſich der 
praftijchen Anwendung der Geometrie in der Fortififation mit Nach- 
drud zuzumenden. Im I. 1617 erhielt er die Würde eines „Kaſtra— 
metator8 des Heeres der Generalſtaten“. Drei Jahre jpäter ftarb 
er im Hag. 

Stevin jchrieb drei Werke. Der Titel des erjten lautet: Sterckten- 
Bouwing. (Xeyden 1594.) 

Eine zweite Auflage erjhien zu Amſterdam 1624. Eine Übertragung 
ins Hochdeutſche gab Arthus von Danzig u.d.T. „Feſtung-Bawung, 
d. i. kurtze vnd eygentliche Bejchreybung wie man Feitungen bawen vnnd ſich 
wider allen gewaltjamen Anlauff der Feinde zu Kriegszeiten auffhalten, fichern 
vnd verwahren möge... Auß Niderlendifcher Verzeihnuß Simonis Stevini 
Brugensis in hochteutſcher Sprach bejchrieben. (Frankfurt a. M. 1608.) In 
zweiter Auflage ebd. 16232). 

Stevin beginnt mit eimumndzwanzig Wort- und Begriffs: 
erflärungen, welche für das Verſtändnis der niederländijchen 
Schriften von Wert jind, geht dann über zur Betrachtung „voll- 
fommener Fejtungen“, deren Wejen an einem normalen Sechsed 
dargejtellt wird, und bietet endlich einen Überblid der Streit- 
fragen über die beiten Befejtigungsformen. Er entfernt fich in 
diefem Werke noch feinesweges von den gewohnten italienischen Vor— 
bildern; jogar jein Profil bietet noch immer die in üblicher Weije 


1) Bibl. der Kriegsafademie zu Berlin. D. 5633. 


840 Das XVL Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befejtigung 2c. 


mauerbefleidete Esfarpe und weiſt nicht einmal eine Faufjebraie auf. 
Er beherrjcht dabei die gejamte Literatur von Tartaglia bi3 Spedfle, 
und fommt zu dem Ergebnis, dab die drei Hauptpunfte, auf welche 
Ichlieglich alles hinauslaufe, in möglichit vollfommener Flankierung, 
in der Anwendung jtumpfwinfeliger Bajtione und in einen 
polygonalen Grundriſſe bejtünden, der jich dem Kreiſe ſo viel 
als möglid) nähere. 

„Stryken, Stryden (d. i. ftreichen, flankieren) ſegh id, i$ een mit ende 
vornamlid ooghmerd, ende by die het jtryden teghenftant, die wil een Fleet malen, 
daermen twee beenen in een coufje jteedt; id wil jeggen, by jpreedt tegben 
'tghemeen ghevoelen. Ten anderen macdmen bier nod) by voughen als voor 
ghemeene reghel, dat de plomphoudig ste (ſtumpfwinkeligſte) bolwerden (die 
welverjtaende na ’tbehoiren ftrydelig fiin) voor de jterdite ende beſte ghehouden 
worden... Zee derden, dat de evefijdeghe jterdten intront beſchrijvelick 
(aequilatera castra circulo inscriptibilia, alias poligona regularia) de be— 
quaemifte ende oirboirjte formen zyn; wan ſy verbaten met min wals meer plaets, 
'tweld niet alleen ontojtelijder en valt int ghebou, maer boven dien en behouft 
mender joo veel gejhoot noch vold niet toe: daar beneven jo hebben haer bol= 
werden de bejte houcken.“ In den legten Worten bringt der berühmte Mathe— 
matiker den erjten Grundſatz des Spedle [S. 828] zum präzifen Ausdrud, und im 
der Erkenntnis des Wertes der jtumpfwinteligen Bajtione erweift er fi) dem Straß— 
burger Meijter jogar überlegen. 

Überaus Har und wohlgeordnet ift die ſyſtematiſche Überficht der 
verjchtedenen Befejtigungsvorjchläge; es war nicht möglich, um Die 
Wende des 16. und 17. Ihdts. vorurteilsfreier und lehrreicher über 
dieje Dinge zu handeln als Stevin es tut. Zumal das Thema der 
Flanfierung und der Form der Kurtine gelangt zur anjchaulichiten 
Entwidelung, und dieſe Vorzüge treten um jo deutlicher hervor, als 
die Abhandlung jehr kurz und knapp gehalten iſt. 

In dem Jahre, in welchem Stevin zum „Leghermeter“ (Kajtra- 
metator) der Generaljtaten ernannt worden war, gab er zwei fortifi- 
fatorische Werfe heraus, u. zw. im November die »Castrametatio, 
dat is Legermeting. Na d’oordening en 'tghebruye van den 
doorluchtichiten VBorft ende Heere Maurit3 Prince van Oraengien 2c.« 
(Rotterdam 1617,') Leiden 1633.) 

Hochdeutſch unter folgendem Titel: Castrametatio Auraico- 
Nassovica, d.i. Gründlicher und außführlicher Bericht, welchergeitalt ein voll 
tommenes Feldläger abzumefien pnd anzuordnen jeye... Durd einen Liebhaber 


1) Im Beſitze des Verfaſſers. 


2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 841 


ins Hoch-Teutſch vberjegt. (Frankfurt a. M. 1631.)9 — Franzöſiſch u. d. T. 
La castramötation. Leyden 1618). 

Das Wert ijt den „Hoochmogenden Heeren de Generale Staaten” gewidmet 
und mit Bild und Wappen des Prinzen Moriz gejhmüdt. Es zerfällt in vier 
Hauptitüde. Das erite Handelt von der „Bepaling“, d.h. von der Bermefjung 
des Lagers und der Markierung feines Grundrifjes durch Pfähle; das zweite 
lehrt die Liften anzulegen, nad) denen das Kriegsvolk einzuteilen ift und im 
Lager untergebradt wird; das dritte unterrichtet im praftifhen Qagerbau, Ein- 
richtung der Hütten u. dgl., und das vierte Hauptjtüd entwidelt im Gegenſatze 
zu der bisher vorgetragenen oraniſchen Praxis die perſönlichen Anſichten 
des Autors über die zweckmäßigſte Gejtaltung eines immerwährenden Lagers, 
wobei Stevin, als ein gelehrter Mann, natürli” von dem Lager der Römer 
ausgeht. — Für das Studium der niederländiichen Kriege ift Stevins Auseinander: 
jegung der damaligen Zagerreglements von hervorragendem Werte. 


Im Dezember desjelben Jahres widmete Stevin den General- 
jtaten jein legtes fortififatorisches Werk, die „Nieumwe Maniere vom 
Sterctebau door Spilſluyſen“. (Rotterdam 1617.) 

Hochdeutſch unter dem Titel: Waſſerbau, d. i. Eygentlicher vnd voll- 
fommener Bericht von Befejtigung der Stätte durd Spindelſchleuſſen 
wie aud) von Räumung oder Spülung der Gräben vnd Sciffhäfen, Verjteyffung 
der Gründte vnd Auffbauung der Wajjermühlen u. ſ. w. Durch einen Liebhaber 
ins Hoch-Teutſch vberjegt. (Frankfurt a. M. 1631.)) Franzöſiſch als Nouvelle 
maniere de Fortification par escluses. (Leyden 1618.) 

Auch diefe Abhandlung zerfällt in vier Hauptjtüde. Das erjte bejpricht die 
neue Erfindung der Spiljluyfen (raumende Spindelſchleuſen, escluses), 
d. h. der Fang- oder Kammerſchleuſen, deren drei Arten auseinandergejegt werden. 
Die eine, welche dazu dient, Häfen zu räumen, hat aufwindbare Schleufentüren, 
die im Augenblide der höchſten Flut geſchloſſen und bei legter Ebbe geöffnet 
werden. Die zweite dient dazu, niedriges Land troden zu legen. Gie haben 
Punkttüren (Swayetüren, Stedtüren), die fih, wenn das äußere Waſſer am 
niedrigjten jteht, von jelbjt öffnen, und wenn es am höchſten ſteht, wieder von 
felbjt jchließen. Die dritte Art, welche zum Durchfahren großer Schiffe mit 
ftehenden Majten dient, hat zwei Bar Stedtüren und zwiſchen diejen einen 
Koldplap (Schleufentammer) zum Aufenthalte der Schiffe, während das Wafler 
finft oder ſteigt. Es ift die moderne Drempeljchleuje (&cluse busquee), von der 
wieder eine Reihe verjchiedener Arten auseinandergejeßt wird. — Das zweite 
Hauptjtüd handelt von „verjtijping der gronden van flunjen“, d. h. von den 
Wafjerfhmwellen und Kämmen (dodanes). — Das dritte Hauptſtück ijt 
der Anwendung von Schleufen bei der Befejtigung gewidmet und 
erläutert in zwölf Beifpielen die verjchiedenen Möglichkeiten der Lage befeitigter 
Plätze am Meere oder an Wafjerläufen und die daraus hervorgehenden Be— 


1) Kgl. Bibl. zu Berlin. Sammelband H. y. 243. 
2) Ebba. 


842 Das XVI. Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeftigung ıc. 


dingungen und Vorteile bei Anwendung von Schleufen für die Verſtärkung der 
Fortifikation. Es ift dies der widhtigite Teil des Buches, welcher das technifche 
Berfahren der Niederländer, die es jo gut verjtanden, das Waſſer für ihre Ver— 
teidigungszmwede zu verwenden, in allen Einzelheiten veranſchaulicht. — Das vierte 
Hauptjtüd erläutert die Sache dann nod an einigen wirklich mit Schleuſen— 
einrihtungen verjehenen fejten Plätzen, nämlih an Calais, an 
Bliffingen und Deventer. Den Beihluß madıt eine intereffante Auf: 
zählung und Einteilung von Städten der Niederlande unter dem Geſichtspunkte 
ihrer Hydrographifchen Situation: — Städte, die an großen Waſſern mit Ebbe 
und Flut liegen, wie Sluys, Niendijke, ter Tolen, ter Bere, Ziericzee, Willem- 
jtadt, Gertruydenberghe, Rotterdam, Dordredt, Endhuyfen, Amjterdam, fünnen 
mit Spindeljchleufen fortifiziert werden; dasjelbe gilt von Städten an großen 
Strömen ohne Ebbe und Flut, in die jedoch Heine Flüſſe münden, wie Arnheim, 
Zuytphen, Deventer, Swolle u. dgl. — Städte an großen Waflern mit Ebbe und 
Flut, die aber fo fern ab liegen, daß zwijchen ihnen und dem Wafjer ein Lager 
geichlagen werden fann, find mit einer bejonderen Schleufenart zu fortifizieren ; 
jo Bergen op Zoom, Middelburd, den Briel, Schiedam. — Städte an Strömen 
ohne Ebbe und Flut und ohne Einmündung eines Heineren Fluffes, wie Worckum, 
Heujden, Bommel, Kampen, Emmerid) und Reez find wieder mit anderögearteten 
Spilſchleuſen zu verftärfen. Und fo wird die Einteilung fortgeführt und für jede 
Kategorie auf einen der im erjten Hauptjtüd gegebenen Typen venwiejen. 

Stevin erjcheint in jeinen Gejamtleiftungen als Fortifitator höchſt 
bedeutend. Während er in feinem erjten Werfe die Summe der bis— 
herigen Beitrebungen zieht, gibt er in jeiner legten Arbeit die Grund» 
züge der neuen Entwidelung, welche jich in den Niederlanden einge: 
leitet hatte, joweit diejelbe mit der Bewegung des Waſſers zuſammen— 
hangt. Aber auch das Prinzip der mweitausgreifenden, vielgejtaltigen 
Außenwerfe mit ihren Horn= und Kronwerfen, das der niederländifchen 
Befeſtigungskunſt jpäter einen jo eigenthümlichen Charakter verlich, 
kündigt jich bereit3 in den Schlußfapiteln jeines erſten Werfes an, 
die von den „unvollkommenen Feſtungen“ handeln, welche man je 
nach Umſtänden, beſonders der Ortlichkeit, anzuordnen habe.) 


8 128. 


Das unmittelbarjte Bild der Führung des Feitungsfrieges 
unter Mori von Oranien gewähren die Aufzeichnungen, welche 


1) Bgl. über Sterin: Steihen: La vie et les travaux de Simon Stevin (renfermant 
son oeuvre militaire par le souslieutenant du genie Brialmont) 1846 und Goethals: 
Notice historique sur la vie et les ouvrages de 8. Stevin de Bruges, suivie de remarques 
sur les Dodoens par van Meerbeck (Brüflel 1841). — Les Oeuvres Mathematiques de Simon 
Stevin de Bruges par Ab. Girard eridienen zu Leiden 1634. (Der 6. Band hanbelt bier De la 
Fortification.) 


2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 843 


Graf Johann, der Mittlere von Haffau, ein Vetter des großen 
Feldherrn, während des Feldzuges 1597 in den Niederlanden gemadt. 
Sie bilden den Hauptinhalt der Observationes, deren Original- 
eremplar das alte Dillenburger Archiv zu Wiesbaden bewahrt [$ 38]'). 
Der poltorfetiiche Inhalt diejer Denkwürdigfeiten gliedert jich wie folgt: 

„Ban man im anfang fur ein fejtung kömmet vnd diefelbige bejichtigt, 
was alsdann in aht zu nehmen. Wie man einen Ort belegern joll. Bon den 
aproschen, transcheen oder Laufgraben. Bon Galerien dur den feindlichen 
Graben. ®on miniren oder ®ntergraben. Bon sapiren. Bon Stürmen. Bon 
großem Geſchütz und beſchießen. Bon Mörjeln, Fewerkugeln und Fewerpfeilen. 
Bon Petarten. Bon allerhand Bruden (namentlich ſolchen fahrbaren Brüden, 
die über Feitungsgräben zu fchlagen find.) Bon Schanpförben. Bon Schangen. 
(Eine bejondere Rolle jpielen Sternfhanzen und ſolche mit halben Bollwerten. 
Wacht und Loſung. Kundſchaft. 

Wie mancherley Weiß man fan vndpfleget, Statt und Feſtung 
einzunehmen undwasmanauch dargegen für remedia gebrauchen 
kann. — Unter dieſem Titel werden die verſchiedenen Angriffsarten durchge— 
gangen und ſofort die Gegenmaßregeln (remedia) danebengeſtellt. — Jene An— 
griffsarten find: 1. Gewalt mit Geſchütz. 2. Gewalt mit Stürmen. 3. Galeries 
und Sapieren. 4. Minieren. 5. Feuerwerk und Sprengfegel. 6. Aushungern 
mit Blohhäufern. 7. Ausmatten (Ermüden). 8. Erdrenfen. (Unter Waſſer 
jegen, wie es la Fere geſchah). 9. Überhöhen. (Durch Katzen und fahrbare Bat- 
terietürme nad) Art der antifen Heliopolen, wie e8 bei Steenwid gejhah.)?) — 
10. Stratagemata:a) Hinterhalt und Überfall. b) Durchgraben (bei grabenlofen 
Städten). c) Überliftung und Einjchläferung der Wache. d) Ueberrafhung eines 
etwa geöffneten Thors (durch welches Berjtärfung, Proviant od. dgl. eingelafjen 
oder vorgejhobene Wachen abgelöjt werden ſollten). e) Verkleidete Soldaten. 
f) Nachſchlüſſel der Thore. (?!) g. Branditiftung. h) Plögliche Leitererjteigung, 
nahdem man vorher einen ganz entlegenen Punkt jcheinbar ernjtlid bedroht. 
i) Hinderung des. Thorſchluſſes durch herangerollte Heumwagen, wie es der Cardinal 
in Amiens tat, (identijh mit d). k) Überfall durch Soldaten, die auf Schiffen 
verborgen find. (Beifpiele: Breda und Majtricht). I) PBetarden. m) Eindringen 
durch heimliche Orter KKloaken). n) Benugung des Froftes. 0) Verkaufen (Be- 
itehung). p) Falſche Briefe, welche den Angreifer als Freund darſtellen. q) Ein— 
ſchüchterung, „Übereilung“, gelingt ſonderlich bei kleinen Plätzen. r) Mißbrauch 
von Gefangenen u. ſ. w. 

Bom Parlamentieren. Vom Entjag. — Gründe für eine niht vom 
Angreifer erzwungene Übergabe: Meuterei der Bejagung oder der Bür- 
gerſchaft. Mangel an Munition. Demoralijation. Hunger. — Bon Camifaden 


1) K. 9T71a. (ine zweite, wenig abweichende Nieberjchrift diefer Observationes findet ſich in 
dem erften Banbe von Johanns „Kriegabuh” (Dillendburger Arhiv K. 923), 

?) An andern Stellen von Johannes Schriften (K. 923 und 971a des Dillenburger Archivs), wirb 
aud dad „Mahlen“, d. h. das Waſſerabgraben empfohlen. 


844 Das XVI Jahrhundert. IV, Die Wifjenihaft von der Befejtigung zc. 


oder nädtlihem Infall. — Bon den LRaufgräben, ihrer Einrihtung und ihrem 
Schutz. 

Die Einrichtung der Feſtung: — Vom Hauptgraben; was der Feind 
gegen ihn zu unternehmen pflegt; von der Form des Grabens; Riegel oder Ge— 
ſchrenke mitten durch den Graben. Vom kleinen oder blinden Graben. Vom 
Bärn (Batardeau). Schützen und Schleuſen. — Vom Zwinger oder Umlauf am 
Fuß des Walles. — Verlohrene Wehr oder auswendige, niedrige Polwerck. — 
Bon Paſteyen, Bolwerck, jo aus dem Wall hervorgehet. Wie die Polwerchk ſollen 
gemacht vnd formiert jein. Bon Schultern oder Deden der Streihwehren. Bon 
Streihwehren oder Kafematten. Bom Wal. Von Bruftwehr und Schanztörben. 
Bon Schiehlöhern. Bom inwendigen Zwinger oder Umlauf Hinder dem Wall. — 
Vom halben Monat. Ravelin.) — Bon Mefelarn (?), d. ſ. fahrbare große Holz 
hütten, um Schügen hinter der Brefche oder in einem jchlechtflantierten Graben 
Dedung zu gewähren. — Bon Platteformen oder Hagen auf den Wälen oder 
Bolwerden. — Bon der Stadtmauer. Von allerien oder Umgang uff der 
Mauer. Bon ihren Türmen. — Bon Rallijaden. 

Die Darjtellung des Grafen zeichnet fich durch praftiichen Sinn 
und jchlichte Klarheit aus. Einen eigentümlichen echt milttärijchen 
Charakter hat fie injofern als fie mwejentlih vom taktiſchen Ge 
jihtspunfte ausgeht. 

Nicht die Feitung an fich, jondern der Kampf ijt ihr die Hauptjade; nicht 
als Architekt, jondern als Soldat tritt Graf Johann an die Befeſtigungskunſt 
heran. Das zeigt ſich fogar in dem der eigentlichen baulichen Technik gewidmeten 
legten Hauptabfchnitte feiner Abhandlung; denn bier behandelt er jedes einzelne 
Feſtungswerk, jedes fortifitatorifche Hilfsmittel, ftet3 unter folgenden vier Geſichts— 
punkten: Wozu dient e8? Was pflegt der Feind dagegen zu tun? Remedia? Wie 
iſt es daher zu bauen, bezgl. herzujtellen ? 

Außer diejer Abhandlung finden ſich in den militärischen Kollefta= 
neen Johanns noch manche fortififatoriiche Einzelheiten, auf die hier 
jedoch einzugehen unmöglich ift. 


Des Grafen Darjtellung des TFeitungsfrieges, welche dem ums 
mittelbaren vollen Miterleben entiprungen tt, könnte man wegen der 
geradezu entgegengejegten Behandlungsweiie jene Architectura 
militaris Belgica gegenüberjtellen, eine Papierhandichrift vom 
Ende des 16. Ihdts., welche in der Fürftl. Bibl. zu Donauejchingen 
aufbewahrt wird und auf 32 Bl. Federzeichnungen niederländtjcher 
Befeftigungen mit lateinijchem Terte bringt. (Nr. 861.) 


8 129. 
Auch im legten Jahrzehnt des 16. Ihdts. hat Italien eine Reihe 
von fortififatorischen Schriftjtellern hervorgebracht. Zuerjt zu nennen 


2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 845 


ft Buonaiuto £orini von Florenz, der die reichen Erfahrungen 
einer vierzigjährigen Dienjtzeit, zumal während der Türfenfriege und 
in landern, zujammenfaßte in Delle fortificationi libri 
cinque ne’ quali si mostra con le piü facili regole la scienza 
con la pratica di fortificare le citta e altri luoghi sopra diversi 
siti. (Venedig 1592.) 

Zweite Auflage: Venedig 1597), dritte mit einem jechjten Buch vermehrte 
1609, Neudrud derjelben 1659. — Verdeutfhung der Auflage von 1597 von 
David Wormbjer, (Frankfurt a. M. 1607)9 und des fechjten Buches von Theod. 
de Bry (ebd. 1616)3); alle ſechs Bücher ebd. 1620 ®). 

In dem Verzeichnis der Verdeutſchung iſt der Inhalt folgender: 
maßen angegeben: 

1. Bon der Wiſſenſchaft jampt den Reguln vnnd Urjahen, wie man 
alle Grundtriffe der Vejtungen aufreißen vnd zu einem volltümmlichen Ende 
bringen joll. — 2. Die BPractid, mit welcher man ein Veſtung wirdliden an— 
fegen vnd bawen foll. — 3. Bnderjhiedlihe Grumdtrifje, wie man die 
bejtverjtandnejte darunter außlefen jol. — 4. Der Bnterfheid: der situs 
oder gelegenheit der örter vnd wie man diejelben bevejtigen joll. — 5. Die me— 
chaniſchen Künjte jampt eim vnderriht, wie man vielerley Werdzeug vnd 
Injtrumenta machen fol, beydes mit einem Kleinen gemalt jehr große Läſte zu 
heben, wie auch gar vff einen leichten Weg die Sachen zu Wegen zu bringen, jo 
beyde in Friedens- vnd Kriegszeiten des Menſchen Leben am nötigjten find. 

Waren in früheren Schriften die Feſtungswerke meijt perſpektiviſch 
dargejtellt worden, oder doch da, wo einmal ein „Plan“, d. h. eine 
Zeichnung „auf plattem Grunde“ gegeben wurde, nur jelten nach ein 
heitlichem, für eine wirfliche Bauvorlage geeigneten Maßſtabe „ges 
riſſen“, jo bringt e8 der geometrifch gutgejchulte Yorint zu genauen 
brauchbaren Plänen: eine Neuerung von bedeutender Wichtigkeit. 
— Dementjprechend legt der Verfaſſer auch großen Wert darauf, 
daß die Befeftigungsfunde als Wiſſenſchaft anerfannt werde, 
und jtellt darüber im 1. Buche folgende Betrachtung an: 

Eine Wiſſenſchaft ift die Fortifitation ohne Zweifel; dieweil fie jre Fun— 
dament und alle Formal Bolltommenheit von den Mathematici$ sientijs hat, 


welche wegen ihrer gewifien Beweijungen befandte Scientiae jeyn. Vnd indeme 
die Fortififation mit gewiffen vnd determinirten Reguln das unzweiffelhaffte Ende, 


1) Sol. Bibl. zu Berlin (H. y. 160), Berliner Kupferftihtabinet und Behördenbibl. zu Deſſau. 
*) Kol. Bibl. zu Berlin (H. y. 168, Sammelband), BWehörbenbibl. zu Defjau. 

s) Kgl. Bibl. zu Berlin (H. v. 18806, Sammelband). 

* Bibl. des Berliner Beughaufes (B. 791). 


846 Das XVI. Jahrdundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeitigung ꝛc. 


einen Situm zu fortificiren vnd zu verteidigen, proponiret, jo ijt jie auch eine 
Kunft. Bnd da fie darnad) zum Acte practico jchreitet, indeme ſie vielerlei Be- 
Ihwärungen der Materien findet, damit man wirdet und bawet, wird fie eine 
Facultet... Unter den yaculteten aber kann man feine finden, die ihr gleicher 
ſeye als die Medicina. Dann diefe beyden ſcheinen als wann jie in allen Dingen 
bbereintreffen... Die Situs jo man fortificiren will, haben allezeit eine Un— 
vollfommenheit an jhnen, wie ein frander Leib, zu welchem die Artzney joll ge 
braucht werden; vnd erſtlich joll man feine Complexion betradten, nemlich ob 
er Felſen oder Erden jeye. Wenn er von Feljen ift, jo wirdt er jtard genug 
vnnd leicht mit einem ſchlichten Medicamento oder Argney zu erhalten jeyn; iſt 
er aber von Erden, die der Hawen oder Undergraben underworffen, jo iſt er bin- 
gegen von Natur jehr ſchwach vnd fann ihm leicht jchaden geſchehen . . und jo 
jol man jolde jtarde Arpenei appliciren, die dem Corpori der Bejtunge wol be- 
fomme, daß es genug eye, diejelbe zu erhalten.“ 


Im 3. Buche macht Lorini den Verjuch einer gejchichtlichen 
Überjicht der wichtigsten Befejtigungsmethoden vom Alter: 
tume bis zu jeiner eigenen Zeit, welcher zwar noch recht aphoriftiich 
ausfällt, doch in den Hauptgedanken richtig it. — Das 5. Bud, 
die meccanicca jcheint bedeutend zu jein und verdiente einmal 
genaue Durcharbeitung jeitens eines praftiichen Mathematifers. 

Die Hauptzüge von Lorinis „Manier“ find die fol 
genden: 


In den verjchiedenen Tracks, die Lorini für eine baftionierte Front gibt, 
juht er die Flanken ſtets durch weit vorjpringende Orillons zu deden. Meiit 
hat die Flanke nur eine Feueretage, um die Kehle des Bollwerf3 nicht zu ver- 
engen. Die Entfernung von der Flanke zur gegenüberliegenden Pünte joll min- 
deſtens 150, höchſtens 180 Schritt betragen; denn ſei dieje Linie fürzer, jo erlaube 
fie dem auf der Kontresfarpe logierten Feinde die fihere Beſchießung der Flante; 
fei fie länger, jo reiche die Tragweite des Gewehrſchuſſes nicht aus zur Verbin: 
derung des Grabenüberganged. Die Verlängerung der Facen joll die Kurtine 
auf %/s ihrer Länge jchneiden ; auf foldye Art entjteht genügender Raum für den 
nahe an die Flanke gelegten, redanförmigen Kavalier, der über die Kurtine weg 
das jenjeitige Bajtion bejtreiht. Die Kurtine ift, wie bei den meijten Bauten 
diefer Zeit, etwas niedriger al die Bollwerfe. — Konftruftionelle Verjtärtungen 
der Mauer gegen das Gejchügfeuer verfhmäht Korini; es genügt ihm, wenn das 
Nevetement dem Erddrude widerjteht. Seine Strebepfeiler liegen weitläufiger ala 
bei Caſtriotto und find am Anjag am jtärkiten. Der Kordonftein liegt im Niveau; 
über ihm läuft eine jteinerne Brujtmauer, die einen Rondengang jhüßt, der zu: 
gleich ald3 Berme dient und hinter dem die Böſchung der jehr hohen Bruſtwehr 
anjteigt, die als zweigeſchoſſig zu bezeichnen if. Denn auf die überaus jtarte 
Brujtwehr, welche die Artillerie dedt, it noch eine jchwächere, mit Scharten ver: 
jehene Infanterie-Brujtwehr aufgejeht. Dieje Anordnung, welche ji) aud bei 


2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 847 


San Gallo findet, wird mit Recht von de Ville befämpft [XVII.a. 8115]. Die 
obere Fläche der Artillerie-Bruftwehr neigt jih nicht nad) außen, fondern nad) 
dem Plage zu, um die Dedung zu erhöhen und den Nondengang nicht voll 
Wafjer laufen zu lafien. Statt der Caponnieren legt Zorini im Graben un— 
mittelbar hinter der Cunette eine fügeförmig geführte 6° hohe Bruftwehr an, 
deren Berteidiger durch ziemlich nahe aufeinander folgende Traverjen gegen Revers— 
feuer gejichert find. Kleine, über die Cunette geſchlagene Brüden erlaubten offen= 
fives Vorgehen im Graben. — Lorini hatte alle Übelftände des dem Geſchützfeuer 
ausgejegten Mauerwertes wohl erkannt und erbaut daher jogar die Merlons der 
Flanken nicht mehr aus Stein, jfondern aus Erde mit ſolider Holzbefleidung. 
Im übrigen wendet er Holz bloß bei Schartenbauten an, während er alle Wälle 
nur aus lagenweije aufgejchütteter, fejtgerammter Erde ganz ohne Strauchwert 
und ohne „Ketten“, d.h. ohne Fachwerk, bildet. Die Schartenenge legt er nidt 
in die Mitte, fondern an das innere Ende der Scharte. Das Glaciß bededt er 
mit loſen Steinen, um dem Feinde dort durh Aufſchlagsſchüſſe zu jchaden. 


Auch die Begebenheiten bei Angriff und Verteidigung der 
Fejtungen hat Lorini fich methodijch zurechtgelegt. 

Beim Angriffe unterjceidet er fünf Arten von Erdarbeiten: 1. Offene 
Laufgräben in Zidzads; 2. unterirdiihe Annäherung zum Durchbruch der Kon— 
tresfarpe auf der Grabenjohle; 3. Erdlavaliere (Katzen), um Einſicht in den Platz 
zu gewinnen und Hocbatterien anzulegen; 4. Vorbereitung des Grabenübergangs 
durch Ausfüllen; 5. Durhbrud einer Bollwerfmauer, um das Baftion durch 
Minen zu fprengen. 

Die Angriff8-Artillerie fol in dreifadher Weije verwendet werden: 
1. Zur Zerjtörung der Flankierungsanlagen; 2. zum Brechelegen, wobei die 
Mauer jo niedrig ald möglich zu fallen ift; 3. zur Bejtreihung der Verteidiger 
in Front, Flanke und Rüden durd) Batterien, die auf hohen Kavalieren angelegt 
werden. In lepterer Hinficht iſt Yorini durch feine Kämpfe mit den Osmanen 
bejonders erfahren und jchildert beifpielsweife ausführlid die Belagerung von 
Famaguſta i. 3. 1570, 

Der Verteidigung empfiehlt Lorini den Gebrauch leichter Hinterlader 
und den von Feuerwerk auf der Brede. Bei legterem möge man jedoch jehr 
vorfichtig fein; leicht ſchade man fich jelbjt mehr al8 den Stürmenden. 


Der Nachtrag zu Lorinis Werk führt in der Verdeutjchung 
den Titel: „Das jechjte Buch von der Fortificattion Bonajuti Lorini, 
in welchem von Defenſion der Bejtungen, Gebraud de3 
Geſchützes jampt der Practic vnd Erfahrung, welche die Canonirer 
haben jollen, gehandelt wirdt. Deßgleichen wie man Grundriß machen 
und Diſtanzen mejjen ſoll.“ — Diejer Titel des vortrefflichen, dem 
Markgrafen Joachim Ernjt von Brandenburg gewidmeten Buches gibt 
jenen Inhalt hinreichend an. Es ijt mit anjchaulichen Kupfertafeln 


848 Das XV]. Jahrhundert. IV. Die Wifjenjchaft von der Befeſtigung ꝛc. 


ausgejtattet und bietet eine willfommene, auf der Höhe der Zeit 
jtehende Vervolljtändigung der älteren fünf Bücher. 


8 130. 


E3 mag wohl manchem auch in Italien des fortififatorijchen 
Treibens zu viel geworden jein; ein Anzeichen dafür liegt in des 
Benetianer® Patrict »Paralleli militari« (Rom 1594) vor, 
welche jich lebhaft gegen den Gebrauch von Feitungen ausjprechen. 
— Zwei Jahre jpäter jchrieb Scala Delle fortificatione ma- 
tematiche (Rom 1596), und abermals zwei Jahre darauf gab 
Lapo-Bianco [S. 657] einen furz gefaßten Anhang zu jeiner Corona 
militare u. d. T. Breve ragiomento sopra la fortifica- 
tıone heraus. !) 

Dem Wunjche, jich geographiich und topographijch über Die 
vorhandenen Feitungen zu unterrichten, famen drei Venetianer 
entgegen: zuerjt u. zw. jchon 1567 Senoi mit den »Principali 
fortezze del mondo«, dann 1569 Balloni mit Disegni 
nelle piü illustri cittä e fortezze del mondo und 
endlich Bertellio mit dem Theatrum urbium italicarum. 1599. 

Die militärpolitifhe Indiskretion derartiger Veröffentlihungen fiel den Beit- 
genofjen auf. Insbeſondere äußert ſich Spedle darüber mit einem mihbilligenden 
Seitenblide: „Und ob ich ſchon deren eine große Menge (Pläne) beſitze, habe ich 
doch nur eine, zwo oder drei zu Erempeln verzeichnet, an denen nicht höchlichen 
gelegen, auch nicht jeder weiß, wo folhe find, wiewol die VBenediger vnd andere 
Stalianer alle Feitungen in der Welt in trud lafien ausgehen, deshalben fie doch 
niemalen find zu red gejegt worden.“ (Architectura von Feſtungen. 1589. 
Bl. 14, b.) 


8 131. 


Den Beſchluß der italienischen Fortifitationsliteratur des Cinque 
cento macht man billig mit den Werfen des Mailänders Gabriello 
Busca, weil er in einem jeiner Bücher ausdrüdlich die Literatur des 
Jahrhunderts zujammenzufaffen gejucht hat. Er war Feſtungsbau— 
meijter des Herzog8 von Savoyen, jpäter Capitano d’Artigleria in 
Mailand und literarijch recht fruchtbar. Eines artillerijtiichen Büch— 
leins wurde bereit3 gedacht [S. 750]. — Zwei fortififatorifche Arbeiten 
Buscas ruhen ungedrudt in der Bücherei der Marcheſi VBisconti zu 


1) Aupferftichtabinet zu Berlin (Nr. 2054). 


2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 849 


Mailand. Beröffentlicht wurde zuerit Della espugnatione et 
difesa delle fortezze libri due. (Turin 1585.) 

Zweite Auflage 1598), dritte 1599, vierte 1736. Deutſch ald: Zwei Bücher 
von Beitürmung und Beihügung der Feſtungen. (Frankfurt a. M. 1619). 

Dies Werk gibt ein volljtändiges Bild des Feitungsfrieges 
gegen Ende des 16. Ihdts. 

Busca empfiehlt, lieber mehrere getrennte Angriffe jtatt eines einzigen 
zu unternehmen. Die Winkel und Abrundungen der Laufgräben mill er 
möglichſt vermeiden, um Werkzeug und Munition bequemer durdführen zu fünnen; 
tie Dedung jol unter Umjtänden durd große Schanzförbe erzielt werden. Die 
Breite der Tranchee ift mindeſtens 10‘, die Tiefe jo, daß der Mann überall gededt 
jei. Hat die Stadt Türme oder Kavaliere, jo find diefe zumächit zu zeritören, 
um das Defilement der Laufgräben zu erleihtern. Die Brechbatterien jollen 
auf der Stontresfarpe angelegt und die Breche in einer Bollwerfsface herbeigeführt 
werden. Intereſſant ift e8, dab Busca, obgleid) er im allgemeinen vorjchreibt, 
die Mauer jentreht zu beſchießen, doch auf Grund feiner Beobachtungen die 
Anficht ausipridt, daß Schüfle, die etwas ſchräg auffchlügen, größere Wirkung 
hätten, weil, wenn die Oberfläche der Mauer erjt einmal durchbrochen fei, eine 
ichräg kommende Kugel mehr von dem erjchütterten Mauerwerte fortriffe, als die 
ſenkrecht treffende. Einen durd) Strebepfeiler gejtügten Wall foll man in der Art 
angreifen, daß man die Mauer 1 bis 2 Fuß unterhalb des Kordons durchſchneide 
und dann die Strebepfeiler durch Schrägſchüſſe von der Seite faſſe. — Gut aus: 
geführte Erdwälle find, Buscas Anficht nad, gegenüber dem Geſchütz am wider: 
jtandsfähigjten; aber fie haben den großen Nachteil, daß Feuchtigkeit, Negen und 
Froft das tragende Holzgerüjt (da8 er alſo als unerlählich voraugfegt) in 6 bis 
7 Jahren dermaßen angreifen, dab dann dad Werk morjc wird und die Eskalade 
erleichtert. Erdwerke joll die Artillerie nicht wie Mauern auf %s oder Ya ihrer 
Höhe angreifen, jondern fie von oben her abfämmen, wozu ſich 80- bis 100-pfündige 
Steingejchofje bejjer eignen als Eiſenkugeln. Freilich feien Steingejchojie, der 
Kaliberverhältniffe wegen, jhwierig zu verwenden; wie denn überhaupt die Kaliber— 
verfchiedenheiten große Übelftände im Gefolge hätten. Am beiten jei es, alle 
Belagerungsgeihüge auf ein Kaliber zu bringen und nur die Längen und Ge— 
wichte der Feuerſchlünde wechſeln zu lafien. — Das bejte Mittel zum Angriffe 
von Erdmwällen jeien aber Spaten und Hade; mit ihnen ergebe ſich die bei 
weitem reinjte und gangbarjte Brehe. In diejem Falle verwende man die auf 
der Kontreskarpe plazierte Artillerie lediglich zur Belämpfung der Flankierungs— 
werte und führe die Sappeurs auf einer von Schanzförben überhöhten Traverje 
durh den Graben an den Fuß des Walles, wo fie dann unter Schirmen zu 
arbeiten hätten. Auf diefe Weife wurde St. Quentin genommen. 

Ausführlich äußert fi Busca über den Minenkrieg. Er fennt die Vor: 
züge gefrümmter Gänge und will, daß der Minenofen über der Gallerie angelegt 
werde. Genaue Lademaße vermag er noch nicht vorzujchreiben. Dem Kontre— 


1) Bibl. der Kriegdalademie zu Berlin (D. 6195). 
Jähns, Geſchichte der Krriegswiſſenſchaften. 54 


850 Das XVI Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeitigung ıc. 


mineur rät Busca, abzuwarten, bis der Ofen des Angreifers geladen jei, hierauf 
einen Stollen hinzutreiben und das Pulver unter Waſſer zu jegen. 


Dann erjchten Busca’3 L'architettura militare, libro 
primo (Mailand 1601),') dem noch zwei Bücher über Lagerweſen 
und Feldbefeſtigung und über Mechanif und Artillerie folgen jollten, 


von denen jedoch nur die Kapitelüberjchriften vorliegen. 
Spätere Auflagen: Mailand 1619, 1641. 


Dies Werf hat bejonderes Interefje dadurch, dag es eine ge 
Ihichtlihe Uberjicht der Bajtionärbefejtigung gibt und dab 
der Berfafjfer die vorzüglichiten Zehrer der Befejtigungs- 
funit im 16. Ihdt. namhaft zu machen unternimmt. 

Er nennt Dürer, Seriva (Escribä), Tartaglia, Hieronimo di Angiari (d. i. 
Maggi), Eajtrioto, Pietro und Hieronimo Cataneo, Mora, il San Marino (d. i. 
Belucci), Genga (?), Alghiſi da Carpi, Yupicini, Teti‘) und in zweiter Neibe, 
als vornehme Förderer der Wiffenihaft, die Signori Giul. Savorgnani, Sforza, 
Ballavicini und Gabrio Serbelloni. Auch des Ritters Pacciotto da Urbino ge- 
ihieht Erwähnung, der zwar nichts gejchrieben habe, jedoch wegen feiner Bauten 
als rühmliches Vorbild gelte. 

Nach einjichtiger Betrachtung aller einzelnen fortififatortichen 
Elemente gibt Busca jein Normaltrace: 

Bajtionierte Front. Kurze, auswärts gewendete Kurtine mit Mittel- 
favalier; feine Nebenflanten. Stumpfwinfelige Bollwerfe mit Kavalieren in 
den Höfen; zurücdgezogene Flanken mit drei Feueretagen; vor der niederen Flante 
nicht nur ein Separatgraben, jondern auch ein Heiner überwölbter und frenelierter 
Zambour, dejlen Außenmauer einerjeit3 an das Drillon, andererjeit3 an die 
Kurtine anjchliegt und jo eine Art Kaponniere oder permanenten Koffers bildet. 
(Diefe Anordnung ift allerdings auf der zujammenfafienden ultima figura nicht 
dargeftellt, wird aber vorher im Tert eingehend erläutert.) Vor der Kurtinen— 
mitte ein großes Ravelin mit Doppelflanten und Kapalier. Sägeförmiger 
gededter Weg mit Waffenpläßen. 

Zaſtrow jagt über dies Trace: „der gededte Weg und das große 
Ravelin jind das Vorzüglichite dieſer Manier; jie haben unſtreitig 
den Ruhm ihres Verfaſſers begründet, obwohl mit Unrecht; denn 
YBusca hat jowohl das Navelin wie die Einrichtung der Bajtione 
und deren Kavaliere bis in die geringjten Details von Spedle fopiert, 
welcher 30 Jahr vor ihm jchrieb... Der einzige Unterjchted beider 
Methoden iſt der, daß Busca eine gerade Kurtine und auf derielben 


I) Bibl. der Kriegsalademie zu Berlin. (D. 5615). 

2) Bon all’ diejen Autoren ift gehandelt worden, mit Ausnahme von Pietro Cataneo (1554), 
der weit mehr Schönbaumeiſter als Fortififator war, und von dem Gapitan Genga, über ben ich mit: 
in Erfahrung bringen fonnte. 


3. Bujammenfafjende Betrachtungen. 851 


keinen Kavalier hat.“ — In dieſer Bemerkung ſind Wahrheit und 
Irrtum gemiſcht. Speckles Werk [$ 121] erſchien 1589, Buscas 
Architettura 1601, alſo 12 Jahre ſpäter. Die Figura ultima 
derſelben (Ausſchlagsblatt Hinter p. 274) iſt eine bis in die ge— 
ringjten Einzelheiten mit Zirkel und Lineal genau und in 
gleichem Maßſtabe abgezeichnete Kopie von Spedles Kupfer- 
blatt Nr. 12, links. Site jtimmt haarjcharf und hat daher natürlich 
auch ausjpringende Kurtinen mit Mittelfavalteren.!) Die Quinteſſenz 
von Buscas Weisheit ijt aljo ein einfaches Plagiat aus Spedles 
Werf, und da muß es denn doch in hohem Grade befremden, daß 
Busca unter den Autoren, welche vor ihm über Fortification ge 
Ichrieben, nur einen einzigen Deutjchen, den Dürer, nicht aber unjern 
Spedle nennt. 


3. Gruppe. 
Bufammenfaffende Betrachtungen. 
8 132. 

Montecuccolis Wort: »Lattacco inscegna la difesal« ijt das 
beite Motto jeder Gejchichte der Befejtigungsfunit. Es erflärt aud) 
das Entjtehen der modernen Fortififation; denn dieſe ijt der 
Rückſchlag gegen die durch die Entwidelung der Artillerie gewaltig 
gejteigerte Kraft des Angriffs, welche jich jeit der Mitte des 15. Ihdts. 
zu jtetS wachjender Geltung brachte. — Auf dreifache Weiſe juchte 
man ihr entgegenzutreten: 

1) Durch Verjtärfung der Umfajjung jelbit. 

2) Durch Anlage von Hohlräumen in den unteren Teilen der 
Werke, um auch in diefen Geſchütz aufzuitellen und jo durch Anordnung 
desjelben in mehreren Gejchofjen ein Übergewicht über die Belagerungs- 
artillerie zu gewinnen. 

3) Durch jachgemäße Grundrißgejtaltung und gute Vertei— 
lung der flanfterenden Werfe (Bajteten, Streichwehren.) 

Alle drei Elemente treten in der deutſchen Bauweiſe mit 
Schutten, Bajteien und Bergen, wie jie Schermer um 1430 
(ehrt, deutlich hervor. — Die Erfenntnis, daß Erdbauten der Artil- 


ı) Sie hat aber nicht den frenelierten Tambour, von welchem Busca im Texte rebet. 


54* 


852 Das XVI Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeftigung ꝛc. 


lerie bejjer wiederjtehen als jteinerne Mauern hat hier jogar dahin 
gerührt, den Bau lediglich aus Boden, Holz, Faſchinen und Hürden 
zu errichten, wobei offenbar alte Überlieferungen einer jolchen Bau— 
weije Hilfreich entgegenfamen. Der Wunjch, die bisherigen, z. T. jo 
herrlichen und koſtbaren Mauerbauten zu erhalten, hat indes in 
den meijten Fällen zur Folge gehabt, die jchon beftehenden Stein- 
umfafjungen in der Weije zu verjtärfen, daß man die Erd- und Holz 
bauten mit ihr verband, d. 5. dat man fie entweder unmittelbar an 
jie anlehnte oder vor oder Hinter ihr neu aufführte. Dies nannte 
man „remparieren,“ während man die Errichtung von Bauten 
aus verjchränften Hölzern, Strauchwerf und Erde als „baftionieren“ 
bezeichnete. Solche Bajtionterungen fommen, auch in Italien, noch 
im jiebenten Jahrzehnte gar nicht jelten vor. 

Ein warmer Vertreter diefer urjprünglich deutfchen, von den Paduanern 
(1509) und della Balle (1521) über die Alpen gebradten Bauweiſe war in Jtalien 
Alghiſi da Carpi (1548). Auch Marchi's balkendurdjegte Lehmmauern (1555) 
find nur eine neue Gejtaltung derjelben Idee. Ganz befonders aber zeigen ſich 
Eajtriotto uud Maggi (1564) dem Baftionieren geneigt. ajtriotto fejtigt feine 
Bruftwehr, indem er zwiſchen Stirn und Rüdenmauer ein Gemenge von Erde 
und Strauchwerk füllt und dazu bemerkt: „Das Ganze ift bajtioniert (bastionatto 
il tutto) und gut mit tüchtigen Faſchinen hergejtellt, die aus Eichen oder Kaftanien- 
zweigen oder aus Heidekraut bejiehen. Je dünner und biegjamer dad Material 
ift, dejto weniger Schaden tut das Geſchütz.“ — Maggi konjtruiert feine Wälle 
in der Art, daß er von 3 zu 3 Fuß Höhe wagerechte Schwellen legt und fie durch 
ſenkrechte Träger verbindet. Die Kreuzungen jtügt er durch Streben und vernietet 
dag ganze Gerüft mit langen Nägeln aus hartem Holze. Dies Fachwerk nennt 
er (wie noch weit jpäter, 1592, Xorini) catene, d. h. Ketten, und füllt e mit 
ſtark gejtampfter Erde aus. Maggi erklärt diefe Katenen für durchaus notwendig. 
Ein ohne fie von Martini und San Marino zu Piſa erbautes Erdbajtion ſei 
beim erjten Regen bejhädigt gewefen, ein anderes derartige® von San Michele 
auf Korfu errichtetes Wert bei einem Woltenbrude völlig zufammengeftürzt. — 
Man benügte diefe Fachwerlsbauweiſe des Walles aud) in dem Sinne, daß man 
ihm eine von der Befleidungsmauer unabhängige Haltung geben wollte, die ihn jogar 
nad) der Brechlegung der Mauer aufrecht erhielt, und begnügte fi) dabei nicht nur 
mit dem Holzgerüfte, jondern behandelte aud den einzufchüttenden Boden jelbjt 
in der forgjamjten Weife: man jiebte ihn durh, man jtampfte ihn feſt; man 
miſchte ihn oft mit folofjalen Faſchinen, Flechtjträngen, langem Stroh und Mörtel 
und befleidete ihn endlid mit Hürden oder Rafen. 


Je jeltener jedoch an die Ingenieure noch die Aufgabe herantrat, 
alte Mauern zu remparieren, je häufiger man aljo von vornherein 
Strebepfeiler und Entlajtungsgewölbe beim Bau der Schärpen an- 


3. Zufammenfafiende Betrachtungen. 853 


wendete, je mehr man jich endlich überzeugte, daß die Widerjtands- 
fähigkeit des Holzes gegen die ſtockende Erdfeuchte gering ſei und 
feicht zu Sadungen führte, dejto mehr fam man von der Verbindung 
des Fachwerks und des Strauchwerf3 mit der Erde zurüc, und gegen 
Ende des Jahrhunderts Handelt es fich tatjächlich nur no um un: 
befleidete oder um jteinbefleidete Erdwälle. 

Für reine Erdmwälle ſprach ſich jchon um die Mitte des Jahr 
hundert3 in Italien Lanteri aus (1559); zur Geltung aber fam 
dieſe Bauweiſe erft durch die Praxis der Niederländer, welcher die 
Sranzojen de la Noue (1585) und PVigenere (1590) Tebhaft zu- 
jtimmten. Volle Sturmfreiheit jchien allerdings bet folchen reinen 
Erdwerfen nur unter der Vorausfegung der Anlage nafjer Gräben 
gefichert, wie jolche (wohl gar noch in Verbindung mit Schleujen- 
jpielen) in den Niederlanden leicht, in anderen Gegenden aber oft gar 
nicht einzurichten waren. In Italien widerjprachen überdies die auf 
den Steinbau gerichteten antiken Überlieferungen ſowie oft gewifje 
Örtliche Bedingungen (Mangel an brauchbarer Erde) jener nordiichen 
Tendenz; ſolche der Technik nach „proviforiich“ zu nennende Be 
fejtigungsweife war für die Italiener auch nur ein hiſtoriſches Provi— 
jorium; fie wendeten jich von den „Baftionterungen“ ab, und endlic) 
blieb von der zu Anfang des Jahrhunderts jo eifrig übernommenen 
Baumeije nichts übrig al3 einige Conſtruktionsdetails — und die 
Terminologie. Lebtere aber hat einen ganz anderen Sinn erhalten, 
al3 der war, in welchem man fie von den Deutjchen empfangen Hatte: 
Bollwerk und Bajtei (baluardo und bastione) bedeuten jetzt Die ge- 
mauerten, bald ausschließlich fünfedig angelegten Flankierungswerke, 
die, je länger je mehr, als wejentliche Elemente der modernen Bes 
fejtigung gelten und die num ihrerjeit3 wieder den nördlichen Völkern 
nicht nur zum VBorbilde jondern zum Gegenjtande fruchtbarer Fort: 
bildung wurden. 

E3 ift jchon angedeutet worden, daß die in Stein errid)- 
teten Schärpen (escarpes) vor Allem durch die Anfügung von 
Strebepfeilern und die Einführung von Entlaftungsgewölben verjtärft 
wurden. Gern gab man ihnen auc (um das Emdringen der Kugeln 
in dad Mauerwerk zu erjchweren) eine jehr janfte Anlage, und um 
das Abjpringen der Gejchofje zu fördern wählte man wohl, da wo 
es anging, abgerundete Kanten und jchiefe Formen. 


854 Das XVL Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befejtigung ꝛc. 


Co erhielten 3. B. die Bajtionsfacen zuweilen an der Pünte eine ſtärkere 
Böſchung als an den Schulterpunkten, ſo daß ſie eine Geſtalt annahmen, die an 
einen Windmühlenflügel erinnert. 

Alles das waren freilich nur recht ungenügende Aushilfsmittel. — 
Die Notwendigfeit das Mauerwerk zu deden und dadurch den 
Angreifer zu zwingen, wenn er Breche legen wollte, bis auf die Kon— 
trescarpe heranzugehen, wurde früh begriffen. Schon Tartaglia 
hat ſich mit der Löjung dieſes Problems bejchäftigt. Aber man 
erreichte jenen Zwed doch nur unvollfommen, weil man jich nicht 
entichliegen konnte, von den überaus hohen Profilen der Escarpen 
Abſtand zu nehmen. Dieje find, namentlich zu Anfang des Jahr— 
hunderts, oft 50° hoch; denn man legte großen Wert darauf, ſowohl 
die damals noch jehr üblichen Leitererjteigungen möglichjt zu erjchweren, - 
al3 den Angreifer zum Bau fojtbarer und zeitraubender Kagen (Bat- 
terieplattformen) zu zwingen, von denen aus er die Werfe der Feitung 
zu überhöhen jtrebte. Man legte auch Wert darauf, hoch zu bauen, 
um jelbjt möglichjt weit jehen und feuern zu fönnen. Dennoch nahm 
Spedle den Gedanken des Tartaglia wieder auf, und troß des ge- 
waltigen Reliefs feiner Werke gelang es ihm wirklich, die Schärpen- 
mauer jeines Hauptwall durch den Hochrand des Glacis gegen den 
direften Schuß zu deden. Damit war, wilfenjchaftlich wenigiteng, 
eine3 der wichtigjten fortififatorischen Probleme der Zeit gelöft. 


Die erſte Verdunfelung der die moderne Entwidelung der For— 
tififatton einleitenden Hauptgedanfen betraf das im 15. Ihdt. jo jtarf 
hervortretende Bejtreben, der Esfarpe durch Hohlbauten zur Auf 
nahme von Artillerie die doppelte Eigenjchaft eines Hindernijjes und 
eines zu aktiver Verteidigung befähigten Wehrbaues zu geben. Scher- 
mers Bajteien hatten drei Reihen Gejchüßfajematten übereinander 
aufzumeilen. In demjelben Sinne find die Entwürfe des Giorgio— 
Martini und die des della Valle gehalten; aber jchon Dürer 
ſchränkt die Defenfivfafematten einigermaßen ein. ‘Er bevorzugt fie 
in den unteren Teilen der Esfarpe, wendet jie zuweilen auch oben 
an; aber den mittleren Teil behandelt er meijt als Vollbau. Und 
als nun einige Kriegsvorfälle die Erfahrung machen ließen, daß dieje 
mit Scharten durchbrochenen Esfarpen dem Feinde gelegentlich den 
Überfall ermöglichten, als ſich ferner ergab, dah man nur fchwer den | 


3. Zujammenfafjende Betrachtungen. 855 


Rauch aus ihnen zu entfernen vermöge, und als endlich die Befürch- 
tung rege ward, durchbrochene Schärpenmauern möchten leichter in 
Breche zu legen jein als volle, da erhob jich eine ſtarke Gegnerjchaft 
gegen fie; bald finden jich die Gejchüßfajematten nur noch in den 
Flanken der Bajtione, um endlich, faſt überall, zum großen Nachteil 
gejicherter Bejtreichung und weiſer Raumerjparnis, auch jelbit an 
diejer Stelle zu verſchwinden. 
8 133. 

Die Mittelwälle (Kurtinen, Gardinen) waren zu Anfang des 
Sahrhunderts die eigentlichen Träger der Verteidigung und von großer 
Länge. Meijt jind fie geradlinig angelegt; doch fommen auc) andere 
‚Formen vor. Melloni (1548) führt jie in auswärts geſchwungenem 
Bogen. Tartaglia, Alghiſi da Carpi, Marchi und Gaftriotto brechen 
jie nach innen, und wo Maggi dus nicht tut, zieht er fie zweimal, 
parallel mit ihr jelbjt zurüd und erhält auf dieje Weiſe zwei Kleine 
Flanken im Mittelwall. 

Dieje „verftärkte Ordnung“ hatte jhon San Gallo angewandt; fie jtand 
bejonders bei den Spaniern in Gunst, und wahrjcheinlid hat Bauban die Kur: 
tinenflanten feiner „dritten Manier“ diefem Vorbilde entlehnt. 

Spedle wendet in jeiner grundjäßlichen Normalordnung die ge 
rade Gurtine an, jchlägt aber gelegentlich auch eine nach außen ge 
winfelte vor. 

Anfangs bewahrten die Kurtinen auf ihrer Mitte den „Berg“ 
der alten deutjchen Schutten, d. h. jene Plattform, von der aus Die 
Bajtionspünten bejtrichen und das VBorgelände unter Feuer genommen 
werden jollten. Je mehr dann diefe beiden Aufgaben, unter gleich: 
zeitiger Verfürzung des Mittelwalles, auf die Bajtione übergingen, 
um jo jeltener wurden die Sturtinenfavaliere. Zuweilen traten an 
Stelle der einen Mittelplattform deren zwei an den Kurtinenpunkten. 
Spedle aber jtellt den Meittelfavalier wieder her. 

Bei der bedeutenden Länge der alten Kurtinen vermochte man, denjenigen 
Teil derjelben, welcher den Bajtionsflanten zunächſt lag, zur Verjtärfung der 
Flankierung des Hauptgrabens mit nugbar zu maden, allerdings nur mit jehr 
ihrägem Feuer und nur dann, wenn die Verlängerung der Baftionsfacen nicht 
auf die Endpunfte der Mittelwälle, ſondern auf mehr nad) der Mitte zu gelegene 


Buntte derjelben trafen. Zwiſchen diefen Punkten und den „Surtinen= (end-) 
punkten“ ergaben fi dann die „Nebenflanken.“ Cine ſolche Anordnung, die 


856 Das XVI Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befejtigung ꝛc. 


u. a. auch Marchi fordert, hatte verhältnismäßig ſpitze Baſtionswinkel zur Folge 
und ward daher von den meijten, bejonders entjchieden von Busca verworfen. 

Austretende Streichwehren (bewaffnete Koffer, Kaponnieren) 
im Graben werden anfangs des Jahrhundert allgemein angewendet ; 
auch in der Folge findet man fie, bald da bald dort empfohlen und 
im Gebrauche; allmählich aber werden jie jeltener, und endlich geht 
die Beitreichung ausjchlieglich auf die Baitione über. 

Die Grundrißgejtalt der Bollwerfe oder Bajteien (Baftione) 
hat anfangs geringe Bedeutung. Rondelle und Fünfecke jtehen in der 
Umfaſſung Veronas zu gleichen Zwecken und gleichwertig nebeneinander. 
Weſentlich dagegen iſt die von den Bajtionen ausgehende Flankie— 
rung und zunächjt eben nur dieje; denn urjprünglich haben die Ba- 
jttone gar feinen anderen Zwed als die Seitenbejtreihung. Daher 
tat man denn auch alles mögliche, um ihre Flanken bi8 zum Ende 
der Belagerung intaft zu halten. Zu dem Zwede zog man jie zu: 
rüd und dedte fie durch das Bollwerfsohr (orillon), das jchon im 
15. Ihdt. vorfommt. Der beite Schu war natürlic) die Einwölbung 
der Flanke; doch das ungünjtige Urteil über alle Kajematten trat 
auch hier hindernd ein. Anfangs wölbte man wenigjtens noch „Den 
unteren Pla“ ein, während man den „mittleren“ und den „oberen 
Platz“ offen ließ und durch Zurücziehen zu deden juchte; endlich 
aber verzichtete man gewöhnlich jogar auf die Einwölbung Der 
unterjten Etage, ließ auch dieſe offen und jicherte fie gegen etivaige 
Zeitererjteigung durch einen tief eingejchnittenen Kleinen Graben an 
ihrem Fuße (Marchi) oder durch einen Eleinen flankierenden TZambour. 
(Busca.) | 
Auf ſolche Weife mochte die Sturmfreiheit erhalten bleiben; immerhin aber 
hatten dieje Stodwerksflanten den Nadteil, daß fie den Bau des Bajtiond wejentlich 
tomplizierten, daß fie den inneren Raum desjelben verengten und dab die Be: 
fagung der unteren Pläge nicht nur durch Wurffeuer, fondern aud) durch Mauer: 
triimmer, welche von der hohen Flanke herabgefchofien wurden, bedenklich gefährdet 
ward. — Das Nufgeben der fajemattierten Flanken war ein entſchiedener Fehler. 
— Im die offene Flanke befjer zu deden und fie zugleich jo lang ald möglich zu 
machen, gab man ihr aud) wohl eine Krümmung nad) innen (ein Verfahren, das 
ihon 1527 San Michele bei dem Bajtion delle Maddelane zu Berona angewendet 
hat, oder man bog das angrenzende Stüd der Kurtine etwas zurüd und ſchuf jo 
einen „Bruch“ (brisure). 

Da der Zwed der Baltionsflanfen zumächjt der war, den Graben 
vor der Kurtine zu beitreichen, jo ftellte man ſie jenfrecht zu diejer. 


3. Zuſammenfaſſende Betrachtungen. 857 


Und jpäter, als man bereitS großen Wert darauf legte, daß Die 
Flanke auch den Graben vor der gegemüberliegenden Bajtionsface 
unter Feuer nehme, behielt man dennoch die bisherige Stellung der 
Flanke bei, weil man dieje bei einem jtumpferen Winkel bloßzujtellen 
fürchtete. Erſt Spedle wagte es, die Flanken jenfredt auf die 
Streidhlinien (Defenslinien) zu jtellen, den Flankenwinkel alfo über 
90° Hinaus zu Öffnen. Damit aber erit war das Baſtionärſyſtem 
zu jeiner vollen Konjequenz entiwidelt; denn deſſen Wejen beruht, im 
Gegenſatz zu der bloßen Befeitigung mit Baftionen, auf der gegen- 
jeitigen Bejtreichung aller Werfe untereinander. 

Der Bollwerfswinfel an der Pünte ift anfangs meijt jpit, 
Ichon um Zeile des Mittelwalls als Nebenflanfen verwerten zu fünnen. 
Früh jchon erfannte man jedoch, daß ſolche Spisbauten dem Ge 
jchüßfeuer jchlecht widerjtanden und gar zu große unbejtrichene Räume 
erzeugten. Alghiſi da Carpi und Marchi ſprachen fich daher für 
jtumpfwinfelige Bajtione aus, die denn auch zumeilen, wie 1567 
zu Antwerpen, wirklich errichtet wurden, wobei man dann aber den Kur— 
tinen ganz außerordentliche Länge gab, damit fie doc) noch bei der 
Flankierung mitwirken könnten. Demgegenüber machten die ‘Freunde 
jpiger Bajtione geltend, daß dieje die Möglichkeit gewährten, jede 
Face auch noch durch die Face des Nachbarbaftions zu flanfieren. — 
Dies Für und Wider veranlaßte bedeutende Ingenieure wie Spedle 
und Errard den Mittelweg einzujchlagen und fich für rechtwinflige 
Bollwerfspünten zu entjcheiden. 

Der Wunſch, den Angreifer unbedingt und jo entjchteden wie 
möglich zu überhöhen, führt viele Baumeiſter, namentlich auch Spedle, 
zur Errichtung von Katzen (Kavalieren) in den Bajtionen, deren 
Höfe dadurch freilich empfindlich bejchränft wurden. Aus Diejem 
Grunde und weil c3 zu befürchten jchten, daß der vom Fernfeuer zu 
erreichende Kavalier in Trümmer gejchoffen werden fünnte und dieſe 
dann eine gangbare Rampe vor dem Baſtion jchaffen möchten, jpricht 
Maggi jich dafür aus, den Kavalier Hinter die Kehle des Baſtions 
zu legen, wo er zugleich dies jelbit bejtreichen und einem Abjchnitte 
al3 Stütze dienen fünne. 

Die Gräben jind bald nat, bald troden. Marchi zieht naſſe 
vor und will diejelben am Fuß der Schärpe tiefer halten al3 an der 
Kontreesfarpe; an jenem Fuß Toll auch bei trodenen Gräben die 


858 Das XVI. Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeſtigung ꝛc. 


Kunette liegen; er bildet den Graben auch wohl zur Hälfte troden, 
zur Hälfte naß. Die großartigite Bedeutung gewinnt der Graben 
natürlich bet Stevin, indem er ihn aus der Rolle eines abjolut paj- 
jiven Hindernismittel3 durch die Schleujenwerfe in die eines aftiv 
agierenden Verteidigungsmittel3 erhebt. — Die Grabenbeitreichung 
fällt, was jchon erwähnt wurde, je länger je mehr, ausjchlieglich den 
Baftionsflanfen anheim; jelten nur gejellen fich, wie bei Spedle, aud) 
noch Fajemattierte Gallerien der Esfarpe Hinzu. 

Den gededten Weg der jchon im 15. Ihdt. vorfommt, nahm 
bereit3 Tartaglia mit Bewußtjein von dem offenfiven Werte diejes 
Werkes in jein Syſtem auf. Er ward allmählich erweitert; Cataneo 
(1571) verjah ihn zuerjt mit Waffenplägen; Caſtriotto rüjtete Dieje 
mit Reduits aus und jchuf in feinem „Worgraben“ einen vorderen 
gedeckten Weg. Spedle endlich) der den gededten Weg jägefürmig 
rührt, den Raum der Waffenpläße weſentlich erweitert und den Vor: 
graben dazu benußt, dem Angreifer buchjtäblich „den Boden unter 
den Füßen fortzuziehen“, bringt das Syſtem des gededten Weges 
auf eine faum jemals wieder erreichte Höhe. 

Zu allen Zeiten find ravelinartige Werfe zur Dedfung der Thore 
üblich gewejen; und auch der Hauptgrund für die Aufnahme des 
NRavelins in das Bajtionärtrace war zunächſt der, den Angreifer 
an der direkten Bekämpfung der Kurtine und der in ihr liegenden 
Ihore zu hindern; aber ihre Bedeutung als wejentliche Teile der 
bajtionterten „Front“ gewinnen die Naveline erſt von dem Augen: 
blife an, da der Angriff, welcher bis zur Mitte des Jahrhunderts 
jich ausschließlich gegen die Sturtinenmitte gerichtet hatte, anfing, ſich 
einer der Bajtionsfacen zuzumenden, um hier Breche zu legen; denn 
nun fällt ihnen die Aufgabe zu, die Facen der Nachbarbaitione zu 
flanfieren. Zwar noch dem Cataneo (1571) gilt der Angriff auf die 
Kurtinenmitte al3 gewifjermafjen ſelbſtverſtändlich; daß er das jedoch 
damals nicht mehr war, lehrt die Art, wie Marchi jeine Raveline em- 
pfiehlt. Endlich aber war es wieder Spedle, der durch das große 
Ravelin feiner „verjtärkten Manier” unter gleichzeitiger rechtwinfliger 
Stellung der Bajtionsflanfen auf die Defenslinien die Beitreichung 
der Bajtionsfacen völlig jicherte und zugleich in der vorgejchobenen 
Reihe jeiner Raveline eine Tenaillenfront jchuf, der die bajtionierte 
Front des Hauptwalles gewijjermafjen als Generalabjchnitt diente. 


3. Zuſammenfaſſende Betradhtungen. 859 


Bon anderen Außenwerken jind die Faujjebrayes in jteter 
Anwendung, zumal bei najjen Gräben; auc) die echte, freiftehende, 
von der Eskarpe Losgelöjte Braye (jpäter Kontregarde gen.) kommt 
vor. Marchi begünjtigt alle diefe »pontoni« im höchiten Grade. 
Ihre volle Entwidelung erfahren fie jedoch nicht in Italien, jondern 
in den Niederlanden, wo jie freilich zunächjt nur in der Praxis, nod) 
nicht in der Wiljenjchaft glänzen, da Stevin ihrer verhältnismäßig 
flüchtig gedenkt. — Auch den Nuten der Burgen, welche im Mittel- 
alter jo oft mit Stadtbefeftigungen verbunden waren, ließen Die 
Staltener fich nicht entgehen und übertrugen deren Zwecke auf die 
jog. Eitadellen, welche fie auf den wichtigjten, beherrichenden Punkten 
des Geländes anlegten und mit den meisten ihrer Stadtbefeitigungen 
in Verbindung brachten. Der Wert diejer oft großartigen Anlagen 
beruht freilich in den meiſten Fällen in der Beherrichung der Stadt, 
iſt aljo militärspolitifcher Natur. 

Die mangelhaften Verbindungen der Klernbefeitigung mit den 
Außenwerfen, insbejondere mit dem gededten Wege, lajjen die Vor- 
liebe des Angreifers zum Überfall mit ftürmender Hand höchſt be 
greiflich erjcheinen. 

Ein mächtiges Widerjtandsmittel erwächjt in den Kontreminen, 
für die zuerſt Marchi mit vollem Verſtändniſſe eintritt. Faſt ſtets 
zwar liegt die Hauptgalerie in der Schärpenmauer jelbjt oder Hinter 
dem Walle: eine fehlerhafte Anordnung, welche des Feindes Ein- 
dringen erleichtert. Immerhin jchiebt aber jchon das bloße Vorhan— 
denjein der Gegenminen den Punkt, an welchem der Nahkampf beginnt 
und welcher bisher der Nand des gededten Weges gewejen war, bis 
an den Fuß des Glacis vor. 


8 134. 


Da die italienischen Formen der Befeſtigungskunſt im Weſent— 
lichen das ganze Jahrhundert beherrichen, jo pflegt man diejes in 
die Zeitalter der altitaltenifchen und der neuitalienischen Schule einzu— 
teilen, deren Scheide ungefähr die Mitte des Jahrhunderts ijt. — Die 
altitalienijhe Schule gehört, wie Dürers Stadtbefeitigung, dem 
Polygonaljyfteme an; denn ihre Baftione find doch nur Geſchütz— 
faponnieren auf der Bolygonale. Die neuitalienifche Schule entwidelt 
dann das moderne Bajtionärjyitem, indem das Schwergewicht der 


860 Das XVL Jahrhundert. IV. Die Wifjenjchaft von der Befejtigung ꝛc. 


Verteidigung von den Kurtinen auf die ausjpringenden Werfe über: 
geht und vornemlich auf der Wechjelwirfung und gegenfeitigen Flan— 
fierung und Sefundierung diefer Werke beruht, von denen die Bajtione 
num nicht mehr nur dem Nahlampfe jondern auch dem Fernkampfe 
dienen. Unter namhafter Verfürzung der Kurtinen werden die Ba- 
jttone einander jo nahe gerüdt, daß die gegenjeitige Bejtreihung auch 
durch Gewehrfeuer jtattfinden fann, und von ihren Slavalieren aus 
kämpfen die Feltungsgejchüge gut gededt auf große Entfernungen, 
joweit jolche damals überhaupt in Frage famen. Denn eigentliche 
Wirkſamkeit entfaltete die Artillerie nicht über 500 Schritt hinaus. 
Auf diefe Entfernung hin ging aber auch wirklich von den Bajtions- 
facen ein pernichtendes Kreuzfeuer aus, das jich mit jedem Schritte, 
welchen der Angreifer vorwärts tat, noch jteigerte. Eben dies Kreuz- 
feuer war e8, welchem das Bajtionärjyjtem vorzugsweiſe den Sieg über 
das Polygonalſyſtem verdankte, deſſen Bauten faſt nur frontale Wir- 
fung äußern konnten. Das entwickelte Baftionärjyitem zwang den 
Angreifer dazu, jeine Brechbatterien entweder auf ganz folofjalen 
Hochterraſſen oder auf der Glaciskrete zu etablieren. In der Phaſe 
des Nahfampfes aber umfaßte der Verteidiger feinen Gegner voll- 
fonımen und hinderte jein Vorgehen durch gute Flankierung, durd) 
widerjtandsfähige Außenwerfe, durch innere Abjchnitte, durch einen 
mit allen Hilfsmitteln der Feuerwerkskunſt geführten Chifanenfrieg 
im Graben, durch Gegenminen und endlich durch die zu Ende des 
Sahrhundert8 auftretenden, von Stevin erläuterten Wafjermanöver. 
— Auf diefem Wege ward dem Angriff das Übergewicht über 
die Berteidigung, welches er im 15. Ihdt. errungen Hatte, 
wieder entzogen, und man muß anerfennen, daß wenn Seerord- 
nung, Bewaffnung und Taktik während des 16. Ihdts. nur geringe 
Fortſchritte aufzuweiſen haben, die Befeſtigungskunſt mächtige Schritte 
vorwärts tat, u. zw. eben durch die Entwidelung des Baſtionärſyſtems, 
deſſen Vollender Daniel Spedle war. — Das 16. Jahrhundert ift 
reich an jchönen Verteidigungen. 


S 135. 
Die Belagerungen des 16. Ihdts. find ſehr verjchieden ge 
artet je nach der Weife, in welcher der angegriffene Platz befeitigt 
war. — Handelte es fi) nur um kleine mittelalterlich ummauerte 


3. Bujammenfaflende Betrachtungen. 861 


Städte, mit geringen Garnijonen, jo erzwang man den Eintritt oft 
durch eine Kanonade oder gegen Ende des Jahrhunderts auch wohl 
durch Anwendung der tragbaren Petarde gegen eines der Tore. — 
Salt es die Bekämpfung einer alten nur mit einem Niederwalle ver- 
jtärkten Befejtigung, jo wendete jich der Geſchützangriff jofort 
gegen beide Artilleriejtochverfe der zeitung gleichzeitig. Gelang es 
ihm dann, das Teuer des DVertheidigers zum Schweigen zu bringen 
und ſich des Niederwalles zu bemächtigen, jo war die Sprengung 
der Mauer faum mehr als die Bejeitigung eines toten Hindernifjeg, 
welche nicht jchwer fallen konnte. Freilich fam es dann wohl vor, 
dat der Verteidiger inzwijchen einen Abjchnitt hinter der bedrohten 
Front hergejtellt hatte, der bejjer eingerichtet war als der alte Mauer: 
gürtel. Das erfuhr Karl V. bei Met, wo Francois von Guiſe auf 
der Seite der Porte-St.Barbe hinter der alten Mauer eine Kurtine 
mit zwei Halbbaftionen in größter Vollkommenheit errichtete, der gegen- 
über alle Anjtrengungen der Kaijerlichen jcheiterten. 

Ganz anders jobald es die Belagerung einer modernen Feltung 
galt! Da mußte man zum fürmlichen Angriff jchreiten, wie ihn 
uns Reinhart von Solms, Frönsperger, Abra de Raconis, Lorini 
und Busca eingehend gejchildert haben. — Die alten Angriffs und 
Dedungs-Mittel der Werfzeuge, der Hagen, Schirme und anderen Holz 
bauten, in deren Erfindung ſich das 15. Ihdt. ausgezeichnet, reichten 
in feiner Weife mehr aus. An ihre Stelle trat neben das Geſchütz 
der Gebrauch des Bodens zu Schugbauten, und in Diejer 
Hinfiht ward bejonders die deutiche Erfindung der Schanzförbe 
von großer Bedeutung. — Busca unterjchetdet drei Arten des An— 
griffs: dem mit der Artillerie, den mit Spaten und Hacke (colla 
pala e zappa — daher der Name „Sappe“) und den mit Minen. 
— Ein reiner, bejchleunigter Artillerieangriff ohne Annäherung durch 
die Sappe fommt als Verſuch nicht jelten, in voller Durch- 
führung und mit Erfolg aber nur um die Wende des 15. und 16. 
Ihdts. zuweilen vor. Gewöhnlich wurden Wrtillerieangriff und 
Sappenangriff verbunden; für Minenangriff und Sappenangriff ver: 
jteht ſich das von jelbit. 

Eines der größten Hindernifje für dieſe neue Angriffsweije be— 
itand in der Abneigung der Truppen gegen die Erdarbeiten. 
Die Leute verweigerten es meijt rundweg, ſich einer jolchen Tätig- 


862 Das XVI. Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeitigung ꝛc. 


feit zu unterziehen, die nicht, den Kriegern jondern hörigen Bauern 
zufomme. Um diejen Widerjtand zu bejiegen, war viel Geld nötig 
und wenn dies mangelte oder (wie das auch vorfam) nicht Fruchtete, 
jo griffen oft die vornehmijten Edelleute, die berühmtejten Führer zum 
Spaten und jeßten ſich an die Spite der Schanzbauern, um jo durch 
Beihämung den thörichten Stolz zu brechen. Begreiflicherweije ent: 
ichlofjen fie jich dazu nur im äußerſten Notfalle und zogen es, wenn 
irgend möglich, vor, jolchen Schwierigkeiten durch einen gewaltjamen 
Angriff vorzubeugen. Gewöhnlich war das Eröffnen der Sappe erit 
die Folge einer mißlungenen Einfchüchterung der Beſatzung durch eine 
heftige Kanonade. Daher trug es jich dann aber nicht jelten zu, daß 
die Munition erjchöpft, ja das Gejchüg zum Teil leiſtungsunfähig ge 
worden war, gerade in dem Wugenblide, da man beider am metjten 
bedurft hätte. 

So lange die Feitungen jehr lange Kurtinen und kurze Flanken 
hatten, zogen es die Angreifer vor, in die Mitte der Kurtine 
Breche zu legen. Allerdings jegten ſie ſich dabei für den Augenblid 
des Sturms dem Feuer beider Flanken aus; aber oftmal® war. die 
Kurtine minder ſtark gebaut und Daher leichter einzuftürzen als die Bajtione, 
und überdie® umging man durch eine Slurtinenbreche alle etiwaigen 
Netranchements an den Kehlen der Bajtione. — Da die Kurtine 
anfangs gar nicht oder doch nur dürftig durch Außenwerfe gededt 
war, jo errichtete man ihr gegenüber auf 450 bis 600 m Entfer- 
nung eine Demontierbatterie u. zw. meijt auf einer hohen großen 
Terraſſe, um die feindlichen Kavalierbatterien erfolgreich befämpfen zu 
fönnen und volle Emjicht in die Feitung zu gewinnen. Dieje große 
Batterie, den Mittelpunkt des gejamten Angriffs, nannten die Deut: 
ihen furzweg „die Schanz“, die Franzoſen »batterie royale«e. Mit 
einer jolchen auf den reinen Frontal- und Kernſchuß angewiejenen 
Hochbatterte erzielten noch im weit jpäterer Zeit, nämlich 1669, die 
Türfen bei der Belagerung von Candia ihre beiten Erfolge. Zus 
weilen erhielt die „Schanz“ zur Bekämpfung der die angegriffene 
Kurtine flankierenden Bajtione zwei zurüdgebogene Flügel. Erſt gegen 
Ende des JahrhumdertS werden die Bajtionsflanfen auch wohl 
durch jelbjtändige Kontrebatterien angegriffen, die jich mitunter 
des Prellichuffes zu bedienen juchten, deren Leiſtungen jedoch noch 
jehr untergeordneter Art find. — Enfilierbatterien (überzmwerde 


3. Zujammenfafiende Betrachtungen. 863 


Schanzen) wurden jelten und dann auf noch höheren „Katzen“ als die 
große Schanz angelegt. Die Mörjerbatterien waren von denen 
der anderen Gejchüge gejondert. — Vor jeder Batterie lag in einem 
tief eingejchnittenen Graben „die Wacht und Hut“, d. h. die Parti— 
fularbedefung. — Das direkte Feuer herrjchte durchaus vor; das 
Bertifalfeuer tritt dagegen ganz zurüd, und die fFeuerordnung 
ließ offenbar jehr viel zu wünjchen übrig. Man ſchoß auf die Brujt- 
wehren, um jie zu rafieren, auf die Drillons, um fie niederzumerfen, 
auf die Flanken, um jie untüchtig zu machen, den Grabenübergang zu 
hindern. Aber all’ das ging nur zu oft in launenhaftem Wechjel durch— 
einander und wurde nicht jelten wieder von einer wilden Kanonade gegen 
das Stadtinnere abgelöjt, jobald man irgend Anzeichen zu haben 
glaubte, daß ein jolches gewaltjames Verfahren Eindrucd machen werde. 

Seitdem das Bajtionärtrace zu jeiner eigentlichen Ausbildung 
gelangt war, wendete ſich der Angriff von der Surtinenmitte ab 
und bevorzugte eine Bajtionsface; denn nım waren die Ba- 
jtione die eigentlichen Wertjtüde der Feſtung, und eine von ihnen 
fampfunfähig zu machen, galt als der bejte und natürlichite Weg zur 
Niederwerfung des Widerjtandes. In Deutjchland drang dieje An— 
ſchauung jeit Spedle durch, früher als in Frankreich, wo ſich das 
entgegengejegte Verfahren noch bis tief in das 17. Ihdt. hinein er: 
hielt. Es begegnet 3. B. bei den Belagerungen von la Rochele (1628), 
wo Bajtione und Slurtine, bei Bois-le-Duc (1629), wo nur die Kur: 
tine angegriffen wurde, ja noch 1668 bei Döle. 

Die Batterien wurden mit dem Lager durch Yaufgräben ver: 
bunden, und dann gingen dieje Annäherungsbauten, welche auf feljigem 
oder wäfjerigen Gelände durch Schanzkörbe hergejtellt wurden, über 
die Batterien hinaus, oft auf gut Glück, gegen den gededten Weg 
vor. Die einzelnen Sappenjchläge waren auf jich allein angemiejen, 
derart, daß die Ausfälle der Bejagung oft die Wache vertrieben, die 
Arbeiter zerjtreuten, die Anlage über den Haufen warfen. Indes 
allmählich vervollfommneten jich dieje Laufgräben; man erbaute zu 
ihrem Schuge an den Wendepunften Erdredouten, und 1558 fügte 
Montluc ihnen bei der Belagerung von Diedenhofen Eleine Waffen: 
pläße für Gewehrjchügen an (arriere-coins), Erweiterungen Der 
Approchen, welche man als die Ausgangspunfte der Parallelen be: 
trachten darf. Die Spiten der Laufgräben dedten Schanzforbfan 


864 Das XVI Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeitigung ꝛc. 


Während diejes Stadiums des Angriffs befämpfte die Zeitungs: 
artillerie die große Batterie des Belagerers; das Fußvolk der 
Feſtung aber erging jich in häufigen Ausfällen, welche, wie jchon 
erwähnt, den vereinzelten, noc durch feine Parallelen verbundenen 
Sappenjpigen gegenüber nicht jelten Erfolg hatten und an Zahl und 
Kraft zunahmen, je mehr jich die Einrichtungen des gededten Weges 
vervollfommneten. Zuweilen nahm auch die Reiterei an diejen 
Ausfällen teil. 


Hatte die Demontierbatterie das Feitungsgeihüg zum Schweigen 
gebracht, jo übernahm diejelbe gewöhnlich auch ohne Ortsveränderung 
die Heritellung der Breche. Denn die Brechbatterie bedurfte 
gleichfalls einer jehr hohen Lage, um die Esfarpe tief genug fafjen zu 
fönnen, wenn man jich nicht entichliegen wollte, bi8 an den Graben- 
rand vorzugehen. Dies aber tat man ungern, weil das unbehilfliche 
ſchwere Geichüg jchlecht in den Laufgräben zu bewegen war. inige 
der tüchtigjten Kriegsmänner des Jahrhunderts: jo Montluc, Francois 
de Guiſe und namentlich die oranischen Prinzen, dachten hierüber 
freilich anders und verjtanden es, durchzujegen, ihre Brechbatterten 
bis in den gededten Weg vorzuführen. — Die Kunjt des Breche- 
legens entwidelte ji) nur langjam. 

Man jhoB anfangs meijt gegen den Mauerkranz und fuhr dann von oben 
nad) unten fort. War da8 Mauerwerk jchlecht, fo führte die Erjchütterung feinen 
Sturz herbei; war es aber gut und leijtete lange Widerjtand, jo häuften fich die 
bherabjtürzenden Trümmer vor der Mauer auf, dienten als Buffer, jhwächten die 
Geſchoßwirkung und ergaben dod feine gangbare Brede. Dann war man ges 
zwungen, auf einem anderen Punfte neu zu beginnen ohne größere Wahrichein- 
lichkeit de8 Erfolges. Gegen Ende des Jahrhunderts zeigt das Verfahren aber 
entjchiedene Fortichritte. Busca empfiehlt, auf Y/s oder !/s Höhe der Eskarpe einen 
wagerechten Einjhnitt zu machen. 

Die Schwierigkeit des Mauerbruchs durch den Kanonenſchuß und 
der Wunjch, möglichjt breite Brechen zu erzeugen, der jehr jtarf her- 
vortritt, veranlaßte oftmals dazu, neben dem artillerijtiichen auch) den 
Angriffmit Minen anzuwenden. Diejer fommt jchon im 15. Ihdt. 
diesſeits wie jenjeit3 der Alpen zuweilen vor und richtete ſich im 16., 
ja auch) im 17. Ihdt. nicht jelten gegen ganze Fronten, jo 3. B. 1639 
bei Hesdin. Sp große Anftrengungen, wie fie das Niederlegen 
mehrerer Bajttone und Kurtinen durch Untergrabung und Aufjprengung 
erfordert, zog man aljo der Unficherheit des artillerijtiichen Erfolges vor! 


3. Zujammenfajlende Betrachtungen. 865 


Hatte das Brechgeichüg oder die Mine genügend gewirkt, jo galt 
es nun den Sturm. Die jchlechten Kommunikationen der Feitungen 
mit ihren Außenwerfen erlaubten fajt immer, die legteren durch Hand» 
ftreich zu nehmen. Dadurch ließ man ich nicht jelten verführen, in 
ähnlicher Werje auch gegen den Hauptwall vorzugehen, was jedoch in 
den meisten Fällen Fehl jchlug und empfindliche Verluste herbeiführte. 

Wies der belagerte Pla nur einen trodenen Graben nebit 
Niederwall auf, jo wurde die Schanze bis zu dieſem Walle fort 
geführt. Dies gelang gewöhnlich ohne bejondere Schwierigkeiten, falls 
feine „Meijenfajten“ (Kaponnteren) im Graben lagen. War dies der 
Fall, jo zerjtörte man die niederen Streichwehren oder blendete jie 
durch Erdarbeiten. — Najjen Gräben entzog man womöglich das 
Waſſer oder überjchritt ſie auf beweglichen Brüden, deren Modelle 
ja jchon in den Ikonographien des 15. IHdts. eine große Rolle 
jpielen. — Der offene Grabenübergang blieb allezeit ein jchwierig 
Ding, zumal wenn er unter dem Feuer intafter Flanfenbatterien oder 
Doc) unter dem der traditores zu gejchehen hatte. Während des 
„Anlaufens“ feuerten alle Gejchüge, bis die Truppen im Graben 
waren. Dann fand gewöhnlich auf der Breche jelbjt noch ein hart: 
nädiger Widerjtand mit Fladderminen und Feuerwerkskörpern ſtatt, 
und nicht ſelten ſcheiterte eine bis dahin glücklich durchgeführte Be— 
lagerung noch im letzten Augenblicke an dem Übergewichte der Nah— 
verteidigung über den Angriff, an der Gefährlichkeit des Sturmes 
oder an der Kraft der während des Geſchützkampfes erbauten provi— 
ſoriſchen Abſchnitte. 


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Jähns, Geſchichte der Kriegswiſſenſchaften. 55 


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